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Brasilien

Brasilien

Brasilien

JEHOVA GOTT sucht die Menschen heraus, die ihn mit „Geist und Wahrheit“ anbeten werden. In Brasilien hat er bereits eine große Zahl davon eingesammelt, bis April 1972 etwa 72 900. Die Suche nach wahren Anbetern ist in diesem immensen Gebiet schon mehr als fünfzig Jahre vor sich gegangen, und sie hat wunderbare Ergebnisse gezeitigt. — Joh. 4:24.

Was für ein Land ist Brasilien? Wie sind seine Bewohner? Welche Sprachen sprechen sie? Welches sind ihre führenden Konfessionen und religiösen Bräuche? Laßt uns zuerst einen allgemeinen Blick auf den geographischen und historischen Hintergrund des Landes werfen. Als erste entdeckten Europäer im Frühling des Jahres 1500 dieses Land. Es wurde damals Insel Vera Cruz genannt; dann Land vom Heiligen Kreuz und schließlich Brasilien wegen des Brasilholzes, das man seines Farbstoffes halber, der in der Textilindustrie benutzt wurde, hochschätzte.

Ein Riese unter den Ländern, umfaßt Brasilien ein Gebiet von 8 516 000 Quadratkilometern und erstreckt sich etwa 4 300 Kilometer weit von Norden nach Süden. Sein Gebiet grenzt an alle südamerikanischen Staaten, außer an Chile und Ecuador. Natürlich kann erwartet werden daß es in einem Land, das sich so weit von Norden nach Süden erstreckt, im Klima und in der Temperatur Verschiedenheiten gibt.

Die Zahl der Bevölkerung belief sich im Jahre 1970 auf 92 391 521 Personen, bestehend aus 54 Prozent Weißen, 34 Prozent Caboclos (Mischlinge von Weißen und Indianern), Mulatten (Weiße und Neger) und Cafusos (Neger und Indianer), 10 Prozent Negern und 2 Prozent Asiaten, hauptsächlich japanischer Herkunft. Die Angehörigen der verschiedenen Rassen heiraten häufig untereinander.

Die Brasilianer sind freundliche, offenherzige Menschen. Sie sind religiös gesinnt und lieben Musik und Sport. Die römisch-katholische Religion herrscht vor, doch gibt es hier auch eine ganze Anzahl Protestanten, Juden und Mohammedaner. Der Spiritismus in seinen angeblich höheren und auch niedrigeren Formen (macumba: Schwarze Magie) wie auch Aberglauben und Astrologie werden weit und breit selbst von Katholiken ausgeübt.

Die Hauptsprache, die gesprochen wird, ist Portugiesisch. Auch wird Deutsch, Englisch und Japanisch gesprochen, ferner Italienisch und noch andere Sprachen der ersten Generation, der Einwanderer, die zum größten Teil aus Europa stammten.

Im Land als Ganzem herrscht große materielle Wohlfahrt. Der Mittelstand erfreut sich der meisten Bequemlichkeiten des Lebens wie auch der Annehmlichkeiten der Neuzeit, während sich die arbeitende Klasse immer noch bei einem Mindestlohn von etwa 140 DM im Monat abmüht. Straßen und Verkehrswege erstrecken sich über das Land, gegen Osten und Westen, gegen Norden und Süden, so daß das Land seine Hilfsquellen ausnutzen und seine Bodenerzeugnisse auf die Märkte der Großstädte bringen kann. Brasilien hat jetzt fünfundsiebzig Städte mit über 100 000 Einwohnern. Rio de Janeiro zählt etwa sieben Millionen Einwohner, und Groß-São-Paulo nähert sich eilends der Acht-Millionen-Grenze. Mit diesem Hintergrund materiellen und weltlichen Fortschritts im Sinn wird es von Interesse sein, zu beachten, wie die Suche nach wahrheitshungrigen Menschen in diesem weit ausgedehnten Gebiet in Gang gekommen ist.

WIE DIE KÖNIGREICHSBOTSCHAFT BRASILIEN ERREICHT HAT

Nicht von Evangeliumsverkündigern einer anderen Nationalität, die dorthin gesandt worden wären, sondern durch die Lippen von acht demütigen brasilianischen Seeleuten haben Menschen in Brasilien das erstemal um das Jahr 1920 etwas von der Königreichsbotschaft gehört. Diese jungen Seeleute, alle in ihren Zwanzigerjahren, die Landurlaub erhalten hatten, als das Schiff im New Yorker Hafen lag, verbrachten etwas Zeit damit, eine Schaufensterauslage mit der Bezeichnung „Die Karte der Zeitalter“ zu betrachten. Diese Auslage befand sich im Fenster einer Zusammenkunftsstätte einer kleinen Gruppe von Bibelforschern, wie Jehovas Zeugen damals bekannt waren, nahe bei den Büros der Watchtower Bible and Tract Society in New York. Die Seeleute erkannten, daß die Karte etwas mit der Bibel zu tun hatte, denn einer von ihnen konnte ein wenig Englisch lesen. Doch war der Saal geschlossen, und so konnten sie der Sache zur Zeit nicht weiter nachgehen. Indes war es ihr Wunsch, mehr über Gott und sein Wort zu erfahren, und so planten sie, dorthin zurückzukehren. Während ihr Schiff, die „São Paulo“, überholt wurde, würden sich ihnen weitere Gelegenheiten bieten, an Sonntagen die Sache zu erforschen.

Das nächste Mal stand der Saal offen; sie traten ein und hörten den aufschlußreichen Erklärungen zu, die ein spanisch sprechender Erforscher der Bibel darbot, und sie begannen mit Wertschätzung den tiefen Sinn der Karte zu erfassen. Sie erlangten die einzigen Schriften, die die Watch Tower Society damals in Portugiesisch zur Verfügung hatte, nämlich eine Bibel. Aber zur selben Zeit konnten sie sich einige Exemplare der Zeitschrift Der Wachtturm und das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter in Spanisch beschaffen, deren Inhalt sie einigermaßen verstehen konnten.

Diese Seeleute fuhren fort, die Publikationen zu studieren, meistens im geheimen, da sie sich bei ihren Kameraden auf dem Schiff nicht lächerlich machen noch von ihnen verhöhnt werden wollten. Auch besuchten sie Zusammenkünfte, wann immer sie konnten, stets in ihrer marineblauen Uniform. Mittlerweile begannen auf dem Schiff selbst gottlose, kommunistische Elemente die Mannschaft zu beeinflussen, und die Schiffsoffiziere stellten eine Liste der kommunistisch eingestellten Matrosen auf, und diese wurden nach Brasilien zurückgesandt. Da die acht Erforscher der Bibel immer beisammen waren und insgeheim studierten, meldete man auch sie als solche, die aufrührerisch gesinnt seien. Doch als man entdeckte, daß sie in ihren Zusammenkünften nur die Bibel studierten, wurden ihre Namen von der Liste gestrichen. Offensichtlich hatte Jehova etwas anderes mit ihnen vor!

Getrieben von Eifer und Begeisterung für das, was sie lernten, begannen sie zu anderen über die gute Botschaft vom Königreich zu sprechen, und manchmal kamen bis zu vierzig Seeleute bei ihnen zusammen. Portugiesisch sprechende Brüder in den Vereinigten Staaten leisteten ihnen ebenfalls Hilfe. Einer von diesen war Frank Silva, der von New Bedford (Massachusetts) herabkam, um sie von Zeit zu Zeit zu besuchen. Später half ihnen auch John Perry.

Als die Reparaturen beendet worden waren, kehrte das Schlachtschiff mit wenigstens acht aufrichtigen Erforschern der Bibel nach Brasilien zurück, die begierig waren, die gute Botschaft unter anderen zu verbreiten. Das Schiff wurde am 10. März 1920 in Rio de Janeiro ins Dock gebracht, und sie beschlossen, sich eine passende Unterkunft zu suchen, wo sie alle im selben Haus beisammenwohnen konnten. Ihr portugiesischer Hausherr, wenn zuerst auch etwas mißtrauisch, schloß sich ihnen später an. Seine Familie begann ebenfalls zu studieren. Sie alle bestellten Abonnements auf den spanischen Wachtturm in Brooklyn und wurden ferner dadurch unterstützt, daß Frank Silva und John Perry weiter mit ihnen korrespondierten und sie ermunterten, ihre Studien fortzusetzen.

Sie hatten den lebhaften Wunsch, die Königreichsbotschaft auszubreiten. So übersetzten sie, was sie konnten, ins Portugiesische und druckten einige Traktate, das eine davon war betitelt „Millennium“. Der Stoff wurde der Literatur entnommen, die sie hatten erlangen können, und einer von ihnen, Bruder Pinho, erinnert sich daran, wie sie diese Traktate nach „Gottesdiensten“ an Kirchentüren verteilten. Andere, zum Beispiel sein Gefährte, Bruder Diniz, pflegten in gewisse öffentliche Parks zu gehen und versuchten, dort Predigten zu halten.

HILFE VOM HAUPTBÜRO

Zufolge des Interesses, das die ursprüngliche Gruppe der acht Seeleute entfachte, gingen im Hauptbüro in Brooklyn viele Abonnements auf die spanische Zeitschrift ein. Das erregte zweifellos die Aufmerksamkeit Bruder Rutherfords, des damaligen Präsidenten der Gesellschaft, und seiner Mitarbeiter. So kam es, daß im März 1922 eines Morgens George Young, ein Mann von hoher Gestalt, stark und körperlich kräftig gebaut, als Sondervertreter Bruder Rutherfords in Rio de Janeiro mit dem Ziel eintraf, das Interesse in Brasilien festigen zu helfen und die Botschaft bis in dessen abgelegene Gegenden auszubreiten. Bruder Young machte sich bei denen, die ihn näher kennenlernten, bestimmt beliebt. Da er nicht Portugiesisch sprechen konnte, stellte er Dolmetscher an und sprach so zu großen Zuhörerschaften.

Eine besondere öffentliche Zusammenkunft wurde im März 1922 im Saal des Automobilklubs in Rio de Janeiro veranstaltet; das Thema der Ansprache lautete: „Millionen jetzt Lebender werden nie sterben!“ Dies rief so viel Interesse hervor, daß es ratsam wurde, einen guten Saal als regelmäßige Zusammenkunftsstätte für die Internationalen Bibelforscher zu mieten, unter welchem Namen jene frühen Zeugen bekannt wurden. Es war der Hörsaal des Instituts für portugiesische Literatur. Dort wurden jeden Sonntag Zusammenkünfte abgehalten. Dazu gehörten Besprechungen über den „Göttlichen Plan der Zeitalter“, Studien anhand des spanischen Wachtturms und Vorführungen des Photo-Dramas der Schöpfung.

In diesem Saal fand auch die erste Taufe der Gruppe am 10. Oktober 1922 statt. Ein kleiner Segeltuchtank in Form einer Badewanne diente als Teich zum Untertauchen. Mindestens zwei der bei diesem Anlaß Getauften leben noch — Aristides Corrêa Pinho und Januário da Silva Diniz.

Es wurde Bruder Young bald klar, daß eine beträchtliche Menge portugiesischer Schriften notwendig war, um die Suche nach denen fortzusetzen, die Jehova in Geist und in Wahrheit aufrichtig anzubeten wünschten Ein guter Übersetzer wurde ausfindig gemacht und mit der Arbeit beauftragt, und bald kamen Schriften in Portugiesisch aus der Presse, nämlich Kann man mit den Toten reden?, Wo sind die Toten?, Die Harfe Gottes, Millionen jetzt Lebender werden nie sterben, Die Wiederkunft unseres Herrn und Das Panier für das Volk.

Trotz der Schwierigkeit, mit einer primitiven Eisenbahn reisen zu müssen, gelang es Bruder Young, im Lande herumzukommen, um Interessierte zu besuchen. Zum Beispiel besuchte er die Familie Green im schönen Farmland bei Ipojuca, nordwestlich von São Paulo. Catarina Green hatte die Botschaft zum erstenmal von Freundesseite gehört, die auch den Wachtturm abonniert hatte. Nachdem Bruder Young etwa zwei Wochen bei der Familie geweilt und sie in den grundlegenden biblischen Lehren unterwiesen hatte, taufte er mindestens sieben Personen aus der Verwandtschaft jener Familie.

EIN ZWEIGBÜRO ERRICHTET

Mittlerweile war Bruder Young daran interessiert, daß das Werk in Brasilien festen Fuß faßte. Er mietete daher ein kleines Büro in Rio de Janeiro, Rosariostraße 76, zweiter Stock. Als später Druckschriften vorhanden waren und größere Räumlichkeiten notwendig wurden, verlegte man das Depot und die Büros in die Ubaldino-do-Amaral-Straße, Nr. 90. Die Watch Tower Society gründete ihr erstes Zweigbüro in Südamerika.

Bis zu dieser Zeit hatten sich interessierte Personen in ihren Zusammenkünften mit der spanischen Ausgabe des Wachtturms begnügen müssen. Nun wurden Vereinbarungen mit einer Druckerei getroffen, und die erste portugiesische Ausgabe von A Tôrre de Vigia kam aus der Presse, eine Ausgabe, die die Monate Oktober bis Dezember 1923 umfaßte. Auf ihrer zweiten Seite erschien folgende Bekanntmachung: „Mit voller Gutheißung Richter J. F. Rutherfords, des Präsidenten der Watch Tower Bible and Tract Society in Brooklyn (New York), wurde ein Zweigbüro der besagten Gesellschaft in Brasilien errichtet, deren Büros in Rio de Janeiro, Rosariostraße 76 gelegen sind.“ An alle, die die Zeitschrift zu abonnieren wünschten, erging die Einladung, ihre Bestellung an diese Adresse zu senden. Diese Mitteilung trug die Unterschrift „George Young, Leiter“.

Passenderweise stützte sich die erste Besprechung im portugiesischen Wachtturm auf Zephanja 3:16: „Laß deine Hände nicht erschlaffen.“ Andere Artikel behandelten Themen wie „Die Hauptsache — Liebe“ und „Gebrauchst du dein Pfund?“ Der letztgenannte Artikel stützte sich auf Lukas 19:13. Diese Artikel enthielten vorbereitete Fragen zur Benutzung in Gruppenstudien. In einer der frühen Ausgaben der Zeitschrift A Tôrre de Vigia handelte der Hauptartikel von der „Taufe der neuen Schöpfung“. Das war wirklich angebracht. Die Erläuterung des Gegenstandes bewog verschiedene, sich für die Taufe zu melden. Zum Beispiel wurden am 11. März 1924 in einer Bucht in der Nähe der Stadt São Paulo mehrere Glieder der Familie Ferguson getauft. Bruder Virgil Ferguson, der später beim Übersetzen vieler Publikationen der Gesellschaft ins Portugiesische mithalf, war für Bruder Young eine große Hilfe. Eine Zeitlang diente er auch als Zweigaufseher in Portugal. Er erschloß viel neues Gebiet im Staate Goiás, und eine Anzahl neuer Versammlungen wurde dort organisiert. Heute steht er immer noch treu im Dienste Jehovas, obwohl er über neunzig Jahre alt ist.

AUSDEHNUNG VON RIO DE JANEIRO AUS

Während sich das Werk zuerst auf Rio konzentrierte, gab es doch auch beträchtliches Interesse in São Paulo. Bruder Young hielt bei einem seiner Besuche dort im Jahre 1923 im Konservatorium die Ansprache „Die Bibel und der Spiritismus“. Einer seiner aufmerksamen Zuhörer war Jacintho Pimentel Cabral. Pimentel bezog in der Folge Stellung und bot bereitwillig seine Wohnung als Zusammenkunftsort für Erforscher der Bibel in São Paulo an. Später wurde er ein Glied der Bethelfamilie in Brasilien.

Um dieselbe Zeit fühlte sich Bruder Felino Bonfim d’Almeida, ein Angestellter des Gesundheitsamtes von Rio de Janeiro, getrieben, eine Predigttour durchs Land zu unternehmen. Seine Bemühungen wurden mit Erfolg gekrönt, denn es wurden viele Druckschriften abgegeben. Die Leute erinnern sich heute noch an diesen demütigen, sanft sprechenden Farbigen, der ihnen die Botschaft zum erstenmal brachte.

Jahre später hatte er auch das Vorrecht, in vornehmen Apartmenthäusern in dem Gebiet der berühmten Copacabanabucht von Rio zu wirken. Er wußte, daß die Leute die Botschaft der Bibel benötigten, auch wenn Hindernisse überwunden werden mußten, um sie damit zu erreichen. Eine weiße portugiesische Schwester, Maria Piedade, tat jeweils, als ob sie als Dame mit einer vollen Gemüsetasche vom Straßenmarkt zurückkehre. Natürlich wurde die Tasche von ihrem „Hausdiener“, nämlich von keinem anderen als Bruder Felino, getragen. Wenn einige der Damen gleicherweise vom Markt in jene Apartments zurückkehrten, konnten sich die beiden unter sie mischen und so in die betreffenden Gebäude eintreten. Statt aber in ihrer Tasche Kolonialwaren und Gemüse zu tragen, brachten sie bibelerklärende Bücher und Broschüren, um sie zu Dutzenden in jenen vornehmen Apartmenthäusern abzugeben. Bruder Felino blieb bis zum Tode treu. Er beendete seinen irdischen Dienst am 24. August 1955.

Nahe der Stadt Rio de Janeiro liegt der Staat Minas Gerais, der reich ist an Eisenerz Gold, hydraulischer Energie und Vieh. Er wird von standhaften Katholiken bewohnt, von denen viele es undenkbar finden würden, ihre Religion zu wechseln. Indes sorgte Jehova dafür, daß die Botschaft diesen Teil Brasiliens erreichte. Auf welche Weise?

Eines Tages — im Februar 1924 — befand sich Isaías Lourenço Ferreira im zentralen Marinekrankenhaus der Ilhas das Cobras in Rio krank im Bett und las eine Broschüre, die das Evangelium des Johannes enthielt, als einer jener ersten acht Seeleute mit ihm zusammentraf und ihn fragte: „Lesen Sie so etwas gern?“ Isaías antwortete: „Ich lese alles gern. Was gut ist, behalte ich, das übrige lasse ich zurück.“ Nach einer kurzen Unterhaltung bat Isaías um eine Bibel und erhielt sie. Als er später das Krankenhaus verließ, begann er die Zusammenkünfte zu besuchen und wurde am 10. August 1924 getauft. Er schrieb das Datum seiner Taufe in jene erste Bibel ein, die immer noch in seinem Besitz ist. Bald danach zog er nach Guarani (Minas Gerais) und begann dort zu predigen, während er in einer kleinen Kaffeereinigungsfirma arbeitete. Er machte viele erfreuliche Erfahrungen.

Eines Tages, als Isaías einer Dame predigte, hielt der Stadtpriester an und sagte zu ihr: „Hören Sie nicht auf diesen Mann. Das ist Protestantismus.“ Isaías öffnete seine Bibel und las 2. Timotheus 3:8 vor: „So, wie nun Jannes und Jambres dem Moses widerstanden, widerstehen auch diese weiterhin der Wahrheit, Menschen von vollständig verderbtem Sinn, unbewährt hinsichtlich des Glaubens.“ Der Priester machte sich eilends davon.

Im Jahre 1938 ging Isaías eines Tages in einer größeren Stadt, Juiz de Fora, durch den Straßenmarkt und traf António Pereira Junior, einen Früchteverkäufer, der ziemliches Interesse an der Bibel bekundete. Nach einigen Besuchen in dessen Wohnung vereinbarte Bruder Ferreira mit ihm, daß er auf den Markt komme, um António seine Früchte verkaufen zu helfen, und danach würden sie zusammen in den Predigtdienst gehen. Da António regelmäßig nach Rio de Janeiro gehen mußte, um neue Früchtelieferungen in Empfang zu nehmen, pflegte er auch im Zweigbüro vorzusprechen und Schriften zu holen.

Mit der Zeit ordnete Bruder António seine Geschäfte auf eine Weise, daß er in andere Städte reisen konnte. So wurden weitere Bollwerke des Katholizismus wie Santos Dumont, Barbacena, Conselherio Lafaiete, Belo Horizonte, Sabará, Nova Lima und Sete Lagoas besucht, und es wurde viel Samen der Wahrheit gesät. Bei einer Gelegenheit wurden in Nova Lima sogar Studien in den Bergwerken abgehalten, etwa 2 000 Meter unter der Erde. In all diesen Städten und in vielen anderen entstanden schließlich blühende Versammlungen.

Inzwischen versammelte Jehova seine „Schafe“ noch durch viele andere Mittel. Zum Beispiel gab es im Jahre 1922 eine Gruppe früherer Baptisten, von denen sich eine Anzahl absonderte und eine eigene Gruppe gründete, da sie nicht an die Dreieinigkeit glaubte. Eines Tages fand der Führer dieser Gruppe heraus, daß es eine Zusammenkunftsstätte der Bibelforscher gebe; er besuchte eine Zusammenkunft und wurde überzeugt, daß er die Wahrheit gefunden hatte. Es dauerte auch nicht lange, und die ganze Gruppe von elf Personen schloß sich den Bibelforschern bei ihren regelmäßigen Zusammenkünften an. Unter diesen war eine Witwe, Julieta Silva e Souza, eine Farbige, die ihren Mann während der spanischen Grippe verloren hatte. Sie wurde eine ernste Erforscherin der Bibel. Für ihren Unterhalt arbeitete sie als Haushälterin, fand aber Zeit, die Königreichsbotschaft in gedruckter Form zu verbreiten.

Einmal nahm sie 1 000 Broschüren nach Resende mit, um sie zu verbreiten, und das war von Rio de Janeiro aus damals eine lange Eisenbahnfahrt. Sie begab sich sogar zur Baptistenkirche des Ortes, um einige ihrer Mitglieder von der Botschaft zu überzeugen, bis sie hinausgeworfen wurde. Diese Schwester wurde später einer der ersten Sonderpioniere, die in Brasilien ernannt worden sind. Sie ist trotz ihres Alters immer noch eine tätige Verkündigerin. — Ps. 37:28.

