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Hinduismus — Die Suche nach Befreiung

Hinduismus — Die Suche nach Befreiung

Kapitel 5

Hinduismus — Die Suche nach Befreiung

„In der hinduistischen Gesellschaft ist es ein religiöser Brauch, daß man jeden Morgen als erstes in einem Fluß in der Nähe der Wohnung badet oder auch zu Hause, wenn es in der näheren Umgebung keinen Fluß oder Bach gibt. Die Menschen glauben, daß sie dadurch heilig werden. Dann gehen sie, noch ohne gefrühstückt zu haben, in den Tempel an ihrem Wohnort und opfern dem Lokalgott Blumen oder Speisen. Einige waschen den Götzen und verschönern ihn mit rotem und gelbem Puder.

Sozusagen in jedem Privathaus gibt es eine Ecke oder gar ein Zimmer für die Verehrung des Lieblingsgottes der Familie. An einigen Orten ist Ganescha, der elefantenköpfige Gott, besonders beliebt. Die Leute beten zu ihm um Erfolg, weil er als Beseitiger aller Hindernisse gilt. In anderen Gegenden wird in erster Linie Krischna, Rama, Schiwa, Durga oder eine andere Gottheit verehrt“ (Tara C., Katmandu [Nepal]).

1. (a) Beschreibe einige Bräuche der Hindus. (b) Welche Unterschiede bestehen zwischen den Ansichten eines Hindus und denen eines westlichen Menschen?

WAS versteht man unter Hinduismus? Sind seine Merkmale nur die Tierverehrung, das Baden im Ganges und das Kastenwesen, wie man im Westen grob vereinfacht denkt? Oder gehört mehr dazu? Die Antwort: Es gehört sehr viel mehr dazu. Der Hindu versteht das Leben ganz anders als der westliche Mensch, dessen Werte ihm völlig fremd sind. Der westliche Mensch sieht das Leben als eine chronologische Reihe geschichtlicher Ereignisse. Hindus sehen das Leben als einen ewigen Kreislauf an, bei dem die Geschichte von geringer Bedeutung ist.

2, 3. (a) Warum ist es schwierig, den Hinduismus zu definieren? (b) Was schreibt ein indischer Schriftsteller über den Hinduismus und über Polytheismus?

2 Es ist keine leichte Aufgabe, den Hinduismus zu definieren, denn er hat keine einheitliche Lehre und keine priesterliche oder zentrale Hierarchie. Allerdings hat er Swamis (Lehrer) und Gurus (Meister, religiöse Lehrer). Eine allgemeine Definition des Hinduismus, die in einem Geschichtswerk zu lesen ist, lautet wie folgt: „Der ganze Komplex von Glaubensanschauungen und Institutionen, die sich seit der Abfassung ihrer alten (heiligen) Schriften, der Weden, bis jetzt entwickelt haben.“ Eine andere Definition lautet: „Hinduismus [bedeutet] den Kult der Götter Wischnu oder Schiwa oder der Göttin Schakti beziehungsweise einen Kult ihrer Inkarnationen, verschiedenen Aspekte, Ehegatten oder Nachkommen.“ Das würde auch den Kult des Rama und des Krischna (Inkarnationen des Wischnu) einschließen sowie der Durga, des Skanda und des Ganescha (Gattin bzw. Söhne des Schiwa). Es heißt, daß es im Hinduismus 330 Millionen Götter gibt, dennoch soll der Hinduismus nicht polytheistisch sein. Wie ist das möglich?

3 Der indische Schriftsteller A. Parthasarathy schreibt: „Die Hindus sind nicht polytheistisch. Der Hinduismus spricht nur von einem Gott ... Die verschiedenen Götter und Göttinnen des hinduistischen Pantheons stellen lediglich die Kräfte und die Aufgaben des einen höchsten Gottes in der manifesten Welt dar.“

4. Was umfaßt der Ausdruck „Hinduismus“?

4 Die Hindus sprechen häufig von ihrem Glauben als dem Sanatana-Dharma, was „das ewige Gesetz“ bedeutet. Das Wort „Hinduismus“ * ist eigentlich ein ungenauer Ausdruck für die zahlreichen religiösen Gruppen oder Sekten (Sampradayas), die im Laufe der Jahrtausende unter dem Schirm der komplexen alten hinduistischen Mythologie entstanden sind und floriert haben. Diese Mythologie ist so verwickelt, daß das Werk New Larousse Encyclopedia of Mythology schreibt: „Die indische Mythologie ist ein undurchdringlicher dichter Dschungel. Wenn man ihn betritt, sieht man das Tageslicht nicht mehr und verliert die Orientierung.“ Dennoch werden in diesem Kapitel einige Merkmale und Lehren dieser Religion behandelt werden.

Die Wurzeln des Hinduismus

5. Wie weit verbreitet ist der Hinduismus?

5 Der Hinduismus ist zwar nicht so weit verbreitet wie einige andere Religionen, dennoch beträgt die Zahl der Anhänger jetzt, im Jahre 1990, fast 700 Millionen, das heißt, daß etwa jeder achte Erdbewohner (13 %) ein Hindu ist. Die Mehrzahl der Hindus lebt in Indien. Es ist daher nur natürlich, daß man sich fragt: Wie kommt es, daß sich der Hinduismus gerade in Indien ausgebreitet hat?

6, 7. (a) Wie gelangte gemäß einigen Historikern der Hinduismus nach Indien? (b) Wie wird im Hinduismus die Flutsage erzählt? (c) Welche Religion wurde gemäß dem Archäologen John Marshall im Industal vor der Ankunft der Arier praktiziert?

6 Einige Historiker sagen, der Hinduismus sei vor 3 500 Jahren entstanden, als hellhäutige Arier aus dem Nordwesten in das Industal eingewandert seien, das jetzt hauptsächlich zu Pakistan und (ein kleiner Teil) zu Indien gehört. Von dort breiteten sie sich in den Ebenen des Ganges und in ganz Indien aus. Einige Experten sagen, altiranische und babylonische Lehren hätten den religiösen Anschauungen der Einwanderer zugrunde gelegen. Der Hinduismus kennt auch die Flutsage, die in vielen Kulturen verbreitet ist. (Siehe Kasten, Seite 120.)

7 Welche Religion pflegten die Bewohner des Industales, ehe die Arier kamen? Der Archäologe Sir John Marshall schreibt: „Da wäre zuerst einmal die ‚Große Mutter‘, schwangere weibliche Figurinen, die meisten nackt, mit hohem Kragen und Kopfputz. ... Dann gibt es den ‚männlichen Gott‘, der unmittelbar als Prototyp des späteren Shiva erkennbar ist: Er sitzt die Fußsohlen gegeneinandergestellt (eine Yoga-Haltung), mit erigiertem Phallus (was an den Lingakult erinnert) und ist von Tieren umgeben (Shiva als ‚Herr der Tiere‘). Darstellungen aus Stein von Phallus und Vulva kommen zahlreich vor ..., was auf den Linga- und Yoni(Mutterschoß)-Kult von Shiva und seiner Gemahlin deutet“ (Geoffrey Parrinder, Die Religionen der Welt). Auch heute noch wird Schiwa als Fruchtbarkeitsgott, als Gott des Lingas oder Phallus, verehrt. Sein Reittier ist der Stier Nandi.

8, 9. (a) In welcher Weise widerspricht ein indischer Gelehrter Marshalls Theorie? (b) Was wird den „Christen“ in Verbindung mit den von den Hindus verehrten Gegenständen vorgeworfen? (c) Was liegt den heiligen Schriften der Hindus zugrunde?

8 Der indische Gelehrte Swami Sankarananda widerspricht Marshalls Interpretation und sagt, daß ursprünglich die verehrten Steine — einige sind als Schiwalinga bekannt — Symbole „des Feuers des Himmels oder der Sonne und des Feuers der Sonne, ihrer Strahlen, waren“ (The Rigvedic Culture of the Pre-Historic Indus). Er begründet das wie folgt: „Der Geschlechtskult ... entstand nicht als ein religiöser Kult. Er entwickelte sich später. Er ist eine Entartung des ursprünglichen Kultes. Die Menschen ziehen das Ideal, das zu hoch ist, als daß sie es begreifen könnten, auf ihr eigenes Niveau herab.“ Als Argument gegen die abendländische Kritik am Hinduismus sagt er, daß die Christen, die das Kreuz verehren — bei den Heiden ein phallisches Symbol — „Anhänger eines Geschlechtskults“ seien.

