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Wie kann ich mich vor sexueller Gewalt schützen?

Wie kann ich mich vor sexueller Gewalt schützen?

KAPITEL 32

Wie kann ich mich vor sexueller Gewalt schützen?

Jedes Jahr werden Millionen von Menschen Opfer sexueller Gewalt. Wie Untersuchungen belegen, sind Kinder und Jugendliche ein Hauptangriffsziel von Sexualtätern. In den USA beispielsweise geht man davon aus, dass etwa die Hälfte der Vergewaltigungsopfer unter 18 Jahre alt ist. Da sexuelle Gewalt so weit verbreitet ist, solltest du dich unbedingt mit diesem Thema auseinandersetzen.

„Es ging alles so schnell. Er hat mich gepackt und auf den Boden geworfen. Ich hab mich mit aller Kraft gewehrt. Mein Pfefferspray hat er mir einfach aus der Hand geschlagen. Ich wollte schreien, brachte aber keinen Ton raus. Ich hab ihn weggestoßen, getreten, gekratzt und nach ihm geboxt. Aber dann spürte ich auf einmal einen Messerstich und meine Kräfte versagten“ (Annette).

LEIDER sind Sexualtäter heute keine Seltenheit, und oft haben sie es auf Kinder und Jugendliche abgesehen. Manche Jugendliche wie Annette werden von einem Fremden vergewaltigt. Bei anderen kommt der Täter aus der Nachbarschaft. So war es bei Natalie, die erst 10 Jahre alt war, als sich ein Nachbarjunge an ihr vergriff. Sie sagt: „Ich hatte solche Angst und schämte mich so sehr, dass ich zuerst niemandem was erzählt hab.“

Wieder andere Jugendliche werden von einem Familienangehörigen missbraucht. „Ich war 5, als mein Vater damit angefangen hat, und das ging so, bis ich 12 war“, berichtet Carmen. „Mit 20 hab ich ihn dann endlich zur Rede gestellt. Er meinte, dass es ihm leidtut, aber schon ein paar Monate später hat er mich rausgeschmissen.“

Sexuelle Übergriffe durch jemanden aus der Nachbarschaft, dem Bekanntenkreis oder der Familie sind erschreckend häufig. * Leider ist es nichts Neues, dass Kinder und Jugendliche Opfer von Gewalt und Unterdrückung werden. So etwas kam bereits vor, als die Bibel geschrieben wurde (Joel 3:3; Matthäus 2:16). Heute ist sexueller Missbrauch von Mädchen (und auch Jungen) schon fast an der Tagesordnung, denn wir leben in kritischen Zeiten, in denen viele jede „natürliche Zuneigung“ verloren haben (2. Timotheus 3:1-3). Es gibt zwar keinen hundertprozentigen Schutz, aber du kannst einiges für deine Sicherheit tun.

Halte die Augen offen. Wenn du unterwegs bist, achte darauf, was vor dir, hinter dir und neben dir los ist. Von manchen Gegenden ist bekannt, dass sie gefährlich sind, besonders im Dunkeln. Mach möglichst einen Bogen um solche Orte oder geh wenigstens nicht alleine dorthin (Sprüche 27:12).

Sende keine falschen Signale. Flirte nicht und zieh nichts Aufreizendes an. Du könntest sonst den Eindruck erwecken, du wärst auf ein sexuelles Abenteuer aus oder hättest zumindest nichts dagegen (1. Timotheus 2:9, 10).

Mach klar, wo du die Grenze ziehst. Wenn du jemanden näher kennenlernst, sprich darüber, welches Verhalten du akzeptierst und was für dich zu weit geht. * Sind die Grenzen einmal geklärt, dann bring dich nicht durch dein eigenes Verhalten in gefährliche Situationen (Sprüche 13:10).

Hab keine Angst, etwas zu sagen. Scheu dich nicht, klar und deutlich zu sagen: „Lass das!“, oder: „Nimm deine Finger weg!“ Bleib nicht still, nur weil du Angst hast, deinen Freund zu verlieren. Wenn er deswegen Schluss macht, ist er es nicht wert, dein Freund zu sein. Du verdienst einen Mann, der deinen Körper und deine Prinzipien achtet. *

Sei vorsichtig, wenn du online bist. Gib keine persönlichen Informationen oder Fotos weiter, die verraten, wo du dich wann aufhältst. * Falls du eindeutige Angebote bekommst, ist die beste Antwort keine Antwort. Wenn man nicht reagiert, können die meisten Sexualtäter nichts ausrichten.