WECHSEL IM PERSONAL DES ZWEIGBÜROS

Im Jahre 1924 verließ George Young Brasilien, um seine Arbeit in Argentinien und später in Europa fortzusetzen. Die Betreuung des Werkes wurde Manley Dienst überlassen. Er war ein Angestellter des Kanadischen Elektrizitätswerkes in Rio. Obwohl er ein ausgezeichneter Erforscher der Bibel war, hatte er offenbar nicht viel Erfahrung im Behandeln der „Wölfe“ der Christenheit. (Apg. 20:29) Während jener Zeit waren die Zusammenkünfte nicht so ersprießlich, und das Werk war im allgemeinen im Niedergang begriffen. Dann, im Jahre 1925, sandte Bruder Rutherford John C. Rainbow als Zweigaufseher für Brasilien. Auch gab es um diese Zeit eine Änderung in bezug auf das Drucken der Publikationen der Gesellschaft in Portugiesisch. Bis dahin hatte eine weltliche Firma es besorgt, aber das Hauptbüro der Gesellschaft lieferte nun eine kleine Druckpresse, und Bruder Rainbow lud José Rufino da Silva ein, in das brasilianische Bethel zu kommen und die Druckmaschine zu bedienen. Bruder Rufino war Seemann gewesen und hatte die Wahrheit durch seinen Kameraden, Januário S. Diniz, kennengelernt und wurde im Dezember 1925 von Bruder Felino getauft. Er machte den Betheldienst zu seiner Lebensaufgabe.

Die erste Ausgabe der portugiesischen Zeitschrift A Tôrre de Vigia, die aus der Presse der Gesellschaft kam, war diejenige vom Januar 1926. Von dem kleinen Anfang von 300 Exemplaren an ist dieser Strom geistiger Nahrung ständig gewachsen, so daß nun insgesamt über 220 000 Zeitschriften von jeder Ausgabe in Brooklyn gedruckt werden.

Die Tatkraft dieser anfänglich kleinen Organisation des Volkes Jehovas konnte der Aufmerksamkeit der in Seminaren ausgebildeten Geistlichen nicht entgehen, und diese begannen die Ergebnisse eines solchen Bibelfeldzuges zu fürchten. Sie suchten ihn in den Augen der Öffentlichkeit lächerlich zu machen. Ein presbyterianischer Geistlicher äußerte Schimpfworte über die Bibelforscher, höhnte über ihr Buch Millionen jetzt Lebender werden nie sterben, warf es zu Boden und stampfte darauf herum. Das war für seine Zuhörer in der Kirche eine besondere Schau, diente aber nur dazu, die Augen derjenigen Anwesenden, die aufrichtig waren, zu öffnen.

Früh im Jahre 1926 fand Bruder Rainbow es für notwendig, nach den Vereinigten Staaten zurückzukehren, und an seiner Stelle wurde Domingos Denovais Neves zum Zweigaufseher ernannt. Während der zehneinhalb Jahre seiner Verwaltung des brasilianischen Zweiges entstanden unter den Bibelforschern Schwierigkeiten, und demzufolge erfuhr das Werk nur eine geringe Zunahme. Später verlor Bruder Denovais immer mehr den Geist ganzherziger Zusammenarbeit mit dem Hauptbüro der Watch Tower Society in Brooklyn. Im Jahre 1932 fing er von sich aus an, eine andere Monatszeitschrift zu veröffentlichen, die als A Luz da Verdade (Im Lichte der Wahrheit) bekannt wurde. In dieser Publikation wurden zur Hauptsache unfruchtbare Debatten mit der protestantischen Geistlichkeit geführt. Auch wenn sie von Zeit zu Zeit Artikel aus dem Golden Age enthielt, förderte Denovais doch bestimmt seine eigene Publikation. Es dauerte auch nicht lange, und die Veröffentlichung der Zeitschrift A Tôrre de Vigia wurde gänzlich eingestellt, während diese andere Publikation, A Luz da Verdade, weiterhin aus der Presse kam.

ENGERE BANDE MIT DEM INTERNATIONALEN HAUPTBÜRO

Offensichtlich mußten noch viele Hindernisse überwunden werden, bevor das Werk in Brasilien denselben Fortschritt machen konnte wie in anderen Ländern. Ein Bericht über das Werk in Brasilien erschien in der Veröffentlichung The Messenger vom 26. Juli 1931, die auf einem internationalen Kongreß des Volkes Jehovas in Columbus (Ohio) herauskam. Darin war von Bibelforschergruppen ungarischer, deutscher und portugiesischer Sprache die Rede, und es wurde angedeutet, daß sie emsig mit der Verbreitung der guten Botschaft beschäftigt wären. Indes gab jener Bericht nicht das vollständige Bild wieder. Im September waren im ganzen Lande nur einundzwanzig Personen im Predigtdienst tätig gewesen. Im nächsten Monat ging die Zahl auf vierzehn herunter, acht von ihnen befanden sich in São Paulo und vier in Rio. Gewiß bestand eine dringende Notwendigkeit einer Hilfeleistung, wenn das Königreichswerk in Brasilien gedeihen und vorwärtskommen sollte.

Jehova sorgte treulich dafür, daß seine Organisation in Brasilien zur rechten Zeit Hilfe erhielt. Ehe die Veröffentlichung der Zeitschrift A Tôrre de Vigia eingestellt worden war, hatte sie zwei Artikel über Jehovas Organisation enthalten, worin klar gezeigt wurde, daß Wahlälteste keinen Platz darin hatten. Dienst sollte das Schlüsselwort sein. Einige Jahre später sandte Präsident Rutherford von der Watch Tower Society einen anderen Bruder, Nathaniel A. Yuille, als Vertreter des Zweiges der Gesellschaft hin, um das Königreichswerk zu verwalten. Er war von Beruf Ingenieur, aber wegen eines Herzklappenfehlers war er im Jahre 1929 in den Ruhestand getreten. Bald danach nahm er als ein Verkündiger des Königreiches den Vollzeitdienst auf. Viele Jahre hatte er dem Zeugniswerk in San Francisco (Kalifornien) vorgestanden. Obwohl er schon dreiundsechzig Jahre alt war, als er seine neue Ernennung erhielt, nahm er die Zuteilung bereitwillig an und nahm seine Frau und einen Pionierkameraden, António Pires de Andrade, mit. Schwester Yuille schloß sich ihrem Mann in der Arbeit im Zweigbüro an und diente fortgesetzt treu mit ihm. Bruder Andrade erwies sich ebenfalls als eine vorzügliche Hilfe für Bruder Yuille, besonders als Dolmetscher.

Bruder Yuille sah bald, daß die Büroräume des Zweiges zu klein waren für die nun größer gewordene Familie und zur Lagerung der neuen Druckschriften, der Grammophone und Schallplatten, die von Brooklyn aus nach dem nahen Hafen von Santos unterwegs waren. Schließlich wurde in dem Bezirk Vila Mariana ein passendes Haus gefunden, ein geräumiges, zweistöckiges Gebäude mit Kellergeschoß.

Da Bruder Yuille den Segen großer Kongresse in den Vereinigten Staaten genossen hatte, konnte er den einigenden Wert solcher Zusammenkünfte schätzen. So war einer der ersten Schritte, die er unternahm, der, im Juli 1936 in São Paulo einen Kongreß zu veranstalten, der in dem Vasco-da-Gama-Saal in dem Bezirk Bras stattfinden sollte. Hundertzehn Personen besuchten diesen Kongreß. Als Redner bestimmte Bruder Yuille verschiedene Brüder, darunter José Rufino da Silva und Leoncio R. Turano, treue Männer, die den Brüdern in Brasilien bereits lieb geworden waren. Den Erwartungen gemäß, erwies sich dieser Kongreß für die Brüder als ein großer Ansporn.

DIE BOTSCHAFT BREITET SICH NACH VERSCHIEDENEN RICHTUNGEN AUS

Mehr als ein Jahrzehnt zuvor nahm im Nordosten das Königreichswerk durch die Bemühungen von Bruder Aristides Corrêa Pinho, der damals bei der Handelsmarine war, seinen Anfang. Im Jahre 1925 reiste er in verschiedene Hafenstädte und nahm eine große Menge Bücher und Broschüren der Gesellschaft mit. Er pflegte zu einer Kirche hinzugehen und sich als ein Bibelforscher einzuführen. Es wußte kaum jemand, was das bedeutete, und so ließ man ihn zu den Versammelten sprechen. In João Pessoa (Paraíba), wo er in einer kleinen Kirche über seine Hoffnung auf Leben gesprochen hatte, wurde ihm, als er es von neuem versuchte, die Gelegenheit versagt, da der Ortsgeistliche befürchtete, alle seine „Schafe“ zu verlieren.

Im Jahre 1938 reiste derselbe Bruder in den Staat Alagoas und gründete in dessen Hauptstadt Maceió den Kern einer künftigen Versammlung. Im Jahre 1940 wurde Bruder Pinho als Pionier in den Staat Pernambuco gesandt. In dessen Hauptstadt Recife, die wegen ihres Hafens und der vielen Flüsse als das „brasilianische Venedig“ bekannt ist, half er eine Versammlung gründen, eine der fünfzehn des ganzen Landes, die in jener Zeit bestanden. Ein Jahr später fand dort die erste Taufe statt, und zwei von den sieben Getauften traten sogleich in den Pionierdienst ein. Bruder Pinho erinnert sich, daß damals in Pernambuco ein beträchtlicher Hunger und Durst nach Wahrheit herrschte. Er konnte in einem Monat etwa 175 gebundene Bücher und 500 Broschüren abgeben, außerdem so viele Zeitschriften, wie er erhalten konnte. Wenn der Literaturvorrat knapp war, bat er einfach die Schriftenabnehmer, sie jemand anders zu geben, nachdem sie sie gelesen hatten. Er erinnert sich, daß er sogar Zeitschriften wieder einsammelte, sie mit einem Holzkohlenplätteisen glattbügelte und von neuem benutzte, wodurch die Königreichsbotschaft während der Zeit, da es an Druckschriften mangelte, weiter verbreitet werden konnte.

Im Süden des Landes wurde ebenfalls Samen gesät. Um das Jahr 1927 sprach Alexandre Gauze einmal in der Nähe der Stadt Erechim mit einem seiner Nachbarn und sah in dessen Hand eine bibelerläuternde Broschüre. Anscheinend hatte der Nachbar sie von einem Verwandten in New York erhalten. Alexandre fragte, ob er die Broschüre lesen dürfte, und später schrieb er der Gesellschaft und bat um weiteren Aufschluß. Nachdem er die anderen erhältlichen Publikationen gelesen hatte, lieh er sie seinem Schwager, Bronislau Komka (in Kraczewice bei Lubin [Polen] geboren). Komka, der ein den Sabbat beobachtender Adventist war, las diese kostbaren Wahrheiten in den Wachtturm-Schriften und suchte den Aufschluß seinen Anverwandten mitzuteilen, doch mit wenig Erfolg.

Mittlerweile wurde Alexandre Gauze von einem „Pilgerbruder“ besucht, einem reisenden Vertreter der Gesellschaft, nämlich von Paulo Sadove. Sadove besuchte auch Santa Rosa, wo Bruder Komka nun wohnte, und blieb etwa zehn Tage bei ihm. Während dieser Zeit konnte er einige grundlegende Bibellehren mit ihm durchgehen und die Unrichtigkeit gewisser Lehren, wie Unsterblichkeit der Seele, Höllenfeuerqual, Dreieinigkeit, enthüllen. Er hob auch die Notwendigkeit hervor, zu predigen, um anderen Hilfe zu bieten.

Schließlich zog Bruder Gauze nach Santa Rosa um, und er und Bruder Komka zogen zusammen aus und predigten. Dies zu hören bereitete dem Adventistenprediger einen Schock, da die beiden immer noch als Mitglieder seiner Kirche angesehen wurden. Er wurde wütend und schloß sie aus der Sekte der Adventisten aus. Das war ihnen ganz recht. Nun fühlten sie sich frei zu predigen, und sie hatten ausgezeichneten Erfolg.

In jenen Tagen zu predigen war keine leichte Sache. Es gab viele Deutsche, die entschieden für Hitler und für die Nationalsozialisten waren, und mehrmals gerieten Bruder Komka und seine Gefährten in Lebensgefahr. Einmal nahmen sie die Gastfreundschaft eines freundlichen Mannes an, und nachdem sie stundenlang mit ihm über die Wahrheit geredet hatten, wollten sie zu Bett gehen, als sie plötzlich laute Stimmen von draußen hörten. Mehrere Leute, die an jenem Tag Schriften abgenommen hatten, hatten schon die Broschüre Zuflucht zum Königreich in Polnisch zum Teil gelesen. Es paßte ihnen nicht, daß ihre Geistlichen in dieser Broschüre so genau dargestellt wurden, und so suchten sie den Gastgeber davon zu überzeugen, daß er die Brüder aus seinem Haus weisen sollte. Er aber zeigte sich furchtlos, lehnte ihr Begehren ab und wies jedermann zurück, der sein Haus betreten wollte, um seinen Gästen Schaden zuzufügen.

Zufolge der Beharrlichkeit dieser Brüder breitete sich die Botschaft in vielen verschiedenen Orten aus. Im Jahre 1940 wurde Bruder Komka zum Aufseher der Versammlung Erechim ernannt. Im August 1943 wurde in Getúlio Vargas eine weitere Versammlung gegründet, deren Aufseher, Manoel Skrzek, ebenfalls von polnischer Herkunft war.

In Brasilien gab es im Staate Santa Catarina die größte deutsche Siedlung. In der Tat, wenn jemand nicht Deutsch sprach, hatte er Schwierigkeiten, in jener Gegend durchzukommen. Selbst Farbige auf einigen Farmen im Innern des Landes sprachen nur Deutsch. Schließlich kam die Regierung zu dem Schluß, daß fremdsprachige Schulen einen nationalistischen Geist förderten, der sich in Brasilien als trennend erweise, und verordnete daher, daß alle Schulkurse in Portugiesisch abgehalten werden sollten. Mit der Zeit erwies sich dies für das Predigtwerk als nutzbringend.

Die ungewissen Verhältnisse in Europa trieben viele dazu, nach Brasilien auszuwandern, und meistens siedelten sie sich in Santa Catarina an. Zum Beispiel ließen sich im Jahre 1935 Theodor und Alexander Mertin, beide Pioniere aus Deutschland, in Blumenau nieder. Sie setzten ihren Pionierdienst fort und besuchten die Leute in den Städten und Dörfern im Tal des Itajaí-Flusses. Später luden sie zwei andere, ein Ehepaar, und zwar Leopold König und seine Frau Ida, ein, mit ihnen in dieser schönen Gegend, die so sehr an die Schweiz erinnert, zu wirken. Bruder König, ein gebürtiger Österreicher, und auch seine Frau waren schon seit den 1920er Jahren in Europa Pionier. In Brasilien setzten sie ihren Pionierdienst fort. Er war ein begeisterter Zeuge, der an die Türen ging und zu sagen pflegte: „Ich predige die gute Botschaft von Gottes Königreich.“

Im Nordosten, im Staate Bahia, waren noch Anzeichen aus der Zeit vorhanden, da Sklaven von Afrika hergebracht wurden, um den portugiesischen Kolonisten zu dienen. Dort finden sich unleugbare Beweise dafür, daß die falsche Religion in Wahrheit eine Schlinge und eine Irreführung ist. Während es viele reichgeschmückte Kirchen gab, litt die Mehrheit des Volkes, meistens Farbige, unter großen Härten, da für sie Schulen und die grundlegenden Annehmlichkeiten des Lebens fehlten. Im Laufe der Zeit erkannten viele, wer für diesen Zustand verantwortlich war, und bald leerten sich die Kirchen. Um die Schande zerfallender Religionsgebäude zu vermeiden, beschloß die Regierung, etwas zu tun, und benutzte hierzu eine besondere Abteilung, den Dienst für das historische Kirchengut. Dieser stellte einige jener Kirchen zu Anschauungs- und Museumszwecken wieder her, und die Leute können immer noch dorthin gehen, um die „feinen Dinge und die prächtigen Dinge“, die einst ein Teil Babylons der Großen waren, zu betrachten. — Offb. 18:14-17.

Im Jahre 1934 traf Professor George Shakhashiri, ein Zeuge Jehovas, mit dem Schiff in Salvador, der Hauptstadt des Staates Bahia, ein. Er war auf dem Wege, seinen leiblichen Bruder in São Paulo zu besuchen. In diesem Einfahrtshafen benutzte er seine Zeit damit, libanesische Freunde und Verwandte aufzusuchen, und er ließ viele arabische bibelerklärende Schriften bei ihnen zurück. Einige erzählten ihm von einem gewissen Amim Jorge Jacob Darzé, der auch ein Zeuge Jehovas sei. Nachdem er ihn gesucht hatte, fand er ihn schließlich an dem Tage, bevor sein Schiff abfahren sollte.

Darzé war am 20. Mai 1914 in der Nähe der Zedern des Libanon geboren worden. Seine Angehörigen waren im Jahre 1925 nach Brasilien ausgewandert. Da sie ziemlich arm waren, machte er sich als Händler daran, alles mögliche, womit er handeln konnte, zu verkaufen, und wurde so ein mascate, wie man es in Brasilien nennt, oder ein Hausierer. Er heiratete ein baptistisches Mädchen und war mit dieser Religion aktiv verbunden, aber deren Heuchelei und Praktiken mehrten seinen Durst nach Wahrheit. Während der kurzen Begegnung mit Shakhashiri wurden alle Fragen Darzés über Seele, Himmel, Hölle und Dreieinigkeit befriedigend beantwortet, und er war überglücklich, endlich das gefunden zu haben, wonach er ausgeschaut hatte. Noch am selben Tag bezog er für die Wahrheit Stellung. Shakhashiri überließ ihm viel arabische Literatur und versprach, ihm von São Paulo aus noch weitere Schriften in Portugiesisch zuzustellen.

Als Darzé sich von der Baptistenkirche trennte, kam der baptistische Geistliche zu ihm, um herauszufinden, was mit dem in seiner Gunst stehenden Sonntagsschullehrer geschehen sei. Aber diesmal wurde i h m gepredigt, statt daß e r predigte. Er entschuldigte sich mit der Ausrede, keine Zeit zu haben, und versprach, später wiederzukommen und die Bibel bei einer anderen Gelegenheit mit ihm zu besprechen, aber bis heute ist dieses Versprechen nicht eingelöst worden. Bruder Darzé wurde im Jahre 1935 getauft. Seine Wohnung wurde ein Bibelstudienzentrum. Schließlich gründete man im Juni 1945 eine Versammlung in Salvador, und Bruder Darzé wurde ihr Aufseher.

Der Staat Amazonas mit seinen weit ausgedehnten Dschungeln ist ebenfalls in der „ganzen bewohnten Erde“ eingeschlossen, auf der die gute Botschaft vom Königreich gepredigt werden muß. (Matth. 24:14) Er ist eines der wenigen riesigen Gebiete der Erde, die kaum durch die Zivilisation verschmutzt worden sind. Die Bevölkerung ist weithin verstreut, und hier ist der Indianer noch in seiner ursprünglichen Heimat zu finden. Im Jahre 1931 sandte jemand an verschiedene Baptistenkirchen in dieser Gegend biblische Traktate. Zeno de Oliveira Simões, das Haupt einer der Kirchen im Bezirk Pesqueira, bemerkte anläßlich eines Besuches bei seiner Schwester eines der Traktate über die Hölle und ein weiteres über die Auferstehungshoffnung, die an die Wand ihres Wohnzimmers gesteckt waren. Zeno hatte diese Themen schon mehrmals mit seinem leiblichen Bruder Guilherme besprochen, der nicht an das Höllenfeuer glaubte, weil nach seinen Worten „ein Gott der Liebe einen solchen Ort nicht hätte schaffen können“. Zeno beschloß, die Traktate seinem Bruder zu bringen und ihm zu zeigen, daß es eine Religion gebe, die dasselbe glaube wie er. Damals wohnte Guilherme in Manaquiri, einer kleinen Niederlassung in der Nähe des gleichnamigen Sees. Guilherme verlor keine Zeit. Unverzüglich schrieb er an das Zweigbüro in São Paulo und bat um Literatur. Ohne irgendwelche andere Hilfe lernten diese beiden Männer die Wahrheit kennen und überzeugten auch ihre Angehörigen davon. In jenem Jahr, 1931, wurde die erste Versammlung in Manaquiri im Amazonasdschungel gegründet. Sie wuchs rasch auf siebzig Mitverbundene an, darunter waren viele Kinder, und während einiger Zeit war es die größte Versammlung des Volkes Jehovas in Brasilien. Um am Predigen der guten Botschaft teilzunehmen, fuhr diese begeisterte Gruppe mit dem Ruderboot zu verschiedenen Niederlassungen, die am Solimões und an seinen Nebenflüssen lagen.

KÜHNE AUSSTRAHLUNG DER GUTEN BOTSCHAFT DURCH RADIO

In dem Bestreben, weitere Menschen von Brasiliens großer Bevölkerung zu erreichen, trafen die Brüder im Zweigbüro von São Paulo im Jahre 1937 Anstalten, die Radiostation in jener Stadt zu veranlassen, Richter Rutherfords Vorträge von fünf Minuten Dauer dreimal in der Woche in Spanisch, Englisch und Deutsch auszustrahlen. Der Vertrag lautete auf ein Jahr. Fast vier Monate lief das Programm gut, dann aber, im April, erlag die Station dem direkten Druck der katholischen Hierarchie und weigerte sich, weitere Programme zu senden. Andere Programme wurden in Rio Claro, im Staate São Paulo, ausgestrahlt, doch als einmal die Schallplatte über das „Fegefeuer“ abgespielt wurde, war es für den Priester der Stadt zuviel. Der Vortrag wurde zwar bis zu Ende abgespielt, aber die Station weigerte sich dann, noch weitere Programme der Gesellschaft zu senden.

