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Das Judentum — Die Suche nach Gott mit Hilfe der Bibel und der Tradition

Das Judentum — Die Suche nach Gott mit Hilfe der Bibel und der Tradition

Kapitel 9

Das Judentum — Die Suche nach Gott mit Hilfe der Bibel und der Tradition

1, 2. (a) Welche namhaften Juden haben einen Einfluß auf Geschichte und Kultur gehabt? (b) Was könnte jemand fragen?

WAS hatten Moses, Jesus, Mahler, Marx, Freud und Einstein gemeinsam? Sie alle waren Juden, und alle haben auf verschiedene Weise die Geschichte und die Kultur der Menschheit beeinflußt. Es ist ganz offensichtlich, daß die Juden seit Jahrtausenden ein beachtenswertes Volk gewesen sind. Das bestätigt die Bibel selbst.

2 Im Gegensatz zu anderen alten Religionen und Kulturen wurzelt das Judentum nicht in der Mythologie, sondern in der Geschichte. Dennoch könnte jemand fragen: „Warum sollte ich mich für das Judentum interessieren, die Religion der Juden, einer solch unbedeutenden Minderheit — 18 Millionen in einer Welt von über 5 Milliarden?“

Warum uns das Judentum interessieren sollte

3, 4. (a) Woraus bestehen die Hebräischen Schriften? (b) Warum sollten wir uns über die jüdische Religion und ihren Ursprung Gedanken machen?

3 Ein Grund ist der, daß die Wurzeln der jüdischen Religion etwa 4 000 Jahre in die Vergangenheit zurückreichen und daß andere bedeutende Religionen den heiligen Schriften des Judentums mehr oder weniger zu Dank verpflichtet sind. (Siehe Kasten, Seite 220.) Das Christentum, das von Jesus (hebräisch: Jeschúa‛), einem Juden, der im ersten Jahrhundert lebte, gegründet wurde, wurzelt in den Hebräischen Schriften. Und beim Lesen des Qurʼān wird man feststellen, daß auch der Islam den Schriften des Judentums vieles zu verdanken hat (Qurʼān, Sure 2:49-57; 32:23, 24). Wenn wir also die jüdische Religion prüfen, so prüfen wir auch die Wurzeln von Hunderten anderer Religionen und Sekten.

4 Ein weiterer wichtiger Grund ist der, daß die jüdische Religion ein wichtiges Glied in der Kette der Suche der Menschheit nach dem wahren Gott bildet. Gemäß den Hebräischen Schriften betete Abram, der Vorvater der Juden, bereits vor nahezu 4 000 Jahren den wahren Gott an. * Die Frage ist daher angebracht: Woher stammen die Juden, und wie hat sich ihr Glaube entwickelt? (1. Mose 17:18).

Woher stammen die Juden?

5, 6. Woher stammen, kurz gesagt, die Juden und ihr Name?

5 Im großen und ganzen sind die Juden Nachkommen eines alten, Hebräisch sprechenden Zweiges der semitischen Rasse (1. Mose 10:1, 21-32; 1. Chronika 1:17-28, 34; 2:1, 2). Vor nahezu 4 000 Jahren wanderte ihr Vorvater Abram aus dem Ur der Chaldäer, einer blühenden Metropole in Sumer, nach Kanaan aus, dem Land, von dem Gott gesagt hatte: „Deinem Samen will ich dieses Land geben“ * (1. Mose 11:31 bis 12:7). In 1. Mose 14:13 ist von ihm als „Abram, dem Ebräer“, die Rede; doch später wurde sein Name auf Abraham umgeändert (1. Mose 17:4-6). Von ihm leiten die Juden eine Abstammungslinie ab, die mit seinem Sohn Isaak und seinem Enkel Jakob beginnt, dessen Name auf Israel umgeändert wurde (1. Mose 32:27-29). Israel hatte 12 Söhne, die die Begründer von 12 Stämmen wurden. Einer von ihnen war Juda, von dessen Namen schließlich die Bezeichnung „Jude“ abgeleitet wurde (2. Könige 16:6).

6 Im Laufe der Zeit wurde die Bezeichnung „Jude“ nicht mehr nur auf einen Nachkommen Judas angewandt, sondern auf alle Israeliten (Esther 3:6; 9:20). Da die jüdischen Geschlechtsregister vernichtet wurden, als die Römer im Jahre 70 u. Z. Jerusalem schleiften, kann heute kein Jude mehr genau feststellen, welchem Stamm seine Vorfahren angehörten. Wie dem auch sei, die alte jüdische Religion hat Jahrtausende überdauert und war Veränderungen unterworfen. Heute wird die jüdische Religion in der Republik Israel und in der Diaspora (der Zerstreuung) von Millionen Juden ausgeübt. Worauf beruht diese Religion?

Moses, das Gesetz und eine Nation

7. Welchen Eid schwor Gott Abraham, und warum?

7 Im Jahre 1943 v. u. Z. * erwählte Gott Abram zu seinem besonderen Diener und schwor ihm später — wegen seiner Treue und seiner Bereitschaft, ihm seinen Sohn Isaak zu opfern — einen feierlichen Eid, obwohl das Opfer nie vollzogen wurde (1. Mose 12:1-3; 22:1-14). In Verbindung mit diesem Eid sagte Gott: „Bei mir habe ich geschworen, ist der Spruch des Ewigen [hebräisch: יהוה, JHWH], daß, weil du solches getan und deinen einzigen Sohn nicht geweigert hast, ich dich segnen will und deinen Samen zahlreich machen gleich den Sternen des Himmels ... Und segnen sollen sich mit deinem Samen alle Völker der Erde, dafür, daß du meiner Stimme gehorcht hast.“ Dieser Eidschwur wurde Abrahams Sohn und seinem Enkel gegenüber wiederholt und blieb dann im Stamm Juda und in der Linie Davids weiter bestehen. Diese streng monotheistische Vorstellung von einem persönlichen Gott, der mit Menschen direkt verkehrte, war in der damaligen Welt etwas Einmaliges, und sie bildete dann die Grundlage der jüdischen Religion (1. Mose 22:15-18; 26:3-5; 28:13-15; Psalm 89:4, 5, 29, 30, 36, 37 [Psalm 89:3, 4, 28, 29, 35, 36, NW]).

8. Wer war Moses, und welche Rolle spielte er in Israel?

8 Um die Verheißungen, die er Abraham gegeben hatte, zu erfüllen, schloß Gott mit den Nachkommen Abrahams einen besonderen Bund und schuf so die Grundlage für eine Nation. Dieser Bund wurde durch Moses, den großen hebräischen Führer und den Mittler zwischen Gott und Israel, eingeführt. Wer war Moses, und warum ist er für die Juden so wichtig? Aus dem Bibelbuch 2. Mose geht hervor, daß er in Ägypten geboren wurde (1593 v. u. Z.) und daß seine Eltern Israeliten waren, die wie die übrigen Israeliten in der Sklaverei lebten. Er war es, den „der Ewige erkannte“ und dazu bestimmte, sein Volk in die Freiheit zu führen, nach Kanaan, in das Land der Verheißung (5. Mose 6:23; 34:10). Moses spielte die wichtige Rolle des Mittlers, als Gott mit den Israeliten den Gesetzesbund schloß; außerdem war er ihr Prophet, ihr Richter, ihr Führer und ihr Geschichtsschreiber (2. Mose 2:1 bis 3:22).

9, 10. (a) Woraus bestand das Gesetz, das durch Moses übermittelt wurde? (b) Welche Lebensbereiche umfassen die Zehn Gebote? (c) Wozu wurde Israel durch den Gesetzesbund verpflichtet?

9 Das Gesetz, das die Israeliten annahmen, bestand aus den Zehn Worten oder Geboten und über 600 Gesetzen, die einen umfangreichen Kodex von Richtlinien und Satzungen für das tägliche Verhalten bildeten. (Siehe Kasten, Seite 211.) Dieses Gesetz umfaßte Weltliches und Heiliges — Hygienevorschriften und Sittengesetze sowie Anweisungen für die Gottesanbetung.

