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Wenn Kinder spezielle Hilfe brauchen

Wenn Kinder spezielle Hilfe brauchen

Wenn Kinder spezielle Hilfe brauchen

VON EINEM ERWACHET!-MITARBEITER IN FINNLAND

Markus (links) kann mit 20 Jahren nicht allein essen, trinken oder baden. Er schläft schlecht und braucht auch nachts Betreuung. Da er sich oft verletzt, muss ihm immer wieder erste Hilfe geleistet werden. Dennoch haben ihn seine Eltern sehr lieb. Sie schätzen seine sanfte, freundliche, anhängliche Art. Trotz seiner Behinderung sind sie stolz auf ihn.

NACH Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation haben bis zu 3 Prozent der Erdbevölkerung geistige Behinderungen. Diese können auf genetische Ursachen zurückzuführen sein, auf Geburtsschäden, frühkindliche Hirnerkrankungen, Ernährungsmängel, Drogen, Alkohol oder den Kontakt mit Chemikalien. In den meisten Fällen sind die Ursachen unbekannt. Wie ergeht es Eltern, wenn sie sich um Kinder kümmern, die spezielle Hilfe brauchen? Wie kann man sie ermutigen?

Eine schlimme Botschaft

Die Schwierigkeiten beginnen, wenn die Eltern erfahren, dass ihr Kind geistig behindert ist. Sirkka erinnert sich: „Als mein Mann und ich erfuhren, dass unsere Tochter das Downsyndrom hat, schien eine Welt über uns zusammenzubrechen.“ Markus’ Mutter Anne erzählt: „Als man mir sagte, dass er geistig behindert sein würde, fragte ich mich, was die anderen jetzt wohl von ihm denken. Aber diese Phase habe ich schnell überwunden und mich darauf konzentriert, was er braucht und was ich für ihn tun kann.“ Irmgard reagierte ähnlich. Sie sagt: „Als uns die Ärzte mitteilten, dass Eunike behindert ist, dachte ich nur noch darüber nach, wie ich meiner Kleinen helfen könnte.“ Was können Väter und Mütter wie Sirkka, Anne und Irmgard nach einer solchen Diagnose tun?

Ein US-amerikanisches Informationszentrum für Kinder mit Behinderungen rät: „Einer der ersten Schritte, die Sie unternehmen können . . ., besteht darin, Informationen zu sammeln — Informationen über die Behinderung Ihres Kindes, über angebotene Dienste und darüber, wie Sie die Entwicklung Ihres Kindes am besten unterstützen können.“ Diese Informationen können der Betreuung gewissermaßen Sinn und Richtung geben. Man plant sozusagen eine Reiseroute auf der Landkarte und schreibt sich Streckenabschnitte und Etappenziele auf.

Sonnenstrahlen am Horizont

Obwohl die geistige Behinderung eines Kindes so manche Schwierigkeiten mit sich bringt, können am düsteren Horizont doch Sonnenstrahlen aufleuchten. Welche?

Erstens können Eltern beruhigt darüber sein, dass die meisten dieser Kinder nicht leiden. Dr. Robert Isaacson schreibt in seinem Buch über entwicklungsbehinderte Kinder: „Die meisten können Glück empfinden und an Geselligkeiten, Musik, gewissen Sportarten, gutem Essen und Freunden Freude haben“ (The Retarded Child). Auch wenn sie weniger leisten als normale Kinder und sozusagen in einer kleineren Welt leben, sind sie in ihrer „Hütte“ oft glücklicher als normale Kinder in ihrem „Schloss“.

Zweitens können Eltern auf die schwer erkämpften Leistungen ihrer Kinder stolz sein. Jede neu bewältigte Aufgabe ist wie der Aufstieg auf einen Berg; die Aussicht von oben ist sowohl für die Eltern als auch für das Kind eine Belohnung. Bryan ist dafür ein Beispiel. Er leidet an tuberöser Sklerose, epileptischen Anfällen und Autismus. Obwohl er intelligent ist, kann er nicht sprechen und hat seine Hände kaum unter Kontrolle. Mittlerweile schafft er es aber, aus einer halb gefüllten Tasse zu trinken, ohne etwas zu verschütten. Dieser begrenzte motorische Fortschritt macht es ihm möglich, sein Lieblingsgetränk — Milch — ganz allein zu trinken.

