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KAPITEL 15

Wir kämpfen für unser Recht auf freie Religionsausübung

Wir kämpfen für unser Recht auf freie Religionsausübung

FOKUS DES KAPITELS

Unser Kampf um rechtliche Anerkennung und die Freiheit, nach Gottes Gesetzen zu leben — und wie uns Christus dabei unterstützt hat

1, 2. (a) Wie beweist man, dass man ein Bürger des Königreiches Gottes ist? (b) Warum mussten Jehovas Zeugen hin und wieder für die Religionsfreiheit kämpfen?

 ALS Zeuge Jehovas bist du ein Bürger des Königreiches Gottes. Diese „Staatsbürgerschaft“ kannst du natürlich nicht durch einen Personalausweis, einen Reisepass oder eine ähnliche Urkunde belegen. Den Nachweis lieferst du vielmehr durch deine Lebensführung als Diener Jehovas. Dazu gehört nicht nur dein Glaube, sondern auch deine Achtung vor den Gesetzen des Königreiches Gottes. Dies berührt jeden Lebensbereich, auch dein Familienleben und deine Entscheidungen in Gesundheitsfragen.

2 Unsere „Staatsbürgerschaft“ und die Gesetze der Regierung Gottes bedeuten uns allen ungeheuer viel. Das wird von unserem Umfeld allerdings nicht immer gern gesehen. Hier und dort hat man versucht, unsere Religionsausübung zu behindern oder völlig zu unterbinden. Zuweilen mussten wir für das Recht kämpfen, nach den Gesetzen unseres Königs Jesus Christus zu leben. Sollte uns das überraschen? Nein. Auch in biblischer Zeit musste Jehovas Volk oft für die freie Religionsausübung kämpfen.

3. Welcher Herausforderung sah sich Gottes Volk in den Tagen Königin Esthers gegenüber?

3 In den Tagen Königin Esthers beispielsweise stand das Leben von Gottes Volk in Gefahr. Haman, der höchste Würdenträger im Perserreich — ein gemeiner Schurke —, riet König Ahasverus, alle Juden in seinem Herrschaftsgebiet töten zu lassen. Der Grund? „Ihre Gesetze sind verschieden von denen jedes anderen Volkes“ (Esth. 3:8, 9, 13). Ließ Jehova seine Anbeter im Stich? Auf keinen Fall! Er schenkte Esther und Mordechai Gelingen, als sie den persischen König um Schutz für Gottes Volk ersuchten (Esth. 9:20-22).

4. Worum geht es in diesem Kapitel?

4 Wie ist es heute? Wir haben bereits im vorigen Kapitel gesehen, dass uns mitunter von staatlicher Seite Widerstand geleistet wurde. Jetzt geht es speziell darum, wie man versucht hat, unsere Religionsausübung einzuschränken. Es werden drei Bereiche beleuchtet: (1) unser Recht, eine Religionsgemeinschaft zu bilden und unseren Glauben zu praktizieren; (2) unsere Freiheit, eine medizinische Behandlung in Übereinstimmung mit biblischen Grundsätzen zu wählen, und (3) das Recht der Eltern, ihre Kinder nach den Maßstäben Jehovas zu erziehen. In jedem Bereich werden wir sehen, wie loyale Bürger des messianischen Königreiches tapfer dafür gekämpft haben, ihre kostbare „Staatsbürgerschaft“ zu behalten, und wie sie für ihren Einsatz gesegnet wurden.

Rechtliche Anerkennung und Grundfreiheiten erkämpft

5. Welche Vorteile bietet uns die rechtliche Anerkennung?

5 Sind wir auf staatliche Anerkennung angewiesen, um Jehova dienen zu können? Das nicht, aber die rechtliche Anerkennung macht es uns leichter, unseren Glauben zu praktizieren. Wir können uns dann zum Beispiel ungehindert zu unseren Zusammenkünften und Kongressen versammeln, biblische Literatur drucken oder einführen und offen mit anderen über die gute Botschaft sprechen. In vielen Ländern sind Jehovas Zeugen amtlich registriert und genießen dieselbe Glaubensfreiheit wie andere anerkannte Religionsgemeinschaften. Was aber, wenn man uns die rechtliche Anerkennung verweigert oder unsere Grundfreiheiten beschneiden will?

