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Liberia

Liberia

Liberia

„Die Freiheitsliebe hat uns hierhergebracht.“ Diese Worte sprachen die Siedler, die den Atlantik überquert hatten und am 25. April 1822 auf der kleinen Insel Providence an der Westküste Afrikas gelandet waren. Als tatkräftige freigelassene Sklaven — Pioniere unter der Schirmherrschaft der amerikanischen Kolonisationsgesellschaft — bahnten sie den Weg für die Gründung Liberias (1847), der ersten schwarzen Republik Afrikas. Liberia ist etwa halb so groß wie die Bundesrepublik Deutschland und grenzt an Sierra Leone, Guinea und die Elfenbeinküste.

Das immergrüne Liberia ist hauptsächlich an der Küstenebene gelegen und hat dichte Waldgebiete, in denen Elefanten, Leoparden und das seltene Zwergflußpferd umherstreifen. Es ist ein Kautschukland; gut geführte Plantagen erstrecken sich von einer Grenze zur anderen. In den niedrigen Bergen wird in großem Umfang Bergbau betrieben und mit das ergiebigste Eisenerz der Erde gefördert.

BEFREIENDE WAHRHEIT GELANGT NACH LIBERIA

Bis zum Jahre 1867 — zwanzig Jahre nach der Gründung der Republik — waren insgesamt 13 136 Siedler in Liberia eingewandert, hauptsächlich aus Amerika. Außerhalb der Hauptstadt Monrovia entstanden vom Mano bis zum Cavally an der Küste Siedlungen — Orte wie Robertsport, Marshall, Buchanan, Greenville und Harper im „Maryland Liberias“. In der zuletzt genannten Siedlung, in Harper auf Kap Palmas, wo Afrikas vorspringendes „Kinn“ wieder zurückgeht, wurde um das Jahr 1895 Zions Wacht-Turm und Verkünder der Gegenwart Christi von einer Klasse von Bibelforschern studiert. Das waren die ersten Zusammenkünfte dieser Art in Liberia, ja, soweit bekannt ist, in ganz Westafrika. Zum erstenmal hörten Liberianer die biblische Wahrheit, die Menschen wirklich befreit (Joh. 8:32).

Genau wie und wann die beiden betagten Brüder Henry und Joseph Gibson in den Besitz von Zions Wacht-Turm kamen, ist nicht bekannt. Aber es wurden regelmäßig Heimbibelstudienklassen abgehalten, wie einige von der älteren Generation, unter ihnen auch der verstorbene Präsident der Republik, William V. S. Tubman, bezeugt haben. Er konnte sich erinnern, daß schon Zusammenkünfte stattfanden, als er noch ein kleiner Junge war. Personen, die spöttisch fragten: „Wie lange gibt es denn Zeugen Jehovas in Liberia?“, wurden gewöhnlich zum Schweigen gebracht, wenn sie zur Antwort bekamen: „Der Präsident sagt, daß unsere Zusammenkünfte hier schon vor über 75 Jahren stattfanden.“ Das Abendmahl des Herrn wurde jährlich an dem Abend gefeiert, der dem 14. Nisan des jüdischen Kalenders entsprach. Die Gibsons starben um die Jahrhundertwende, und damit gingen die Klassen offensichtlich zu Ende.

Es verging noch etwa ein Vierteljahrhundert, bis die Botschaft von Jehovas Königreich in Liberia öffentlich verkündigt wurde. Im Jahre 1926 reiste Claude Brown, ein Bibelforscher aus Freetown (Sierra Leone), für einige Wochen nach Monrovia. Er ebnete den Weg für den Besuch von W. R. Brown, auch „Bibel-Brown“ genannt, der aus dem westafrikanischen Zweigbüro der Watch Tower Society kam. Drei Wochen lang sprach W. R. Brown, ein mutiger Verfechter des Königreiches Jehovas, jeden Abend im Saal des Unterhauses in Monrovia und verbreitete auch viele Bücher. Große Menschenmengen, darunter die meisten prominenten Persönlichkeiten, strömten herbei, um den packend dargelegten dramatischen Offenbarungen der Wahrheit zuzuhören.

