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Wie glaubwürdig ist das „Alte Testament“?

Wie glaubwürdig ist das „Alte Testament“?

Kapitel 4

Wie glaubwürdig ist das „Alte Testament“?

In diesem und den anschließenden Kapiteln wird einiges von dem erörtert, was moderne Kritiker der Bibel entgegenhalten. Manche behaupten, die Bibel widerspreche sich und sei „unwissenschaftlich“. Diese Behauptungen werden später noch aufgegriffen. Doch zunächst soll der häufige Vorwurf untersucht werden, die Bibel sei nichts anderes als eine Sammlung von Mythen und Legenden. Verfügen ihre Gegner über stichhaltige Gründe für eine solche Kritik? Zu Beginn sind die Hebräischen Schriften, das sogenannte Alte Testament, Gegenstand der Betrachtung.

1, 2. Wie verlief die Belagerung Jerichos, und welche Fragen tauchen in Verbindung damit auf?

EINE Stadt des Altertums wird belagert. Die Angreifer haben in Scharen den Jordan überschritten und lagern jetzt vor der hohen Stadtmauer. Welch eigenartige Kampftaktik sie jedoch verfolgen! Das eingedrungene Heer ist an sechs Tagen je einmal schweigend um die Stadt marschiert. Lediglich eine Gruppe von Priestern, die das Heer begleitet, hat Hörner geblasen. Jetzt, am siebten Tag, umzieht das Heer siebenmal schweigend die Stadt. Plötzlich blasen die Priester mit aller Kraft ihre Hörner. Mit einem mächtigen Schlachtruf bricht das Heer sein Schweigen, und in einer gewaltigen Staubwolke stürzt die hohe Stadtmauer ein. Die Stadt liegt schutzlos da (Josua 6:1-21).

2 So wird im Buch Josua, dem sechsten Buch der Hebräischen Schriften, der Sturz Jerichos vor fast 3 500 Jahren geschildert. Hat er sich aber wirklich so zugetragen? Viele Vertreter der höheren Kritik würden darauf voller Überzeugung mit Nein antworten. * Sie behaupten, das Buch Josua bestehe wie die vorausgehenden fünf Bücher der Bibel aus Legenden, die viele Jahrhunderte nach den angeblichen Ereignissen schriftlich niedergelegt worden seien. Die Antwort mehrerer Archäologen wäre ebenfalls ein Nein. Nach ihrer Auffassung hat es Jericho zu der Zeit, als die Israeliten das Land Kanaan betraten, möglicherweise gar nicht gegeben.

3. Warum ist es wichtig, zu klären, ob die Bibel wahre Geschichte enthält?

3 Das sind schwerwiegende Anschuldigungen. Dem Leser der Bibel fällt auf, daß ihre Lehren untrennbar mit der Geschichte verknüpft sind. Gott handelte mit wirklichen Männern, Frauen, Familien und Nationen, und seine Gebote wurden einem historischen Volk gegeben. Moderne Gelehrte, die die geschichtliche Zuverlässigkeit der Bibel anzweifeln, rufen daher auch Zweifel an der Wichtigkeit und Zuverlässigkeit ihrer Botschaft hervor. Wenn die Bibel wirklich Gottes Wort ist, dann muß sie geschichtlich zuverlässig sein und darf keine Legenden und Mythen enthalten. Haben die Kritiker Gründe für ihre Zweifel an der geschichtlichen Genauigkeit der Bibel?

Die höhere Kritik — Wie zuverlässig?

4—6. Welche zur höheren Kritik zählenden Theorien stellte Wellhausen auf?

4 Ernsthaft wurde die höhere Kritik seit dem 18./19. Jahrhundert betrieben. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts machte der deutsche Bibelkritiker Julius Wellhausen die Theorie populär, die ersten sechs Bücher der Bibel bis einschließlich Josua seien im 5. Jahrhundert v. u. Z. geschrieben worden — also etwa tausend Jahre nach den geschilderten Ereignissen. Allerdings behauptete er, diesen Büchern lägen früher geschriebene Quellen zugrunde.1 Diese Theorie wurde 1911 in der 11. Ausgabe der Encyclopædia Britannica vertreten, wo es hieß: „Bei der Genesis handelt es sich um ein nachexilisches Werk, das aus einer nachexilischen priesterlichen Quelle (P) und aus nichtpriesterlichen früheren Quellen zusammengestellt worden ist, die sich in Sprache, Stil und religiösem Standpunkt deutlich von P unterscheiden.“