6. Welche Schwierigkeiten hatten Jehovas Zeugen Anfang der 40er-Jahre in Australien durchzustehen?

6 Australien. Anfang der 40er-Jahre bezeichnete der Generalgouverneur von Australien unsere Glaubensansichten als „wehrkraftzersetzend“. Unser Werk wurde verboten. Jehovas Zeugen konnten nicht mehr öffentlich zusammenkommen oder predigen, die Tätigkeit im Bethel wurde lahmgelegt und die Königreichssäle wurden beschlagnahmt. Man durfte noch nicht einmal Literatur von Jehovas Zeugen besitzen. Nachdem unsere Brüder in Australien mehrere Jahre im Untergrund tätig gewesen waren, kam endlich Erleichterung. Am 14. Juni 1943 erklärte das Oberste Bundesgericht von Australien das Verbot für ungültig.

7, 8. Wie haben Jehovas Zeugen in Russland im Laufe der Jahre für eine freie Religionsausübung gekämpft?

7 Russland. Vor ihrer Registrierung im Jahr 1991 waren Jehovas Zeugen unter dem kommunistischen Regime jahrzehntelang verboten gewesen. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden sie 1992 in der Russischen Föderation rechtlich anerkannt. Es kam zu einem rapiden Wachstum, das allerdings besonders der russisch-orthodoxen Kirche nicht behagte. Von 1995 bis 1998 wurden fünf Ermittlungsverfahren gegen Jehovas Zeugen eingeleitet. In keinem Fall konnte die Staatsanwaltschaft eine Straftat nachweisen. 1998 strengten die verbissenen Gegner dann eine Zivilklage an. Diese wurde abgewiesen, doch die Gegner gingen in Berufung, und im Mai 2001 verloren Jehovas Zeugen das Verfahren. Im Oktober wurde der Fall wieder aufgenommen. Der Ausgang? 2004 wurde entschieden, die Rechtskörperschaft der Zeugen Jehovas in Moskau aufzulösen und ihre Tätigkeit zu untersagen.

8 Es kam zu einer Verfolgungswelle. (Lies 2. Timotheus 3:12.) Jehovas Zeugen wurden schikaniert und tätlich angegriffen. Man beschlagnahmte ihre Literatur, und es war so gut wie unmöglich, Versammlungssäle zu mieten oder zu bauen. Wie muss das unsere Brüder und Schwestern getroffen haben! Sie hatten sich bereits 2001 an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gewandt, und 2004 lieferten sie dem Gericht zusätzliches Material. 2010 fiel schließlich die Entscheidung. Der EGMR wertete das Verbot der Zeugen Jehovas in Russland ganz klar als Ausdruck religiöser Intoleranz. Die Urteile der russischen Gerichte seien unrechtmäßig, da man keinem Zeugen Jehovas eine Straftat nachweisen könne. Das Verbot ziele darauf ab, Jehovas Zeugen ihrer Rechte zu berauben. Der EGMR sprach ihnen das Recht auf freie Religionsausübung zu. Obwohl sich verschiedene russische Behörden nicht an die Entscheidung dieses Gerichts halten, hat der Erfolg unseren Brüdern viel Mut gemacht.

Titos Manoussakis (Siehe Absatz 9)

9—11. Wie haben Jehovas Zeugen in Griechenland für ihre Versammlungsfreiheit gekämpft, und wie ging die Sache aus?