Bryans Eltern betrachten das als einen weiteren kleinen Sieg über seine Behinderungen. „Unser Sohn ist für uns wie ein Hartholzbaum“, sagt Bryans Mutter Laurie. „So ein Baum wächst nicht so schnell wie die anderen Bäume im Wald, aber sein Holz ist sehr wertvoll. Behinderte Kinder entwickeln sich ebenfalls langsam, aber für ihre Eltern sind sie letztlich wie kleine Eichen oder Teakbäume von bleibendem Wert.“

Drittens wird vielen Eltern bei der Anhänglichkeit ihres Kindes warm ums Herz. Irmgard erzählt: „Eunike geht gern früh schlafen und sie gibt vorher immer jedem in der Familie einen Kuss. Wenn sie schon ins Bett geht, bevor wir heimkommen, hinterlässt sie uns eine Notiz und entschuldigt sich, dass sie nicht aufgeblieben ist. Sie schreibt, dass sie uns lieb hat und dass sie sich schon freut, uns am Morgen wiederzusehen.“

Markus kann nicht sprechen, aber er hat mühsam ein paar Zeichen in Gebärdensprache gelernt, um seinen Eltern zu sagen, dass er sie liebt. Die Eltern von Tia, die an einer Entwicklungsstörung leidet, drücken ihre Gefühle so aus: „Sie bringt so viel Liebe, Wärme und Zuneigung in unser Leben und überschüttet uns mit Umarmungen und Küssen.“ Es ist klar, dass solche Kinder von ihren Eltern sehr viel Liebe und Zuneigung brauchen — sowohl verbal als auch körperlich.

Viertens können sich christliche Eltern sehr freuen, wenn sie sehen, dass ihr Kind an Gott glaubt. Juha ist dafür ein gutes Beispiel. Bei der Beerdigung seines Vaters verblüffte er alle mit der Frage, ob er beten dürfe. In einem kurzen Gebet brachte er seinen Glauben zum Ausdruck, dass sein Vater im Gedächtnis Gottes sei und zu gegebener Zeit von Gott auferweckt werde. Dann bat er Gott um Hilfe für seine Angehörigen, die er einzeln mit Namen aufzählte.

Auch Eunikes Eltern freuen sich, dass ihre Tochter auf Gott vertraut. Eunike versteht nicht alles, was sie hört und sieht. Sie kennt viele Personen aus der Bibel, kann sie jedoch nicht miteinander in Verbindung bringen — sie sind wie Puzzleteile, die kein Gesamtbild abgeben. Aber sie hat begriffen, dass der allmächtige Gott eines Tages alle Probleme auf der Erde beseitigen wird. Nun freut sie sich auf ein Leben in Gottes verheißener neuer Welt, wo sie ihre vollen geistigen Fähigkeiten haben wird.

Selbstständigkeit fördern

Geistig behinderte Kinder bleiben keine Kinder, sondern werden zu geistig behinderten Erwachsenen. Deshalb tun Eltern gut daran, Kindern, die spezielle Hilfe brauchen, zu größtmöglicher Selbstständigkeit zu verhelfen. Markus’ Mutter Anne sagt: „Markus alles abzunehmen ging leichter und schneller. Aber wir haben sehr darauf geachtet, ihn möglichst viel selbst machen zu lassen.“ Eunikes Mutter sagt: „Eunike hat viele wunderbare Eigenschaften, aber manchmal ist sie eigensinnig. Wenn sie etwas tun soll, was sie nicht will, müssen wir an ihren Wunsch appellieren, uns eine Freude zu machen. Und wenn sie dann dazu bereit ist, müssen wir sie bis zum Schluss begleiten und anspornen.“

Bryans Mutter Laurie sucht ständig nach neuen Lebensinhalten für ihren Sohn. Sie und ihr Mann haben Bryan in drei Jahren beigebracht, wie man etwas in den Computer eingibt. Jetzt schickt er mit der größten Genugtuung E-Mails an Freunde und Angehörige. Bisher musste man beim Tippen noch sein Handgelenk stützen. Doch mit der Hilfe seiner Eltern soll er einmal so weit kommen, dass nur noch der Ellbogen gestützt werden muss. Bryans Eltern wissen, dass die paar Zentimeter vom Handgelenk zum Ellbogen für ihn einen Riesenschritt zu größerer Selbstständigkeit bedeuten.

Nun sollten Eltern von ihren Kindern aber auch nicht zu viel erwarten oder sie zu stark unter Druck setzen. Jedes Kind hat ein anderes Potenzial. In einem Buch heißt es: „Eine gute Faustregel lautet, das Kind möglichst ausgeglichen zu Selbstständigkeit anzuspornen und durch die nötigen Hilfen vor Frustration zu bewahren“ (The Special Child).

Wo man die beste Hilfe erhält

Eltern behinderter Kinder brauchen viel Geduld und Durchhaltevermögen. Wenn ein Problem zum anderen kommt, durchleben viele Väter und Mütter Phasen der Verzweiflung. Oft fordert Erschöpfung ihren Tribut. Tränen fließen und manchmal kommt Selbstmitleid auf. Was dann?