5 Wellhausen und seine Anhänger betrachteten den gesamten geschichtlichen Aufschluß im ersten Teil der Hebräischen Schriften „nicht als wahrheitsgetreue Geschichte, sondern als populäre Überlieferungen aus der Vergangenheit“.2 Die frühen Berichte hielten sie lediglich für eine Reflexion oder ein Spiegelbild der späteren Geschichte Israels. Zum Beispiel behauptete man, die Feindschaft zwischen Jakob und Esau habe in Wirklichkeit nie bestanden, sondern die Geschichte darüber spiegle lediglich die in späteren Jahren herrschende Feindschaft zwischen den Nationen Israel und Edom wider.

6 Demgemäß vertraten diese Kritiker die Auffassung, Moses habe nie das Gebot empfangen, die Bundeslade anzufertigen, und die Stiftshütte, das Zentrum israelitischer Anbetung in der Wildnis, habe nie existiert. Auch glaubten sie, das aaronische Priestertum habe, erst wenige Jahre bevor die Babylonier Jerusalem zerstörten, feste Gestalt angenommen, wobei diese Zerstörung nach ihrer Meinung Anfang des 6. Jahrhunderts v. u. Z. erfolgte.3

7, 8. Welche „Beweise“ hatte Wellhausen für seine Theorien, und waren sie stichhaltig?

7 Welche „Beweise“ hatten die Kritiker für ihre Auffassung? Die höhere Kritik behauptet, der Text der frühen Bücher der Bibel könne in verschiedene Quellen geschieden werden. Allgemein gesprochen, gehen sie grundsätzlich von der Annahme aus, jeder Vers, in dem das hebräische Wort für Gott (’elohím) allein gebraucht werde, stamme von einem bestimmten Schreiber und jeder Vers, in dem Gott mit seinem Namen, Jehova, bezeichnet werde, von einem anderen Schreiber — als ob nicht ein und derselbe Schreiber beide Ausdrücke hätte verwenden können.4

8 Auch wenn in einem Buch mehrfach über ein Ereignis berichtet wird, wertet man dies stets als Beweis dafür, daß nicht nur ein Schreiber am Werk gewesen sei, obwohl in alten semitischen Schriften ähnliche Wiederholungen anzutreffen sind. Außerdem nimmt man an, jede Änderung im Schreibstil deute auf einen anderen Schreiber hin. Aber selbst neuzeitliche Schriftsteller schreiben in bestimmten Phasen ihrer Laufbahn oder bei der Behandlung unterschiedlicher Themen häufig einen unterschiedlichen Stil. *

9—11. Welche bemerkenswerten Schwächen weist die moderne höhere Kritik auf?

9 Gibt es für die genannten Theorien irgendeinen greifbaren Beweis? Absolut nicht. Ein Kommentator bemerkte: „Die Kritik ist bestenfalls Spekulation oder ein Versuch — etwas, was leicht abgeändert werden oder sich als falsch erweisen kann und ersetzt werden muß. Sie ist eine intellektuelle Übung und all den Zweifeln und Annahmen unterworfen, wie sie derartigen Übungen anhaften.“5 Ganz besonders die an der Bibel geübte höhere Kritik ist nichts anderes als „Spekulation oder ein Versuch“.

10 Gleason L. Archer jr. zeigt eine weitere Schwäche in der Argumentation der höheren Kritik auf. Dabei handelt es sich, wie er sagt, um folgenden Umstand: „Die Wellhausen-Schule ging von der reinen Annahme aus (die sie selten zu belegen suchte), Israels Religion sei, wie jede andere, menschlichen Ursprungs und infolgedessen als Evolutionsprodukt zu werten.“6 Mit anderen Worten: Wellhausen und seine Anhänger gingen von der Annahme aus, die Bibel sei bloß Menschenwort, und auf diese Ansicht gründeten sie ihre Argumentation.