Dennoch wurde im März 1937 ein weiteres machtvolles Werkzeug zur Förderung des Predigtwerkes in São Paulo in Tätigkeit gesetzt: Es war ein Tonwagen. Dieser war ein Chevrolet aus dem Jahre 1936 mit einem Tonverstärker, der darauf montiert war. Etwa achteinhalb Monate erscholl durch dieses Mittel die Königreichsbotschaft jede Woche in öffentlichen Parks, zum Beispiel im Jardim da Luz und auf dem Praça República, direkt im Zentrum der Stadt. Die Vorträge wurden in verschiedenen Sprachen abgespielt. Der Tonwagen wurde auch wirkungsvoll an Sonntagen und auf Friedhöfen am „Allerseelentag“ eingesetzt. Diese kühne öffentliche Verkündigung ärgerte natürlich die Geistlichkeit, und sie übte einen Druck auf die lokalen Behörden aus. Einer der städtischen Beamten, Hr. Carlos Lopes, unterbrach eine Ansprache gewaltsam. Er verlangte, daß eine städtische Genehmigung für den Tonwagen beschafft werde, bevor er für diesen besonderen Zweck gebraucht werden könne.

Als die Gesellschaft das entsprechende Gesuch an den Bürgermeister der Stadt stellte, erhielt sie keine Antwort. Dann wurde am 31. Dezember eine weitere Petition eingereicht — mit demselben Ergebnis. Dessenungeachtet ließ man vom Wagen aus fortgesetzt die gute Botschaft erschallen. Im Januar 1938 wurden die Nummernschilder gekauft und am Wagen befestigt; die entsprechende Gebühr wurde entrichtet, aber die Transitbehörden weigerten sich, die Schilder mit einem Stempel zu versehen. Als Folge davon hielt die Polizei den Wagen ständig an und fragte, warum die Schilder nicht mit dem Stempel versehen seien. Das gab jeweils Gelegenheit zu einem guten Zeugnis, und oft konnten Schriften abgegeben werden. Schließlich fragte Bruder Yuille Dr. Pio Alvin, den stellvertretenden Direktor der Transitabteilung, nach dem Grund für diese Weigerung. Ein Herr, der gerade anwesend war, machte folgenden Vorschlag: „Hr. Yuille, warum nehmen Sie den Lautsprecher nicht herab, lassen die Schilder mit dem Stempel versehen und stellen dann den Lautsprecher wieder auf?“ Alvin unterbrach ihn mit der Bemerkung: „Nein, Hr. Yuille ist zu ehrlich, um so etwas zu tun. Ich ordne an, daß die Nummernschilder heute mit dem Stempel versehen werden!“

Zu dieser Zeit war auch das Grammophon als ein Mittel zur Verkündigung der guten Botschaft vom Königreich eingeführt worden, und im Jahre 1937 wurden von den Verkündigern schon etwa zwanzig davon in den Predigtdienst mitgenommen. Obwohl zu der Zeit keine Schallplatten in Portugiesisch vorhanden waren, wurden mit gutem Erfolg spanische benutzt. Schallplatten waren auch in Englisch, Italienisch, Deutsch, Holländisch, Polnisch und Französisch vorhanden. Im Oktober 1938 war die erste portugiesische Schallplatte erhältlich; die eine Seite enthielt die Ansprache „Jehova“ und die andere Seite die Ansprache „Reichtum“. Diese Schallplatten bereiteten den Brüdern in der Tat große Freude und wurden wirksam dazu gebraucht, die gute Botschaft bekanntzumachen.

EINE QUELLE GEISTIGER KRAFT

Während der Predigtdienst im Felde an Schwungkraft zunahm, empfand man ein dringendes Bedürfnis, die Zeitschrift A Tôrre de Vigia, das heißt den portugiesischen Wachtturm, wieder zu veröffentlichen. So kam im März 1937 die erste Ausgabe mit der Aufschrift aus Jesaja 43:10-12 auf der Vorderseite heraus. Es sollte eine Monatszeitschrift sein, die zeitlich so dicht wie möglich der englischen Zeitschrift folgte.

Während die Herausgabe der Zeitschrift A Tôrre de Vigia wiederaufgenommen wurde, gab es im Lande große Veränderungen. Der Trend ging einer diktatorischen Regierungsform entgegen. Es wurden Anstrengungen gemacht, die Gesellschaft gesetzlich eintragen zu lassen, und diese Anstrengungen endeten im November 1937 zuletzt mit einem Erfolg. Die Gesellschaft ließ den englischen Namen Watch Tower Bible and Tract Society für das Zweigbüro der amerikanischen Gesellschaft eintragen. Damals wurde dies als ein weiser Schritt angesehen, indem dadurch das Eigentum der Gesellschaft in einem gewissen Maß vor einer Enteignung geschützt wurde.

Nur einige Tage ehe die Registrierung Tatsache war, wurde in der Dritten Kammer des Steuer- und Einkommensgerichtes in São Paulo ein Sieg gewonnen, als man die Gesellschaft irgendwelcher Besteuerung ihrer Druckschriften enthob. Nach dem Gesetz sollten die Verkündiger als Evangeliumsdiener keinerlei Umsatzsteuer zu zahlen haben, und auch die Literatur konnte ohne irgendwelche Behinderung kostenlos die Staatsgrenzen passieren.

In den Jahren 1937, 1938 und 1939 gab es einige vortreffliche Kongresse in Städten wie São Paulo, Rio de Janeiro und Curitiba, ja glückliche Kongresse, auf denen sich die Brüder der gegenseitigen Gemeinschaft und der Taufe vieler Neuer erfreuen konnten, die in Scharen in die Organisation des Volkes Jehovas strömten. Auf diesen Kongressen lernten die Brüder verstehen, wie Jehova seine irdische Organisation nach einer strikt theokratischen Ordnung leitet.

In früheren Jahren hatte man gedacht, die Zusammenkünfte seien hauptsächlich für Brüder bestimmt. Auf die Anwesenheit von Frauen und Kindern war kein Nachdruck gelegt worden. Indes wurden im Jahre 1938 in den Winterausgaben der Zeitschrift A Tôrre de Vigia Artikel über das Thema „Kinder“ veröffentlicht. Bald darauf begann man, auch jüngere und ältere Kinder zu den Zusammenkünften mitzubringen, und sie begleiteten die Eltern im Predigtdienst. Das war nur der Anfang ihres schnell zunehmenden Anteils am Werke als „Kinder des Königs“.

DER „HERR DER ERNTE“ SENDET WEITERE ARBEITER AUS

Bis zum Jahre 1939 hatte sich die Situation in Europa rapid verschlechtert. Viele Pioniere, die ihren Dienst dort nicht fortsetzen konnten, ‘stellten sich freiwillig’, um von der Gesellschaft in Auslandsgebieten eingesetzt zu werden. Die Versetzung wurde von dem Zentraleuropäischen Büro der Gesellschaft angeordnet. Einige dieser Brüder hatten viele Jahre lang als Pioniere gedient. Andere hatten in Zweigbüros gedient, die jetzt durch das Hitlerregime geschlossen worden waren, während noch andere Erfahrungen als Kreisaufseher (damals als Zonendiener bekannt) gesammelt hatten.

Unter den Neuangekommenen in Brasilien gab es viele, die hervorragenden Eifer für Jehova bekundeten. Otto Estelmann, von Geburt Deutscher, war ein „Zonendiener“ in der Tschechoslowakei gewesen. Als Zeuge, der am 26. Dezember 1920 getauft worden war, wußte er, was es bedeutete, in die Hände der Geheimpolizei der Nationalsozialisten zu fallen, und er wurde von der Gestapo beinahe geschnappt, als er die Akten des geschlossenen tschechoslowakischen Zweigbüros in die Schweiz brachte. Zur Zeit seiner Ankunft in Brasilien im Jahre 1939 war er vierundvierzig Jahre alt. Er wirkte in Curitiba im Staate Paraná und in mehreren anderen Städten wie Santa Maria, Ijuí und Santa Cruz in Rio Grande do Sul. Er erduldete viel Verfolgung in Brasilien, dem Lande, wo er gehofft hatte, er könnte seine heilige Lebensmission frei ausüben. Er erlitt mehrere Gefängnisstrafen, die längste dauerte zweiundzwanzig Monate. Warum? Er wurde verdächtigt, ein deutscher Spion zu sein! Und doch war Bruder Estelmann ein treuer Diener Jehovas.

Ein anderer europäischer Zeuge, der nach Brasilien kam, war Erich Kattner, der im Bethelheim in Prag gedient hatte. Seine erste Zuteilung in Brasilien war das Landgebiet im nordwestlichen Rio Grande do Sul. In jenen Landgebieten zu predigen war keine leichte Sache. Erich mußte, um in sein Gebiet zu gelangen, vier Tage und Nächte mit einer Bahn fahren, die nur ruckweise vorwärts kam, und mußte darauf die letzten fünfzig Kilometer mit dem Lastwagen zurücklegen. Nach Tagen oder einer Woche harter Arbeit mit den Brüdern auf der Farm pflegten er und andere von Farm zu Farm zu gehen und Polen, Deutschen, Russen und Italienern Zeugnis zu geben. Oft schliefen sie im Freien, wobei sie ihre Literaturtasche als Kopfkissen benutzten. Da die meisten Leute auf den Feldern arbeiteten, standen die Brüder frühmorgens auf und blieben bis abends 7 Uhr im Zeugnisdienst, indem sie ihren Arbeitsplan dem der Landarbeiter anpaßten. Die Zeugnistätigkeit dauerte oft bis in die späten Abendstunden hinein.

Bruder Kattner hatte bald eine gute Kenntnis der portugiesischen Sprache erlangt, so daß er sie gut beherrschte, und er wurde im Jahre 1944 eingeladen, im brasilianischen Bethel zu arbeiten. Später besuchte er die sechzehnte Klasse Gileads und wurde wieder Brasilien zugeteilt, wo er eine Zeitlang als Kreis- und als Bezirksaufseher diente, ehe er im Jahre 1953 ins Bethel zurückkehrte. Dort dient er in der Übersetzungsabteilung heute noch treu.

Hermann Bruder und Horst Wild kamen mit ihren Frauen ebenfalls aus Europa nach Brasilien. Unterwegs wechselte ihr Schiff den Kurs und fuhr nach Französisch-Marokko, wo die Brüder eingesperrt und als verdächtige Nationalsozialisten mißhandelt wurden. Als sie schließlich im Februar 1940 Brasilien erreichten, wurden sie nochmals, aus demselben Grunde, unter dem Verdacht, deutsche Spione zu sein, gefangengesetzt. Indes erduldeten sie ihre Prüfungen und zeigten ihre Bereitwilligkeit, auf irgendeine mögliche Weise zur Förderung des Königreichswerkes gebraucht zu werden. Bruder Wild hat viele Jahre als Stadtaufseher in São Paulo gedient und bis Juni 1971 als ein Direktor der Gesellschaft in Brasilien.

Während alle diese Brüder ein Europa, das von der Militärdiktatur der Nationalsozialisten bedroht war, verließen, fanden sie in Brasilien ein Land vor, das sich zwischen zwei Extremen verfangen hatte. Auf der einen Seite waren die italienischen Katholiken, beeinflußt vom Faschismus, und die deutschen Katholiken, die mit den Nationalsozialisten gemeinsame Sache machen wollten, während auf der anderen Seite viele die Demokratie hochhielten. Erst nachdem die Anhänger der Nazifaschisten, die damals „Integralisten“ genannt wurden, den Präsidenten von Brasilien, Getulio Vargas, am 11. Mai 1938 umzubringen versucht hatten, begannen der brasilianischen Regierung die Augen für den wirklichen Gefahrenherd aufzugehen.

DER DRUCK GEGEN DAS KÖNIGREICH VERSTÄRKT SICH

Im Jahre 1939 wurde die machtvolle Botschaft, wie sie in den Broschüren Schau den Tatsachen ins Auge und Faschismus oder Freiheit enthalten war, in Brasilien mutig veröffentlicht. Informationsmärsche der Zeugen, die große Plakate trugen, wurden dazu benutzt, die besonderen Zusammenkünfte in Verbindung mit diesen Broschüren und ihrer Verbreitung anzukündigen. Dies hatte eine starke Reaktion von seiten der Geistlichkeit zur Folge. Die Stadtpolizei und andere Beamte begannen die Brüder im Zweigbüro dauernd zu belästigen und alle Arten von Hindernissen gegen den freien Fortschritt unseres Werkes aufzurichten. Am 26. August 1939 stellten sich etwa dreißig Zeugen mit Umhängeschildern an vielen der belebtesten Stellen der Stadt auf. Einigen gelang es, ihre Arbeit zu vollenden und sicher wieder heimzukehren. Aber die meisten, darunter der Zweigaufseher, wurden verhaftet und etwa zweiundzwanzig Stunden unter prüfungsvollen Umständen gefangengehalten.

Zwei Wochen später wurde ein Polizeibeamter ins Zweigbüro gesandt, um den Zweigaufseher von neuem zu verhaften, und später wurden weitere Beamte hingesandt, um alle Broschüren zu beschlagnahmen. Etwa zweitausend der Anstoß erregenden Broschüren waren bereits konfisziert worden, und die Polizei gab Befehl, daß die übrigen fünfzig Kartons zurückgehalten werden sollten, bis der Entscheid von einer höheren Instanz gefällt worden sei. Inzwischen begann man in Brasilien zu erkennen, daß dieses Werk keine kleine Sache war, die in einem versteckten Winkel getan wurde; es war ein weltweites Predigtwerk, das Jehova selbst angeordnet hatte. Zum Beispiel veröffentlichte die Zeitung Fôlha do Brasil von São Paulo am 23. Juli 1939 das Bild eines Bruders, der von Aufrührern der Katholischen Aktion angegriffen worden war, die einen Kongreß der Zeugen Jehovas im Madison Square Garden in New York hatten sprengen wollen, allerdings ohne Erfolg. Die Leser wurden davon in Kenntnis gesetzt, daß 18 000 Personen bei diesem Kongreß zugegen waren, und die meisten davon seien an der besonderen biblischen Botschaft, die von J. F, Rutherford ausgerichtet worden war, interessiert gewesen.

Der Druck auf das Werk verstärkte sich immer mehr, bis am 31. Mai 1940 die Gesellschaft davon in Kenntnis gesetzt wurde, daß der Justizminister ein Verbot der Gesellschaft in Brasilien erlassen habe. Am 30. Juni begaben sich die offiziellen Vertreter der Gesellschaft, begleitet vom Rechtsanwalt der Gesellschaft, in das Büro des Justizministers und übermittelten ihm ein Schreiben, worin das Werk der Gesellschaft eingehend erklärt wurde. Indes wurde der Entscheid, das Verbot der Gesellschaft, aufrechterhalten. Dann, im Dezember, verhafteten die Behörden den Zweigaufseher, Bruder Yuille, von neuem und hielten ihn für einige Stunden fest, während etwa 20 000 Exemplare der Broschüre Faschismus oder Freiheit konfisziert wurden.

Das war in der Tat für alle Brüder eine Zeit der Prüfung. Zuerst kamen sie weiterhin im Königreichssaal zusammen, der an der Riachuelostraße, São Paulo, lag, doch immer hielt jemand Wache für den Fall, daß die Polizei kommen sollte. Da der Saal zwei Eingänge hatte, blieb der, der Wache hielt, am Haupteingang, und zu der Zeit, da die Polizei eintraf, hatten die Brüder den Saal bereits durch die andere Tür verlassen. Später schlossen die Behörden den Saal, aber die Brüder hielten ihre Zusammenkünfte weiterhin in Privatwohnungen ab. Auch das Zweigbüro arbeitete unter großen Schwierigkeiten, aber die Brüder glaubten an den Schutz, den Jehova gab, und keine einzige Ausgabe der Zeitschriften wurde vermißt. Mehr als das: Der Predigtdienst ging trotz Gefangennahmen und Konfiskationen weiter. Die 20 000 Broschüren, die beschlagnahmt worden waren, wurden später wieder zurückgegeben, und es wurde guter Gebrauch davon gemacht.

Um die Aufmerksamkeit von dem Namen der Zeitschrift A Tôrre de Vigia abzulenken, die damals von den Behörden näher untersucht wurde, wurde im Jahre 1940 beschlossen, den Namen unserer Hauptpublikation auf A Atalaia, Anunciando o Reino de Jeová abzuändern. Da aber die Adventisten eine Zeitschrift mit einem ähnlichen Namen hatten, übten sie auf die Presse- und Propagandaabteilung der Regierung einen Druck aus, die ihrerseits anordnete, daß die Gesellschaft den Namen nicht führen dürfe. Somit wurde im Januar 1943 der Name auf A Sentinela abgeändert, was Wache oder Wächter bedeutet. Das Wort ‘sentinela’ erscheint in der Brasileira-Übersetzung der Bibel in Jesaja 21:6. Unter diesem neuen Namen hat die Zeitschrift fortwährend geistige Speise für die Brüder geliefert, und dies bis zur heutigen Zeit.

Die Begeisterung, mit der die Brüder das Werk unter Schwierigkeiten durchführten, veranlaßte die Geistlichkeit, den Druck auf sie zu verstärken. Einige der Brüder, die aus Rio de Janeiro gekommen waren, um im Staat Amazonas im Predigtwerk mitzuhelfen, wurden schwer verfolgt. Unter dem Einfluß der Geistlichkeit bewarf man sie mit Steinen; ihre Literatur wurde beschlagnahmt, und einige von ihnen wurden gefangengesetzt. Erst nach 1945, nachdem ein Prozeß geführt und gewonnen worden war, verminderte sich der Druck.

Bruder Estelmann und Bruder Kattner wurden in Rio Grande do Sul am 29. August 1940 verhaftet und einige Tage später nach Livramento, an die uruguayische Grenze, gebracht, wobei man ihnen körperliche Mißhandlung und den Tod androhte und ihnen befahl, das Land zu verlassen, als ob sie es illegal betreten hätten. Erst zwei Jahre später besserte sich ihre Situation, als man bei den höheren Behörden in Rio de Janeiro Berufung für sie eingelegt hatte.

DAS ZWEIGBÜRO VERLEGT

Im Jahre 1939 empfahl der Präsident der Gesellschaft, Bruder Rutherford, daß das Zweigbüro nach Rio de Janeiro, der Hauptstadt des Landes, verlegt werde. Dies würde gestatten, wie wir glaubten, daß das Werk mit weniger Störungen fortgesetzt werden könnte, und das Zweigbüro stände mehr im Mittelpunkt des Geschehens. Nachdem wir zwei Jahre gesucht hatten, fanden wir schließlich passende Räumlichkeiten in der Licínio-Cardoso-Straße, Nr. 330.

Als Vorbereitung auf den Umzug nach Rio wurde der Druck der Zeitschriften vorverlegt, um die Gewähr zu haben, daß wir während des Umzuges genügend Vorrat hätten. Das war überwaltet worden, denn am 31. Dezember 1940 entschied das Hygieneamt von São Paulo — da es keinen anderen Fehler finden konnte —, daß die Druckpresse an einem unpassenden Ort stehe und nicht mehr in Betrieb genommen werden dürfe, bis ein besserer Platz gefunden worden sei. Die Druckmaschine mußte sowieso überholt und gereinigt werden, ehe sie nach Rio versandt wurde, und so benutzte die Gesellschaft eine außenstehende Druckerei, bis die eigene Presse der Gesellschaft an ihrem neuen Standort in Rio de Janeiro wieder zu dröhnen begann. Um für den Ankauf des neuen Zweigbüros Hilfe zu leisten, steuerten die Brüder gern Geld bei oder liehen es. Das Haus war von schönen, blühenden Bäumen umgeben, die später wohltuenden Schatten und köstliche Früchte für die Familie spendeten, und hinter dem Haus war ein kleiner Gemüsegarten, der gesunde Nahrung lieferte. Durch diesen Wechsel erhielt auch die Versammlung in Rio de Janeiro, die damals auf einem fast toten Punkt angelangt war, neues Leben.

Einmal am neuen Ort niedergelassen, veranstaltete die Zweigorganisation eilends Kongresse für jenes Jahr, 1941, einen in Rio de Janeiro und einen anderen in São Paulo, bei denen insgesamt 230 Personen zugegen waren; und 24 Personen wurden getauft. Im selben Jahr wurden Vorkehrungen getroffen, daß eine Anzahl Brüder in verschiedene Gegenden umziehen konnten, um Gebiete auf systematische Weise durchzuarbeiten. Die Ergebnisse waren tatsächlich sehr gut.

EINE PIONIERFAMILIE ZIEHT WEITER

Im Staate Minas Gerais zum Beispiel, in einem Gebiet, wo lange zuvor trotz der Herrschaft der katholischen Geistlichkeit der Same der Wahrheit ausgestreut worden war, begann nun ein intensives Bewässerungswerk. Früh im Jahre 1941 wurde Bruder Basilio Korolkovas mit seinen zwei Söhnen und einer Schwiegertochter beauftragt, in all den Städten und Gebieten entlang der „Zentral“bahnlinie zu wirken, von Afonso Arinos bis nach Belo Horizonte, der Hauptstadt des Staates.

Sie begannen in Juiz de Fora als dem Ausgangspunkt ihrer Tätigkeit, besuchten dort den Polizeichef und erhielten die Zusicherung völliger Freiheit, ihr Werk durchzuführen. Aber der Bischof protestierte, und vom Lautsprecher der Hauptkirche aus rief er ständig seine Anklagen gegen die Brüder und gegen Bruder Rutherford aus. Viele der dort Ansässigen stimmten ihm aber nicht zu, und sie nahmen über 300 Bücher und 2 000 Broschüren entgegen.

Als die Brüder nach Santos Dumont weiterzogen, fanden sie, daß die Bedingungen dort nicht günstig waren. Der Stadtpriester ließ sie verhaften und in eine Gefängniszelle werfen. Der verantwortliche Polizist, der unter starkem katholischem Einfluß stand, sagte, die Literatur sei kommunistenfreundlich und die Brüder seien Aufrührer. Als schließlich nichts wider sie getan werden konnte, da alle ihre Ausländerausweise in Ordnung waren, wurden sie freigelassen. Ganz und gar nicht entmutigt, reisten sie nach Barbacena, der nächsten Stadt ihrer geplanten Route, einem in kühler Bergluft hochgelegenen Ort. Ihre fichas oder polizeilichen Akten waren bereits vor ihnen dort angekommen, und der Polizeichef gab ihnen freie Hand, in allen Städten der Umgebung zu arbeiten.

