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Britische Inseln

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ALS zwei Überseereisende irgendwann im September 1881 in Liverpool (England) vom Schiff gingen, ahnten sie wohl kaum, daß sie das Vorrecht hatten, etwas in Bewegung zu setzen, was gewaltig wachsen und gottesfürchtigen Briten sehr viel Freude bringen sollte. J. C. Sunderlin und J. J. Bender waren zwei Mitarbeiter des bekannten „Pastors“ Charles T. Russell aus Allegheny (Pennsylvanien), und sie waren gekommen, um Vorkehrungen für die Verbreitung einer 162seitigen Publikation zu treffen, die den Titel „Food for Thinking Christians“ (Speise für denkende Christen) hatte.

Jeder hatte einen ausgearbeiteten Plan für seine Tätigkeit, und bald war Sunderlin nach London unterwegs, während Bender nordwärts — nach Glasgow — reiste. Der Plan war, daß sie größere Städte aussuchten und einen geeigneten Mann anstellten, der Helfer, darunter Laufburschen, anwarb, die die Bücher kostenlos den Menschen geben sollten, wenn diese aus der Kirche kamen. Diese Arbeit sollte schnell geschehen und an zwei aufeinanderfolgenden Sonntagen zum Abschluß gebracht werden. Sunderlin warb nahezu fünfhundert Botenjungen an, die die Publikationen in London verteilen sollten. In Glasgow setzte Bender eine Annonce in die Zeitung und fuhr dann mit der Eisenbahn nach Edinburgh, wo er einen Mann suchte, der dort die Arbeit in die Hand nehmen konnte. Sobald er das ausgeführt hatte, reiste er weiter und traf Vorkehrungen für die Verbreitung in Städten wie Dundee und Aberdeen. Als er nach Glasgow zurückkam, schloß er mit einem der achtzehn, die auf seine Annonce geantwortet hatten, einen Vertrag über die Verbreitung von dreißigtausend Exemplaren der Publikation.

Bender fuhr dann kreuz und quer Richtung Süden und traf Vereinbarungen für das Werk in Carlisle, Newcastle-on-Tyne, Liverpool, Manchester, Hull, Leeds und anderen Städten im Industriegebiet der katholischen Grafschaft Lancashire, in dem hauptsächlich Baumwolle verarbeitet wird, und in den Städten der protestantischen Grafschaft Yorkshire, in denen Wolle verarbeitet wird. Insgesamt wurden 300 000 ausgezeichnete biblische Schriften zur Verbreitung in Großbritannien bereitgestellt.

Zwar war Großbritannien auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Macht, aber in London und anderen Großstädten durchstreiften Scharen kleiner Jungen — blaß, zerlumpt und ohne Schuhe und Strümpfe — die Straßen und suchten in Rinnsteinen und Abfallhaufen nach Resten von Lebensmitteln. Mädchen plagten sich in drückend heißen Räumen ab, in denen Nähmaschinen klapperten und Bügeleisen auf übelriechenden Öfen erhitzt wurden, und arbeiteten für einen reinen Hungerlohn fast rund um die Uhr. Viele Menschen hatten die tröstende Botschaft der Bibel bitter nötig. Die Publikation Speise für denkende Christen sollte sich für viele als ein wahrer Trost erweisen, besonders für die Klasse derer, die in Armut lebten und die größtenteils in Elendsvierteln wohnten und es sehr schwer hatten, genug zu essen zu bekommen.

Die Hoffnung gelangte zu vielen dieser Menschen, und bald begannen sich zufolge der ausgedehnten Tätigkeit Gruppen von Bibelforschern zu bilden. Tom Hart aus Islington (London) bestellte und erhielt drei Schriften. Er erhielt auch neun Monate lang regelmäßig Zion’s Watch Tower, und das alles kostenlos — etwas Neues auf religiösem Gebiet. Von da an wurde er ein regelmäßiger Abonnent. Ihn beeindruckte besonders das Thema, das durch jede Ausgabe lief, nämlich „Geht aus ihr hinaus, mein Volk“ — ein biblischer Aufruf, die religiösen Gruppen der Christenheit zu verlassen und der Lehre der Bibel zu folgen. Er und sein Arbeitskollege Johnathan Ling, ebenfalls ein Eisenbahner, begannen zusammen zu studieren. Das führte dazu, daß Hart 1884 offiziell aus der Kirche austrat, und bald folgten ihm Ling und ein Dutzend andere, die anfingen zusammenzukommen. Dies scheint der erste Bericht über regelmäßige Zusammenkünfte dieser Art in Großbritannien zu sein. Viele, die an diesen Zusammenkünften teilnahmen, bekundeten auch eine Bereitwilligkeit, sich an dem Werk, das neue Verständnis anderen weiterzugeben, zu beteiligen. Ein Taxifahrer aus Bristol schrieb: „Ich spüre ein großes Verlangen, es anderen weiterzuerzählen.“

Am 1. Juli 1891 kam Charles T. Russell zum ersten Mal auf die Britischen Inseln. In Queenstown (Irland) ging er an Land und unternahm eine zweimonatige Missionsreise durch Großbritannien, Rußland und das übrige Europa. Er kam zu dem Schluß, daß Großbritannien die größten Möglichkeiten bot, und entschloß sich, die Tätigkeit auf Großbritannien zu konzentrieren. Russell besuchte kleine Gruppen von Wachtturm-Abonnenten, unterhielt sich mit ihnen und sprach bei öffentlichen Zusammenkünften, bei denen bis zu zweihundert interessierte Personen anwesend waren, die man in Liverpool und London besonders eingeladen hatte. Er vereinbarte auch mit einer Londoner Firma, daß Tagesanbruch-Bücher (Bibelstudienhilfsmittel) an Kolporteure zu Sonderpreisen geliefert würden.

In diesen frühen Tagen wurde das Werk der Verbreitung der guten Botschaft auf verschiedene Art und Weise durchgeführt. Einige Teilzeitarbeiter zogen es vor, die Bücher in Parks und an anderen Orten, wo sich Menschen entspannten, anzubieten. Eine Gruppe von drei Personen bearbeitete auf diese Weise die Parks von London. Es war üblich, lange Gespräche über die Bibel zu führen. Andere konzentrierten sich auf Geschäftshäuser. Üblicher war es jedoch, Besuche von Haus zu Haus zu machen. Ein Bruder, der in kleinen Orten Schottlands jedes Haus bearbeitete, gab durchschnittlich dreißig Bücher pro Tag ab.

DIE TÄTIGKEIT MIT TRAKTATEN IN SCHOTTLAND

Die Verbreitung der Publikation Speise für denkende Christen bildete erst den Anfang. Auch die Tätigkeit mit Traktaten hatte Erfolg. Sarah Ferrie, die ein Bettenfachgeschäft in Glasgow besaß, hatte Zion’s Watch Tower abonniert. Sie schrieb an Pastor Russell, daß sie und einige ihrer Freundinnen sich gern als Freiwillige an dem Werk beteiligen würden. Später fuhr ein großer Lastwagen vor der Tür zu ihren Geschäftsräumen vor. Er war mit dreißigtausend Druckschriften beladen. Sie waren von guter Qualität, und alle sollten kostenlos verteilt werden. Tante Sarah, wie man sie später nannte, und ihre Freundinnen schritten zur Tat. Gewöhnlich standen drei in der Nähe einer Kirche, jede an einem anderen Zugang zum Gebäude, so daß Kirchgänger und andere eine kostenlose Schrift erhalten konnten.

Jemand anders, der sehr tätig war, war Bruder Phillips, ein Geschäftsmann, der abwechselnd eine Anzahl Ortschaften im Umkreis von Glasgow besuchte. Er reiste jeden Tag in einem anderen Eisenbahnabteil und verteilte an die Mitreisenden Traktate. Nachdem er alle Züge bearbeitet hatte, die er regelmäßig benutzte, fuhr er jeden Tag mit früheren Zügen und wiederholte den Vorgang. Mindestens vier Personen nahmen die Wahrheit zufolge dieser Verbreitung von Traktaten in Zügen an. George, der Sohn von Bruder Phillips, diente später viele Jahre lang in Südafrika als Zweigaufseher.

Minnie Greenlees, eine Verwandte von Sarah Ferrie, reiste zusammen mit ihrem Sohn Alfred und seinen zwei kleineren Brüdern mit „Pony und Wagen“ durch das ganze ländliche Gebiet. Sie schickte die Kinder mit Traktaten in abgelegene Bauernhöfe und Häuser, während sie selbst Hunderte von Exemplaren des Buches Der göttliche Plan der Zeitalter abgab.

Bis zum Jahre 1901 war die Gruppe in Glasgow, die zuerst in Schwester Ferries Wohnung zusammenkam, für die Räumlichkeiten zu groß geworden und verlegte ihre Zusammenkünfte in die Freimaurersäle. In den ersten vier Jahren nach ihrer Gründung war die Versammlung, die erste in Schottland, auf etwa fünfunddreißig Personen angewachsen. Die Brüder fühlten sich von einer Dringlichkeit angetrieben. Sie verbreiteten Hunderttausende von Traktaten in ganz Schottland. Vielfach waren es vierseitige Traktate, die fast wie kleine Zeitungen waren und treffende Botschaften enthielten, z. B. „Viele Geistliche, die ohne göttliche Befugnis predigen, sollten aufhören zu predigen“ und „Der Fall Babylons“.

Allein in Glasgow berichtete ein Bruder die Verbreitung von 10 093 Exemplaren der Broschüre Die Bibel gegen die Evolutionstheorie, einer Broschüre, die kostenlos verteilt wurde. Die Literatur wurde zu einem großen Teil vor Kirchen so großzügig verteilt. In Glasgow hatte man dreiundsiebzig Kirchen besucht.

Inzwischen wandte man den ländlichen Bezirken die Aufmerksamkeit zu. Alfred Greenlees und Alexander MacGillivray fuhren mit dem Fahrrad durch große Teile Schottlands. Sie bearbeiteten auch die Insel Orkney und den Norden Großbritanniens. MacGillivray wurde später Zweigaufseher in Australien.

Die Ausbreitung biblischer Erkenntnis in Schottland kann man daran erkennen, daß im Jahre 1903 siebzig Personen der Feier zum Gedenken an den Tod Christi beiwohnten. Gruppen von Bibelforschern kamen regelmäßig an mindestens sechs Stellen in Glasgow zusammen. Die Verbreitung der Traktate, ursprünglich eine bezahlte Arbeit, wurde später so organisiert, daß sie fast ausschließlich von Freiwilligen durchgeführt wurde. Die Kolporteure andererseits verbreiteten die von der Watch Tower Society veröffentlichten Bücher und bestritten ihren Lebensunterhalt mit der kleinen Verdienstspanne, die ihnen die Gesellschaft für die Abgabe dieser Veröffentlichungen gewährte.

ORGANISATION ZU GRÖSSERER TÄTIGKEIT

Bis zum Dezember 1898 gab es neun festgegründete Versammlungen in Großbritannien. Es wurde dringend Hilfe für die Organisation benötigt. C. T. Russell hatte früher „Pilgerbrüder“ aus Amerika geschickt, die mit Kolporteuren im Predigtwerk arbeiten und Vorträge in Versammlungen halten sollten. Pilgerbrüder waren geistig ältere Männer, die Versammlungen besuchten und ihnen biblischen Rat gaben und sie ermunterten. Sie waren in Wirklichkeit die Vorläufer der reisenden Prediger, die heute als Kreisaufseher bekannt sind. Russell beschloß dann, Jesse Hemery aus Manchester, einen Bahnwärter, für den Pilgerdienst zu ernennen. Zehn Jahre lang hatte Hemery aktiv an der Tätigkeit mit Traktaten teilgenommen, die Bender organisiert hatte, und nun begann er mit seinem neuen Dienst am 3. Januar 1899.

Man schrieb erst seit einigen Tagen das Jahr 1900, als Hemery einen Brief von Russell erhielt, in dem es unter anderem hieß: „Ich plane etwas Weiteres in ... dem Interesse der Sache in Großbritannien, und ich bin zuversichtlich, daß das Jahr 1900 teilweise die Verwirklichung erleben wird.“ Russells Plan begann sich einen Monat später zu verwirklichen, als E. C. Henninges und seine Frau in Liverpool auf den Kai schritten und sich auf den Weg nach London begaben.

Henninges rief eine Anzahl Buchhändler an, um sich über die Lage in bezug auf Preise, Provisionen oder Rabatte für Großhändler zu erkundigen und darüber, welche Art von Einbandmaterial wahrscheinlich am ansprechendsten wäre. Er ernannte auch zusätzliche Kolporteure. Er bereitete ein Rundschreiben vor, das an alle Buch- und Zeitungshändler geschickt werden sollte und in dem er Zion’s Watch Tower, eine sechzehnseitige Zeitschrift, anbot und für jedes erlangte Jahresabonnement mit vierundzwanzig Ausgaben eine Provision von 50 Prozent zusicherte. Die Gesellschaft übernehme es, die Zeitschriften zu liefern und die Postgebühren zu zahlen und außerdem kostenlos so viele Musterexemplare zur Verfügung zu stellen, wie der Zeitungshändler garantieren könnte, in die Hände von Menschen zu legen, die voraussichtlich Abonnenten werden würden. In dem Rundschreiben wurde erklärt, diese besondere Vergünstigung werde so lange bestehenbleiben, bis eine ansehnliche Liste aufgestellt sei; dann würden die Preise denen englischer Zeitungen angeglichen werden.

Bald trafen mehrere Tonnen Bücher und Zeitschriften in England ein, damit der Bedarf des sich ausdehnenden Werkes gedeckt werden konnte. Um amerikanische Druckereien zu entlasten, traf Henninges Vorkehrungen, daß Zeitschriften in London gedruckt werden konnten.

Henninges suchte und fand auch geeignete Räumlichkeiten in der Gipsy Lane, Nr. 131 (heute als Green Street bekannt), die in Forest Gate, im Osten Londons, lag, um ein Büro für den britischen Zweig der Watch Tower Bible and Tract Society einzurichten. Am Montag, den 23. April 1900 eröffnete E. C. Henninges das erste Zweigbüro der Gesellschaft außerhalb der Vereinigten Staaten.

Ende 1901 wurde Henninges nach Amerika zurückgerufen, um eine neue Zuteilung zu erhalten. In der Zwischenzeit hatte Jesse Hemery seine Angelegenheiten so geregelt, daß er seine ganze Zeit dem Predigtdienst widmen konnte, und er war bereit, eine Zuteilung in London anzunehmen. Daher wurde Hemery am Donnerstag, den 1. November 1901 zum Zweigaufseher über den Zweig der Britischen Inseln ernannt. Als eines der ersten Dinge, die getan wurden, wurden neue Preise für die Bücher, die Russell geschrieben hatte, festgesetzt. Die Entscheidung bedeutete, daß es bei einigen Bänden einen Verlust geben würde, aber im Interesse einer schnellen Verbreitung schlug Russell den niedrigeren Preis vor. Etwa um diese Zeit veröffentlichte die Gesellschaft auch ihre Hinweise für Kolporteure, ein Anzeichen dafür, daß sich die Reihen dieser Vollzeitprediger ausdehnten.

Im April 1903 traf Russell in England ein, um eine Kongreßreise zu unternehmen. Er hielt bei einer Anzahl von Zusammenkünften Ansprachen, unter anderem in der Shoreditch Town Hall in London, wo eine Höchstzahl von etwa achthundert Zuhörern anwesend war. Kongressen auf dem Kontinent folgten Besuche in Schottland. Als Russell das letzte Mal — im Jahre 1891 — Glasgow besucht hatte, hatte er sechs Abonnenten von Zion’s Watch Tower ausfindig gemacht. Diesmal stieg die Anwesendenzahl auf tausend Personen, die den Vortrag mit dem Thema „Hoffnungen und Aussichten auf das Millennium“ hören wollten. An einigen Orten in Mittel- und Nordengland hörten Russell jeweils fünfhundert bis sechshundert Personen zu, bevor er nach Dublin abreiste, wo er eine zurückhaltende, aber aufmerksame Zuhörerschaft hatte.

Auf dieser Reise verbrachte Russell Zeit damit, Vorkehrungen für ein größeres Büro in London zu treffen. Ein geeignetes Gebäude lag im Norden Londons, und so wurde im Herbst 1903 das Zweigbüro von Forest Gate nach Euston, Eversholt Street 24 verlegt.

TÄTIGKEIT RUFT WIDERSTAND HERVOR

Dieser frühen Organisation des Volkes Jehovas auf den Britischen Inseln standen Prüfungen bevor. Die eifrige Tätigkeit vieler Bibelforscher sollte mit Sicherheit den Zorn des Feindes erregen. Gleichzeitig sollten Bemühungen, die Organisation mit biblischen Erfordernissen in Einklang zu bringen, krasse Meinungsverschiedenheiten in den Reihen der Bibelforscher selbst hervorrufen Zum Beispiel hatten Frauen in Glasgow und anderen Versammlungen eine ziemlich bedeutende Rolle gespielt, da sie Sonntagsschulen für Kinder leiteten. Diese Einrichtung wurde nun überprüft, und bald stellte es sich heraus, daß Bruder Russell sie nicht unterstützte. Einige waren sehr aufgebracht über die veränderte Ansicht hinsichtlich der Stellung der Frau in der Christenversammlung. — 1. Tim. 2:11, 12.

Am Montag, den 13. April 1908 besuchte Charles Russell Großbritannien wieder mit der Absicht, eine große Reise mit vielen öffentlichen Veranstaltungen zu unternehmen. In Belfast stieß er auf einigen Widerstand von Zwischenrufern, mit denen er leicht fertig wurde. In Dublin entstand Opposition während einer erbetenen Fragestunde, und sie wurde von einem Sekretär des CVJM angeführt. Russell erwies sich als Meister im Debattieren und auch im Bloßstellen, denn in der Begegnung wurden sowohl der Sekretär als auch sein Hauptassistent in geistiger Hinsicht gründlich geschlagen. In ganz Schottland und England waren die Säle überfüllt, und viele Menschen gelangten nicht hinein.

Der Präsident der Watch Tower Society besuchte im Laufe der Jahre Großbritannien wiederholt. Im Mai des Jahres 1910 unternahm er auf den Britischen Inseln eine weitere dreiwöchige Reise. In Otley (Yorkshire), einer Stadt von achttausend Einwohnern, hatten sechs Methodistenprediger bei seinem früheren Besuch ein ziemliches Aufsehen erregt, als sie die Wahrheit annahmen, wofür sie auf der Kanzel und in der Presse angeprangert wurden. Diesmal amtete einer dieser sechs als Vorsitzender für Bruder Russell. Diese Veranstaltung wurde von dem Stadtausrufer bekanntgemacht, einem stämmigen Mann mit Haarzopf und in Tracht, der mit einer Glocke läutete und laut „Hört! Hört! Hört!“ rief, bevor er seine Bekanntmachung herausschrie. Bei dieser Reise bereitete sich der Sekretär des CVJM in Dublin darauf vor, Geistliche als Verstärkung herbeizuholen, um die Zusammenkunft zu unterbrechen, aber nach den Worten eines Augenzeugen „überschüttete Russell die Gruppe regelrecht mit Schriftstellen“, und wieder wurden die Gegner zur Freude der Zuhörerschaft geschlagen.

Im nächsten Jahr begann Bruder Russell eine weitere Reise durch Großbritannien und den europäischen Kontinent. Er hielt eine Ansprache in einem Saal in Cardiff (Wales), der mit etwa zweitausend Personen über sein Fassungsvermögen hinaus gefüllt war. Die Plymouthbrüder hatten ein kleines Flugblatt herausgebracht, das zehn Punkte darlegte, in denen sie behaupteten, daß Zitate aus dem Buch Der göttliche Plan der Zeitalter der Bibel widersprächen. Der Erfolg davon war, daß es half, die Veranstaltung anzukündigen, und am Ende seiner zweistündigen Ansprache beantwortete Russell eine halbe Stunde lang die Fragen, die durch das Flugblatt aufgeworfen worden waren, sowie andere Fragen, die mündlich gestellt wurden.

Als Russell wieder in Dublin auf einer Veranstaltung war, wurde er erneut mit dem Sekretär des CVJM konfrontiert, der mit der Hilfe von etwa hundert jungen Männern aus seinem Verein versuchte, die Veranstaltung aufzulösen. Gelegentlich schrieen und pfiffen sie. Die Fragen, die gestellt wurden, waren von der üblichen Art, einige in Form eines Angriffs auf Russell. Russell beantwortete sie ausführlich und anscheinend zur Zufriedenheit aller Zuhörer mit Ausnahme der Rowdys. Als Russell diese Reise beendet hatte, hatte er auf fünfundfünfzig Veranstaltungen in vierundzwanzig Städten in ganz Europa Ansprachen gehalten, die Anwesendenzahl belief sich dabei auf etwa vierundvierzigtausend Personen. Im gleichen Zeitraum waren mehr als eine Million Broschüren und andere Druckschriften kostenlos verteilt worden. Bestimmt lernten die Menschen auf den Britischen Inseln und auch auf dem europäischen Kontinent Jehovas Organisation kennen.

Gegen Ende des Jahres 1911 enthielten über dreihundert Zeitungen in Großbritannien Russells Predigten. Das Syndikat, das diese Arbeit erledigte, war als das „Vortragsbüro Pastor Russells“ bekannt. Es veröffentlichte eine anschaulich abgefaßte Broschüre über die Weltreise, zu der Russells Besuch in Großbritannien im Jahre 1912 gehören würde. Diese Veröffentlichung hatte ungefähr das Format von Zion’s Watch Tower und erklärte die Tätigkeit der Gesellschaft sowie ihre Lehren. Sie enthielt Reproduktionen von Zeitungsausschnitten, unter anderem auch viele aus britischen Zeitungen, die über Russells Veranstaltungen berichteten. Dies erwies sich als ein wirkungsvolles Mittel bei der Verbreitung der biblischen Wahrheit.

Auch das „Klassen-Ausdehnungswerk“ begann, gute Fortschritte zu machen. Es war üblich, daß ein ernannter Ältester einen Ort aussuchte und dort eine Serie von drei „Planvorträgen“ über eine chronologische Aufstellung biblischer Daten hielt. Darauf folgten gewöhnlich drei weitere Vorträge. Nach dieser Vortragsserie wurden die Anwesenden eingeladen, sich zum regelmäßigen Studium zu versammeln. Das Gefühl der Dringlichkeit, das in jenen Tagen unter den Brüdern vorherrschte, veranlaßte sie, kostenlose Literatur in jedem Bauernhof und in jedem abgelegenen Haus zurückzulassen, sowohl in Schottland als auch in England.

