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Kanaan

Kanaan

(Kạnaan) [„Kaufmannsland“, „Land des Händlers“], Kanaaniter (Kanaanịter).

1. Der an vierter Stelle aufgeführte Sohn Hams und der Enkel Noahs (1Mo 9:18; 10:6; 1Ch 1:8). Er war der Vorfahr von 11 Stämmen, die schließlich das Gebiet bewohnten, das an der O-Seite des Mittelmeers zwischen Ägypten und Syrien lag. Dieser Landstrich wurde deshalb „das Land Kanaan“ genannt (1Mo 10:15-19; 1Ch 16:18; siehe Nr. 2).

Im Anschluss an das, was in Verbindung mit der Trunkenheit Noahs geschehen war, äußerte Noah einen prophetischen Fluch über Kanaan, indem er voraussagte, dass Kanaan der Sklave Sems und Japhets werden würde (1Mo 9:20-27). Da es in dem Bericht nur heißt: „Ham, der Vater Kanaans, [sah] die Blöße seines Vaters und teilte es dann seinen beiden Brüdern draußen mit“, entsteht die Frage, warum nicht Ham, sondern Kanaan verflucht wurde. Rotherhams Übersetzung enthält zu 1. Mose 9:24 – wo gesagt wird, dass Noah, als er von seinem Weinrausch erwachte, „erfuhr, was sein jüngster Sohn ihm angetan hatte“ – folgende Fußnote: „Zweifellos Kanaan, nicht Ham: Sem und Japhet werden wegen ihrer Pietät gesegnet; Kanaan wird wegen einer ungenannten Schändlichkeit verflucht; Ham wird wegen seines Versäumnisses übergangen.“ Die jüdische Publikation Pentateuch und Haftaroth (herausgegeben von J. H. Hertz, Bd. 1, Berlin 1937, S. 84, 85) bringt einen ähnlichen Gedanken zum Ausdruck: „Diese unbestimmte Erzählung bezieht sich auf eine abscheuliche Tat, in die Kenaan verwickelt worden zu sein scheint.“ Und nach der Bemerkung, dass das in Vers 24 mit „Sohn“ übersetzte hebräische Wort auch „Enkel“ bedeuten kann, heißt es weiter: „Der Hinweis bezieht sich augenscheinlich auf Kenaan.“ The Soncino Chumash (herausgegeben von A. Cohen, London 1956, S. 47) weist ebenfalls darauf hin, dass einige glauben, Kanaan habe sich „einer perversen Lust an ihm [Noah] hingegeben“, und dass sich der Ausdruck „jüngster Sohn“ auf Kanaan beziehe, den jüngsten Sohn Hams.

Das sind natürlich nur Mutmaßungen, denn aus dem Bibelbericht geht nicht genau hervor, inwieweit Kanaan mit der Sünde gegen Noah in Verbindung stand. Doch irgendein Zusammenhang muss bestehen, denn kurz vor dem Bericht über die Trunkenheit Noahs wird plötzlich Kanaan erwähnt (1Mo 9:18), und als die Handlungsweise Hams beschrieben wird, wird dieser als „Ham, der Vater Kanaans“, bezeichnet (1Mo 9:22). Es ist logisch anzunehmen, dass die Worte „sah ... die Blöße seines Vaters“ auf einen Missbrauch oder eine perverse Handlung hinweisen, mit der Kanaan zu tun hatte, denn wenn die Bibel davon spricht, jemandes ‘Blöße sei aufgedeckt’ oder ‘gesehen worden’, ist in den meisten Fällen Blutschande oder eine andere Sexualstraftat gemeint (3Mo 18:6-19; 20:17). Es ist also möglich, dass sich Kanaan an Noah, der nicht bei Bewusstsein war, verging oder es zumindest versuchte und dass Ham, obwohl er davon wusste, diese Schandtat nicht verhinderte oder es versäumte, seinen Sohn zu bestrafen. Stattdessen erzählte er auch seinen Brüdern von der Schande Noahs und machte somit das begangene Unrecht noch schlimmer.

Außerdem muss bei dem Fluch der prophetische Faktor berücksichtigt werden. Nichts deutet darauf hin, dass Kanaan zu seinen Lebzeiten ein Sklave Sems oder Japhets wurde. Gott machte jedoch von seinem Vorherwissen Gebrauch, und da der von Noah geäußerte Fluch von Gott inspiriert war und Gott sein Missfallen niemals ohne berechtigten Grund zum Ausdruck bringt, ist anzunehmen, dass Kanaan bereits einen ausgesprochen verdorbenen Charakterzug offenbart hatte – vielleicht Lüsternheit – und dass Gott die üblen Folgen voraussah, die dieses Charaktermerkmal für die Nachkommen Kanaans schließlich haben würde. Bereits in Kains Fall hatte Jehova eine falsche Einstellung bemerkt und ihn vor der Gefahr gewarnt, sich von der Sünde überwältigen zu lassen (1Mo 4:3-7); Gott hatte auch bei den meisten vor der Sintflut lebenden Menschen die unverbesserliche Neigung zum Schlechten erkannt, die ihre Vernichtung rechtfertigte (1Mo 6:5). Der offenkundigste Beweis für die berechtigte Verfluchung Kanaans ist die spätere Geschichte seiner Nachkommen, denn sie sind dafür bekannt, besonders unmoralisch und lasterhaft gewesen zu sein, was sowohl die Bibel als auch die Geschichte bestätigt. Der Fluch über Kanaan erfüllte sich, etwa 800 Jahre nachdem er geäußert worden war, und zwar als Kanaans Nachkommen von den semitischen Israeliten unterworfen wurden und später unter die Herrschaft der japhetitischen Mächte, Medo-Persien, Griechenland und Rom, gelangten.