Eltern können sich an Gott, den „Hörer des Gebets“, wenden (Psalm 65:2). Er gibt Mut, Hoffnung und Kraft zum Ausharren (1. Chronika 29:12; Psalm 27:14). Er tröstet uns, wenn unser Herz Schmerz empfindet, und er möchte, dass wir uns ‘in der Hoffnung freuen’, die wir aus der Bibel schöpfen (Römer 12:12; 15:4, 5; 2. Korinther 1:3, 4). Gottesfürchtige Eltern können darauf vertrauen, dass in der Zukunft, wenn die Blinden sehen, die Tauben hören, die Lahmen gehen und die Stummen jubeln, auch ihr liebes Kind körperlich und geistig vollkommen gesund sein wird (Jesaja 35:5, 6; Psalm 103:2, 3).

WAS ELTERN TUN KÖNNEN

▪ Sich ausführlich über die Behinderung des Kindes informieren

▪ Versuchen, eine positive Einstellung zu bewahren

▪ Dem Kind zu größtmöglicher Selbstständigkeit verhelfen

▪ Mut, Hoffnung und Kraft bei Gott suchen

WAS ANDERE TUN KÖNNEN

▪ Altersgemäß und ungekünstelt mit dem Kind sprechen

▪ Sich mit den Eltern über das Kind unterhalten und sie loben

▪ Für Gefühle empfänglich sein und darauf Rücksicht nehmen

▪ Mit der Familie des behinderten Kindes etwas gemeinsam tun

[Kasten/Bild auf Seite 26]

Wie andere helfen können

So erstaunlich wie die Ausdauer von Marathonläufern, so bewundernswert ist auch das Durchhaltevermögen vieler Eltern, die für ein behindertes Kind sorgen — 7 Tage in der Woche rund um die Uhr. An einer Marathonstrecke sieht man immer wieder Personen stehen, die den Läufern Wasserflaschen reichen, damit sie durchhalten können. Könnten wir Ähnliches tun und Eltern stärken, die ein behindertes Kind lebenslang betreuen?

Eine Hilfe wäre zum Beispiel, einfach mit dem Kind zu sprechen. Anfangs fühlt man sich dabei vielleicht etwas unwohl, weil es möglicherweise kaum oder gar nicht reagiert. Man darf aber nicht vergessen, dass viele dieser Kinder gern zuhören und über das Gesagte auch intensiv nachdenken können. Doch manchmal ist es mit ihren Gedanken wie mit einem Eisberg: Die große Masse liegt unter der Oberfläche verborgen und das Gesicht verrät oft nicht, was tief im Innern vor sich geht. *

Zur Erleichterung der Kommunikation empfiehlt die Kinderneurologin Dr. Annikki Koistinen: „Sie könnten mit dem Kind zuerst über seine Familie oder seine Freizeitbeschäftigungen sprechen. Passen Sie Ihre Ausdrucksweise dem tatsächlichen Alter des Kindes an. Bleiben Sie bei einem Thema und bilden Sie kurze Sätze. Lassen Sie dem Kind Zeit zum Nachdenken.“

Auch den Eltern tun Gespräche gut. Je klarer wir erkennen, unter welchen emotionalen Belastungen sie stehen, desto besser können wir mitfühlen. Markus’ Mutter Anne beispielsweise würde ihren geliebten Sohn gern besser kennen. Es macht sie traurig, dass er nicht mit ihr sprechen und ihr nicht erklären kann, was in ihm vorgeht. Außerdem hat sie Angst, sie könne vor ihm sterben und ihn ohne Mutter zurücklassen.

Auch wenn sich die Eltern eines geistig behinderten Kindes noch so sehr aufopfern, ist es in ihren Augen oft nicht genug. Bryans Mutter Laurie macht sich wegen jedes kleinen Fehlers bei der Betreuung Vorwürfe. Außerdem belastet es sie, dass sie ihren anderen Kindern nicht mehr Zeit widmen konnte. Wenn wir solchen Eltern und ihren Gefühlen Interesse und Respekt entgegenbringen, würdigen und unterstützen wir sie und ihre Kinder. Irmgard sagt: „Ich spreche gern mit anderen über meine Tochter. Und ich kann mich sehr für Menschen erwärmen, die bereit sind, an den Freuden und Leiden meines Lebens mit Eunike Anteil zu nehmen.“

Es gibt noch viele weitere Möglichkeiten, zu helfen — ob im Kleinen oder im Großen. Wir könnten die Eltern mit ihrem Kind zu uns einladen oder ihnen anbieten, sich uns anzuschließen, wenn wir als Familie etwas unternehmen. Manchen ist es auch möglich, sich ein paar Stunden mit dem Kind zu beschäftigen, damit sich die Eltern ausruhen können.

[Fußnote]

[Bild auf Seite 26]

Durch aufrichtiges Interesse würdigt man Eltern und Kind

[Bild auf Seite 27]

Geistig behinderte Kinder wie Eunike brauchen, auch wenn sie älter werden, viel Liebe

[Bild auf Seite 28]

Laurie hat ihrem Sohn Bryan das Tippen beigebracht und ihn so zu größerer Selbstständigkeit angespornt