9 Im Laufe der Zeit wurden die indischen Glaubensanschauungen, Mythen und Sagen schriftlich festgehalten, und heute bilden sie die heiligen Schriften des Hinduismus. Diese heiligen Schriften sind zwar umfangreich, doch sie enthalten keine einheitliche Lehre.

Die heiligen Schriften des Hinduismus

10. Wie heißen einige der ältesten Schriften des Hinduismus?

10 Die ältesten Schriften sind die Weden, eine Sammlung von Gebeten und Hymnen, die als Rigweda, Samaweda, Jadschurweda und als Atharwaweda bekannt sind. Sie entstanden im Laufe mehrerer Jahrhunderte und wurden um 900 v. u. Z. vollendet. Die Weden wurden später durch andere Schriften ergänzt, einschließlich der Brahmanas und der Upanischaden.

11. (a) Wie unterscheiden sich die Brahmanas von den Upanischaden? (b) Welche Lehren enthalten die Upanischaden?

11 Die Brahmanas geben Anweisungen zur Ausführung von Ritualen und Opfern, sowohl privater als öffentlicher Art, und erklären bis ins einzelne deren tiefen Sinn. Sie wurden um 300 v. u. Z. oder später abgefaßt. Die Upanischaden (wörtlich: „das Sich-in-der-Nähe-Niedersetzen [bei einem Lehrer]“) sind auch als der Wedanta bekannt und wurden etwa 600—300 v. u. Z. verfaßt. Es sind Abhandlungen, die gemäß der hinduistischen Philosophie den Grund für alle Gedanken und Handlungen angeben. Diese Schriften enthalten die Lehre vom Samsara (endloser Kreislauf von Tod und Wiedergeburt) und vom Karma (der Glaube, daß die in einem früheren Leben vollbrachten Taten den Status im gegenwärtigen Leben bestimmen).

12. Wer war Rama, und in welchen Schriften wird sein Leben geschildert?

12 Weitere Schriften sind die Puranas, lange allegorische Erzählungen, die viele hinduistische Mythen über Götter und Göttinnen sowie Helden enthalten. Diese umfassende Bibliothek schließt auch die Epen Ramajana und Mahabharata ein. Im Ramajana wird das Leben des „Herrn Rama“ erzählt, den A. Parthasarathy „die herrlichste aller Gestalten der religiösen Literatur“ nennt. Das Ramajana gehört zu den beliebtesten Werken der Hindus und stammt ungefähr aus dem 4. Jahrhundert v. u. Z. Es beschreibt die Taten des Heroen Rama oder Ramatschandra, den die Hindus als einen Mustersohn, -bruder und -gatten betrachten. Er gilt als die siebte Inkarnation (Awatara) Wischnus, und man benutzt seinen Namen häufig als Gruß.

13, 14. (a) Wie beschreibt ein hinduistisches Werk die Bhagawadgita? (b) Was bedeuten die Wörter „Schruti“ und „Smriti“, und was ist die Manusmriti?

13 Über die Bhagawadgita (Bestandteil des Mahabharata) schreibt Bhaktivedanta Swami Prabhupāda, Gründer der Internationalen Gesellschaft für Krischna-Bewußtsein: „Die Bhagavad-gītā ist die höchste Unterweisung, was Moral betrifft ... Die Anweisungen der Bhagavad-gītā sind gleichzeitig höchste Religion und höchste Moral. ... die letzte Unterweisung der Gītā ist zugleich das letzte Wort aller Moral und Religion: Hingabe zu Kṛṣṇa“ (BG).

14 Die Bhagawadgita (Gesang des Erhabenen), die von einigen als „das Kleinod Indiens religiöser Weisheit“ angesehen wird, ist ein Gespräch auf dem Schlachtfeld „zwischen dem Herrn Srī Kṛṣṇa [Krischna], dem Höchsten Persönlichen Gott, und Arjuna, seinem Geweihten und Freund, den er in der Kunst der Selbstverwirklichung belehrt“. Die Bhagawadgita stellt nur einen Teil der umfangreichen heiligen Schriften der Hindus dar. Einige dieser Schriften (Weden, Brahmanas und Upanischaden) gelten als „Schruti“ oder „Gehörtes“ und werden deshalb als direkt geoffenbarte heilige Schriften angesehen. Andere, wie zum Beispiel die Epen und die Puranas, sind „Smriti“ oder „Erinnerung“ und wurden von menschlichen Autoren verfaßt, obwohl ihnen auch eine Offenbarung zugrunde liegt. Ein Beispiel ist die Manusmriti, in der die religiösen und sozialen Gesetze der Hindus dargelegt sind; ferner wird darin der Grund für das Kastenwesen erklärt. Was sind einige der Glaubensanschauungen, die auf der Grundlage dieser Schriften entstanden sind?

Lehren und Wandel — Ahimsa und Warna

15. (a) Definiere die Ahimsa, und erkläre, wie die Dschaina sie anwenden. (b) Wie betrachtete Gandhi die Ahimsa? (c) Wie unterscheiden sich die Sikhs von den Hindus und den Dschaina?

15 Im Hinduismus gibt es wie in anderen Religionen gewisse Grundregeln, die das Denken und Handeln beeinflussen. Eine ganz wichtige ist die der Ahimsa, Nichtverletzung (Nichtschädigung) bzw. Gewaltlosigkeit, für die Mohandas Gandhi (1869—1948) — bekannt als der Mahatma — eingetreten ist. (Siehe Kasten, Seite 113.) Diese Grundregel besagt, daß der Hindu kein Geschöpf töten oder ihm Gewalt antun darf. Das ist einer der Gründe, warum die Hindus gewisse Tiere verehren, wie zum Beispiel die Kuh, die Schlange und den Affen. Die strengsten Verfechter der Ahimsa-Lehre und der Achtung vor dem Leben sind die Dschaina (der Dschainismus entstand im 6. Jahrhundert v. u. Z.), die barfuß gehen und sogar ein Mundtuch tragen, um nicht aus Versehen ein Insekt zu verschlucken. (Siehe Kasten, Seite 104 und Foto, Seite 108.) Die Sikhs dagegen sind wegen ihrer kriegerischen Tradition bekannt, und Singh, ein verbreiteter Nachname unter ihnen, bedeutet Löwe. (Siehe Kasten, Seite 100, 101.)

16. (a) Wie betrachten die meisten Hindus das Kastenwesen? (b) Was sagte Gandhi über das Kastenwesen? (Siehe Kasten, Seite 113.)

16 Ein allgemein bekannter Aspekt des Hinduismus ist das Kastenwesen (Warna), das die Menschen streng in verschiedene Klassen aufteilt. (Siehe Kasten, Seite 113.) Es ist zu beobachten, daß die hinduistische Gesellschaft immer noch die Aufteilung durch dieses System aufweist. Die Buddhisten und die Dschaina lehnen es allerdings ab. Doch geradeso, wie in den Vereinigten Staaten und anderswo die Rassendiskriminierung weiterbesteht, so ist auch das Kastenwesen in der indischen Psyche fest verwurzelt. Es ist ein Klassenbewußtsein, das auch heute noch in abgeschwächter Form in der britischen Gesellschaft sowie in der Gesellschaft anderer Länder vorhanden ist (Jakobus 2:1-9). In Indien wird man in ein strenges Kastenwesen hineingeboren, aus dem es kaum ein Entrinnen gibt. Aber der Hindu im allgemeinen sucht auch gar nicht, daraus zu entrinnen. Er sieht darin sein vorherbestimmtes, unausweichliches Schicksal, das Ergebnis seines Tuns im vorigen Leben oder Karma. Wie ist das Kastenwesen entstanden? Die hinduistische Mythologie gibt uns die Antwort.

17, 18. Wie entstanden gemäß der hinduistischen Mythologie die Kasten?

17 Gemäß dieser Mythologie hat es ursprünglich vier große Kasten gegeben, die aus den Körperteilen des Puruscha, des Urvaters der Menschheit, entstanden sind. In einer Hymne des Rigweda heißt es:

„In wie viel Teile ward er umgewandelt, Als sie zerstückelten den Puruscha?

Was ward sein Mund, was wurden seine Arme, Was seine Schenkel, seine Füße da?

Zum Brahmanen [oberste Kaste] ist da sein Mund geworden, Die Arme zum Râjanya [oder Kschatrija] (Krieger) sind gemacht,

Der Vaishya [Waischja] (Handwerker) aus den Schenkeln, aus den Füßen Der Shûdra [Schudra] (Diener) damals ward hervorgebracht“ (L. Renou, Die großen Religionen der Welt, S. 73).