Die Angehörigen der Familie Korolkovas hatten auch im Gebiet von São Paulo gearbeitet und in Städten wie Baurú, Lins, Marília, Cafelândia, Pompéia, Araraquara und Jaboticabal. Sie fanden, daß sie in der Lage waren, an den meisten dieser Orte auf ganz friedliche Weise zu wirken, wenn sie gemäß der Anregung der Organisation handelten und zuerst den Polizeichef aufsuchten. In diesem ganzen Gebiet verbreiteten sie viele Exemplare des Buches Feinde und der Broschüre Judge Rutherford Uncovers Fifth Column (Richter Rutherford enthüllt die fünfte Kolonne).

In ihrem Gebiet befand sich die große japanische Kolonie jener Gegend, besonders in der Umgebung von Marília, Garça, Gália und Tupã, wo ein gründliches Zeugnis gegeben wurde, und einige bezogen Stellung für Jehova. Durch das Zweigbüro konnte Bruder Korolkovas Bücher in Japanisch erhalten, einige davon waren allerdings älteren Datums. Diese gab Bruder Korolkovas gegen irgendeinen Beitrag ab, der angeboten wurde. Es gab Tage, an denen er selbst bis zu 30 Bücher absetzen konnte, und in einem Monat verbreitete er 403 Bücher und 501 Broschüren.

Die Glieder dieser Familie, alles echte Pioniere, vertrauten völlig auf Jehova. Sie hatten die Bequemlichkeiten von São Paulo verlassen und ihre Wohnung anderen Pionieren, die nicht reisen konnten, zur Benutzung überlassen und waren in Gebiete gezogen, wo ein wirkliches Bedürfnis bestand, daß das Zeugnis für das Königreich gegeben wurde. Wenn sie in einer Stadt ankamen, beschafften sie sich Unterkunft in einer preisgünstigen pensão (einer Pension des Mittelstandes). Sie arbeiteten zuerst im Geschäftsviertel von Tür zu Tür und danach auf den Farmen und in kleineren Dörfern der Umgebung. Man kann sich leicht vorstellen, wie schwierig dies in der Regenzeit war, wenn man überall durch Schlamm gehen mußte. Nachdem sie acht bis zehn Stunden im Predigtdienst gestanden hatten, kehrten sie zurück und mußten oft über sechzehn Kilometer weit zu Fuß gehen, um in die pensão zurückzugelangen und ein Bad und eine gute Nachtruhe zu erhalten. Ihre Literaturtaschen waren gewöhnlich mit Orangen, Bananen und den Früchten der betreffenden Jahreszeit gefüllt, die sie im Tausch gegen Literatur erhalten hatten.

Die zwei jüngeren Mädchen der Familie, Zina und Zenaide, waren furchtlos und mutig, trotz ihres jugendlichen Alters. In Garça, einem japanischen Siedlungszentrum, arbeiteten diese jungen Mädchen in der Stadt, während sich Vater und Mutter zur Arbeit ins Landgebiet begaben. Nachdem sie einmal vormittags vier Stunden gearbeitet hatten, hatten sie sich in den Schatten gesetzt, um ihren Lunch zu verzehren, als ein Polizist herkam und sie fragte, was sie in ihren Taschen hätten. Als er die japanischen Bücher Reichtum sah, nahm er die Mädchen auf die Polizeiwache mit. Dort nahm man ihnen alle Schriften weg und gebot ihnen, mit dem Predigen aufzuhören. Die Polizei dachte, ihre Drohungen würden diesen jungen Mädchen genügen. Aber als diese die Wache verlassen hatten, gingen sie direkt in ihre pensão zurück, füllten ihre Taschen mit Literatur und gingen in einem anderen Stadtteil an ihr Werk. Am nächsten Morgen begaben sie sich auf die Polizeiwache um ihre Literatur abzuholen. Der Polizeichef, der diese bereits untersucht hatte, gab alles zurück bis auf e i n Exemplar, das er für sich selbst behalten wollte.

Der Dienst dieser Familie wurde wirklich gesegnet, denn in diesem Gebiet gediehen in den folgenden Jahren eine Anzahl Gruppen. Die Ergebnisse dieser eifrigen Tätigkeit können an der Zahl der Personen gemessen werden, die die gute Botschaft annahmen. Bei der ersten Taufe in São José do Rio Prêto, wo die Familie Korolkovas gearbeitet hatte, waren es zehn Personen; drei von ihnen dienten später als Pioniere in Curitiba. Bei diesem Anlaß wurde auch João Batista Siqueira getauft, der ein presbyterianischer Prediger gewesen war. Im Alter von dreiundsiebzig Jahren hatte er die Wahrheit kennengelernt und war der erste Verkündiger in São José do Rio Prêto geworden. Auch eine japanische Familie bezog Stellung; das Haupt der Familie war Suzo Sakiama. Innerhalb von zwei Jahren wuchs die dortige Versammlung auf achtundzwanzig Verkündiger an, die Pioniere nicht eingerechnet.

Die Geistlichkeit beeinflußte nicht nur die Polizei, die Königreichsverkündiger ständig an ihrer Tätigkeit zu hindern, sondern bediente sich auch der Steuerbeamten, um die Pioniere zu belästigen. Diese Beamten pflegten die Pioniere anzuhalten und die Entrichtung der Umsatzsteuer für den „Verkauf“ der Bücher zu verlangen. In Itápolis beschwerten sich Buchhandlungen und Druckereien auf das Drängen der Priester über den nicht genehmigten Verkauf von Büchern. Indes hatte Jehovas Volk in dieser Beziehung in den Vereinigten Staaten einen Sieg errungen, und der Artikel über diesen Sieg vor dem Obersten Gericht wurde in der Zeitschrift Consolação vom Februar 1944 veröffentlicht. Als dieser Artikel den Steuerbeamten gezeigt wurde, half er ihnen verstehen, daß dies kein Feldzug zum Bücherverkauf war, sondern vielmehr ein gutes, christliches Werk. In der Folge wurden in Itápolis und den Nachbarstädten 678 Bücher, 1 511 Broschüren sowie Hunderte von Zeitschriften abgegeben. Der Sieg in den Vereinigten Staaten, der die Herzen der Glieder des Volkes Jehovas dort froh gemacht hatte, trug auch zur Förderung des Werkes in Brasilien bei.

EIN FARMER UND SEINE FAMILIE NEHMEN AN DER EINSAMMLUNG TEIL

Im südlichen Teil des Staates São Paulo war Adolf Messmer, ein europäischer Bruder, der im Jahre 1939 nach Brasilien kam, emsig dabei, die gute Botschaft zu predigen und Tausende von Schriften zu verbreiten. In der Nähe von Cândido Mota traf er auf António Pestana Junior, einen Farmer, und nachdem er eine Schallplatte in Spanisch abgespielt hatte, bot er ihm das Buch Reichtum an. António gab ihm seine Adresse und bat Messmer, ihm zu schreiben. Man stelle sich seine Überraschung vor, als er im folgenden Jahr von Bruder Messmer eine Einladung erhielt, einem Kongreß in São Paulo beizuwohnen!

António hatte nicht viel Geld, denn die Farmer befanden sich damals in einer ernsten finanziellen Krise. Dennoch machte er seine Reisetasche fertig und borgte sich auf dem Weg zur Bahnstation von einem Freund Geld für die Reise. Sein Glaube wurde belohnt. Nachdem er den Kongreß besucht und viel Freude gehabt hatte, kehrte er nach Hause zurück. Er hatte beschlossen, ein Zeuge zu werden und seiner großen Familie zu helfen, die Wahrheit kennenzulernen. All sein Getreide war von einem Käufer der Regierung aufgekauft worden, der bei seiner Rückkehr auf ihn wartete. So war er imstande, seine Schulden abzuzahlen. Im Laufe der Zeit machten er und einige seiner Angehörigen in der Wahrheit Fortschritte, und sie begannen, die Botschaft in Nachbarstädten zu verbreiten. Die erste Versammlung, die in dem Gebiet im Jahre 1943 an einem Ort, der Água do Almôço hieß, organisiert wurde, gehörte zu den direkten Ergebnissen.

In Antónios Nachbarschaft wohnte ein Friseur namens Manoel Luiz de Oliveira, der sehr kampflustig war und gewöhnlich ein großes Messer oder eine Sichel bei sich trug. Er hatte öffentlich geschworen, er werde keinen dieser „Protestanten“ in seiner Umgebung predigen lassen, und hatte António eine Tracht Prügel versprochen, so daß er seine Predigttätigkeit gern aufgeben werde. An einem Sonntag erschien er in Antónios Wohnung. Statt aber eine Sichel bei sich zu haben, hielt er eine Broschüre, betitelt „Die Krise“, in der Hand. Sein Besuch hatte einen friedlichen Zweck. Er war gekommen, um António zu bitten, die in der Broschüre enthaltene Botschaft zu erklären und sie anhand der Bibel nachzuprüfen. António war damals eine der wenigen Personen in dem Bezirk, die eine Bibel besaßen. Manoel borgte sich von António auch das Buch Reichtum und war einverstanden, ein Studium zu beginnen. Später wurde er Antónios Gefährte im Predigtdienst, und sie wurden am gleichen Tag im Oktober 1939 in einer Vertiefung getauft, die sie sich in der Nähe eines Flusses für diesen Zweck gegraben hatten.

António Pestana wurde auch in seiner eigenen Familie reich gesegnet, denn drei seiner Söhne, Édison, Steffenson und Emerson, wurden Pioniere und dienten im Bethel und im Kreisdienst. Seine zwei Töchter heirateten treue Brüder, die als Kreis- und Bezirksaufseher dienten, eine von ihnen, Schwester Enides Dias, ist jetzt ein Glied der Bethelfamilie. Antónios Sohn Édison, der als Jugendlicher von noch nicht zwanzig Jahren den Pionierdienst aufnahm, hatte das Vorrecht, viele neue Gebiete in Campinas, Assis und an anderen Orten zu erschließen. Später diente er im Bethel und dann, nach seiner Heirat, im Kreisdienst, bis ihr erstes Kind geboren wurde. Nun ist er Vater von mehreren Kindern und dient immer noch als ein Aufseher in der Stadt São Vicente im Staate São Paulo.

UMZUG IN GEBIETE, WO HILFE DRINGENDER BENÖTIGT WURDE

Die Botschaft vom Königreich gelangte bis in die abgelegeneren Gegenden des Landes, und dies durch das Wirken von Personen, die eine Erkenntnis der Wahrheit in der Stadt erhielten und später m ein Gebiet umzogen, wo Hilfe dringender benötigt wurde. Ein solcher Fall war Schwester Maria Bérgamo de Souza und ihre Familie. Schon im Jahre 1941 hatte sie die Bücher Reichtum und Religion erlangt. Doch als sie das Buch Reichtum zu lesen begann, fand sie, daß es keine Geheimformel für materiellen Reichtum enthielt. Sie las das Buch Religion und erfuhr, daß alle falsche Religion von Dämonen inspiriert ist. Aber aus irgendeinem Grunde legte sie die Bücher eine Zeitlang beiseite. Erst nachdem eine ihrer Töchter gestorben war und ein Zeuge bei ihr vorgesprochen hatte, um sie zu trösten, wurde ihr Interesse wirklich zu einer Flamme entfacht. Sie hatte dann ein Studium in ihrer Wohnung und begann tiefes Interesse für geistige Dinge zu entwickeln. Sie erkannte, daß sie, um in der Erkenntnis der Bibel Fortschritte zu machen, die Reihenfolge der Bibelbücher kennenlernen müßte. So versah sie sich mit sechsundsechzig Bogen Papier und gab jedem den Namen eines Bibelbuches. Dann mischte sie sie durcheinander und versuchte daraufhin, sie wieder in die richtige Ordnung zu bringen. Bald war sie imstande, die Bibel mit Leichtigkeit zu handhaben.

Als die Familie früh im Jahre 1943 nach Assis umzog, waren fünf ihrer Glieder bereits Zeugen. Die Mutter konnte nicht lesen, daher lehrte sie sie geduldig, die Bibel zu lesen. Später, als die Versammlung in Cândido Mota gegründet worden war, war die ganze Familie dort jeweils anwesend, auch wenn dies eine ziemlich weite Reise für sie bedeutete. Schließlich wurde im September 1947 eine Versammlung in Assis gegründet, und Bruder und Schwester Souza empfingen den Segen, ihren ältesten Sohn, Sílvio, als Dienstamtgehilfen zur Teilnahme an der Aufsicht der Versammlung, deren Aufseher Bruder Édison Pestana Borges war, ernannt zu sehen. Später, als Bruder Édison nach Campinas ging, um dort zu arbeiten, wurde Sílvio im Alter von siebzehn Jahren Aufseher. Schwester Souzas Segnungen sollten sich noch mehren, denn Sílvio wurde eingeladen, den Kreisdienst in der nordöstlichen Gegend von Brasilien aufzunehmen, und ihr anderer Sohn, Valdemar, trat in den Sonderpionierdienst ein und wurde damit betraut, in Franca zu wirken. Um den Segnungen dieser Familie dann die Krone aufzusetzen, nahm David, Schwester Souzas Bruder, der ein Mariano (Mitglied eines katholischen Ordens, der die Maria ehrt) gewesen war, die Wahrheit an und beteiligte sich an der Verbreitung der Königreichsbotschaft.

Unterdessen empfing auch der östliche Teil des Staates São Paulo ein Zeugnis. Im Jahre 1940 erhielten João Stein und Henrique Raif ihre erste Zuteilung, um in den Städten von Mogí das Cruzes bis Aparecida do Norte, einem starken Zentrum des Katholizismus, zu arbeiten. Bruder Stein war im Jahre 1899 in Deutschland geboren worden und hatte die Schrecken des Ersten Weltkrieges gekostet. Er hörte zum erstenmal im Jahre 1920 durch einen Kameraden, einen Grubenarbeiter, in Deutschland von der Wahrheit. Schließlich begab er sich nach Brasilien, und um das Jahr 1936, während er in der Metallwerkstatt seines leiblichen Bruders arbeitete, wurde er von Leopold König besucht, der ebenfalls von Europa gekommen war. König lud Stein ein, mit ihm in den Predigtdienst auszuziehen, und dieser nahm die Einladung an. Er hatte sich bereits Gott hingegeben, verstand aber die Wichtigkeit des Predigens nicht völlig. Nachdem er seine Hingabe an Gott im Juni 1940 durch die Wassertaufe symbolisiert hatte, meldete sich Bruder Stein jedoch freiwillig für den Pionierdienst und war bereit, dorthin zu gehen, wohin immer es nötig war.

Die erste Stadt, in der Bruder Stein wirkte, war Taubaté; das war ein wichtiges Textilzentrum inmitten von Kaffeeplantagen. Wie sich Bruder Stein erinnert, erregte die Gegenwart von zwei Fremden in der Stadt ziemliches Aufsehen, und man konnte nur wenig Schriften abgeben. Der Bischof veröffentlichte im Kirchenblatt einen scharfen Artikel und erwähnte die Gefahren der von „diesen Fremden“ verbreiteten Schriften. Bruder Steins Partner begann sich zu fürchten und beschloß wegzugehen; so blieb Bruder Stein allein in dem Bezirk zurück. Als er in einer Kleinstadt, in São Luiz do Paraitinga, arbeitete, wurde er verhaftet und vom Polizeichef angewiesen, nicht weiterzupredigen. Der Polizeichef fürchtete für Steins Leben, da zuvor einigen Protestanten ihre Musikinstrumente zerschlagen und einige von ihnen ins Krankenhaus gebracht worden waren. Bruder Stein sagte dem Polizeibeamten, daß er sich nicht vor Menschen fürchte; so sandte dieser ihn zu seinem Vorgesetzten in den Seehafen Ubatuba. Die Reise ging nachts auf einem Lastwagen vor sich, der Ziegel geladen hatte, und Stein hatte ein Schreiben an den dortigen Polizeichef bei sich.

Bruder Stein war angenehm überrascht, in Ubatuba auf keinen Widerstand zu stoßen. Als er die Arbeit dort beendet hatte, beschloß er, nordwärts zu reisen, in eine Stadt, die Sapé genannt wurde. Während er auf einen Lastwagen wartete, der in diese Richtung fuhr, zeigte es sich, daß an der Lastwagen-Endstation auch ein Priester wartete. Dieser, ebenfalls ein Deutscher, begann Stein zu fragen, wohin er gehe. Nachdem sie eine Weile miteinander gesprochen hatten, offenbarte er Stein, daß der Polizeichef in Ubatuba ihn gefragt habe, was er mit Stein tun solle. Der Priester hatte die freundliche Art beobachtet, wie Stein im Predigtdienst in Ubatuba vorgegangen war, und hatte dem Chef den Rat gegeben, Stein in Ruhe zu lassen. Als der Lastwagen schließlich eintraf, sagte der Fahrer, er dürfe keine Person ohne polizeiliche Erlaubnis (die Stein nicht besaß) mitnehmen. Der Priester bot aber seinen Einfluß auf, um für Stein die Erlaubnis zu erwirken, so daß er bis zum nächsten Predigtreiseziel mitfahren konnte.

Bruder Stein kehrte aus Gesundheitsgründen nach Jahren nach São Paulo zurück und hatte das Vorrecht, dort als Pionier und Aufseher einer Versammlung zu wirken, die wiederholt in neue Versammlungen geteilt wurde. Selbst in seinem Alter nahm er im Jahre 1958 die Einladung der Gesellschaft an, dort zu dienen, wo Hilfe dringender benötigt wurde, und zog nach São Carlos im Staat São Paulo, wo er immer noch als Pionier und Aufseher einer Versammlung, die er gründen half, treu dient. In seinen mehr als dreißig Jahren unaufhörlichen Dienstes als Pionier dachte Bruder Stein stets an Jehovas Verheißung: „Ich will dich keineswegs im Stiche lassen noch dich irgendwie verlassen.“ — Hebr. 13:5.

Auch die schöne Stadt Santos, der Haupthafen Brasiliens, nur etwa sechsundfünfzig Kilometer von São Paulo entfernt, erhielt die Gelegenheit, die Wahrheit zu hören. Es war im Jahre 1940, als Alfred Antunes Isidoro die Stadt systematisch durchzuarbeiten begann. Er predigte auch in den Strandbadeorten von Guarujá, der Insel São Sebastião und Caraguatatuba, wozu er ein Boot benutzte. Dann, im Jahre 1941, begab sich António Pires de Andrade, der mit Bruder und Schwester Yuille nach Brasilien gekommen war, nach Santos, um hier zu arbeiten. Um das Jahr 1945 wurde dort eine Versammlung gegründet, und sie diente als Sprungbrett, von dem aus die gute Botschaft in alle Städte der Umgebung getragen wurde.

Ungefähr um dieselbe Zeit erhielt Anna Ott, die aus der Schweiz eingewandert war, ein Zeugnis, als sie im Heim eines Bekannten in Salvador weilte. Anna war in der Schweiz ein Mitglied einer evangelischen Kirche gewesen. Schon im Jahre 1922 hatten ihr Vater und ihre Mutter einen gewissen Kontakt mit den Zeugen gehabt oder hatten von ihrer Tätigkeit gehört. Aber niemand von der Familie verstand zu jener Zeit, was es in Wirklichkeit bedeutete. Als die Botschaft indes Anna Ott viele Jahre später in Brasilien wieder erreichte, erweckte sie ihr tiefes Interesse, und sie wollte wissen, was es mit den „Millionen jetzt Lebender“ für eine Bewandtnis hätte, die das Ende dieses Systems der Dinge überleben würden.

Anna hatte einen Schweizer Viehzüchter und Kakaofarmer geheiratet und lebte in dem kleinen Dorf Itapebi im südlichen Teil des Staates Bahia. Als sie ihr erstes Kind erwartete, reiste sie nach Salvador, um in besserer ärztlicher Obhut zu sein, und dort erreichte sie die Botschaft. Ihr Gastgeber war nicht an der Botschaft interessiert, als sie von einer Zeugin an seiner Tür angeboten wurde, fragte aber Anna, ob sie sich für diese neue Religion interessiere. Anna hörte zu, und einige Tage später kehrte die Zeugin zurück, um ihr nicht nur eines, sondern acht Bücher und mehrere Broschüren in Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Portugiesisch zu bringen. Zwei Monate später, als sie nach Hause, ins Innere des Landes, zurückgekehrt war, füllten diese Bücher ihre leeren Stunden mit Tätigkeit und verliehen ihr eine grundlegende Erkenntnis der Bibel und auch einen starken Glauben.

Als sie ein Jahr später nach Salvador zurückkehrte, wurde sie wieder von derselben Zeugin besucht, die ihr die Botschaft zuvor gebracht hatte. Sie fragte die Zeugin, wieso sie denn gewußt habe, daß sie wieder in Salvador sei. Diese erwiderte: „Nun, ich hatte mich eben daran erinnert, daß ich diese Straße ziemlich lange nicht durchgearbeitet hatte, und so beschloß ich, es heute zu tun. Aber nun zu unserem Studium — wir wollen damit fortfahren!“ Anna wurde in den Königreichssaal eingeladen und nahm die Einladung an, aber auf ihrem Weg dorthin kam der Straßenbahnwagen vom Geleise ab. „Das ist ein schlechtes Zeichen“, sagte Anna und äußerte den Wunsch, nach Hause zurückzukehren. „Nein, wir wollen weitergehen“, sagte die Zeugin, „ich weiß, es ist der Teufel, der uns aufhalten will.“ So besuchte Anna dann die Zusammenkunft, und im Februar 1942 wurde sie getauft. Jahre später führten ihre unermüdlichen Anstrengungen nicht nur zur Gründung e i n e r Versammlung im Landesinnern, sondern zu mehreren solcher mit Hunderten von Personen, die ihren unerschütterlichen Glauben teilen.