2. Der Name Kanaan wird auch auf die Nachkommen des Sohnes Hams und auf ihr Land angewandt. Kanaan war die frühere und ursprüngliche Bezeichnung für den Teil Palästinas, der w. des Jordan liegt (4Mo 33:51; 35:10, 14), obwohl die kanaanitischen Amoriter auch in das Land ö. des Jordan eindrangen, ehe die Israeliten es eroberten (4Mo 21:13, 26).

Die Grenzen und die frühe Geschichte. Die frühste Beschreibung der Grenzen Kanaans lässt erkennen, dass sie von Sidon im N bis nach Gerar im SW, nahe bei Gasa, verliefen und im SO bis nach Sodom und den umliegenden Städten (1Mo 10:19). In den Tagen Abrahams gehörten Sodom und die anderen „Städte des ‚Bezirks‘“ jedoch anscheinend nicht zu dem eigentlichen Land Kanaan (1Mo 13:12). Mit den Gebieten Edoms und Moabs, die von den Nachkommen Abrahams und Lots bewohnt wurden, verhielt es sich wahrscheinlich ebenso (1Mo 36:6-8; 2Mo 15:15). Die Grenzen des Landes Kanaan, das der Nation Israel verheißen worden war, werden in 4. Mose 34:2-12 genau beschrieben und verliefen offensichtlich n. von Sidon und im S bis zum „Wildbachtal Ägyptens“ und bis Kadesch-Barnea. Die Philister – sie waren keine Kanaaniter (1Mo 10:13, 14) – bewohnten das Küstengebiet s. der Ebene von Scharon, aber auch diese Gegend wurde in früheren Zeiten zum Land Kanaan ‘gerechnet’ (Jos 13:3). Auch andere Stämme, z. B. die Keniter (eine Familie, die später mit den Midianitern in Verbindung gebracht wird; 4Mo 10:29; Ri 1:16) und die Amalekiter (die von Esau abstammten; 1Mo 36:12), waren in das Gebiet eingedrungen (1Mo 15:18-21; 4Mo 14:45).

Ob die Nachkommen Kanaans unmittelbar nach der Sprachverwirrung in Babel (1Mo 11:9) in dieses Land einwanderten und sich darin ansiedelten oder ob sie zunächst mit dem größten Teil der Hamiten nach Afrika gingen und dann nach und nach in das Gebiet von Palästina hinaufzogen, sagt die Bibel nicht. Als Abraham im Jahr 1943 v. u. Z. Haran in Paddan-Aram verließ, um in dieses Gebiet zu ziehen, war es jedenfalls schon von Kanaanitern bewohnt, und Abraham hatte gewisse Beziehungen sowohl zu Amoritern als auch zu Hethitern (1Mo 11:31; 12:5, 6; 13:7; 14:13; 23:2-20). Abraham wurde von Jehova Gott wiederholt die Verheißung gegeben, dass sein Same, d. h. seine Nachkommen, das Land erben würden, und er wurde angewiesen, ‘das Land zu durchwandern nach seiner Länge und nach seiner Breite’ (1Mo 12:7; 13:14-17; 15:7, 13-21; 17:8). Aufgrund dieser Verheißung und aus Achtung vor Gottes Fluch sorgte Abraham dafür, dass sein Sohn Isaak keine Kanaaniterin heiratete (1Mo 24:1-4).

Abraham und später auch Isaak und Jakob konnten mit ihren riesigen Klein- und Großviehherden ohne große Behinderung im Land umherziehen. Das lässt erkennen, dass das Gebiet noch nicht dicht besiedelt war. (Vgl. 1Mo 34:21.) Ergebnisse archäologischer Forschungen haben ebenfalls gezeigt, dass die Gegend damals ziemlich dünn besiedelt war; die meisten Städte lagen im Küstengebiet, in der Nähe des Toten Meeres, im Jordantal und in der Ebene von Jesreel. Gemäß W. F. Albright hatte das Hügelland von Palästina in der ersten Hälfte des 2. Jahrtausends v. u. Z. immer noch keine sesshafte Bevölkerung. Somit ist die biblische Überlieferung absolut zuverlässig, nach der die Patriarchen das Hügelland Zentralpalästinas und die Trockengebiete des Südens durchzogen, wo für sie noch genug Platz vorhanden war (Archaeology of Palestine and the Bible, 1933, S. 131–133). Kanaan stand damals offensichtlich in gewisser Hinsicht unter elamitischer (und daher semitischer) Beeinflussung und Herrschaft, was aus dem Bibelbericht in 1. Mose 14:1-7 hervorgeht.

Zu den Städten, in deren Umgebung Abraham, Isaak und Jakob zelteten, gehörten Sichem (1Mo 12:6), Bethel und Ai (1Mo 12:8), Hebron (1Mo 13:18), Gerar (1Mo 20:1) und Beerscheba (1Mo 22:19). Die Kanaaniter scheinen den hebräischen Patriarchen gegenüber zwar nicht besonders feindlich gesinnt gewesen zu sein, dennoch verdankten diese ihre Sicherheit vor Angriffen hauptsächlich dem göttlichen Schutz (Ps 105:12-15). Daher kam nach dem Angriff der Söhne Jakobs auf die hiwitische Stadt Sichem „der Schrecken Gottes“ über die Nachbarstädte, „sodass sie den Söhnen Jakobs nicht nachjagten“ (1Mo 33:18; 34:2; 35:5).