9 Griechenland. 1983 mietete Titos Manoussakis in Iraklion (Kreta) einen Versammlungsraum für eine kleine Gruppe von Zeugen Jehovas (Heb. 10:24, 25). Es dauerte jedoch nicht lange und ein orthodoxer Priester erstattete deswegen Anzeige. Warum? Einfach nur, weil die Glaubensansichten der Zeugen Jehovas von denen der orthodoxen Kirche abweichen! Die Staatsanwaltschaft leitete ein Strafverfahren gegen Titos Manoussakis und drei andere Zeugen Jehovas ein. Sie wurden zu einer Geldstrafe und zwei Monaten Gefängnis verurteilt. Als loyale Bürger des Königreiches Gottes konnten die Brüder diese Beschneidung ihrer Religionsausübung nicht hinnehmen. Deshalb kämpften sie sich durch alle Instanzen und riefen schließlich den EGMR an.

10 Im Jahr 1996 mussten die Gegner eine herbe Niederlage einstecken. Der EGMR stellte fest, dass „Jehovas Zeugen unter die im griechischen Gesetz vorgesehene Definition ‚bekannte Religion‘ fallen“ und dass die Entscheidung der griechischen Gerichte „einen Eingriff in ihr Recht auf Freiheit der Religionsausübung darstellt“. Der griechische Staat dürfe nicht bestimmen, „ob Glaubensansichten oder die Methoden, wie diese Glaubensansichten vertreten werden, legitim sind“. Die Verurteilung der Brüder wurde aufgehoben und ihr Recht auf freie Religionsausübung bestätigt.

11 War die Angelegenheit damit erledigt? Leider nicht. Ein ähnlicher Fall in Kassandria führte zu einem 12 Jahre langen Rechtsstreit, der erst 2012 beigelegt wurde. Diesmal kam der Widerstand von einem orthodoxen Bischof. Der Staatsrat, das höchste Verwaltungsgericht in Griechenland, entschied jedoch zu unseren Gunsten. Das Urteil verwies auf die verfassungsmäßig garantierte Religionsfreiheit in Griechenland und widerlegte den oft erhobenen Vorwurf, Jehovas Zeugen seien keine bekannte Religion. Es hieß: „ ‚Jehovas Zeugen‘ legen ihre Lehren offen dar und bilden folglich eine bekannte Religion.“ Die kleine Versammlung in Kassandria ist froh, dass sie jetzt in ihrem eigenen Königreichssaal zusammenkommen kann.

12, 13. Wie hat man in Frankreich „durch Verordnung“ Unheil geschmiedet, und wie war der Ausgang?

12 Frankreich. Es kommt vor, dass Gegner des Volkes Gottes auf den Plan treten und man „durch Verordnung Unheil schmiedet“. (Lies Psalm 94:20.) Mitte der 90er-Jahre beispielsweise wurde eine der Rechtskörperschaften der Zeugen Jehovas in Frankreich, die Association Les Témoins de Jéhovah (ATJ), einer Rechnungsprüfung unterzogen. Der Haushaltsminister verriet die wahre Absicht dahinter, als er sagte: „Die Rechnungsprüfung könnte zu einem Liquidations- oder Strafverfahren . . . führen, das die Handlungsfähigkeit der Vereinigung beeinträchtigen oder sie zwingen würde, ihre Aktivitäten in unserem Gebiet einzustellen.“ Obwohl die Prüfung keine Unregelmäßigkeiten ergab, wurde die ATJ mit einer erdrückenden Steuer belegt. Hätte die Taktik Erfolg gehabt, dann wäre unseren Brüdern kaum etwas anderes übrig geblieben, als das Bethel zu schließen und die Gebäude zu verkaufen. Sonst hätten sie die enorme Summe nicht aufbringen können. Das war ein schwerer Schlag, aber Gottes Volk gab nicht auf. Jehovas Zeugen protestierten energisch gegen diese ungerechte Behandlung und brachten den Fall 2005 schließlich vor den EGMR.

13 Das Urteil wurde am 30. Juni 2011 verkündet. Laut EGMR schließt Religionsfreiheit aus, dass der Staat die Zulässigkeit von Glaubensansichten und Glaubensäußerungen bewertet — außer in Extremfällen. Die Richter stellten fest, dass der Glaubensgemeinschaft durch die Steuer die „notwendigen finanziellen Mittel entzogen“ wurden, sodass sie „praktisch nicht mehr in der Lage war, für ihre Anhänger die freie Ausübung ihrer Religion zu sichern“. Das Gericht entschied einstimmig zugunsten von Jehovas Zeugen. Es herrschte große Freude unter Gottes Volk, als der französische Staat die Steuer zuzüglich Zinsen an die ATJ zurückzahlte und, wie vom Gericht verfügt, seine Ansprüche auf das Eigentum von Jehovas Zeugen zurücknahm.