10 Durch den Gesetzesbund oder diese religiöse Verfassung wurde der Glaube der Patriarchen formuliert. Demzufolge wurden die Nachkommen Abrahams eine dem Dienst Gottes gewidmete Nation. So begann die jüdische Religion feste Formen anzunehmen, und die Juden wurden eine für die Anbetung und den Dienst ihres Gottes organisierte Nation. Gemäß 2. Mose 19:5, 6 verhieß ihnen Gott: „Wenn ihr nun auf meine Stimme hören und meinen Bund wahren werdet, ... sollt [ihr] mir sein ein Reich von Priestern und ein heilig Volk.“ Die Israeliten sollten also ein „auserwähltes Volk“ sein, das Gottes Vorsätzen diente. Die Erfüllung der Bundesverheißungen war jedoch an die Bedingung geknüpft: „Wenn ihr ... auf meine Stimme hören ... werdet.“ Dieses Volk war nun seinem Gott verpflichtet. Daher konnte Gott später (im achten Jahrhundert v. u. Z.) zu den Juden sagen: „Ihr seid mir Zeugen / ist des Ewgen [hebräisch: יהוה, JHWH] Spruch / und Knecht mein“ (Jesaja 43:10, 12).

Eine Nation mit Priestern, Propheten und Königen

11. Wie entstanden das Priestertum und das Königtum?

11 Als sich das Volk Israel noch in der Wüste auf dem Weg in das Land der Verheißung befand, wurde im Geschlecht Aarons, des Bruders Mose, ein Priestertum gegründet. Eine Stiftshütte, ein großes tragbares Zelt, bildete den Mittelpunkt der Anbetung und des Opferdienstes der Israeliten (2. Mose, Kapitel 26 bis 28). Nach einiger Zeit erreichte die Nation Israel das Land Kanaan, das Land der Verheißung, und nahm es ein, wie Gott es geboten hatte (Josua 1:2-6). Schließlich wurde ein irdisches Königtum gegründet, und im Jahre 1077 v. u. Z. wurde David aus dem Stamm Juda König. Unter seiner Herrschaft wurden Königtum und Priestertum in Jerusalem, einem neuen nationalen Mittelpunkt, fest gegründet (1. Samuel 8:7).

12. Welche Verheißung hatte Gott David gegeben?

12 Nach Davids Tod baute sein Sohn Salomo in Jerusalem einen prächtigen Tempel, der die Stiftshütte ersetzte. Da Gott mit David einen Bund geschlossen hatte, wonach das Königtum für immer in Davids Linie bleiben sollte, nahm man an, daß der Messias, ein gesalbter König, eines Tages aus seiner Abstammungslinie hervorgehen werde. Eine Prophezeiung wies darauf hin, daß durch diesen messianischen König oder „Samen“ sowohl Israel als auch alle übrigen Nationen eine vollkommene Regierung erhalten würden (1. Mose 22:18). Diese Erwartung schlug Wurzeln, und der messianische Charakter der jüdischen Religion nahm deutlich feste Formen an (2. Samuel 7:8-16; Psalm 72:1-20; Jesaja 11:1-10; Sacharja 9:9, 10).

13. Durch wen wies Gott die abtrünnigen Israeliten zurecht? Führe ein Beispiel an.

13 Die Juden ließen sich aber von der falschen Religion der Kanaaniter und anderer Nachbarvölker beeinflussen. So kam es, daß sie die Bestimmungen ihres Bundes mit Gott übertraten. Um sie zurechtzuweisen und zur Umkehr zu veranlassen, sandte Jehova eine Reihe von Propheten zu ihnen, die ihnen seine Botschaften ausrichteten. Demzufolge wurden Prophezeiungen ein weiteres charakteristisches Merkmal der jüdischen Religion, und ein großer Teil der Hebräischen Schriften besteht aus Prophezeiungen. 18 Bücher der Hebräischen Schriften tragen sogar den Namen von Propheten (Jesaja 1:4-17).

14. Wie bestätigten die Ereignisse die Worte der Propheten in Israel?

14 Unter diesen Propheten traten besonders Jesaja, Jeremia und Hesekiel hervor, die alle die Nation vor Jehovas drohender Bestrafung wegen ihres Götzendienstes warnten. Zu dieser Bestrafung kam es im Jahre 607 v. u. Z., als Jehova wegen Israels Abtrünnigkeit zuließ, daß die damalige Weltmacht Babylon Jerusalem samt seinem Tempel zerstörte und das Volk in die Gefangenschaft führte. Das Wort der Propheten hatte sich bewahrheitet, und die 70jährige Gefangenschaft Israels während des größten Teils des sechsten Jahrhunderts v. u. Z. ging in die Geschichte ein (2. Chronika 36:20, 21; Jeremia 25:11, 12; Daniel 9:2).

15. (a) Wie kam unter den Juden eine neue Form des Gottesdienstes auf? (b) Wie wirkte sich der Synagogengottesdienst auf die Anbetung im Tempel in Jerusalem aus?

15 Im Jahre 539 v. u. Z. besiegte Cyrus, der Perser, Babylon und gestattete den Juden, ihr Land wieder zu besiedeln und den Tempel in Jerusalem wieder aufzubauen. Ein Überrest nahm diese Gelegenheit zwar wahr, doch die meisten blieben unter dem Einfluß der babylonischen Gesellschaft. Später kamen die Juden unter den Einfluß der persischen Kultur. So entstanden im Nahen Osten und im ganzen Mittelmeerraum jüdische Siedlungen. In jeder Gemeinde kam eine neue Form des Gottesdienstes auf, die mit der Synagoge (dem örtlichen Versammlungszentrum der Juden) verbunden war. Dadurch büßte der wieder erbaute Tempel in Jerusalem natürlich an Bedeutung ein. Die weitverstreuten Juden waren nun im wahrsten Sinne des Wortes eine Diaspora (Esra 2:64, 65).

Das Judentum taucht in griechischem Gewand auf

16, 17. (a) Welcher neue Einfluß breitete sich im vierten Jahrhundert v. u. Z. im Mittelmeerraum aus? (b) Durch wen wurde die griechische Kultur verbreitet, und wie? (c) Wie erschien das Judentum danach auf dem Schauplatz der Welt?

16 Im vierten Jahrhundert v. u. Z. war die jüdische Gemeinschaft stetigen Veränderungen unterworfen und wurde so von den Wellen der nichtjüdischen Kultur überrollt, die damals den Mittelmeerraum und weitere Gebiete überfluteten. Die Flut ging von Griechenland aus, und das Judentum entstieg ihr in hellenistischem Gewand.

17 Im Jahre 332 v. u. Z. eroberte der griechische Feldherr Alexander der Große den Nahen Osten in einem Blitzfeldzug und wurde von den Juden begrüßt, als er nach Jerusalem kam. * Alexanders Nachfolger setzten die Verwirklichung seines Hellenisierungsplans fort, indem sie im ganzen Reich die griechische Sprache, die griechische Kultur und die griechische Philosophie förderten. So kam es zu einer Verschmelzung der griechischen und der jüdischen Kultur, was überraschende Folgen haben sollte.

18. (a) Warum wurde die Übersetzung der Hebräischen Schriften ins Griechische (die Septuaginta) notwendig? (b) Von welchem Bereich der griechischen Kultur wurden die Juden besonders beeinflußt?

18 Die Diasporajuden redeten nicht mehr Hebräisch, sondern begannen, Griechisch zu sprechen. Daher wurde Ende des dritten und Anfang des zweiten Jahrhunderts v. u. Z. die erste Übersetzung der Hebräischen Schriften ins Griechische, Septuaginta genannt, angefertigt. Dadurch lernten viele Nichtjuden die Religion der Juden kennen und respektieren, ja einige konvertierten sogar. * Andererseits wurden Juden mit griechischem Gedankengut vertraut, und einige wandten sich sogar der Philosophie zu — für die Juden etwas völlig Neues. Ein Beispiel ist Philon (Philo) von Alexandria, der im ersten Jahrhundert u. Z. lebte und der das Judentum anhand der griechischen Philosophie so zu erklären suchte, als ob das Judentum und die griechische Philosophie ein und dieselben Grundwahrheiten zum Ausdruck brächten.

19. Wie beschreibt ein jüdischer Schriftsteller die Zeit der Verschmelzung der griechischen und der jüdischen Kultur?

19 Der jüdische Schriftsteller Max Dimont faßt dieses ständige Tauziehen zwischen der griechischen und der jüdischen Kultur folgendermaßen zusammen: „Durch platonisches Gedankengut, aristotelische Logik und euklidisches Wissen bereichert, traten jüdische Gelehrte mit neuem Rüstzeug an die Thora heran. ... Sie gingen dazu über, der jüdischen Offenbarung griechische Vernunftschlüsse hinzuzufügen.“ Die Ereignisse, die sich unter der römischen Herrschaft abspielten und durch die das Griechische Reich und später (im Jahre 63 v. u. Z.) auch Jerusalem im Römischen Reich aufgingen, sollten den Weg zu weiteren, noch bedeutenderen Veränderungen ebnen.