FINANZIELLE UND GESETZLICHE ANGELEGENHEITEN

Die Ansicht, die die Gesellschaft während dieser Jahre über finanzielle Angelegenheiten hatte, offenbarte Vertrauen zu dem Herrn. Als sich Bruder Russell zu dem weltweiten Rechnungsbericht der Gesellschaft für das Jahr 1911 äußerte, erklärte er: „Wir bezweifeln nicht, daß diese Verschuldung bald getilgt sein wird; dennoch ist für uns die Tatsache, daß sie fast doppelt so groß ist wie der Fehlbetrag im letzten Jahr, eine Warnung, daß wir bis zu einem gewissen Grad die ,Bremsen anziehen‘ müssen; denn nach unserem Urteil ist es der Wille des Herrn, daß wir nur Geld ausgeben, das unter seiner Fürsorge bereitgestellt wird.“

Ein Vorfall in Oldham (Lancashire) gibt interessanten Aufschluß darüber, wie man mit Geld umging. Es war das Jahr des großen Baumwollstreiks. Oldham, eine Baumwollstadt, litt bittere Not. Die Ekklesia (Versammlung) Oldham entschloß sich, Maßnahmen zur Erleichterung zu ergreifen. Dabei ging man folgendermaßen vor: In einen Nebenraum stellte man einen Tisch und darauf drei Töpfe oder Behälter. Einer war für Goldmünzen, einer für Silbermünzen und einer für Kupfermünzen. Ein Ältester stand vor der Tür und ließ jeweils nur eine Person hinein. Jeder, der hineinging, „stand allein vor dem Herrn“. Kein anderer wußte, ob er oder sie Geld hineinlegte oder herausnahm. Einige, die in den ersten Wochen etwas gaben, sagten, daß sie vor dem Ende des Streiks Geld herausnehmen mußten. Doch wie der kleine Ölkrug der Witwe, von dem in 1. Könige 17:14-16 die Rede ist, wurden die drei Behälter nie leer, bevor alle wieder die Arbeit aufgenommen hatten.

Trotz der zunehmenden finanziellen Last, die auf der Gesellschaft ruhte, erachtete man es im März des Jahres 1911 für nötig, in ein größeres Zweigbüro in London umzuziehen, und so übernahm die Gesellschaft das Grundstück Craven Terrace 36 (Lancaster Gate, London-W.). Dort befand sich ein Versammlungssaal, der groß genug war, um die wachsende Zahl der Gläubigen aus London unterzubringen. Das Gebäude, das früher als die „Kapelle der freien Gemeinden Craven Hill“ bekannt war, wurde nun in Londoner Tabernakel umbenannt. Es hatte eine große Galerie, auf der es fast ebenso viele Sitzplätze gab wie im Erdgeschoß — insgesamt waren es nahezu zwölfhundert.

Im Laufe der Zeit erforderte die immer größere Tätigkeit der Bibelforscher in Großbritannien Änderungen in der gesetzlichen Struktur der Gruppe. Am 30. Juni 1914 wurde die International Bible Students Association unter dem Körperschaftsgesetz als Gesellschaft mit unbeschränkter Haftung eingetragen. Die Haftung für die Hypothek auf dem Londoner Tabernakel wurde auf die neue gesetzliche Körperschaft übertragen, die auch die Mieterin des Grundstücks Craven Terrace 34 wurde, wo damals die Hemerys und zehn weitere Glieder der Bethelfamilie wohnten. Die gesetzliche Mutterkörperschaft war die Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania. So wurde die Gesellschaft in diesem Land ausgerüstet, nicht nur der zunehmenden Arbeit, sondern auch einem Druck zerschmetternder Art zu begegnen, der jetzt bevorstand.

DAS PHOTO-DRAMA DER SCHÖPFUNG

Während das so sehr erwartete Jahr 1914 näher rückte, ließ die Predigttätigkeit nicht nach. Bruder Russell kam auf einer Reise im Spätsommer des Jahres 1913 auch zu Kongressen nach London und Glasgow. Als er am 4. August 1913 in London sprach, erklärte er: „... die Heidenzeiten werden im Oktober 1914 enden — also in nicht allzu ferner Zukunft.“ Er brachte zum Ausdruck, daß er glaube, das ‘Verbrennen’, von dem die Bibel spräche, sei „nicht ein buchstäbliches Brennen, sondern eine Zeit der Schwierigkeiten — das ist das ,Feuer‘, von dem die Apostel und Propheten sagten, es sei das Merkmal, das dieses gegenwärtige Zeitalter abschließen werde, und das Merkmal, das die neue Heilszeitordnung einleiten werde“.

Als das Jahr 1914 anbrach, war die Gesellschaft äußerst tätig und blickte weit voraus. Ein völlig neues Projekt wurde in Gang gesetzt. Um die Wahrheiten, die die Bibelforscher vierzig Jahre lang bekanntgemacht hatten, auf eindrucksvolle Weise klarzumachen, wurde das „Photo-Drama der Schöpfung“ vorbereitet. Im Juli 1914 wurde es zum ersten Mal in Großbritannien gezeigt. Die Gesellschaft stellte zwanzig vollständige Ausrüstungen her; jede bestand aus Projektoren, Filmen, Lichtbildern, Leinwänden, Grammophonen, Schallplatten und Textbüchern. Das vollständige Programm bestand aus vier zweistündigen Vorführungen, denen als Abschluß ein Vortrag folgte. Daher konnten achtzig Vorführungen gleichzeitig laufen. Man beabsichtigte, das „Drama“ im ganzen Land in den besten und größten Theatern der bedeutenden Städte zu zeigen. Vorbereitungsleiter schlossen Verträge mit Theatermanagern. Dann folgte ein Bekanntmachungsleiter und traf Vorkehrungen für einen ausgedehnten Bekanntmachungsfeldzug. Danach kam der Eröffnungsleiter. Seine Aufgabe war es, die Vorbereitungen zu überprüfen und sich zu vergewissern, ob alles, was zur Vorführung benötigt wurde, in Ordnung war. Schließlich kamen die Vorführer, um die Zusammenkunft durchzuführen und Vorkehrungen für die Verbreitung von Textbüchern und kostenlosen Broschüren zu treffen und um zu planen, daß alle Interessierten, die ihren Namen zurückgelassen hatten, besucht wurden.

Der Plan sah gewöhnlich vor, daß Teil 1 des „Dramas“ eine ganze Woche lang an irgendeinem Ort, an dem es möglich war, gezeigt werden sollte. Dann wurde Teil 2 in der zweiten Woche gezeigt, und so ging es weiter, bis alle vier Teile vorgeführt worden waren. Eine fünfte Veranstaltung sah einen abschließenden Vortrag vor. Wie lange jede Vorführung des „Photo-Dramas“ dauern würde, hing natürlich sehr davon ab, wieviel Zeit zur Verfügung stand. Bruder Russell war bei den ersten Vorführungen in London persönlich zugegen, wo die Darbietung in vollen Häusern sehr großen Anklang fand. Dann reisten Russell und seine Gruppe nach Glasgow und in andere Städte Schottlands, um dieses neue Werk auch dort in Gang zu setzen.

Man hielt das Londoner Opernhaus am Kingsway für einen idealen Platz zur Vorführung der Serie, aber man war davon überzeugt, daß die Kosten eine Benutzung nicht gestatten würden. Jedoch kam im Oktober 1914 ein Angebot von der Direktion für die Zeit vom 12. bis 27. Oktober zu einer Gebühr von 100 Pfund. Die Gesellschaft nahm diese Gelegenheit wahr. Die Brüder in London zeigten sich der Lage gewachsen und erreichten es, in der einen Woche, die ihnen zur Verfügung stand, etwa vierhunderttausend „Drama“-Traktate vor dem Eröffnungstag zu verbreiten. Diese Traktate waren in Wirklichkeit kleine Zeitungen, die reich mit Szenen aus dem jeweiligen Teil des „Dramas“, der gerade angekündigt wurde, illustriert waren, und sie enthielten viele Erklärungen und anderen Lesestoff. Es wurde auch eine große Anzahl von Schaufensterplakaten und Rundschreiben verwendet, um das Ereignis anzukündigen. Brüder sprachen in Geschäftshäusern, Läden, Hotels, Krankenhäusern und an allen Orten vor, wo wahrscheinlich viel Personal beschäftigt war, und ließen dort eine Menge Werbeplakate und Eintrittskarten zurück.

Im Opernhaus standen auch viele Logenplätze zur Verfügung. So verschickte man besondere Einladungskarten an den Adel und an Leute von Rang und Namen in London. Das Ergebnis war, daß die Logen fast immer mit Menschen einer Klasse, die mit dem „Drama“ bisher nicht erreicht worden waren, unter ihnen auch namhafte Persönlichkeiten, gefüllt waren. Es wurde bekannt, daß zwei Bischöfe anwesend waren. Während die Serie im Opernhaus fortgesetzt wurde nahm das Interesse zu. Der Abschluß fand am Dienstag, den 27. Oktober statt, als mehr als tausend Personen am Nachmittag anwesend waren. Auch am Abend war das Opernhaus wieder zum Bersten voll, und Hunderte, die keinen Zutritt mehr fanden, mußten abgewiesen werden. Später wurde auch die Royal Albert Hall in London für Vorführungen des „Dramas“ benutzt. Nach sieben Tagen hatten es schon 24 192 Personen gesehen. Der Bericht über die Vorführung des „Photo-Dramas“ in Schottland in dieser Zeit zeigt, daß fünfundvierzig Städte, unter anderem Glasgow, besucht wurden und daß sich die Zahl der Anwesenden auf dreihunderttausend belief. Insgesamt 4 919 Namen interessierter Personen wurden nach den Abschlußvorträgen abgegeben.

Im Anschluß an Reisen durch England und Schottland wurde das „Photo-Drama der Schöpfung“ großen und dankbaren Zuhörerschaften in Belfast, Portadown, Ballymena und anderen Zentren Irlands gezeigt. Die Gesellschaft stellte auch eine gekürzte Fassung des „Dramas“ her, und zwar nicht mit Filmen, sondern nur mit Lichtbildern. Diese Darbietung war als das „Heureka-Drama“ bekannt. Auch diese Vorführungen zogen beträchtliche Mengen interessierter Personen an.

Gegen Ende des Jahres 1914, nachdem das „Drama“ sechs Monate lang auf den Britischen Inseln gezeigt worden war, hatten 1 226 650 Personen die Vorführung in siebenundneunzig Städten außer London gesehen. Die Ausbreitung der Königreichsbotschaft durch dieses Mittel und durch die regelmäßigen Besuche der Bibelforscher von Haus zu Haus hatte eine große Ausdehnung der Organisation auf den Britischen Inseln zur Folge. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, gab es 182 Versammlungen, und die Anwesendenzahl beim Gedächtnismahl betrug in jenem Jahr 4 100. Aber es standen drastische Entwicklungen bevor, nicht nur in bezug auf die Weltlage, sondern auch innerhalb der Gesellschaft.

ANGRIFF AUF DIE BIBELFORSCHER

Mit dem Ende der „Zeiten der Nationen“ im Jahre 1914 kam auch der Anfang vom Ende des Britischen Reiches, das sich damals auf dem Höhepunkt seiner Macht befand. Habgierige Händler begannen das Volk auszubeuten. In den Läden gab es allmählich keine Lebensmittel mehr. Der Diskontsatz schnellte in erschreckender Weise auf 10 Prozent hoch. In den Anfangsstadien des Krieges, der der Erste Weltkrieg werden sollte, bestand die Armee, die Großbritanniens reguläre Armee ergänzte, aus Freiwilligen. Trotz der Tatsache, daß die Kirche den Rekrutierungsfeldzug tatkräftig unterstützte, gab es immer noch einen gewaltigen Mangel an Freiwilligen. Daher wurde die Wehrpflicht eingeführt. Dadurch wurde eine neue Gruppe ins Blickfeld gerückt — die so verachteten Kriegsdienstverweigerer.

Es wurden Gerichte eingesetzt, die jeden Fall der Kriegsdienstverweigerung individuell untersuchen sollten, und das Gericht hatte die Aufgabe, die Aufrichtigkeit des Betreffenden zu beurteilen. Schon nach kurzer Zeit wurden über vierzig Bibelforscher inhaftiert, weil die Gerichte ihre Gründe für die Verweigerung des Militärdienstes nicht für Gewissensgründe hielten. Die International Bible Students Association setzte daher eine Petition in Umlauf, die schließlich von 5 500 Personen unterzeichnet wurde. Darin wurde gegen die Gefängnisstrafen protestiert, und sie wurde zusammen mit einem Begleitbrief an den Premierminister Großbritanniens geschickt.

Am Montag, den 17. Juli 1916 kam ein Verfahren als Testfall vor das Grafschaftsgericht Edinburgh. James Frederick Scott, der 1971 noch im Vollzeitpredigtdienst in Schottland tätig war, wurde damals angeklagt, er habe der Einberufung „nicht Folge geleistet“, obwohl er sich habe „einschreiben lassen und ... der Heeresreserve zugewiesen worden“ sei. Er wurde freigesprochen, und auf der Grundlage dieses Urteils bemühte sich das Londoner Büro, eine Freistellung für diejenigen, die regelmäßig im Büro arbeiteten, und für Älteste zu erwirken.

Inzwischen waren acht Bibelforscher, die den Kriegsdienst verweigert hatten, nach Frankreich geschickt worden, und es kam die Nachricht durch, daß sie zum Tod durch Erschießen verurteilt worden waren. Als sie in einer Reihe aufgestellt waren, um dem Erschießungskommando ins Auge zu sehen, wurde das Urteil von General Sir Douglas Haig auf zehn Jahre Zuchthaus abgeändert. Die acht wurden nach England zurückgeschickt, um ihre Zeit im Zuchthaus Dartmoor abzubüßen. Die Militärmächte waren in jener Zeit in großem Ausmaß sich selbst ein Gesetz. Bis zum September 1916 hatten 264 Brüder Freistellung beantragt. Von diesen wurde fünf ihr Antrag genehmigt, 154 erhielten eine Arbeitszuweisung von nationaler Wichtigkeit, 23 wurden einem nicht am Kampf beteiligten Korps zugewiesen, und 82 wurden dem Militär übergeben.

Einige der Brüder wurden militärischen Roheiten ausgesetzt. Zum Beispiel war Frank Platt ein Opfer des Sadismus von Offizieren. Er wurde in Einzelhaft gesteckt. Man drillte ihn besonders scharf, indem man von ihm verlangte, nachdem man ihm drei Monate nur Brot und Wasser gegeben hatte, mit ausgestrecktem Arm ein vierzehn Kilogramm schweres Gewicht zu tragen und es auf einen Pfiff hin wieder auf den Boden zu stellen, dann nochmals aufzuheben und das so lange zu wiederholen, bis er erschöpft zu Boden fiel. Dafür, daß er erschöpft hinfiel und nicht wieder aufstehen konnte, wurde er verurteilt, sich achtzehn weitere Tage diesem Drill zu unterziehen. Als dies vorüber war und er immer noch lebte, schlug man ihm mehrmals heftig ins Gesicht und dann band man ihn Tag für Tag an den Schultern, Händen und Füßen an einen Balken in einem winzigen Lagerraum, und zwar von acht Uhr morgens bis acht Uhr abends mit einer einstündigen Unterbrechung am Mittag, in der man ihm etwas kalten Reis und Wasser gab. Der Hauptfeldwebel kam jeden Tag, um nach ihm zu sehen, und fragte: „Hast du jetzt genug?“ Verschiedene Male besuchte ihn kurz der Gefängnisdirektor und erkundigte sich: „Fühlst du dich wohl?“ Dann wurde Platt dem „Schwarzen Loch von Le Havre“ übergeben, wo die Gefangenen gebunden und manchmal zu Tode geschlagen wurden. Eine Londoner Zeitung erfuhr von den Geschehnissen im „Schwarzen Loch“, und die Folge war, daß der Direktor, der Hauptfeldwebel und die Unteroffiziere, die ihm unterstanden, aus dem Gefängnis entfernt wurden.

Einige, die in der Wahrheit fest gegründet waren, bevor der Krieg ausbrach, waren „Absolutisten“, das heißt, sie lehnten es ab, überhaupt irgendeinen Anteil am Krieg oder an einer damit in Verbindung stehenden Arbeit zu haben. Sie wurden einfach ins Gefängnis gesteckt. Zu diesen gehörte Pryce Hughes, der später Zweigaufseher in Großbritannien wurde. Gemeinsam mit anderen Häftlingen wurde er zu Bauarbeiten an einem Damm in Wales geschickt. Dort traf er einen Mithäftling, Edgar Clay. Sie arbeiteten zusammen im Pionierdienst, und später arbeiteten sie mit Frank Platt im Bethel zusammen, und die drei freuen sich, dort auch noch im Jahre 1972 tätig zu sein.

KRISE IN DER ORGANISATION

Die Notwendigkeit für Sparmaßnahmen, die sich verschlimmernden Verhältnisse in Großbritannien und die Auswirkungen der Wehrpflicht vereinigten sich, um den Fortschritt des Königreichswerkes zu hemmen. Auch Probleme, die zugleich persönlicher und organisatorischer Art waren, wirkten sich aus. Schon in den ersten Ausgaben von Zion’s Watch Tower hatte Russell anhand der Heiligen Schrift darauf hingewiesen, daß diejenigen eine Hauptursache für Schwierigkeiten bilden würden, die gesalbt seien, die Wahrheit angenommen und ihre Ausbreitung gefördert hätten und dann abtrünnig würden. Die Versammlungen gingen nun auf die Zeit zu, in der diese Zwietracht feste Formen annehmen sollte und eindrucksvoll, aber nicht erfolgreich verlaufen würde. — Apg. 20:29, 30; Matth. 13:36-41.

In jenen Tagen wurden die Versammlungen von Ältesten geleitet, denen Diakone zur Seite standen, und sie alle wurden jedes Jahr örtlich nominiert und gewählt. Es nahm mehrere Zusammenkünfte in Anspruch, diesen Wahlvorgang abzuschließen. Oft erhitzten sich die Gemüter und die entstandene Uneinigkeit hörte nicht auf, wenn die Wahl vorüber war. Im Oktober unterzeichneten die Ältesten des Londoner Tabernakels einen Brief, den sie an Russell schickten und in dem sie Probleme in Verbindung mit dem Zustand der Versammlung und den angewandten Studienmethoden darlegten. Sie baten Russell, seine Ansicht über diese Probleme und Meinungsverschiedenheiten zum Ausdruck zu bringen. Sie beschlossen, keine Änderungen vorzunehmen, bevor Russells Ansichten bekannt wären. Gleichzeitig äußerten sie ihre Loyalität gegenüber dem Präsidenten und der Gesellschaft.

Jedoch hatte Russell nicht die Gelegenheit, seine Ansichten über diese Probleme zu äußern. Am Dienstag, den 31. Oktober 1916 starb Charles Taze Russell in einem Zug, als er sich auf einer Vortragsreise durch die Vereinigten Staaten befand. Durch seinen Tod wurde einer Situation, die schon voller Spannungen und Schwierigkeiten war, ein weiteres Problem für die Brüder auf den Britischen Inseln hinzugefügt. Bruder Russells Tod warf über die Stimmung aller Brüder einen Schatten. Alle hatten ihn hochgeschätzt. Er war zugänglich und sehr beliebt gewesen und hatte ein lebhaftes und freundliches Interesse an Menschen gezeigt. Ihn zu verlieren bedeutete für viele auch den Verlust des Zusammenhaltes in der Organisation des Volkes Gottes. Anderen jedoch bereitete sein Tod die Grundlage für die Verfolgung ihrer eigenen Ziele.

Am 7. November 1916 unterrichtete ein Telegramm aus dem Hauptbüro in Brooklyn das Büro in London, daß Paul S. L. Johnson im Begriff war, nach Großbritannien abzureisen. Der Zweck seines Besuches war es, die Schwierigkeiten zu untersuchen, die die Direktoren der Gesellschaft und das Londoner Tabernakel betrafen. Seine wirkliche Befugnis in Großbritannien wäre nicht größer als die irgendeines der anderen Pilgerbrüder, die in dieses Land gekommen wären; und er wurde mit dieser Tatsache völlig vertraut gemacht, bevor er das Brooklyner Büro verließ. Er unternahm eine Reise durch Großbritannien und hielt bei öffentlichen Veranstaltungen den Vortrag „Großbritanniens gefallene Helden — Trost für ihre Hinterbliebenen“. Er empfahl daß die Versammlungen „Prophetenschulen“ einrichteten, um die Brüder im öffentlichen Sprechen zu schulen. Da ihm durch Papiere, die ihm anscheinend unbeschränkte Vollmacht gaben, der Rücken gestärkt wurde, machte er auf die Versammlungen einen erheblichen Eindruck. Mit diesem neuerworbenen Hintergrund kehrte er nach London zurück und dort wurden seine wirklichen Absichten bald offenbar.

Am Sonntag, den 4. Februar 1917 erhielt der Sekretär der Versammlung London einen Brief von Paul Johnson, in dem verkündet wurde, Bruder Shearn und Bruder Crawford seien nicht länger Direktoren der Gesellschaft. Johnson als „Sonderbeauftragter der Watch Tower Bible and Tract Society“ nahm es auf sich, die Bank anzuweisen, die Unterschrift von Shearn und Crawford nicht anzuerkennen und Schecks einzulösen, die von Ebenezer Housden und Alexander Kirkwood gegengezeichnet wurden. Johnson telegrafierte dann an J. F. Rutherford, der kurz zuvor Präsident der Watch Tower Society geworden war: „Lage untragbar. Shearn, Crawford entlassen.“

Sobald Präsident Rutherford erfuhr, daß Johnson die zwei Direktoren entlassen hatte, schickte er ein Telegramm, in dem er ihre Wiedereinsetzung verlangte. Sie aber weigerten sich, wiedereingesetzt zu werden. Zur gleichen Zeit setzte Bruder Rutherford eine Kommission ein, die die Schwierigkeiten untersuchen sollte. Bruder Rutherford wußte aber nicht, daß ein Glied dieser Kommission, nämlich Housden, in die ganze Angelegenheit verwickelt war, da er einer der neuen Unterschriftsberechtigten war. Unterdessen ließ sich Johnson durch Rutherfords Reaktion wenig beeindrucken. Er gab sich damit zufrieden, daß Rutherford „zweifellos das Opfer einer Telegrammkampagne geworden ist, die Shearn und Crawford angezettelt haben“. Johnson setzte daher selbst eine in Gang. Sein erstes Telegramm belief sich auf fünfundachtzig Wörter, wurde aber von anderen übertroffen, unter anderem von einem Telegramm mit der beachtlichen Leistung von einhundertfünfzehn Wörtern. In dem ersten Telegramm identifizierte er sich und andere mit Gestalten aus den Büchern Esther, Nehemia und anderen Bibelbüchern. Sich selbst verglich er mit Esra, Nehemia und Mardochai. Er lud den Präsidenten der Gesellschaft ein, seine „rechte Hand“ zu sein.