Die Geschichte deutet an, dass Ägypten etwa 200 Jahre die Oberherrschaft über das Land Kanaan hatte, bevor die Israeliten es eroberten. Aus Botschaften (als die Amarnabriefe bekannt), die von Vasallenherrschern aus Syrien und Palästina an Pharao Amenophis III. und Pharao Echnaton übermittelt wurden, geht hervor, dass es in jener Zeit zwischen den Städten oft zu Streitigkeiten kam und es viele politische Intrigen gab. Als das Volk Israel an den Grenzen Kanaans ankam (1473 v. u. Z.), war das Land in eine Vielzahl von Stadtstaaten oder kleinen Königreichen zersplittert, obwohl aufgrund von Stammverwandtschaft unter ihnen noch ein gewisser Zusammenhalt bestand. Die Kundschafter, die fast 40 Jahre zuvor das Land durchforscht hatten, hatten berichtet, dass es ein ertragreiches Land mit gut befestigten Städten war (4Mo 13:21-29; vgl. 5Mo 9:1; Ne 9:25).

Die Niederlassung der Stämme Kanaans. Von den 11 kanaanitischen Stämmen (1Mo 10:15-19) nahmen die Amoriter anscheinend eine bedeutende Stellung ein (siehe AMORITER). Sie eroberten nicht nur Land in Baschan und Gilead ö. des Jordan, sondern gemäß Bibeltexten, die auf die Amoriter Bezug nehmen, waren sie auch in der Berggegend Kanaans im N und im S zahlreich vertreten (Jos 10:5; 11:3; 13:4). Vielleicht standen die Hethiter zahlenmäßig an zweiter Stelle. Obwohl sie zur Zeit Abrahams im S sogar bis Hebron zu finden waren (1Mo 23:19, 20), hielten sie sich wahrscheinlich später hauptsächlich im N in Richtung Syrien auf (Jos 1:4; Ri 1:23-26; 1Kö 10:29).

Von den anderen Stämmen, die in Verbindung mit der Eroberung erwähnt wurden, standen die Jebusiter, die Hiwiter und die Girgaschiter an nächster Stelle. Die Jebusiter wohnten offensichtlich in der Berggegend um Jerusalem (4Mo 13:29; Jos 18:16, 28). Die Hiwiter hatten sich vom Fuß des Hermon im N (Jos 11:3) bis hinunter nach Gibeon im S angesiedelt (Jos 9:3, 7). Das Gebiet der Girgaschiter ist nicht angegeben.

Die übrigen sechs Stämme, die Sidonier, die Arwaditer, die Hamathiter, die Arkiter, die Siniter und die Zemariter, sind wahrscheinlich in dem umfassenden Begriff „Kanaaniter“ eingeschlossen, der des Öfteren zusammen mit den Namen anderer Stämme erwähnt wird, es sei denn, der Ausdruck bezieht sich lediglich auf Städte und Bevölkerungsgruppen mit Angehörigen verschiedener kanaanitischer Stämme (2Mo 23:23; 34:11; 5Mo 7:1; 4Mo 13:29). Vermutlich wohnten die erwähnten sechs Stämme hauptsächlich n. des Gebiets, das ursprünglich von den Israeliten erobert wurde, und deshalb werden sie in dem Bericht über die Eroberung nicht besonders erwähnt.

Die Eroberung Kanaans durch Israel (KARTEN, Bd. 1, S. 737, 738). Im zweiten Jahr nach dem Auszug aus Ägypten versuchten die Israeliten zum ersten Mal, in den s. Teil Kanaans einzudringen. Gott unterstützte sie dabei jedoch nicht, und sie wurden von den Kanaanitern und deren Verbündeten, den Amalekitern, in die Flucht geschlagen (4Mo 14:42-45). Am Ende der 40-jährigen Wanderung rückte Israel wieder gegen die Kanaaniter vor und wurde von dem König von Arad angegriffen, der im Negeb wohnte. Aber diesmal erlitten die Kanaaniter eine Niederlage, und ihre Städte wurden zerstört (4Mo 21:1-3). Doch die Israeliten drangen nach diesem Sieg nicht von S her in das Land ein, sondern machten einen Schwenk und näherten sich von O. Dadurch gerieten sie mit den Amoriterreichen Sihons und Ogs in Konflikt. Israel brachte diesen Königen eine Niederlage bei und gewann so die Herrschaft über ganz Baschan und Gilead. Dazu gehörten allein in Baschan 60 Städte „mit einer hohen Mauer, Türen und Riegeln“ (4Mo 21:21-35; 5Mo 2:26 bis 3:10). Durch den Sieg der Israeliten über diese mächtigen Könige sank der Mut der Kanaaniterreiche w. des Jordan; und als die Nation Israel danach durch ein Wunder trockenen Fußes den Jordan überquerte, ‘begann das Herz der Kanaaniter zu schmelzen’. Deshalb griffen die Kanaaniter zu der Zeit, als sich viele israelitische Männer von der Beschneidung erholten, und während der folgenden Passahfeier das israelitische Lager in Gilgal nicht an (Jos 2:9-11; 5:1-11).