Das Judentum unter römischer Herrschaft

20. Welche religiöse Situation bestand unter den Juden im ersten Jahrhundert u. Z.?

20 Im ersten Jahrhundert u. Z. befand sich das Judentum in einer außergewöhnlichen Phase. Max Dimont spricht von einem Schweben zwischen „dem Geist Griechenlands und dem Schwert Roms“. Die politische Bedrückung und die Auslegung messianischer Prophezeiungen — besonders derjenigen Daniels — schraubten die jüdischen Erwartungen in die Höhe. Die Juden waren in verschiedene Parteien aufgespalten. Die Pharisäer legten mehr Nachdruck auf ein mündliches Gesetz (siehe Kasten, Seite 221) als auf Tempelopfer. Die Sadduzäer betonten die Wichtigkeit des Tempels und der Priesterschaft. Außerdem gab es noch die Essener, die Zeloten und die Herodianer. Sie alle hatten gegensätzliche religiöse und philosophische Ansichten. Die Führer der Juden wurden Rabbiner (Meister, Lehrer) genannt, und weil sie gesetzeskundig waren, gelangten sie zu hohem Ansehen und bildeten schließlich eine neue Klasse geistlicher Führer.

21. Welche Ereignisse hatten für die Juden der ersten zwei Jahrhunderte u. Z. drastische Auswirkungen?

21 Innere Zwistigkeiten und äußere Auseinandersetzungen erschütterten das Judentum jedoch weiterhin, besonders im Land Israel. Letztendlich kam es zur offenen Empörung gegen Rom, und im Jahre 70 u. Z. belagerten die Römer Jerusalem, machten die Stadt dem Erdboden gleich, brannten ihren Tempel nieder und zerstreuten ihre Bewohner. Schließlich wurde es den Juden untersagt, Jerusalem zu betreten. Ohne Tempel, ohne Land und mit einem über das ganze Römische Reich zerstreuten Volk benötigte das Judentum — sollte es überleben — eine Erneuerung seiner Religion.

22. (a) Wie wirkte sich der Verlust des Tempels in Jerusalem auf das Judentum aus? (b) Wie unterteilen die Juden die Bibel? (c) Was ist der Talmud, und wie ist er entstanden?

22 Mit der Zerstörung des Tempels verschwanden die Sadduzäer, und das von den Pharisäern verfochtene mündliche Gesetz wurde zum Kernstück eines neuen, rabbinischen Judentums. Intensiveres Studium, Gebete und Liebeswerke traten an die Stelle der Tempelopfer und Wallfahrten. Nun konnte der jüdische Glaube überall, jederzeit und in jedem Kulturkreis ausgeübt werden. Die Rabbiner legten das mündliche Gesetz schriftlich nieder, fügten Erklärungen darüber hinzu und dann weitere Erklärungen über die Erklärungen. All das zusammen ergab schließlich den Talmud. (Siehe Kasten, Seite 220, 221.)

23. Welche Veränderung ging unter dem Einfluß griechischen Denkens vor sich?

23 Wie wirkten sich diese unterschiedlichen Einflüsse aus? Max Dimont schreibt in seinem Buch Jews, God and History, daß die Fackel der jüdischen Ideologie und Religion zwar von den Pharisäern getragen wurde, „die Fackel selbst aber von den griechischen Philosophen entzündet worden war“. Während der Talmud zum großen Teil streng legalistisch war, ließen seine Beispiele und Erklärungen doch eindeutig den Einfluß der griechischen Philosophie erkennen. Zum Beispiel wurden religiöse Vorstellungen der Griechen, wie die Vorstellung von der unsterblichen Seele, in jüdische Begriffe gekleidet. In dieser neuen, rabbinischen Ära brachten die Juden dem Talmud — der inzwischen eine Verschmelzung legalistischer und griechischer Philosophie geworden war — immer größere Verehrung entgegen, so daß er im Mittelalter mehr verehrt wurde als die Bibel.

Das Judentum im Mittelalter

24. (a) Welche zwei großen Gemeinschaften traten im Mittelalter unter den Juden in Erscheinung? (b) Wie beeinflußten sie das Judentum?

24 Im Mittelalter (von 500 bis 1500 u. Z.) traten zwei unterschiedliche jüdische Gemeinschaften in Erscheinung: die Sephardim, die sich unter der muslimischen Herrschaft in Spanien eines ungestörten Lebens erfreuten, und die Aschkenasim in Mittel- und Osteuropa. Aus beiden Gemeinschaften gingen rabbinische Gelehrte hervor, deren Schriften und Gedanken heute noch die Grundlage religiöser jüdischer Auslegung bilden. Interessanterweise gehen viele religiöse Sitten und Bräuche der Juden in Wirklichkeit auf das Mittelalter zurück. (Siehe Kasten, Seite 231.)

25. Was unternahm die katholische Kirche schließlich gegen die Juden in Europa?

25 Im 12. Jahrhundert kam es in verschiedenen Ländern zu einer Massenvertreibung der Juden. Abba Eban, ein israelischer Politiker, schreibt in seinem Buch Dies ist mein Volk: „Mit der Ausbreitung des katholischen Glaubens ... brach über eine jüdische Gemeinde nach der anderen das Schicksal der Austreibung oder der Zwangstaufe herein. Ausschluß und Enteignung ...“ Im Jahre 1492 folgte Spanien, das erneut unter katholische Herrschaft gekommen war, diesem Beispiel, indem es die Ausweisung sämtlicher Juden aus seinem Gebiet anordnete. So waren bis zum Ende des 15. Jahrhunderts die Juden aus fast ganz Westeuropa vertrieben worden und hatten in Osteuropa und in den Ländern um das Mittelmeer Zuflucht gesucht.

26. (a) Wer erwies sich unter den Juden als Versager? (b) Welche Hauptrichtungen entstanden nun unter den Juden?

26 In den Jahrhunderten der Bedrückung und Verfolgung traten unter den Juden in verschiedenen Ländern Pseudomessiasse auf, die alle mehr oder weniger anerkannt wurden, die sich aber alle als Versager erwiesen. Im 17. Jahrhundert waren neue Impulse notwendig, um die Juden neu zu beleben und sie aus dieser finsteren Zeit emporzuheben. Mitte des 18. Jahrhunderts schien sich ein Weg aus der hoffnungslosen Lage des jüdischen Volkes abzuzeichnen. Es handelte sich um den Chassidismus (siehe Kasten, Seite 226), eine Mischung von Mystizismus und religiöser Schwärmerei, die in gläubiger Frömmigkeit und täglichen Verrichtungen zum Ausdruck kam. Im Gegensatz dazu wies der Philosoph Moses Mendelssohn, ein deutscher Jude, ungefähr um dieselbe Zeit auf einen anderen Weg hin: die Haskala oder Aufklärung, die später zu dem führte, was in der Geschichte als neuzeitliches Judentum bekannt wurde.

Von der „Aufklärung“ zum Zionismus

27. (a) Wie beeinflußte Moses Mendelssohn die Anschauungen der Juden? (b) Warum verwarfen viele von ihnen die Hoffnung auf einen persönlichen Messias?

27 Moses Mendelssohn (1729—1786) vertrat die Ansicht, daß die Juden anerkannt würden, wenn sie sich von den Einschränkungen des Talmuds lösen und sich der westlichen Kultur anpassen würden. Er wurde damals einer der angesehensten Juden in der nichtjüdischen Welt. Doch im 19. Jahrhundert kam es, besonders im „christlichen“ Rußland, erneut zu gewalttätigen antisemitischen Aktionen, durch die die Hoffnungen der Anhänger seiner Bewegung zerstört wurden, weshalb sich danach viele darauf konzentrierten, einen politischen Zufluchtsort für die Juden zu finden. Sie lehnten die Vorstellung von einem persönlichen Messias ab, der die Juden nach Israel zurückführen würde, und begannen, mit anderen Mitteln an der Gründung eines jüdischen Staates zu arbeiten. Auf diese Weise entstand dann das Konzept des Zionismus — „die Säkularisierung des ... jüdischen Messianismus“, wie es in einem maßgeblichen Werk heißt.