In der Zwischenzeit wies Johnson Hemery an, unbedingt einen Lebensmittelvorrat anzulegen und ihn an einem Ort aufzubewahren, der vor Menschen und Ratten sicher sei. Er schlug vor, eine falsche, mit Zinn verkleidete Zimmerdecke zu verwenden. Weizen und Erdnüsse, sagte er, seien besonders notwendig. Seine Forderungen stützte er, wie er sagte, auf Elisas Voraussagen einer Hungersnot. Die sechs Ältesten, die den Brief vom Oktober unterzeichnet hatten und später wiedergewählt worden waren, waren nach Johnsons Worten in Wirklichkeit „Söhne Hamans“, die Johnson am vorangegangenen Sonntag „getötet“ habe und die von ihm am 4. März 1917 „aufgehängt“ würden, indem er sie entlassen würde. Etwa um diese Zeit telegrafierte Hemery an Rutherford: „Johnson beansprucht vollständige Kontrolle über alles.“ Am nächsten Tag telegrafierte Rutherford an Johnson: „Deine Arbeit in London beendet, kehre nach Amerika zurück, wichtig.“ Und an Hemery telegrafierte Rutherford: „Johnson wahnsinnig. Hat keine Vollmacht. Beglaubigungsschreiben ausgestellt, um Paß zu besorgen. Schickt ihn nach Amerika zurück.“ Am 7. März stellte Johnson in einem siebenundachtzig Wörter umfassenden Telegramm an Vizepräsident A. I. Ritchie und W. E. Van Amburgh Rutherfords Befugnis, ihn nach Amerika zurückzuberufen, in Abrede, behauptete, er habe die volle Unterstützung der Versammlung London gegen Shearn und Crawford, und wandte sich an die Gesellschaft gegen Rutherford, der, wie er sagte, nicht zum Präsidenten gewählt worden sei.

Johnson unternahm eine Kampagne gegen die Bank, drohte mit einem Gerichtsverfahren, falls sie rechtsgültig ausgestellte Schecks einlöse, und verlangte die Anerkennung seiner eigenen Günstlinge. Er betonte seine eigenen uneingeschränkten Vollmachten, entzog Alexander Kirkwood die Vollmacht, suspendierte Hemery durch ein Dokument, das von Ebenezer Housden formell beglaubigt worden war, und machte allgemein bekannt, daß er, Johnson, der Präsident der Gesellschaft hätte sein sollen, daß er es aber abgelehnt habe, das Amt anzunehmen.

Johnson, dem Hemery, der übriggebliebene Direktor im Londoner Büro, widerstand, erwählte sich Housden als Komplicen, verschaffte sich die Schlüssel des Londoner Büros und nahm es gewaltsam in Besitz. Er beschlagnahmte die Post, öffnete den Safe und nahm Geld heraus, das der Gesellschaft gehörte, und leitete dann vor dem Hohen Gerichtshof von Chancery in London im Namen der Gesellschaft als deren Sonderbeauftragter einen Prozeß gegen den Leiter des Zweigbüros London ein und gegen die Bank, bei der die Gesellschaft ihre Gelder hinterlegt hatte. Johnson, der sich durch Anwälte vertreten ließ, erwirkte eine gerichtliche Verfügung, die den Angeklagten den Zugang zu den Geldern der Gesellschaft versagte. Als es soweit war, telegrafierte Hemery an Rutherford: „Johnson rasend. Er und Housden eignen sich Post und Geld an. Schicke sofort versiegelte Aufhebungsvollmacht. Anwalt empfiehlt, Johnson hinauszuwerfen.“ Als Antwort telegrafierte Rutherford: „Johnsons Verfügung widersetzen. Vertritt nicht Gesellschaft. Haltet ihn zurück.“ Eine schriftliche Aufhebung der Ernennung Johnsons kam, und sie war vom Präsidenten unterschrieben, mit Stempel und Siegel der Watch Tower Bible and Tract Society versehen und von W. E. Van Amburgh beglaubigt. Eine formelle Annullierung aller Taten und Handlungen Johnsons begleitete diesen Widerruf seiner Vollmacht.

Johnson verlor den Prozeß, für den er einen Anwalt genommen hatte. Auch seine Rebellion und sein Versuch, sich die Gelder der Gesellschaft anzueignen, scheiterten. Am 10. März telegrafierte Rutherford an Hemery, er solle die volle Aufsicht übernehmen. Sofort ging Hemery zur Bank, um ein Guthaben von 800 Pfund sicherzustellen. Er kam nicht zu früh. Johnson kam unmittelbar nach ihm und wollte seine Briefe vom Hauptbüro benutzen, um das Geld in seine Gewalt zu bekommen. Ein mündlicher und gerichtlicher Kampf folgte. Enttäuscht setzte Johnson sein gerichtliches Vorgehen fort. Als der Fall vor den Richter kam, beschloß Johnsons Anwalt, nachdem er Hemerys beeidigte Erklärung gelesen hatte, das Verfahren einzustellen. Diese Entwicklungen nahmen Johnson natürlich den Wind aus den Segeln, und er verhielt sich eine Zeitlang ruhig, aber nicht lange. Seine Illusion von Größe lebte wieder auf. Bald wurde offenbar, daß er mehr beabsichtigte, als nur das Büro in seine Gewalt zu bekommen. Sein Ziel war es, das ganze britische Tätigkeitsgebiet und seine Gelder in die Gewalt zu bekommen und eine getrennte Ausgabe des Watch Tower herauszugeben.

Johnson, der nun eine Niederlage erlitten hatte und wütend war beriet sich lange mit seinem Mitverschwörer Housden. Am Mittwoch gingen beide in ihren separaten Zimmern früh zu Bett. Hemery zog Bruder Cronk und vier weitere heran. Zwei schlichen zu Johnsons Zimmer und sicherten leise, aber fest die Tür. Hemery, Cronk und die anderen zwei schlichen auf Zehenspitzen in Housdens Zimmer und verschafften sich mit einigen Schwierigkeiten die Schlüssel. Schnell gingen Hemery und Cronk zum Safe, schlossen ihn auf und öffneten die Tür. Das Geld war fort. Johnson und Housden hatten eine Einlage von 50 Pfund in Gold und 190 Pfund in bar an sich gerissen sowie die Post, die während der Zeit, in der sie den Safe in Besitz hatten, eingegangen war. Außer dieser Summe fehlte ein Scheck über 350 Pfund.

Hemery und Cronk begaben sich noch einmal in Housdens Zimmer, doch diesmal nicht auf Zehenspitzen. „Wo ist das Geld?“ fragte Hemery. Housden weigerte sich, irgendwelche Mitteilungen preiszugeben, selbst unter eingehender Befragung. Aber er versprach, Johnson nicht mehr zu helfen. Im Laufe der Befragung wies Hemery auf die Möglichkeit hin, die Polizei einzuschalten. Um 23.30 Uhr klingelte es an der Haustür. Auf der Treppe stand ein Polizeibeamter. Er wünschte eine Erklärung für eine Verletzung der sehr strengen Beleuchtungsvorschriften Londons. Ein Fenster im oberen Stockwerk war hell erleuchtet und hatte keine Verdunkelung. Der Beamte bestand darauf, die Verantwortlichen zu sehen, und Hemery nahm ihn mit zu dem Zimmer, das den Anstoß erregt hatte, und klopfte. Die Tür ging auf, und in der Öffnung stand ein Mann, dessen Bedürfnis, einen Polizisten zu treffen, noch nie geringer war als jetzt. „Dies“, sagte Hemery zu dem Beamten, „ist Mr. Housden.“

Am nächsten Morgen wurde die Bethelfamilie um sechs Uhr von heftigen Geräuschen geweckt. Ein Stoßen und Hämmern und ein abschließender dumpfer Schlag bewiesen, daß Johnson nicht ein Mann war, der sich von einer Tür zurückhalten ließ, die mit einem großen Holzklotz festgeklemmt war. Cronk sagte Johnson warnend, er könne zwar ins Badezimmer gehen, wenn er wolle, könne aber nicht seinen eigenen Willen durchsetzen. Cronk erwähnte, daß in der vergangenen Nacht ein Polizist oben gewesen sei, um mit Housden zu sprechen, erwähnte aber nicht den Grund für den Besuch. So stattete Johnson Housdens Zimmer einen Besuch ab. Aber Housden, durch die Ereignisse der vergangenen Nacht erschüttert, kam nicht heraus und sprach noch nicht einmal durch die Tür mit ihm. Da begann Johnson die Sorge zu teilen, die Housden offensichtlich bedrückte. So begehrenswert ihm dieses Haus einmal erschienen war, nun schien es ihm an der Zeit zu sein zu gehen, und zwar ohne Verzögerung. Er kehrte in sein Zimmer zurück, das eine Treppe höher lag, und zog sich an. Sein Gepäck ließ er unverschlossen zurück, er ging auf den Balkon, der zur Craven Terrace hinaus lag, kletterte über die Balustrade und hing einen Augenblick in der Schwebe, bevor er sich die Fassade des Gebäudes hinunterarbeitete.

Da die Eingangstür des Bethels offen war, mögen einige gedacht haben, man könne auch leichter auf die Straße gelangen, als Johnson es sich erwählt hatte, und sie hätten recht gehabt. Aber wenn Johnson den leichten Weg gewählt hätte, dann hätte der Milchmann an jenem Morgen einen Anblick verpaßt, der ihm unvergeßlich geblieben sein wird, den Anblick eines Herrn mit Zylinder und im Gehrock, die Füße mit Gummiüberschuhen beschuht, der eine Regenrinne hinabkletterte.

An jenem Tag händigte Housden Bruder Gentle ein Paket aus, das ungefähr 220 Pfund in Gold, Banknoten und andere Papiere enthielt. Gentle rief Hemery an, er, Gentle, müsse das Geld bei sich behalten, bis eine Mitteilung von Johnsons Anwälten gestatte, es zu übergeben. Hemery versetzte Gentle einen Schock, als er ihm erklärte, er gehe mit gestohlenem Eigentum um. Gegen Abend erhielt Hemery das Geld. Aber die benötigte Aufstellung der Finanzen fehlte noch.

Obwohl Präsident Rutherford die ganze Zeit über mit Johnson sehr energisch und entschieden vorging, trat er mit dem gleichen Nachdruck dafür ein, daß man mit ihm freundlich verfahren müsse. Auf der Suche nach einem Grund für die große Spaltung, zu der es im Zweigbüro London und im Werk in Großbritannien im allgemeinen gekommen war, gelangte er zu der Ansicht, daß die jahrelange Unstimmigkeit unter den drei Direktoren ein ursächlicher Faktor war und daß Jehova „dem Widersacher gestattete einzudringen“. Am 16. März schickte Rutherford Durchschriften neuer Richtlinien für das Zweigbüro London und bat die drei Direktoren, die Richtlinien gemeinsam durchzusprechen und, wenn sie einverstanden seien, eine Durchschrift zu unterschreiben und an die Zentrale in Brooklyn zurückzuschicken. Die Richtlinien verliehen Hemery angemessene Autorität als Bevollmächtigter des Präsidenten.

Die Ergebnisse der Kommission, die eingesetzt worden war, um die Schwierigkeiten in London zu untersuchen, erreichten dieses Land zusammen mit den Beschlüssen des Präsidenten. Rutherfords Begleitschreiben enthielt jedoch den Text eines Telegramms von Housden an Bruder Van Amburgh, in dem es hieß: „JOHNSON HAT GEWALTIGE ANSTRENGUNG HEMERYS, SHEARNS, CRAWFORDS AUFGEDECKT, WATCH TOWER KONTROLLE ÜBER FINANZEN ZU ENTREISSEN. RUTHERFORDS TELEGRAMME ERMUTIGEN SIE. VERANLASSE VORSTAND, IHN ZUM SCHWEIGEN ZU BRINGEN. Gezeichnet HOUSDEN.“ Dieses Telegramm trug das Datum vom 18. März 1917. Sobald es Bruder Van Amburgh in der Hand hatte, übergab er es Rutherford. Als der Bericht der Kommission Rutherford erreichte, suchte er darin vergeblich nach Einzelheiten über diese neue Verschwörung. Housden, der dieser Kommission angehörte und den Bericht mitunterschrieben hatte, hatte aus damals unerklärlichen Gründen geschwiegen. Johnsons Verbleib nach seinem außergewöhnlichen Verlassen des britischen Zweigbüros wurde bis April 1917 nicht geklärt, als er sich schon auf halbem Wege nach Amerika befand. Es ist wahr, daß nach seinem hastigen Aufbruch im Bethelheim ein oder zwei seltsame telefonische Botschaften eingingen, und man kam zu dem Schluß, daß in jedem Fall Johnson neben dem geheimnisvollen Anrufer stand, um etwas über seinen Freund Housden zu erfahren.

Später stellte Rutherford nach zwei langen Besprechungen fest, daß Johnson in jeder Hinsicht völlig normal sei, nur in einer nicht, nämlich im Hinblick auf sich selbst. Johnson behauptete energisch, daß er nach Großbritannien zurückkehren müsse. Präsident Rutherfords Reaktion war: „Wir wollen dafür sorgen, daß er nicht dorthin zurückkehrt.“ Statt dessen wurde empfohlen, daß Hemery eine Reise planen solle, um die Angelegenheiten den Versammlungen zu erklären. Man beabsichtigte, daß Bruder Kirkwood ihn auf dieser Reise unterstützte, Hemery selbst sollte dabei die größeren Versammlungen besuchen.

Ganz unabhängig von den Berichten über die vergangenen und gegenwärtigen Spannungen wußte Rutherford aufgrund seiner Besuche in Großbritannien in den vorangegangenen sieben Jahren, daß trotz der gewaltigen Ausdehnung des Werkes in diesem Land unter vielen, deren biblische Erkenntnis durch einen schlechten Herzenszustand untergraben wurde, ein Geist des Stolzes vorherrschte. Daher wurden Vorkehrungen getroffen, daß die Brüder mit Hilfe des Pilgerdienstes, der durch den Weltkrieg großenteils unterbrochen worden war, auferbaut wurden. Hinsichtlich der elf Ältesten, die im Oktober den Brief an Russell unterschrieben hatten, kam Bruder Rutherford zu dem Schluß, daß sie dabei keine Hintergedanken gehabt hatten; obwohl sie im Unrecht waren, bedeutete ihr Vorgehen keine Untreue gegenüber der Gesellschaft. Ja, Rutherford fand für nahezu alles, was Anlaß zur Klage gegeben hatte, gute Gründe. In seinem Bericht wie auch in seinen Begleitbriefen machte er es allen Betroffenen sehr leicht, ihre Aufgaben im Dienste Gottes freudig weiter zu erfüllen oder wiederaufzunehmen. Die gesamte Angelegenheit wurde durch Korrespondenz abgewickelt, da das Reisen zwischen Großbritannien und Amerika noch mit Schwierigkeiten verbunden war. Als nächstes gelang es Hemery, ungefähr im Juni, den Pilgerdienst wieder zu organisieren, und er zog eine Anzahl fähiger Männer für diesen Dienst heran. Auch er selbst machte Pilgerbesuche, und er fand die Versammlungen im ganzen in guter Verfassung vor, trotz der Schläge, die sie erlebt hatten.

Johnson gab seine ehrgeizigen Pläne nicht so leicht auf. Als er wieder in Brooklyn war, setzte er eine Kampagne in Gang, um zurück nach Großbritannien zu kommen. Rutherford berichtete, daß Johnson tatsächlich darauf hinarbeitete, die Vorstandsmitglieder der Gesellschaft gegen den Präsidenten aufzuhetzen. Er schlug vor, Hemery solle herausfinden, wie die Versammlungen über eine Rückkehr Johnsons dächten, und sie dann nach Brooklyn schreiben und ihre Ansicht darlegen lassen. Inzwischen hatte sich Housden, den ein Dreierkomitee gedrängt hatte, seine Anklage über eine Verschwörung zu beweisen, der aber nicht imstande war, irgendwelche Beweise zu liefern, in einem Brief an Rutherford entschuldigt und seine unbegründete Anklage zurückgezogen.

Zu dieser Zeit befand sich Amerikas Expeditionskorps schon in Frankreich, und ein neues Militärgesetz, das Einberufungsgesetz, bewirkte, daß sich zusätzliche Arbeit auf Präsident Rutherfords Schreibtisch anhäufte. In Anbetracht dieses zunehmenden Druckes teilte Rutherford den Loyalen in Großbritannien mit: „Ich denke, es ist besser, wenn ich noch eine Weile warte, bevor ich nach Großbritannien komme, und hier am Sicherheitsventil sitze, für den Fall, daß sie mich hinaustreiben, was sie, wie ich hoffe, durch die Gnade des Herrn nicht werden tun können.“ Es stellte sich heraus, daß Rutherfords Feinde im Begriff waren, alles vorzubereiten, um genau das zu tun.

LÜGEN GEGEN EINSCHNEIDENDE WAHRHEIT

In jenen unruhigen Zeiten war es leicht, die Feinde der Wahrheit zu entdecken, ganz gleich, ob sie den dünnen Anstrich von Vertretern der Christenheit hatten oder ob sie den Schafspelz untreuer Bibelforscher dieser Zeit trugen. Ein besonderes Angriffsziel, das schließlich den Zorn all dieser Feinde heraufbeschwor und bewirkte, daß sie als Feinde der Wahrheit bloßgestellt wurden, war die Publikation Das vollendete Geheimnis. Johnsons Clique griff sie in einem vierseitigen gedruckten „Brief an die Internationalen Bibelforscher“ an. Andere Oppositionsschriften kamen auf und begannen dem Beispiel zu folgen. Eine davon hieß „Der Verkünder des Königreiches Christi“ und hatte das gleiche Format wie der Wacht-Turm und einige seiner wiederkehrenden Merkmale, ja sogar Wort für Wort die gleichen Unterthemen. Bestimmt erniedrigen sich nur Schwindler zu solchen betrügerischen Methoden.

Die Ausgabe des Bible Students Monthly mit dem Thema „Der Fall Babylons“ kündigte Das vollendete Geheimnis an und enthielt einige einschneidende Wahrheiten, was zur Folge hatte, daß die Religion der Christenheit ihres Deckmantels beraubt wurde. Die Geistlichkeit brachte nicht nur ihren Ärger zum Ausdruck, sondern sie hetzte die politischen Mächte auf beiden kriegführenden Seiten auf, etwas zu unternehmen, wobei die Geistlichen in Deutschland den Bibelforschern gegenüber genauso feindlich eingestellt waren wie ihre Amtskollegen in Großbritannien und Amerika. Großbritanniens Verbündeter, Kanada, ging führend voran, indem dort Menschen, denen Exemplare des Buches Das vollendete Geheimnis oder des Traktates „Der Fall Babylons“ gehörten, Geldstrafen erhielten und ins Gefängnis kamen.

In diesem Land wurden lügnerische, entstellte Nachrichtenberichte in Umlauf gesetzt. Zum Beispiel berichtete die Zeitung Northern Echo: „Die Bundesbehörden haben heute im Bethelheim, in der Zentrale der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung an der Columbia Heights in Brooklyn, eine Razzia gemacht und dort ein starkes Funkgerät beschlagnahmt. Das Grundstück liegt am New Yorker Hafen.“ Ein anderer Bericht fügte hinzu: „Das Gerät sollte vermutlich zur Verbindung mit dem Feind benutzt werden.“ Mit großer Freude sorgte der Feind dafür, daß dieser irreführende Bericht weit in Umlauf gesetzt wurde.

Aber wie verhielt sich die Sache in Wirklichkeit? Tatsachengemäß wurde sie in der Ausgabe vom 8. März der Zeitschrift Electrical Review folgendermaßen berichtet: „VERBOTENES FUNKGERÄT — Reuter berichtet, daß die Bundesbehörden in New York das Tower-Bürogebäude am Lower Broadway besetzt haben, wo ein Funkgerät entdeckt wurde, das stark genug ist, um Nachrichtenverbindung mit Deutschland herzustellen. Dieser Funkapparat befand sich im Besitz eines gewissen Richard Pfund, ehemals Direktor der Telefunkenwerke in Tuckerton und Sayville. Obwohl der Apparat nicht angeschlossen war, erklärten Experten, er könne innerhalb einer halben Stunde in Gang gesetzt werden. Als Pfund darüber befragt wurde, erklärte er, er experimentiere für die amerikanische Kriegsmarine. Die Richtigkeit dieser Erklärung wurde später nachgewiesen, aber die Behörden stellen jetzt weitere Untersuchungen an.“

Das Tower-Bürogebäude am Lower Broadway in Manhattan war vom Bethel an der Columbia Heights in Brooklyn weit entfernt, sowohl geographisch als auch phonetisch und in jeder anderen Hinsicht. Da der Bericht aus New York stammte und von einem erfahrenen Korrespondenten der Central News Agency geliefert wurde, beschrieb Rutherford die Angelegenheit richtig, denn als Erwiderung telegrafierte er an Hemery in London: „BERICHTE ÜBER RAZZIA AUF FUNKGERÄT BÖSWILLIG FALSCH.“

Dennoch war dadurch Schaden angerichtet worden, und dies führte zu einer Untersuchung durch den Direktor des Pressebüros in Großbritannien. Bevor Das vollendete Geheimnis in England gedruckt wurde, hatte Hemery in dem Buch Stellen unterstrichen, die die heuchlerische Handlungsweise der Geistlichkeit, die Männer in allen Nationen ermunterte, sich gegenseitig hinzuschlachten, bloßstellten, und Stellen, in denen gezeigt wurde, daß, während deutsche Soldaten Gürtel mit der Aufschrift „Gott mit uns“ trugen, britische Geistliche die Soldaten, die von Deutschen getötet worden waren, mit einem Heiligenschein umgaben. An einigen der Stellen wurden die Geistlichen als Lockvögel beschrieben, die andere veranlassen würden, zu töten und sich töten zu lassen, während sie selbst jede unmittelbare Teilnahme vermieden. Hemery nahm es auf sich, solche Stellen auszulassen, und erhielt die Erlaubnis, das Drucken und die Verbreitung fortzusetzen. Aber inzwischen überschwemmten die Versammlungen ihre Gebiete mit dem Traktat „Der Fall Babylons“ und hatten bei ihrer Tätigkeit einen gewaltigen Erfolg. Eine Versammlung in Lancashire berichtete: „Wir waren in vier Stunden fertig.“ In Liverpool wurden über 80 000 Exemplare verbreitet. Sofort schrieb der Direktor des Pressebüros an Hemery und bat ihn um eine Unterredung und sagte ihm, Das vollendete Geheimnis sei ein Verstoß gegen Verordnung 18 des Heimatschutzgesetzes. Hemery traf Vorkehrungen, das Drucken weiterer Exemplare einzustellen.