11 Bereits 1909 wurde in dem Werk The Jewish Encyclopedia auf zwei weitere Schwächen der Theorie Wellhausens hingewiesen: „Die Argumente, für die Wellhausen beinahe die Gesamtheit der zeitgenössischen Bibelkritiker eingenommen hat, beruhen auf zwei Annahmen: erstens, daß sich während der Entwicklung einer Religion der Kult immer mehr vervollkommnet; zweitens, daß ältere Quellen notwendigerweise von den früheren Entwicklungsphasen des Kults handeln. Die erste Annahme steht im Widerspruch zu dem Vorhandensein primitiver Kulturen, und die letztere findet in der Existenz von Ritualkodexen wie denen Indiens keine Stütze.“

12. Wie steht die moderne höhere Kritik im Licht der Archäologie da?

12 Gibt es eine Möglichkeit, die Theorien der höheren Kritik zu überprüfen? In The Jewish Encyclopedia heißt es weiter: „Wellhausens Ansichten beruhen fast ausschließlich auf nüchterner Analyse und bedürfen noch der Untersuchung vom Standpunkt der institutionellen Archäologie.“ Hat die Archäologie im Laufe der Jahre Wellhausens Theorien bestätigt? Das Werk The New Encyclopædia Britannica antwortet: „Die archäologische Kritik tendiert dazu, die Zuverlässigkeit der typischen historischen Einzelheiten selbst der ältesten Perioden [biblischer Geschichte] zu erhärten und die Theorie, daß die Pentateuchberichte [die Geschichtsberichte in den ersten Bibelbüchern] lediglich eine Reflexion einer viel späteren Periode seien, mit Vorbehalt aufzunehmen.“

13, 14. Warum wird die höhere Kritik Wellhausens in weiten Kreisen immer noch vertreten, obwohl sie auf schwachen Beinen steht?

13 Warum ist die höhere Kritik trotz ihrer Schwächen unter Intellektuellen heutzutage so beliebt? Weil sie von ihr hören, was sie hören wollen. Ein Gelehrter des 19. Jahrhunderts erklärte: „Ich persönlich begrüße dieses Buch Wellhausens fast mehr als alle anderen; denn das dringliche Problem der Geschichte des Alten Testaments scheint mir endlich auf eine Weise gelöst, die mit dem Prinzip der menschlichen Evolution vereinbar ist, das ich zwangsläufig auf die Geschichte aller Religion anwenden muß.“7 Offensichtlich entsprach die höhere Kritik den vorgefaßten Meinungen, die er als Evolutionist hegte. Und in Wirklichkeit dienen beide Theorien einem ähnlichen Zweck. So, wie sich durch die Evolution der Glaube an einen Schöpfer erübrigt, erübrigt sich durch Wellhausens höhere Kritik der Glaube an die göttliche Inspiration der Bibel.

14 Für Intellektuelle unseres rationalistischen 20. Jahrhunderts klingt die Behauptung, die Bibel sei nicht Gottes Wort, sondern Menschenwort, plausibel. * Zu glauben, die Prophezeiungen seien nach ihrer Erfüllung aufgezeichnet worden, fällt ihnen wesentlich leichter, als sie für echt anzunehmen. Lieber stellen sie die in der Bibel berichteten Wunder als Mythen, Legenden oder Volkssagen hin, als daß sie die Möglichkeit eines wirklichen Geschehens in Betracht ziehen. Aber ein solcher Standpunkt zeugt von Voreingenommenheit und liefert keinen stichhaltigen Grund, die Bibel nicht als wahr zu akzeptieren. Die höhere Kritik weist schwerwiegende Mängel auf, und ihr Angriff auf die Bibel hat keineswegs bewiesen, daß diese nicht das Wort Gottes ist.

Stützt die Archäologie die Bibel?

15, 16. Die Existenz welches in der Bibel erwähnten Herrschers des Altertums wurde durch die Archäologie bestätigt?

15 Als Forschungsgebiet hat die Archäologie eine weit zuverlässigere Grundlage aufzuweisen als die höhere Kritik. Archäologen haben durch ihre Grabungen in den Überresten vergangener Kulturen auf vielerlei Weise zu einem besseren Verständnis der Verhältnisse in alter Zeit beigetragen. Es überrascht somit nicht, daß die Ergebnisse der Archäologen immer wieder mit den Aussagen der Bibel übereinstimmen. Den Kritikern zum Trotz wurde die Bibel von der Archäologie sogar oftmals bestätigt.