28. Welche Ereignisse im 20. Jahrhundert beeinflußten die Anschauungen der Juden?

28 Die Ermordung von ungefähr sechs Millionen europäischen Juden in dem von den Nazis verursachten Holocaust (1935—1945) verlieh dem Zionismus den endgültigen Impuls und rief in der ganzen Welt große Sympathie dafür hervor. Mit der Gründung des Staates Israel im Jahre 1948 verwirklichte sich der zionistische Traum, und das bringt uns zu dem heutigen Judentum und zu der Frage: Was glauben die Juden heute?

Gott ist E i n e r

29. (a) Was ist unter „Judentum“ zu verstehen? (b) Was ist für die jüdische Religion charakteristisch? (c) Nenne einige jüdische Feste und Bräuche.

29 Unter „Judentum“ ist sowohl die Gesamtheit der Juden als auch deren Religion zu verstehen. Wer sich daher zum Judentum bekehrt, wird sowohl ein Angehöriger des jüdischen Volkes als auch der jüdischen Religion. Die jüdische Religion ist im strengsten Sinne monotheistisch und lehrt, daß Gott in die Geschichte der Menschheit eingreift, besonders im Zusammenhang mit den Juden. Zum jüdischen Kult gehören mehrere jährliche Feste und verschiedene Bräuche. (Siehe Kasten, Seite 230, 231.) Wenn es auch keine Glaubensbekenntnisse oder Dogmen gibt, die von allen Juden anerkannt werden, so bildet doch das Bekenntnis der Einzigkeit Gottes, das im Schema (einem Gebet, dem 5. Mose 6:4 zugrunde liegt) zum Ausdruck kommt, das Hauptstück des synagogalen Gottesdienstes: „Höre, Jisraël! Der Ewige ist unser Gott; der Ewige ist Einer.“

30. (a) Welche Vorstellung haben die Juden von Gott? (b) Wieso widerspricht die jüdische Anschauung über Gott der der Christenheit?

30 Dieser Glaube an einen einzigen Gott wurde an das Christentum und den Islam weitergegeben. Dr. J. H. Hertz, ein Rabbiner, schreibt: „Diese erhabene Verkündigung des reinen Monotheismus bedeutete zugleich eine Kriegserklärung an jeden Polytheismus ... Das Schema schließt ebenso die Dreieinigkeit des christlichen Glaubensbekenntnisses als Verletzung der göttlichen Einheit aus.“ * Wenden wir uns nun aber der jüdischen Glaubensansicht über das Leben nach dem Tod zu.

Tod, Seele und Auferstehung

31. (a) Wie drang die Lehre von der unsterblichen Seele in die jüdische Religion ein? (b) Welches Dilemma entstand durch die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele?

31 Nach einer der Grundlehren des heutigen Judentums hat der Mensch eine unsterbliche Seele, die beim Tod des Körpers weiterlebt. Stammt diese Lehre aber aus der Bibel? Die Encyclopaedia Judaica gibt offen zu: „Die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele drang wahrscheinlich unter griechischem Einfluß in die jüdische Religion ein.“ Dadurch entstand jedoch ein doktrinäres Dilemma, denn in demselben Werk wird gesagt: „Im Grunde widersprechen sich die Lehre von der Auferstehung und die von der Unsterblichkeit der Seele. Gemäß der einen gibt es am Ende der Tage eine allgemeine Auferstehung, das heißt, daß alle in der Erde Schlafenden hervorkommen werden, während die andere vom Zustand der Seele nach dem Tod des Körpers spricht.“ Wie beseitigte man dieses Dilemma? „Man nahm an, daß die Seele des Verstorbenen nach dem Tod in einem anderen Bereich weiterlebt (wodurch die verschiedenen Ansichten über Himmel und Hölle entstanden), während sein Körper im Grab liegt bis zur leiblichen Auferstehung aller Toten hier auf der Erde.“

32. Was sagt die Bibel über die Toten?

32 Privatdozent Arthur Hertzberg schreibt: „In der [hebräischen] Bibel selbst ist der Rahmen, in dem sich das Leben des Menschen abspielt, diese Welt. Es gibt keine Doktrin von Himmel und Hölle, lediglich eine sich verstärkende Vorstellung von einer letztlichen Wiedererweckung der Toten am Ende aller Tage.“ Das ist eine einfache und zutreffende Erklärung dessen, was die Bibel sagt, nämlich, daß „die Toten ... nichts [kennen] ... Denn es gibt nicht Schaffen noch Planen, nicht Kenntnis noch Weisheit in Scheol [dem allgemeinen Grab der Menschheit], dahin du gehst“ (Prediger 9:5, 10; Daniel 12:1, 2; Jesaja 26:19).

33. Wie betrachteten die Juden die Lehre von der Auferstehung ursprünglich?

33 In der Encyclopaedia Judaica wird gesagt: „In der rabbinischen Zeit galt die Lehre von der Auferstehung der Toten als eine Zentrallehre des Judentums“, sie „ist vom Glauben an ... die Unsterblichkeit der Seele zu unterscheiden“. * Heute wird die Unsterblichkeit der Menschenseele jedoch von allen Richtungen des Judentums anerkannt, die Auferstehung der Toten dagegen nicht.

34. Wie beschreibt der Talmud die Seele im Gegensatz zur Bibel? Was sagen spätere Kommentatoren darüber?

34 Im Gegensatz zur Bibel enthält der Talmud, der unter hellenistischem Einfluß entstanden ist, nicht nur eine Fülle von Erklärungen und Geschichten, sondern sogar Beschreibungen der unsterblichen Seele. Später ist in der Literatur der Kabbala (der jüdischen Geheimlehre) sogar von der Reinkarnation (Seelenwanderung) die Rede, die im wesentlichen eine alte hinduistische Lehre ist. (Siehe Kapitel 5.) Von den Juden in Israel wird diese Lehre heute allgemein akzeptiert, und auch im Glauben und in der Literatur der Chassidim spielt sie eine wichtige Rolle. Martin Buber gibt in seinem Buch Die Erzählungen der Chassidim zum Beispiel folgende Geschichte über die Seele wieder, die aus der Schule Elimelechs, eines Rabbiners von Lezajsk, stammt: „Wenn Rabbi Abraham Jehoschua am Versöhnungstag den Bericht vom Dienst des Hohenpriesters im Allerheiligsten wiederholte und an die Stelle kam, wo es heißt: ‚Und so sprach er‘, sagte er jedesmal nicht diese Worte, sondern er sagte: ‚Und so sprach ich.‘ Denn er hatte die Zeit, da seine Seele in einem Hohenpriester zu Jerusalem war, nicht vergessen.“

35. (a) Wie ist das Reformjudentum zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele eingestellt? (b) Was lehrt die Bibel klar und deutlich über die Seele?

35 Das Reformjudentum hat den Glauben an die Auferstehung sogar direkt verworfen. Man hat das Wort aus den reformjüdischen Gebetsbüchern ausgemerzt, was zeigt, daß man nur noch an die unsterbliche Seele glaubt. Wieviel verständlicher ist doch die biblische Ansicht, die in 1. Mose 2:7 zum Ausdruck kommt: „Da bildete der Ewige, Gott, den Menschen aus Staub vom Erdboden und hauchte Lebensodem in sein Antlitz; so ward der Mensch ein lebend Wesen [eine lebende Seele, The Holy Scriptures According to the Masoretic Text, 1917, The Jewish Publication Society of America].“ Die Vereinigung von Seele und Geist (Lebenskraft) ergibt „eine lebende Seele“ * (1. Mose 2:7; 7:22; Psalm 146:4). Umgekehrt: Stirbt der menschliche Sünder, so stirbt die Seele (Hesekiel 18:4, 20). Somit hört der Mensch, wenn er stirbt, auf zu existieren und Bewußtsein zu haben. Seine Lebenskraft kehrt zu Gott zurück, der sie gegeben hat (Prediger 3:19; 9:5, 10; 12:7). Die wahrhaft biblische Hoffnung für die Toten ist die Auferstehung (hebräisch: techijáth hammethím, „Wiederbelebung der Toten“).

36, 37. Wie dachten treue Hebräer in biblischen Zeiten über ein künftiges Leben?

