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Bescheidenheit

Bescheidenheit

Sich seiner Grenzen bewusst sein; außerdem Keuschheit oder persönliche Reinheit. Das hebräische Wurzelverb zanáʽ wird in Micha 6:8, der einzigen Belegstelle, mit „bescheiden sein“ wiedergegeben. Das verwandte Adjektiv zanúaʽ (bescheiden) kommt in Sprüche 11:2 vor, wo es der Vermessenheit gegenübergestellt wird. Einige neuzeitliche Gelehrte nehmen zwar an, dass der Sinn dieser Wurzel „behutsam, sorgfältig, weise sein“ ist, doch viele vertreten die Bedeutung „bescheiden sein“. Zum Beispiel geht aus dem Hebräischen und aramäischen Handwörterbuch über das Alte Testament (von W. Gesenius, 17. Auflage, unveränderter Nachdruck 1962, S. 688) und dem Hebräischen und chaldäischen Handwörterbuch über das Alte Testament (von J. Fürst, Leipzig 1876, Bd. II, S. 279) hervor, dass die Wurzel den Gedanken an jemanden vermittelt, der zurückhaltend, bescheiden oder demütig ist. „Bescheidenheit“ ist eine Übersetzung des griechischen aidṓs (1Ti 2:9). Das Wort aidṓs, in sittlichem Sinn angewandt, bezeichnet Achtung, Ehrfurcht, Respekt vor den Gefühlen oder der Meinung anderer oder vor dem eigenen Gewissen und drückt somit Schamgefühl, Selbstachtung, Ehrgefühl, Besonnenheit und Bescheidenheit aus (H. G. Liddell, R. Scott, A Greek-English Lexicon, Oxford 1968, S. 36; F. Passow, Handwörterbuch der griechischen Sprache, Nachdruck: Darmstadt 1983, Bd. I/1, S. 53). Über einen Vergleich des Wortes aidṓs mit dem geläufigeren griechischen Wort für „Scham“, „Schande“ (ais·chýnē; 1Ko 1:27; Php 3:19) schreibt der Lexikograf Richard Trench, dass aidṓs „das edlere Wort ist und das edlere Motiv enthält. Es liegt darin ein natürliches Widerstreben gegen eine unehrenhafte Handlung, ein Widerstreben, das bei der ... [ais·chýnē] kaum vorhanden ist oder überhaupt nicht.“ Weiter schreibt er, dass „[aidṓs] immer einen guten Mann von einer unwürdigen Handlung abhalten wird, ... [ais·chýnē] dagegen manchmal einen schlechten“ (Synonyma des Neuen Testaments, Tübingen 1907, S. 44, 45). Somit spielt bei der hemmenden Kraft, die in dem Wort aidṓs zum Ausdruck kommt, besonders das Gewissen eine Rolle.

Bescheidenheit vor Gott. Die Bibel enthält viel Rat, wenn es um Bescheidenheit im Sinn einer angemessenen Selbsteinschätzung geht. „Weisheit ist bei den Bescheidenen“, heißt es in Sprüche. Dem ist so, weil eine bescheidene Person der Unehre entgeht, die Vermessenheit oder Prahlerei mit sich bringt (Spr 11:2). Sie handelt so, wie es Jehova gefällt, und ist daher weise (Spr 3:5, 6; 8:13, 14). Jehova liebt einen solchen Menschen und schenkt ihm Weisheit. Eines der Erfordernisse, um Jehovas Gunst zu erlangen, ist, ‘bescheiden mit ihm zu wandeln’ (Mi 6:8). Dazu gehört, dass man seinen sündigen Zustand im Gegensatz zur Größe, Reinheit und Heiligkeit Jehovas erkennt und seine Stellung vor Gott richtig einschätzt. Es bedeutet auch, dass man sich als ein Geschöpf Jehovas sieht, das völlig von ihm abhängig ist und seiner Souveränität untersteht. Eva tat dies nicht. Sie versuchte, sich völlig unabhängig zu machen und ihren Weg selbst zu bestimmen. Bescheidenheit hätte ihr geholfen, den Gedanken zu verwerfen, ‘wie Gott zu werden, erkennend Gut und Böse’ (1Mo 3:4, 5). Der Apostel Paulus warnt vor Selbstüberschätzung und Vermessenheit, indem er schreibt: „Fahrt fort ..., mit Furcht und Zittern eure eigene Rettung zu bewirken“ (Php 2:12).