18 Die Brahmanen, die Priesterkaste, sollen also aus dem Mund Puruschas, dem obersten seiner Körperteile, entstanden sein. Die Krieger oder Regenten (Kschatrija oder Radschanja) entstammten seinen Armen. Die Handwerker- und Händlerkaste, die Waischjas, wurden aus seinen Schenkeln. Eine niedrigere Kaste, die Schudras oder Diener, wurden aus den untersten Körperteilen, den Füßen, hervorgebracht.

19. Welche weiteren Kasten entstanden noch?

19 Im Laufe der Jahrhunderte entstanden noch niedrigere Kasten, z. B. die Parias oder Unberührbaren oder, wie Mahatma Gandhi sie liebevoll nannte, die Harijans (Personen des Gottes Wischnu). Obschon die Diskriminierung der Unberührbaren in Indien seit dem Jahre 1948 verboten ist, haben sie doch noch immer ein schweres Los.

20. Welche weiteren Aspekte des Kastenwesens gibt es?

20 Im Laufe der Zeit mehrten sich die Kasten, so daß fast jeder Beruf in der indischen Gesellschaft eine Kaste bildete. Das alte Kastenwesen, das jeden an seinem gesellschaftlichen Platz festhält, ist in Wirklichkeit auch rassisch gegliedert und „umfaßt bestimmte Rassentypen, angefangen von den [hellhäutigen] Ariern bis hin zu den [dunkelhäutigen] vorwedischen Völkern“. Warna (Kaste) bedeutet „Farbe“. „Die ersten drei Kasten waren Arier, die hellhäutigsten Menschen; die vierte Kaste, die die dunkelhäutige Urbevölkerung umfaßte, waren Nichtarier“ (Donald A. Mackenzie, Myths and Legends Series—India). Das Kastenwesen, verstärkt durch die religiöse Karma-Lehre, hat bewirkt, daß in Indien Millionen Menschen ihr Leben lang arm und benachteiligt waren.

Der frustrierende Geburtenkreislauf

21. Wie beeinflußt das Karma gemäß dem Garudapurana das Leben eines Menschen?

21 Eine weitere wichtige Glaubenslehre, die die Ethik und das Verhalten des Hindus beeinflußt, ist die Karma-Lehre. Nach dieser Lehre hat jede Tat ihre Konsequenzen, positive oder negative; das Karma bestimmt Rang und Art der Wiedergeburt. Im Garudapurana wird erklärt:

„Der Mensch ist der Schöpfer seines eigenen Schicksals, und selbst in seinem Leben als Fetus wird er von der Dynamik der Werke seines früheren Lebens beeinflußt. Ob in der Enge einer Bergfeste oder ruhend am Busen des Meeres, ob sicher auf dem Schoß der Mutter oder ob er hoch über ihrem Kopf gehalten wird, ein Mensch kann den Wirkungen seiner eigenen früheren Taten nicht entfliehen. ... Was immer einem Menschen in einem bestimmten Alter oder zu einer bestimmten Zeit zustoßen soll, wird ihn dann und zu jener Stunde heimsuchen.“

Im Garudapurana heißt es weiter:

„Erkenntnis, die ein Mensch in seinem früheren Leben erworben hat, Reichtum, den er in seinem vorigen Dasein den Armen gegeben hat, und Werke, die er in einer vorigen Inkarnation getan hat, gehen seiner Seele auf ihrer Reise voraus.“

22. (a) Wie unterscheidet sich die Ansicht, die der Hindu von der Seele hat, von der Lehre der Christenheit? (b) Was lehrt die Bibel über die Seele?

22 Was liegt dieser Glaubensauffassung zugrunde? Die unsterbliche Seele ist unerläßlich für die Karma-Lehre, und das Karma bewirkt, daß der Hindu eine andere Ansicht von der Seele hat als die Christenheit. Der Hindu glaubt, daß jede individuelle Seele, jīva oder prān, * viele Reinkarnationen durchwandert, möglicherweise auch die „Hölle“. Die Seele muß danach trachten, sich mit dem „absoluten Sein“, auch Brahman genannt (nicht zu verwechseln mit dem hinduistischen Gott Brahma), zu vereinen. Die Lehren der Christenheit dagegen bieten der Seele — je nach dem religiösen Bekenntnis — die Möglichkeit, in den Himmel, die Hölle, das Fegfeuer oder den Limbus zu kommen (Prediger 9:5, 6, 10; Psalm 146:4).

23. Wie beeinflußt die Karma-Lehre die Ansicht, die ein Hindu vom Leben hat? (Vergleiche Galater 6:7-10.)

23 Der Hindu neigt als Folge des Karmas zum Fatalismus. Er glaubt, seine gegenwärtigen Lebensverhältnisse rührten von einem früheren Leben her und er habe sie demnach verdient, seien sie gut oder schlecht. Er kann sich bemühen, einen besseren Lebenswandel zu führen, so daß das nächste Leben vielleicht erträglicher wird. Deshalb gibt er sich mit seinem Los eher zufrieden als ein westlicher Mensch. Der Hindu betrachtet alles als eine Folge des Gesetzes von Ursache und Wirkung in Beziehung zu seinem früheren Leben. Es ist der Grundsatz, daß man erntet, was man in seinem angeblichen früheren Leben gesät hat. Das alles beruht natürlich auf der Annahme, daß der Mensch eine unsterbliche Seele habe, die sich wieder als Mensch, Tier oder Pflanze verkörpere.

24. Was ist Mokscha, und wie glaubt der Hindu Mokscha zu erlangen?

24 Was ist somit das höchste Ziel des hinduistischen Glaubens? Mokscha zu erlangen, was Befreiung von der leidvollen Wiedergeburtenkette und immer neuen Existenzen bedeutet. Es ist also Befreiung von der körperlichen Existenz, nicht für den Körper, sondern für die „Seele“. „Da Mokscha oder Befreiung aus der langen Reihe von Wiedergeburten von jedem Hindu angestrebt wird, ist das größte Ereignis in seinem Leben der Tod“, schreibt ein Kommentator. Man erlangt Mokscha auf verschiedenen Wegen oder Margas. (Siehe Kasten, Seite 110.) Wie sehr doch diese religiöse Lehre von der alten babylonischen Vorstellung von einer unsterblichen Seele abhängt!

25. Worin unterscheidet sich die Auffassung, die der Hindu vom Leben hat, von dem, was die Bibel darüber sagt?

25 Nach der Bibel steht dieses Verachten und Geringschätzen des materiellen Lebens in krassem Widerspruch zu Jehovas ursprünglichem Vorsatz in Verbindung mit den Menschen. Als er die ersten beiden Menschen erschuf, bestimmte er für sie, daß sie froh und glücklich auf der Erde leben sollten. Der Bibelbericht lautet:

„Und Gott ging daran, den Menschen in seinem Bilde zu erschaffen, im Bilde Gottes erschuf er ihn; männlich und weiblich erschuf er sie. Auch segnete Gott sie, und Gott sprach zu ihnen: ‚Seid fruchtbar, und werdet viele, und füllt die Erde, und unterwerft sie euch, und haltet euch die Fische des Meeres und die fliegenden Geschöpfe der Himmel untertan und jedes lebende Geschöpf, das sich auf der Erde regt.‘ ... Nach diesem sah Gott alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut“ (1. Mose 1:27-31).

Die Bibel sagt voraus, daß der Erde eine Zeit des Friedens und der Gerechtigkeit nahe bevorsteht, eine Zeit, in der jede Familie ihr eigenes schönes Heim haben wird, auch wird den Menschen vollkommene Gesundheit und ewiges Leben zuteil werden (Jesaja 65:17-25; 2. Petrus 3:13; Offenbarung 21:1-4).

26. Welche Frage bedarf einer Antwort?

26 Die nächste Frage, die einer Antwort bedarf, lautet: Wer sind die Götter, die ein Hindu zufriedenstellen muß, um ein gutes Karma zu erlangen?

Das hinduistische Pantheon

27, 28. (a) Welche Götter bilden die hinduistische Trimurti? (b) Wie heißen die Gattinnen? (c) Zähle einige andere hinduistische Götter und Göttinnen auf.