36 So überraschend diese Schlußfolgerung selbst für viele Juden sein mag, so hofften Anbeter des wahren Gottes doch schon vor Jahrtausenden tatsächlich auf eine Auferstehung. Vor etwa 3 500 Jahren sprach der gottesfürchtige, leidende Hiob von einer künftigen Zeit, zu der Gott ihn aus dem Scheol oder Grab auferwecken werde (Hiob 14:14, 15). Auch dem Propheten Daniel wurde versichert, daß er „am Ende der Tage“ auferstehen werde (Daniel 12:2, 13).

37 Nichts in der Bibel läßt die Schlußfolgerung zu, daß jene treuen Hebräer glaubten, sie hätten eine unsterbliche Seele, die in einem Jenseits weiterleben würde. Sie hatten offensichtlich Grund genug zu glauben, daß der Souveräne Herr, der die Sterne des Weltalls zählt und ihre Bahnen bestimmt, sich zur Zeit der Auferstehung an sie erinnern würde. Sie waren ihm und seinem Namen treu gewesen, und so würde er auch ihnen treu sein (Psalm 18:26 [25, NW]; 147:4; Jesaja 25:7, 8; 40:25, 26).

Das Judentum und der Name Gottes

38. (a) Was geschah im Laufe der Jahrhunderte in bezug auf den Gebrauch des göttlichen Namens? (b) Worauf beruht der Name Gottes?

38 Nach der jüdischen Lehre existiert der Name Gottes zwar in schriftlicher Form, ist aber so heilig, daß er nicht ausgesprochen werden darf. * Demzufolge ist die richtige Aussprache in den letzten 2 000 Jahren verlorengegangen. Die Juden haben diesen Standpunkt jedoch nicht immer vertreten. Vor ungefähr 3 500 Jahren sagte Gott zu Moses: „So sollst du zu den Kindern Jisraël sprechen: Der Ewige [hebräisch: יהוה, JHWH], der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, Jizhaks und Jaakobs hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name für ewig, und dies meine Anrufung für alle Zeit“ (2. Mose 3:15; Psalm 135:13). Was hat es mit diesem Namen und seiner Anrufung auf sich? In dem Werk Pentateuch und Haftaroth von Dr. J. H. Hertz lautet eine Fußnote zu diesem Text: „Die Übersetzung des göttlichen Namens, der durch die vier hebr. Buchstaben J H W H ausgedrückt wird und stets ‚adonaj‘ [‚der Herr‘] ausgesprochen wird ... hat die gleiche hebr. Wurzel (hajah) wie Ehjeh: ‚sein‘.“ Hier haben wir also den heiligen Gottesnamen, das Tetragrammaton, die vier hebräischen Konsonanten JHWH (Jahwe), die in ihrer latinisierten Form im Laufe der Jahrhunderte in Deutsch als JEHOVA bekannt wurden.

39. (a) Warum ist der Name Gottes von Bedeutung? (b) Warum hörten die Juden auf, den göttlichen Namen auszusprechen?

39 Die Juden haben dem persönlichen Namen Gottes in ihrer ganzen Geschichte große Bedeutung beigemessen, nur in bezug auf die Verwendung des Namens traten vor längerer Zeit drastische Änderungen ein. Dr. A. Cohen schreibt in Everyman’s Talmud: „Besondere Ehre [wurde] Gottes ‚einzigartigem Namen‘ (Schem hameforasch) zugeschrieben, den er dem Volk Israel geoffenbart hatte, nämlich dem Tetragrammaton, JHVH.“ Der göttliche Name wurde geehrt, weil er die Person Gottes selbst darstellte und charakterisierte. Schließlich hatte Gott selbst seinen Namen bekanntgegeben und seinen Anbetern geboten, ihn zu gebrauchen. Das wird dadurch betont, daß der Name in der hebräischen Bibel 6 828mal vorkommt. Fromme Juden betrachten es jedoch als respektlos, Gottes persönlichen Namen auszusprechen. *

40. Was haben namhafte Juden über die Verwendung des göttlichen Namens gesagt?

40 Über das alte rabbinische (nicht biblische) Verbot, den Namen auszusprechen, schreibt der Rabbiner A. Marmorstein in seinem Buch The Old Rabbinic Doctrine of God: „Es gab eine Zeit, da dieses Verbot [den göttlichen Namen zu gebrauchen] unter den Juden völlig unbekannt war ... Weder in Ägypten noch in Babylonien kannten oder befolgten die Juden ein Gesetz, das ihnen den Gebrauch des Gottesnamens, des Tetragrammatons, im täglichen Gespräch oder bei Begrüßungen untersagte. Doch vom dritten Jahrhundert v. Chr. bis zum dritten Jahrhundert n. Chr. bestand ein solches Verbot und wurde teilweise befolgt.“ In früheren Zeiten war die Verwendung des Namens nicht nur gestattet, sondern wie Dr. Cohen sagt, „gab es sogar eine Zeit, wo man es befürwortete, wenn selbst der Laie den Namen frei und ungezwungen gebrauchte ... Man nimmt an, daß dieser Empfehlung der Wunsch zugrunde lag, den Israeliten vom [Nichtjuden] zu unterscheiden.“

41. Wie kam es nach den Worten eines Rabbiners dazu, daß die Verwendung des göttlichen Namens verboten wurde?

41 Wie kam es denn, daß die Verwendung des göttlichen Namens verboten wurde? Dr. Marmorsteins Antwort lautet: „Hellenistische [griechisch beeinflußte] Gegner der jüdischen Religion, abgefallene Priester und Vornehme des Volkes waren die ersten, die die Regel festlegten, daß das Tetragrammaton im Heiligtum [im Tempel in Jerusalem] nicht ausgesprochen werden dürfe.“ Um den göttlichen Namen ja nicht unnütz auszusprechen, unterdrückten sie seine Verwendung im Gespräch vollständig und untergruben und schwächten dadurch die Möglichkeit, den wahren Gott zu erkennen. Unter dem vereinten Druck religiöser Gegner und Abtrünniger hörten die Juden auf, den göttlichen Namen zu gebrauchen.

42. Was geht aus dem Bibelbericht in bezug auf den Gebrauch des göttlichen Namens hervor?

42 Dr. Cohen erklärt jedoch: „In biblischen Zeiten scheint man keine Bedenken gehabt zu haben, ... [den göttlichen Namen] im täglichen Gespräch zu verwenden.“ Der Patriarch Abraham „rief den Namen des Ewigen an“ (1. Mose 12:8). Die meisten Schreiber der hebräischen Bibel verwendeten den Namen ungezwungen, aber respektvoll, bis hin zum Buch Maleachi, das im fünften Jahrhundert v. u. Z. geschrieben wurde (Ruth 1:8, 9, 17).

43. (a) Was steht hinsichtlich des jüdischen Gebrauchs des göttlichen Namens einwandfrei fest? (b) Wie wirkte es sich indirekt aus, daß die Juden den göttlichen Namen nicht mehr gebrauchten?

43 Es steht also einwandfrei fest, daß die alten Hebräer den göttlichen Namen gebrauchten und aussprachen. Über die Änderung, die später eintrat, sagt Marmorstein: „Damals, in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts [v. Chr.], trat in bezug auf die Verwendung des Namens Gottes eine große Änderung ein, die für die Lehre der jüdischen Theologie und Philosophie manche Änderungen mit sich brachte, deren Auswirkungen heute noch zu verspüren sind.“ Der Verlust des Namens bewirkte unter anderem, daß durch die Vorstellung von einem unbekannten Gott ein theologisches Vakuum entstand, in dem sich die Dreieinigkeitslehre der Christenheit leichter entwickeln konnte * (2. Mose 15:1-3).

44. Wie wirkte sich die Unterdrückung des Gottesnamens noch aus?

44 Der Nichtgebrauch des göttlichen Namens beeinträchtigt die Anbetung des wahren Gottes. Ein Kommentator schrieb: „Die Bezeichnung ‚der Herr‘ für Gott ist zwar richtig, ist aber bedauerlicherweise kühl und farblos ... Man muß bedenken, daß man durch die Wiedergabe von JHWH oder Adonai mit ‚der Herr‘ vielen Textstellen des Alten Testaments eine abstrakte, förmliche und vage Note verleiht, die dem ursprünglichen Text völlig fremd ist“ (The Knowledge of God in Ancient Israel). Wie traurig ist es doch, feststellen zu müssen, daß der erhabene und bedeutsame Name Jahwe oder Jehova in vielen Bibelübersetzungen fehlt, da er doch im ursprünglichen hebräischen Text nachweislich Tausende von Malen vorkommt! (Jesaja 43:10-12).