Ohne Zweifel brachten die Auswirkungen des Krieges radikale Änderungen und oft einen Mangel an klaren Entscheidungen mit sich, und das hatte zur Folge, daß einige Kompromisse eingingen, wie es der Fall war, als Stoff aus dem Buch Das vollendete Geheimnis ausgelassen wurde. Unterdessen wurden Beamte der Organisation und der Versammlungen unter dem einen oder dem anderen Vorwand ins Gefängnis gesteckt. Trotz alledem kämpfte eine Schar treuer Männer und Frauen in Großbritannien weiter, nicht für die Verteidigung der Territorien der Christenheit und auch nicht für die ihrer politischen Freunde, sondern für die Bewahrung der reinen Anbetung des großen Gottes Jehova. Die allgemeine geistige Verfassung der Brüder erforderte es, daß sie ermuntert und auf die wirkliche Bedeutung der sich entwickelnden Weltereignisse aufmerksam gemacht wurden, während sie bewiesen, daß Jehovas Augenmerk zu ihrem Guten auf sie gerichtet war.

HOFFNUNG FÜR MILLIONEN VERKÜNDIGT

Der Wacht-Turm veröffentlichte einen ausführlichen Bericht über den Kongreß, der im Jahre 1919 in Cedar Point (Ohio) stattfand, und dies gab der Tätigkeit in Großbritannien einen Anstoß. Am 25. August 1920 begannen Präsident Rutherford und andere aus Brooklyn eine Vortragsreise durch Großbritannien. Der öffentliche Vortrag hatte das Thema: „Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben“. Im ganzen Land kennzeichneten übervolle Säle, Parallelzusammenkünfte und Tausende von Menschen, die keinen Zutritt fanden, die Reaktion der Öffentlichkeit. Dieser Vortrag war der Höhepunkt eines viertägigen Kongresses in London, wo die Brüder über 400 000 Flugblätter für eine Zusammenkunft, bei der die Royal Albert Hall zum Bersten gefüllt war, verbreiteten.

Gegen Ende des Jahres 1920 veröffentlichte die Gesellschaft Das Goldene Zeitalter Nr. 27, eine zwanzigseitige übergroße Ausgabe einer neuen Zeitschrift. Sie enthielt authentische Berichte über die Verfolgung des Volkes Gottes in England, Kanada, Amerika, Deutschland und anderen Ländern. Sie stellte die Rolle bloß, die die Religion der Christenheit und ihre Führer dabei gespielt hatten. Sie wies auf den Grund für diese Angriffe hin und erklärte, daß die Christenheit und das ganze System zum Untergang verurteilt seien. Sie stellte den Völkerbund bloß. Sie sagte die Ausbreitung des Kommunismus und der Anarchie voraus. Doch vor allem wies sie auf das Heilmittel für alle Probleme der Menschheit hin. Es wurde erwartet, daß bei dem Feldzug mit dieser Zeitschrift, der am 1. Dezember 1920 beginnen sollte, in jeder Wohnung ein Exemplar zurückgelassen werden würde. Zwei Wochen später würde derjenige, der vorgesprochen hatte, den Wohnungsinhaber bitten, für die Zeitschrift einen Beitrag zu zahlen. Einige zahlten einen Beitrag, aber einige regten sich auf, weil ihnen die Botschaft nicht gefiel.

Im Jahre 1922 unternahm Bruder Rutherford eine weitere Reise durch Großbritannien, um nochmals den Vortrag „Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben“ zu halten, und wieder waren große Zuhörerschaften anwesend. Im Jahre 1925 wurden im April und Mai die gleichen Säle für Kongresse benutzt, und wieder waren sie zum Bersten gefüllt, und in vielen Fällen mußten Menschenmengen fortgeschickt werden. Gegen Ende des Jahres 1925 gab es 355 Versammlungen in Großbritannien und 167 Vollzeitkolporteure und außerdem 96 Teilzeitarbeiter, die damals als Hilfskolporteure bekannt waren.

Redner, die dem Beispiel Bruder Rutherfords folgten, reisten durch das ganze Land und hielten die gleiche Ansprache, „Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben“, in Kinos, in Sälen, ja an jeder Versammlungsstätte, die gemietet werden konnte. Große Ankündigungen in Zeitungen, durch Traktate und Plakate erweckten die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Gewöhnlich mieteten die Brüder einen Saal, manchmal in einem Außenbezirk, kündigten die Zusammenkunft intensiv an, hielten die Ansprache und bearbeiteten dann das Gebiet mit dem Buch Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben. Für den Feldzug im ersten Jahr wurden eine viertel Million Bücher gedruckt, und Hunderttausende hörten den Vorträgen zu. Es hat nur wenige Erklärungen zu irgendeiner Zeit gegeben, die im Sinn der Öffentlichkeit einen größeren Eindruck hinterlassen haben als die zuversichtliche Erklärung „Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben“.

AUSRÜSTUNG ZU GRÖSSERER VERANTWORTUNG

Bruder Rutherford war sich völlig bewußt, daß der geistige Kampf in der Zukunft mit zunehmender Energie und mit Waffen, die auf beiden Seiten den entstehenden Verhältnissen angepaßt würden, geführt werden würde. Es war ihm klar, daß sowohl versteckt als auch offen Widerstand aufkam. So begann man, der Organisation des Volkes Jehovas Aufmerksamkeit zu schenken. Bis dahin war die Organisation locker und etwas kompliziert. Die Anleitung für die Tätigkeit in Großbritannien kam im Grunde genommen von den Ernannten der Versammlung London. Diese bildeten ein Exekutivkomitee aus sieben Personen, die von siebzig jährlich gewählten Ältesten ausgewählt wurden, und sie waren für Entscheidungen, für die Zusammenkünfte und die Organisation der Versammlung verantwortlich. Vierteljährliche Geschäftsversammlungen und monatliche Dienstzusammenkünfte überschnitten sich oft in ihren verschiedenen Funktionen. In Ältestensitzungen wurde beschlossen, wie die Entscheidungen des Exekutivkomitees in Kraft gesetzt werden sollten. Auch hier überschnitten sich die Funktionen. Es war Zeit für eine Änderung, und eine Änderung stand bevor.

Obwohl die Verwaltungsform in den Versammlungen im Grunde demokratisch blieb, ging man doch deutlich davon ab. Die Ernennung Ältester durch Wahl wurde von Erfordernissen biblischer Art abhängig gemacht. Eine Resolution enthielt folgende Bedingungen: „Daß die Versammlung niemand einsetzen wird, der die Watch Tower Bible and Tract Society nicht als den Kanal des Herrn zur Äußerung seines Willens in dieser Zeit anerkennt; und ferner, daß sie nur diejenigen ins Amt einsetzen wird, die erklären, daß sie alles in ihren Kräften Stehende tun werden, um die Königreichsinteressen gemäß der Anleitung, die die Gesellschaft von Zeit zu Zeit durch ihre Publikationen gibt und durch ihren Präsidenten äußert, zu fördern.“

Die Pläne für den bis dahin größten Kongreß waren fast abgeschlossen, als die ganze Nation durch den Generalstreik im Jahre 1926 gelähmt wurde, einen Streik, zu dem die gesamte Handelsunion aufgerufen hatte. Die Regierung traf jedoch strenge Maßnahmen, führte Freiwilligenarbeit mit militärischer Unterstützung ein und hielt dadurch sogar die Eisenbahnen in Betrieb; und der Streik endete genau zur rechten Zeit, so daß eine ernsthafte Behinderung des Kongresses vermieden werden konnte. Der siebentägige Kongreß begann am Dienstag, den 25. Mai 1926 im Alexandra Palace in London. In seinem Vortrag sagte Rutherford den Zerfall des Britischen Reiches voraus, und dies löste später von britischer Seite und auch von seiten einiger im Ausland Protestgeschrei aus. Dreizehntausend Menschen füllten die Royal Albert Hall, um den Vortrag „Warum wanken die Weltmächte? — Das Heilmittel“ zu hören, der die Resolution „Ein Zeugnis an die Herrscher der Welt“ enthielt. In diesem öffentlichen Vortrag verurteilte Rutherford den von der Geistlichkeit befürworteten Völkerbund und sagte dessen ständige Ohnmacht und schließliches Ende voraus. Seine Äußerungen wurden von der Londoner Zeitung Daily News weithin veröffentlicht.

Dies war der erste Kongreß in Großbritannien, bei dem ein Buch freigegeben wurde. Die Kongreßbesucher erhielten das zweite Buch aus der Feder J. F. Rutherfords, nämlich das Buch Befreiung. In bezug auf diese neue Veröffentlichung sagte Rutherford bei der Freigabe: „Einige haben gegen die Harfe Gottes eingewendet, sie enthalte kein Wort der Kritik an dieser gegenwärtigen Welt unter der Herrschaft Satans. Ihr werdet feststellen, daß dieses Buch dieses Versäumnis völlig wiedergutmacht.“ Und so war es auch. Eine andere Veröffentlichung, die bei diesem Kongreß freigegeben wurde, war die Broschüre Das Panier für das Volk. Die Delegierten des Kongresses nahmen je fünfzig oder mehr dieser Broschüren, fuhren in Außenbezirke, und es gelang ihnen, 120 000 Exemplare davon und außerdem sechs Millionen Exemplare des Traktates „Zeugnis an die Herrscher“ zu verbreiten. In dieser Woche gab es einen Zeitungsstreik, und viele hatten nichts zu lesen. Ein Delegierter, der die Broschüren gegen einen Beitrag anbot, sagte: „Die Leute rissen sie uns förmlich aus der Hand.“

Ein Überseegebiet, das allerdings nie dem britischen Zweigbüro unterstand, erhielt etwa in dieser Zeit Hilfe aus Großbritannien. Edwin Skinner und George Wright, die in Großbritannien Pionier waren, zogen im Juli 1926 nach Bombay und errichteten dort ein Zweigbüro. Im Jahre 1972 gab es über dreitausend Verkündiger in Indien.

Im Jahre 1927 wurden Vorbereitungen für einen Kongreß in Glasgow (Schottland) getroffen. Er war für den 10. bis 14. September vorgesehen. Die Gesellschaft unternahm eine Umfrage unter Rundfunkteilnehmern, um Unterschriften für eine Petition zu erhalten, in der gebeten wurde, daß der öffentliche Vortrag „Der Hochweg zum Leben“ im Rundfunk gesendet wurde. Dieser sollte in der St. Andrews Grand Hall gehalten werden. Sechsundzwanzigtausend Rundfunkteilnehmer, die etwa 100 000 Menschen vertraten, unterschrieben die Petition. Die Brüder unterbreiteten die Petition der Britischen Rundfunkgesellschaft (BBC), die sie jedoch ablehnte, und das auch nicht sehr freundlich. Dennoch hörten ungefähr zehntausend Menschen die Ansprache; etwa die Hälfte hörte sie in drei Sälen, die durch direkte Leitung miteinander verbunden waren, und etwa die gleiche Anzahl hörte sie auf den Straßen über Lautsprecher.

Mehr als vierzig Jahre lang war der Krieg mit Satans altem System der Dinge zum großen Teil auf dem Gebiet der religiösen Lehren ausgefochten worden aber nun wurde es offensichtlich, daß der Krieg in eine neue Phase eintrat — in eine Phase, in der der Zorn anderer als religiöser Gruppen geweckt wurde. Dadurch würden die Verkündiger der biblischen Wahrheit der Wut der gesamten Organisation Satans, sowohl der religiösen als auch der politischen, ausgesetzt werden. Es war an der Zeit, daß die Streitfrage deutlich formuliert wurde und daß sich die Unterstützer der wahren Anbetung fest mit der Organisation verbanden, auf der so offensichtlich Gottes Segen ruhte.

JEHOVAS NAME IM VORDERGRUND

Das hervorragende Ereignis des Jahres 1931 war die Anerkennung der Tatsache, daß wahre Christen Zeugen des allmächtigen Gottes, dessen Name allein Jehova ist, sind und sein sollten. (Ps. 83:18) Von dieser Zeit an begann Gottes Volk auf der ganzen Erde zu beweisen, daß es aus Zeugen Jehovas besteht, und unter diesem Namen wollte es bekannt sein. Die Resolution diesbezüglich, die am Sonntag, den 26. Juli jenes bedeutsamen Jahres in Columbus (Ohio) angenommen wurde, wurde auch auf Kongressen dieser Serie angenommen, von denen einige in Großbritannien stattfanden. Zum Beispiel zog der Kongreß in London, der im Alexandra Palace abgehalten wurde, eine Menschenmenge an, die diesen großen Saal, der zehntausend Menschen faßte, überfüllte. Bei diesem Kongreß wurde auch das neunte Kapitel des Buches Hesekiel erklärt und der erste Band des dreibändigen Werkes Rechtfertigung freigegeben.

Während dieser Zeit traf die Gesellschaft Vorkehrungen für zweitägige Dienstkongresse, bei denen in jedem Fall der Predigtdienst im Vordergrund stand. Versammlungen, die Räumlichkeiten und Verpflegung besorgen konnten, hatten die Möglichkeit, sich bei der Gesellschaft um einen solchen Kongreß zu bewerben, und die Gesellschaft stellte dann das Programm und die Redner zur Verfügung. Auch diesmal ließen sich die Zeugen Jehovas in diesem Land nicht von der „Neidhammeltaktik“ der Britischen Rundfunkgesellschaft einschüchtern. Bruder Rutherford traf in Großbritannien Vorkehrungen, daß die Königreichsbotschaft regelmäßig von Sendestationen auf dem Kontinent ausgestrahlt wurde. Die Gesellschaft ließ Flugblätter herstellen, auf denen die Vorträge angekündigt und die Menschen in Großbritannien ermuntert wurden, die betreffenden Sender einzuschalten. Fécamp, Radio Normandie und Lyon gehörten zu den angekündigten Sendern, die bereit waren, die Menschen den Namen und das Vorhaben Jehovas hören zu lassen.

Die Begeisterung, die durch die Anerkennung ihrer Pflichten als Zeugen Jehovas hervorgerufen wurde, veranlaßte viele, sich für den Vollzeitdienst als Pioniere eintragen zu lassen. Bald waren es 212, die sich in Großbritannien eintragen ließen, dazu kamen 130 Hilfspioniere. Von Pionieren wurde verlangt, fünfundzwanzig Stunden pro Woche im Haus-zu-Haus-Dienst einzusetzen; von Hilfspionieren die Hälfte. In dem Bericht des Zweigaufsehers für das Jahr 1933 hieß es: „Es liegen hier mehr Bewerbungen um den Pionierdienst vor, als wir für unser Arbeitsfeld berücksichtigen können.“ So fing man an, Pioniere aus Großbritannien nach Frankreich, Belgien und in andere europäische Länder zu schicken. Die Bezeichnung Pionier war passend, denn sie erschlossen wirklich neue Gebiete und trugen den göttlichen Namen in abgelegene Gegenden. Im allgemeinen arbeiteten sie zu zweit, und die Gesellschaft gab ihnen eine Gebietskarte, auf der die Versammlungsgrenzen deutlich gekennzeichnet waren, aber sie gingen nicht in das Versammlungsgebiet.

Es wurde ein noch wirkungsvolleres Mittel eingesetzt, durch das Jehovas Name bekanntgemacht werden sollte. „Unmöglich“, sagten die Fernmeldeingenieure, als die Gesellschaft sie bat, einen einstündigen Vortrag durch eine direkte Leitung in Säle auf fünf Kontinenten zu übertragen. Am 2. Juni 1935 sollte der Vortrag „Regierung“ den Höhepunkt eines fünftägigen Kongresses in Washington (D. C.) bilden. Ingenieure der Post sollten sechs Städte in Großbritannien mit anschließen. Als sich die Zeiger auf acht Uhr zu bewegten, kamen abgehackte, unzusammenhängende Worte und Geräusche aus den Lautsprechern die vor den Bühnenvorhängen aufgestellt worden waren, während die Techniker, durch Ozean und Kontinent voneinander getrennt, die Leitungen anschlossen, die Schaltungen sicherten und die Verbindungen überprüften. Als nur noch zehn Sekunden verblieben, begann der Countdown: „... zwei ... eins ... NULL.“ Nach der Einführung des Vorsitzenden erklang die vertraute Stimme Bruder Rutherfords, und in seiner Ansprache lenkte er die Aufmerksamkeit auf die Regierung Jehovas Gottes. Der Vortrag „Regierung“ wurde übertragen, der erregende sechzig Minuten dauern sollte und der als Höhepunkt, von Beifall unterbrochen, an die Zuhörerschaften in beiden Hemisphären eine Resolution übermittelte, die mit ohrenbetäubendem Beifall angenommen wurde. Der Beifall wurde von der Stimme des Vorsitzenden unterbrochen. Die Stimme des Vorsitzenden wurde unterbrochen, als die Verbindung nach einer Stunde ausgezeichneten Empfangs abgeschnitten wurde. Das „Unmögliche“ war vollbracht worden.

Zur gegebenen Zeit trafen Schallplattenaufnahmen des Vortrags in London ein, und für den 29. September 1935 wurde ein besonderer ganztägiger Feldzug geplant. Über tausend Vorträge wurden an jenem Tag gehalten. Die Zeugen benutzten Autos und Lastwagen, in denen sie elektrische Sprechapparate zur Wiedergabe dieses eindrucksvollen Vortrags mitführten. Dies war erst der Anfang einer erheblichen Tätigkeit mit diesen Tonwiedergabegeräten. In Glasgow wurden gut aussehende Schwestern ausgesucht, die in Klubs und anderen Einrichtungen vorsprechen sollten, um eine kostenlose Musikdarbietung, einen Schallplattenvortrag und die Möglichkeit für Fragen und eine Diskussion anzubieten. Am Morgen des Tages der vereinbarten Veranstaltung erhielt die Institution eine Karte, durch die der Sekretär an die Abendveranstaltung erinnert wurde. Sie wurde das „Wachtturm-Programm“ genannt, und besonders der Vortrag „Weltbeherrschung“ wurde dabei verwendet. Der Name Jehova und sein Königreich wurden sehr bekannt. Die Fragen, die bei diesen Veranstaltungen gestellt wurden, hatten gewöhnlich ein hohes Niveau. Eine Schwester arrangierte über hundert solcher Veranstaltungen. Die Versammlungen hielten manchmal fünfzig bis sechzig solcher Veranstaltungen im Monat ab, und es waren jeweils bis zu vierhundert Personen anwesend. Und die Brüder gaben in Verbindung mit dieser Tätigkeit natürlich Tausende von Büchern und Broschüren ab.

Im Jahre 1934 führte die Gesellschaft den tragbaren Phonographen (das Grammophon) für den Haus-zu-Haus-Dienst ein. Nach etwa vier Jahren wurden ungefähr fünftausend davon im Predigtdienst verwendet. Einige Zeugen Jehovas benutzten eine Zeugniskarte, um die Schallplattenaufnahme einzuführen. Noch öfter aber bat der Zeuge den Wohnungsinhaber einfach, der Aufnahme zuzuhören. Er hatte das Gerät schon im voraus eingestellt und stellte es dann auf die Treppe oder trug es auf dem Arm und spielte die Schallplatte ab. Auf einigen Schallplatten wurde der Zuhörer ermuntert, eine der Veröffentlichungen der Gesellschaft zu lesen.

Im Jahre 1936, als Bruder Rutherford vor großen Zuhörerschaften in Glasgow und London über das Thema „Harmagedon“ sprach, wandte die Gesellschaft ein neues Mittel zur Bekanntmachung an, nämlich Aufmärsche, an denen sich bis zu fünfundsiebzig Zeugen Jehovas, die Plakate trugen, beteiligten. Das machte einen sehr starken Eindruck auf die Öffentlichkeit. Viele Katholiken kamen zu der Veranstaltung in Glasgow, obwohl ihre Priester sie gewarnt hatten, dorthin zu gehen.

EINE ZEIT ZU TATKRÄFTIGEM HANDELN

Gegen Ende des Jahres 1937 ernannte der Präsident den sechsundzwanzigjährigen Albert Schroeder dazu, die Aufsicht über das britische Tätigkeitsgebiet zu übernehmen, und am 23. November begann er seinen Dienst als Zweigaufseher.

„Weckt Großbritannien auf!“ war der aufrüttelnde Ruf im Jahre 1938. In einem Brief umriß der Präsident der Gesellschaft Änderungen in der Organisation in London, wonach die eine große Versammlung in neun „Untergruppen“ aufgeteilt werden sollte, die in sieben Königreichssälen zusammenkommen würden, wobei jede „Untergruppe“ ihren Aufseher hätte. Der gleiche Plan wurde in ganz Großbritannien angewendet, und das Land wurde in dreißig Zonen eingeteilt, wobei jede Zone ihren „Zonendiener“ hatte. Etwa eintausend Verkündiger waren in der Craven Terrace Hall anwesend, um die Neuigkeit entgegenzunehmen, und sie befürworteten begeistert die neue Vorkehrung.