16 Gemäß dem Buch Daniel war zum Beispiel Belsazar der letzte Herrscher in Babylon, bevor dieses Reich an die Perser fiel (Daniel 5:1-30). Da Belsazar außer in der Bibel anscheinend nirgends erwähnt wurde, behauptete man, die biblische Aussage sei falsch und der Mann habe nie gelebt. Aber im 19. Jahrhundert wurden im Südirak mehrere kleine Keilschriftzylinder entdeckt. Darauf stand unter anderem ein Gebet um Gesundheit für den ältesten Sohn Nabonids, des Königs von Babylon. Wie lautete sein Name? Belsazar.

17. Wie läßt sich erklären, daß Belsazar in der Bibel als König bezeichnet wird, in den meisten Inschriften aber als Prinz?

17 Es gab also einen Belsazar! War er aber König, als Babylon fiel? In den meisten Urkunden, die man später gefunden hat, wird er als Sohn des Königs und als Kronprinz bezeichnet. Ein Keilschrifttext, das „Strophengedicht von den Freveltaten Nabonids“, wirft Licht auf Belsazars tatsächliche Stellung. In dieser Urkunde heißt es: „Er [Nabonid] [übergab] das Feldlager dem Erbsohne, seinem Erstgeborenen, die Truppen der Länder unterstellte er dessen Befehl. Er machte seine Hände frei, übergab ihm das Königtum.“8 Belsazar empfing also das Königtum. Damit war er praktisch König. * Aus dieser Stellung Belsazars und seines Vaters, Nabonid, erklärt sich, warum Belsazar bei dem letzten Festmahl in Babylon Daniel anbot, der Dritte im Königreich zu werden (Daniel 5:16). Da Nabonid die Stellung des ersten Herrschers einnahm, war Belsazar nur der zweite Herrscher Babylons.

Weitere Bestätigungen

18. Welchen Aufschluß liefert die Archäologie als Bestätigung für den Frieden und die Wohlfahrt, die auf die Regierung Davids folgten?

18 Die historische Genauigkeit der Bibel wird tatsächlich durch viele archäologische Funde bestätigt. Zum Beispiel berichtet die Bibel davon, daß sich Israel großer Wohlfahrt erfreute, nachdem König Salomo das Königtum von seinem Vater, David, übernommen hatte. Es heißt: „Juda und Israel waren so viele wie die Sandkörner, die am Meer sind, an Menge; sie aßen und tranken und waren voll Freude“ (1. Könige 4:20). Diese Aussage wird durch folgende Feststellung gestützt: „Das archäologische Zeugnis läßt erkennen, daß es im 10. Jahrhundert v. u. Z. und danach in Juda zu einer Bevölkerungsexplosion kam, als der von David herbeigeführte Frieden und Wohlstand den Bau vieler neuer Städte ermöglichte.“10

19. Welchen zusätzlichen Aufschluß liefert die Archäologie bezüglich des Krieges zwischen Israel und Moab?

19 Israel und Juda waren später zwei Staaten. Israel nahm das Nachbarland Moab ein. Unter König Mesa erhob sich Moab gegen Israel, das sich zum Kampf gegen Moab mit Juda und dem Nachbarreich Edom verbündete (2. Könige 3:4-27). Bemerkenswerterweise entdeckte man 1868 in Jordanien eine Stele (eine gemeißelte Steinplatte), deren Inschrift in moabitischer Sprache Mesas eigenen Bericht über diese Auseinandersetzung enthält.

20. Was sagt die Archäologie über den durch die Assyrer herbeigeführten Untergang Israels?

20 Im Jahre 740 v. u. Z. ließ Gott zu, daß das rebellische Nordreich Israel von den Assyrern besiegt wurde (2. Könige 17:6-18). In bezug auf den Bibelbericht über dieses Ereignis schreibt die Archäologin Kathleen Kenyon: „Man könnte argwöhnen, daß es sich hier um eine übertriebene Schilderung handle.“ Ist dem aber so? Sie bemerkt weiter: „Das archäologische Zeugnis über den Untergang des Königreichs Israel ist fast noch eindrucksvoller als die biblische Erzählung. ... Die vollkommene Auslöschung der israelitischen Städte Samaria und Hasor und die folgende Zerstörung Megiddos sind der faktische Beweis der Archäologie, daß der Schreiber nicht übertrieben hat.“11

21. Über welche Einzelheiten der Unterwerfung Judas durch die Babylonier gibt die Archäologie Auskunft?