In Gilgal hatten die Israeliten aus dem Jordan genügend Wasser, und aus den eroberten Gebieten ö. des Jordan erhielten sie auch ausreichend Nahrung. Deshalb war Gilgal ein günstiger Stützpunkt, von dem aus sie die Eroberung des Landes fortsetzen konnten. Die nahe gelegene Grenzstadt Jericho, die zu jener Zeit fest verschlossen war, war ihr erstes Angriffsziel, und ihre gewaltigen Mauern stürzten durch die Macht Jehovas ein (Jos 6:1-21). Dann stiegen die Angreifer etwa 1000 m in die Berggegend n. von Jerusalem hinauf, und nach einer anfänglichen Niederlage nahmen sie Ai ein und verbrannten es (Jos 7:1-5; 8:18-28). Während sich die Kanaaniterreiche des ganzen Landes zusammenschlossen, um die Israeliten zurückzuschlagen, versuchten gewisse hiwitische Städte – Gibeon und drei Nachbarstädte –, durch eine List mit den Israeliten Frieden zu schließen. Das wurde offensichtlich von den anderen Kanaaniterreichen als ein Verrat angesehen, der die Einheit des ganzen kanaanitischen Bündnisses gefährdete. Deshalb taten sich fünf Könige Kanaans zusammen, um nicht gegen Israel, sondern gegen Gibeon zu kämpfen. Israelitische Truppen unter Josua marschierten die ganze Nacht hindurch, um die belagerte Stadt zu retten. Während Josua erfolgreich gegen die fünf angreifenden Könige kämpfte, fielen durch ein Wunder riesige Hagelsteine vom Himmel und Gott verzögerte den Sonnenuntergang (Jos 9:17, 24, 25; 10:1-27).

Die siegreichen israelitischen Streitkräfte zogen dann durch die ganze s. Hälfte Kanaans (mit Ausnahme der Ebene von Philistäa) und eroberten die Städte der Schephela, der Berggegend und des Negeb. Dann kehrten sie in ihr Lager bei Gilgal am Jordan zurück (Jos 10:28-43). Nun begannen die Kanaaniter im n. Landesteil unter der Leitung des Königs von Hazor, ihre Truppen und ihre Kriegswagen zu sammeln. Sie brachten ihre Streitkräfte an den Wassern von Merom zusammen, n. des Galiläischen Meeres. Das Heer Josuas unternahm jedoch einen Überraschungsangriff auf die Kanaaniter, die sich zusammengetan hatten, und schlug sie in die Flucht. Danach marschierte es weiter und nahm ihre Städte ein, bis zum n. gelegenen Baal-Gad am Fuß des Hermon (Jos 11:1-20). Dieser Feldzug dauerte offensichtlich ziemlich lange. Danach führte Josua im S in der Berggegend gegen die riesenhaften Enakiter und ihre Städte einen Angriffskrieg (Jos 11:21, 22; siehe ENAKITER).

Inzwischen waren seit dem Beginn der Kämpfe sechs Jahre vergangen. Der größte Teil Kanaans war erobert, und die Kraft der kanaanitischen Stämme war gebrochen. Man konnte also anfangen, das Land unter die israelitischen Stämme zu verteilen. (Siehe GRENZE.) Es gab aber immer noch mehrere Landstriche, die unterworfen werden mussten. Dazu gehörten größere Landesteile, wie das Gebiet der Philister (die zwar keine Kanaaniter waren, sich aber das den Israeliten verheißene Land widerrechtlich angeeignet hatten), das Gebiet der Geschuriter (vgl. 1Sa 27:8), das Gebiet zwischen der Umgebung von Sidon und Gebal (Byblos) und der ganze Libanon (Jos 13:2-6). Außerdem gab es überall im Land verstreut Widerstandsnester, von denen einige später von den Stämmen Israels eingenommen wurden, denen das betreffende Gebiet zugeteilt worden war, während andere nicht erobert wurden. Die Einwohner wurden geduldet, und sie mussten für die Israeliten Zwangsarbeit verrichten (Jos 15:13-17; 16:10; 17:11-13, 16-18; Ri 1:17-21, 27-36).

Obwohl viele Kanaaniter den großen Eroberungsfeldzug überlebten und sich nicht unterwarfen, konnte gesagt werden, dass „Jehova Israel das ganze Land [gab], das er ihren Vorvätern zu geben geschworen hatte“, dass er „ihnen ringsumher Ruhe“ gab und dass „keine Verheißung ... dahingefallen [war] von der ganzen guten Verheißung, die Jehova dem Hause Israel gegeben hatte; alles traf ein“ (Jos 21:43-45). Die feindlichen Völker ringsum waren alle eingeschüchtert worden und bildeten für Israels Sicherheit keine echte Gefahr mehr. Gott hatte früher erklärt, dass er die Kanaaniter „nach und nach“ vertreiben werde, damit sich die wilden Tiere in einem plötzlich verödeten Land nicht mehren würden (2Mo 23:29, 30; 5Mo 7:22). Wenn es den Israeliten schließlich nicht gelang, gewisse Gebiete einzunehmen, so war dies nicht darauf zurückzuführen, dass Jehova seine Verheißung nicht erfüllte, und auch nicht darauf, dass die Kanaaniter besser gerüstet waren (sie hatten Kriegswagen mit eisernen Sicheln) als die Israeliten (Jos 17:16-18; Ri 4:13). Der Bericht zeigt vielmehr, dass die wenigen Niederlagen, die sie erlitten, ihrer Untreue zuzuschreiben waren (4Mo 14:44, 45; Jos 7:1-12).