Es ist wichtig, immer wieder für Brüder und Schwestern zu beten, die unter Ungerechtigkeiten, Schikane oder Verfolgung leiden

14. Wie können wir als Einzelne den Kampf um freie Religionsausübung unterstützen?

14 Wie Esther und Mordechai in biblischer Zeit kämpfen Jehovas Diener auch heute für ihre Freiheit, ihren Glauben so zu praktizieren, wie es Jehova geboten hat (Esth. 4:13-16). Wie kannst du diesen Kampf unterstützen? Indem du immer wieder für Brüder und Schwestern betest, die unter Ungerechtigkeiten, Schikane oder Verfolgung leiden. Solche Gebete können viel bewirken. (Lies Jakobus 5:16.) An unseren Erfolgen vor Gericht sieht man, dass Jehova wirklich etwas bewegt (Heb. 13:18, 19).

Das Recht, nach dem eigenen Gewissen über eine medizinische Behandlung zu entscheiden

15. Worauf achten Jehovas Zeugen beim Thema Blut?

15 Wie in Kapitel 11 erörtert, vertreten die Bürger von Gottes Königreich einen klaren biblischen Standpunkt zum Thema Blut, und das in einer Welt, in der Missbrauch von Blut üblich geworden ist (1. Mo. 9:5, 6; 3. Mo. 17:11; lies Apostelgeschichte 15:28, 29). Wenn wir auch Bluttransfusionen ablehnen, so wünschen wir doch die bestmögliche ärztliche Behandlung für uns und unsere Familie, vorausgesetzt sie widerspricht nicht Gottes Geboten. Die höchsten Gerichtshöfe vieler Staaten gestehen Patienten das Recht zu, in Behandlungsfragen nach ihrem Gewissen und ihren Glaubensansichten zu entscheiden. In manchen Ländern hat man jedoch versucht, Zeugen Jehovas wegen ihrer Haltung einzuschüchtern. Es folgen einige Beispiele.

16, 17. Welchen Schock erlitt eine Schwester in Japan, und wie wurden ihre Gebete erhört?

16 Japan. Misae Takeda, eine 63-jährige Hausfrau, musste sich einer schweren Operation unterziehen. Als loyale Bürgerin des Königreiches Gottes erklärte sie ihrem Arzt ausdrücklich, sie wünsche ohne Blut behandelt zu werden. Monate später erfuhr sie zu ihrem Entsetzen, dass man ihr während des Eingriffs dennoch Blut übertragen hatte. Sie empfand das als Verrat und Körperverletzung. Im Juni 1993 verklagte sie die Ärzte und das Krankenhaus. Diese bescheidene, sanfte Frau hatte einen unerschütterlichen Glauben. Beherzt sagte sie vor Gericht aus und verharrte trotz schwindender Kräfte über eine Stunde lang im Zeugenstand. Einen Monat vor ihrem Tod erschien sie zum letzten Mal im Gerichtssaal. Schwester Takeda bewies bewundernswerten Mut und Glauben. Sie sagte, sie habe Jehova unaufhörlich um seinen Segen für diesen Kampf angefleht und glaube fest daran, dass ihre Gebete erhört würden. Wie ging die Sache weiter?

17 Drei Jahre nach Schwester Takedas Tod bestätigte der Oberste Gerichtshof von Japan, dass es rechtswidrig war, ihr gegen ihren ausdrücklichen Willen Blut zu transfundieren. Gemäß dem Urteil vom 29. Februar 2000 muss in solchen Fällen die Entscheidungsfreiheit „als Persönlichkeitsrecht respektiert werden“. Schwester Takeda hat entschlossen für ihr Recht gekämpft, in Behandlungsfragen nach ihrem biblisch ausgerichteten Gewissen zu entscheiden. Heute brauchen Jehovas Zeugen in Japan deshalb bei medizinischen Eingriffen keine Angst mehr vor einer aufgezwungenen Bluttransfusion zu haben.