21 Wie die Bibel berichtet, wurde in noch späterer Zeit Jerusalem unter der Herrschaft König Jojachins von den Babyloniern belagert und eingenommen. Dieses Ereignis ist in der babylonischen Chronik festgehalten, d. h. auf einer Keilschrifttafel, die von Archäologen ausgegraben wurde. Darauf ist zu lesen: „Der König von Akkad [Babylon] ... [griff] die Stadt von Juda (Ia-a-hu-du) ... an. Am 2. Adar eroberte er die Stadt.“12 Jojachin wurde nach Babylon gebracht und dort ins Gefängnis geworfen. Doch später ließ man ihn gemäß der Bibel frei, und er erhielt eine Lebensmittelzuwendung (2. Könige 24:8-15; 25:27-30). Selbst das wird durch Aufzeichnungen bestätigt, die in Babylon gefunden wurden, in denen die für „Ia-’u-kīn, König von Ia-a-hu-du“, bestimmten Rationen aufgeführt werden.13

22, 23. Welches Verhältnis besteht im allgemeinen zwischen der Archäologie und den Geschichtsberichten der Bibel?

22 Über das Verhältnis der Archäologie zu den Geschichtsberichten der Bibel schrieb Professor David Noel Freedman: „Im allgemeinen stützt die Archäologie jedoch immer mehr die historische Gültigkeit der biblischen Erzählungen. Der weitgespannte chronologische Grundriß von den Patriarchen bis zur Zeit des N[euen] T[estaments] entspricht den archäologischen Daten. ... Künftige Entdeckungen werden aller Wahrscheinlichkeit nach die gegenwärtige gemäßigte Haltung stützen, daß die biblische Tradition in der Geschichte wurzelt und getreu übermittelt worden ist, wenn es sich auch nicht um Geschichte im kritischen oder wissenschaftlichen Sinne handelt.“

23 Zu den Bemühungen der höheren Kritik, die Bibel in Mißkredit zu bringen, sagte er: „Die Versuche der Rekonstruktion biblischer Geschichte durch moderne Gelehrte — z. B. Wellhausens Ansicht, das patriarchalische Zeitalter sei ein Widerschein der geteilten Monarchie gewesen; oder die Ablehnung der Historizität Mose und des Exodus und die daraus resultierende Restrukturierung der Geschichte Israels durch Noth und seine Anhänger — haben die archäologischen Daten nicht so unbeschadet überstanden, wie dies bei den biblischen Erzählungen der Fall ist.“14

Der Sturz Jerichos

24. Welchen Aufschluß liefert uns die Bibel über den Fall Jerichos?

24 Heißt das, daß die Archäologie in jedem Fall mit der Bibel übereinstimmt? Nein, es gibt eine Anzahl von Abweichungen. Eine betrifft die zu Beginn dieses Kapitels beschriebene dramatische Einnahme Jerichos. Gemäß der Bibel war Jericho die erste Stadt, die Josua eroberte, als er die Israeliten in das Land Kanaan führte. Wie die biblische Chronologie erkennen läßt, fiel die Stadt in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts v. u. Z. Nach ihrer Einnahme wurde sie vollständig niedergebrannt und blieb dann Hunderte von Jahren unbewohnt (Josua 6:1-26; 1. Könige 16:34).

25, 26. Zu welchen zwei unterschiedlichen Schlußfolgerungen sind Archäologen durch Ausgrabungen in Jericho gelangt?

25 Vor dem Zweiten Weltkrieg führte Professor John Garstang an der Stelle, wo man das frühere Jericho vermutete, Ausgrabungen durch. Nach seinen Erkenntnissen war es eine sehr alte Stadt, die mehrmals zerstört und wieder aufgebaut worden war. Garstang stellte fest, daß die Mauern bei einer der Zerstörungen wie durch ein Erdbeben eingestürzt waren, und die Stadt war vollständig niedergebrannt worden. Er vertrat die Auffassung, dies habe sich um 1400 v. u. Z. ereignet — ein Datum, das nicht allzu fern von dem Zeitpunkt liegt, den die Bibel für die durch Josua herbeigeführte Zerstörung Jerichos andeutet.15