Wessen man sich rühmen sollte. Prahlerei ist das Gegenteil von Bescheidenheit. Die Regel lautet: „Möge ein Fremder und nicht dein eigener Mund dich preisen; möge es ein Ausländer tun und nicht deine eigenen Lippen“ (Spr 27:2). Jehova selbst sagt: „Möge sich der Weise nicht seiner Weisheit rühmen, und möge sich der Starke nicht seiner Macht rühmen. Möge sich der Reiche nicht seines Reichtums rühmen. Wer sich aber rühmt, rühme sich allein dessen: Einsicht zu haben und Erkenntnis von mir zu haben, dass ich Jehova bin, der liebende Güte, Recht und Gerechtigkeit auf der Erde übt; denn an diesen Dingen habe ich Gefallen“ (Jer 9:23, 24; vgl. Spr 12:9; 16:18, 19).

Wie Gott bescheidene Personen betrachtet. Der Apostel Paulus zeigt, wie Gott bescheidene Personen ansieht, und führt auch sein eigenes Benehmen in der Versammlung als Beispiel für eine bescheidene Haltung an. Er schrieb an die Christen in Korinth: „Denn ihr seht eure Berufung, Brüder, dass nicht viele, die dem Fleische nach Weise sind, berufen wurden, nicht viele Mächtige, nicht viele von vornehmer Geburt; sondern Gott hat das Törichte der Welt auserwählt, damit er die Weisen beschäme; und Gott hat das Schwache der Welt auserwählt, damit er das Starke beschäme; und Gott hat das Unedle der Welt auserwählt und das, worauf man herabblickt, die Dinge, die nicht sind, um die Dinge, die sind, zunichtezumachen, damit sich vor Gott kein Fleisch rühme ...; damit es so sei, wie geschrieben steht: ‚Wer sich rühmt, rühme sich in Jehova.‘ Und so kam ich denn, Brüder, als ich zu euch kam, nicht mit übertriebener Redekunst oder Weisheit, um euch das heilige Geheimnis Gottes zu verkünden. Denn ich beschloss, unter euch nichts zu wissen außer Jesus Christus und ihn an den Pfahl gebracht. Und ich kam in Schwachheit und mit Furcht und mit vielem Zittern zu euch; und meine Rede und was ich predigte, bestand nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung von Geist und Kraft, damit euer Glaube nicht auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft beruhe“ (1Ko 1:26 bis 2:5).

„Geht nicht über das hinaus, was geschrieben steht“. Im weiteren Verlauf seines Briefes hob der Apostel Paulus die Notwendigkeit für alle hervor, bescheiden zu sein, so wie er selbst bescheiden war und sich selbst richtig einschätzte. Die Korinther waren dem Fallstrick zum Opfer gefallen, dass sie sich des Verhältnisses zu bestimmten Menschen rühmten, zum Beispiel zu Apollos und sogar zu Paulus. Paulus wies sie zurecht und schrieb ihnen, eine solche Handlungsweise sei fleischlich und nicht geistig. Er sagte: „Nun, Brüder, diese Dinge habe ich in übertragenem Sinn zu eurem Besten auf mich und Apollos angewandt, sodass ihr an unserem Fall die Regel kennenlernt: ‚Geht nicht über das hinaus, was geschrieben steht‘ [das heißt, überschreitet nicht die Grenzen, die die Bibel für eure Einstellung gegenüber anderen und gegenüber euch selbst setzt], damit ihr nicht persönlich aufgeblasen werdet zugunsten des einen gegen den anderen. Denn wer macht, dass du dich von einem anderen unterscheidest? In der Tat, was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn du es nun wirklich empfangen hast, warum rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?“ Die Beachtung dieses Rates kann einen davor bewahren, überheblich und prahlerisch zu sein wegen seiner Herkunft, Hautfarbe oder Nationalität oder wegen seines guten Aussehens, seiner Fähigkeiten, seines Wissens, seiner Intelligenz usw. (1Ko 4:6, 7).