27 Der Hinduismus kennt zwar Millionen Götter, von seinen verschiedenen Sekten werden aber in der Praxis nur gewisse bevorzugte Gottheiten verehrt. Drei der wichtigsten Götter sind in der Trimurti oder Göttertriade zusammengefaßt. (Weitere Götter der Hindus sind im Kasten auf Seite 116, 117 aufgeführt.)

28 Die Triade setzt sich aus Brahma, dem Schöpfer, Wischnu, dem Erhalter, und Schiwa, dem Zerstörer, zusammen. Und jeder hat wenigstens eine Gattin. Brahma ist mit Saraswati verheiratet, der Göttin der Gelehrsamkeit. Wischnus Gattin ist Lakschmi, während Schiwas erste Gattin Sati hieß. Sie beging Selbstmord. Sati warf sich ins Opferfeuer, und so wurde sie die erste „Sati“ (treue Frau). Dem mythologischen Vorbild folgten im Laufe der Jahrhunderte Tausende von hinduistischen Witwen, indem sie sich mit dem Leichnam ihres Mannes verbrennen ließen. Die Witwenverbrennung ist heute allerdings verboten. Schiwa hat auch eine andere Frau, die mehrere Namen und Titel trägt. In ihrer milden und freundlichen Gestalt ist sie Parwati, Uma und Gauri (die Weißliche). Als Durga oder Kali ist sie eine furchterregende Göttin.

29. Wie betrachten die Hindus Brahma? (Vergleiche Apostelgeschichte 17:22-31.)

29 Obschon Brahma im Mittelpunkt der hinduistischen Mythologie steht, wird er vom gewöhnlichen Hindu nicht eifrig verehrt, ja sehr wenige Tempel sind ihm geweiht, obgleich er Brahma, der Schöpfer, genannt wird. Doch hat nach der hinduistischen Mythologie das Brahman, ein absolutes Sein oder das Urprinzip alles Seins, das mit der heiligen Silbe Om (Aum) identifiziert wird, das materielle Weltall erschaffen. Alle drei Gestalten der Triade gelten als Teil jenes „Seins“, und alle anderen Götter werden als verschiedene Manifestationen betrachtet. Der Gott, der dann als höchster verehrt wird, gilt als allumfassend. Während die Hindus also Millionen Götter verehren, bekennen sich die meisten doch nur zu einem wahren Gott, der jedoch viele Formen annehmen kann: eine männliche, eine weibliche oder gar die eines Tieres. Daher sind die hinduistischen Gelehrten schnell dabei zu sagen, der Hinduismus sei nicht polytheistisch, sondern monotheistisch. Späteres wedisches Denken beseitigt jedoch den Begriff eines höchsten Wesens und ersetzt ihn durch ein unpersönliches göttliches Prinzip oder Sein.

30. Was sind einige der Awataras Wischnus?

30 Wischnu, eine gütige, von der Sonne abstammende kosmische Gottheit, wird von den Anhängern des Wischnuismus als höchster Gott verehrt. Er erscheint in zehn Awataras oder Inkarnationen auf der Erde, zum Beispiel als Rama, Krischna und Buddha. * Ein anderer Awatara ist Wischnu-Narajana. „Er wird als Mensch dargestellt, der auf der Schlange Ananta oder Schescha, die auf den Urwassern treibt, schläft; seine Gemahlin, die Göttin Lakschmi, sitzt ihm zu Füßen, während aus Wischnus Nabel eine Lotosblume wächst, die den Gott Brahma trägt“ (The Encyclopedia of World Faiths).

31. Was für ein Gott ist Schiwa?

31 Schiwa, der allgemein auch Mahescha (höchster Herr) und Mahadewa (großer Gott) genannt wird, ist der zweithöchste Gott des Hinduismus, und die ihm dargebrachte Verehrung heißt Schiwaismus. Schiwa wird als „der große Asket beschrieben, der vorbildliche Jogin, der, in tiefe Meditation versunken, auf den Hängen des Himalajas sitzt, sein Körper mit Asche eingeschmiert und sein Haupt mit verfilztem Haar bedeckt“. Er ist auch „für seinen Erotizismus bekannt, als der Bringer der Fruchtbarkeit und der höchste Herr der Schöpfung, Mahadewa“ (The Encyclopedia of World Faiths). Schiwa wird unter dem phallischen Symbol des Lingas verehrt. (Siehe Fotos, Seite 99.)

32. (a) In welchen verschiedenen Formen ist die Göttin Kali bekannt? (b) Wer waren die Thags?

32 Wie viele andere Weltreligionen, so hat auch der Hinduismus seine höchste Göttin, die anziehend oder furchtbar sein kann. In ihrer angenehmeren Form ist sie als Parwati und Uma bekannt. Ihr furchterregender Charakter kommt als Durga oder Kali zum Ausdruck, eine blutrünstige Göttin, die an blutigen Opfern Gefallen findet. Als Muttergöttin Kalikamata (schwarze Erdmutter) ist sie die Hauptgottheit für die Schaktas. Die Bilder zeigen sie nackt bis zu den Hüften und mit Leichen, Schlangen und Schädeln geschmückt. Früher opferten ihr ihre Verehrer, die Thags, erdrosselte Menschen.

Der Hinduismus und der Ganges

33. Warum ist der Ganges den Hindus heilig?

33 Wenn man vom hinduistischen Pantheon spricht, muß man auch den heiligen Ganges erwähnen. Ein großer Teil der hinduistischen Mythologie bezieht sich auf den Ganges oder die Ganga Ma (Mutter Ganga), wie die frommen Hindus den Fluß nennen. (Siehe die Karte auf Seite 123.) Sie sprechen Gebete, in denen 108 verschiedene Namen für den Fluß vorkommen. Warum wird der Ganges von aufrichtigen Hindus so verehrt? Weil er eng mit ihrem Überleben und ihrer alten Mythologie verbunden ist. Sie glauben, er sei als die Milchstraße im Himmel gewesen. Wie kam es, daß daraus ein Fluß wurde?

34. Wie ist der Ganges gemäß der hinduistischen Mythologie entstanden?

34 Mit geringen Abweichungen würden die meisten Hindus es wie folgt erklären: Maharadscha Sagara hatte 60 000 Söhne, die durch das Feuer des Kapila, einer Manifestation Wischnus, getötet wurden. Ihre Seelen waren zur Hölle verdammt, es sei denn, die Göttin Ganga käme vom Himmel herab, um sie zu reinigen und von dem Fluch zu befreien. Bhagīratha, ein Urenkel Sagaras, bat Brahma, der heiligen Ganga zu gestatten, auf die Erde herabzukommen. In einer Erzählung heißt es weiter: „Ganga antwortete: ‚Ich bin ein solch mächtiger Strom, daß ich die Grundfesten der Erde zerschmettern würde.‘ Daher ging ... [Bhagīratha], nachdem er tausend Jahre Buße getan hatte, zu dem Gott Schiwa, dem größten aller Asketen, und überredete ihn, sich hoch über der Erde inmitten der Felsen und des Eises des Himalajas hinzustellen. Schiwa hatte verfilztes Haar auf dem Kopf, und er gestattete Ganga, vom Himmel auf seine Locken herabzudonnern, die den für die Erde bedrohlichen Aufprall auffingen. Ganga rieselte darauf sanft auf die Erde, floß die Berge hinunter und durch die Ebenen und versorgte so die trockene Erde mit Wasser und demzufolge auch mit Leben“ (Sir Edmund Hillary, From the Ocean to the Sky).

35. Wie erklären die Waischnawas die Entstehung des Stromes?

35 Die Anhänger Wischnus, die Waischnawas, erklären die Entstehung des Ganges etwas anders. Ein alter Text, das Wischnupurana, gibt folgende Erklärung:

„Der Ganges, der alle Sünden beseitigt, strömt aus dieser Region [dem heiligen Sitz des Wischnu] hervor ... Er fließt aus dem Nagel der großen Zehe des linken Fußes Wischnus hervor.“

Wischnuanhänger sagen auf Sanskrit: „Visnu-padabja-​sambhuta“, was bedeutet: „Geboren aus dem lotosähnlichen Fuß Wischnus.“

36. Was glauben die Hindus bezüglich der Macht, die das Gangeswasser hat?

36 Die Hindus glauben, daß der Ganges die Gläubigen zu befreien, zu reinigen und zu heilen vermag. Im Wischnupurana heißt es:

„Die Heiligen, die durch Baden im Wasser dieses Stromes gereinigt worden sind und deren Sinn Kesawa [Wischnu] ergeben ist, erlangen die schließliche Befreiung. Wenn man von dem heiligen Strom hört, ihn ersehnt, ihn sieht, ihn berührt, darin badet oder ihn besingt, reinigt er Tag für Tag alle Wesen. Und selbst solche, die entfernt davon wohnen ... und die ‚Ganga und Ganga‘ ausrufen, werden von den Sünden befreit, die sie in den drei vorhergehenden Leben begangen haben.“

Im Brahmandapurana heißt es:

„Wer einmal in Frömmigkeit in den reinen Fluten der Ganga badet, dessen Angehörige werden vor Hunderttausenden von Gefahren geschützt. Übel, die sich im Laufe von Generationen angesammelt haben, werden vernichtet. Allein durch das Baden in der Ganga wird man sofort rein.“

37, 38. Warum strömen Millionen Hindus zum Ganges?