Erwarten die Juden den Messias immer noch?

45. Welche biblische Stütze hat der Glaube an einen Messias?

45 Die Hebräischen Schriften enthalten viele Prophezeiungen, von denen Juden, die vor über 2 000 Jahren lebten, ihre messianische Hoffnung ableiteten. Aus 2. Samuel 7:11-16 ging hervor, daß der Messias aus dem Geschlecht Davids hervorgehen würde. In Jesaja 11:1-10 wurde vorhergesagt, daß er der ganzen Menschheit Gerechtigkeit und Frieden bringen werde. Anhand von Daniel 9:24-27 konnte errechnet werden, wann der Messias erscheinen sollte und wann er zu Tode gebracht werden würde.

46, 47. (a) Welche Art von Messias erwarteten die unter römischer Herrschaft lebenden Juden? (b) Inwiefern haben sich die jüdischen Messiaserwartungen geändert?

46 Gemäß der Encyclopaedia Judaica waren die messianischen Erwartungen der Juden im ersten Jahrhundert besonders hoch. Man erwartete als Messias „einen charismatisch begabten Nachkommen Davids, den, wie die Juden der Römerzeit glaubten, Gott erwecken werde, damit er das Joch der Heiden zerbreche und über ein wiederhergestelltes Königreich Israel regiere“. Der kämpferische Messias, den die Juden erwarteten, erschien jedoch nicht.

47 Wie die New Encyclopædia Britannica erwähnt, trug die messianische Hoffnung dennoch wesentlich dazu bei, das jüdische Volk in seinen vielen Drangsalen zusammenzuhalten: „Das Judentum verdankt sein Überleben weitgehend seinem unerschütterlichen Glauben an die messianische Verheißung und Zukunft.“ Mit dem Aufkommen des neuzeitlichen Judentums zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert gaben jedoch viele Juden ihr passives Warten auf den Messias auf. Wegen des von den Nazis verursachten Holocaust verloren letzten Endes viele Geduld und Hoffnung. Sie begannen die Botschaft vom Messias als eine Belastung zu betrachten und sprachen lediglich noch von einem neuen Zeitalter des Wohlstandes und des Friedens. Seither kann von den Juden — abgesehen von einigen Ausnahmen — kaum noch gesagt werden, sie erwarteten einen persönlichen Messias.

48. Welche Fragen erheben sich logischerweise in bezug auf das Judentum?

48 Dieser Wechsel zu einer nichtmessianischen Religion gibt zu schwerwiegenden Fragen Anlaß. War es ein Fehler, daß die Juden jahrtausendelang an einen persönlichen Messias glaubten? Welche Form des Judentums wird einem bei der Suche nach Gott eine Hilfe sein? Etwa das antike Judentum mit all seinem Beiwerk aus der griechischen Philosophie? Oder könnte es eine seiner nichtmessianischen Formen sein, die sich in den letzten 200 Jahren entwickelt haben? Oder gibt es noch einen anderen Weg, auf dem uns die messianische Hoffnung unversehrt erhalten geblieben ist?

49. Wozu werden aufrichtige Juden eingeladen?

49 Angesichts dieser Fragen empfehlen wir aufrichtigen Juden, das Thema Messias neu zu überdenken und zu prüfen, was von den jüdischen Schreibern der Griechischen Schriften — nicht von der Christenheit — über Jesus von Nazareth gesagt wird. Es besteht nämlich ein großer Unterschied. Die Religionsgemeinschaften der Christenheit haben durch ihre unbiblische Lehre von der Dreieinigkeit dazu beigetragen, daß die Juden Jesus verworfen haben, denn diese Lehre ist für jeden Juden unannehmbar, der die reine Lehre hochhält: „Der Ewige ist unser Gott; der Ewige ist Einer“ (5. Mose 6:4). Es empfiehlt sich daher, das folgende Kapitel unvoreingenommen zu lesen, um den Jesus der Griechischen Schriften kennenzulernen.

[Fußnoten]

^ Abs. 4 Vergleiche 1. Mose 5:22-24, Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift — mit Studienverweisen, zweite Fußnote zu Vers 22.

^ Abs. 5 Wenn nicht anders vermerkt, liegt den Zitaten in diesem Kapitel Die Heilige Schrift — Neu ins Deutsche übertragen von N. H. Tur-Sinai (Jerusalem, The Jewish Publishing House Ltd.) zugrunde.

^ Abs. 7 Die hier angeführten chronologischen Angaben stützen sich auf die Bibel als Autorität. (Siehe das Buch „Die ganze Schrift ist von Gott inspiriert und nützlich“, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft, Lehrstück 3, „Ereignisse in den Strom der Zeit einordnen“.)

^ Abs. 17 Der jüdische Geschichtsschreiber Joseph ben Mathitjahu (Flavius Josephus) berichtet, daß die Juden Alexander bei dessen Ankunft in Jerusalem die Tore öffneten und ihm die Prophezeiung aus dem Buch Daniel zeigten, die über 200 Jahre früher aufgezeichnet worden war und in der Alexanders Eroberungsfeldzüge, die er als König der Griechen durchführte, genau beschrieben worden waren (Jüdische Altertümer, 11. Buch, Kapitel 8, Abs. 5; Daniel 8:5-8, 21).

^ Abs. 18 In der Zeit der Makkabäer (Hasmonäer, 165 bis 63 v. u. Z.) zwangen jüdische Führer wie Johannes Hyrkanos sogar große Teile der Bevölkerung in den von ihnen eroberten Gebieten, sich zum Judentum zu bekehren. Interessanterweise waren zu Beginn unserer Zeitrechnung 10 Prozent der Bevölkerung im Mittelmeerraum jüdisch. Diese Zahl läßt den Einfluß des jüdischen Proselytismus deutlich erkennen.

^ Abs. 30 In der New Encyclopædia Britannica wird gesagt: „Das trinitarische Glaubensbekenntnis der Christenheit ... unterscheidet diese von den beiden anderen klassischen monotheistischen Religionen [Judentum und Islam].“ Die Kirche entwickelte die Trinität, obwohl „die Bibel der Christen keine ausdrücklich trinitarischen Erklärungen über Gott enthält“.

^ Abs. 33 Abgesehen von der Bibel, wurde sie als ein Glaubensartikel in der Mischna (Sanhedrin 10:1) gelehrt und war auch im letzten der 13 Glaubensartikel des Maimonides enthalten. Bis zum 20. Jahrhundert galt die Leugnung der Auferstehung als Ketzerei.

^ Abs. 35 „Die Bibel sagt nicht, wir hätten eine Seele. ‚Nefesch‘ ist die Person selbst, ihr Nahrungsbedürfnis, das Blut in ihren Adern, ihr Wesen“ (Dr. H. M. Orlinsky, Hebrew Union College).

^ Abs. 38 Siehe 2. Mose 6:3, wo in der Tanakh-Übersetzung der Bibel (englisch) an dieser Stelle im englischen Text das Tetragrammaton erscheint. (In der Illustrirten Pracht Bibel für Israeliten von Prof. Dr. Julius Fürst, Leipzig 1874 steht im deutschen Text an dieser Stelle Jehova.)

^ Abs. 39 In der Encyclopaedia Judaica heißt es: „Das Aussprechen des Namens JHWH zu vermeiden ist ... auf ein Mißverständnis des dritten Gebots zurückzuführen (2. Mo. 20:7; 5. Mo. 5:11): ‚Du sollst den Namen JHWH, deines Gottes, nicht mißbrauchen‘, während es in Wirklichkeit bedeutet: ‚Du sollst bei dem Namen JHWH, deines Gottes, nicht falsch schwören.‘ “

^ Abs. 43 George Howard, außerordentlicher Professor für Religion und Hebraistik an der Universität von Georgia, stellt fest: „Im Laufe der Zeit wurden die beiden Gestalten [Gott und Christus] immer enger miteinander in Verbindung gebracht, bis es oft unmöglich war, sie voneinander zu unterscheiden. Daher könnte die Ausmerzung des Tetragrammatons erheblich zu den späteren christologischen und trinitarischen Debatten beigetragen haben, die der Kirche der ersten Jahrhunderte sehr zu schaffen machten. Wie dem auch sei, die Ausmerzung des Tetragrammatons schuf möglicherweise ein anderes theologisches Klima im Vergleich zu dem, das in der Neuen-Testament-Periode des ersten Jahrhunderts geherrscht hatte“ (Biblical Archaeology Review, März 1978).