Warum beschloss Jehova, die Kanaaniter auszurotten?

Aus dem Geschichtsbericht geht hervor, dass die Bewohner der von den Israeliten eroberten kanaanitischen Städte völlig vernichtet wurden (4Mo 21:1-3, 34, 35; Jos 6:20, 21; 8:21-27; 10:26-40; 11:10-14). Aufgrund dieser Tatsache stellten einige Kritiker die Hebräischen Schriften oder das „Alte Testament“ so hin, als ob es von einem Geist der Grausamkeit und von Beschreibungen mutwilligen Gemetzels durchdrungen sei. In Wirklichkeit geht es jedoch um die Streitfrage, ob Gottes Souveränität über die Erde und ihre Bewohner anerkannt wird oder nicht. Er hatte das Besitzrecht auf das Land Kanaan dem „Samen Abrahams“ übertragen und dies mit einem Eid und einem Bund bekräftigt (1Mo 12:5-7; 15:17-21; vgl. 5Mo 32:8; Apg 17:26). Gott wollte aber die damaligen Bewohner des Landes nicht nur vertreiben oder enteignen, sondern auch sein Recht ausüben, als „Richter der ganzen Erde“ zu amtieren (1Mo 18:25), diejenigen zum Tod zu verurteilen, die es verdienten, sowie dieses Urteil auch zu vollstrecken.

Die Rechtmäßigkeit des prophetischen Fluches Gottes über Kanaan wurde durch die Zustände bestätigt, die sich in Kanaan bis zur Zeit der Eroberung durch Israel entwickelt hatten. Jehova räumte, von der Zeit Abrahams an gerechnet, 400 Jahre ein, damit ‘die Vergehung der Amoriter vollendet’ würde (1Mo 15:16). Die Tatsache, dass die hethitischen Frauen Esaus „für Isaak und Rebekka ein Anlass zur Bitterkeit des Geistes“ waren und ‘ihretwegen das Leben Rebekka sogar anwiderte’, lässt zweifellos die Schlechtigkeit erkennen, die die Kanaaniter zu jener Zeit schon offenbarten (1Mo 26:34, 35; 27:46). Während der folgenden Jahrhunderte häuften sich die Abscheulichkeiten der Bewohner Kanaans; sie trieben Götzendienst, begingen sexuelle Unmoral und vergossen viel Blut. Ihre Religion war außergewöhnlich verwerflich und entartet, ihre „heiligen Pfähle“ und „heiligen Säulen“ waren offensichtlich Phallussymbole, und zu vielen auf ihren „heiligen Höhen“ verübten Riten gehörten anstößige sexuelle Ausschweifungen und Zügellosigkeit (2Mo 23:24; 34:12, 13; 4Mo 33:52; 5Mo 7:5). Blutschande, Homosexualität und Sodomie waren im Land Kanaan gang und gäbe; deshalb war das Land unrein, und wegen seiner Vergehen sollte es „seine Bewohner ausspeien“ (3Mo 18:2-25). Die Kanaaniter verübten noch weitere Abscheulichkeiten: Sie trieben Magie, banden andere mit Bannsprüchen, übten Spiritismus aus und verbrannten ihre Kinder als Opfer (5Mo 18:9-12).

In Hazor gefundene heilige Säulen (Stelen) und ein Opfertisch. Die Inschrift auf der mittleren Stele könnte eine Bitte an den Mondgott symbolisieren.

Die bedeutendste Gottheit, die die Kanaaniter verehrten, war Baal (Ri 2:12, 13; vgl. Ri 6:25-32; 1Kö 16:30-32). Die kanaanitischen Göttinnen Aschtoret (Ri 2:13; 10:6; 1Sa 7:3, 4), Aschera und Anath werden in einem ägyptischen Text sowohl als Muttergöttinnen als auch als heilige Prostituierte dargestellt, die merkwürdigerweise ewig jungfräulich bleiben (wtl. „die großen Göttinnen, die empfangen, aber nicht gebären“). Ihre Verehrung war stets mit dem Dienst von Tempelprostituierten verbunden. Diese Göttinnen waren nicht nur Symbol der Wollust, sondern auch der sadistischen Gewalt und des Krieges. So schildert das Baal-Epos aus Ugarit die Göttin Anath, wie sie Menschen wahllos niedermetzelt, sich dann die Köpfe ihrer Opfer als Zierde umbindet und deren Hände an ihren Gürtel heftet und dabei frohlockend in ihrem Blut watet. Die Figürchen der Göttin Aschtoret, die in Palästina entdeckt wurden, sind nackte Frauen mit übertrieben betonten Geschlechtsmerkmalen. Über ihren Phalluskult bemerkt der Archäologe W. F. Albright: „Die Kehrseite stellt dagegen die Erotik ihres Kultes dar, die zu äußerst schmutzigen Tiefen sozialer Erniedrigung hinabgeführt haben muss“ (Die Religion Israels im Lichte der archäologischen Ausgrabungen, 1956, S. 91, 92; siehe ASCHTORET; BAAL Nr. 4).