37 Die Hindus kommen in Scharen an den Strom, um die Rituale der Pudscha (Verehrung) zu verrichten. Sie opfern Blumen, rezitieren Gebete und erhalten von einem Priester den Tschitraka (Tilaka), das heißt den roten oder gelben Punkt, an die Stirn. Darauf steigen sie in das Wasser, um zu baden. Viele trinken auch von dem Wasser, obwohl es durch Abwasser, Chemikalien und Tierleichen stark verschmutzt ist. Die religiöse Anziehungskraft des Ganges ist so groß, daß Millionen Inder keinen sehnlicheren Wunsch haben, als wenigstens einmal in dem „heiligen Strom“ zu baden — verschmutzt oder nicht verschmutzt.

38 Andere bringen die Leiche eines Angehörigen, damit sie am Ufer des Stromes auf einem Scheiterhaufen verbrannt werde, worauf die Asche in den Strom gestreut wird. Der Hindu glaubt, daß das der Seele des Verstorbenen ewige Glückseligkeit gewährt. Die Armen, die kein Geld haben, um ihre Toten zu verbrennen, schieben die in ein Tuch gehüllte Leiche einfach in den Fluß, wo Aasvögel sich darauf stürzen oder wo sie sich einfach zersetzt. Nun entsteht die Frage: Was außer dem, was wir bereits besprochen haben, lehrt der Hinduismus noch über das Leben nach dem Tod?

Der Hinduismus und die Seele

39, 40. Was schreibt ein hinduistischer Kommentator über die Seele?

39 Die Bhagawadgita beantwortet die Frage wie folgt:

„Wie die verkörperte Seele fortwährend in diesem Körper von Kindheit zu Jugend und zu Alter wandert, so geht sie auch beim Tode in einen anderen Körper ein“ (2. Kapitel, Vers 13).

40 Der Kommentar eines Hindus zu diesem Text lautet: „Da jedes Lebewesen eine individuelle Seele ist, wechselt es seinen Körper in jedem Augenblick und manifestiert sich manchmal als Kind, manchmal als Jugendlicher und manchmal als alter Mann. Dennoch ist die gleiche Seele vorhanden, denn sie ist keinem Wandel unterworfen. Diese individuelle Seele wechselt den Körper zum Zeitpunkt des Todes endgültig und geht in einen anderen Körper ein. Da sie mit Sicherheit bei der nächsten Geburt einen anderen Körper erhält — entweder einen materiellen oder einen spirituellen —, gab es für Arjuna keinen Grund, den Tod zu beklagen.“

41. Welchen Unterschied muß man gemäß der Bibel in bezug auf die Seele machen?

41 Man beachte, daß es in dem Kommentar heißt, „jedes Lebewesen [ist] eine individuelle Seele“. Diese Erklärung stimmt mit dem überein, was die Bibel in 1. Mose 2:7 sagt:

„Und Jehova Gott ging daran, den Menschen aus Staub vom Erdboden zu bilden und in seine Nase den Odem des Lebens zu blasen, und der Mensch wurde eine lebende Seele.“

Es besteht indessen ein wichtiger Unterschied: Ist der Mensch mit all seinen Funktionen und Fähigkeiten eine lebende Seele, oder hat er unabhängig von seinen Körperfunktionen eine Seele? Ist der Mensch eine Seele, oder hat er eine Seele? Das folgende Zitat erläutert den hinduistischen Begriff.

42. Welcher Unterschied besteht zwischen der Seelenlehre der Bibel und der Seelenlehre des Hinduismus?

42 In Kapitel 2, Vers 17 der Bhagawadgita heißt es:

„Das, was den gesamten Körper durchdringt, ist unzerstörbar. Niemand kann die unvergängliche Seele töten.“

Darauf wird dieser Text wie folgt erklärt:

„Daher ist jeder einzelne Körper die Verkörperung einer individuellen Seele, und das Symptom für die Anwesenheit der Seele wird als individuelles Bewußtsein erfahren.“

Somit lehrt der Hinduismus, daß der Mensch eine Seele hat, während die Bibel sagt, daß der Mensch eine Seele ist. Zwischen diesen beiden Auffassungen besteht ein gewaltiger Unterschied, der sich entscheidend auf die Lehren auswirkt, die eine Folge dieser Anschauungen sind (3. Mose 24:17, 18).

43. (a) Woher stammt die Lehre von der unsterblichen Seele? (b) Welches sind die Konsequenzen dieser Lehre?

43 Die Lehre von der unsterblichen Seele stammt eigentlich aus dem abgestandenen religiösen Gedankengut Babylons. Sie führt logischerweise zu den Auffassungen, die mit dem Leben nach dem Tod verbunden sind, wie Seelenwanderung, Himmel, Hölle, Fegfeuer, Limbus usw., Lehren, die in vielen Religionen gelehrt werden. Der Hindu glaubt, daß die Seele im Himmel oder in der Hölle warten muß, bis sie sich wieder verkörpern kann. Besonders interessant ist die hinduistische Auffassung von der Hölle.

Die hinduistische Höllenlehre

44. Woher wissen wir, daß der Hinduismus eine Hölle lehrt, in der die Sünder leiden?

44 In der Bhagawadgita heißt es:

„O Janārdana, ... ich habe ... gehört, daß diejenigen, die die Familienbräuche zerstören, ... in der Hölle leiden müssen“ (Kapitel 1, Vers 43).

Ein Kommentar dazu lautet: „Wer ständig sündigt, muß diesen Reinigungsvorgang ... nutzen. Wenn man diese Gelegenheit nicht wahrnimmt, wird man mit Sicherheit zu höllischen Planeten gebracht, um als Ergebnis seiner sündigen Handlungen ein erbärmliches Dasein zu erleiden.“ Es besteht indessen ein kleiner Unterschied zwischen dieser Lehre und der Höllenlehre der Christenheit. Nach der hinduistischen Lehre ist „diese Strafe ... nicht ewig“. Was ist demnach die Hölle der Hindus eigentlich?

45. Wie werden die Qualen der hinduistischen Hölle beschrieben?

45 Folgendes ist eine Schilderung des Geschicks eines Sünders aus dem Markhandejapurana:

„Darauf binden ihn die Boten Jamas [Gott des Totenreiches] rasch mit schrecklichen Schlingen und schleppen ihn nach Süden, zitternd vom Schlag der Rute. Darauf wird er von den Boten Jamas, die schreckliche, unheildrohende Schreie ausstoßen, über Boden geschleppt, der mit Kusa [einer Pflanze], Dornen, Ameisenhügeln, Nadeln und Steinen übersät ist, wo an einigen Stellen Flammen lodern, der voller Gruben ist, von der Hitze der Sonne glüht und brennend heiß ist von ihren Strahlen. Von den schrecklichen Boten geschleppt und von Hunderten von Schakalen angefressen, gelangt der sündige Mensch durch einen furchtbaren Durchgang in Jamas Haus. ...

Wenn sein Körper verbrannt wird, empfindet er ein starkes Brennen; und wenn sein Körper geschlagen wird und ihm Schnittwunden beigebracht werden, empfindet er großen Schmerz.

Ein Geschöpf, dessen Körper auf diese Weise vernichtet wird, erleidet, obschon es in einen anderen Körper eingeht, ewige Trübsal wegen seiner schlechten Taten. ...

Ein Sünder wird, damit seine Sünden abgewaschen werden, in eine andere dieser Höllen geführt. Nachdem er all diese Höllen durchlaufen hat, beginnt er ein widerliches Leben. Er wird ein Wurm, ... eine Fliege, ein Raubtier, eine Mücke, ein Elefant, ein Baum, ein Pferd, eine Kuh und geht noch durch weitere sündige und elende Leben, und wenn er zum Menschengeschlecht kommt, wird er ein Buckliger oder eine häßliche Person oder ein Zwerg oder ein Candala [der niedrigste der Sterblichen].“

46, 47. Was sagt die Bibel über den Zustand der Toten, und welche Schlußfolgerungen können wir ziehen?