Viele Mitglieder der christlichen Kirchen waren von den Vorträgen „Bibel-Browns“, der ihre Religionssysteme bis zu den Wurzeln bloßstellte und erschütterte, tief beeindruckt. Seine Vorträge waren damals das Tagesgespräch, und die älteren Leute sprechen noch heute davon — fünfzig Jahre später! Vor seiner Abreise organisierte Bruder Brown eine Bibelklasse, der ein Mr. Faulkner vorstand, ein Mann, der zweimal Präsidentschaftskandidat gewesen war. Ein treues Glied dieser Klasse war J. G. Hansford, ein Liberianer, der „Bibel-Brown“ von Freetown aus begleitet hatte. Gelegentlich wurden die Studien sogar von Geistlichen besucht.

WIDERSTAND

Als „Bibel-Brown“ im Jahre 1929 nach Monrovia zurückkehrte, stieß er auf heftigen religiösen Widerstand. Anfang der 1920er Jahre hatten prominente liberianische Frauen die gefühlsbetonten Lehren von Mrs. January, einer Evangelistin der Pfingstgemeinde, angenommen. Besonders diese Frauen übten auf Personen in den höchsten Regierungskreisen Druck aus. Sie beschwerten sich, Brown würde durch sein Predigen ihre Kirche niederreißen. Nachdem „Bibel-Brown“ bei diesem Besuch nur einen Vortrag gehalten hatte, wurde ihm eine Aufenthaltserlaubnis verweigert, und er war gezwungen, das Land nach nur einer Woche wieder zu verlassen. Darauf wandte er sich noch fruchtbareren Gebieten in anderen Teilen Afrikas zu.

Die Bibelklasse blieb jedoch bestehen, und sie wurde später von einem Zeugen aus Sierra Leone geleitet. Anfang der 1930er Jahre herrschten kritische wirtschaftliche Verhältnisse, und einige sahen die Predigttätigkeit dieses Bruders als regierungsfeindlich an. Die Folge war, daß er zur Grenze gebracht und des Landes verwiesen wurde. Einschüchterung dämpfte den Eifer der anderen, und die Bibelklasse löste sich auf.

EIN GEISTIGER AUFSCHWUNG BEGINNT

Einen dringend benötigten wirtschaftlichen Aufschwung erlebte Liberia durch die Firestone Company, die im Jahre 1926 begonnen hatte, Kautschuk anzubauen. Sieben Jahre später hatte sie bereits über 22 000 Hektar bebaut. Aber erst die 1940er Jahre erwiesen sich für Liberia sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht als wirklich ereignisreich. Der Zweite Weltkrieg brachte Liberia sozusagen „auf die Landkarte“, denn die Alliierten brauchten einen Luftstützpunkt in Westafrika, und man wählte zu diesem Zweck Roberts Field in der Nähe von Harbel aus. Bald wimmelte es in Liberia von amerikanischen Soldaten, die Geld brachten und westliche Bräuche einführten. Sogar der amerikanische Präsident Roosevelt kam kurz zu Besuch. Schließlich kamen unter dem Leih-Pacht-Gesetz Geldmittel ins Land, so daß Monrovia einen modernen Hafen, eine gepflasterte Straße und Brücken sowie die erste Eisenbahn des Landes erhalten konnte.

Bedeutende Finanziers erfuhren nun, daß Liberia hochprozentiges Eisenerz produzieren konnte. Andere Kautschukgesellschaften hielten es für günstiger, Plantagen in einem Land anzulegen, das dem Westen freundlich gesinnt und das vom Atlantischen Ozean her zugänglich war, als sich auf Plantagen im Fernen Osten zu verlassen. So begann nach dem Krieg ein wirtschaftlicher Aufschwung, wie es ihn in der Geschichte Liberias noch nie gegeben hatte. Nicht nur der Lebensstandard im allgemeinen wurde gehoben, sondern die Regierung hatte jetzt auch die dringend benötigten Mittel zur Verfügung, um das Bildungswesen und den Straßenbau zu fördern.