Pablo Albarracini (Siehe Absatz 18—20)

18—20. (a) Wie wurde die Patientenverfügung eines Zeugen Jehovas in Argentinien respektiert? (b) Wie können wir beim Thema Blut beweisen, dass wir loyal zu Christus stehen?

18 Argentinien. Wie kann ein Bürger des Königreiches sicherstellen, dass im Fall einer Bewusstlosigkeit sein erklärter Wille respektiert wird? Durch ein rechtsverbindliches Dokument, das er immer bei sich trägt. So machte es auch Pablo Albarracini. Im Mai 2012 war er Zeuge eines versuchten Raubüberfalls und wurde mehrfach angeschossen. Man lieferte ihn bewusstlos ins Krankenhaus ein. Vier Jahre zuvor hatte er eine Patientenverfügung ordnungsgemäß ausgefüllt, die seinen Standpunkt zu Bluttransfusionen deutlich machte. Pablos Zustand war zwar kritisch und einige Ärzte dachten, man müsse ihm Blut übertragen, um sein Leben zu retten, doch das Ärzteteam erklärte sich bereit, seinen Wünschen Folge zu leisten. Sein Vater, kein Zeuge Jehovas, erwirkte allerdings eine gerichtliche Anordnung, um den Willen seines Sohnes zu umgehen.

19 Der Anwalt von Pablos Frau legte sofort Rechtsmittel ein. Innerhalb weniger Stunden erklärte das Berufungsgericht die Anordnung der unteren Instanz für ungültig und entschied, die Patientenverfügung müsse respektiert werden. Daraufhin ging Pablos Vater vor den Obersten Gerichtshof von Argentinien. Für dieses Gericht bestand jedoch kein Zweifel daran, dass Pablo das Dokument „im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte, in fester Absicht und aus freien Stücken abgefasst hatte“. Es führte weiter aus: „Jeder mündige, erwachsene Bürger ist in der Lage, eine Patientenverfügung niederzulegen, und darf bestimmte medizinische Behandlungen akzeptieren oder ablehnen . . . Diese Verfügung muss von dem behandelnden Arzt respektiert werden.“

Hast du eine Patientenverfügung ausgefüllt?

20 Bruder Albarracini hat sich wieder völlig erholt. Er und seine Frau sind froh, dass er die Patientenverfügung ausgefüllt hatte. Durch diesen einfachen und doch so wichtigen Schritt bewies er seine Loyalität gegenüber Christus, dem König von Gottes Reich. Hast du ähnliche Vorsorge getroffen? Und wie ist es mit deinen Angehörigen?

April Cadoreth (Siehe Absatz 21—24)

21—24. (a) Welche bedeutsame Entscheidung traf der Oberste Gerichtshof von Kanada für Minderjährige? (b) Was können junge Zeugen Jehovas aus diesem Fall lernen?

21 Kanada. Im Allgemeinen gestehen Gerichte Eltern das Recht zu, festzulegen, welche medizinische Behandlung für ihre Kinder am besten ist. Mitunter haben sie sogar entschieden, dass ein reifer Minderjähriger bei medizinischen Entscheidungen mit einbezogen werden sollte. Dazu hat April Cadoreth beigetragen. Im Alter von 14 Jahren kam sie mit schweren inneren Blutungen in ein Krankenhaus. Wenige Monate zuvor hatte sie eine Patientenverfügung ausgefüllt, in der stand, dass ihr nicht einmal im Notfall Blut übertragen werden solle. Der behandelnde Arzt setzte sich über Aprils ausdrücklichen Wunsch hinweg und erwirkte einen Gerichtsentscheid. Man transfundierte ihr gewaltsam drei Einheiten Erythrozytenkonzentrat (rote Blutkörperchen). April verglich dieses traumatische Erlebnis später mit einer Vergewaltigung.