BEGINN DER ELISAPERIODE

So, wie das Werk des Propheten Elia ein Ende nahm und wie diesem Werk die eifrige Tätigkeit seines Nachfolgers Elisa folgte, so schien es auch, daß nach einer Zeugniszeit, die mit derjenigen Elias verglichen werden kann, der Tätigkeit der Brüder hier in Brasilien ein neuer Anstoß gegeben wurde. Obwohl die Nachricht vom Tode Bruder Rutherfords, des zweiten Präsidenten der Gesellschaft, den Brüdern einen Schock bereitete, wurde ihr schweres Herz doch leichter, als sie erfuhren, daß Nathan H. Knorr zum neuen Präsidenten der Gesellschaft ernannt worden sei. Sie hatten die Zuversicht, daß das Werk unter Jehovas Leitung durch Christus siegreich vorwärtsgehen werde.

Im September 1942 war Brasilien in der Kette der achtzig Kongresse inbegriffen, die zusammen mit dem „Theokratischen Neue-Welt-Kongreß“ in Cleveland (Ohio) abgehalten wurden. Für den öffentlichen Vortrag wurde das Hotel Terminus, ein vornehmes Haus im Zentrum von São Paulo, gemietet. Am Sonntag waren insgesamt 721 Personen anwesend, als Bruder Adelino dos Anjos Gomes den Sondervortrag „Weltfriede — ist er von Bestand?“ hielt.

Als die Organisation wuchs, zeigte es sich, daß zufolge der großen Entfernungen nicht mehr alle Brüder und Interessierten in Brasilien durch einen einzigen Kongreß erreicht werden konnten. So wurden im Jahre 1943 sechs Kongresse organisiert, nämlich in São Paulo, Salvador, Pôrto Alegre, Manaus, Rio de Janeiro und in Curitiba. Auf diese Weise konnten viele Brüder in Brasilien zum erstenmal einen Kongreß besuchen, und dies in Begleitung vieler Neuinteressierter. Plakate und Tausende von Handzetteln wurden zur Bekanntmachung des öffentlichen Vortrages bei diesen Kongressen verwendet. Zwar konnte durch die Aktion von Geistlichen dem öffentlichen Vortrag in Salvador Einhalt geboten werden, aber erst nachdem das Königreich vortrefflich bekanntgemacht worden war. Für den Kongreß in Manaus, direkt im Amazonasdschungel, hatten die Brüder keinerlei Hilfe von jemandem aus dem Zweigbüro. Dessenungeachtet setzten sie die Tage für den Kongreß fest, hielten Zusammenkünfte ab und beteiligten sich am Predigtdienst, mit dem Erfolg, daß 16 Verkündiger 249 Stunden im Predigtdienst verbrachten, 28 Rückbesuche machten und 153 Druckschriften abgaben. Sie bekundeten ihr volles Vertrauen zu Jehovas Organisation. Jehova bereitete sein Volk hier in Brasilien bestimmt auf eine noch größere künftige Ausdehnung vor.

Inzwischen wurden die Brüder in Brasilien im öffentlichen Sprechen geschult, denn vom August 1942 an erschienen Artikel in der Zeitschrift Consolação über das Thema „Dieses Evangelium vom Königreich darbieten“. Es wurde erklärt, wie man studieren soll, wie man einen Redeplan entwirft, wie man die Publikationen der Gesellschaft darbietet, aus welchem Grund es verschiedene Bibelübersetzungen gibt, wie ein Schriftstück aufgesetzt wird, wie man argumentiert usw. Und diese Schulung konnte sicherlich gut als einer der Gründe angesehen werden, warum die Kongresse des Jahres 1944 mehr Begeisterung ausstrahlten als irgendwelche früheren. Um die Gedächtnismahlzeit veranstaltete die Gesellschaft Kongresse in Pôrto Alegre, Curitiba, São Paulo, Rio de Janeiro, Salvador und Manaus. Bei diesem Anlaß waren auf dem Kongreß in São Paulo 436 Personen zugegen. In Salvador, wo die Polizei den Kongreß im vorangegangenen Jahr gestört hatte, wurden dieselben Räumlichkeiten gemietet, und Bruder Darzé richtete ein schriftliches Gesuch an die Polizei, um die Erlaubnis, den Kongreß abzuhalten, zu erwirken. Als keine Antwort einging, begab er sich persönlich dorthin, um den Polizeichef zu sprechen, und dieser erwies sich als ein sehr unparteiischer, unvoreingenommener Mann. Er hatte die Genehmigung nicht erteilt, weil anscheinend einer seiner Untergeordneten das Gesuch zufolge von Vorurteilen zurückgehalten hatte. Doch gerade zwei Tage vor dem Beginn des Kongresses wurde er zur großen Freude der Verkündiger genehmigt, und 108 Personen kamen, um die öffentliche Ansprache zu hören.

DER OPPOSITION MUTIG DIE STIRN BIETEN

Man wird sich erinnern, daß zu der Zeit, da sich die Nationen in den Zweiten Weltkrieg stürzten, Brasilien zuerst mit den Achsenmächten sympathisiert hatte, mit denen es durch die große Zahl deutscher und italienischer Einwanderer wie auch durch starken katholischen Einfluß eng verbunden war. Nach dem im Jahre 1938 erfolgten Anschlag auf den Palast des Präsidenten von seiten Rechtsstehender änderte sich aber die Ansicht des Präsidenten Getulio Vargas, der bereits diktatorische Vollmacht besaß. Später, als im Dezember 1941 die Vereinigten Staaten in Pearl Harbor angegriffen worden waren, sandte Präsident Vargas an Roosevelt ein Solidaritätstelegramm.

Brasilien hatte bereits die Havanna-Erklärung vom Jahre 1940 unterzeichnet, gemäß welcher ein Angriff auf irgendeine Nation der beiden Amerikas als ein Angriff auf sie alle betrachtet würde. Ferner ergriff Brasilien die Initiative, im Januar 1942 eine Sonderkonferenz aller amerikanischen Außenminister in der Hauptstadt Rio de Janeiro einzuberufen. Am Schluß derselben gab Oswaldo Aranha bekannt, daß die brasilianische Regierung die diplomatischen Beziehungen mit den Achsenmächten abgebrochen habe.

Natürlich beeinflußten die Spannungen jener Zeit die Verkündigung der guten Botschaft im Lande. Jeder Kongreß erfuhr Einschränkungen und Störungen. Wegen der beständigen Belästigung mußte man das Zweigbüro von São Paulo nach Rio de Janeiro verlegen. Es wurden Druckschriften konfisziert, einige davon gingen vollständig verloren. Rechtskämpfe erforderten auch Geld und Kraft auf seiten einer Anzahl eifriger Diener, die die Tür offenhalten wollten, um die „Schafe“ des Herrn in Brasilien suchen und nähren zu können.

Die Gesellschaft in Brasilien tat alles, was ihr möglich war, um die amtierenden Behörden auf die Verfolgung des Volkes Jehovas aufmerksam zu machen; und besonders im Jahre 1942, als die Konferenz der amerikanischen Außenminister in Rio im Gange war, wurden Dr. Oswaldo Aranha, der Sekretär des Außenministeriums von Brasilien, ferner Sumner Welles, Staatssekretär der Vereinigten Staaten, und John Caffery, amerikanischer Botschafter in Brasilien, über die Lage unterrichtet. Diese Briefe wurden am Abend des 14. Januar 1942 von Bruder Yuille und Bruder Januário Diniz persönlich den Betreffenden überreicht.

Im Jahre 1942 war ein Rechtsfall, der Jehovas Zeugen im Staat Amazonas betraf, vor dem Staatssicherheitsgericht verhandelt worden. Wie war es dazu gekommen? Im Jahre 1940 hatte die Gesellschaft eine Gruppe Pioniere eingeladen, in den Staat Amazonas zu gehen und den dortigen begeisterten Zeugen beim Einsammlungswerk behilflich zu sein. Sobald sie Manaus erreichten, sprach einer der Pioniere, ein früherer Marineluftwaffenpilot, bei dem Marinebefehlshaber des Hafens vor, um das Werk zu erklären, zu dessen Durchführung er dorthin gekommen war, und um seine Mitwirkung zu bitten. Das war ein weises Vorgehen. Man behalte im Sinn, daß in Manaus die Geistlichkeit immer noch beträchtlichen Einfluß ausübte. Zur Bestürzung der Geistlichkeit wurde bald eine kleine Versammlung gegründet, die das Gebiet systematisch durchzuarbeiten begann.

Schließlich blieb noch ein einziges Gebiet zu bearbeiten, der Bezirk São Raimundo, jenseits des Flusses. Die Brüder überquerten diesen mit dem Boot, und eine Gruppe begann in der Hauptstraße zu arbeiten und die übrigen in den Nebenstraßen. Nach anderthalb Stunden Dienst ließ Bruder Kambach, einer der Pioniere, in einem Restaurant sein Grammophon laufen, als drei junge Männer eintraten und einer sagte: „Das ist er!“, wobei er auf den Pionier zeigte. Darauf wurde dieser auf die lokale Polizeiwache gebracht, wo er seine Frau und andere Glieder der Gruppe vorfand, die schon verhaftet worden waren. Als Bruder Kambach eintrat, wurde die Tür geschlossen und ein kurzes Verhör angestellt. Der Polizeikommissar war sehr nervös und befürchtete, daß er den Pöbel nicht in der Gewalt behalten könnte.

Ein Franziskaner war beim Verhör anwesend, und als die Grammophonplatte abgespielt und das Buch Feinde angekündet wurde, öffnete der Mönch Bruder Kambachs Tasche, holte das Buch heraus und öffnete es direkt auf der Seite, wo die falsche Religion als auf einem wilden Tier reitend dargestellt wird. Indem er der Menge das Bild zeigte, sagte er: „Schaut! Sie sagen, unsere heilige Mutterkirche sei eine Prostituierte!“ Nach einer Stunde, während der die Brüder Drohungen und Spott und Hohn über sich ergehen lassen mußten, kam ein Befehl von der Polizeizentrale, die Gefangenen dorthin zu bringen. Während sie die Wache verließen, konnten sie sehen, wie die höhnende Menge die Schriften zerrissen und zu Boden geworfen hatte. Auf der Hauptwache wurden sie bald freigelassen, aber es wurde eine gesetzliche Anklage gegen sie eingereicht.

Da im Jahre 1940 die Watch Tower Society in Brasilien aufgelöst worden war, waren Anstrengungen gemacht worden, die Sache vor den Behörden klarzustellen, doch umsonst. Im Jahre 1943 wurde beschlossen, eine andere Gesellschaft zu gründen. Statt aber eine andere zivilrechtliche Gesellschaft zu gründen, gründete der gesetzliche Ratgeber eine kommerzielle Gesellschaft mit ihrem Hauptsitz in São Paulo, deren Statuten in der kommerziellen Vereinigung von São Paulo registriert wurden. Diese Statuten wurden im Mai 1943 von der Generalversammlung der kommerziellen Gesellschaft genehmigt. Wiewohl diesem Vorgehen gute Absichten zugrunde lagen, brachte doch die Form, in der die Gesellschaft organisiert war, diese unter das Handelsgesetz, was auch Umsatzsteuer einschloß, und war natürlich für das philanthropische und kostenlose erzieherische Werk des Volkes Jehovas nicht am Platze. Daher wurde der Kampf um die gesetzliche Anerkennung lang und mühsam.

EIN WENDEPUNKT IN DER GESCHICHTE DES WERKES

Im Jahre 1945 gab es im Werk der christlichen Zeugen Jehovas in Brasilien bemerkenswerte neue organisatorische Verbesserungen in dem Zweigbüro und in den Versammlungen.

Es besteht kein Zweifel, daß das hervorragende Ereignis des Jahres Bruder Knorrs Brasilienbesuch in seiner Eigenschaft als präsidierender Prediger der weltweiten Gruppe der Zeugen Jehovas war. Bei diesem Anlaß wurde in São Paulo in dem wohlbekannten Pacaembu-Gymnasium, das in einem eindrucksvollen Tal inmitten schöner, blühender Bäume lag, ein Kongreß abgehalten.

Einige Tage bevor Bruder Knorr eintraf, wurden die Brüder unterrichtet, daß das Justizministerium ein neues Gesuch um Registrierung der Gesellschaft abgelehnt und auch die Verbreitung unserer Zeitschriften verboten hatte. Aber trotz dieser unwillkommenen Nachricht sprach Bruder Knorr in seinen Ansprachen, die er den Brüdern im Zweigbüro und später der Ortsversammlung hielt, sehr ermutigende Worte hinsichtlich ihres künftigen erzieherischen Werkes. Als Bruder Knorr und Bruder Franz am Sonnabend an der Kongreßstätte eintrafen, waren 250 Personen zugegen; während des Abendprogramms sprachen beide Brüder zu 292 Personen über das Thema „Jehovas universelle Souveränität gerechtfertigt“. Die Brüder waren hoch beglückt, den Präsidenten und den Vizepräsidenten der Gesellschaft zu hören, und sie spendeten lauten Beifall auf die Nachricht hin, daß die Gesellschaft bald Gileadabsolventen zu senden hoffe, um den Brüdern bei der Ausdehnung der Königreichsinteressen Hilfe zu leisten.

Eine weitere Besonderheit dieses Kongresses war eine Zusammenkunft der siebenundvierzig Pioniere mit Bruder Knorr, bei der er die Ziele und Erfordernisse des Sonderpionierdienstes darlegte, der in Brasilien bald beginnen sollte. Achtzehn der siebenundvierzig Pioniere meldeten sich freiwillig für diesen Sonderdienst, und von diesen wurden später zehn zu den ersten Sonderpionieren in diesem Lande ernannt.

Da Bruder Knorr sah, daß Aussichten auf ein künftiges Wachstum bestanden, unternahm er Schritte, die Tätigkeit des Zweigbüros zu verbessern. Zu dieser Zeit wartete Charles D. Leathco, ein Missionar der ersten Klasse Gileads, auf sein Visum, um nach Brasilien zu kommen. In der Zwischenzeit wurde er in der Druckerei der Gesellschaft in Brooklyn (New York) geschult, damit er Verantwortung in Verbindung mit der Druckerei in Brasilien übernehmen könnte.

Später ordnete Bruder Knorr auch an, daß Zweigaufseher und ihre Frauen aus verschiedenen Teilen der Welt einen sechsmonatigen Schulungskurs im Hauptbüro der Gesellschaft mitmachen sollten. Diese Schulung sollte Bruder Yuille, der damals dreiundsiebzig Jahre zählte und dessen Gesundheit zu wünschen übrigließ, eine große Hilfe sein in der Erfüllung seiner Aufgaben als Zweigaufseher. Als ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Arbeit lud Bruder Knorr Benedito Maximo da Silva, ein Glied der Bethelfamilie in Rio de Janeiro, zum Besuch der Gileadschule ein. Bruder da Silva nahm einen Schnellkurs in Englisch, um aus dem Gileadkurs mehr Nutzen ziehen zu können. Nach der täglichen Arbeit im Bethel lehrten ihn die Brüder, die Englisch und Portugiesisch verstanden, abwechslungsweise die neue Sprache. Wie er selbst sagte, dachte er, er würde es nie schaffen. Aber er blieb beharrlich und war anwesend, um „hier“ rufen zu können, als die sechste Klasse Gileads ihren Kurs am 27. August 1945 begann. Als Bruder da Silva nach Brasilien zurückkehrte, wurde er als Diener für die Brüder eingesetzt, wie die Kreisaufseher damals genannt wurden, und zwar im nördlichen Teil Brasiliens, wo er seine Schulung gebrauchen konnte, um den Brüdern zu helfen, die Königreichsinteressen zu fördern.

Das Jahr 1945 war auch ein Jahr zielbewußter Tätigkeit der Brüder, die um die Freiheit der Anbetung kämpften. Obwohl die Regierung die Gesellschaft unter Druck setzte, indem sie die Verbreitung der Zeitschriften verbot und die Gesellschaft selbst auflöste, gab Jehovas Volk nicht auf. So leitete es am 13. Oktober 1945 einen Feldzug ein, um Unterschriften zu einer Petition zu erlangen, die an den Präsidenten der Republik gerichtet war und wie folgt lautete:

„Hochgeehrter Herr Präsident der Republik der Vereinigten Staaten von Brasilien!

Wir, die Unterzeichneten, Bürger von Brasilien, die alle im Gebiet der Republik wohnen, bitten Sie, freundlicherweise zu gestatten, daß wir die Tatsachen respektvoll darlegen und Ihre Exzellenz um folgendes bitten:

Als Brasilianer, die die für Brasilien bestehenden charakteristischen Traditionen gut im Sinn haben, glauben wir fest an die Notwendigkeit, allen Menschen Glaubens-, Anbetungs- und Religionsfreiheit zuzusichern, wie dies durch die gegenwärtige Verfassung gewährleistet wird. Außerdem sind wir davon überzeugt, daß die Tätigkeit der Watch Tower Bible and Tract Society mit den Bestimmungen der Verfassung wie auch mit dem Geist der Freiheit des Volkes im Einklang ist, da sie einen wertvollen Beitrag leistet zu dem besseren Verständnis und zur Verbreitung der Bibel und so zum Wohl des Volkes Brasiliens beiträgt. Deshalb sollten die Behörden Brasiliens sie nicht zu ihrem Nachteil in der Freiheit einschränken, sondern sollten ihren Publikationen wieder freien Umlauf gewähren. Wir glauben daher, daß zum Studium der Bibel ermuntert und dazu angespornt werden sollte.

In Übereinstimmung damit wird Eurer Exzellenz diese Petition unterbreitet, damit Sie es als geeignet erachten mögen, in Verbindung mit dem Justizministerium die Einstellung aller Behinderungen des erzieherischen Werkes der Watch Tower Bible and Tract Society anzuordnen, die mit Respekt vor den Gesetzen Brasiliens stets gesucht hat, das Interesse der Öffentlichkeit durch die einfache Art und Weise zu erwecken, wie die Bibeltexte geschrieben sind, und daß Sie es auch als recht erachten mögen, die notwendigen Schritte zur Wiederaufnahme der Tätigkeit der Gesellschaft zugunsten der guten Ordnung der brasilianischen Gesellschaft und des Rechts zu unternehmen; und besonders, daß es Eure Exzellenz für richtig halten möge, Seine Exzellenz, den Justizminister, anzuweisen, die gebührende Registrierung der besagten Gesellschaft, worum bereits ersucht worden ist, vorzunehmen und ihr die Erlaubnis zu erteilen, solche Publikationen zu verbreiten.

Wir erwarten auf diese Anträge Ihren günstigen Entscheid.“

Unter dieser Petition wurde auf jedem Bogen Platz für zwanzig Unterschriften gelassen. Inzwischen wurden alle Abonnenten der Zeitschriften der Gesellschaft eingeladen, dem Justizminister zu schreiben, mit dem Ersuchen, daß der Gesellschaft die gesetzliche Anerkennung gewährt und die Erlaubnis erteilt werde, die Zeitschriften A Sentinela und Consolação weiterhin zu drucken. Sack um Sack, gefüllt mit diesen Petitionen, wurde von Bruder Yuille und Bruder Harry Black, einem der ersten beiden Gileadabsolventen, die diesem Land zugewiesen worden waren, am 1. April 1946 im Palast des Präsidenten abgeliefert. Die Petition trug die Unterschrift von 44 411 Personen. Um die Zeit, da die Petitionsaktion vollendet war, war General Eurico Gaspar Dutra Präsident geworden, und ihm wurde diese Petition im April 1946 unterbreitet. Von seiten der brasilianischen Regierung traf keine sofortige Antwort ein.

Etwa ein Jahr später wurde auf rechtlichen Rat hin eine andere Gesellschaft in Übereinstimmung mit den Gesetzen gegründet, die damals in Kraft waren. Dies war eine brasilianische zivilrechtliche Gesellschaft, und sie wurde am 23. Juni 1947 unter Nr. 1 216, Buch A, Nummer 1 im dritten Registrierbüro der legalen Korporationen in São Paulo eingetragen. Ihre Zwecke waren in der Hauptsache religiöser Art, und sie sollte das Werk der Zeugen Jehovas vertreten. Nun konnte es endlich mit einer gesetzlich eingetragenen Gesellschaft durchgeführt werden, wobei die Zeugen in Zukunft bei irgendwelchen ungerechtfertigten, durch die Geistlichkeit veranlaßten Störungen eine Stütze hatten.

DIE KÖNIGREICHSPREDIGTTÄTIGKEIT DEHNT SICH AUS

Im Jahre 1945 begann die Zeitschrift Consolação eine Reihe aufschlußreicher Artikel zu veröffentlichen, die der im August freigegebenen englischen Ausgabe des neuen Buches Theokratische Hilfe für Königreichsverkündiger entnommen waren. Diese Artikelserie bildete die Grundlage für eine weitere Zusammenkunft zur theokratischen Erziehung der Brüder in der ganzen Welt. Die Theokratische Predigtdienstschule hatte im Frühjahr 1943 überall in den Versammlungen der Vereinigten Staaten ihre Tätigkeit begonnen, und im Januar 1946 nahm sie diese in denjenigen Versammlungen Brasiliens auf, wo es Brüder gab, die als Unterweiser befähigt waren. Danach konnten die Verkündiger ihren Predigtdienst verbessern und somit günstigere Ergebnisse erzielen.

Ein besonderer Feldzug wurde für den Monat Mai 1946 geplant. In Anbetracht desselben traf in Brasilien eine Sendung der Broschüre Eine Welt, eine Regierung in Portugiesisch ein. Es wurden große Anstrengungen gemacht, diese Botschaft in allen Teilen des Landes zu verbreiten. Bis zu dieser Zeit war im Dezember 1940 die Höchstzahl der in einem Monat verbreiteten Broschüren 48 000 gewesen. Jetzt aber wurden durch die Zusammenarbeit aller Brüder 116 000 Broschüren abgegeben, was ein vorzügliches Zeugnis für das Königreich bedeutete.

Die Wachtturm-Bibelschule Gilead hatte ebenfalls einen großen Anteil an der Beschleunigung und dem Wachstum des Königreichswerkes in Brasilien. Zwei Absolventen der ersten Klasse kamen im November 1945 mit dem Flugzeug in Brasilien an und wurden von den Verkündigern und den Gliedern der Bethelfamilie herzlich willkommen geheißen. Diese beiden Absolventen wurden zur Mitarbeit im Zweigbüro eingesetzt. Bruder Harry Black sollte während der Zeit, da Bruder Yuille seine Schulung im Hauptbüro der Gesellschaft empfing, vorübergehend als Zweigaufseher dienen, während sich Bruder Leathco der Druckerei annähme.