46 Man vergleiche das mit den Aussagen der Bibel über die Toten:

„Denn die Lebenden sind sich bewußt, daß sie sterben werden; was aber die Toten betrifft, sie sind sich nicht des geringsten bewußt, auch haben sie keinen Lohn mehr, denn die Erinnerung an sie ist vergessen. Auch ihre Liebe und ihr Haß und ihre Eifersucht sind bereits vergangen, und sie haben auf unabsehbare Zeit keinen Anteil mehr an irgend etwas, was unter der Sonne zu tun ist. Alles, was deine Hand zu tun findet, das tu mit all deiner Kraft, denn es gibt weder Wirken noch Planen, noch Erkenntnis, noch Weisheit in dem Scheol, dem Ort, wohin du gehst“ (Prediger 9:5, 6, 10).

47 Wenn der Mensch keine Seele hat, sondern, wie die Bibel sagt, eine Seele ist, dann gibt es natürlich kein Weiterleben nach dem Tod. Es gibt keine Seligkeit und keine Leiden. Damit entfallen all die unlogischen Ideen über ein Jenseits. *

Der Rivale des Hinduismus

48, 49. (a) Nenne rückblickend einige der hinduistischen Lehren. (b) Warum haben einige die Richtigkeit des Hinduismus angezweifelt? (c) Wer erhob sich als Herausforderer des hinduistischen Gedankengutes?

48 Diese kurze Besprechung des Hinduismus hat gezeigt, daß sich der Polytheismus dieser Religion auf den Monotheismus stützt — den Glauben an das Brahman, das absolute Sein, das Urprinzip alles Seins, symbolisiert durch die Silbe Om oder Aum, mit vielen Facetten oder Manifestationen. Der Hinduismus ist außerdem eine Religion, die Toleranz sowie Liebe zu den Tieren lehrt.

49 Andererseits haben gewisse Lehren des Hinduismus wie das Karma und die Ungerechtigkeiten des Kastenwesens sowie der Götzendienst und die Konflikte in den Mythen einige denkende Menschen veranlaßt, die Richtigkeit dieses Glaubens anzuzweifeln. Ein solcher Zweifler wurde um das Jahr 560 v. u. Z. im Nordosten Indiens geboren. Es war Siddhārtha Gautama. Er begründete einen neuen Glauben, der jedoch in Indien nicht gedieh, dagegen anderswo, wie das nächste Kapitel zeigen wird. Der neue Glaube war der Buddhismus.

[Fußnoten]

^ Abs. 4 Die Bezeichnung Hinduismus ist eine europäische Erfindung.

^ Abs. 22 Als Übersetzung für das Wort „Seele“ wird in Sanskrit oft das Wort Atma oder Atman genommen. Dieses ist hingegen die genauere Übersetzung für das Wort „Geist“. (Siehe A Dictionary of Hinduism—Its Mythology, Folklore and Development 1500 B.C.-A.D. 1500, Seite 31 und die Broschüre Kann der Tod besiegt werden?, herausgegeben von der Wachtturm-Gesellschaft, 1987.)

^ Abs. 30 Kalki, der zehnte Awatara Wischnus, wird noch erwartet. „Er wird als edler Jüngling dargestellt, auf einem großen weißen Pferd reitend, mit einem feurigen Schwert in der Hand, das nach allen Seiten Tod und Verderben verbreitet.“ „Durch sein Kommen wird auf der Erde wieder Gerechtigkeit einkehren, und erneut wird ein Zeitalter der Reinheit und Unschuld beginnen“ (Religions of India; A Dictionary of Hinduism). (Vergleiche Offenbarung 19:11-16.)

^ Abs. 47 Die biblische Lehre von der Auferstehung der Toten hat keine Beziehung zur Lehre von einer unsterblichen Seele. Siehe Kapitel 10.

[Studienfragen]

[Kasten/Bilder auf Seite 100, 101]

Sikhismus — eine Reformreligion

Sikhismus, symbolisiert durch drei Schwerter und einen Kreis, ist die Religion von über 17 Millionen Menschen. Die meisten davon leben im Pandschab. Der Goldene Tempel der Sikhs, der inmitten eines künstlichen Sees steht, befindet sich in Amritsar, der heiligen Stadt der Sikhs. Die männlichen Sikhs erkennt man leicht an ihren blauen, weißen oder schwarzen Turbanen. Es gehört zu ihren religiösen Bräuchen, diese zu tragen sowie ihr Haar lang wachsen zu lassen.

Das Sanskritwort Sikh bedeutet „Jünger“. Die Sikhs sind Jünger ihres Gründers Guru Nanak und Anhänger der Lehren der zehn Gurus (Nanak und neun Nachfolger), deren Schriften das heilige Buch der Sikhs, den Adigrantha, bilden. Diese Religion ist zu Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden, als Guru Nanak das Beste des Hinduismus mit dem Besten des Islam zu einer Religion verschmelzen wollte.

Nanaks Mission kann in einem Satz ausgedrückt werden: „Da es nur einen Gott gibt und er unser Vater ist, müssen wir alle Brüder sein.“ Die Sikhs glauben wie die Muslime, daß es nur einen Gott gibt, und verbieten den Gebrauch von Götzenbildern (Psalm 115:4-9; Matthäus 23:8, 9). Sie glauben an die hinduistischen Lehren von einer unsterblichen Seele, einer Wiedergeburt und vom Karma. Die Anbetungsstätte der Sikhs wird Gurdwara genannt. (Vergleiche Psalm 103:12, 13; Apostelgeschichte 24:15.)

Eines der großen Gebote des Guru Nanak lautete: „Denke stets an Gott, wiederhole seinen Namen.“ Von Gott wird gesagt, er sei der „wahre Gott“, doch wird kein Name genannt (Psalm 83:16-18). Ein anderes Gebot lautete: „Teile, was du verdienst, mit dem, der weniger glücklich ist.“ Demzufolge gibt es in jedem Sikhtempel eine Langar, eine Gemeindeküche, wo alle Arten von Menschen mit kostenlosem Essen versorgt werden. Es gibt sogar unentgeltliche Schlafgelegenheiten, wo Besucher die Nacht zubringen können (Jakobus 2:14-17).

Der letzte Guru, Gobind Singh (1666—1708), gründete die Khalsa, eine Sikh-Bruderschaft, die sich an die „fünf K“ hält. Diese sind: Kesch, ungeschnittenes Haar, was Spiritualität versinnbildet; Kangha, ein Kamm im Haar, der Ordnung und Disziplin darstellt; Kirpan, ein Schwert, das Würde, Mut und Selbstaufopferung bedeutet; Kara, ein stählernes Armband, das Einheit mit Gott symbolisiert; Kachh, kurze Hose, die als Unterkleidung getragen wurde; sie deutet Bescheidenheit an und wird getragen, um moralische Zucht zu symbolisieren. (Siehe The Encyclopedia of World Faiths, Seite 269.)

[Bild]

Goldener Tempel der Sikhs in Amritsar (Pandschab, Indien)

[Bilder]

Der blaue Turban kennzeichnet einen Sinn, der so umfassend ist wie der Himmel, ohne Raum für Vorurteil

Der weiße Turban weist auf eine fromme Person hin, die ein vorbildliches Leben führt

Der schwarze Turban erinnert an die britische Verfolgung der Sikhs im Jahre 1919

Andere Farben sind eine Frage des Geschmacks

[Bild]

In zeremoniellem Prunk erzählt ein geistlicher Lehrer die Geschichte von den heiligen Waffen

[Kasten/Bilder auf Seite 104]

Dschainismus — Selbstverleugnung und Gewaltlosigkeit

Diese Religion mit dem altindischen Hakenkreuzsymbol wurde im 6. Jahrhundert v. u. Z. von dem reichen indischen Fürsten Nataputta Wardhamana, besser als Wardhamana Mahawira bekannt (ein Titel, der „großer Mann“ oder „großer Held“ bedeutet), gegründet. Er begann ein Leben der Selbstverleugnung und der Askese. Auf der Suche nach Erkenntnis durchwanderte er nackt „die Dörfer und Ebenen Zentralindiens, um Befreiung vom Kreislauf der Geburt, des Todes und der Wiedergeburt zu finden“ (John B. Noss, Man’s Religions). Er glaubte, daß die Erlösung der Seele nur durch extreme Selbstverleugnung und Selbstdisziplin und eine strenge Anwendung der Ahimsa (Nichtverletzen, Gewaltlosigkeit) auf alle Geschöpfe erreichbar sei. Er vertrat die Ahimsa so extrem, daß er einen weichen Besen mitführte, mit dem er sanft jedes Insekt wegwischen konnte, das ihm in den Weg kam. Sein Respekt vor dem Leben schloß auch den Schutz der Reinheit und Integrität seiner eigenen Seele ein.