Durch Gottes Fürsorge begann im Jahre 1946 auch ein geistiger Aufschwung. In jenem Jahr traf Harry C. Behannan ein, ein Missionar, der die dritte Klasse der Wachtturm-Bibelschule Gilead besucht hatte. Bruder Behannan war ein begabter schwarzer Musiker, der in ganz Europa Klavierkonzerte gegeben hatte, sogar vor Mitgliedern von Königshäusern. Er hatte einen bemerkenswerten Eifer für den Dienst Gottes, einen Eifer, der mit seiner Salbung zu einem Glied der „kleinen Herde“ des Herrn in Übereinstimmung war (Luk. 12:32). Als ein echter Pionier kam er allein nach Monrovia. Bruder Behannan ging sogleich ans Werk und fing an, von Haus zu Haus zu predigen. In der kurzen Zeit von sechs Monaten schloß er viele Freundschaften und gab über 500 Bücher ab. Um die Wahrheit auch in anderen Teilen des Landes zu verbreiten, fuhr er in einem offenen Brandungsboot nach Greenville im Verwaltungsbezirk Sinoe, 240 Kilometer von Monrovia entfernt.

Doch leider sollte der reichliche Same, den dieser liebevolle Bruder ausgestreut und bewässert hatte, nicht unter seiner Fürsorge reifen. Nach seiner Rückkehr aus Greenville wurde Bruder Behannan krank und starb im Krankenhaus. Anscheinend war er das Opfer eines tropischen Fiebers geworden. Bei seiner Beerdigung waren unter vielen anderen auch Angehörige der amerikanischen Botschaft zugegen. Ein liberianischer Herr sagte über Bruder Behannan: „Er trat auf wie ein Mann mit einem großen Vorhaben.“ Dieses Vorhaben sollte nicht scheitern.

MISSIONARE FESTIGEN DAS WERK

Im Mai 1947 ging ein Schiff vor der Küste vor Anker, und zwei auf Gilead ausgebildete Missionare, George und Willa Mae Watkins, wurden mit dem Brandungsboot in ihr zugeteiltes Gebiet nach Monrovia gebracht. Damit begann für dieses Ehepaar, das in den Vierzigern war, ein neues Leben, ein Leben, das Anpassungsfähigkeit und Ausdauer erforderte. Glücklicherweise hatte Bruder Watkins, ein ehemaliger Amateurboxer, einen kräftigen Körperbau. Nachdem die beiden eine Woche in einem Hotel gewohnt hatten, zogen sie in ein unmöbliertes Zimmer, in dem ihnen der Fußboden als Bett diente bis der Bruder ein Bett und andere Möbel anfertigen konnte.

In dem Haus gab es auch keine Wasserleitung. Das Wasser mußte mit Eimern aus einem Brunnen geholt und dann fünfzehn Minuten lang gekocht werden, damit man es ungefährdet trinken konnte. Nahrungsmittel mußten vor Ameisen geschützt werden, die Ruhr übertragen konnten. Und der Herd? Er bestand aus drei Steinen, auf denen ein Eisenkessel stand. Er wurde mit Brennholz geheizt.

Mit Hilfe von Moskitonetzen und bitteren Atebrintabletten schützten sie sich vor Malaria. Die Missionare mußten sich auch mit einem anderen Feind befassen, denn als sie nach einiger Zeit einen Lederkoffer öffneten, merkten sie, daß sein Boden und auch sein Inhalt von „Bug-a-bugs“, weißen Termiten, verzehrt worden waren.