26 Nach dem Krieg führte die Archäologin Kathleen Kenyon in Jericho weitere Ausgrabungen durch. Sie kam zu dem Schluß, die eingestürzten Mauern, die Garstang entdeckt hatte, seien Hunderte von Jahren früher zu datieren, als er gedacht habe. Sie stellte fest, daß es im 16. Jahrhundert v. u. Z. eine größere Zerstörung Jerichos gab, sagte aber, im 15. Jahrhundert — als Josua gemäß der Bibel das Land einnahm — habe es am Standort Jerichos keine Stadt gegeben. Zudem berichtete sie von möglichen Anzeichen für eine andere Zerstörung, die 1325 v. u. Z. an dieser Stelle stattgefunden haben könne, und meinte: „Wenn die Zerstörung Jerichos mit einer Invasion unter Josua in Verbindung zu bringen ist, legt die Archäologie dieses [spätere] Datum nahe.“16

27. Warum sollte man wegen Widersprüchen zwischen Archäologie und Bibel nicht allzusehr beunruhigt sein?

27 Bedeutet das, daß die Bibel etwas Falsches sagt? Nicht im geringsten. Wir dürfen nicht vergessen, daß das Fenster, durch das uns die Archäologie in die Vergangenheit schauen läßt, nicht immer sauber ist. Mitunter ist es viel zu trübe. Ein Kommentator bemerkte: „Das archäologische Zeugnis ist bedauerlicherweise fragmentarisch und daher begrenzt.“17 Das trifft besonders auf die frühen Abschnitte der israelitischen Geschichte zu, aus denen kein deutliches archäologisches Beweismaterial vorliegt. Und was Jericho angeht, ist dieses Beweismaterial zufolge der ungeheuren Erosion in diesem Gebiet noch undeutlicher.

Die Grenzen der Archäologie

28, 29. Welche Grenzen der Archäologie gestehen Gelehrte ein?

28 Archäologen gestehen selbst ein, daß ihrer Wissenschaft Grenzen gesetzt sind. Yohanan Aharoni erklärte zum Beispiel: „Wenn es zu historischen oder historisch-geographischen Interpretationen kommt, verläßt der Archäologe den Bereich exakter Wissenschaften und muß sich auf Erwägungen und Hypothesen stützen, um ein umfassendes historisches Bild zu gewinnen.“18 Zur Datierung verschiedener Funde fügte er hinzu: „Wir müssen uns daher stets vor Augen halten, daß nicht alle Datierungen absolut und daß sie in unterschiedlichem Ausmaß suspekt sind.“ Doch können seiner Ansicht nach heutige Archäologen in bezug auf ihre Datierungen zuversichtlicher sein als ihre Kollegen in der Vergangenheit.19

29 In dem Werk The World of the Old Testament wird die Frage aufgeworfen: „Wie objektiv und wirklich wissenschaftlich ist die archäologische Methode?“ Die Antwort lautet: „Archäologen sind beim Ausgraben der Fakten objektiver als bei deren Interpretation. Aber ihre menschliche Befangenheit beeinflußt auch ihre Grabungsmethoden. Es läßt sich nicht vermeiden, daß sie beim Hineingraben in die Erdschichten ihre Beweise zerstören, so daß sie ihr ‚Experiment‘ nie mehr durch eine Wiederholung überprüfen können. Das macht die Archäologie zu etwas Einmaligem unter den Wissenschaften. Aber auch die Zusammenstellung eines archäologischen Berichts wird dadurch zu einer äußerst anspruchsvollen Aufgabe voller Fallgruben.“20

30. Wie sind Erforscher der Bibel zur Archäologie eingestellt?

30 Die Archäologie kann somit sehr hilfreich sein, doch sie ist wie jedes menschliche Unterfangen nicht unfehlbar. So interessant archäologische Theorien auch sein mögen, man sollte sie doch nie als unanfechtbare Wahrheit betrachten. Wenn Archäologen ihre Funde im Widerspruch zur Bibel interpretieren, darf man nicht automatisch annehmen, die Bibel sei im Unrecht und die Archäologen seien im Recht. Ihre Interpretationen können sich bekanntlich ändern.