Heute führen seine Anhänger in dem Bemühen, ihr Karma zu verbessern, ein ähnliches Leben der Selbstverleugnung und des Respektes vor allen anderen Geschöpfen. Wir sehen wiederum die große Wirkung, die der Glaube an die Unsterblichkeit der Menschenseele auf das menschliche Leben hat.

Heute gibt es knapp vier Millionen Anhänger dieses Glaubens, und die meisten leben in den Gebieten von Bombay und Gujarat (Indien).

[Bild]

Ein Dschaina verrichtet seine Andacht zu den Füßen der 17 m hohen Statue des Heiligen Gomateswara in Karnataka (Indien)

[Kasten/Bilder auf Seite 106, 107]

Die Bedeutung einiger hinduistischer Wörter

Ahimsa — Nichtverletzung, Nichtschädigung, Gewaltlosigkeit; kein Lebewesen verletzen oder töten, weshalb die Hindus Vegetarier sind und die Tiere respektieren

Aschram — ein Heiligtum oder Ort, wo ein Guru (religiöser Lehrer) unterweist

Atman — Geist; das unvergängliche Geistige im Menschen. Häufig irrigerweise mit Seele wiedergegeben (Siehe Jiva)

Awatara — Manifestation oder Inkarnation einer hinduistischen Gottheit

Bhakti — Hingabe an eine Gottheit, die zur Erlösung führt

Bindi — roter Punkt, den verheiratete Frauen an der Stirn tragen

Brahman — das absolute Sein (Siehe Seite 116)

Brahmanen — Angehörige der obersten Kaste des Hinduismus, ursprünglich ausschließlich Priester

Dharma — das Grundgesetz aller Dinge; es entscheidet, was rechte und unrechte Taten sind

Ghat — Ufertreppe an einem Fluß

Guru — religiöser Lehrer

Harijan — Bezeichnung für die Unberührbaren; bedeutet „Personen Gottes“, von Mahatma Gandhi geprägte mitleidsvolle Bezeichnung

Japa — murmelndes Hersagen von Gottes Namen; eine Mala oder Gebetsschnur aus 108 Perlen hilft beim Zählen

Jiva (oder prān, prāni) — persönliche Seele oder Lebewesen

Joga — von der Wurzel yuj, was anfügen oder anschirren bedeutet; Anfügen eines Individuums an das universale göttliche Wesen. Allgemein ist es ein Meditationssystem, bei dem körperliche Übungen und die Beherrschung des Atems eine Rolle spielen. Der Hinduismus anerkennt wenigstens vier Schulrichtungen oder Wege (Siehe Seite 110)

Karma — die Lehre, daß jede gute oder böse Tat des Menschen sein Schicksal im künftigen Leben bestimmt

Kschatrija — Kaste der Herrschenden, des Adels und der Krieger; die zweithöchste Kaste

Mahant — Heiliger, Lehrer (Vorsteher)

Mahatma — hinduistischer Heiliger, von maha, hoch oder groß, und ātman, Geist

Maja — die Welt als eine Illusion

Mantra — heilige Formel, die Zauberkraft haben soll; wird bei der Aufnahme in eine Sekte verwendet und in Gebeten und Beschwörungen wiederholt

Mokscha oder Mukti — Befreiung aus dem Kreislauf der Geburten; das Ende der Wanderung der Seele. Auch als Nirwana bekannt, die Vereinigung der individuellen Seele mit dem absoluten Sein, dem Brahman

Om, Aum — heilige Silbe, die das Brahman bedeutet und für die Meditation gebraucht wird; dem Om-Laut wird die mystische Vibration zugeschrieben; verwendet als heiliges Mantra

Paramatman — Weltgeist, Welt-Atman oder Brahman

Pudscha — Verehrung

Sadhu — Heiliger; Asket oder Jogi

Samsara — Wanderung einer ewigen, unvergänglichen Seele

Schakti — weibliche Kraft oder Gattin eines Gottes, besonders Schiwas Gemahlin

Schudra — Diener, Angehöriger der untersten der vier Hauptkasten

Sraddha — wichtige Riten, die zu Ehren der Ahnen durchgeführt werden und die den abgeschiedenen Seelen die Erlangung von Mokscha ermöglichen sollen

Swami — Lehrer oder höherer Grad des geistlichen Führers

Trimurti — indische Triade mit Brahma, Wischnu und Schiwa

Tschitraka (Tilaka) — Sektenzeichen auf der Stirn, das die Erinnerung an den Herrn (Gott) und all sein Tun symbolisiert

Upanischaden — alte poetische heilige Schriften des Hinduismus. Auch als Wedanta, das Ende der Weden, bekannt

Waischja — Klasse der Händler und Bauern; dritte Gruppe im Kastensystem

Weden — die ältesten heiligen poetischen Schriften des Hinduismus

[Bilder]

Von links nach rechts: hinduistischer Mahant, meditierender Sadhu, Guru aus Nepal

[Kasten auf Seite 110]

Vier Wege zu Mokscha

Der hinduistische Glaube kennt wenigstens vier Wege zur Erreichung von Mokscha oder der Befreiung der Seele. Diese werden Jogas oder Margas genannt — Wege zu Mokscha.

1. Karmajoga — „Der Weg der Taten oder Karmajoga, die Disziplin der Taten. Grundlegend bedeutet Karmamarga, daß ein Mensch gemäß seiner Stellung im Leben sein Dharma erfüllt. Die Erfüllung gewisser Pflichten wird von allen Menschen gefordert, so zum Beispiel die Ahimsa und das Meiden von Alkohol und Fleisch; aber das besondere Dharma jedes einzelnen hängt von dessen Kaste und Stufe im Leben ab“ (Great Asian Religions).

Dieses Karma wird streng innerhalb der Grenzen der Kaste ausgeführt. Die Reinheit der Kaste wird dadurch bewahrt, daß man keinen von einer anderen Kaste heiratet und auch mit niemandem von einer anderen Kaste ißt. Die Zugehörigkeit zur Kaste wird durch das Karma des vorhergehenden Lebens bestimmt. Deshalb wird die Zugehörigkeit zur Kaste nicht als eine Ungerechtigkeit empfunden, sondern als ein Erbe einer früheren Inkarnation. Gemäß der hinduistischen Philosophie sind Mann und Frau nicht gleichberechtigt. Die Hindus werden durch Kaste, Geschlecht und Hautfarbe getrennt. Je heller die Haut, desto höher die Kaste.

2. Jnanajoga — „Der Weg der Erkenntnis oder Jnanajoga, die Disziplin der Erkenntnis. Im Gegensatz zu dem Weg der Tat, Karmamarga, mit seinen vorgeschriebenen Pflichten für jeden Anlaß im Leben ist Jnanamarga ein philosophischer und psychologischer Weg, das Selbst und das All zu erkennen. Sein, nicht Tun ist der Schlüssel zum Jnanamarga. [Kursivschrift von uns.] Vor allem aber ermöglicht dieser Weg den Praktizierenden schon in diesem Leben Mokscha“ (Great Asian Religions). Dabei geht es um introspektiven Joga, Zurückziehen aus der Welt und Askese. Er ist Selbstbeherrschung und Selbstverleugnung.

3. Bhaktijoga — „Heute die verbreitetste Form der hinduistischen Tradition. Es ist der Weg der Hingabe, der Bhaktimarga. Im Gegensatz zum Karmamarga ... ist dieser Weg leichter, spontaner, und Personen jeder Kaste, beiderlei Geschlechts und jeden Alters können ihn gehen. ... [Er] erlaubt, menschlichen Gefühlen und Wünschen freien Lauf zu lassen, anstatt von einer Joga-Askese bezwungen zu werden, ... [er] besteht ausschließlich aus Hingabe an göttliche Wesen.“ Und nach der Tradition gibt es davon 330 Millionen, die man verehren kann. Gemäß dieser Tradition bedeutet zu wissen zu lieben. Bhakti heißt „gefühlsmäßige Anhänglichkeit an den erwählten Gott“ (Great Asian Religions).