Zu ihren schändlichen Bräuchen gehörten auch Kinderopfer. Merrill F. Unger schreibt: „Bei Ausgrabungen in Palästina hat man auf Friedhöfen in der Umgebung heidnischer Altäre große Mengen von Asche und Überreste von Kinderskeletten gefunden, was zeigt, dass dieser abscheuliche Brauch weit verbreitet war“ (Archaeology and the Old Testament, 1964, S. 161). In Halley’s Bible Handbook (1964, S. 161) heißt es: „Zum Kult der Kanaaniter gehörte also die rituelle hemmungslose Befriedigung sinnlicher Begierden vor ihren Göttern. Denselben Göttern brachten sie auch ihre ermordeten erstgeborenen Kinder als Opfer dar. Es scheint, dass das ganze Land Kanaan großenteils eine Art Sodom und Gomorra geworden war. ... Hatte eine solch abscheulich schmutzige und brutale Kultur das geringste Recht weiter zu bestehen? ... Archäologen, die in den Trümmern kanaanitischer Städte graben, wundern sich darüber, dass Gott sie nicht schon früher vernichtete“ (BILD, Bd. 1, S. 739).

Jehova hatte zur Zeit der Sintflut sein unumschränktes Recht ausgeübt, an der gesamten bösen Erdbevölkerung das Todesurteil zu vollstrecken; dasselbe hatte er mit dem ganzen „Bezirk“ der Städte Sodom und Gomorra getan, denn ‘der Klageschrei über diese Städte war laut und ihre Sünde sehr schwer’ gewesen (1Mo 18:20; 19:13); er hatte das Todesurteil an den Streitkräften Pharaos im Roten Meer vollzogen; außerdem hatte er unter den Israeliten die Hausgemeinschaften Korahs und andere Rebellen ausgerottet. In diesen Fällen hatte er sich jedoch der Naturkräfte bedient, um die Vernichtung herbeizuführen. Im Gegensatz dazu übertrug Jehova nun den Israeliten die heilige Pflicht, als Hauptvollstrecker seines Urteils zu amtieren – unter der Leitung seines Engels und mit der Unterstützung seiner allmächtigen Kraft (2Mo 23:20-23, 27, 28; 5Mo 9:3, 4; 20:15-18; Jos 10:42). Die Folgen waren für die Kanaaniter jedoch die gleichen, als wenn Gott eine Naturkatastrophe, eine Flut, eine Vernichtung durch Feuer oder ein Erdbeben, über sie gebracht hätte, und die Tatsache, dass Jehova sich Menschen bediente, um verurteilte Völker zu Tode zu bringen – so unangenehm dieser Auftrag auch gewesen sein mag –, ändert nichts an der Rechtmäßigkeit der von Gott angeordneten Urteilsvollstreckung (Jer 48:10). Dadurch, dass er eine Nation als Werkzeug benutzte, um gegen „sieben Nationen, die volkreicher und mächtiger“ waren als sie, ins Feld zu ziehen, verherrlichte er seine Macht und bewies seine Göttlichkeit (5Mo 7:1; 3Mo 25:38).

Den Kanaanitern war bekannt, dass Gott auf machtvolle Weise Zeugnis darüber abgelegt hatte, dass Israel sein auserwähltes Volk und das von ihm gebrauchte Werkzeug war (Jos 2:9-21, 24; 9:24-27). Abgesehen von Rahab und ihrer Familie sowie den Städten der Gibeoniter, ergriff jedoch niemand von denen, die vernichtet werden sollten, die Gelegenheit zu fliehen, und niemand von ihnen suchte Barmherzigkeit zu erlangen, sondern sie verhärteten sich in ihrer Auflehnung gegen Jehova. Er zwang sie nicht, sich zu beugen und sich seinem Willen zu unterstellen, sondern ließ „ihr Herz verstockt werden ..., sodass sie Israel den Krieg erklärten, damit er sie der Vernichtung weihe, sodass ihnen keine Vergünstigung widerfahren würde, sondern dass er sie vertilgen würde“, indem er sein Urteil an ihnen vollstreckte (Jos 11:19, 20).

Josua war weise und „ließ kein Wort ausfallen von all dem, was Jehova Moses [hinsichtlich der Vernichtung der Kanaaniter] geboten hatte“ (Jos 11:15). Doch die Israeliten ahmten sein gutes Beispiel nicht nach und beseitigten die Ursache der Verunreinigung des Landes nicht völlig. Dadurch, dass die Kanaaniter weiterhin unter ihnen wohnten, wurde Israel zum Schlechten beeinflusst. Das hatte zweifellos zur Folge, dass im Lauf der Zeit mehr Menschen ihr Leben verloren (ganz zu schweigen von den Verbrechen, der Unmoral und dem Götzendienst, die dieser Einfluss mit sich brachte), als es der Fall gewesen wäre, wenn der Auftrag, die Kanaaniter auszurotten, treu ausgeführt worden wäre (4Mo 33:55, 56; Ri 2:1-3, 11-23; Ps 106:34-43). Jehova hatte die Israeliten warnend darauf hingewiesen, dass er in seinem Gericht und in seinen Urteilssprüchen keine parteiischen Unterschiede machen würde und sie ebenfalls unweigerlich das Todesurteil über sich bringen und ‘aus dem Land ausgespien würden’, wenn sie mit den Kanaanitern Beziehungen anknüpfen, untereinander heiraten, sich in religiöser Hinsicht mit ihnen verbinden sowie ihre religiösen Bräuche und verdorbenen Praktiken annehmen würden (2Mo 23:32, 33; 34:12-17; 3Mo 18:26-30; 5Mo 7:2-5, 25, 26).