Während einiger nachfolgender Jahre diente Bruder Black als Kreisaufseher und wurde in seinem Gebiet gut bekannt. Hier in Brasilien mußte er mit einer neuen Lebensweise rechnen. Er schlief bisweilen in sehr schönen, manchmal aber auch in armseligen Häusern. Er erinnert sich, wie er durch Flohstiche große Geschwüre an den Beinen bekam, und bei einer anderen Gelegenheit wurde er mitten in der Nacht aufgeweckt, als er auf der ganzen Kopfhaut ein Beißen verspürte. Es war von einem Schwarm großer Ameisen, der durchs Haus ging. Alle Hausgenossen mußten aus dem Hause gehen, bis die Ameisen es verlassen hatten.

Einmal, als Bruder Black einen interessierten Polizeisergeanten in Florianópolis (Santa Catarina) besuchte, nahm er die einzige vorhandene Schlafgelegenheit, nämlich im Stadtgefängnis, an. Dort bemerkte er unter der konfiszierten Literatur viele deutsche Bibeln und erlangte die Erlaubnis, sie den Brüdern zurückzugeben. Auch geschah es, während er dort war, daß der Sergeant in eine nahe gelegene Stadt reisen mußte, doch bestand er darauf, daß Harry gleichwohl in seiner Wohnung bleibe. Harry willigte ein. Wie überrascht war er aber, als er am nächsten Morgen um fünf Uhr von seinem Gastgeber geweckt wurde, der heimgekehrt war! Er sagte zu Harry: „Wir müssen uns beeilen, denn alle warten schon in der Kirche.“ „In was für einer Kirche?“ fragte Harry. Der Sergeant sagte ihm, es sei seine presbyterianische Kirche und er habe alle Mitglieder dort zusammenkommen lassen, um sich eine Ansprache von Harry anzuhören. Die Ansprache wurde wie geplant gehalten, wobei die Bibel auf der Kanzel benutzt wurde, und einige der Anwesenden waren derart beeindruckt, daß sie, als er am nächsten Morgen früh fortgehen wollte, bereits zugegen waren, um ihm weitere biblische Fragen zu stellen.

Bei einer anderen Gelegenheit besuchte Bruder Black eine Aussätzigensiedlung, begleitet von einem Bruder, der dort ein paar Jahre interniert gewesen war, weil er ein arthritisches Leiden hatte, wofür eine falsche Diagnose gestellt worden war. Er wurde schließlich entlassen, hatte seine Zeit aber gut genutzt. Er hatte, als er dort war, eine kleine Versammlung gegründet, und sie machte gute Fortschritte, nachdem er weggegangen war. Seit einiger Zeit jedoch waren von dieser kleinen Versammlung keine Berichte mehr eingetroffen, und so wurde beschlossen, sie zu besuchen. Bruder Black und der frühere Internierte besorgten sich einen Paß, um die Siedlung betreten zu können. Was stellten sie fest? Nun, der einzige Bruder, der schreiben konnte, litt durch die Krankheit so sehr an den Fingern, daß es ihm unmöglich war, Berichte aufzustellen und abzusenden. Zur großen Freude der Brüder in dieser Siedlung blieben die beiden Besucher viele Stunden bei ihnen.

Im Laufe der Zeit kamen weitere Gileadabsolventen nach Brasilien, Männer und Frauen, und es war eine große Freude, zu sehen, wie sie die Gileadschulung dazu benutzten, das Werk in diesem Land auf theokratischer Grundlage festigen zu helfen.

Auch die Kongresse trugen auf wunderbare Weise weiterhin zur Ausdehnung der Königreichsinteressen hier bei, und natürlich konnten die Gileadabsolventen mit ihrer größeren Erfahrung in solchen Dingen mithelfen, die Kongreßorganisation zu verbessern. Es ist erstaunlich, wie erfolgreich die Kongresse in jenen frühen Tagen waren, zum Beispiel derjenige, der im Jahre 1946 in São Paulo stattfand, der theokratische Kongreß „Fröhliche Nationen“. Obwohl einige Brüder sehr wenig Erfahrung hatten, machten ihre Begeisterung und ihr Eifer diesen Mangel mehr als wett. Ein Bruder, Oswaldo Monezi, wurde dazu bestimmt, sich der Predigtdienstabteilung anzunehmen, des Einkaufs, des Aufbaus und auch der Leitung der Nachrichtenabteilung. Er hatte zuvor aber niemals in einer dieser Abteilungen gedient und wußte nur wenig davon, wie sie funktionierten! Ein anderer eifriger Bruder, Arlindo Barreto, stand der Cafeteria vor. Obwohl für beide ein Betrieb in einem so großen Ausmaß etwas total Neues war, lag offensichtlich des Herrn Segen auf ihren Anstrengungen, und ihre Erfahrung erwies sich als eine sehr gute Lehrmeisterin. Auf diesem Kongreß wurden Zusammenkünfte in verschiedenen Sprachen abgehalten, in Polnisch, Ungarisch, Russisch, Deutsch und Englisch. Hier wurde auch zum erstenmal die neue Zeitschrift Despertai! freigegeben, eine Publikation, die die Zeitschrift Consolação ersetzen sollte und die mehr auf das Erziehungsprogramm abgestimmt war, das die Gesellschaft damals weltweit durchführte. Dieser Kongreß, der am ersten Tag mit 500 Anwesenden begann, endete mit 1 700 Personen, die bei der Ansprache von Bruder Edmundo M. Moreira begeistert Beifall klatschten.

Im Jahre 1949 wurden in Verbindung mit dem Besuch von Bruder Knorr und Bruder Henschel zwei denkwürdige Kongresse organisiert. Der erste fand im Clube Ginástico Paulista in São Paulo statt, und man erfreute sich am ersten Tag der stattlichen Zuhörerzahl von 843 Personen. Dem öffentlichen Vortrag „Es ist später, als du denkst“ lauschten gespannt 1 500 Anwesende.

Auf diesem Kongreß erwies sich die ausgezeichnete Arbeit der Missionare für alle Anwesenden als eine Ermutigung. Eine hervorragende Erfahrung wurde über eine von den Missionaren Orville Claus, Clifford Anderson und Albert Magno da Rocha gemachte Reise erzählt. Sie fuhren zum Besuch des Kongresses rund sechzehnhundert Kilometer weit mit Schiff, Zug, Bus, Auto und Lastwagen. Auf dem Weg von Salvador (Bahia) nach Rio de Janeiro nahmen sie die Gelegenheiten wahr, die Königreichsbotschaft zu verbreiten. Sie hatten 600 Bücher und 1 000 Broschüren bei sich und planten, unterwegs einige Orte zu besuchen, wo die Königreichsbotschaft noch nie verkündigt worden war. Wenn sie in einer Stadt ankamen, so war ihre Reise für den Tag zu Ende. Einer von ihnen blieb dann bei der Literatur, während sich die anderen nach einer Pension umsahen. Nachdem sie dann eine Unterkunft gefunden hatten, arbeiteten sie die ganze Stadt durch und konnten bisweilen einen ganzen Karton Bücher verbreiten. An einigen Orten wurde ihr Besuch derart geschätzt, daß die Ortsansässigen darauf bestanden, daß sie am folgenden Tag wiederkamen, um noch mehr Erklärungen über die Bibel zu geben oder sogar eine Ansprache zu halten. Einige der Personen, die sie antrafen, waren geistig dermaßen hungrig, daß sie den Brüdern nicht einmal Zeit zum Schlafen ließen.

Beim Kongreß in Rio de Janeiro, der ihr Reiseziel war, wurde der Vortrag am Sonntag nachmittag von 1 064 Personen besucht, einer Menge, die sich für den mit Klimaanlage ausgestatteten Hörsaal der brasilianischen Pressevereinigung als etwas groß erwies. Viele mußten in der Eingangshalle stehen, und sie hörten den Vortrag, so gut sie eben konnten. Über Bruder Knorrs Ansprachen, darunter diejenige, betitelt „Der vortrefflichere Weg der Liebe“, und auch über Bruder Henschels Ansprachen freuten sich alle, und der persönliche Kontakt mit den neunzehn Missionaren und anderen anläßlich des Kongresses blieb ihnen lange in Erinnerung. Der Pionier Edmundo Moreira hielt den öffentlichen Vortrag „Es ist später, als du denkst“.

WECHSEL IN DER ZWEIGORGANISATION

Als Bruder Yuille im Jahre 1946 von seiner Reise nach den Vereinigten Staaten zurückkehrte, war seine Kraft sichtlich im Schwinden. Ja, als er in den Vereinigten Staaten war und den Kongreß in Cleveland besuchte, hatten ihn einige Brüder von der Rückkehr abzuhalten gesucht. Bei einer Gelegenheit fragte ihn Schwester Yuille, was er von diesen Vorschlägen halte, und Bruder Yuille antwortete bloß: „Meine Zuteilung ist Brasilien.“ Er war treu bis zu seinem Tode am 21. März 1948. Ehe er aber seinen irdischen Lauf beendete, war er glücklich, den monatlichen Predigtdienstbericht für Dezember 1947 zu unterzeichnen, gemäß dem Brasilien zum erstenmal die Zahl von tausend Verkündigern des Königreiches Gottes überschritten hatte.

Bruder Charles Leathco wurde dann von Bruder Knorr dazu bestimmt, als Zweigaufseher die Arbeit fortzusetzen. Er hatte im April 1938 den Pionierdienst aufgenommen, später als Sonderpionier in Kalifornien gedient und schließlich die Einladung erhalten, die erste Klasse der Gileadschule zu besuchen. Bei seiner Ankunft in Brasilien im Jahre 1945 hatte er den Dienst im Bethel angetreten.

Es war für Bruder Leathco und seine Mitverbundenen eine Quelle echter Freude, das beständige Wachstum des Werkes in Brasilien zu sehen und besonders den Fortschritt der Reife vieler brasilianischer Zeugen zu beobachten. Eine Vorstellung von dem Wachstum des Werkes in den 1940er Jahren mag aus der folgenden kurzen Tabelle hervorgehen:

1946 1948 1950

Verkündiger (Durchschn.) 442 1 077 2 858

Anzahl Versammlungen 36 57 99

Verbreitete Einzelzeitschriften 20 513 48 300 38 122

Bibelstudien (Durchschn.) 309 833 1 924

Es besteht kein Zweifel, daß viel von dieser großartigen Zunahme der Fülle geistiger Speise zuzuschreiben ist, zum Beispiel dem Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“, das im Jahre 1947 zusammen mit einer Studienfragenbroschüre herauskam. Auch der Feldzug in Verbindung mit öffentlichen Vorträgen, der in Brasilien im April 1947 eingeleitet wurde, hatte viel mit der Einsammlung der „Schafe“ zu tun. Vor dieser Zeit wurden monatlich nur vier bis sechs öffentliche Vorträge berichtet, hauptsächlich die, die von Kreisaufsehern gehalten wurden. Durch den neuen Feldzug aber stieg die Zahl im April 1947 plötzlich auf fünfzig und im Mai 1971 auf 5 154 öffentliche Vorträge an.

Ein weiterer wichtiger Faktor im Fortschritt des Königreichswerkes waren die schnell aufeinanderfolgenden theokratischen Anweisungen. (Röm. 6:16, 17) Im Jahre 1947 erhielten die Brüder in Brasilien zum erstenmal die neue Broschüre Organisations-Anweisungen in Portugiesisch. Darauf, im März 1949, wurde die Publikation Rat über theokratische Organisation freigegeben, und am Ende jenes Jahres konnte die portugiesische Übersetzung in den Versammlungen benutzt werden. So rüstete Jehova sein Volk wirklich aus, damit es vereint und ganzherzig zur Förderung der Königreichsinteressen diene.

All diese Zunahme des Predigtdienstes führte notwendigerweise zu einer Zunahme der Bethelfamilie, was zur Folge hatte, daß die Unterkunftsräume im brasilianischen Bethel überfüllt waren. Literaturkartons wurden in Zimmern untergebracht, die sonst als Schlafräume hätten benutzt werden können; selbst der Speisesaal mußte zu Schlafzwecken verwendet werden. Wie zeitgemäß war daher im Jahre 1952 die Vorkehrung für den Bau einer neuen zweistöckigen Druckerei hinter dem alten Bethelheim! Auch die Druckerei mußte mit dem Bedarf der sich weit ausdehnenden Organisation des Volkes Jehovas in Brasilien Schritt halten. Daher sandte die Gesellschaft im Jahre 1951 aus der Druckerei Brooklyn einen Miehle-Tiegel. Weitere notwendige Druckmaschinen, eine Linotype, eine Flachpresse von dem deutschen Zweig und ein weiterer Miehle-Tiegel, wurden der Ausrüstung hinzugefügt, ferner eine „Victory-Front“-Flachpresse, zwei Heftmaschinen, eine Falzmaschine und ein moderner Planschneider. Dadurch wurde es möglich, die Produktion der portugiesischen Literatur, die im ganzen Land so dringend benötigt wurde, zu beschleunigen. Hier folgen einige Zahlen, die zeigen, welchen Gebrauch man von dieser Ausrüstung machte und wie notwendig es daher wurde, die Bethelfamilie zu vergrößern:

Druckarbeiten 1951 1953 1955

„A Sentinela“ 180 800 234 000 536 482

„Despertai!“ 91 400 90 400 271 814

Weitere Druckschriften 2 922 595 3 329 695 3 586 630

Glieder der Bethelfamilie 17 27 28

Obwohl es von Zeit zu Zeit Wechsel im Personal des Zweigbüros gab, gedieh doch das Werk des Volkes Jehovas in Brasilien weiterhin. Einige Jahre diente Bruder Richard C. Mucha, ein Absolvent der siebzehnten Klasse Gileads, als Zweigaufseher, als sich Bruder Leathco im Jahre 1954 entschloß, das Bethel zu verlassen, um zu heiraten. Als danach auch Bruder Mucha beschloß zu heiraten und eine Zeitlang im allgemeinen Pionierdienst stand, wurde er durch Bruder John Kushnir, der dann als Zweigaufseher diente, ersetzt.

Bruder Kushnir wurde in Saskatchewan (Kanada) geboren. Er begann seine Tätigkeit als Verkündiger der guten Botschaft im Jahre 1934 und wurde 1939 getauft. Als er erst fünfzehn Jahre alt war, mußte er nach dem Tode seines Vaters lernen, die Farm der Familie zu betreiben. Er sammelte viele Erfahrungen, als das Königreichswerk in Kanada von der Regierung unter Verbot gestellt wurde. Er und seine Frau Frieda wurden eingeladen, die Gileadschule zu besuchen, die sie im Februar 1956 absolvierten. Bald nach ihrer Ankunft in Brasilien wurden sie zum Dienst in das Bethel eingeladen, wo sich Bruder Kushnir im Organisieren der Arbeit im Zweigbüro für Bruder Mucha als eine große Hilfe erwies. Nun erhielt Bruder Kushnir als Zweigaufseher noch größere Verantwortung.

DIE SITTLICHE REINHEIT BEWAHREN

Eine Sache, die während dieser Jahre zufolge einer Menge Interessierter, die in Brasilien in die theokratische Organisation hereinkamen, sehr der Aufmerksamkeit bedurfte, war die der rechten, christlichen Sitten. Viele, die in die Organisation hereinkamen, handelten nicht im Einklang mit den christlichen Erfordernissen. (Matth. 19:4-9; Hebr. 13:4) Es gab eine beträchtliche Zahl, deren Ehestand nicht dem Maßstab entsprach, den Gottes Wort, die Bibel, verlangte. Da es in Brasilien kein Ehescheidungsgesetz gibt, trennten sich gemäß der weltlichen Praktik Eheleute lediglich von ihrem gesetzlichen Partner und gingen mit einem anderen ein Verhältnis nach gegenseitiger Übereinkunft ein. Hunderte von Personen kamen zur Erkenntnis der Wahrheit, während sie in einem solchen Verhältnis lebten.

Zur rechten Zeit brachte der portugiesische Wachtturm in den Ausgaben vom Dezember 1952 und Januar 1953 den Artikel „Die Organisation rein erhalten“. Von da an wurde reichlicher Aufschluß in den Zeitschriften der Gesellschaft veröffentlicht, um den Menschen zu helfen, Einsicht in ihren wahren Stand vor Jehova Gott zu erhalten, und ihnen zu helfen, ihr Leben in Ordnung zu bringen, damit sie in der theokratischen Organisation bleiben und Jehovas Gunst haben könnten. Denen, die Jehovas Wege nicht wirklich liebten, mußte natürlich die Gemeinschaft der Organisation entzogen werden, aber vielen Tausenden wurde geholfen, ihr Leben in Ordnung zu bringen und in Reinheit vor den Augen Jehovas zu wandeln. Solche Personen wurden gesegnet, indem sie große Freiheit der Rede zur Verkündigung der guten Botschaft erlangten.

GOTTES WORT LESEN LERNEN

Als eine Maßnahme, wodurch die Zeugen für ihren weiteren wirkungsvollen Dienst in Brasilien ausgerüstet werden sollten, ordnete der Präsident der Gesellschaft, Bruder Knorr, an, daß in den verschiedenen Versammlungen in ganz Brasilien Schulklassen organisiert werden sollten, um das Lesen und Schreiben zu lehren. Der Regierung Brasiliens war daran gelegen, ihren vielen Millionen Bürgern das Lesen und Schreiben beizubringen, und sie hatte ausgezeichnete Lehrbücher beschafft. Die Gesellschaft erlangte Lieferungen davon direkt vom Erziehungsministerium und versandte sie an die Versammlungen. Zur selben Zeit wurden fähige Brüder und Schwestern als Unterweiser in den Versammlungen eingesetzt, und es wurden genaue Anweisungen gegeben, so daß auch unerfahrenere Lehrer dem Kurs ohne Schwierigkeiten folgen konnten.

Nachdem die Schüler die fundamentalen Grundsätze des Lesens erfaßt hatten, wurden andere Textbücher benutzt, zum Beispiel Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies. Um öffentlich bekanntzumachen, was von der Regierung in dieser Sache getan wurde, lud das Erziehungsministerium im Jahre 1959 die Gesellschaft ein, einen Vertreter zu einem Sondertreffen von etwa 350 Personen zu entsenden. Diese vertraten verschiedene Institutionen und Religionen und sollten Bericht über das erstatten, was ihre Gruppen auf dem Gebiet des Bildungswesens erreicht hatten. Der Vertreter der Gesellschaft, Bruder Sergio Antão, durfte fünfzehn Minuten sprechen. Er benutzte eine katholische Bibel, erklärte das erzieherische Werk der Zeugen Jehovas und wies darauf hin, daß alle wahren Nachfolger Christi imstande sein sollten, das kostbare Wort Gottes zu lesen. Entweder waren die Zuhörer von der freien Rede dermaßen überrascht, oder die Darlegung biblischer Gründe, weshalb man imstande sein sollte zu lesen, packte sie derart — auf jeden Fall spendeten sie herzlichen Beifall, und der Professor, der der Zusammenkunft vorstand, kam und schüttelte dem Vertreter der Gesellschaft die Hand.

Man stelle sich vor, wie beglückt die Brüder waren, als in den Jahren 1970/71 auf den Bezirkskongressen „Menschen guten Willens“ in Brasilien das eigene Hilfsmittel, das portugiesische Büchlein der Gesellschaft, betitelt „Lesen und Schreiben lernen“, freigegeben wurde! Dies gab der Ausbreitung der Kenntnis des Lesens und Schreibens noch größeren Ansporn. Die Fähigkeit, Gottes Wort zu lesen, hat bestimmt große Scharen Menschen sehr glücklich gemacht.

In Canoas war eine zweiundachtzigjährige Schwester in bezug auf das Predigen der guten Botschaft fünfzehn Jahre lang untätig gewesen, doch kam man wieder mit ihr in Berührung, und sie begann zu studieren. Als die Lesefibel erschienen war, begann sie sogleich, die Broschüre zu studieren, und groß war ihre Freude, als sie fand, daß sie die Schrifttexte in ihrer eigenen Bibel selbst lesen konnte. Interessanterweise hatte die sechsundfünfzigjährige Schwester, die sie unterwies, selbst erst zwei Jahre zuvor im Lesekurs im Königreichssaal lesen gelernt.

Ein weiterer Verkündiger schrieb froh seine Erfahrung nieder, indem er sagte: „Mit Freuden schreibe ich Euch, um Euch im Namen Jehovas für die wunderbare Vorkehrung der Gesellschaft zu danken, Personen gleich mir behilflich zu sein, lesen und schreiben zu lernen. Als ich die Wahrheit erkannte, konnte ich allein aus dem Grunde nicht von Haus zu Haus gehen, weil ich nicht lesen konnte. Nun bin ich sehr glücklich, weil ich meine Predigten an den Türen allein halten und meine eigenen Bibelstudien durchführen kann.“

Im Jahre 1958 war eine ältere Schwester aus Deutschland in Brasilien eingewandert. Da sie nur Deutsch sprechen konnte, war sie nicht imstande, an Orten zu predigen, wo diese Sprache nicht verstanden wurde. Sie sah die Notwendigkeit, ihre Fähigkeit zu verbessern, und entschloß sich, Portugiesisch zu lernen. Sie besuchte regelmäßig den Lese- und Schreibkurs und hielt durch, so daß sie unter großen Anstrengungen binnen einiger Monate ihre Predigten in Portugiesisch halten konnte. Das Alter ist keine Schranke, wenn jemand wirklich etwas lernen möchte!

Eine weitere Erfahrung zeigt, wie der Lesekurs indirekt die Familienbeziehungen verbessern kann und sie auch wirklich verbesserte. Ein Mann verursachte ernste Schwierigkeiten, weil seine Frau Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas besuchte. Doch eines Tages bemerkte er, daß seine Frau, die jetzt fünfundvierzig Jahre alt war, als direktes Ergebnis der Schule lesen und schreiben gelernt hatte. Von da an wurde ihr erlaubt, anwesend zu sein, ohne daß der Mann ihr irgendwelchen Widerstand entgegenbrachte.