31. Welche Ansicht ist vor kurzem über den Sturz Jerichos geäußert worden?

31 Professor John J. Bimson befaßte sich 1981 interessanterweise erneut mit der Zerstörung Jerichos. Er stellte eingehende Untersuchungen an über die Vernichtung der Stadt durch Feuer, die — nach Kathleen Kenyon — Mitte des 16. Jahrhunderts v. u. Z. erfolgt sein soll. Wie er sagt, entspricht diese Zerstörung dem Bibelbericht über die Zerstörung der Stadt durch Josua. Aber auch das archäologische Bild als Ganzes entspreche vollkommen der biblischen Beschreibung Kanaans zur Zeit der Landnahme durch die Israeliten. Daher bezeichnet er die bisherige archäologische Datierung als falsch und sagt, daß die Zerstörung tatsächlich Mitte des 15. Jahrhunderts v. u. Z., d. h. zu Lebzeiten Josuas, erfolgte.21

Die Bibel ist geschichtlich genau

32. Welche Tendenz beobachtet man bei manchen Gelehrten?

32 Wie dieses Beispiel zeigt, widersprechen Archäologen einander häufig. Es überrascht deshalb auch nicht, daß einige von ihnen der Bibel widersprechen, während andere mit ihr übereinstimmen. Immerhin gehen manche Gelehrte dazu über, der geschichtlichen Genauigkeit der Bibel im allgemeinen — wenn nicht sogar im Detail — Achtung zu zollen. William Foxwell Albright schrieb als Vertreter einer Richtung: „Generell würdigt man wieder die Genauigkeit der Religionsgeschichte Israels, sowohl insgesamt gesehen als auch im sachlichen Detail. ... Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Bibel von Anfang bis Ende wieder als ein authentisches Dokument der Religionsgeschichte behandelt werden darf.“22

33, 34. Inwiefern tragen die Hebräischen Schriften den Stempel geschichtlicher Genauigkeit?

33 Ja, die Bibel trägt in sich selbst den Stempel, geschichtlich genau zu sein. Die Ereignisse werden im Unterschied zu denen der meisten Mythen und Legenden aus alter Zeit mit bestimmten Zeiten und Daten in Verbindung gebracht. Viele in der Bibel berichtete Ereignisse werden durch Inschriften aus jenen Zeiten bestätigt. Wenn Angaben der Bibel von denen alter Inschriften abweichen, ist dies häufig darauf zurückzuführen, daß Herrscher des Altertums eine Abneigung hatten, über eigene Niederlagen zu berichten, und bestrebt waren, eigene Erfolge zu übertreiben.

34 Tatsächlich handelt es sich bei vielen dieser alten Inschriften eher um amtliche Propaganda als um Geschichte. Die Bibelschreiber verraten dagegen außergewöhnliche Offenheit. Berühmte Männer der alten Zeit wie Moses und Aaron werden mit all ihren Schwächen und Stärken beschrieben. Selbst die Verfehlungen des großen Königs David bleiben nicht unerwähnt. Wiederholt werden die Fehler der ganzen Nation angeprangert. Diese Offenheit empfiehlt die Hebräischen Schriften als wahr und zuverlässig und verleiht den Worten Jesu Gewicht, der im Gebet zu Gott sagte: „Dein Wort ist Wahrheit“ (Johannes 17:17).

35. Was haben rationalistische Denker nicht bewiesen, und worin sehen Erforscher der Bibel Beweise für die Inspiration der Heiligen Schrift?

35 W. F. Albright führte des weiteren aus: „Jedenfalls überragt die Bibel im Gehalt alle frühere religiöse Literatur; und in der Einfachheit und Direktheit ihrer Botschaft und der Universalität ihrer Wirkung auf Menschen aller Länder und Zeiten überragt sie ebenso eindrucksvoll alle nachfolgende Literatur.“23 Nicht das Zeugnis von Gelehrten, sondern diese überragende Botschaft beweist die Inspiration der Bibel, wie spätere Kapitel noch zeigen werden. Doch sei an dieser Stelle festgehalten: Neuzeitliche rationalistische Denker haben keineswegs bewiesen, daß die Hebräischen Schriften geschichtlich unwahr sind; vielmehr liefern diese Schriften selbst den eindeutigen Beweis ihrer Richtigkeit. Kann das auch von den Christlichen Griechischen Schriften, dem „Neuen Testament“, gesagt werden? Damit befaßt sich das folgende Kapitel.

[Fußnoten]

^ Abs. 2 Als höhere Kritik (oder ihre „historisch-kritische Methode“) bezeichnet man das Studium der Bibel, bei dem es um Einzelheiten geht wie zum Beispiel Autorschaft, verwendetes Quellenmaterial und Zeit der Zusammenstellung jedes Buches.