Diese Vorsichtsmaßnahmen bieten einen gewissen Schutz (Sprüche 22:3). Allerdings gibt es Umstände, auf die du keinen großen Einfluss hast. Du kannst nicht jede gefährliche Gegend meiden, schon gar nicht, wenn du dort wohnst und nicht immer jemand da ist, der mit dir mitkommen kann.

Vielleicht gehörst du zu denjenigen, die aus eigener bitterer Erfahrung wissen, dass einem trotz aller Vorsicht etwas zustoßen kann. Wie Annette, die von einem Unbekannten überwältigt wurde. Oder wie Carmen, die als Kind missbraucht wurde und der Situation hilflos ausgeliefert war und gar nicht richtig verstand, was da mit ihr passierte. Wie kannst du mit den Schuldgefühlen umgehen, von denen Missbrauchsopfer oft gequält werden?

Mit Schuldgefühlen umgehen

Annette hat immer noch Schuldgefühle. „Ich mach mich ständig selber fertig“, sagt sie. „In Gedanken spiele ich diesen Abend immer und immer wieder durch. Ich hab das Gefühl, ich hätte mich noch heftiger wehren sollen. Aber als er zustach, war ich vor Angst wie gelähmt. Ich konnte einfach nichts tun. Trotzdem bleibt da das Gefühl, ich hätte noch mehr kämpfen müssen.“

Auch Natalie leidet unter Schuldgefühlen. „Ich war viel zu naiv“, erzählt sie. „Meine Eltern haben meiner Schwester und mir eingeschärft, dass wir immer zusammenbleiben sollen, wenn wir draußen spielen. Aber ich hab nicht auf sie gehört. Jetzt werfe ich mir vor, dass der Nachbarjunge dadurch ein leichtes Spiel mit mir hatte. Meine ganze Familie hat unter dem Vorfall gelitten, und ich geb mir die Schuld, dass ich ihnen so viel Kummer gemacht habe. Das ist für mich das Schlimmste.“

Wie kannst du mit deinen Schuldgefühlen umgehen, falls du etwas Ähnliches durchgemacht hast wie Annette oder Natalie? Zunächst einmal ist es ganz wichtig, dir klar vor Augen zu halten, dass du gezwungen wurdest und kein williges Opfer warst. Manche Leute verharmlosen die Sache nach dem Motto „Jungs sind halt so“ oder „Die Opfer wollten das ja nicht anders“. Tatsache ist: Niemand hat es verdient, vergewaltigt zu werden. Falls du Opfer einer so schrecklichen Tat geworden bist — es ist nicht deine Schuld!

Das sagt sich zwar leicht, aber wahrscheinlich ist es für dich alles andere als leicht, das auch wirklich zu akzeptieren. Manche verschließen sich völlig und zermartern sich mit Vorwürfen oder anderen zerstörerischen Gedanken. Doch wem nützt ein Rückzug in die Welt des Schweigens: dem Opfer oder dem Täter? Wäre es nicht besser, sich jemandem anzuvertrauen?

Erzähl es jemandem

Wie wir aus der Bibel erfahren, sagte der gerechte Hiob auf dem Höhepunkt seiner traumatischen Erlebnisse: „Ich will meiner Besorgnis um mich freien Lauf lassen. Ich will in der Bitterkeit meiner Seele reden!“ (Hiob 10:1). Das wird auch dir guttun. Mit jemandem zu sprechen, dem du vertraust, kann dir helfen, das Erlebte zu verarbeiten und den Schmerz nicht mehr so intensiv zu empfinden.

Wenn du eine Zeugin Jehovas bist, ist es wichtig, dass du mit einem Ältesten über den Vorfall sprichst. Die tröstenden Worte eines liebevollen Hirten können dir versichern, dass nicht du dich schmutzig fühlen musst, sondern der andere, der gesündigt hat. Annette hat das so erlebt: „Ich hab mich einer guten Freundin anvertraut und sie hat mir dringend geraten, mit Ältesten in meiner Versammlung zu reden. Ich bin froh, dass ich das gemacht hab. Sie haben sich mehrmals mit mir zusammengesetzt und mir genau das gesagt, was ich brauchte: dass es nicht meine Schuld war — dass nichts davon meine Schuld war.“

Über das Geschehene und deine Gefühle zu reden kann dich davor bewahren, dass dich Wut und Verbitterung innerlich kaputtmachen (Psalm 37:8). Dir kann dadurch — vielleicht zum ersten Mal seit Jahren — leichter ums Herz werden. So ging es Natalie, als sie mit ihren Eltern über den Missbrauch sprach. „Sie haben mich richtig aufgefangen und mich ermutigt, über die Sache zu reden“, erzählt sie. „Das hat mir geholfen, mich nicht mehr so traurig und wütend zu fühlen.“ Auch im Gebet hat Natalie Trost gefunden. Sie sagt: „Mit Gott zu reden hat mir echt geholfen, vor allem als ich mich niemandem sonst öffnen konnte. Ihm kann ich einfach alles sagen. Wenn ich bete, werde ich ganz ruhig und spüre inneren Frieden.“ *