Bruder und Schwester Watkins stellten fest, daß in Liberia zwei verschiedene Kulturen nebeneinander existierten. Die meisten Bewohner des Landes gehörten den mehr als zwanzig Stämmen an und sprachen genauso viele verschiedene Sprachen und Dialekte. Sie wurden nach dem einheimischen Gewohnheitsrecht von Kommissaren und Stammeshäuptlingen regiert. Die Nachkommen der ersten Einwanderer dagegen behielten ihre westlichen Bräuche bei, die dann von immer mehr Eingeborenen angenommen wurden, die im westliche Lebensstil ausgebildet wurden. Obwohl Englisch die Amtssprache war, sprachen viele Eingeborene in Monrovia damals nur sehr schlecht Englisch, und die meisten waren Analphabeten.

Im allgemeinen war der Wissensdurst groß, und die Missionare gaben in den ersten fünfzehn Monaten über 1 000 unserer Bücher ab. Doch viele Gebildete waren nicht bereit, eine „neue Religion“ anzunehmen.“ Sie sagten: „Was für meinen Vater gut genug war, ist auch für mich gut genug.“ Das größte Interesse bekundeten gewöhnlich diejenigen, die nur einen geringen Wortschatz hatten und nicht lesen konnten. Eine große Hilfe für diese wahrheitsliebenden Menschen waren die Illustrationen in dem Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“.

Die „Wohnungen“ vieler Personen bestanden lediglich aus einzelnen kleinen, abgeteilten Räumen in einem großen Haus, in dem es vom Keller bis zum Dachboden zwanzig oder mehr solche Räume gab. Für viele waren diese „Zellen“ lediglich Schlafgelegenheiten. Dadurch hatten es die Zeugen schwer, Interessierte bei Rückbesuchen wiederzufinden. Und wie oft die Leute von einem Ort zum andern zogen! Warum? Weil sie keine Arbeit hatten oder eine bessere Unterkunft suchten.

Trotz dieser Hindernisse wurden bald auf J. G. Hansfords Veranda Zusammenkünfte organisiert. Er hatte die Wahrheit zwanzig Jahre zuvor durch W. R. Brown kennengelernt. Viele wirklich sanftmütige Personen begannen die Zusammenkünfte zu besuchen. Man kann nur ahnen, wieviel Geduld und Mühe aufgewandt wurden, bis sich im September 1948 eine Höchstzahl von 15 Personen am Königreichsdienst beteiligte. In jenem Monat wurde die erste Versammlung der Zeugen Jehovas in Liberia gegründet. Damals nahm Leticia Martin als erste Liberianerin die biblische Wahrheit an und begann die gute Botschaft zu predigen. Im Jahre 1949 wurde sie der erste liberianische Pionier oder Vollzeitkönigreichsverkündiger.

ERNSTHAFTE BEMÜHUNGEN TRAGEN ZUR MEHRUNG BEI

Im Mai 1949 traf ein zweites Missionarehepaar ein, Frank und Taretha Faust. Damals lag das Missionarheim an einer geschäftigen Hauptverkehrsstraße, der Camp Johnson Road. Man stellte ein elektrisch beleuchtetes Schild auf, um das Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ anzubieten. Dieses Schild zog unter anderem die Aufmerksamkeit eines jungen Mannes namens Frank Powell auf sich. Dieser erklärte einem Missionar: „Das ist die Kirche meines Vaters.“ Sein Vater, ein gesalbter Nachfolger Jesu Christi, war auf Jamaika vierzig Jahre lang ein Zeuge gewesen, und Frank hatte in seiner Kindheit einige Zusammenkünfte besucht. Jetzt nahm er die Gemeinschaft mit Gottes Volk wieder auf und fing an, sich am Predigtwerk zu beteiligen. Im Jahre 1951 besuchte er als einziger liberianischer Delegierter den christlichen Kongreß im Wembley-Stadion in London, wo er zum Zeichen seiner Hingabe an Jehova Gott getauft wurde. Die „Kirche“ seines Vaters war jetzt auch seine „Kirche“.