^ Abs. 8 Der englische Dichter John Milton schrieb zum Beispiel sein erhabenes episches Gedicht „Das verlorene Paradies“ in einem ganz anderen Stil als sein Gedicht „L’Allegro“. Und seine politischen Traktate weisen wieder einen anderen Stil auf.

^ Abs. 14 Die meisten Intellektuellen tendieren heute zum Rationalismus. Es handelt sich dabei um eine „erkenntnistheoretische Richtung, die allein das rationale Denken als Erkenntnisquelle zuläßt“, auch was religiöse Wahrheiten betrifft. Rationalisten suchen alles menschlich zu erklären, statt die Möglichkeit eines göttlichen Eingriffs in Betracht zu ziehen.

^ Abs. 17 Interessanterweise zeigt eine Statue, die in den 1970er Jahren in Nordsyrien gefunden wurde, daß es durchaus nicht unüblich war, einen Herrscher König zu nennen, der strenggenommen einen niedrigeren Titel trug. Es handelt sich um die Statue eines Herrschers aus Gosan, auf der sich eine Inschrift in Assyrisch und Aramäisch befindet. In der assyrischen Inschrift wird der Mann als Statthalter von Gosan bezeichnet, aber die Parallelinschrift in Aramäisch nennt ihn König.9 Es war daher nichts Einmaliges, wenn Belsazar in der offiziellen babylonischen Chronik als Kronprinz bezeichnet wurde, in den aramäischen Schriften Daniels aber als König.

[Studienfragen]

[Herausgestellter Text auf Seite 53]

Im Gegensatz zu weltlichen Geschichtsberichten wird in der Bibel offen über die Verfehlungen geachteter Personen wie Moses und David berichtet

[Kasten auf Seite 44]

Der Wert der Archäologie

„Die Archäologie liefert Muster von alten Werkzeugen und Geräten, Mauern und Gebäuden, Waffen und Schmuckgegenständen. Das meiste davon kann chronologisch eingeordnet und mit passenden in der Bibel enthaltenen Bezeichnungen und Zusammenhängen sicher identifiziert werden. In diesem Sinn bewahrt die Bibel in schriftlicher Form genau das alte kulturelle Milieu. Die Einzelheiten biblischer Erzählungen entspringen nicht dem Einfallsreichtum eines Autors, sondern sind der authentische Widerschein der Welt, in der sich die berichteten Ereignisse — vom sachlich-nüchternen bis zum Wunder — zutrugen“ (The Archaeological Encyclopedia of the Holy Land).

[Kasten auf Seite 50]

Was die Archäologie kann und was nicht

„Die Bibel in schlüssiger Form zu bestätigen oder zu widerlegen, ist nicht Sache der Archäologie; sie hat andere, bedeutendere Aufgaben. Sie versucht, in gewissem Umfang die materielle Welt wiederzuerwecken, die von der Bibel vorausgesetzt wird. Zu wissen, aus welchem Material ein Haus gebaut war, oder wie eine ‚Hohe Stätte‘ aussah, fördert unser Verständnis des Textes erheblich. Zweitens trägt sie die historischen Fakten nach. So erzählt beispielsweise der Moabiter-Stein [Mesa-Stein] die andere Seite der in II Könige 3;4ff. geschilderten Geschichte. ... Drittens enthüllt sie uns die Lebens- und Denkweise der Nachbarn des alten Israel, was sowohl an sich von Interesse ist wie aber auch die Vorstellungswelt erhellt, in der sich das Gedankengut des alten Israel entwickelte“ (Ebla — Neu entdeckte Zivilisation im alten Orient).

[Bild auf Seite 41]

Milton schrieb in unterschiedlichen Stilarten, nicht nur in einer. Ist die höhere Kritik der Ansicht, sein Werk sei das Produkt verschiedener Schriftsteller?

[Bild auf Seite 45]

Im „Strophengedicht von den Freveltaten Nabonids“ wird davon berichtet, daß Nabonid das Königtum seinem Erstgeborenen anvertraute

[Bild auf Seite 46]

Der Mesa-Stein enthält König Mesas Schilderung des Konflikts zwischen Moab und Israel

[Bild auf Seite 47]

Amtliche Aufzeichnungen der Babylonier stützen den Bibelbericht über den Sturz Jerusalems