In Richter 3:1, 2 heißt es, dass Jehova einige kanaanitische Völker im Land ließ, „um durch sie Israel auf die Probe zu stellen, das heißt alle die, die keine der Kriege Kanaans erlebt hatten; es war nur, damit die Generationen der Söhne Israels Erfahrung bekämen, um sie Krieg zu lehren, das heißt nur die, die solche Dinge zuvor nicht erfahren hatten“. Das ist kein Widerspruch zu Richter 2:20-22, wo es heißt, dass Jehova diese Völker wegen Israels Untreue bestehen ließ und, um „Israel auf die Probe zu stellen, ob sie den Weg Jehovas einhalten werden“. Es ist vielmehr eine Ergänzung und zeigt, dass spätere Generationen der Israeliten dadurch Gelegenheit erhalten würden, ihren Gehorsam gegenüber den Geboten zu beweisen, die Gott ihnen hinsichtlich der Kanaaniter gegeben hatte. Ihre Treue würde sich daran zeigen, ob sie aus Gehorsam bereit wären, im Krieg sogar ihr Leben aufs Spiel zu setzen.

Die Auffassung einiger Bibelkritiker, die Ausrottung der Kanaaniter durch die Israeliten passe nicht zu den Christlichen Griechischen Schriften, entspricht also nicht den Tatsachen. Das geht aus Bibeltexten wie Matthäus 3:7-12; 22:1-7; 23:33; 25:41-46; Markus 12:1-9; Lukas 19:14, 27; Römer 1:18-32; 2. Thessalonicher 1:6-9; 2:3 und Offenbarung 19:11-21 deutlich hervor.

Die spätere Geschichte. Nach den Eroberungsfeldzügen änderte sich das Verhältnis zwischen den Kanaanitern und den Israeliten nach und nach, und sie lebten relativ friedlich nebeneinander her. Das wirkte sich auf Israel allerdings negativ aus (Ri 3:5, 6; vgl. Ri 19:11-14). Für eine gewisse Zeitspanne herrschten nacheinander syrische, moabitische und philistäische Regenten über die Israeliten, doch erst zur Zeit Jabins, der „König von Kanaan“ genannt wurde, erlangten die Kanaaniter wieder so viel Macht, dass sie Israel 20 Jahre lang unterdrücken konnten (Ri 4:2, 3). Nachdem Jabin schließlich von Barak geschlagen worden war, geriet Israel während der Zeit vor dem Königtum hauptsächlich durch nichtkanaanitische Völker in Schwierigkeiten – durch die Midianiter, die Ammoniter und die Philister. Auch in den Tagen Samuels wurden von den kanaanitischen Stämmen nur die Amoriter kurz erwähnt (1Sa 7:14). König David trieb die Jebusiter aus Jerusalem aus (2Sa 5:6-9), doch seine bedeutendsten Feldzüge führte er gegen die Philister, die Ammoniter, die Moabiter, die Edomiter, die Amalekiter und die Syrer. Die Kanaaniter waren also, obwohl sie immer noch in Israels Territorium einige Städte und Land besaßen (2Sa 24:7, 16-18), in militärischer Hinsicht offensichtlich keine Gefahr mehr. Unter der Streitmacht Davids befanden sich zwei hethitische Krieger (1Sa 26:6; 2Sa 23:39).

Salomo setzte während seiner Herrschaft die übrig gebliebenen Angehörigen der kanaanitischen Stämme bei seinen vielen Bauvorhaben als Zwangsarbeiter ein (1Kö 9:20, 21), und er dehnte seine Bautätigkeit sogar bis in die n. kanaanitische Stadt Hamath aus (2Ch 8:4). Später trugen jedoch kanaanitische Frauen zum Untergang Salomos bei, zum Verlust eines großen Teils des Königreiches zur Zeit seines Erben und zur religiösen Verderbtheit der Nation (1Kö 11:1, 13, 31-33). Von der Herrschaft Salomos (1037–998 v. u. Z.) bis zur Herrschaft Jorams von Israel (um 917 bis 905 v. u. Z.) haben anscheinend als Stamm nur die Hethiter ein gewisses Maß an Bedeutung und Stärke behalten, obwohl sie offensichtlich n. des israelitischen Gebiets wohnten, an der Grenze zu Syrien oder in Syrien selbst (1Kö 10:29; 2Kö 7:6).

Unter den aus dem Babylonischen Exil zurückgekehrten Israeliten bestand noch immer das Problem, dass sie und die Kanaaniter untereinander heirateten (Esr 9:1, 2), aber die Kanaaniterreiche, auch die der Hethiter, zerfielen offenbar durch die Angriffe der Syrer, der Assyrer und der Babylonier. Die Bezeichnung „Kanaan“ wurde später in erster Linie auf Phönizien angewandt, z. B. in der Prophezeiung Jesajas über Tyrus (Jes 23:1, 11, Fn.) und im Fall der „phönizischen“ (wtl. kanaanäischen [gr. Chananáia]) Frau aus den Gegenden von Tyrus und Sidon, von der Jesus angesprochen wurde (Mat 15:22, Fn.; vgl. Mar 7:26).