Es wurden auch Brüder und Schwestern ermuntert, in den Pionierdienst einzutreten, und bis zum Jahresende hatten sich 325 eintragen lassen. Pioniere sollten nun nicht mehr getrennt von den Versammlungen arbeiten. Statt dessen würden sie, wenn sie in Ortschaften oder Städten arbeiteten, in denen es Versammlungen gab, mit den Versammlungen zusammenarbeiten und ihr Gebiet über die Versammlungseinrichtung erhalten. Pioniere würden gebeten werden, verantwortliche Stellungen in den Versammlungen zu übernehmen. Die Gesellschaft plante auch, Pionierheime in London und anderen großen Städten einzurichten, so daß irgendwo sechs bis sechzehn Pioniere zusammen leben konnten, was ihnen half, die Lebenshaltungskosten niedrig zu halten.

Die Arbeit im Büro wurde neu organisiert, und die Folge war, daß einige Glieder der Bethelfamilie im Predigtdienst eingesetzt werden konnten. Bruder und Schwestern wurden ermuntert, mehr Zeit im Predigtdienst zu verwenden, die Tätigkeit der Rückbesuche wurde systematisch aufgebaut, und es wurden Informationsmärsche durchgeführt, um spezielle Ereignisse, wie zum Beispiel besondere Vorträge, anzukündigen. Es wurde jedes Mittel benutzt, um die Königreichsbotschaft in den Vordergrund zu stellen und sie den Menschen zum Bewußtsein zu bringen.

Im April erschien eine neue Broschüre; die 32seitige Publikation „Heilung“ war in Rot und Schwarz gedruckt und enthielt einen geißelnden Angriff auf die Doppelzüngigkeit der weltlichen Religion und wies auf das sichere Heilmittel für die Leiden der Menschheit hin. Zehn Millionen Exemplare wurden für die erste Auflage gedruckt. In einem dreimonatigen Feldzug verbreitete eine Höchstzahl von 6 021 Verkündigern 2 300 000 Exemplare.

Kongresse in Birmingham und Manchester in jenem Jahr wurden von dem Kongreß im September in den Schatten gestellt, der von der Royal Albert Hall in London aus in alle Welt ausgestrahlt wurde. Fünfzig Kongresse, davon zehn in Großbritannien, wurden durch direkte Leitungen miteinander verbunden, damit die Vorträge „Füllet die Erde“ und „Schau den Tatsachen ins Auge“ übertragen werden konnten, der erste am Sonnabend, den 10. September und der zweite am Sonntag, den 11. September. Die Gesamtanwesendenzahl war eine Höchstzahl von 150 000. Säle in ganz Großbritannien waren zum Bersten voll, und Tausende konnten nicht hineingelangen. In einem gewaltigen Bekanntmachungsfeldzug wurden Millionen von Handzetteln, Tausende von Plakaten — die von denen, die sich an Informationsmärschen beteiligten, getragen wurden und an Lastwagen, in Schaufenstern und Privatwohnungen hingen —, Spruchbänder an öffentlichen Fahrzeugen, Dias in Kinos und Lautsprecher benutzt.

Unterdessen nahm in Großbritannien die Furcht vor dem Krieg zu. Hitlers Besetzung der Tschechoslowakei brachte Großbritannien an den Rand des Krieges. Premierminister Chamberlain, der eine Beschwichtigungspolitik verfolgte, besuchte Hitler in München und kehrte mit einem unterschriebenen Stück Papier zurück. Als Chamberlain aus dem Flugzeug stieg, schwenkte er das Papier und frohlockte: „Friede in unserer Zeit!“ „Harmagedon“, so berichtete die Presse, „ist abgewendet worden.“ Dennoch nahmen die Kriegsvorbereitungen zu. Die Tätigkeit im Königreichsdienst übertraf die Tätigkeit in irgendeinem vorausgegangenen Jahr bei weitem. Die Brüder spürten, daß eine Zeit der Prüfung vor ihnen lag, und das bedeutete, daß es dringend notwendig war, Kraft zu sammeln.

AUSWIRKUNGEN DER EINFÜHRUNG DER THEOKRATISCHEN ORDNUNG

Zwanzig Jahre lang war ein allmähliches Abwenden von der demokratischen Herrschaftsform und ein Zuwenden zur theokratischen Verwaltung zu beobachten. Schon bevor man aufhörte, die Ältesten von den Versammlungen wählen zu lassen, fing man an, biblische Anforderungen für die Ernennung zu stellen. Das erste positive Anzeichen dieser Umstellung war zu beobachten, als das Brooklyner Büro in Verbindung mit der Verbreitung der neuen Zeitschrift Das Goldene Zeitalter in jeder Versammlung einen Dienstleiter ernannte. Das war im Jahre 1919. Im Laufe der Jahre wurden die Anordnungen aus Brooklyn immer bestimmter und in den Versammlungen war man immer weniger der Meinung, man müsse entscheiden, ob die Richtlinien angewendet werden sollten oder nicht.

Im Jahre 1938 hatte Großbritannien den Vorteil, einen Zweigaufseher zu haben, der im Anwenden der Verfahrensweise der Gesellschaft mit gutem Beispiel voranging. Die Gesellschaft, angeleitet von den Empfehlungen der Versammlungen, hatte Dienstleiter ernannt, die später Versammlungsdiener genannt werden sollten. Das Dienstkomitee wurde jedoch von der Versammlung ernannt. Nun war die Zeit reif für den nächsten Schritt in der Wiederherstellung der theokratischen Ordnung.

Die Ausgaben des Watchtower vom 15. Mai und 1. Juni 1938 behandelten das Thema „Organisation“ und enthielten eine Resolution, in der die Gesellschaft gebeten wurde, die Tätigkeit zu organisieren und zu leiten und alle „Diener“ zu ernennen. Jede Versammlung wurde durch den Wachtturm eingeladen, die Resolution anzunehmen, die Gesellschaft davon zu benachrichtigen und eine Liste mit dem Namen derer beizulegen, die aufgrund ihrer Reife für die Stellung eines „Dieners“ befähigt wären, und dies verbunden mit der Bitte, daß die Gesellschaft die ernennen möge, die sie sich erwählte. Praktisch alle Versammlungen waren damit einverstanden. Die Auswirkung war verblüffend. Man empfand allgemein eine Kräftigung. Während in der Welt die Spannung zunahm, herrschte große Freude über die theokratische Herrschaft.

Die folgenden Wochen und Monate waren in der Tat aufregend. Während die Kriegsvorbereitungen schnell vorangetrieben wurden, wurden Luftschutzräume in Gärten eingerichtet, Gasmasken wurden kostenlos an jeden Mann, jede Frau und jedes Kind ausgeteilt, und es wurde die Anweisung erteilt, daß ein Zimmer für Giftgas undurchlässig gemacht werden mußte, damit jede Familie in der Lage sein konnte, einen intensiven Angriff mit Giftgas zu überleben. Unterdessen steigerten sich der Eifer und die Tätigkeit der Brüder. Die Zahl der Pioniere stieg im Verlauf des Jahres auf 429. Das waren wirklich bedeutsame Zeiten.

GEWALTTÄTIGE REAKTION RELIGIÖSER WIDERSACHER

Wie zu erwarten war, rief die große Zunahme der eifrigen Tätigkeit der Brüder und Schwestern auf der Seite der Religionen der Christenheit organisierte und gemeinsame Maßnahmen hervor. Es begannen zahlreiche Angriffe durch die Presse. Sechsundsechzig Fälle von tätlichen Angriffen sind aufgezeichnet worden, und es gab ein Dutzend Versuche, Zusammenkünfte aufzulösen und die zu verletzen, die versuchten, sich zu versammeln, um die Königreichsbotschaft zu hören.

Der Londoner Catholic Herald veröffentlichte einen verleumderischen Angriff auf J. F. Rutherford in Erwiderung auf die furchtlose, offene Botschaft, die sein Vortrag „Schau den Tatsachen ins Auge“ enthielt. Als der Zeitung eine Verleumdungsklage angedroht wurde, zog sie eine außergerichtliche Beilegung vor und veröffentlichte einen Widerruf. Einen Monat später, am 18. November 1938, schickten die Brüder an Parlamentsmitglieder und andere Regierungsbeamte ein Exemplar der Broschüre Schau den Tatsachen ins Auge zusammen mit einem Begleitbrief. Im Dezember begann eine gewaltige Flugblattaktion, durch die in ganz Großbritannien sechstausend Zusammenkünfte angekündigt wurden. Bei diesen Zusammenkünften hörten über eine viertel Million Menschen die Schallplattenaufnahmen der machtvollen Ansprachen Rutherfords. Fast dreitausend Informationsmärsche fügten ihre Wirkung dem sengenden Angriff auf die falsche Religion hinzu.

Am 11. Januar 1939 besuchten die Zeugen Jehovas, ausgerüstet mit der Broschüre Schau den Tatsachen ins Auge, der Ausgabe Nr. 504 der Zeitschrift Trost und einem Exemplar des Flugblattes mit der Überschrift „Der ,Catholic Herald‘ ist darauf aus, Richter Rutherford mundtot zu machen“, alle Amtspersonen, katholischen Führer und Pressevertreter in Großbritannien und übergaben jedem von ihnen je ein Exemplar Es wurden 50 000 Exemplare der Zeitschrift Trost und zwei Millionen Flugblätter verbreitet. Religiöse Eiferer wurden zu übereilten Gegenmaßnahmen verleitet. Im ganzen Land begann ein Feldzug der Gewalttat gegen Jehovas Zeugen. Angriffe in der Presse, besonders im Catholic Herald und in der Zeitschrift Universe, ermutigten in schlauer Weise zu weiteren Gewalttaten. Der erste Überfall ereignete sich am 7. Februar 1939 in Clydebank (Schottland), und weitere Zwischenfälle folgten rasch hintereinander in anderen Teilen Schottlands wie auch in Wales, England und Nordirland. Diese Vorfälle wurden von den Priestern am Ort angestiftet, und Gruppen der Katholischen Aktion waren maßgeblich daran beteiligt; in zehn dieser Fälle wurden Prozesse geführt und die Übeltäter verurteilt.

Im April 1939 wurde die Broschüre Faschismus oder Freiheit veröffentlicht, und die Brüder verbreiteten schließlich zwei Millionen Exemplare davon. Eine viertel Million Flugblätter der Gesellschaft mit dem Thema „Nazi-Taktiken in Clydebank“ wurden allein in Schottland verteilt. Als der Vortrag „Faschismus oder Freiheit“ in Oldham (England) gehalten wurde, versuchte die Ortsgruppe der Katholischen Aktion die Zusammenkunft zu sprengen, und dadurch wurde offenkundig, was Papst Pius XI. beabsichtigt hatte, als er diese Gruppe ursprünglich „zur Ausbreitung und Anwendung katholischer Grundsätze“ ins Dasein rief.

In Clydebank (Schottland) forderten zwei von ihren Gemeinden unterstützte Priester Zeugen Jehovas, die einen Lautsprecherwagen benutzt hatten, auf, den Ort zu verlassen. George Saltmarsh, der dann mit dem Lautsprecherwagen fortfuhr, kam auf eine Gruppe von etwa hundert Menschen zu, die auf der Hauptstraße einen Ball über die Straßenbahnschienen stießen. Als Saltmarsh näher kam, sah er einen Schallplattenapparat auf der Straße liegen, und plötzlich erkannte er, daß der „Ball“ der Besitzer des Schallplattenapparates war. Der Lautsprecherwagen fuhr in die Pöbelrotte und trieb sie so auseinander. Der Bruder wurde blutend und schmutzig in den Wagen gezogen und zur Polizeiwache gebracht, um eine ärztliche Behandlung zu erhalten, gleichzeitig wollte man diese Gesetzlosigkeit melden. Die Gesellschaft klagte gegen Patrick McGrory, den Rädelsführer der Bande. Die Priester ihrerseits klagten gegen die vier Insassen des Lautsprecherwagens. Der Staatsanwalt wollte die eine Anklage gegen die andere aufwiegen und sie in Vergessenheit geraten lassen. Wenn die Gesellschaft die Anklage, eine Pöbelrotte fast zum Mord aufgewiegelt zu haben, nicht aufrechterhalten würde, dann würde die andere Seite auch nicht die Anklage über das Abspielen einer Vortragsschallplatte aufrechterhalten. Der Handel wurde abgelehnt, doch die Sache wurde verzögert.

Die Gesellschaft druckte dann ein Flugblatt, in dem alle Tatsachen dargelegt wurden, und zweihundert Freiwillige boten sich an, es zu verteilen. Das Unternehmen, das Saltmarsh anführte, lief planmäßig ab. An jenem Morgen gab es zehn Angriffe, doch nur einer davon war so ernsthaft, daß ein Arzt geholt werden mußte. Diese Aktion beschleunigte die Dinge, und beide Fälle wurden im Juni 1939 verhandelt. Zuerst wurde die Anklage verhandelt, die die Priester Thomas McEwan und Charles Duffan erhoben hatten, aber Duffan war verschwunden und nicht aufzufinden. Der andere Priester rief Zeugen auf, die sich selbst und gegenseitig widersprachen, und die vier Angeklagten, George Saltmarsh, Thomas Brown, Albert Bacon und George Whitford, wurden freigesprochen. Als nächstes kam der Fall gegen McGrory. Die Gesellschaft hatte keine unparteiischen Zeugen, was eine Schwäche war, aber als der Richter ausrief: „Gibt es irgendwelche Zeugen im Gerichtssaal?“, sprangen zwei Frauen aus Clydebank auf und erklärten sich bereit, als Zeugen auszusagen. Ihr Zeugnis erwies sich als ausreichend, um McGrory schuldig zu sprechen.

Für das Wochenende vom 23. bis 25. Juni beschäftigte die Gesellschaft Ingenieure der Post, die zehn Vortragssäle in Großbritannien mit dem Madison Square Garden in New York verbinden sollten, damit der Vortrag „Herrschaft und Friede“ von J. F. Rutherford übertragen werden konnte. Die IRA (Irische Republikanische Armee, eine katholische Terroristenbewegung, die damals schon seit Monaten in Großbritannien systematisch Bombenanschläge verübte) drohte am Sonnabend, dem 4. Juni, dem Londoner Büro per Telefon in „offizieller“ Form und sagte, wenn für Richter Rutherfords Übersee-Vortrag der Anschluß London — Belfast nicht unterbliebe, würde sie eingreifen. Polizisten und Detektive überwachten beide Säle. Kurz nach dem Sonnabendabendprogramm des Kongresses explodierten im Zentrum Londons, in der Nähe der Kingsway Hall, wo der Kongreß stattfand, fünf Bomben Das war der schlimmste Bombenanschlag der IRA; er verursachte Sachschaden, und eine Anzahl Personen wurde verletzt. Innerhalb von vier Monaten war dies die dritte Drohung der IRA.

Am 7. Juli erhielten die Parlamentsmitglieder, die Presse und viele Staatsbeamte zum zweiten Mal persönlich Zeugnis. Diesmal erhielt jeder die Broschüre Faschismus oder Freiheit, die Ausgabe Nr. 516 der Zeitschrift Trost, die den Artikel „Faschismus in Britannien“ enthielt, und das Flugblatt, betitelt „Katholisch-faschistische Bedrohung Britanniens“. Diesen Schriften war ein Begleitbrief beigelegt. Nachdem die Verkündiger die Amtspersonen bedient hatten, verbreiteten sie einhunderttausend Exemplare dieser Ausgabe der Zeitschrift Trost und zwei Millionen dieser Flugblätter, und all dies inmitten einer sich schnell verschlimmernden Weltlage.

DAS ZEUGNISGEBEN IN DER KRIEGSZEIT

Es war Sonntagmorgen, der 3. September 1939, als jene ernste Rundfunkmeldung kam — Großbritannien befand sich im Krieg. Die Bevölkerung nahm die Situation resigniert hin. An jenem Tag und in jenem Monat wurde das Buch Befreiung angeboten, und der Trost, den dieses Bibelstudienhilfsmittel vermittelte, war wie Balsam, und das um so mehr, weil die Kriegserklärung schmerzliche Befürchtungen geweckt hatte. Viele Menschen nahmen die Botschaft freundlich auf. Ja, innerhalb kurzer Zeit war der Vorrat des neuen und tröstenden Buches vergriffen. Auch der Vorrat der Broschüre Herrschaft und Friede ging aus, und neue Einfuhrbeschränkungen machten zusätzliche Lieferungen aus der Zentrale in Brooklyn so gut wie unmöglich.

Verdunkelungsbestimmungen wegen der Luftangriffe behinderten die Tätigkeit in den Abendstunden, da es unmöglich war, nach Einbruch der Dunkelheit Besuche von Haus zu Haus zu machen. Dennoch nahm der Umfang der Tätigkeit zu, und das trotz der Tatsache, daß viel Mühe damit verbunden war, Literatur aus Brooklyn zu erhalten, denn damit waren Befragungen, Briefwechsel und das Ausfüllen vieler Formulare verbunden. Es gab auch finanzielle Einschränkungen, und das bedeutete, daß die Literatur als Geschenk verschickt werden mußte. Eine weitere Schwierigkeit war der Mangel an Laderaum, besonders am Anfang des Krieges, als der Verlust an Schiffen zu den Schwierigkeiten beitrug.

Trotz der zunehmenden Hindernisse unternahm die Gesellschaft im ganzen Land einen Bibelstudienfeldzug. Dieses Werk, „Theokratie-Ausdehnungswerk“ genannt, wurde mit Hilfe der Broschüre Musterstudium durchgeführt, die Fragen und Antworten zu Schallplattenvorträgen von Bruder Rutherford enthielt. Eine Versammlung mietete gewöhnlich einen Saal für vier aufeinanderfolgende Wochen und kündigte dann die Serie an. Man spielte auf dem Grammophon einen kurzen Abschnitt aus der ausgewählten Rede ab, und danach stellte der Vorsitzende Fragen aus dem entsprechenden Teil der Broschüre. Die Zuhörer hatten die Gelegenheit, Antworten zu geben und die Aufmerksamkeit auf biblische Beweise zu lenken, wo es erforderlich war. Dann spielte man auf dem Grammophon einen weiteren Abschnitt ab, und so ging es ungefähr eine Stunde lang weiter. Das Ergebnis war, daß viele private Bibelstudien bei Menschen eingerichtet wurden, die Interesse bekundeten. Der Feldzug erwies sich als äußerst erfolgreich, denn die Zahl der Verkündiger stieg auf 9 860, praktisch eine 50prozentige Zunahme.

Im Anfangsstadium des Krieges wurden Jehovas Zeugen angewiesen, sich als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen eintragen zu lassen. Es erwies sich jedoch aus Gründen, die man später erkannte, daß dieser Rat nicht gut war. Die Situation war natürlich neu, und es war schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, alle Faktoren völlig im voraus zu erkennen. Im Oktober erhielten Jehovas Zeugen eine Hilfe, die in ihrer Einfachheit und Logik und durch ihre gute biblische Begründung hervorragend war. Es war der Hauptartikel im Watchtower vom 1. November 1939 mit dem Thema „Neutralität“. Mit zwingender Kraft und Logik erläuterte er den biblischen Standpunkt eines Christen inmitten der kriegführenden Nationen. Der Artikel erschien bald in Form einer Broschüre, und die Gesellschaft veranlaßte, daß an jeden Richter, an jedes Regierungsmitglied und an andere Amtspersonen ein Exemplar gesandt wurde. Es wurde eine ganz alltägliche Sache, ein Exemplar der Broschüre Neutralität bei Tribunalen und Gerichten auf dem Richtertisch zu sehen. Jedes Mitglied der britischen Regierung erhielt ebenfalls ein Exemplar der Broschüre Herrschaft und Friede und Auszüge aus dem Weißbuch der Regierung über „Die Behandlung deutscher Staatsangehöriger in Deutschland“. So wurden alle in Kenntnis gesetzt, daß Jehovas Zeugen in Deutschland anerkanntermaßen die Gruppe waren, die am schwersten verfolgt wurde, weil sie Hitler nicht unterstützte.

Im ganzen Land wurde es offenbar, daß Tribunale und Gerichte Anweisungen von höherer Seite erhalten hatten. Die Urteile wurden nicht mehr aufgrund der Tatsachen gefällt. Ganz am Anfang wurden alle, die vernünftig beweisen konnten, daß sie den Kriegsdienst wirklich aus Gewissensgründen ablehnten, anerkannt, ganz gleich, ob sie Zeugen Jehovas waren oder nicht. Allmählich aber wurde diese Vorkehrung nur auf die beschränkt, die keine Zeugen Jehovas waren. Als Anzeichen für die fanatische Feindseligkeit, die man immer mehr gegenüber Jehovas Zeugen bekundete, machte Richter Frankland, Vorsitzender des Tribunals in Leeds, in seiner bevorrechtigten Stellung folgende Bemerkungen:

„Sie sind auf diesen ganz offensichtlich profitmachenden Konzern Jehovas Zeugen, hereingefallen, Sie, ein Lehrer. Ich möchte, daß Sie und Ihr Freund den Raum verlassen. Ich wünsche nicht, daß andere durch Ihre Gegenwart beschmutzt werden“ (News Chronicle, 10. August 1940).

„Amerika hat die größte Goldreserve der Welt. Ich denke, daß eine ganze Menge davon Jehovas Zeugen gehört und den armen englischen Betrogenen, die sie in die Gewalt bekommen haben, wie Sie“ (Manchester Guardin, 10. August 1940).

„Ich möchte öffentlich sagen, daß ich sehr an der ehrlichen Absicht dieser Organisation und der Leute, die darin beschäftigt sind, zweifle“ (Empire News, 11. August 1940).

„Ich versuche seit vierzehn Tagen, etwas von Ihrem Hauptsitz zu erfahren und die Herren zu veranlassen, eine Aufstellung ihrer Bilanzen oder einen Anwalt zu schicken. Sie ziehen es vor, sich zu verstecken; sie ziehen es vor, sich hinter der Zurückgezogenheit der Craven Terrace in London zu verbergen. Es ist ein weiterer Trick, Geld zu machen, von dem das meiste nach Amerika geht“ (Daily Despatch, 16. August 1940).

Der erste Gegenangriff kam, als man die Freihandelshalle in Manchester mietete und Richter, Regierungsbeamte und Pressevertreter besonders zum Sonntagabendprogramm einlud, in dessen Verlauf Bruder Schroeder erklärte, daß die Gesellschaft nichts mit dem Standpunkt zu tun habe, den irgendeiner ihrer Mitverbundenen in Verbindung mit der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen vertreten mag; daß sie jährlich, wie es das Gesetz verlangt, im Somerset House ihren Finanzbericht einreicht; was die Behauptung betrifft, die Gesellschaft habe den größten Anteil an den Goldreserven, las Schroeder aus dem letzten veröffentlichten Finanzbericht vor und zeigte, daß die Gesellschaft in Verbindung mit der Tätigkeit während des Jahres ein Defizit von 92 671.76 $ hatte. Die Presse veröffentlichte diese Antwort auf Franklands Angriffe. Abschriften der gesamten Erklärung wurden an die Richter und an alle Betroffenen gesandt. Aber es waren genügend Lügen und irreführende Behauptungen veröffentlicht worden, die den engstirnigen, blindgläubigen Teil der Bevölkerung beeinflußten, und wie zu erwarten war, war Gewalttat die sichere Folge.