[Studienfragen]

[Herausgestellter Text auf Seite 217]

Sephardische und aschkenasische Juden bildeten zwei Gemeinschaften

[Kasten/Bild auf Seite 211]

Zehn Gebote für Anbetung und Lebenswandel

Millionen Menschen haben schon von den Zehn Geboten gehört, aber wenige haben sie je gelesen. Deshalb geben wir hier die wichtigsten Passagen ihres Wortlauts wieder.

„Du sollst keine anderen Götter haben vor mir!

▪ Du sollst dir kein Bildnis machen und keinerlei Gestalt dessen, was im Himmel oben und was auf Erden unten und was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich vor ihnen nicht niederwerfen und ihnen nicht dienen ... [Damals, 1513 v. u. Z., war dieses Gebot, das den Götzendienst verwarf, einzigartig.]

Du sollst den Namen des Ewigen [hebräisch: יהוה], deines Gottes, nicht zur Unwahrheit aussprechen ...

Gedenke des Sabbattages, ihn zu heiligen! ... der Ewige [hat] den Sabbattag gesegnet und ihn geheiligt.

Ehre deinen Vater und deine Mutter ...

Du sollst nicht morden!

Du sollst nicht ehebrechen!

Du sollst nicht stehlen!

Du sollst nicht aussagen wider deinen Nächsten als falscher Zeuge!

Du sollst nicht begehren das Haus deines Nächsten! Du sollst nicht begehren das Weib deines Nächsten, noch seinen Knecht, seine Magd, seinen Ochsen, seinen Esel, noch alles, was deinem Nächsten gehört“ (2. Mose 20:3-14).

Zwar beziehen sich nur die ersten vier Gebote auf den Glauben und die Anbetung, aber die anderen lassen die Verbindung zwischen einem einwandfreien Lebenswandel und dem richtigen Verhältnis zum Schöpfer erkennen.

[Bild]

Trotz des einzigartigen Gesetzes, das die Israeliten von Gott erhalten hatten, ahmten sie den Kälberkult ihrer heidnischen Nachbarn nach (Goldenes Kalb, Byblos)

[Kasten/Bilder auf Seite 220, 221]

Die heiligen Schriften der Hebräer

Die heiligen Schriften der Hebräer begannen mit „Tenach“. Der Name „Tenach“ ist eine Abkürzung aus den Anfangsbuchstaben der Namen der drei Hauptteile, in die die jüdische Bibel zerfällt: Thora (Gesetz), Nebiim (Propheten) und Ketubim (Schriften) = TeNaCh. Diese Bücher wurden zwischen dem 16. und dem 5. Jahrhundert v. u. Z. in Hebräisch und Aramäisch geschrieben.

Nach jüdischer Auffassung ist der Grad der Inspiration, unter der sie geschrieben wurden, unterschiedlich. Deshalb reihen die Juden sie ihrer Wichtigkeit nach, d. h. dem Grad der Inspiration entsprechend, wie folgt ein:

Thora — die fünf Bücher Mose, auch Pentateuch (griechisch: fünf Schriftrollen) genannt, das GESETZ, bestehend aus Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Die Bezeichnung „Thora“ kann sich aber sowohl auf die gesamte jüdische Bibel als auch auf das mündliche Gesetz und den Talmud beziehen (siehe nächste Seite).

Nebiim — die Propheten: von Josua bis zu den Großen Propheten — Jesaja, Jeremia und Hesekiel —; ferner die 12 „Kleinen“ Propheten von Hosea bis Maleachi.

Ketubim — die Schriften, die aus den poetischen Werken bestehen: Psalmen, Sprüche, Hiob, Hoheslied und Klagelieder. Außerdem gehören Ruth, Prediger, Esther, Daniel, Esra, Nehemia sowie 1. und 2. Chronika dazu.

Der Talmud

Vom nichtjüdischen Standpunkt aus ist „Tenach“, d. h. die jüdische Bibel, das wichtigste Werk der jüdischen Literatur. Der jüdische Standpunkt weicht jedoch davon ab. Viele Juden würden folgendem Kommentar des Rabbiners Adin Steinsaltz zustimmen: „Wenn die Bibel der Eckstein des Judentums ist, dann ist der Talmud die Mittelsäule, die sich vom Fundament aus erhebt und das ganze religiöse und intellektuelle Gebäude trägt ... Kein anderes Werk hat die Denk- und Handlungsweise der Juden in gleichem Maße beeinflußt“ (The Essential Talmud). Was ist denn der Talmud?

Orthodoxe Juden glauben, daß Gott Moses auf dem Berg Sinai nicht nur das geschriebene Gesetz, die Thora, gab, sondern ihm auch bestimmte Erklärungen über die Anwendung dieses Gesetzes enthüllte, die mündlich weitergegeben werden sollten. Diese Erklärungen nannte man das mündliche Gesetz. Der Talmud ist die schriftliche Zusammenfassung dieses mündlichen Gesetzes mit späteren Kommentaren und Erklärungen, von Rabbinern zwischen dem zweiten Jahrhundert u. Z. und dem Mittelalter zusammengestellt.

Der Talmud wird allgemein in zwei Hauptabschnitte unterteilt:

Die Mischna: Eine Sammlung von ergänzenden Kommentaren zum biblischen Gesetz, denen die Erklärungen von Rabbinern, Tannaiten (Lehrer) genannt, zugrunde liegen. Sie wurde Ende des zweiten und Anfang des dritten Jahrhunderts u. Z. schriftlich niedergelegt.

Die Gemara (ursprünglich Talmud genannt): Eine Sammlung von Kommentaren zur Mischna, die von Rabbinern einer späteren Zeit (zwischen dem dritten und sechsten Jahrhundert u. Z.) zusammengestellt wurde.

Außer diesen beiden Hauptteilen kann der Talmud auch Kommentare zur Gemara enthalten, die von Rabbinern im Mittelalter verfaßt wurden. Besonders bekannt waren Raschi (Salomo Ben Isaak, 1040—1105), der die schwierige Sprache des Talmuds verständlicher machte, und Rambam (Mose Ben Maimon, besser bekannt als Maimonides, 1135—1204), der den Talmud in eine übersichtlich und systematisch aufgebaute Wiedergabe („Mischne Tora“) zusammenfaßte und ihn so allen Juden zugänglich machte.

[Bilder]

Unten: Alte Thora aus dem vermeintlichen Grab Esthers, Iran Rechts: Hymne in Hebräisch und Jiddisch, der Bibelverse zugrunde liegen

[Kasten/Bilder auf Seite 226, 227]

Das Judentum — eine Religion vieler Stimmen

Zwischen den verschiedenen Strömungen des Judentums bestehen wesentliche Unterschiede. Von der Tradition her betont das Judentum die Ausübung der Religion. Diskussionen hierüber — weniger über Glaubensansichten — haben unter den Juden ernsthafte Spannungen hervorgerufen und zur Bildung von drei Hauptrichtungen geführt.

ORTHODOXES JUDENTUM — Diese Gemeinschaft erkennt nicht nur an, daß die Hebräischen Schriften („Tenach“) inspiriert sind, sondern glaubt auch, daß Moses das mündliche Gesetz auf dem Berg Sinai zur gleichen Zeit erhielt wie das geschriebene Gesetz. Die orthodoxen Juden halten sich peinlich genau an die Vorschriften beider Gesetze. Sie glauben, daß der Messias noch kommen und für Israel ein goldenes Zeitalter herbeiführen wird. Meinungsverschiedenheiten innerhalb der orthodoxen Bewegung haben zu verschiedenen Strömungen geführt, beispielsweise zum Chassidismus.

Chassidim („Fromme“) — Die Chassidim gelten als besonders strenggläubig. Gegründet wurde der Chassidismus Mitte des 18. Jahrhunderts in Osteuropa von Israel Ben Elieser, genannt Baal Schem Tov („Herr des guten Namens“). Seine Anhänger folgten einer Lehre, verbunden mit Musik und Tanz, die zu ekstatischer Freude führte. Viele ihrer Glaubensansichten, auch die über die Seelenwanderung, wurzeln in der mystischen jüdischen Literatur, bekannt als Kabbala. Heute werden sie von Rebbes (jiddisch für „Rabbis“) oder Zaddikim geleitet, die von ihren Anhängern als äußerst gerecht oder als Heilige betrachtet werden.

