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Gebäude als Vogelfalle

Gebäude als Vogelfalle

Gebäude als Vogelfalle

ES WAR am helllichten Tag. Mit Wucht prallte der Specht gegen den Wolkenkratzer und stürzte in die Tiefe. Die Glasfassade war ihm zum Verhängnis geworden. Ein Fußgänger fand den völlig benommenen Vogel und nahm sich seiner an in der Hoffnung, dass er doch wieder auf die Beine käme. Und tatsächlich, schon bald gab er ein leises Quäken von sich, rappelte sich auf, schüttelte sein Gefieder und flog davon. *

Leider kommen beileibe nicht alle Vögel ohne Schaden davon. Tatsächlich überlebt etwa die Hälfte einen solchen Aufprall nicht. Nach Angaben der Audubon Society, einer amerikanischen Umweltorganisation, sterben allein in den Vereinigten Staaten jährlich über 100 Millionen Vögel nach Kollisionen mit Gebäuden. Einige Ornithologen schätzen die Zahl sogar auf fast 1 Milliarde. Wie aber kommt es dazu, dass Gebäude zur Vogelfalle werden? Kann man etwas tun, um unseren gefiederten Freunden das Leben sicherer zu machen?

Glas und Licht — die Killer

Für einen Vogel sind Glasflächen gefährlich. Ist eine Scheibe klar und sauber, sieht er möglicherweise nur das, was auf der anderen Seite liegt, wie zum Beispiel Grünanlagen oder den Himmel. Ahnungslos fliegt er dann womöglich in vollem Tempo geradewegs gegen die Scheibe. Auch Grünpflanzen in verglasten Eingangshallen oder in Wohnhäusern können einladend wirken.

Sogar getöntes Glas ist problematisch, wenn sich darin die Umgebung oder der Himmel spiegelt. Das kann den Vögeln leicht zum Verhängnis werden. Selbst in Vogelschutz- oder Naturschutzgebieten haben sich Glasverkleidungen an Besucherzentren oder an Beobachtungstürmen schon als Vogelkiller entpuppt. Dr. Daniel Klem jr., Professor für Ornithologie und Biologie, vertritt die Meinung, Vogelschlag an Glasscheiben sei die häufigste auf Menschen zurückzuführende Todesursache — vielleicht abgesehen von der Zerstörung des Lebensraums.

Manche Vögel sind besonders gefährdet. Die meisten ziehenden Singvögel zum Beispiel sind nachts unterwegs und orientieren sich dabei zumindest teilweise an den Sternen. Helle Lichter an hohen Gebäuden können sie daher verwirren. Es ist schon vorgekommen, dass einige völlig die Orientierung verloren haben und so lange ziellos im Kreis geflogen sind, bis sie erschöpft zu Boden gingen. Ist der Himmel nachts bedeckt oder regnet es, fliegen die Vögel zudem tiefer und laufen so eher Gefahr, mit hohen Gebäuden zu kollidieren.

Auswirkungen auf die Vogelpopulation

Nach einem Bericht kamen an einem einzigen Hochhaus in Chicago im Verlauf von 14 aufeinanderfolgenden Jahren während der Zugzeit nachweislich rund 20 700 Vögel um, also im Durchschnitt circa 1 480 pro Jahr. Die Gesamtzahl aller Kollisionen liegt aber mit Sicherheit weit darüber. Noch dazu handelt es sich bei diesen Vögeln laut Michael Mesure, Direktor des kanadischen „Fatal Light Awareness Program“ der Stadt Toronto, nicht nur um „Tauben, Möwen oder Gänse“, sondern um gefährdete Arten.

In Australien wurden zum Beispiel in einem der letzten Jahre rund 30 Schwalbensittiche — eine Papageienart, von der es nur noch 2 000 Individuen gibt — Opfer von Glasscheiben. Bei vielen in Museen der USA ausgestellten Präparaten des Gelbstirn-Waldsängers, der heute als ausgestorben gilt, handelt es sich um Bälge von Vögeln, die alle mit ein und demselben Leuchtturm in Florida kollidiert waren.

Überleben Vögel einen Zusammenstoß mit Gebäuden, sind sie meist verletzt oder entkräftet, was besonders für Zugvögel fatale Folgen haben kann. Landen sie verletzt in Häuserschluchten, verhungern sie nicht selten oder werden zur Beute anderer Tiere, die gelernt haben, diese zusätzliche Futterquelle zu nutzen.

Können Gebäude vogelfreundlich gemacht werden?

Damit Glasscheiben nicht zur Vogelfalle werden, müssen Vögel sie sehen und als massives Hindernis erkennen können. Einige Hausbesitzer haben daher auf Kosten ihrer schönen Aussicht Aufkleber oder andere deutlich sichtbare Gegenstände an der Außenseite ihrer Fenster angebracht. Dabei kommt es nach Professor Klem nicht auf deren Art an, sondern vielmehr auf die Abstände. Aufgrund seiner Forschungen empfiehlt er, dass die Zwischenräume horizontal nicht größer als 5 und vertikal nicht größer als 10 Zentimeter sein sollten.

Was kann man für die in der Dunkelheit „reisenden“ Zugvögel tun? Die Biologin Lesley J. Evans Ogden stellt in einem Fachaufsatz fest: „Kollisionen mit Gebäuden in der Nacht . . . lassen sich mit einem einfachen Knopfdruck weitestgehend vermeiden.“ In manchen Städten wird besonders in der Zeit des Vogelzugs nachts die Dekorationsbeleuchtung von Wolkenkratzern gedimmt oder ganz ausgeschaltet. Andernorts verhängt man die Scheiben hoher Gebäude mit Netzen, damit Vögel sie nicht mit dem Himmel verwechseln.

Durch solche Maßnahmen könnte die Zahl tödlicher Unfälle um bis zu 80 Prozent reduziert und damit jährlich Millionen von Vögeln das Leben gerettet werden. Weil jedoch der Mensch eine Vorliebe für Licht und Glas hat, dürfte das Grundproblem damit nicht völlig zu lösen sein. Daher kämpfen Vogelschutzorganisationen wie die Audubon Society darum, Planer und Architekten dafür zu gewinnen, dass sie mehr Rücksicht auf die Natur nehmen.

[Fußnote]

^ Abs. 2 Sich um einen verletzten Vogel zu kümmern ist nicht immer ganz ungefährlich, weil der Vogel nicht weiß, dass man ihm helfen will. Auch könnte man sich dabei mit Krankheitserregern infizieren. Daher empfiehlt es sich, Handschuhe zu tragen und hinterher gleich die Hände zu waschen. Wer befürchtet, sich selbst zu gefährden, geht besser nicht zu nah an den Vogel heran. Gegebenenfalls könnte professionelle Hilfe geholt werden.

[Kasten auf Seite 10]

SAG MIR, WO DIE VÖGEL SIND

Geschätzte Anzahl der Vögel, die in den Vereinigten Staaten pro Jahr durch menschliche Einwirkung umkommen:

▪ Funktürme: 40 Millionen

▪ Pestizide: 74 Millionen

▪ Katzen: 365 Millionen

▪ Glasflächen: zwischen 100 Millionen und 1 Milliarde

▪ Zerstörung des Lebensraums: unbekannt — möglicherweise schwerwiegendste Ursache

[Bild auf Seite 10]

Jedes Jahr sterben in den Vereinigten Staaten mindestens 100 Millionen Vögel durch Aufprall an Glasscheiben

[Bildnachweis]

© Reimar Gaertner/age fotostock