4. Rajajoga — eine Methode „besonderer Körperhaltungen, Atemübungen und rhythmischer Wiederholung der richtigen Gedankenformeln“ (Man’s Religions). Er hat acht Glieder.

[Kasten/Bilder auf Seite 113]

Mahatma Gandhi und das Kastenwesen

„Gewaltlosigkeit ist das A und das O meines Glaubens“ (Mahatma Gandhi, 23. März 1922).

Mahatma Gandhi, berühmt wegen der Gewaltlosigkeit, mit der er für Indiens Unabhängigkeit von Großbritannien (1947 gewährt) kämpfte, setzte sich auch für die Verbesserung des Loses von Millionen Hindus ein. Der indische Professor M. P. Rege erklärt: „Er verkündete die Ahimsa (Gewaltlosigkeit) als höchsten sittlichen Wert und interpretierte sie als Sorge um die Würde und das Wohl jedes einzelnen Menschen. Die Autorität der hinduistischen Schriften lehnte er ab, wenn ihre Lehren der Ahimsa widersprachen; er kämpfte mutig für die Abschaffung der Unberührbarkeit und des hierarchischen Kastenwesens und förderte die Gleichberechtigung der Frau in allen Lebensbereichen.“

Wie dachte Gandhi über das Los der Unberührbaren? In einem Brief an Jawaharlal Nehru vom 2. Mai 1933 schrieb er: „Die Größe der Harijan-Bewegung erfordert mehr als nur intellektuelle Anstrengungen. Es gibt in der Welt nichts Schlechteres. Und doch kann ich mich von der Religion, also dem Hinduismus, nicht abwenden. Mein Leben wäre für mich eine Last, wenn der Hinduismus mich enttäuschte. Durch den Hinduismus liebe ich das Christentum, den Islam und viele weitere Religionen. ... Aber seine Unberührbarkeit kann ich nicht dulden“ (The Essential Gandhi).

[Bild]

Mahatma Gandhi (1869—1948), geehrter Hindu-Führer und Verfechter der Ahimsa

[Kasten/Bilder auf Seite 116, 117]

Hinduismus — einige Götter und Göttinnen

Aditi — Göttermutter; Himmelsgottheit; die Unendlichkeit

Agni — Feuergott

Brahma — Weltschöpfer, das Schöpfungsprinzip im Kosmos. Einer der Götter der Trimurti (Triade)

Brahman — das absolute Sein, das umfassende All-Eine, durch den Om- oder Aum-Laut dargestellt. (Siehe obiges Symbol.) Wird auch als Atman bezeichnet. Manche Hindus sehen im Brahman ein unpersönliches göttliches Prinzip oder den Urgrund alles Daseins

Buddha — Gautama, Begründer des Buddhismus; die Hindus sehen in ihm eine Inkarnation (Awatara) Wischnus

Durga — Gattin oder Schakti Schiwas; wird mit Kali identifiziert

Ganescha — der elefantenköpfige Gott und Sohn Schiwas, Beseitiger von Hindernissen, Gott des Erfolges. Wird auch Ganapatjas und Gadschanana genannt

Ganga — Göttin, eine der Gattinnen Schiwas und Personifikation des Ganges

Hanuman — Affengott und Bundesgenosse Ramas

Himalaja — Schneewohnung, Vater Parwatis

Kali — Schiwas schwarze Gattin (Schakti) und blutrünstige Göttin der Zerstörung. Häufig mit großer roter heraushängender Zunge dargestellt

Krischna — achte Inkarnation Wischnus und Gottheit der Bhagawadgita. Seine Gefährtinnen bei Liebesspielen sind die Gopis oder Hirtinnen

Lakschmi — Göttin der Schönheit und des Glücks; Gattin Wischnus

Manasa — Schlangengöttin

Manu — Stammvater des Menschengeschlechts; von einem großen Fisch aus der Sintflut gerettet

Mitra — Gott des Lichts. Den Römern als Mithras bekannt

Nandi — Stier, Schiwas Reittier

Nataradscha — Schiwa als Tänzer, umgeben von einem Flammenring

Parwati oder Uma — Göttin und Gemahlin Schiwas. Sie nimmt auch die Gestalt der Göttin Durga oder Kali an

Pradschapati — Weltschöpfer, Herr der Geschöpfe, Vater der Götter, Dämonen und aller anderen Geschöpfe. Später als Brahma bekannt

Puruscha — Urwesen. Die vier wichtigsten Kasten entstanden aus Körperteilen von ihm

Radha — Gefährtin Krischnas

Rama, Ramatschandra — siebte Inkarnation des Gottes Wischnu. Im Epos Ramajana wird das Leben des Rama und seiner Frau Sita erzählt

Saraswati — Göttin der Gelehrsamkeit und Gattin Brahmas, des Schöpfers

Sasthi — Göttin und Beschützerin von Mutter und Kind bei der Geburt

Schiwa — Gott der Fruchtbarkeit, des Todes und der Zerstörung; eine Gestalt der Trimurti. Seine Symbole sind Dreizack und Linga

Soma — ein Gott und eine Droge; das Lebenswasser

Wischnu — Gott, Erhalter des Lebens; dritte Gestalt der Trimurti

[Nachweis]

(Nach Angaben in Mythology—An Illustrated Encyclopedia)

[Bilder]

Von oben links im Uhrzeigersinn: Nataradscha (tanzender Schiwa), Saraswati, Krischna, Durga (Kali)

[Kasten auf Seite 120]

Die Flutsage der Hindus

„Dem Manu [Stammvater der Menschheit und erster Gesetzgeber] brachten sie (seine Diener) früh Waschwasser, ... als er sich wusch, kam ihm ein Fisch [Wischnu in seiner Inkarnation als Matsja] in die Hände.

Der sprach zu ihm: ‚Pflege mich, ich will dich retten.‘ — ‚Wovor willst du mich retten?‘ — ‚Eine Flut wird alle diese Geschöpfe fortführen, davor will ich dich retten.‘ — ‚Wie soll ich dich pflegen?‘ “

Der Fisch wies Manu an, wie er das tun sollte. „Da (sprach er): ‚Das und das Jahr wird die Flut kommen, dann magst du ein Schiff zimmern und zu mir dich wenden (im Geiste): wenn die Flut sich erhebt, magst du das Schiff besteigen, dann will ich dich retten.‘ “

Manu tat, wie ihm der Fisch geboten hatte, und während der Flut zog der Fisch das Schiff über einen „nördlichen Berg. Er sprach: ‚Ich habe dich gerettet: binde das Schiff an einen Baum, damit dich nicht, ob du auch auf dem Berge bist, das Wasser fortspült: wenn das Wasser allmählich fallen mag, dann magst du auch allmählich hinabsteigen‘ “ (Schatapatha-Brahmana, übersetzt von Albrecht Weber; vergleiche 1. Mose 6:9 bis 8:22).

[Karte/Bilder auf Seite 123]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Der Ganges, der im Himalaja entspringt und bei Kalkutta sowie in einem Delta in Bangladesch ins Meer mündet, hat eine Länge von über 2 400 km

INDIEN

Kalkutta

Ganges

[Bilder]

Ganga Ma stürzt auf Schiwas Haupt und wirbelt durch sein Haar

Fromme Hindus in Varanasi, früher Benares, baden an einer Ufertreppe im Ganges

[Bild auf Seite 96]

Ganescha, der elefantenköpfige hinduistische Gott des Erfolges, Sohn Schiwas und Parwatis

[Bilder auf Seite 99]

Lingas (phallische Symbole), verehrt von Hindus; Schiwa (Gott der Fruchtbarkeit) im Innern eines Lingas; vier Köpfe Schiwas rings um ein Linga

[Bild auf Seite 108]

Dschain-Nonnen tragen das mukha-vastrika oder Mundtuch, welches das Einatmen von Insekten, die dabei getötet würden, verhindern soll

[Bild auf Seite 115]

Schlangenverehrung, vorwiegend in Bengalen gepflegt; die Schlangengöttin heißt Manasa

[Bild auf Seite 118]

Wischnu mit seiner Gemahlin Lakschmi auf der Weltschlange Ananta mit dem vierköpfigen Brahma auf einem Lotos, der aus dem Nabel Wischnus gewachsen ist