Zwei Pionierschwestern, die in einem katholischen Viertel in Liverpool arbeiteten, wurden von etwa dreißig Frauen angegriffen. Die Pöbelrotte schlug sie zu Boden und zog sie blutend und grün und blau geschlagen an den Haaren die Straße entlang, trat sie und stahl ihre Literatur und ihr Geld. Zwei Polizisten erschienen auf der Bildfläche. Sie beruhigten die Menge, aber verhafteten niemand. Sie sagten „Wenn wir jemand verhaftet hätten, hätte man uns in Stücke zerrissen.“

Inzwischen bemühte sich die Gesellschaft in Anbetracht der sehr unfairen Lage, in die junge Männer, die Zeugen Jehovas waren, gebracht worden waren, für vierzig Brüder im Bethel und im Zonendienst eine Freistellung vom Militärdienst zu erwirken. Das war Anfang 1940. Die Streitfrage war folgende: 1. Ist die International Bible Students Association oder sind Jehovas Zeugen eine Religionsgemeinschaft? 2. Sind die Angeklagten (die vierzig) reguläre Prediger derselben? George Saltmarsh wurde als Präzedenzfall ausgesucht; die Verhandlung fand in Glasgow statt. Das Gericht erhielt die Forderung des Arbeitsministeriums aufrecht, daß die Vorkehrungen des Militärdienstgesetzes von 1939 „nicht auf alle Glieder oder irgendein Glied der Gesellschaft der Zeugen Jehovas anzuwenden“ seien. Dies war der erste von verschiedenen Fällen, die in Verbindung mit dieser Streitfrage oder damit verwandten Streitfragen ausgefochten wurden.

Der Rat, den das Ministerium ursprünglich gegeben hatte und aufgrund dessen sich die Brüder als Kriegsdienstverweigerer eintragen ließen, veranlaßte die Anwälte zu folgender Stellungnahme: „Die beratenden Anwälte wurden informiert, daß der Grund, warum sich Jehovas Zeugen unter dem Gesetz eintragen ließen, der war, daß das Arbeitsministerium nach einer Besprechung über die ganze Lage in den ersten Tagen des Krieges versprach, zur fälligen Zeit eine Entscheidung zu treffen, und daß mit dem Ministerium vereinbart wurde, daß sich in der Zwischenzeit alle Zeugen Jehovas registrieren lassen sollten. Ohne Zweifel wurde das britische Zweigbüro vom Ministerium schlecht beraten.“

Im Sommer 1940 schloß sich die Zeitschrift Empire News den Gegnern des Volkes Jehovas an, indem sie einen verleumderischen Artikel veröffentlichte, in dem Richter Rutherford diffamiert wurde. In Erwiderung reichte Rutherford eine beeidigte Erklärung ein, in der er bewies, daß alle Beschuldigungen und Folgerungen falsch waren. Die Zeitschrift Empire News veröffentlichte eine gekürzte Version der beeidigten Erklärung, in der alle Bezugnahmen auf die römisch-katholische Hierarchie ausgelassen wurden. Sie veröffentlichte keine Entschuldigung und nahm ihre verleumderischen Behauptungen nicht zurück. In Anbetracht der Kriegsverhältnisse war es unmöglich, etwas Weiteres zu unternehmen. Ja, Bruder Rutherford war inzwischen krank geworden. Anwälte behaupteten, daß ein großer Schadenersatz sicher wäre, der eine exemplarische Strafe sein würde, und daß Rutherford innerhalb von sechs Jahren jederzeit ein Verfahren einleiten könne. Die Gesellschaft druckte eine Broschüre mit dem Titel „Richter Rutherford & Empire News“. Sie legte die Tatsachen dar und enthielt die beeidigte Erklärung und die Abschrift des Briefes des Anwalts. Jehovas Zeugen verbreiteten die Broschüre weit und breit in ganz Großbritannien. Nach dem Kriegsende wäre ein gerichtliches Vorgehen möglich gewesen, doch Richter Rutherford starb vorher. Aber auch die Zeitschrift Empire News existierte nicht mehr.

Waren Jehovas Zeugen in dieser Zeit in Anbetracht all der Feindschaft und der sich verschlimmernden Verhältnisse entmutigt? Nicht im geringsten. Bis zum Ende des Jahres 1940 hatte die Tätigkeit um etwa 50 Prozent zugenommen. Es gab 449 Versammlungen, 29 Zonen (heute Kreise genannt), von denen eine verlorenging, als die Nationalsozialisten die Kanalinseln besetzten, und vier Regionen (heute Bezirke genannt). Über 1 100 hatten sich als Pioniere eintragen lassen. Jehovas Zeugen waren eifrig damit beschäftigt, die Königreichsbotschaft inmitten einer vom Krieg zerrissenen Welt zu predigen.

VEREINIGTE MASSNAHMEN, DIE WAHRHEIT ZUM SCHWEIGEN ZU BRINGEN

Die verschiedenen anderen Länder des britischen Commonwealth verboten in dieser Zeit das Werk der Watch Tower Society und der Zeugen Jehovas. Was tat Großbritannien? Großbritannien erließ kein Verbot. Es drosselte den Zufluß an Literatur mit Hilfe des Amtsschimmels. Die gesamte Literatur der Watch Tower Society wurde zensurpflichtig. Von der Einfuhrlizenzbehörde kam die Mitteilung, daß nach dem 31. Dezember 1940 keine Lizenz erteilt würde. Infolge des zermalmenden Druckes von jeder Seite war das britische Zweigbüro im Begriff, von der Zentrale abgeschnitten zu werden.

Nicht nur aus dem eigenen Land, sondern auch von außerhalb kamen lähmende Schläge. Luftangriffe wurden üblich. Manchmal wurde eine Stadt zwölf bis vierzehn Stunden lang einer beständigen Bombardierung ausgesetzt. Einige Orte wurden systematisch bombardiert, und die Angriffe begannen jeden Abend zur gleichen Zeit. Infolgedessen wurden viele Wohnungen von Zeugen Jehovas zerstört. In Manchester endete die Verwüstung ganz kurz vor dem Pionierheim. Drei Pionierheime an anderen Orten sowie Königreichssäle und viel Literatur wurden zerstört und beschädigt. Eine Brandbombe durchschlug das Dach des Königreichssaales im Bethel und drang bis zum Balkon durch, wo die Brüder, die Feuerwachdienst hatten, den Brand löschen konnten. Bis zum Ende des Krieges hatten zwölf Zeugen Jehovas durch Bombenangriffe das Leben verloren.

Inmitten erbitterten Widerstandes wurde vom 3. bis zum 7. September 1940 ein Kongreß in Leicester abgehalten. Die De Montfort Hall, die 3 500 Sitzplätze hatte, faßte nur ein Drittel derer, die dem Kongreß beiwohnten. Die meisten der 12 000 Besucher saßen in großen Zelten auf dem parkähnlichen Gelände. Am Samstag, dem letzten Kongreßtag, war der Kampf am hitzigsten, denn 6 177 Zeugen Jehovas erlebten im Predigtdienst Angriffe auf ihre Person und ihren Ruf.

Inzwischen beschwerten sich Abonnenten, daß sie nicht die Zeitschrift Trost erhielten. Schließlich stellte es sich heraus, daß das seltsamerweise so genannte Informationsministerium es „für nötig befunden [hatte], die Ausgaben [der Zeitschrift Trost] zurückzuhalten“. So wurde nun die gleiche Zeitschrift, die Hitler 1933 verboten hatte, kurz nachdem Goebbels’ Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda geschaffen worden war, vom britischen Informationsministerium mißbilligt. Es war bekannt, daß Trost schon lange vor Ausbruch des Krieges den Totalitarismus angegriffen hatte. Ein amerikanischer Bruder spendete Großbritannien 150 000 Bücher. Einem Brief, der die Spende bestätigte und der von einem amerikanischen öffentlichen Notar beglaubigt war, war der Antrag auf die Genehmigung beigelegt. Später traf in diesem Land ein Handelsmuster des neuartigen Grammophons ein, das unsere Ingenieure nachbauen sollten. Das Muster wurde beschlagnahmt und die Einfuhrbewilligung für die gespendeten Bücher verweigert.

Selbst Exemplare des Wachtturms trafen nicht mehr mit den Postsendungen aus den Vereinigten Staaten ein. Das Problem, die Brüder mit geistiger Speise versorgt zu halten, wurde sehr dringend. Da die Veröffentlichung einer neuen Zeitschrift nicht genehmigt worden wäre, begann die Gesellschaft die sogenannte Watchtower Bible Study Series (Wachtturm-Bibelstudienserie) zu drucken. Diese Publikation sah ganz ähnlich aus wie der Wachtturm und enthielt mindestens den Hauptartikel mit den Fragen. So ging den Brüdern in Großbritannien der Stoff keiner einzigen Ausgabe des Wachtturms verloren.

Auch die Brüder in Irland ließ man nicht auf geistige Speise warten. Viele von ihnen begannen Briefe zu erhalten, die voller Neuigkeiten waren. Jeder Brief enthielt einen anonymen Wachtturm-Artikel, den die Brüder schnell als solchen erkannten. Es wurden Matrizen geschrieben, und jeder Artikel wurde für alle 120 Zeugen Jehovas in Irland vervielfältigt.

Obwohl die Brüder in Großbritannien erneut Anstrengungen unternahmen, um sich bei Regierungsbeamten Recht zu verschaffen, war es der Gesellschaft nicht einmal möglich, Bibeln oder Neue Testamente einzuführen, während andere Bibelgesellschaften das häufig tun konnten. Am 2. November 1942 wurden sowohl Der Wachtturm und Trost als auch die Königreichsnachrichten offiziell verboten und alle Exemplare, die mit der Post unterwegs waren, beschlagnahmt. Schließlich veröffentlichte die Gesellschaft ein Traktat, in dem umrissen wurde, wie die britischen Behörden dem Vorbild folgten, das die Nationalsozialisten im Jahre 1933 gegeben hatten. Das Traktat war betitelt „Die Tatsachen über Jehovas Zeugen und über das Verbot durch die Zensur“.

Verbunden mit dem Angriff auf die Vorräte war auch ein Angriff auf die Person. Zeugen Jehovas wurden vor den Tribunalen sehr ungerecht behandelt. Um ihre Haltung zu rechtfertigen, begannen Richter und Presse zu behaupten, Leute würden Zeugen Jehovas werden um nicht in die Armee eingezogen zu werden. Daß dies nur falsche Propaganda war, mit der man die Verfahrensweise gegen Jehovas Zeugen rechtfertigen wollte, kann man an der Tatsache erkennen, daß die gleichen Tribunale die fast 60 000 vorläufig als Kriegsdienstverweigerer Registrierten, die keine Zeugen Jehovas waren, sehr verständnisvoll behandelten. Die Anzahl der Kriegsdienstverweigerer, die ins Gefängnis kamen, weil sie sich weigerten, der Anordnung des Tribunals nachzukommen, betrug 5 800; 4 300 von ihnen waren Zeugen Jehovas. Ja, in den ersten paar Monaten des Krieges konnte jeder, der den Antrag auf Freistellung damit begründete, daß er ein Zeuge Jehovas war, damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen. Es war dann auch wahrscheinlich, daß man die Höchststrafe von zwölf Monaten erhielt.

Schließlich richteten die Feinde im Jahre 1942 ihren Angriff gegen die Mitarbeiter des Zweigbüros. Der „Hilfszweigdiener“, Pryce Hughes, der schon im Ersten Weltkrieg im Gefängnis war, wurde zusammen mit Ewart Chitty, dem Sekretär der International Bible Students Association, und Frank Platt, der im Krieg von 1914 bis 1918 im Gefängnis sehr sadistisch behandelt worden war, ins Gefängnis geworfen. Anscheinend reichte es noch nicht, daß Platt in seinem christlichen Lauf treu blieb; er wurde wie Hughes später im Krieg zu einer weiteren Gefängnisstrafe verurteilt. Ja, im ganzen Land wurden zweihundert Personen, die eine Schlüsselstellung bekleideten, verhaftet und eingesperrt.

Dies ließ Bert Schroeder, der für den britischen Zweig verantwortlich war, schwer bedrängt mit einem verminderten Mitarbeiterstab zurück. Dann versetzte die Regierung der Gesellschaft den Gnadenstoß. Der Zweigaufseher selbst, ein amerikanischer Staatsbürger, bekam die Anweisung: „Nehmen Sie zur Unterstützung der Kriegsbemühungen die Zuweisung einer Arbeit von nationaler Bedeutung an, oder sie werden ausgewiesen.“ Man wandte sich an britische und auch an amerikanische Regierungsbeamte, doch ohne Erfolg. Ein Parlamentsmitglied befürwortete nicht nur die Inhaftierung von Hughes, Platt und Chitty, sondern sagte, daß Schroeder „Unruhe verursacht, und da er nicht interniert werden kann, weil er zu den Alliierten gehört, sollte er ausgewiesen werden“. Es schien, als ob alle einflußreichen Amtspersonen sich verschworen hätten und übereinstimmend der Meinung wären: „Schroeder muß gehen.“ Ein Dienstwagen fuhr in der Craven Terrace vor, und der Zweigaufseher wurde bis auf das Deck eines Ozeandampfers begleitet und in sein Heimatland zurückgeschickt.

Unterdessen wurden die Verkündiger im ganzen Gebiet weiterhin unter Druck gesetzt. Die Presse trug durch zahlreiche Hetzartikel mit dazu bei. Ein Bericht umfaßte die ganze Titelseite einer Zeitung, die außerdem ein paar Artikel auf der Innenseite und einen Leitartikel der Redaktion enthielt, in dem die Freude über die Höchststrafe zum Ausdruck gebracht wurde, die ein Versammlungsaufseher in Middleton (England), der auch Pionier war, erhalten hatte. Der Staatsanwalt, der bei den Richtern zweifellos für die Höchststrafe plädiert hatte, erklärte wiederholt, der Angeklagte sei ausgesandt worden, um das Werk zu organisieren, und bezeichnete ihn als Mitglied einer „kleinen Bande Phrasen dreschender, heuchlerischer Schwindler“.

Viele Männer, die diesen Gerichten und Tribunalen vorstanden, erwiesen sich als ungeeignet, ihr Amt auszuüben. Während einer erklärte, es sei „etwas Unheimliches hinter dieser Bewegung“, erklärte ein anderer: „Ihr seid ein Haufen komischer Käuze.“ Gerichte und Tribunale sollten zusammenarbeiten, aber manchmal gab es einen deutlichen Zwiespalt. Zum Beispiel verließ in Stockport, kurz bevor eine junge Pionierin, eine Mutter, verurteilt wurde, der Vorsitzende der Richter, Alderman Royle, den Gerichtssaal. „Ich will nicht an der Verurteilung dieser christlichen Frau beteiligt sein“, sagte er.

Am 21. Juli 1942 veröffentlichte die Gesellschaft eine Schrift, in der sie alle Tatsachen in Verbindung mit dem biblischen Standpunkt, den Jehovas Zeugen einnehmen, darlegte und Beispiele über die Mißhandlung inhaftierter Zeugen Jehovas dokumentierte, zum Beispiel, daß einige bewußtlos geschlagen und an ein Tischbein gefesselt worden waren. Einzelheiten über Angriffe vor Tribunalen und Ungehörigkeiten in Gerichtssälen ließen auf eine gesteuerte, koordinierte Kampagne mit offizieller Rückendeckung schließen. Männer und Frauen, vor allem Vollzeitarbeiter im Predigtwerk, wurden in zunehmender Zahl ins Gefängnis gesteckt. Die Chancen, Jehovas Zeugen auszurotten, schienen nach Ansicht der Öffentlichkeit und nach Ansicht offizieller Seite gut zu sein. Mit Hilfe des Krieges hatte die britische Regierung fast so viel erreicht, wie die deutsche Regierung im Jahre 1933 ohne Hilfe des Krieges erreicht hatte. Doch ganz gleich, ob es in Deutschland, Großbritannien oder anderswo war, so war es doch ganz offensichtlich, daß die treibende Kraft, die hinter dieser ganzen offiziellen internationalen Verschwörung stand, der war, der in Offenbarung 13:2 erwähnt wird, nämlich „der Drache“, Satan, der Teufel.

Stelle dir die Lage vor, der sich Pryce Hughes gegenübersah, der sich noch mit den Brüdern Platt und Chitty im Gefängnis in Wormwood Scrubbs befand, als er die Nachricht von seiner Ernennung zum Zweigaufseher erhielt, um den ausgewiesenen Bruder Schroeder zu ersetzen Kurz nach seiner Freilassung wurde er mit einer weiteren Schwierigkeit konfrontiert. Der Innenminister hatte Verordnungen erlassen, durch die Kongresse der Zeugen Jehovas verboten wurden. Diese Maßnahme kam unvermutet. Viele Kongreßbesucher waren schon in ihren Kongreßstädten, die durch eine Leitung mit dem theokratischen Neue-Welt-Kongreß in Cleveland (Ohio) verbunden waren, eingetroffen, als sie von dem Verbot erfuhren. Es stellte sich heraus, daß nur die Kongresse in Nottingham und Manchester verboten worden waren. Es ist nie ein Grund angegeben worden, warum die Menschen in Nottingham und Manchester des Rechts beraubt wurden, den Kongreß zu erleben, während diejenigen acht anderer Städte dieses Recht hatten. Das Innenministerium war weder entschlossen, eine Erlaubnis für eine Veranstaltung in irgendeinem anderen Saal in diesen beiden Städten zu erteilen, noch gestattete es private Veranstaltungen in einer dieser Städte. Ungefähr eintausend Kongreßbesucher in Nottingham trafen sich in einer Stadt in der Nähe und führten das Kongreßprogramm dort durch. In Manchester wurden einige der Tausende, die sich auf den Straßen versammelt hatten und nicht in den Saal, in dem der Schlüsselkongreß hätte stattfinden sollen, hineingelangen konnten, in nahe gelegene Königreichssäle gebracht. Die anderen Kongresse schickten energische Protestbriefe an das Innenministerium, und auch die Gesellschaft schloß sich dem Protest an und wandte sich außerdem an die Mitglieder des Parlaments. Der Innenminister schrieb einem Mitglied als Antwort, er habe die beiden Veranstaltungen deshalb verboten, weil er an diesen besonderen Orten Unruhen unter der Öffentlichkeit befürchtet habe. Er erklärte auch, Jehovas Zeugen würden in den Ländern der Achsenmächte deshalb so hart behandelt, weil sie sich nicht am Krieg beteiligten. „Sie beteiligen sich nicht an weltlichen Auseinandersetzungen Das ... ist durchaus keine hilfsbereite Einstellung.“

Jehovas Zeugen in Großbritannien wußten natürlich, daß sich ihre Lage im Grunde genommen nicht von der ihrer Brüder in anderen Ländern unterschied. (2. Tim. 3:12) In Deutschland erlebten sie Beschlagnahmung, Unterdrückung, Konzentrationslager und Gaskammern; in Amerika gerichtliche Kämpfe vor den höchsten Gerichtshöfen und Brandstiftungen und Pöbelangriffe in vierundvierzig der damals achtundvierzig Staaten; in Australien, Kanada und auf dem afrikanischen Kontinent Verbote und Gewalttat; in kommunistischen Ländern Verbote und Arbeitslager. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, gab es auf der ganzen Erde 71 509 Zeugen Jehovas. Würden sie untergehen, oder würden sie noch zahlreicher und stärker daraus hervorgehen?

VERFOLGT, DOCH NICHT IM STICH GELASSEN

Am Anfang des Krieges, als die Papierzuteilungen unerwartet hoch waren, erteilte die Gesellschaft verschiedenen Druckereien beträchtliche Aufträge für Bücher und Broschüren. Nachdem die Gesellschaft einen großen Vertrag für das Buch Die neue Welt in broschierter Ausführung abgeschlossen hatte, weigerte sich der Drucker, das Buch zu drucken, wenn nicht die Bezugnahmen auf die römisch-katholische Hierarchie ausgelassen würden. Die Gesellschaft weigerte sich, dies zu tun. Die Aussichten für das Drucken des Buches schienen schlecht zu sein.

Da kam Harry Briggs in das Büro. Er war Teilhaber eines Druckereiunternehmens gewesen, das gerade an eine andere Firma verkauft worden war. Durch den Verkauf hatte er Kapital. Er wollte wissen, ob die Gesellschaft das Kapital gebrauchen könne und ob sie ihn gebrauchen könne. Briggs wußte von einem Druckereiunternehmen, das eventuell zu verkaufen war. Er führte Verhandlungen und kaufte es, ein gutgehendes Geschäft mit einer Belegschaft und einem Direktor, die vom Drucken alles verstanden. Bald ging die ungekürzte Fassung des Buches Die neue Welt in Druck. Obwohl die Druckerei „The Southern Press“ hieß, arbeitete sie so, als würde sie der Gesellschaft gehören.

Etwa um diese Zeit begannen Stadträte, gerichtlich untersuchen zu lassen, ob Königreichssäle besteuert werden müßten. Wegen dieser Frage entstanden Gerichtsfälle, und die Steuerfreiheit für Königreichssäle wurde angefochten. Einige Urteile waren günstig, andere nicht. Gegen die ungünstigen wurde Berufung eingelegt, aber selbst dann wurden einige aufrechterhalten und andere nicht. Ein Beamter des Informationsministeriums beschuldigte Jehovas Zeugen öffentlich, mit den Nationalsozialisten zu sympathisieren und als Agenten für nationalsozialistische Propaganda gedient zu haben. Inzwischen wurde in Großbritannien in den Postverkehr eingegriffen; Briefe wurden geöffnet, und Päckchen an Pioniere, die kleine Mengen an Zeitschriften enthielten, wurden beschädigt. Die Zeit war gekommen, wirklich gegen all diese Ungerechtigkeiten anzukämpfen und aufrichtige Menschen überall aufzurufen, die Sache der echten Freiheit zu unterstützen.