22 April und ihre Eltern zogen vor Gericht. Nach zwei Jahren befasste sich der Oberste Gerichtshof von Kanada mit dem Fall. Formaljuristisch verlor April zwar die Verfassungsbeschwerde, aber das Gericht erließ ihr die Prozesskosten und urteilte in ihrem Sinne. Das Urteil kommt nämlich reifen Minderjährigen zugute, die ihr Recht wahrnehmen möchten, selbst über ihre medizinische Behandlung zu entscheiden. Es hieß darin: „Jugendlichen unter 16 sollte bei einem ärztlichen Eingriff gestattet sein, den Beweis zu erbringen, dass ihre Haltung zu einer bestimmten medizinischen Behandlung ein ausreichendes Maß an Reife und selbstständigem Denken erkennen lässt.“

23 Dieser Fall ist insofern bedeutsam, als sich der Oberste Gerichtshof mit den verfassungsmäßigen Rechten reifer Minderjähriger auseinandersetzte. Vor dem Urteil konnte ein kanadisches Gericht bei Jugendlichen unter 16 Jahren eine medizinische Behandlung genehmigen, wenn es der Meinung war, diese diene dem Kindeswohl. Doch nun kann ein Gericht keine Behandlung gegen den Willen Jugendlicher unter 16 autorisieren, ohne ihnen vorher Gelegenheit zu geben, zu beweisen, dass sie reif genug sind, eigene Entscheidungen zu treffen.

„Es macht mich richtig glücklich, dass ich ein bisschen dazu beitragen konnte, Gottes Namen zu verherrlichen und Satan zum Lügner zu stempeln“

24 War der dreijährige Kampf die Mühe wert? „Ja!“, sagt April. Sie ist inzwischen Pionier und erfreut sich guter Gesundheit. „Es macht mich richtig glücklich, dass ich ein bisschen dazu beitragen konnte, Gottes Namen zu verherrlichen und Satan zum Lügner zu stempeln.“ Wie Aprils Erfahrung zeigt, können junge Leute mutig für ihren Glauben eintreten und sich so als echte Bürger des Königreiches Gottes erweisen (Mat. 21:16).

Das Recht der Eltern, ihre Kinder nach Jehovas Maßstäben zu erziehen

25, 26. Zu welcher Situation kann es bei einer Ehescheidung kommen?

25 Jehova hat Eltern die Verantwortung übertragen, ihre Kinder in seinem Sinne zu erziehen (5. Mo. 6:6-8; Eph. 6:4). Das ist an sich schon eine Herausforderung, kann aber noch schwieriger werden, wenn die Eltern sich scheiden lassen. Ihre Ansichten über Kindererziehung weichen oft stark voneinander ab. Der eine findet es beispielsweise wichtig, sein Kind nach christlichen Maßstäben zu erziehen, was der andere womöglich nicht so sieht. Als Zeuge Jehovas sollte man sich natürlich respektvoll verhalten und anerkennen, dass eine Scheidung zwar die Ehe auflösen mag, nicht aber die Eltern-Kind-Beziehung.

26 Ein Elternteil, der kein Zeuge Jehovas ist, wird vielleicht das Sorgerecht beantragen, um die religiöse Erziehung kontrollieren zu können. Mancher behauptet, es schade einem Kind, als Zeuge Jehovas aufzuwachsen. Es dürfe beispielsweise nicht Geburtstag oder Weihnachten feiern und erhalte in einem medizinischen Notfall keine „lebensrettenden“ Bluttransfusionen. Glücklicherweise achten die meisten Gerichte darauf, was dem Kindeswohl dient, statt darüber zu urteilen, ob die Religion eines Elternteils bedenklich erscheint. Sehen wir uns dazu einige Vorfälle an.

27, 28. Wie reagierte der Oberste Gerichtshof von Ohio auf die Behauptung, es schade einem Kind, als Zeuge Jehovas aufzuwachsen?