Auch du kannst die Erfahrung machen, dass es „eine Zeit zum Heilen“ gibt (Prediger 3:3). In Jesaja 32:2 wird von den Ältesten gesagt, dass sie „wie ein Bergungsort vor dem Wind und ein Versteck vor dem Regensturm“ sind. In der Versammlung findest du viele Freunde, auf die diese Beschreibung ebenso zutrifft. Halte dich an sie. Vernachlässige auch nicht deinen Körper und deine emotionalen Bedürfnisse und achte darauf, dass du genügend Ruhe bekommst. Vor allem vertraue auf Jehova, den Gott allen Trostes. Er verspricht uns eine neue Welt, in der die Worte wahr werden: „Die Übeltäter, sie werden weggetilgt, die aber auf Jehova hoffen, sind es, die die Erde besitzen werden“ (Psalm 37:9).

[Fußnoten]

^ Abs. 7 Es kommt auch vor, dass Mädchen bei einem Date zum Sex gezwungen oder mit K.-o.-Tropfen wehrlos gemacht werden.

^ Abs. 11 Dieser Rat gilt auch umgekehrt, wenn ein Mädchen zudringlich wird.

^ Abs. 23 Missbrauchsopfer leiden oft an Depressionen. In so einem Fall kann es ratsam sein, ärztliche Hilfe zu suchen. Wertvolle Hinweise, wie du mit belastenden Gefühlen umgehen kannst, findest du auch in Kapitel 13 und 14.

BIBELTEXT

„In den letzten Tagen [werden] kritische Zeiten da sein ... , mit denen man schwer fertig wird. Denn die Menschen werden eigenliebig sein ... , ohne natürliche Zuneigung ... , ohne Selbstbeherrschung, brutal, ohne Liebe zum Guten“ (2. Timotheus 3:1-3)

TIPP

Wenn du missbraucht wurdest, wird es dir guttun, eine Liste mit tröstenden Bibeltexten zusammenzustellen. Zum Beispiel: Psalm 37:28; 46:1; 118:5-9; Sprüche 17:17; Philipper 4:6, 7.

HAST DU GEWUSST ...?

In den USA kommt der Täter bei über 90 Prozent der minderjährigen Missbrauchsopfer aus dem eigenen Bekanntenkreis.

DAS HABE ICH FEST VOR!

Wenn bei mir Schuldgefühle hochkommen, werde ich ․․․․․

Meinen Vater oder meine Mutter möchte ich dazu fragen: ․․․․․

WAS DENKST DU?

● Warum ist es gut, über Missbrauch zu reden?

● Was könnte dir und anderen passieren, wenn du schweigst?

[Herausgestellter Text auf Seite 232]

„Es ist sehr schwer, über den Missbrauch zu reden, aber es ist das Beste, was man tun kann. Reden hilft, die Traurigkeit und die Wut loszuwerden und wieder auf die Beine zu kommen.” Natalie

[Kasten auf Seite 230]

„Wenn du mich liebst ...

Es gibt Sexualtäter, die ein Mädchen zwar nicht brutal zum Sex zwingen, dafür aber raffiniert psychischen Druck ausüben, etwa mit dem Argument „Alle haben Sex“ oder „Es braucht ja keiner zu wissen“ oder auch — wie in Kapitel 24 erwähnt — „Wenn du mich liebst, machst du mit“. Fall nicht auf jemanden herein, der dir einreden will, Sex und Liebe seien dasselbe. Wer so argumentiert, denkt in Wirklichkeit nur an seine eigene Befriedigung. Wie es dir dabei geht, ist ihm völlig egal. Ein Mann, der dich wirklich liebt, stellt deine Interessen über seine eigenen und bringt die Stärke auf, sich an Gottes Moralgesetze zu halten (1. Korinther 10:24). Für einen Mann mit Prinzipien sind Frauen nicht einfach Sexobjekte, sondern er behandelt „jüngere Frauen wie Schwestern, mit aller gebotenen Zurückhaltung“ (1. Timotheus 5:1, 2, Neue Genfer Übersetzung).

[Bild auf Seite 233]

Die Gefühle, die du mit dir herumschleppst, sind wahrscheinlich eine zu große Last für dich — lass dir etwas davon abnehmen, indem du darüber redest