Im August 1943 mietete die Gesellschaft die Royal Albert Hall und vierzehn weitere Säle in ganz Großbritannien für den theokratischen Kongreß „Freie Nation“. Als öffentlicher Vortrag war die Ansprache „Freiheit in der neuen Welt“ vorgesehen, die auch weithin angekündigt wurde. Jedoch wurde das Manuskript dieser Ansprache wie auch das anderer Ansprachen für die Kongresse von der Zensur konfisziert. Wie es sich gerade traf, war die neue Broschüre Kampf um die Freiheit an der Heimatfront in Großbritannien wegen Schwierigkeiten in Verbindung mit dem Druck nicht veröffentlicht worden. Diese wurde für die Kongresse bereitgestellt, und der Inhalt wurde in der Zeit vorgetragen, die für den öffentlichen Vortrag angesetzt war. Sowohl der Titel wie auch der Stoff waren bestimmt passend. Der Vorsitzende erklärte den Zuhörern, daß der Vortrag „Freiheit in der neuen Welt“ nicht gehalten werden könne, weil die Zensur das Manuskript zurückgehalten habe. Am Ende des Vortrages las der Redner eine Erklärung vor, in der die Tatsachen über das von der Regierung erlassene ungerechtfertigte Verbot dargelegt wurden, „für dessen Bestehen weder Grund noch Ursache angegeben wird“. Die Zuhörer, die ja unmittelbar betroffen waren, wurden eingeladen, für die Freiheit an der Heimatfront zu kämpfen und ihre Absicht, das zu tun, mit einem lauten Ja zu bekunden. Auf fünfzehn Kongressen reagierten 15 500 Personen mit Begeisterung. Jeder Kongreß sandte einen telegrafischen Appell an den König. Die Gesellschaft stellte auch jedem Parlamentsmitglied und allen, die mit der Regierung verbunden waren, eine Durchschrift des öffentlichen Vortrages zusammen mit einem Begleitschreiben zu, in dem die Tatsachen in Verbindung mit der bedrückenden Zensur angegeben wurden.

Die Gesellschaft war sich wohl bewußt, wie wichtig es war, daß sich die Brüder versammelten, damit sie Kraft und Mut schöpfen könnten, nicht nur um die bedrückenden Schwierigkeiten auf sich zu nehmen, sondern um sie zurückzudrängen. So kam es, daß im Frühjahr 1944 fünfundfünfzig kleine Kongresse für die Britischen Inseln organisiert wurden. Der öffentliche Vortrag auf all diesen Kongressen lautete „Freiheit in der neuen Welt“. Es war die Rede, die die Zensur im vorangegangenen Jahr die Menschen in Großbritannien nicht hatte hören lassen. Es war nicht leicht, diese Kongresse zu organisieren, denn in dieser Zeit wurden die Luftangriffe auf Großbritannien durch die Einführung einer neuen Bombe, der Raketenbombe, verstärkt. Dennoch waren 12 300 anwesend, und sie erhielten den Vortrag „Freiheit in der neuen Welt“ in Form einer Broschüre. Dieser besondere Kongreß wurde nicht öffentlich angekündigt. Der Gedanke war, daß man alle persönlich einladen wollte, die erkennen ließen, daß sie das Wohlwollen Jehovas wünschten. Es ist sehr beachtenswert, daß viele, die die Einladung annahmen, begannen, sich am Predigtdienst zu beteiligen, ja zum ersten Mal predigten.

In dieser Zeit gab es in Verbindung mit einem gutgeplanten Feldzug persönliche Unterredungen mit Parlamentsmitgliedern, die man über alle Tatsachen bezüglich des Verbotes unterrichtete wie auch über die Ausreden und die verschiedenen Behinderungen, die angewandt wurden, um das Verbot aufrechtzuerhalten. Im Unterhaus nahmen Mitglieder das Informationsministerium unter Kreuzfeuer, wodurch es in eine sehr schwierige Lage geriet. Abonnenten des Wachtturms schrieben Protestbriefe an ihre zuständigen Parlamentsmitglieder. Schließlich kapitulierte das Ministerium und versprach, das Verbot am 28. Februar 1945 aufzuheben. Bibeln und andere Literatur wurden jedoch erst dann zur Verbreitung freigegeben, als es einen Wechsel im Ministerium gab.

Das Ministerium hatte die gewaltige Anzahl Zeitschriften, die es beschlagnahmt hatte, vernichten lassen, Zeitschriften, die die Abonnenten schon bezahlt hatten. Obwohl die Gesellschaft sich schon ihrer Verpflichtung entledigt hatte, indem sie die Zeitschriften versandt hatte, verlängerte sie dennoch für jeden Abonnenten in Großbritannien das Abonnement um sechs Monate.

Der nächste Schritt, den das britische Zweigbüro unternahm, war beim Kolonialministerium wegen der Verbote in Njassaland, auf den Bahamas, in Nigeria und an der Goldküste vorstellig zu werden. Appelle und Gerichtsverfahren hatten schon in Kanada, Indien, Neuseeland, Südafrika und Australien Erleichterung gebracht. Später veröffentlichte die Gesellschaft zur weiten Verbreitung einen Tatsachenbericht, durch den die Doppelzüngigkeit und Falschheit bloßgestellt wurde, die man angewandt hatte, um diese Verbote im gesamten britischen Commonwealth aufrechtzuerhalten.

Der weiter andauernde Druck von seiten des Feindes spornte die treuen Zeugen nur noch zu größerem Eifer in ihrem Dienst an. Bis zum Ende des Jahres 1942 waren hundert neue Versammlungen organisiert und war eine Gesamtzahl von 12 318 Verkündigern erreicht worden. Der Sonderpionierdienst wurde eingeführt. Unter dieser neuen Vorkehrung wurden Pioniere aufgefordert, jeden Monat 175 Stunden tätig zu sein und 50 Rückbesuche zu machen. Diese Sonderpioniere wurden in Gegenden geschickt, die besonderer Aufmerksamkeit bedurften oder in denen es nicht genügend Versammlungsverkündiger gab, um sich der Bevölkerung anzunehmen.

Noch eine weitere Hilfe, die zu einer größeren Zunahme der Königreichstätigkeit beitrug, kam mit der Einführung der „Diener für die Brüder“, die heute als Kreisaufseher bekannt sind. Im Januar 1943 beauftragte das britische Zweigbüro sieben Brüder, die 586 Versammlungen in einem Zeitraum von sechs Monaten zu besuchen. Sie trugen viel dazu bei, die Brüder anzuspornen und ihnen gute Ratschläge zu geben, wie sie den Dienst für Jehova im Predigtwerk vermehren und verbessern könnten.

Im Jahre 1944 waren zehn Kongreßstädte in Großbritannien mit dem „Theokratischen Kongreß der vereinten Verkündiger“ verbunden. In Stockport war der ideale Saal, der Jehovas Zeugen nie zur Verfügung gestanden hatte, die Centenary Hall. In jenem Jahr sollte der Friedensrichter Alderman Royle, der Mann, der lieber öffentlich darauf verzichtet hatte, als Richter zu amten, als eine Pionierschwester zu verurteilen, die Entscheidung in dieser Angelegenheit treffen. Er war sofort einverstanden, Jehovas Zeugen den Saal und alle seine Einrichtungen zu überlassen. Übrigens war er erstaunt, daß schon beim Vertragsabschluß die volle Miete bezahlt wurde. „Dies“, sagte er, „ist in meiner ganzen öffentlichen Tätigkeit noch nicht vorgekommen.“ Vor dem Kongreß und während des Kongresses wurde er ständig von anderen Mitgliedern seines Komitees angegriffen, weil er den Saal Jehovas Zeugen überlassen hatte. Royle schlug zurück. „Wer von Ihnen, der ein Beamter der Sonntagsschule Stockport ist [der Körperschaft, der die Centenary Hall gehörte], könnte eine große Zuhörerschaft eine halbe Stunde oder länger mit einer Erklärung aus der Bibel fesseln?“ fragte er. „Nun, das tun Jehovas Zeugen jeden Tag. Ich besuche ihr Programm und habe es erlebt.“

Jehovas Zeugen in Großbritannien waren nicht im Stich gelassen worden. (2. Kor. 4:8-10) Sie konnten durch Verfolgung nicht gezwungen werden, ihre Lauterkeit gegenüber dem höchsten Souverän, Jehova, aufzugeben. Am Ende des Krieges waren Jehovas Zeugen geistig und an Zahl stärker. Im Laufe der Kriegsjahre hatte sich die Zahl der Verkündiger praktisch verdoppelt, und das traf auf Jehovas Zeugen in der ganzen Welt zu. Das Ende der deutschen Besetzung der Kanalinseln brachte vielen Verkündigern dort die Freiheit, und auch die Verbindung zu den Zeugen in Irland war wieder offen. Zwölf „Diener für die Brüder“ besuchten nun die 610 Versammlungen in Großbritannien. Ganz Großbritannien bereitete sich auf Ausdehnung vor.

NACHKRIEGSTÄTIGKEIT

Am Sonntag, den 4. November 1945 setzte Nathan Homer Knorr zum ersten Mal als Präsident der International Bible Students Association seinen Fuß auf englischen Boden. Vom Flughafen Hurn begab er sich mit seinem Sekretär Milton G. Henschel ins Londoner Bethel. Brüder setzten sich auf ihr Fahrrad und verbreiteten die Nachricht, daß der Präsident bei einer Zusammenkunft an der Craven Terrace eine Ansprache halten würde. Sechzehnhundert zwängten sich in den Saal, die Nebenräume und das Kellergeschoß, um seinen Vortrag zu hören. Bevor er dann auf den Kontinent reiste, sprach er bei einer Zusammenkunft in Birmingham und besuchte auch eine Dienstzusammenkunft in Ilford.

Als die beiden Brüder aus dem Hauptbüro am letzten Tag des Jahres 1945 wieder in England eintrafen, begannen sie eine Serie von eintägigen Kongressen, von denen der größte in Stockport stattfand, wo Bruder Knorr vor 2 800 Zuhörern über das Thema „Jehovas Zeugen im Feuerofen“ sprach. Bevor der Präsident nach Amerika zurückkehrte, fand zum Abschluß seiner Europareise in London ein zweitägiger Kongreß statt. Drei Säle waren bei dieser Gelegenheit durch Telefonleitungen direkt verbunden. Um sechs Uhr begannen sich Schlangen in Sechserreihen um die Royal Albert Hall zu bilden; man wollte den Vortrag mit dem Thema „Seid fröhlich, ihr Nationen“ hören, der für Sonnabend abend geplant war. Zum ersten Mal seit der Zeit vor dem Krieg waren die Vorbereitungen für den Kongreß mit einer Bekanntmachung in großem Ausmaß verbunden. Bei jedem der kurzen Kongresse lud Bruder Knorr dazu ein, sich für die Gileadschule, die neue Vorkehrung der Gesellschaft zur Ausbildung von Missionaren für Auslandszuteilungen, zu bewerben. Bis zum Ende des Krieges konnten Pioniere, die außerhalb Amerikas lebten, nicht eingeschrieben werden. Jedoch nahmen an der achten Klasse, die unmittelbar nach dem Kongreß in Cleveland (Ohio) im Jahre 1946 begann, vierundzwanzig Pioniere aus Großbritannien teil.

Als wieder Literatur aus Brooklyn einzutreffen begann, wurde es möglich, die Predigttätigkeit bis in die entfernten Teile der Britischen Inseln auszudehnen. Pioniere wurden in Gebiete versetzt, in denen es früher unmöglich war zu arbeiten.

Die Brüder in Großbritannien erlebten die gleichen großartigen Segnungen durch die Kreis- und Bezirkskongresse wie die Brüder in den Vereinigten Staaten und anderswo. Diese begeisternden Zusammenkünfte, die offensichtlich von Jehovas Geist geleitet wurden, wirkten sich auf die Brüder wunderbar aus, indem sie sie auferbauten und ausrüsteten, den Predigtdienst noch wirkungsvoller zu gestalten.

DER KAMPF GEGEN DISKRIMINIERUNG

Im Jahre 1947 unternahm der zuständige Steuerinspektor Schritte, um der Watch Tower Society, der Mutterorganisation der International Bible Students Association, Steuern aufzuerlegen. Diese letztere Vereinigung war am 30. Juni 1914 als gemeinnützige, wohltätige Organisation eingetragen worden. Folglich war sie von Steuern befreit. Der Hauptinspektor vertrat die Ansicht, daß eine Körperschaft, um von Steuern befreit werden zu können, in diesem Land gegründet worden sein müsse. Er war der Meinung, daß dies bei der Watch Tower Society nicht der Fall sei.

Zur bestimmten Zeit erhielt die Gesellschaft eine Steuerveranlagung. Eine Erklärung über ihre gemeinnützige Arbeit gemäß ihren Statuten war vom Brooklyner Hauptbüro rechtzeitig vorbereitet worden — eine Erklärung, in der die Hunderte von Tonnen an Kleidungsstücken und Lebensmitteln im Werte von 250 000 £ (1 031 375.14 $) erwähnt wurden, die bereits kostenlos in vierundzwanzig bedürftige Länder, einschließlich Großbritanniens geschickt worden waren. Aus der Erklärung ging auch hervor, daß niemand von der Gesellschaft Gehälter oder Dividenden bezog, und es wurde darum gebeten, die Steuerveranlagung rückgängig zu machen. Durchschriften der Buchungsunterlagen wurden dem Steuerinspektor zugestellt.

Präsident Knorr vertrat in seinem Kommentar zu den Entwicklungen die Ansicht, daß in der Angelegenheit ein zu sanfter Standpunkt eingenommen werde. Er schrieb: „Es ist ziemlich schwierig, zu verstehen, warum die britische Regierung die Gesellschaft nicht genauso als Religionsorganisation anerkennen will, wie es in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Ich bin überzeugt, daß die britische Regierung nicht so engstirnig ist, daß sie sagt, jemand, der in den Vereinigten Staaten verheiratet ist, sei nicht verheiratet, wenn er mit seiner Frau nach Großbritannien komme. Der Ehestand bleibt der gleiche. Dasselbe trifft auf den Status der Gesellschaft zu.“ „Wir sollten für die Freistellung kämpfen“, fügte er hinzu.

Bei seiner Vorbereitung auf die Verhandlung vor den Steuerkommissaren wußte der Rechtsberater der Zeugen Jehovas, daß die andere Seite versuchen würde, die Gesellschaft von Jehovas Zeugen zu trennen. Jedoch werden Jehovas Zeugen in der Satzung der Gesellschaft erwähnt, und die Tätigkeit der Zeugen Jehovas hängt untrennbar mit der Gesellschaft zusammen. Die beiden sind eins. Da Jehovas Zeugen anerkanntermaßen eine Religionsgemeinschaft sind und an einem Predigtwerk teilnehmen, das gemeinnützig ist, sollte man daraus schließen, daß die gesetzliche Körperschaft ebenfalls den Anspruch darauf hat, als gemeinnützige Organisation eingestuft zu werden. Wegen der Möglichkeit, daß gegen den Entscheid der Kommission bei einem Gericht Berufung eingelegt werden müßte, war es ratsam, eine ausführliche Darstellung der Tatsachen zusammenzustellen. Terence Donovan, ein führender Rechtsanwalt und Vertreter der Krone in Steuerfällen erhielt ordnungsgemäß eine Darstellung des Sachverhalts.

Die Anwälte der Gesellschaft bemühten sich, die Mitglieder der Kommission darauf hinzuweisen, daß die ganze Angelegenheit auf die Zivilklage bezüglich des „dauernden Bestehens“ beschränkt werden sollte, um so Zeit und Gerichtskosten zu sparen. Die Mitglieder der Kommission waren einverstanden, und so konnte die Streitfrage, die zu entscheiden war, folgendermaßen ausgedrückt werden: 1. daß die Gesellschaft eine Körperschaft von Personen ist; 2. daß sie gegründet wurde und daß sie im Vereinigten Königreich gegründet wurde; 3. daß sie nur für gemeinnützige Zwecke gegründet wurde. Die Verhandlung fand am 16. März 1950 in London statt. Die Mitglieder der Kommission stellten fest, daß die Gesellschaft einen Hauptsitz gegründet hatte und Eigentum an der Craven Terrace besaß. Zu ihr gehörten über 600 Versammlungen, von denen viele ihre eigene Anbetungsstätte besaßen. Was ihr dauerndes Bestehen betraf, so befand sich die Gesellschaft schon fünfzig Jahre hier. Sie besaß Eigentum und hatte ihre ganze Organisation eingerichtet und ausgerüstet, um weitere fünfzig Jahre oder möglicherweise noch länger hierzubleiben. „Aufgrund des Beweismaterials“ schloß Mr. Coke ab „ist das unserer Ansicht nach ein klarer Fall, und aufgrund des Beweismaterials müssen wir zu einer Schlußfolgerung kommen. Wir stellen fest, daß diese Körperschaft oder vielmehr ein Zweig derselben hier gegründet wurde, und es wurde anerkannt, daß sie gemeinnützig ist. Daher muß dem Anspruch stattgegeben werden.“

MEHR EINSATZ IM RECHTSKAMPF

Im Jahre 1953 wurde der Beschluß gefaßt, einen Testfall vorzubereiten, um festzustellen, ob die Gesellschaft eine Religionsorganisation sei und ob sie reguläre Prediger habe. Man hatte die Absicht, der ungerechten Situation entgegenzutreten, da die Wehrpflichtgesetze, die eine Freistellung für reguläre Prediger vorsahen, so ausgelegt wurden, daß Jehovas Zeugen die Vergünstigungen dieser Gesetze versagt wurden. Der Mann, den man auswählte, mußte verschiedene Voraussetzungen erfüllen, was die Person, den Dienst, das Amt und die bestimmte Altersgrenze betraf, und natürlich mußte er eine Aufforderung erhalten haben, sich für den Militärdienst einschreiben zu lassen. Schließlich wurde Douglas Walsh aus Dumbarton (Schottland) ausgewählt, der sowohl Pionier als auch Versammlungsaufseher war. Ende 1953 waren die Pläne für den Testfall in Schottland fertig, und die Taktik war festgelegt worden. Das Ziel war, gesetzlich festzustellen, ob Jehovas Zeugen eine Religionsorganisation sind und ob der Pionier und Versammlungsaufseher Douglas Walsh ein regulärer Prediger war. Im Januar 1954 ergab eine Voruntersuchung in Edinburgh, daß der Fall Walsh sachdienlich sei, und Lord Strachan ordnete die Untersuchung der Beweise an. Die Verhandlung wurde auf den 23. November 1954 angesetzt.

Der Vizepräsident der Watch Tower Society, F. W. Franz, der vom Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn kam, sollte als erster in den Zeugenstand gehen. Er umriß anhand der Bibel die Glaubenslehren der Zeugen Jehovas, besonders die, die von den konventionellen Religionen abwichen. Dann sprach Hayden Covington über die Organisation, die Zeremonien und die Bräuche. Grant Suiter, der Sekretär-Kassierer der Gesellschaft, berichtete über die Finanzen der Gesellschaft und zeigte, daß die Beiträge für die Verbreitung der Literatur nicht die Kosten für das weltweite Missionarwerk deckten und daß freiwillige Beiträge der Zeugen Jehovas selbst die Differenz ausglichen. Außerdem sagten vier britische Zeugen Jehovas als Zeugen aus. Pryce Hughes, der Zweigaufseher und leitende Prediger für die Britischen Inseln, erklärte die Struktur der Gesellschaft in Großbritannien, während Douglas Walsh seine Arbeit als Pionier und Versammlungsaufseher beschrieb. Es dauerte sieben Tage, um das ganze Beweismaterial darzulegen, und es umfaßte 762 Manuskriptseiten. Am 7. Januar 1955 sprach Lord Strachan sein Urteil. Er entschied, eine Körperschaft sei dann eine Religionsgemeinschaft, wenn sie folgende Voraussetzungen erfülle: a) wenn sie für religiöse Zwecke bestehe, b) wenn sie religiöse Glaubenslehren vertrete, die charakteristisch seien in dem Sinne, daß sie sich von denen anderer religiöser Körperschaften unterschieden, c) wenn sie eine eigene Körperschaft mit einer eigenen Form der Anbetung, Verwaltung und Erziehung sei und d) wenn sie eine entsprechend große Mitgliederzahl habe. Lord Strachan war überzeugt, daß Jehovas Zeugen diese Bedingungen erfüllten und daher eine Religionsgemeinschaft seien.

Sir John Cameron, Dekan der Fakultät der Rechtsanwälte in Schottland, der den Fall der Gesellschaft führte, argumentierte nachdrücklich, daß, wenn entschieden würde, daß die Gesellschaft eine Religionsgemeinschaft sei, es dann die Sache der Gemeinschaft sei, zu entscheiden, wer ihre regulären Prediger sein sollten. Er vertrat die Ansicht, „regulär“ bedeute „gemäß der Regel“, und da Walsh gemäß der Regel der Zeugen Jehovas ernannt worden sei, müsse ihn das Gericht als regulären Prediger anerkennen.

Der Richter sprach über den Begriff „Prediger“ und sagte: „Damit jemand ein Prediger sein kann, muß er erstens mit dem Amt eines Predigers betraut werden und zweitens die religiösen Riten seiner Gemeinschaft ausüben oder wenigstens dazu ernannt worden sein. Ich bin auch der Meinung, daß diese beiden wesentlichen Faktoren notwendigerweise einschließen, daß sich ein Prediger in gewisser Hinsicht in geistigen Dingen von den gewöhnlichen Gliedern seiner Gemeinschaft unterscheidet. Er erhob gegen die Form der Einsetzung Walshs Einspruch und folgerte: „Der Nachdruck liegt eindeutig mehr auf der Verwaltung als auf der geistigen Führung.“ Er hatte etwas an den Erfordernissen der Schulbildung für Versammlungsaufseher auszusetzen. Über die Predigtdienstschule sagte er: „Was dort gelehrt wird, ist so, daß es von Kindern in ... zartem Alter verstanden werden kann.“

Der Dekan der Fakultät argumentierte, daß die Gründer des Christentums nicht aufgrund irgendwelcher Schulkenntnisse ausgewählt worden seien, aber als Erwiderung antwortete der Richter: „Meiner Meinung nach gehört das Argument nicht zur Sache, denn ganz offensichtlich dachte das Parlament, als es im Jahre 1948 reguläre Prediger einer Religionsgemeinschaft vom Militärdienst freistellte, nicht an einen Prediger wie die, die in der Urkirche predigten, sondern an einen Prediger, wie man ihn heute kennt.“ Ja, der Richter entschied, daß Walsh kein „regulärer Prediger“ aufgrund seines Status als Pionier sei, obwohl der Predigtdienst seine Berufung war.