In welchem Ausmaß hat dieser Kurs im Lesen und Schreiben den Brüdern und Schwestern geholfen? Nun, bis zum Jahre 1971 sind Berichte von 6 218 Personen eingegangen, die Nutzen aus dieser wertvollen Vorkehrung gezogen haben — etwa 9 Prozent der damaligen Gesamtzahl der Zeugen in Brasilien. Eine Höchstzahl wurde im Jahre 1959 erreicht, als 735 Personen das Lesen und Schreiben beigebracht wurde.

Ein weiterer Faktor, der zum Fortschritt des Werkes des Herrn in Brasilien beitrug, ist die Schnelligkeit gewesen, wie die neuen Publikationen aus der englischen in die portugiesische Sprache übersetzt und zur Verbreitung bereitgemacht wurden. Besonders seit dem Jahre 1965 sind fast alle Publikationen der Gesellschaft ungefähr sechs Monate nach ihrer Freigabe in Englisch in Portugiesisch freigegeben worden.

Bestimmt haben diese und die vielen anderen Vorkehrungen Jehovas durch seine theokratische Organisation zur wirklichen Wohlfahrt des Volkes Jehovas in Brasilien beigetragen. Folgende Tabelle wird kurz die Ergebnisse zeigen:

1955 1965 1972

(bis Mai)

Verkündiger (Durchschn.) 7 931 33 267 70 661

Anzahl Versammlungen 163 745 1 239

Verbreitete Einzelzeitschriften 414 892 3 499 521 4 477 722

Bibelstudien (Durchschn.) 4 146 24 699 62 975

Gedächtnismahl-Anwesende 14 946 80 710 180 866

KÖNIGREICHSDIENSTSCHULE

Das fortschreitende Erziehungsprogramm der Gesellschaft hat seit März 1959 auch die Königreichsdienstschule erforderlich gemacht, die zur Schulung der Aufseher bestimmt ist. Viele interessante Erfahrungen sind berichtet worden hinsichtlich der Bemühungen, die die Brüder machten, um diese Schule besuchen zu können. Es sollte im Sinn behalten werden, daß die Arbeitsgesetze für Brasilien auf eine Weise abgefaßt sind, daß sie die Leute davon abschrecken, vom Arbeitsplatz abwesend zu sein. So wird es für einige schwierig, besonders für Zeugen mit großer Familie, das Risiko auf sich zu nehmen, ihre Beschäftigung oder Sozialleistungen wegen des Besuchs der Schule zu verlieren.

Waren unsere Brüder denn bereit, in dieser Hinsicht beachtenswerte Liebe zu Jehova zu bekunden? Man beachte die folgende Erfahrung, die von Raimundo S. Carvalho aus Jandaia do Sul (Paraná) berichtet worden ist: „Ich arbeite in einer Abteilung für den öffentlichen Dienst des Bundes, und als ich meine Einladung erhielt und um Erlaubnis bat, den Kurs zu besuchen, erhob mein direkter Vorgesetzter viele Einwände. Um mich abzuschrecken, sagte er, ich würde vieler Sozialleistungen verlustig gehen wie des Sonderurlaubes, der Vorteile des höheren Dienstalters und besonderer Ferienrechte. Als er aber meine Entschlossenheit sah, machte er den Vorschlag, daß ich mich krank melden und mir ein ärztliches Attest beschaffen sollte. Ich erklärte, daß ein solches Handeln gegen meine biblischen Grundsätze sei und ich das meines Gewissens wegen nicht tun könnte. Schließlich gab er seine Einwilligung, und ich war natürlich hoch erfreut, daß ich die zweiwöchige Schulung mitmachen konnte. Als ich an meine Arbeitsstelle zurückkehrte, fand ich, daß mir die Tage meiner Abwesenheit ohne Verlust an Sozialleistungen gutgeschrieben worden waren. In der Tat, es wurden mir während jener Zeit außer den unzähligen geistigen Segnungen sogar finanzielle Wohltaten zuteil.“

In diesem großen Land wurde es notwendig, daß die Schule zu den Schülern reiste, statt daß alle Schüler zur Schule reisen mußten. Das wurde getan, indem zwei Schulunterweiser einige Zeit in verschiedenen großen Schulzentren verbrachten, die im Bereich zahlreicher Versammlungen lagen. Von August 1961 an hatte die Schule ihren Kurs in zehn verschiedenen, weitverstreuten Städten dieses Landes abgehalten. Dort wo er durchgeführt wurde, haben ortsansässige Brüder in liebender Weise mitgewirkt, indem sie Unterkünfte bereitstellten und die Schüler mit Mahlzeiten versahen. Viele Brüder, die sich selbst der Segnungen der Schule erfreuten, steuerten freigebig bei, um die Auslagen decken zu helfen. Bis zum Jahr 1971 haben über 2 400 verantwortliche Brüder aus Versammlungen wie auch Pioniere diesen wertvollen Kurs besucht.

LEHRREICHE CHRISTLICHE KONGRESSE

Im Laufe der Jahre spielten Kongresse im Predigen der guten Botschaft vom Königreich und in der Auferbauung der Zeugen in ganz Brasilien fortgesetzt eine bedeutende Rolle. Die Bezirkskongresse nahmen an Zahl und an Qualität zu. Es wurde mit der Zeit unbedingt erwartet, daß die großen Kongresse, die in den Vereinigten Staaten abgehalten wurden, später in vielen Zentren Brasiliens mit demselben Programm stattfinden würden. Die gewaltige öffentliche Bekanntmachung, die im Jahre 1958 dem internationalen Kongreß „Göttlicher Wille“ von New York in Brasilien zuteil wurde, wurde dazu benutzt, die Aufmerksamkeit auf die acht Kongresse zu lenken, die im selben Jahr für Brasilien geplant waren. Mehr als 10 Meter Zeitungsspalten, angefüllt mit Bekanntmachungen, gingen im Zweigbüro aus 20 Staaten und 70 verschiedenen Städten ein. Bekanntmachungen durch Radio wurden in 27 Städten in 11 Staaten von 39 Stationen durchgegeben. In Rio de Janeiro und São Paulo gab es besondere Fernsehprogramme, und es wurden Interviews veranstaltet, und zwei kurze Wochenschauen, die für ein Programm von zwei Jahren zur Vorführung vorgesehen wurden, wurden ebenfalls gefilmt. Die Ergebnisse waren hervorragend. In São Paulo waren 10 487, in Rio de Janeiro 6 105 Personen anwesend. Auf allen acht Kongressen wurden jenes Jahr insgesamt 1 041 Personen getauft. Bestimmt gab Jehova die Mehrung.

Vielleicht einer der bemerkenswertesten Kongresse war eine Versammlung internationaler Delegierter, die im Jahre 1967 in São Paulo stattfand. Sechs Direktoren der Korporationen der Gesellschaft waren bei diesem Anlaß anwesend, nämlich die Brüder Knorr, Franz, Henschel, Suiter, Couch und Larson. Die brasilianischen Brüder waren beglückt, sie als ihre Gäste zu haben und sie gemäß dem Programm sprechen zu hören. Der Kongreß fand im großen Pacaembu-Stadion und in dem Gymnasium, das sich dahinter befand, statt. Welch ein Gegensatz zu dem Kongreß von 1945, der im Gymnasium stattgefunden hatte, als nur 765 Personen zugegen waren! Nun waren beim öffentlichen Vortrag, den Bruder Knorr durch einen Dolmetscher hielt, 46 151 gespannt lauschende Zuhörer anwesend. Sein Thema „Das Millennium der Menschheit unter Gottes Königreich“ wurde wiederholt von einem Beifallssturm unterbrochen. Der Vizepräsident der Watch Tower Society, Bruder Franz, überraschte alle, als er ans Mikrofon trat und seine Rede in Portugiesisch hielt. Die begeisterte Ansprache dieses prominenten älteren Mannes wurde mit immer wiederkehrendem Applaus aufgenommen. Hier wurden auch zum erstenmal in Brasilien zwei biblische Dramen aufgeführt. Wie froh waren doch die Brüder bei dieser Gelegenheit, von Bruder Knorr von den Plänen der Gesellschaft für den Bau eines neuen Zweigbürogebäudes in São Paulo zu hören! Als Bruder Knorr seine Schlußbemerkungen beendet hatte und die Bühne verließ, zogen die Brüder und Schwestern ihre Taschentücher heraus und winkten damit. Viele weinten vor Ergriffenheit und Freude wegen der bei diesem geistigen Fest empfangenen Segnungen. Es war unvergeßlich.

In den Jahren, die folgten, wurden weitere und bessere Kongresse geplant, um die sich mehrende Herde der „Schafe“ Jehovas in Brasilien zu betreuen. Die folgende Tabelle gibt eine Vorstellung von dem Erfolg dieser Kongresse, gemessen an der großen Zahl der Personen, die dem Programm zuhörten, und der Zahl derer, die sich Jehova hingaben, um seinen Willen zu tun:

Kongreßmotto Jahr Zahl der Orte Zuhörer Täuflinge

„Macht Jünger“ 1968 12 86 007 1 627

„Gute Botschaft

für alle Nationen 1969 11 95 780 2 370

„Friede auf Erden“ 1969/70 16 93 826 3 120

„Menschen guten

Willens“ 1970/71 18 120 950 3 036

„Göttlicher Name“ 1971/72 18 138 343 3 610

Wiewohl die Zunahme an Königreichsverkündigern andauerte, war sie nicht so augenfällig wie in früheren Jahren. Dessenungeachtet haben sich die Brüder in den sechziger Jahren gefreut, zu wissen, daß jedes Jahr wenigstens die erhoffte Zunahme von 10 Prozent über dem vorigen Jahresdurchschnitt aktiver Zeugen zu verzeichnen war.

DIE AUFSICHT ÜBER DAS WERK

Im Oktober 1959 wurde Grant D. Miller vom Zweigbüro in Uruguay nach Brasilien versetzt, um dort als Zweigaufseher zu dienen. Er war im Alter von noch nicht zwanzig Jahren schon zur Erkenntnis der Wahrheit gekommen und hatte die Predigttätigkeit im Jahre 1937 aufgenommen. Im Juli 1940 wurde er auf dem Kongreß in Detroit getauft. Er und seine Frau Eleanor absolvierten die siebzehnte Klasse Gileads und wurden Uruguay zugeteilt, wo Bruder Miller bis zu seiner Abreise nach Brasilien als Zweigaufseher diente. Im Jahre 1963 kam er wieder ins Hauptbüro nach Brooklyn, um einen zehnmonatigen Schulungskurs mitzumachen, der in der Gileadschule durchgeführt wurde, und nach Beendigung des Kurses wurde er wieder dem Zweigbüro Uruguay zugeteilt. Während Bruder Miller in der Gileadschule war, amtete John Kushnir bis Dezember 1963 vorübergehend als Zweigaufseher, bis dann Bruder William A. Bivens, der ebenfalls den zehnmonatigen Kurs der Gileadschule im Jahre 1963 besuchte, in Brasilien eintraf und als Zweigaufseher eingesetzt wurde. Bruder Bivens war im Jahre 1911 in Kentucky geboren worden. Er war mit seiner Frau Bertha im Jahre 1942 in den Pionierdienst eingetreten, und sie wurden zum Besuch der fünften Klasse Gileads eingeladen, die den Kurs im Juli 1945 beendete. Bald waren er und seine Frau nach Guatemala unterwegs, um dort als Missionare zu wirken. Im Jahre 1954 wurden sie Costa Rica zugeteilt, wo er zum Zweigaufseher ernannt wurde. Danach hatte er das Vorrecht, als Zonenaufseher für die karibische und die zentralamerikanische Zone zu dienen, wo er beträchtliche Erfahrung in der theokratischen Organisation erlangte.

Bald nachdem Bruder Bivens seinen Dienst im brasilianischen Zweigbüro angetreten hatte, wurde eine weitere ausgezeichnete Vorkehrung für die Förderung des Werkes in Brasilien getroffen. Das war der Bau vieler hübscher, praktischer Königreichssäle in vielen kleineren und größeren Städten des ganzen Landes, von Manaus in der Dschungelgegend des Amazonas aus bis hinab nach Pôrto Alegre im Süden. Auch nahm das neue Zweiggebäude in São Paulo um diese Zeit Gestalt an. Während seiner Errichtung wurde es nötig, daß Bruder Bivens persönlich mehrere Reisen nach São Paulo unternahm, um die Aufsicht über viele Einzelheiten der Arbeit am Bau zu führen. Indes zeigte es sich, daß Bruder Bivens ernstlich krank war und es ihm immer schwerer fiel, seinen Aufgaben nachzukommen. Schließlich wurde beschlossen, daß er nach den Vereinigten Staaten zurückkehren sollte, um sich behandeln zu lassen, und das tat er im Februar 1969. Einige Wochen später starb er, und dies nach vielen Jahren treuen Vollzeitdienstes. Die Bethelfamilie Brasiliens, die jetzt in ihren schönen neuen Räumlichkeiten wohnte, die er in São Paulo hatte bauen helfen, vermißte seine Gegenwart sehr.

Als Bruder Bivens nach den Vereinigten Staaten zurückgekehrt war, ordnete Bruder Knorr an, daß Fred Wilson mit seiner Frau aus Chile nach Brasilien übersiedeln sollte, wo Bruder Wilson als Zweigaufseher weiter dienen könnte. Er hatte während einer Reihe von Jahren in den verschiedenen Zweigen der Königreichstätigkeit Erfahrungen gesammelt, was ihm hier zustatten kam. Im Jahre 1944 war er aus dem Gefängnis entlassen worden, in das er wegen der Neutralitätsfrage gekommen war, und er wurde ins kanadische Bethel eingeladen, wo seine Frau bereits eine Zuteilung erhalten hatte und wo die Arbeit nach dem Verbot wiederaufgenommen wurde. Im Dezember 1945 eröffnete die Gesellschaft in Westkanada ein Depot und betraute Bruder Wilson mit dessen Betreuung. Zwei Jahre später wurde er dem Kreisdienst im Fraser-Tal zugeteilt und blieb dort mit seiner Frau, bis sie im Jahre 1949 zum Besuch der Gileadschule eingeladen wurden. Nach Schluß der Schule gehörten sie zu den zwanzig glücklichen Missionaren, die Chile zugeteilt worden waren. Einige Jahre später wurden sie ins Zweigbüro gerufen, um dort zu dienen, und von 1959 an diente Bruder Wilson als Zweigaufseher in Chile. Er hatte das Vorrecht, seinen Brüdern in anderen südamerikanischen Ländern einige Male als Zonenaufseher zu dienen. So kamen am 3. April 1969 er und seine Frau in São Paulo an, um von ihren neuen Dienstvorrechten Gebrauch zu machen.

GRÖSSERE FREIHEIT, JEHOVA ANZUBETEN

Der Kampf der Gesellschaft in Brasilien um die gesetzliche Anerkennung war lang und mühsam. Erst im April 1957 genehmigte der neugewählte freisinnige Präsident Brasiliens, Dr. Jucelino Kubitschek de Oliveira, das Rechtsgutachten des Staatsanwaltes Dr. A. Gonçalves de Oliveira, worin die Registrierung oder das Fallenlassen des Verfahrens gegen die Sociedade Tôrre de Vigia empfohlen wurde. Sein Entscheid wurde am Montag, dem 8. April 1957, im Diário Oficial veröffentlicht. Als Bruder Kushnir und Bruder Antão die Nachricht von dem Entscheid durch den Rechtsanwalt der Gesellschaft erhielten, konnten sie ihre Freude kaum meistern. Das gesetzliche Verfahren hatte die Gesellschaft eine große Summe Geld gekostet, aber das Geld konnte nicht verglichen werden mit dem Vorrecht, in Freiheit in dem ihr von Gott gegebenen Predigtwerk tätig zu sein.

Natürlich gab es weitere große Probleme für unsere Brüder in Brasilien. Zum Beispiel mußten während der Jahre, da die Organisation wuchs, viele junge Männer der Streitfrage entgegenblicken, ‘Cäsars Dinge Cäsar zu geben, Gottes Dinge aber Gott’. (Matth. 22:21) Die allgemeine Wehrpflicht hatte vom Jahre 1906 an im Lande bestanden. Besonders nach dem Zweiten Weltkrieg waren alle jungen Männer in einem gewissen Alter verpflichtet, sich zur Musterung und zur militärischen Ausbildung zu stellen, ohne daß anscheinend eine Vorkehrung für eine Befreiung aus Gewissensgründen getroffen war. Da mehr und mehr junge Zeugen den christlichen Predigtdienst in Brasilien aufnahmen, mehrten sich die Fälle der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen dementsprechend. Schließlich kamen im Jahre 1950 gewisse kritische Fälle zur Behandlung.

Maximiano Wenyk und Paulino Maciel lehnten die militärische Ausbildung aus Gewissensgründen ab. Dies führte im Verlauf mehrerer Wochen zu Verhandlungen. Am ersten Tag erhielt Bruder Wenyk von einem Armeehauptmann einen Faustschlag ins Gesicht, so daß seine Brille zerbrach. Die Brüder wurden zu einiger Zeit Einzelhaft verurteilt und in feuchten, stinkigen Zellen untergebracht, und man führte ihnen besondere Kriegsfilme vor in dem Bestreben, sie entsprechend umzuschulen. Doch blieben die Brüder standhaft, und nach etwa vier Monaten wurden sie als Personen aus der Armee entlassen, die „keine sittliche Fähigkeit“ besäßen, in den bewaffneten Streitkräften zu dienen. Doch zeigte das Protokoll, daß sich ihre Weigerung, Waffen zu tragen, auf ihren christlichen Glauben als Jehovas Zeugen stützte.

Ein weiterer bemerkenswerter Fall war damals derjenige von Bruder W. B. Machado, der das Problem des Gestellungsbefehls von einem anderen Standpunkt aus anfaßte. Er bemühte sich, mit den Armeebehörden in Verbindung zu treten, selbst mit dem Verteidigungsminister, wenn auch ohne Erfolg. Einige Offiziere tadelten ihn streng und drohten ihm mit Bestrafung, während andere, liberalere, ihm rieten, legale Mittel zu versuchen, um vom Wehrdienst freigestellt zu werden. Daher wurde Bruder Machado ein gesetzlicher Berater gegeben, und die Argumente zu seinen Gunsten stützten sich auf eine Vorkehrung zur Befreiung vom Militärdienst, wie sie in der liberalen Verfassung von 1946 vorgesehen war. Gemäß dieser Verfassungsbestimmung konnte irgend jemand, der aus Gewissensgründen Einwendungen gegen den Militärdienst erheben würde, davon befreit werden, sofern er gewillt wäre, auf gewisse politische Rechte, zum Beispiel auf das Stimmrecht und das Recht, ein politisches Amt zu bekleiden, zu verzichten.

Nach einem langen Rechtskampf gestattete die Regierung im Jahre 1953, daß diese Bestimmung der Verfassung auf Jehovas Zeugen wie auch auf andere Verweigerer aus Gewissensgründen Anwendung haben könne. Aber trotz dieses Präzedenzfalles gab es noch beträchtliche Vorurteile gegen den Stand, den Jehovas Zeugen einnahmen, mit dem Ergebnis, daß einigen jungen Zeugen die Freistellung vom Wehrdienst verweigert wurde, und andere hatten unter schlecht beratenen Beamten zu leiden. Schließlich veröffentlichte die Regierung Marschall Arthur da Costa e Silvas, um das Verfahren klarzustellen und Unregelmäßigkeiten auszuschalten, am 8. Juni 1967 den Erlaß Nr. 56 und legte darin eingehende und vollständige Anweisungen für die Behandlung aller Fälle einer Freistellung vom Militärdienst aufgrund religiöser Überzeugung fest.

Natürlich mußte jeder einzelne in der Lage sein, zu bestätigen, daß er den Wehrdienst auch wirklich aus Gewissensgründen abgelehnt hatte. Der Aufseher der Versammlung, zu welcher derjenige gehörte, der sich um Freistellung vom Wehrdienst bewarb, würde persönlich durch einen von der Armee gesandten Untersuchungsbeamten befragt werden. Aufgrund der durch die Aufzeichnungen der Versammlung gelieferten Information würde der Untersuchungsbeamte dann empfehlen, ob das Gesuch um Freistellung bewilligt oder abgelehnt würde. Wenn bewilligt, ist der Bewerber cassado, was den Verlust gewisser politischer Rechte nach sich zieht.

Es ist eine anerkannte Tatsache, daß bei Jehovas Zeugen in Brasilien jeder einzelne seine Entscheidung in dieser Sache selbst trifft, ob er sich um Freistellung vom Wehrdienst aus Gewissensgründen bewerben will oder nicht. Hunderte junger Männer haben sich diese Rechtsbestimmung zunutze gemacht, und sie schätzen es sehr, daß die Regierung diesbezüglich Rücksicht genommen hat, wodurch sie befähigt worden sind, ihren christlichen Dienst ohne Behinderung fortzusetzen. Viele dieser jungen Männer benutzen ihre Freiheit weislich, indem sie als Vollzeitprediger der guten Botschaft dienen und die hohen moralischen Wertbegriffe lehren, die in Gottes Wort zum Segen großer Scharen anderer Menschen dargelegt werden.

DAS PROBLEM DER ÖFFENTLICHEN SCHULE

Unsere jüngeren Brüder mußten in den Schulen ebenfalls schwere Prüfungen ihrer Lauterkeit bestehen. Einer der ersten der verzeichneten Fälle ereignete sich im Jahre 1950, als sich eine Schwester im Alter von sechzehn Jahren weigerte, an einer staatsbürgerlichen Zeremonie teilzunehmen, die ihr christliches Gewissen verletzt hätte. Es wurden Anstrengungen gemacht, das Motiv ihrer Weigerung den Lehrern und dem Schuldirektor zu erklären, aber umsonst. Religiöse Feinde benutzten ihren Einfluß, um diesen Fall dem Rechtsprozeß des Justizministeriums einzugliedern, der zu der Verordnung führte, die Tätigkeit der legalen Gesellschaft (Tôrre de Vigia) für sechs Monate zu stoppen, und dies als Vorläufer zu dem eventuellen Verbot der Gesellschaft. Als dieser Rechtsprozeß im Jahre 1957 nach einer Anzahl Besprechungen mit den Behörden schließlich fallengelassen wurde, wurde die Lage in den Schulen wieder normal und blieb dies während einer Reihe von Jahren.