Für den Handel und geopolitisch von Bedeutung. Kanaan bildete eine Landbrücke, die Ägypten mit Asien, besonders mit Mesopotamien, verband. Obwohl es ein Agrarstaat war, wurde auch Handel getrieben, und die Hafenstädte Tyrus und Sidon wurden bedeutungsvolle Handelszentren mit Flotten, die in der ganzen damals bekannten Welt berühmt waren. (Vgl. Hes 27.) Deshalb war schon zur Zeit Hiobs das Wort „Kanaaniter“ ein Synonym für „Händler“ geworden, und es wurde auch so übersetzt (Hi 41:6; Ze 1:11; man beachte auch, dass Babylon als „das Land Kanaan“ bezeichnet wurde [Hes 17:4, 12]). Kanaan war demnach ein strategisch wichtiges Gebiet im Fruchtbaren Halbmond und eine Zielscheibe der bedeutenden Reiche Mesopotamiens, Kleinasiens und Afrikas, die alle daran interessiert waren, die durch Kanaan ziehenden Heere oder Kaufleute zu überwachen. Dass Gott sein auserwähltes Volk in diesem Land ansiedelte, erregte bestimmt die Aufmerksamkeit der Völker und hatte weitreichende Auswirkungen. In geografischem Sinn und, was noch wichtiger ist, in religiösem Sinn konnte von den Israeliten gesagt werden, dass sie „auf dem Mittelpunkt der Erde wohnen“ (Hes 38:12).

Sprache. Obwohl aus dem Bibelbericht deutlich hervorgeht, dass die Kanaaniter von Ham abstammen, sollen sie gemäß den meisten Nachschlagewerken semitischen Ursprungs sein. Diese Klassifizierung stützt sich auf die Tatsache, dass die Kanaaniter eine semitische Sprache sprachen. Als Beweis führt man am häufigsten die große Anzahl Tontafeln an, die man in Ras Schamra (Ugarit) gefunden hat und die mit Texten in einer semitischen Sprache oder einem semitischen Dialekt beschrieben sind und von denen man annimmt, dass sie aus dem 14. Jahrhundert v. u. Z. stammen. Ugarit lag jedoch anscheinend nicht innerhalb der biblischen Grenzen Kanaans. In einem Artikel von A. F. Rainey, der im Biblical Archaeologist (1965, S. 105) erschien, hieß es, dass es vom ethnischen, vom politischen und vielleicht auch vom sprachlichen Standpunkt aus „eindeutig erwiesen ist, dass es falsch ist, Ugarit als eine ‚kanaanitische‘ Stadt zu bezeichnen“. Er führt weitere Belege an, um nachzuweisen, dass „Ugarit und das Land Kanaan getrennte, unterschiedliche politische Einheiten waren“. Von diesen Tontafeln kann man also nicht ohne Weiteres auf die Sprache der Kanaaniter schließen.

Viele der in Ägypten gefundenen Amarnabriefen stammen aus kanaanitischen Städten, gehen auf die Zeit vor der israelitischen Eroberung zurück und sind in babylonischer Sprache (einer semitischen Sprache) in Keilschrift abgefasst. Dabei handelte es sich jedoch um die Diplomatensprache, die damals im ganzen Nahen Osten gebräuchlich war, sogar im Schriftverkehr mit dem ägyptischen Hof. Interessanterweise wird daher im Interpreter’s Dictionary of the Bible (herausgegeben von G. A. Buttrick, 1962, Bd. 1, S. 495) gesagt: „Die Amarnabriefe bestätigen die Ansicht, dass sich schon ziemlich früh nichtsemitische Volksgruppen in Palästina und Syrien ansiedelten, denn eine Anzahl dieser Briefe weist einen bemerkenswerten Einfluss nichtsemitischer Sprachen auf.“ (Kursivschrift von uns.) In Wirklichkeit herrscht immer noch Unsicherheit darüber, welche Sprache die ersten Bewohner Kanaans ursprünglich gesprochen haben.

Aus der Bibel scheint jedoch hervorzugehen, dass Abraham und seine Nachkommen mit den Bewohnern Kanaans ohne einen Dolmetscher sprechen konnten, und bemerkenswert ist auch, dass zwar einige Orte nichtsemitische Namen hatten, die meisten der von den Israeliten eingenommenen Orte und Städte jedoch bereits semitische Namen trugen. Philisterkönige in den Tagen Abrahams und offensichtlich noch zu Davids Zeiten wurden „Abimelech“ genannt (1Mo 20:2; 21:32; Ps 34, Üb.), ein durchaus semitischer Name (oder Titel), obwohl nirgends behauptet wird, dass die Philister semitischer Abstammung waren. Demnach wechselten die kanaanitischen Stämme nach der Sprachverwirrung in Babel (1Mo 11:8, 9) im Lauf einiger Jahrhunderte anscheinend von ihrer ursprünglichen hamitischen Sprache zu einer semitischen Sprache über. Vielleicht war dies auf ihren engen Kontakt mit der Aramäisch sprechenden Bevölkerung Syriens, auf die vorübergehende Herrschaft Mesopotamiens oder auf andere bisher noch nicht bekannte Ursachen zurückzuführen. Ein solcher Wechsel wäre nicht größer gewesen als der, den andere Völker des Altertums vornahmen, z. B. die alten Perser, die trotz ihrer indoeuropäischen (japhetitischen) Abstammung die semitisch-aramäische Sprache und Schrift übernahmen.

Mit der in Jesaja 19:18 erwähnten „Sprache Kanaans“ war damals (8. Jahrhundert v. u. Z.) die hebräische Sprache, die Hauptsprache des Landes, gemeint.