Die Chassidim sind heute hauptsächlich in den Vereinigten Staaten und in Israel zu finden. Sie tragen eine besondere Art osteuropäische Kleidung (meist in Schwarz) aus dem 18. und 19. Jahrhundert, durch die sie vor allem im modernen Stadtbild allgemein auffallen. Heute sind sie in verschiedene Sekten aufgespalten, die verschiedenen berühmten Rebbes folgen. Eine sehr aktive Gruppe sind die Lubavitchers, die sich eifrig bemühen, Anhänger unter den Juden zu finden. Einige Gruppen glauben, daß nur der Messias berechtigt sei, Israel als jüdische Nation wiederherzustellen, weshalb sie gegen den Staat Israel sind.

REFORMJUDENTUM (auch als „liberal“ und „progressiv“ bekannt) — Diese Bewegung entstand kurz vor Beginn des 19. Jahrhunderts in Westeuropa. Sie fußt auf den Ideen Moses Mendelssohns, eines jüdischen Intellektuellen aus dem 18. Jahrhundert, der der Meinung war, die Juden sollten sich eher der westlichen Kultur anpassen, als sich von den Nichtjuden abzusondern. Die Reformjuden bestreiten, daß die Thora von Gott geoffenbarte Wahrheit ist. Sie betrachten die jüdischen Speisegesetze und die Vorschriften über Reinheit und Kleidung als überholt. Sie glauben an eine sogenannte „messianische Ära einer universellen Bruderschaft“. In den letzten Jahren sind sie wieder mehr zu dem traditionellen Judentum zurückgekehrt.

KONSERVATIVES JUDENTUM — Eine Bewegung, die 1845 in Deutschland als Nebenzweig des Reformjudentums entstand, weil dieses angeblich zu viele traditionelle jüdische Bräuche ablehnte. Das konservative Judentum glaubt nicht, daß Moses das mündliche Gesetz von Gott empfangen hat, sondern steht auf dem Standpunkt, daß die Rabbiner, die versuchten, das Judentum einer neuen Ära anzupassen, die mündliche Thora ersonnen haben. Die konservativen Juden gehorchen den biblischen Geboten und den rabbinischen Gesetzen, sofern diese „den heutigen Bedingungen des jüdischen Lebens entsprechen“ (The Book of Jewish Knowledge). Sie führen ihre Gottesdienste in Hebräisch und in der Landessprache durch und halten sich streng an bestimmte Speisegesetze (Kaschruth). Männer und Frauen dürfen während des Gottesdienstes zusammensitzen, was bei den Orthodoxen nicht erlaubt ist.

[Bilder]

Links: Juden an der Klagemauer in Jerusalem Oben: Betender Jude mit Jerusalem im Hintergrund

[Kasten/Bilder auf Seite 230, 231]

Einige wichtige Feste und Bräuche

Die meisten jüdischen Feste beruhen auf der Bibel und sind wegen ihrer Verbindung mit verschiedenen Ernten jahreszeitlich bedingt oder erinnern an historische Ereignisse.

Schabat (Sabbat) — Der siebte Tag der jüdischen Woche (vom Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Samstag) gilt als der Tag, durch den die Woche geheiligt wird, und die genaue Einhaltung dieses Tages bildet einen wesentlichen Teil der Anbetung. Die Juden besuchen die Synagoge, um Thoralesungen und Gebeten beizuwohnen (2. Mose 20:8-11).

▪ Jom Kippur — Versöhnungstag, ein hoher Feiertag, der durch Fasten und Selbstprüfung gekennzeichnet ist. Er bildet den Höhepunkt der zehn Bußtage, die mit Rosch Ha-Schana, dem jüdischen Neujahrstag (der nach dem bürgerlichen Kalender der Juden in den September fällt), beginnen (3. Mose 16:29-31; 23:26-32).

▪ Sukkot (oben rechts) — Laubhüttenfest oder Fest der Einsammlung. Es dient als Erntefest am Ende des größten Teils des landwirtschaftlichen Jahres. Es wird im Oktober gefeiert (3. Mose 23:34-43; 4. Mose 29:12-38; 5. Mose 16:13-15).

▪ Chanukka — Fest der Einweihung. Ein beliebtes Fest, das im Dezember gefeiert wird und an die durch die Makkabäer herbeigeführte Befreiung der Juden von der syro-griechischen Herrschaft sowie an die Wiedereinweihung des Tempels in Jerusalem im Dezember 165 v. u. Z. erinnert. Charakteristisch dafür ist das Anzünden von Kerzen während acht Tagen.

▪ Purim — Losfest. Es wird Ende Februar oder Anfang März gefeiert und erinnert an die Rettung der Juden in Persien (im fünften Jahrhundert v. u. Z.) vor der Vernichtung durch Hamans Komplott (Esther 9:20-28).

▪ Pessach — Passahfest. Fest zur Erinnerung an die Befreiung Israels aus der ägyptischen Knechtschaft (1513 v. u. Z.). Das Passahfest ist das höchste und älteste jüdische Fest. Es wird am 14. Nisan (jüdischer Kalender) gefeiert, der gewöhnlich in die zweite Hälfte des März oder in die erste Hälfte des April fällt. Jede jüdische Familie kommt zusammen, um gemeinsam am Passahmahl (Seder) teilzunehmen. Während der folgenden sieben Tage darf kein Sauerteig genossen werden. Diese Zeit wird Fest der ungesäuerten Brote (Matzen) genannt (2. Mose 12:14-20, 24-27).

Einige jüdische Bräuche

▪ Beschneidung — Eine für jüdische Knaben wichtige Zeremonie, die durchgeführt wird, wenn sie acht Tage alt sind. Man spricht davon oft als vom Abraham-Bund, da die Beschneidung das Zeichen des Bundes war, den Gott mit Abraham geschlossen hatte. Männer, die sich zum Judentum bekehren, müssen ebenfalls beschnitten werden (1. Mose 17:9-14).

▪ Bar-Mizwa (unten) — Ein weiteres wichtiges Ritual. Bar-Mizwa bedeutet wörtlich „Sohn des Gebots“ und „bezeichnet die religiöse und gesetzliche Mündigkeit, die ein Junge erreicht, sobald er 13 Jahre und 1 Tag alt ist“. Dieser jüdische Brauch kam erst im 15. Jahrhundert u. Z. auf (Encyclopaedia Judaica).

▪ Mesusa (oben) — Eine jüdische Wohnung erkennt man gewöhnlich leicht an der Mesusa, einer Rollenkapsel, die auf der rechten Seite des Türpfostens, vom Eintretenden aus gesehen, angebracht ist. Die Mesusa ist eigentlich ein kleiner Pergamentstreifen, der mit den Worten aus 5. Mose 6:4-9 und 11:13-21 beschriftet ist. Er wird zusammengerollt und in eine kleine Kapsel gelegt. Eine solche Kapsel wird an allen Eingängen jedes Wohnraums befestigt.

▪ Jarmulke (Käppchen für Männer) — In der Encyclopaedia Judaica heißt es: „Orthodoxe Juden ... betrachten die Kopfbedeckung in und außerhalb der Synagoge als Zeichen der Treue gegenüber der jüdischen Tradition.“ In „Tenach“ wird nichts vom Bedecken des Kopfes während der Anbetung gesagt, weshalb dieser Brauch nach dem Talmud nicht verbindlich ist. Chassidische Jüdinnen tragen entweder ständig eine Kopfbedeckung oder scheren sich den Kopf und tragen eine Perücke.

[Bild auf Seite 206]

Abram (Abraham), der Vorvater der Juden, betete vor nahezu 4 000 Jahren Jehova Gott an

[Bild auf Seite 208]

Davidsstern — ein nichtbiblisches Symbol Israels und des Judentums

[Bild auf Seite 215]

Ein jüdischer Schriftgelehrter, der einen hebräischen Text abschreibt

[Bild auf Seite 222]

Chassidische jüdische Familie feiert den Sabbat

[Bild auf Seite 233]

Fromme Juden, die am Arm und an der Stirn Phylakterien oder Gebetskapseln tragen