Das Beispiel Jesu Christi. Jesus Christus gab das beste Beispiel in Bezug auf Bescheidenheit. Er sagte seinen Jüngern, er könne nichts von sich aus tun, sondern er tue nur das, was er seinen Vater tun sehe, und sein Vater sei größer als er (Joh 5:19, 30; 14:28). Jesus lehnte es ab, sich mit Titeln benennen zu lassen, die ihm nicht zustanden. Als einer der Vorsteher ihn mit „guter Lehrer“ anredete, erwiderte Jesus: „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut als nur einer, Gott“ (Luk 18:18, 19). Auch sagte er seinen Jüngern, sie sollten als Sklaven Jehovas aufgrund dessen, was sie in seinem Dienst erreichen würden, oder wegen ihres Wertes bei Gott nicht aufgeblasen werden. Stattdessen sollten sie, wenn sie alles getan hätten, was ihnen aufgetragen worden sei, die Einstellung haben: „Wir sind unnütze Sklaven. Was wir getan haben, ist das, was wir zu tun schuldig gewesen sind“ (Luk 17:10).

Der Herr Jesus Christus war als vollkommener Mensch auf der Erde seinen unvollkommenen Jüngern weit überlegen, und sein Vater hatte ihm große Gewalt verliehen. Dennoch berücksichtigte er im Umgang mit seinen Jüngern ihre Grenzen. Er schulte sie umsichtig und sprach sie auch in der richtigen Weise an. Er bürdete ihnen nicht mehr auf, als sie damals tragen konnten (Joh 16:12; vgl. Mat 11:28-30; 26:40, 41).

In Bezug auf Kleidung und andere Besitztümer. Als Paulus den Aufseher Timotheus anwies, in der Versammlung auf gutes Benehmen zu achten, schrieb er: „Ich [möchte], dass sich die Frauen in wohlgeordnetem Kleid mit Bescheidenheit und gesundem Sinn schmücken, nicht mit besonderem Flechten der Haare und mit Gold oder Perlen oder sehr kostspieligem Gewand, sondern in einer Weise, wie es sich Frauen ziemt, die Gott zu verehren bekennen, nämlich durch gute Werke“ (1Ti 2:9, 10). Der Apostel äußert sich hier nicht gegen eine adrette, gefällige Erscheinung, denn er empfiehlt ‘wohlgeordnete Kleider’. Er erklärt aber, dass Eitelkeit und auffällige Kleidung – durch die man auf sich selbst oder auf seine Mittel zum Lebensunterhalt aufmerksam macht – unangebracht sind. Auch die Bescheidenheit im Sinn der Achtung vor den Gefühlen anderer und im Sinn von Selbstachtung und Ehrgefühl spielt hierbei eine Rolle. Die Art und Weise, wie sich ein Christ kleidet, sollte das Anstandsgefühl nicht verletzen. Es sollte nicht gegen das sittliche Empfinden der Versammlung verstoßen oder bei einigen Anstoß erregen. Dieser Rat hinsichtlich der Kleidung zeigt, wie Jehova über die Verwendung anderer materieller Besitztümer denkt, die ein Christ haben mag, und wie Christen dazu eingestellt sein sollten. (Siehe DEMUT.)