27 Vereinigte Staaten. 1992 befasste sich der Oberste Gerichtshof von Ohio mit einem Fall, bei dem der Vater behauptete, es schade seinem kleinen Sohn, als Zeuge Jehovas aufzuwachsen. Das erstinstanzliche Gericht hatte seine Ansicht geteilt und ihm das Sorgerecht zugesprochen. Die Mutter, Jennifer Pater, hatte Umgangsrecht, durfte „dem Kind aber in keiner Form die Glaubensansichten der Zeugen Jehovas vermitteln oder es auch nur damit in Berührung bringen“. Diesen weit gefassten Gerichtsbeschluss konnte man so auslegen, als dürfe Schwester Pater mit ihrem Sohn Bobby nicht einmal über die Bibel und ihre moralischen Werte sprechen. Was für eine bedrückende Situation! Jennifer war am Boden zerstört, doch wie sie selbst sagt, hat sie gelernt, geduldig zu sein und auf Jehova zu hoffen. „Jehova war immer für mich da.“ Ihre Anwältin beriet sich mit verantwortlichen Brüdern im Bethel und rief den Obersten Gerichtshof von Ohio an.

28 Das Gericht widersprach dem Urteil der unteren Instanz und erklärte: „Eltern haben das fundamentale Recht, ihren Kindern Werte zu vermitteln, wozu auch moralische und religiöse Werte gehören.“ Solange es nicht erwiesen sei, dass die religiösen Werte der Zeugen Jehovas dem körperlichen und psychischen Wohl des Kindes schaden, dürfe das Gericht nicht das Sorgerecht eines Elternteils aufgrund der Religionszugehörigkeit einschränken. Das Gericht konnte nicht feststellen, dass die Glaubensansichten der Zeugen Jehovas die psychische oder körperliche Gesundheit des Kindes beeinträchtigen.

Viele Gerichte haben das Recht von Zeugen Jehovas respektiert, für ihre Kinder zu sorgen

29—31. Warum verlor eine Schwester in Dänemark das Sorgerecht für ihre Tochter, und wie entschied der Oberste Gerichtshof von Dänemark?

29 Dänemark. Anita Hansen stand vor einer ähnlichen Herausforderung, als ihr Exmann das Sorgerecht für die siebenjährige Amanda beantragte. Im Jahr 2000 übertrug ihr das erstinstanzliche Gericht zwar das Sorgerecht, aber der Vater legte Rechtsmittel ein, worauf ihm Amanda zugesprochen wurde. Das Argument? Die Eltern hätten aufgrund ihrer religiösen Überzeugung eine unterschiedliche Lebensauffassung und der Vater sei besser in der Lage, die dadurch entstehenden Konflikte anzugehen. Im Grunde genommen verlor Schwester Hansen also das Sorgerecht für Amanda, weil sie eine Zeugin Jehovas ist.

30 In dieser ganzen belastenden Zeit war Schwester Hansen manchmal so aufgewühlt, dass sie nicht mehr wusste, worum sie beten sollte. Doch sie sagt: „Die Gedanken in Römer 8, Vers 26 und 27 haben mich sehr getröstet. Ich hatte immer das Gefühl, Jehova weiß, was ich meine. Er hatte mich im Blick und war immer für mich da.“ (Lies Psalm 32:8; Jesaja 41:10.)

31 Schwester Hansen wandte sich an den Obersten Gerichtshof von Dänemark. Dieser kam zu dem Schluss: „Die Entscheidung über das Sorgerecht muss auf der konkreten Einschätzung beruhen, was im Interesse des Kindes ist.“ Es gehe darum, wie jeder Elternteil Konflikte löst, und nicht darum, welche „Lehren und Positionen“ Jehovas Zeugen vertreten. Was für eine Erleichterung für Schwester Hansen, als das Gericht ihre Eignung als Mutter bestätigte und ihr das Sorgerecht für Amanda zurückgab!