Im Jahre 1969 kam eine Verordnung heraus, und zufolge dieser Verordnung mußte in den Schulen Stoff in bezug auf „Moral und Staatsbürgerkunde“ gelehrt werden. Bald danach ergaben sich vereinzelte Fälle eines Ausschlusses aus Schulen, als junge Brüder sich weigerten, die Nationalhymne zu singen oder am Fahnengrußzeremoniell teilzunehmen, wie es in diesen Klassen gefordert wurde. In Rio Claro im Staate São Paulo wurde der Fall von zwölf Schülern der Polizei überwiesen, die, nachdem sie von den Eltern und der Schuldirektion Erklärungen erhalten hatte, den Fall zur Behandlung durch die DEOPS (eine Abteilung des Sekretärs der öffentlichen Sicherheit) vor eine höhere Instanz brachte. Bruder Oswaldo Monezi und Bruder Augusto Machado, der damalige Präsident bzw. Sekretär der lokalen Gesellschaft, wurden um Aufschluß über die Stellungnahme der Gesellschaft in der Sache gebeten. Eine schriftliche Erklärung wurde abgegeben, die die biblische Grundlage der Stellungnahme der Zeugen Jehovas darlegte und auch zeigte, daß es Sache jedes einzelnen sei, nach seinem christlichen Gewissen zu handeln. Nach gebührender Erwägung stellte die DEOPS ein gutes Leumundszeugnis aus, soweit es die Gesellschaft betraf.

Mittlerweile wurden in der Stadt São Paulo dreißig weitere Kinder aus der Schule ausgewiesen. In Santa André appellierte der Vater in einem Fall an den Erziehungsminister des Staates São Paulo und legte den Gewissensstandpunkt seines Kindes ausführlich dar. Die Sache wurde an die Staatskommission für Moral und Staatsbürgertum verwiesen, die aus zehn Mitgliedern bestand, von denen drei Mitglieder zu den bewaffneten Streitkräften gehörten, außerdem gehörten Rechtsanwälte, Lehrer und eine Nonne dazu. Ein günstiges schriftliches Gutachten wurde von dieser Kommission aufgestellt, aber der Erziehungsminister zog es vor, es zu übersehen, und überwies den Fall an die Nationale Kommission für Moral und Staatsbürgertum. In beiden Fällen bemühten sich die Brüder, persönlich jedes Kommissionsmitglied zu erreichen, um unseren schriftgemäßen Standpunkt darzulegen und auf alle Fragen zu antworten, die von den Kommissionsmitgliedern aufgeworfen wurden. Da das Gutachten dieser Bundeskommission dem Erziehungsminister unterbreitet werden sollte, vereinbarten Direktoren der Gesellschaft Unterredungen mit seinen Rechtsberatern, und einer der Direktoren konnte die Sache auch persönlich mit dem Erziehungsminister besprechen.

In dem Gutachten der Kommission, wie es im Diário Oficial, dem Organ der Regierung, erschienen war, wurde das verfassungsgemäße Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit anerkannt, obschon es die Kinder von Zeugen Jehovas nicht von staatsbürgerlichen Zeremonien befreite. Im Gutachten wurde direkt aus der Verfassung zitiert und gesagt: „Es besteht volle Gewissensfreiheit, und den Gläubigen wird die Ausübung der religiösen Anbetung zugesichert, die nicht im Widerspruch mit der öffentlichen Ordnung oder mit guten Bräuchen steht. Niemand soll wegen seiner religiösen Überzeugung oder wegen philosophischer oder politischer Ansichten irgendwelcher seiner Rechte beraubt werden, ausgenommen, wenn diese dazu benutzt werden, sich von den gesetzlichen Verpflichtungen, die allen obliegen, zu befreien, in welchem Fall das Gesetz den Verlust der Rechte festsetzen kann, die mit dem Einwand aus Gewissensgründen unvereinbar sind.“

Dasselbe Gutachten nahm auf die Person Gottes gebührende Rücksicht, indem es besagte: „Während die Vaterländer wie auch die Erde selbst zugrunde gehen können, ist Gott, sogar wissenschaftlich ausgedrückt, unsterblich und ewig, übersinnlich, von Geist, gegenüber allem Zeitlichen und Vergänglichen.“

Im Gutachten wurde auch die Erklärung Dignitatis Humanae aus dem Jahre 1965 zitiert und dazu bemerkt, daß jeder vor Zwang geschützt sein sollte, so daß in religiösen Dingen niemand gezwungen werden soll, gegen sein Gewissen zu handeln, oder am Handeln gehindert werden darf.

Der Schreiber des Gutachtens gab zu, daß von einigen Schuldirektoren eine äußerst rigorose Bestrafung durchgeführt worden sei. Der Bericht besagte weiter: „Extreme Vorsicht ist notwendig in diesem Fall, um nicht des Kindes Gewissen zu verletzen und es nicht zu isolieren, da es rechtlich handlungsunfähig ist und für seine Taten nicht verantwortlich gemacht werden kann.“

Zum Schluß empfahl der Verfasser des Gutachtens: „Ein Ausstoßen und Ausschließen aus der Schule sollte, wenn es in den Satzungen als disziplinarische Strafe enthalten ist, nur in ernsten Fällen, die sich wiederholen, und bei Respektlosigkeit als eine extreme und außergewöhnliche Maßnahme erfolgen.“

Es war ein sachliches, wohlüberlegtes Gutachten, und obwohl es nicht ganz das war, was die Eltern der Kinder erhofft hatten, zeigte es doch, daß die Regierung den Kindern oder ihrer künftigen Erziehung nicht zu schaden wünschte. Das Gutachten hat eine sehr ernüchternde Wirkung auf die meisten Schulbehörden gehabt, so daß seit seiner Veröffentlichung am 6. Oktober 1971 sehr wenig Fälle eines Ausschlusses berichtet worden sind. Bestimmt wurde in der Zeit vom Oktober 1970 bis Oktober 1971 viel zu dem Zeugnis beigetragen, das durch die Dutzende von Besprechungen der Eltern und anderer Brüder mit den Schulbehörden wie auch mit dem Staat und den Bundesbehörden gegeben wurde.

Zumindest vom Januar 1972 an ist eine weitere Art der Untersuchung im Gange gewesen. Berichte begannen im Büro der Gesellschaft in São Paulo einzugehen, die zeigen, daß man mit Versammlungsaufsehern in verschiedenen Teilen des Landes Kontakt aufgenommen und ihnen Fragen gestellt hat. Die Berichte deuten an, daß die Besprechungen alle einem gewissen Muster folgten, indem man Fragen hinsichtlich der Grundlage unseres neutralen Standes stellte, z. B., warum Jehovas Zeugen nicht die Nationalhymne singen oder die Fahne grüßen. Bezeichnend für die Befürchtungen der Behörden waren auch die Fragen über die Art der Organisation, die unter den Zeugen besteht, und die Möglichkeiten einer Infiltration unerwünschter und subversiver Elemente in unsere Reihen. Eine Frage lautete: Wer sind diese 144 000, die bald herrschen werden? Offenbar waren unsere Brüder in der Lage, diese Gelegenheiten zu einem guten Zeugnis über unser Predigtwerk und die Gründe unserer neutralen Stellung zu benutzen. Da die Berichte anzeigten, daß die Nachforschungen von dem SNI (Nationalen Informationsdienst, dessen Aufgabe es ist, den Präsidenten der Republik über alle Zweige der Tätigkeit im Lande unterrichtet zu halten) durchgeführt werden, wurden im Juli Vorkehrungen getroffen, daß unsere Brüder, Augusto Machado und Arlindo Barreto, Präsident bzw. Direktor der lokalen Gesellschaft, eine Unterredung mit höheren Autoritätspersonen des SNI haben könnten, und dies sowohl in Rio de Janeiro als auch in Brasília. Diese beiden Besprechungen erwiesen sich als aufschlußreich und wurden in einer freundlichen Atmosphäre geführt. Obwohl verneint wurde, daß die Nachforschungen von dem SNI herrührten, war es doch möglich, die Stellung der Zeugen Jehovas ruhig darzulegen. Auf das Ersuchen der Behörden bereiten wir für eine eventuelle künftige Bezugnahme eine schriftliche Erklärung dieser biblischen Stellungnahme vor, um sie bei ihnen einzureichen.

Man hat das Empfinden, daß die Behörden auf allen Ebenen mit Jehovas Zeugen, unserem Werk und unserem schriftgemäßen Standpunkt besser vertraut sind. Bezeichnend für das Verhalten der Regierung ist die Tatsache, daß während der Monate Juni und Juli 1972 sieben verschiedene Listen von jungen Predigern, die wegen ihres christlichen Gewissens vom Militärdienst befreit wurden, in dem Regierungsblatt Diário Oficial veröffentlicht worden sind, und dies, nachdem während mehrerer Monate zuvor keine Listen veröffentlicht worden waren.

AUSDEHNUNG DER EINRICHTUNGEN DES ZWEIGES

Mittlerweile stellte die große Ausdehnung des Königreichspredigtwerkes im ganzen Lande große Anforderungen an die Einrichtungen des Bethelbüros und der Druckerei in São Paulo, auch wenn diese erst kürzlich errichtet worden waren. Der Umzug des Bethelheimes und der Büros von Rio de Janeiro nach São Paulo im Jahre 1968 hatte sich bestimmt als vorteilhaft erwiesen. Der Staat São Paulo hat nicht nur ein kühleres Klima, es findet sich dort auch die größte Ansammlung von Zeugen in Brasilien, nämlich in dem Verhältnis von einem Verkündiger zu 566 Personen.

Die Einweihung des neuen Bethels in São Paulo fand am Freitag, dem 20. Dezember 1968, statt, wobei Bruder und Schwester Knorr als besondere Gäste anwesend waren. Mit 333 Anwesenden, zu denen 145 Versammlungsaufseher, 10 Bezirks- und Kreisaufseher mit ihren Frauen und 42 Glieder der Bethelfamilie gehörten, war der Königreichssaal gedrängt voll. Zum Programm gehörte auch ein Geschichtsbericht über das Werk in Brasilien, und als Höhepunkt hielt Bruder Knorr eine Ansprache, durch die er das Gebäude Jehova weihte. Die Glieder der Bethelfamilie werden sich stets an Bruder Bivens’ grenzenlose Freude und Befriedigung erinnern, als er dieses schöne, neue Heim und Zweigbüro vollendet sah. Es schien ihm neue Kraft zu geben, so daß es ihn in die Lage versetzte, einige seiner Aufgaben als Zweigaufseher wieder zu übernehmen. Obwohl ihm geholfen werden mußte, zur Einweihungsversammlung in den Königreichssaal herabzukommen, war es für ihn bestimmt ein ganz besonderer Anlaß.

Das neue, dreistöckige Bethelgebäude in Form eines „L“ ist das bei weitem eindrucksvollste Gebäude in seiner unmittelbaren Umgebung, da es in griechisch-römischem Stil mit Marmor-Eingang und Säulen erstellt worden ist. Auf dem Dach verdeckt der vertraute Wachtturmbau den mächtigen Wassertank, und wenn er nachts beleuchtet ist, zeugt er stumm von dem Wachstum und dem Fortschritt des Werkes der christlichen Zeugen Jehovas. Aber man stelle sich vor! In nur zweieinhalb Jahren nach seiner Fertigstellung ist dieses schöne, große Gebäude bereits zu klein geworden, um der außergewöhnlichen Ausdehnung des Zeugniswerkes in Brasilien gewachsen zu sein. Alle Zimmer waren von Gliedern der Bethelfamilie besetzt, obwohl die Königreichsdienstschule aus dem Gebäude des Zweiges in andere Städte verlegt worden war. Der Raum zum Lagern der Literatur war ganz ausgefüllt, so daß man unmöglich Druckschriften für mehr als einige wenige Monate lagern konnte. Wie groß war daher die Freude der Brüder, als Bruder Knorr ankündete, daß die gegenwärtigen Einrichtungen mehr als verdoppelt werden sollten durch einen neuen Anbau an das jetzige Besitztum! Diese Pläne wurden den Versammlungen im Königreichsdienst vom April 1971 bekanntgegeben. Zwei angrenzende Grundstücke waren gekauft worden, ein unbebautes und das andere, auf dem eine Druckerei von 432 Quadratmeter Bodenfläche stand. Auf dem unbebauten Grundstück werden in Form eines „L“ zwei neue separate Bauten errichtet, jeder fünfstöckig. Der eine Bau soll Raum geben für den Versand der Zeitschriften und der Literatur, und es würden darin auch alle vorhandenen Druckpressen untergebracht werden können. Der andere würde zwei Stockwerke mit insgesamt achtundzwanzig Schlafzimmern haben und drei Stockwerke für die Lagerung des Papiers und der Literatur. In der bereits gebauten Druckerei auf dem anderen Grundstück würden eine neue M.A.N.-Rotationsmaschine sowie andere notwendige Einrichtungen zum Drucken der Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! in Portugiesisch untergebracht. Ausdehnung war wahrhaftig das Schlüsselwort!

In Verbindung mit diesem Bauprogramm kam überraschenderweise der Besuch von Bruder Nathan Knorr und Bruder Max Larson. Bruder Knorr, der als Zonenaufseher diente, konnte die Tätigkeit im Zweigbüro und Bethelheim rationalisieren und gleichzeitig mit Bruder Larson und den Brüdern des Zweiges viele Einzelheiten in Erwägung ziehen, die sich auf den tatsächlichen Bau und die Aufstellung der notwendigen Ausrüstung für das Drucken der Zeitschriften in Brasilien bezogen.

Das Gebäude war bereits im Bau begriffen, als Bruder Knorr und Bruder Larson im Januar 1972 eintrafen, da die endgültige Genehmigung am 4. Oktober 1971 erteilt worden war. Die drei Tage des Besuches waren voller Tätigkeit und vergingen nur zu schnell. Lange noch werden sich die Bethelfamilie und die Gileadabsolventen, die in São Paulo und dessen Umgebung dienen, der glücklichen Stunden erinnern, die wir am Donnerstagabend, dem 13. Januar, zusammen mit den reisenden Brüdern hatten. Zur großen Freude der Familie wurden Dias von den Neubauten gezeigt, die von der Gesellschaft an verschiedenen Orten erstellt werden. Bruder Knorr sprach auch über die Ausdehnung in Brooklyn, und die Brüder freuten sich außerordentlich darüber. Dann, mitten in der Ansprache, stand Bruder Larson auf und kündete an, daß dies ein ganz außergewöhnlicher Tag für uns alle sei, da heute, am 13. Januar 1972, Bruder Knorr gerade volle dreißig Jahre als Präsident der Gesellschaft geamtet habe. Nach mehreren Minuten anhaltenden Beifalls und unterdrückter Gefühlsregungen auf seiten aller Anwesenden setzte Bruder Knorr seine Ansprache fort und flocht nun viele Erinnerungen an frühere Reisen nach Südamerika ein. Nach herrlichen Stunden auferbauender Gemeinschaft mußte der glückliche Abend schließlich ein Ende nehmen. Am nächsten Tag setzten die Besucher ihre Reise nach Afrika fort.

EINE WUNDERBARE ZEIT, IN DER WIR LEBEN!

Während wir das wunderbare Werk betrachten, das in den vergangenen Jahren bereits getan worden ist, freuen sich Jehovas christliche Zeugen in Brasilien darüber und danken Jehova, daß ihnen die großartige Gelegenheit zuteil geworden ist, ihm ihre Liebe zu bekunden. Sie schauen der Zukunft optimistisch entgegen, weil sie wissen, daß wir jetzt in der wunderbarsten aller Zeiten leben, da das Königreich bereits in den Himmeln aufgerichtet worden ist und sich die neue Ordnung der göttlichen Herrschaft hier auf der Erde genaht hat. Zu unserer großen Freude waren bei der Gedächtnismahlfeier im Jahre 1972 insgesamt 180 866 Personen anwesend. Das zeigt, daß mehr als 100 000 Personen mit den Versammlungen in Verbindung stehen, die noch keine Königreichsverkündiger sind. Wir werden aber alles tun, was wir nur können, um ihnen Hilfe zu bieten. Während des Dienstjahres 1972 wurden 7 864 Personen, die sich kürzlich Gott hingegeben haben, getauft, und insgesamt 72 972 Verkündiger waren im April im Predigtdienst tätig.

Offenbar gibt es noch viel mehr zu tun, und an diesem Werk nehmen bereitwillig 73 Brüder teil, die jetzt als Kreisaufseher, und 5 weitere, die als Bezirksaufseher dienen, und sie besuchen regelmäßig die mehr als 1 500 Versammlungen, um allen Zeugen und anderen Menschen behilflich zu sein, ihren Dienst zu verbessern und einen noch größeren Anteil am Königreichswerk zu haben. Es ist wunderbar, zu sehen, wie Jehovas Geist so viele Zeugen veranlaßt hat, sich willig darzubieten, in ferne Teile der Erde zu gehen, um als Evangeliumsverkündiger zu dienen.

Nun wißt ihr, wie das Wachstum des Werkes in Brasilien durch die treuen Bemühungen der frühen Evangeliumsverkündiger von Brasilien und Europa und jetzt durch die Missionare, die die Wachtturm-Bibelschule Gilead absolviert haben, vorangetrieben worden ist. Ihre Tätigkeit hat sich bis in alle Gegenden des Landes erstreckt. Zum Beispiel gibt es tief in dem ungeheuren Amazonasdschungel, im Staate Amazonas, 36 Versammlungen mit insgesamt 890 Verkündigern, von denen viele Motor- und Ruderboote benutzen, um die friedlichen Bewohner dieses Staates aufzusuchen. In der ganzen Gegend, die nach dem Gesetz als Amazonia bekannt ist, wozu auch die Staaten Pará, Acre und Gebiete von Rondônia, Roraima und Amapá gehören, führen 73 Versammlungen mit 1 895 Verkündigern den göttlichen Auftrag, die gute Botschaft zu predigen, durch, und in dieser Gegend sind auch 42 Sonderpioniere eifrig damit beschäftigt, neues Gebiet zu erschließen.

Im Staate Bahia, wo — wie wir uns erinnern — George Shakhashiri mit Amim J. J. Darzé zusammentraf, wächst das Werk weiter, so daß es jetzt in dessen Hauptstadt Salvador 51 Versammlungen mit 4 909 Verkündigern und 57 Pionieren gibt. Im ganzen Staat befinden sich jetzt 170 Versammlungen mit 9 444 Verkündigern, 123 allgemeinen Pionieren und 65 Sonderpionieren.

In den großen Metropolgebieten, wie demjenigen von São Paulo, wo früher Schwierigkeiten das Werk bedrohten, gibt es alle Anzeichen, daß Jehovas segnende Hand darauf ruht. Heute gibt es in Groß-São-Paulo 237 Versammlungen mit 20 033 Verkündigern, darunter 217 Pioniere. In der Tat, im ganzen Staat São Paulo befinden sich 489 Versammlungen mit 30 953 Verkündigern, das heißt fast die Hälfte der Gesamtzahl von Brasilien, die eifrig dabei sind, Personen zu suchen, die Gott mit Geist und Wahrheit anbeten wollen.

So sehen wir, daß sich die Botschaft vom Königreich über das ganze Land hin ausgebreitet hat, und nun ergeht noch die Herausforderung an die Verkündiger in ganz Brasilien, selbst in die abgelegensten Gegenden vorzudringen und die gute Botschaft vom Königreich dorthin zu tragen, um die Menschen herauszusuchen, die der Botschaft würdig sind. Es zeigt sich, daß es Jehova gefallen hat, viele dazu zu gebrauchen, das große Predigtwerk in diesem ausgedehnten Land durchzuführen, eine Anzahl aus anderen Ländern, andere, die im Lande geboren wurden, aber alle getrieben von demselben Geist der Hingabe und Wertschätzung gegenüber Jehova für all seine wunderbaren Gütigkeiten. Alle haben erkannt, daß sie von sich aus nur wenig hätten vollbringen können. Aber sie schreiben Jehova selbst alle Ehre und allen Ruhm für die großartige Ausdehnung des Königreichswerkes in Brasilien zu. Sie sind sich bewußt, daß es ‘Gott war, der es fortwährend wachsen ließ’. — 1. Kor. 3:6.

Angesichts der wunderbaren Königreichsfrüchte, die während der vergangenen fünf Jahrzehnte hervorgebracht worden sind, blicken treue Zeugen in Brasilien freudig und erwartungsvoll der Zukunft entgegen. Sie wissen, daß Jehova sein großes Werk, die Suche nach denen, die ihn mit Geist und Wahrheit anbeten werden, vollenden wird. Sie sind der Zuversicht, daß selbst angesichts des großen bisherigen Zustroms ehrlichgesinnter Personen in die theokratische Organisation noch weitere folgen werden, und in dieser Gewißheit rücken sie mit ihrem Predigtwerk voran und verkündigen unterdessen vereint: „Du bist würdig, Jehova, ja du, unser Gott, die Herrlichkeit und die Ehre und die Macht zu empfangen, weil du alle Dinge erschaffen hast, und deines Willens wegen existierten sie und wurden sie erschaffen.“ — Offb. 4:11.

[Karte auf Seite 36]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

BRASILIEN

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Maceió

Salvador

Belo Horizonte

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São Paulo

Curitiba

Erechim

Santa Maria

Atlantischer Ozean

URUGUAY

ARGENTINIEN

CHILE

PARAGUAY

BOLIVIEN

PERU

KOLUMBIEN

VENEZUELA

GUYANA

SURINAM

FRANZ. GUYANA

[Bild auf Seite 82]

Gegenwärtiges Bethelheim ...

[Bild auf Seite 83]

... und der Neubau in São Paulo (Brasilien)