Es wurde beim Hohen Gerichtshof in Schottland Berufung eingelegt, wo drei Richter das Urteil von Lord Strachan aufrechterhielten. Dann wurde der Fall vor das Oberhaus gebracht, die letzte Instanz. Am 21. Juli 1955 wies Lord Goddard, der Lordoberrichter von England, die Berufung zurück. Jehovas Zeugen wurden daher als eine Religionsgemeinschaft betrachtet, die keine regulären Prediger hat.

VORBEREITUNG FÜR DIE BETREUUNG WEITERER „SCHAFE“

Im Jahre 1955 hielt der Zustrom größerer Scharen schafähnlicher Menschen in die Organisation des Volkes Jehovas in Großbritannien an. Der bis dahin größte Kongreß in Großbritannien fand im Juni jenes Jahres statt, als Zeugen Jehovas aus sechsundfünfzig Ländern in Twickenham zu dem fünftägigen Kongreß „Triumphierendes Königreich“ zusammenkamen. „Weltbesiegung nahe — durch Gottes Königreich“, so lautete das Thema des öffentlichen Vortrages, den 41 970 Personen hörten. In seiner Schlußansprache anläßlich des Kongresses kündigte Bruder Knorr die Absicht der Gesellschaft an, ein neues Bethelheim und eine Druckerei für Großbritannien zu bauen. Da Land in der Großstadt sehr gefragt ist, war die Aussicht, ein geeignetes Grundstück zu bekommen, sehr schlecht. „Geht zu den Gemeinderäten“, sagte Bruder Knorr, „sagt ihnen, was wir tun wollen, und fragt sie nach Grundstücken, wo wir es tun könnten.“ Der Gemeinderat von Middlesex empfahl Bittancy House draußen in Mill Hill. „Spekulanten bieten viel Geld für das Grundstück“, hieß es, „aber wir wollen nicht, daß dieses Fleckchen Erde im Gebiet der Grünanlagen mit Häuserreihen bebaut wird. Sie wollen nur e i n Haus errichten, und das ist etwas anderes. Es liegt natürlich ziemlich weit außerhalb.“

Als die Zeit kam, sich das Gelände anzusehen, das oberhalb des Bahnhofs Mill Hill-Ost auf einer Anhöhe liegt, stellte man fest, daß es einen wunderbaren Ausblick auf Nord-London bot. Der Dorfteich an der Straße und die paar Häuser, die um ihn herum standen, vollendeten den ländlichen Hintergrund. Das Gelände, das dreizehn Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt, schien ideal zu sein. Bruder Knorr stimmte dem Kauf zu, und so begannen im Jahre 1955 die Verhandlungen. Jedoch starb der Eigentümer, und die Gesellschaft mußte mit den Testamentsvollstreckern verhandeln, von denen sie das Grundstück für nur etwa die Hälfte dessen erwarb, was die Grundstücksspekulanten geboten hatten.

Wenn eine Regierungsstelle einen Verkauf einschränkt, wie es das Planungsamt bei dieser Gelegenheit mit den Spekulanten getan hat, tut sie es nur unter der Voraussetzung, daß der Verkäufer durch die Einschränkungen nichts verliert. Die Regierung entschädigt den Verkäufer mit dem Differenzbetrag zwischen dem eingeschränkten Angebot und dem niedrigeren, das der Verkäufer akzeptiert hat; in diesem Fall handelte es sich um 44 000 $. Dann zieht die Regierung den Betrag vom Käufer wieder ein. Somit hatte die Gesellschaft mit einer möglichen Rechnung von 44 000 $ zu rechnen. Es wurden Papiere für eine Verhandlung vorbereitet, in der Hoffnung, daß dieser Betrag in Anbetracht des gemeinnützigen Charakters des Werkes der Zeugen Jehovas erheblich verringert werden könnte. Als es dann zur Verhandlung kam, wurde glücklicherweise entschieden, daß wegen des Zweckes, für den das Land gekauft worden war, die Kosten für die Entschädigung nicht an die Gesellschaft weitergereicht würden.

Am 18. Februar 1957 begann die Errichtung eines neuen Bethels. Die Pläne schrieben ein annähernd T-förmiges Gebäude vor, das der hübschen Umgebung angepaßt war. Es sollte aus einem Heim mit Wohnräumen für 120 Personen, einer Vorhalle, einer Bibliothek, einem Büro und einer Fabrik bestehen. Die Arbeit an diesem neuen Bethelheim und der Fabrik ging im Jahre 1959 schnell voran. Allmählich fing man an, die Räumlichkeiten zu benutzen, denn Anfang 1959 waren einige der Wohnräume fertig und wurden bezogen, obwohl der größte Teil des Gebäudes noch in unfertigem Zustand war. Die Zeugen, von denen viele erfahrene Handwerker sind, verrichteten einen großen Teil der Arbeit selbst. Einer zum Beispiel entwarf einen großen Teil der Einrichtungsgegenstände und stellte sie selbst her.

Der Tag der Bestimmungsübergabe war auf den 26. April 1959 festgesetzt worden. Bis dahin war der größte Teil des Gebäudes in seiner bewaldeten, landschaftlich schönen Lage vollendet. In der Druckerei im Erdgeschoß des Fabrikblocks stand die neue M.A.N.-Rotationsmaschine, die 12 500 Zeitschriften in der Stunde herstellen würde, und zwar mit Hilfe von Druckplatten, für die die Setzarbeiten in Brooklyn gemacht würden. Das Büro der Gesellschaft, das Literaturlager, die Versandabteilung und weitere Druckmaschinen nahmen das obere Stockwerk ein. Es gab auch einen Königreichssaal, den die Versammlung Mill Hill und die Bethelfamilie benutzen sollten. Der zweistöckige Fabrikblock war durch die Vorhalle mit dem dreigeschossigen Wohnflügel verbunden, zu dem ein Speisesaal gehörte, von dem aus man durch die Fenster, die über die volle Breite gingen, auf Rasen und Parkanlagen blicken konnte.

Man hatte Präsident Knorr zur Bestimmungsübergabe erwartet, aber seine 40 000 Kilometer weite Reise durch Afrika und Europa gestattete es ihm nicht, vor Juni in dieses Land zu kommen, um das Endergebnis der vielen, vielen Monate des Planens besichtigen zu können. Bei dieser Gelegenheit traf er Vorkehrungen für eine beachtliche Entwicklung auf dem Gebiet der Schulung, einem Gebiet, an dem die Verwaltung der Gesellschaft seit dem Jahre 1943, als die Wachtturm-Bibelschule Gilead organisiert wurde, ernsthaft interessiert war. Es handelte sich um die Vorkehrung der Königreichsdienstschule zur besonderen Unterweisung von Männern in der theokratischen Organisation, die auf Bezirks-, Kreis- und Versammlungsebene ernannt worden waren. Da es damals 900 Versammlungen in Großbritannien gab und manchmal vorsitzführende Aufseher ausgewechselt wurden, würden mehr als drei Jahre vergehen, bis alle an dem notwendigen Kursus teilgenommen hätten.

Daß die Brüder den Besuch dieses Lehrgangs als ein großes Vorrecht betrachteten, kann man an der Tatsache erkennen, daß sie bereit waren, ihre weltliche Beschäftigung aufs Spiel zu setzen, um in der Zeit in der Schule zu sein, für die sie eingeladen wurden. Es war nicht leicht, vier Wochen Urlaub von der weltlichen Beschäftigung zu erhalten. Einige entschlossen sich, den Brief der Gesellschaft mit der Einladung ihrem Arbeitgeber zu zeigen, und in einigen Fällen waren die Arbeitgeber so von dieser Vorkehrung einer vierwöchigen kostenlosen Unterweisung und Beherbergung beeindruckt, daß sie sich freuten, ihren Teil für eine religiöse Organisation zu tun, deren Ziele so offensichtlich lobenswert waren. Einige bezahlten ihren Angestellten sogar den vollen Lohn für die Zeit, in der sie die Schule besuchten. Andere Brüder gerieten in Schwierigkeiten. Ein paar verloren ihre Stellung weil sie gegen den Willen ihres Arbeitgebers die Schule besuchten. Ein Bruder aus Sheffield beendete den Kursus, ohne ein gesichertes Einkommen für die Zukunft zu haben. Später erhielt er jedoch eine Stellung, die viel besser war als die, aus der er entlassen worden war. Eine Anzahl derer, die ihre Stellung nicht verloren, mußten materielle Opfer bringen, um den geistigen Nutzen aus dieser Schulung erhalten zu können, und viele Versammlungen waren sich des Bedürfnisses in dieser Hinsicht bewußt und freuten sich, den Familien materielle Hilfe anzubieten, deren Ernährer fort war, um Unterweisung zu erhalten, aus der später alle in der Versammlung Nutzen ziehen würden. Schließlich wurde die Situation etwas erleichtert, als der Schulkurs in mancher Hinsicht gekürzt wurde, so daß er in zwei Wochen abgeschlossen werden konnte und seine Anwendung wurde erweitert, um nicht nur vorsitzführenden Aufsehern, sondern auch anderen älteren Männern der Versammlung Unterweisung zu vermitteln.

Eine weitere Vorkehrung, durch die schafähnlichen Menschen in entfernteren Teilen des Landes und in anderen Ländern geholfen werden sollte, war die Ermunterung der Gesellschaft, daß Familien in Gegenden ziehen könnten, wo dringend Hilfe benötigt wurde. In einem Jahr, im Jahre 1960, zogen 245 Familien aus diesem Grund um, und ein Dutzend Familien zogen in andere Länder. Unterdessen wurde das Werk in Großbritannien selbst weiter vorangetrieben. Zum Beispiel wurden im Jahre 1963 über sieben Millionen Stunden eingesetzt, um die gute Botschaft zu predigen. In jenem Jahr wurden 3 079 getauft.

Es ist wahr, daß es in dieser Zeit eine Tendenz zu geben schien, durch die die Zunahme im Predigtdienst durch die Anzahl derer, die untätig wurden, aufgehoben wurde, so daß es bestimmt höchste Zeit war, daß die Hirten der Herde sich selbst und ihren Dienst überprüften. Präsident Knorr schlug vor, einen Tag festzusetzen, an dem die Meinung der Aufseher des Predigtwerkes über die Ursachen für den Verlust an Verkündigern und darüber, was man tun könnte, um die Angelegenheit wieder in Ordnung zu bringen, angehört werden sollte. „Ruft für einen Tag so viele Kreis- und Bezirksdiener herein, wie es euch möglich ist“, sagte er, „und hört euch ihre Ansicht an.“ In einer angemessenen Entfernung von London gab es über dreißig solcher Männer. Jeder von ihnen war über das unterrichtet, was von ihm erwartet wurde, und kam, bereit seine Ansicht kundzutun. Sie wurden in alphabetischer Reihenfolge im Königreichssaal in Mill Hill auf die Bühne gebeten und aufgefordert, zwölf Minuten lang zu sprechen.

Die Ergebnisse waren sehr ermutigend. Es wurden Vorschläge für den Predigtdienst gemacht, wie er durchgeführt werden sollte, wie den vorsitzführenden Aufsehern Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte und ob es erwünscht sei, Nachdruck auf Ziele zu legen. Am häufigsten wurde die Meinung vertreten, daß den geistigen Bedürfnissen der Brüder mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. So arbeitete die Gesellschaft auf der Grundlage dieser Besprechung einen Plan aus, der vorsah, daß die älteren Männer der Versammlung der Hirtenarbeit mehr Zeit widmen sollten. Verkündiger, die in den vorangegangenen zehn Jahren untätig geworden waren, sollten besucht werden; und es sollten Besuche bei allen, die gegenwärtig Verkündiger waren, den starken wie auch den schwachen, gemacht werden. Man beabsichtigte, allen Hilfe und Ermunterung gemäß den Bedürfnissen des einzelnen zuteil werden zu lassen. Die Vorkehrung war von Erfolg gekrönt. Vielen wurde geholfen, wieder tätig zu werden, und viele, die schon tätig waren, wurden gestärkt. Die Zahl derer, die untätig wurden, wurde stark reduziert. Von dieser Zeit an ist die Hirtentätigkeit ein wichtiger Bestandteil der Pflichten jedes älteren Mannes in der Organisation geworden.

Das Zweigbüro in Großbritannien selbst wurde für größere Ausdehnung ausgerüstet. Da die Bethelfamilie größer geworden war und nun noch zwei Dutzend Königreichsdienstschüler oder mehr hinzukamen, stellte die Aufsicht über das Heim, die Farm, die Fabrik und den Predigtdienst höhere Ansprüche. Im Jahre 1963 nahm die Gesellschaft Änderungen vor, um der Situation gerecht zu werden. Pryce Hughes, der damals auf sein siebzigstes Lebensjahr zuging, erhielt die Verantwortung für das Heim, wozu die Gärten, die Farm und die Lebensmittelversorgung gehörten. Philip Rees wurde, nachdem er den zehnmonatigen Kurs in Brooklyn beendet hatte, Fabrikdiener. Wilfred Gooch, der früher Zweigaufseher in Nigeria war, nahm seinen Dienst als Zweigaufseher für die Britischen Inseln am 27. November 1963 auf.

Bald kamen zu den Änderungen in der Verwaltung noch andere nützliche Entwicklungen in Mill Hill hinzu. Es wurde auch ein Anbau errichtet, um den Lagerraum zu vergrößern, der einen Papiervorrat für vier Monate fassen sollte, und zwar in Anbetracht der Tatsache daß die Druckmaschinen zwei Tonnen Papier in der Stunde verbrauchten. Auch die Abonnementsabteilung wurde vergrößert, so daß durchschnittlich 200 000 Abonnements auf die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! bearbeitet werden konnten. Die Gesellschaft fing an, einen besonderen Versanddienst einzurichten, wodurch die meisten der 895 Versammlungen bedient wurden. Zu diesem Zweck unterhält die Gesellschaft vier Lastwagen, die ständig unterwegs sind, um Literatur, Zeitschriften und Handzettel an ihren Bestimmungsort zu befördern. Manchmal werden dann die Sendungen örtlichen Transportunternehmen übergeben, die sie an ihren endgültigen Bestimmungsort bringen. In vielen anderen Fällen richten es die Versammlungen ein, ihre Lieferungen von einem Königreichssaal in der Nähe abzuholen, und entheben damit die Gesellschaft der Verpflichtung, an jede einzelne Versammlung auszuliefern. Lieferungen erfolgen alle zwei Wochen und enthalten jeweils eine Ausgabe der Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet!

Obwohl in den Jahren 1965 und 1966 die Ergebnisse im Predigtwerk gleichblieben, wurde Jehovas Volk in diesen Jahren gestärkt und ermuntert, in der Zukunft die Anstrengungen noch zu vergrößern. Während des Kongresses „Ewige gute Botschaft“, der 1963 rund um die Welt stattfand, hatte es acht unvergleichliche Tage lang wunderbare Segnungen gegeben. Im Juni 1965 fand der Kongreß „Wort der Wahrheit“ im schottischen Rugby-Union-Stadion in Edinburgh statt, der erste internationale Kongreß in Schottland nach dreißig Jahren. Der Eindruck, der in dieser Stadt, die zwanzigmal kleiner als London ist, hinterlassen wurde, war gewaltig. Insgesamt waren 31 501 Personen anwesend. Danach folgten kleinere Kongresse in Cardiff, Leicester und Wembley für diejenigen, die in Edinburgh nicht anwesend sein konnten. Im Jahre 1964 fanden die Bezirkskongresse „Frucht des Geistes“ statt und im Jahre 1966 der Bezirkskongreß „Gottes Söhne der Freiheit“. Aufrüttelnde Vorträge, wichtige Belehrungen, begeisternde Freigaben — all dies trug zu vermehrter geistiger Kraft bei.

SICH NACH DEN DINGEN AUSSTRECKEN, DIE BEVORSTEHEN

So wurde durch die guten Auswirkungen der mit Geist erfüllten Kongresse und der Hirtentätigkeit gewissenhafter Aufseher sehr viel erreicht, was die geistige Auferbauung der Brüder betrifft. Es gab eine allmähliche Tendenz zu leichteren Darbietungen im Haus-zu-Haus-Dienst. Außerdem wiesen die Weltverhältnisse weiter auf das drohende Ende eines gesamten verderbten Systems der Dinge hin. Diese Faktoren haben anscheinend dazu beigetragen, daß sich der Zustand des Königreichswerkes in Großbritannien besserte. Jedenfalls brachte das Jahr 1967 einen Aufschwung.

Die Bezirkskongresse „Eine gute Botschaft für alle Nationen“ im Jahre 1968 waren besonders bemerkenswert wegen der Freigabe des Buches Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt. Dieses kleine Buch in Taschenformat erwies sich als das wirkungsvollste Hilfsmittel für Heimbibelstudien, das es je gegeben hat. Ein Traktat, das diese Publikation herausstellte und eine Reihe gezielter Fragen enthielt, wurde von der Gesellschaft gedruckt. Dieses Jahr brachte eine Höchstzahl von über 50 000 Studien, einen Durchschnitt von 3 881 Pionieren (6 Prozent aller Verkündiger) und eine Zunahme an Verkündigern mit sich; die Höchstzahl war 52 805.

Das Jahr 1969 war ein weiteres Rekordjahr. Anläßlich des internationalen Kongresses „Friede auf Erden“ in Wembley war das Stadion am Sonntag mit einer Zuhörerschaft von 82 416 Personen, die Präsident Knorrs öffentlichem Vortrag „Tausend Jahre Frieden nahen“ gespannt zuhörten, zum Bersten gefüllt. Durch die Massentaufe wurden bei dieser Gelegenheit den Reihen derer, die sich Gott hingegeben haben, 2 215 hinzugefügt; die Gesamtzahl in jenem Jahr belief sich auf 5 563. Die Verkündiger-Höchstzahl stieg auf 58 096.

Seiner Verheißung getreu, hat Jehova wirklich reichen Segen ausgegossen. Jehovas Zeugen stellten fest, daß eines der größten Stadien ihres Landes, das Wembley-Stadion, kaum groß genug für ihren sechstägigen Kongreß gewesen war. Ja, die folgenden abgerundeten Anwesendenzahlen bei Kongressen, die im Laufe der Jahre stattfanden, vermitteln in etwa eine Vorstellung von dieser Entwicklung:

1914 Manchester 200

1941 Leicester 12 000

1947 Earls Court 18 000

1951 Wembley 36 000

1955 Twickenham 42 000

1963 Twickenham 50 000

1969 Wembley 82 000

Im Jahre 1970 spürte man auf dem Gebiet der Produktion einen Druck, denn das zunehmende Verständnis des Wortes der Wahrheit erforderte immer mehr Bibelstudienhilfsmittel, damit den Menschen geholfen werden konnte, die den Weg zur Rettung erkennen und finden wollten. Die Einrichtungen im Hauptsitz in Mill Hill wurden stark beansprucht. Wegen der Einschränkungen durch das Stadtplanungsamt schien keine weitere Ausdehnung der Räumlichkeiten möglich zu sein, und dennoch war in Anbetracht der labilen industriellen Lage und des ungeheuren Appetits der Druckmaschinen, die manchmal Tag und Nacht liefen, ein Papiervorrat für mindestens vier Monate erforderlich. Die britische Lieferfirma des skandinavischen Zeitungspapiers, mit der die Gesellschaft jahrelang Geschäftsbeziehungen hatte, war sehr hilfsbereit und erklärte sich bereit, zusätzliche Vorräte zur Vorsorge in ihrem Lager aufzubewahren.

Anfang 1971 wurde eine neue M.A.N.-Rotationsmaschine in dem neuen Zweiggebäude in der Schweiz aufgestellt. Das Drucken der Zeitschriften in Italienisch und Madagassisch, das bis dahin in London geschehen war, wurde nun an die Schweiz übergeben, so daß es nicht mehr so oft nötig war, im britischen Zweigbüro Nachtschichten einzulegen. Zeitschriften in Kroatisch und Suaheli und der Königreichsdienst in sieben Sprachen wurden weiter in London gedruckt. Von der Abonnementsabteilung aus gingen Zeitschriften an fünfzig Zweige, die die doppelte Anzahl an Ländern und Inseln des Meeres umfassen. Als Sammellieferungen wurden wöchentlich 360 000 Zeitschriften an Versammlungen in Großbritannien und 300 000 an Versammlungen in Übersee verschickt.

Die Bezirkskongresse „Göttliche Herrschaft“, die im Juli 1972 an neun verschiedenen Orten abgehalten wurden, wurden von 91 226 Personen besucht. Das war die höchste Anwesendenzahl, die je bei Kongressen in einem Jahr zu verzeichnen war, wodurch erneut bewiesen wurde, daß „die begehrenswerten Dinge aller Nationen“ weiterhin hereinkommen. — Hagg. 2:7.

Im Laufe der Jahre ist die Bethelfamilie von fünf auf neunundsechzig Glieder angewachsen. Die Versammlungen haben sich seit dem kleinen Anfang um die Jahrhundertwende, als es erst zehn gab, um das Neunzigfache vermehrt. Der Bericht über den Predigtdienst im Jahre 1972 wies eine Höchstzahl von 65 693 Verkündigern auf. Es gab 3 870 Pioniere, und 5 228 Personen wurden im Laufe des Jahres getauft. Das Verhältnis der Verkündiger zur Bevölkerung betrug 1 zu 822. Auf Malta, dem einen Überseegebiet, das noch dem Zweig der Britischen Inseln untersteht, war die Versammlung 1972 siebenmal so groß wie zur Zeit ihrer Gründung, denn es berichteten 54 Verkündiger.

Jehovas Volk in Großbritannien ist mit großer Freude erfüllt, denn Jehova hat so wunderbar seine Verheißungen an ihm erfüllt. Keine Waffe hatte Erfolg — weder Verrat aus den eigenen Reihen noch nachteilige Gesetze, noch nationaler Haß. Alle Geschosse des Feindes sind durch den starken Arm Jehovas umgekehrt worden. Er segnet die Tätigkeit seines Volkes. Es ist bestimmt eine Quelle großen Glückes, als Jehovas eigene Zeugen bekannt zu sein.