32. Wie hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Zeugen Jehovas vor Diskriminierung geschützt?

32 Verschiedene europäische Länder. Manchmal wurden Sorgerechtsstreitigkeiten bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gebracht. In zwei Fällen stellte der EGMR fest, dass die Gerichte des jeweiligen Landes die beiden Parteien lediglich aufgrund der Glaubenszugehörigkeit eines Elternteils ungleich behandelt hatten. Eine derartige Ungleichbehandlung sei diskriminierend. Der EGMR kam zu dem Schluss, dass „eine Unterscheidung, die im Wesentlichen allein auf einem Unterschied in der Religion basiert, nicht hinnehmbar“ ist. Eine Mutter, die von einem solchen Urteil des EGMR profitierte, sagte rückblickend: „Es hat sehr wehgetan, dass man mich beschuldigt hat, meinen Kindern zu schaden, wo ich ihnen doch einfach nur das geben wollte, was ich für ihr Wohl am besten hielt — eine christliche Erziehung.“

33. Wie kann ein Vater oder eine Mutter den Grundsatz aus Philipper 4:5 beachten?

33 Ein Zeuge Jehovas, der um sein Recht kämpfen muss, seinen Kindern biblische Werte ans Herz zu legen, bemüht sich natürlich vernünftig zu sein. (Lies Philipper 4:5.) So, wie er sein Recht schätzt, seine Kinder im Sinne Gottes zu erziehen, gesteht er auch dem anderen Elternteil zu, seine elterliche Verantwortung wahrzunehmen, sofern dieser es wünscht. Wie ernst nehmen Jehovas Zeugen ihre Verantwortung als Eltern?

34. Was können christliche Eltern von den Juden zur Zeit Nehemias lernen?

34 Das zeigt eine Situation aus der Zeit Nehemias. Damals waren die Juden angestrengt damit beschäftigt, die Stadtmauer Jerusalems auszubessern und wiederaufzubauen. Sie wussten, dass ihre Familien so vor den umliegenden feindlichen Völkern beschützt wären. Nehemia forderte sie eindringlich auf: „Kämpft für eure Brüder, eure Söhne und eure Töchter, eure Frauen und eure Heimstätten“ (Neh. 4:14). Für die Juden war dieser Kampf den Einsatz wert. Auch heute strengen sich die Eltern unter Jehovas Zeugen sehr an, ihre Kinder in der Wahrheit zu erziehen. Sie wissen, dass ihre Kinder in der Schule und in der Nachbarschaft oft mit schlechten Einflüssen bombardiert werden. Solche Einflüsse können über die Medien sogar ins Zuhause eindringen. Vergesst nie, liebe Eltern, dass der Kampf für eure Kinder den Einsatz wert ist. Sorgt für eine Umgebung, in der sie sich geborgen fühlen und geistig stark werden können.

Auf Jehovas Unterstützung bauen

35, 36. Was haben Jehovas Zeugen durch ihren Kampf für ihre Rechte erreicht, und wozu sind wir entschlossen?

35 Jehova hat seine Diener eindeutig dafür gesegnet, wie sie sich für das Recht auf freie Religionsausübung eingesetzt haben. Oft konnten sie dadurch vor Gericht und vor der Öffentlichkeit eindrucksvoll die biblische Wahrheit bekannt machen (Röm. 1:8). Als Nebeneffekt ihrer vielen gerichtlichen Erfolge wurden auch die Bürgerrechte anderer gestärkt. Wir sind jedoch keine Sozialreformer, und es geht uns auch nicht darum, uns zu rechtfertigen. Wenn wir für unsere Rechte kämpfen, dann vor allem deshalb, weil wir die reine Anbetung Jehovas fördern und festigen möchten. (Lies Philipper 1:7.)

36 Nehmen wir den Einsatz unserer Brüder und Schwestern nie für selbstverständlich! Sie haben in ihrem Kampf für eine freie Religionsausübung großes Vertrauen auf Jehova bewiesen. Tun wir es ihnen gleich, und seien wir zuversichtlich, dass Jehova uns unterstützt und uns die Kraft gibt, seinen Willen zu erfüllen (Jes. 54:17).