Der Titel des Buches, das auf dem Schild angeboten wurde, beeindruckte auch Frank Songor, einen Angehörigen der Kissi aus Guinea. Er fragte einen Missionar eingehend nach der Wahrheit, die frei macht, und es wurde ein Bibelstudium mit ihm eingerichtet. Die Wahrheit gefiel Songor sehr. Im Laufe der Zeit starb eine seiner drei Frauen. Doch welche von den zwei übrigen sollte er zu seiner einzigen Frau erwählen? Als er ihnen die Situation erklärte und sagte, daß er nach der Bibel nur eine Frau haben könne, sagte eine der Frauen prompt, sie wolle kein Christ werden und ziehe es vor, in ihr Land zurückzukehren. Die andere aber, Alberta, sagte, sie wolle zu ihm halten, wohin er auch immer gehe.

Das gefiel Frank; und so blieb Alberta als seine einzige Frau bei ihm, obwohl sie von einem anderen Stamm kam — von den Mano. Doch nun war die Frage: Würde sie ein wahrer Christ werden? Sie schien außerordentlich furchtsam zu sein. Jedesmal, wenn Bruder Watkins die beiden besuchte, versteckte sie sich vor ihm. Warum? Nun, ihr Mann schuldete dem Missionar einen kleinen Geldbetrag, und Alberta hatte Angst, daß Bruder Watkins kam, um sie als Pfand mitzunehmen, bis die Schulden bezahlt waren.

Im Laufe der Zeit wurde Alberta tatsächlich ein guter Zeuge Jehovas, und sie beherrschte sowohl die englische Sprache als auch Kissi. Ja, sie ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, was die Wahrheit bei jemandem bewirken kann, der loyal ist.

Eines Tages kam ein junger Bruder namens Isaac, ein Analphabet, in das Missionarheim. Er hatte einem Angehörigen der Armee gepredigt, der ihm gut zugehört und darum gebeten hatte, von jemandem besucht zu werden, der lesen könne. Isaac traf Schwester Faust zu Hause an und nahm sie zu Major A. G. L. Williams, dem Musikmeister des liberianischen Grenzschutzes, mit. Williams stammte von den Westindischen Inseln und hatte eine lange Karriere als Berufssoldat hinter sich. Er war jetzt Mitte Sechzig. Der Religion nach war er katholisch. In Wirklichkeit glaubte er jedoch an die Macht von „Medizinen“, die ihm zum Schutz und zum Erfolg gereichen sollten.

Schwester Faust erkannte sogleich, daß dieser Mann nach der Wahrheit suchte. Es folgten regelmäßige Besuche, und dann explodierte die Bombe: Durch 5. Mose 18:10-12 wurde das Vertrauen auf dämonische „Medizinen“ bloßgestellt. Dieser Ausspruch Gottes erschütterte Williams zutiefst. Er beseitigte sogleich sämtliche „Medizinen“ und setzte seinen Glauben auf Jehova.

Nachdem er aus dem Militärdienst ausgeschieden war, vertauschte er den Titel „Major“ mit „Bruder“ und nahm mit Eifer den Königreichsdienst auf. Er predigte vielen hochgestellten Persönlichkeiten. Später wurde er gebrechlich und konnte nicht mehr aus dem Haus gehen, aber er hatte ständig Besuch, und so verbrachte er viele Stunden damit, Menschen zu belehren und Bibelstudien zu leiten. Wenn einmal niemand zu Besuch war, ging er ans Tor und sprach Passanten an, um ihnen die gute Botschaft zu verkündigen. Dieser hochgeachtete und freundliche alte Herr, der nun ein guter Soldat Christi Jesu geworden war, ließ in seinem Eifer nicht nach, bis er im Jahre 1963 starb.

Der fünfte Missionar, der sich der Gruppe anschloß, war Hoyle Ervin, der im Januar 1950 eintraf. Er studierte mit zwei Männern zusammen, mit Spencer Thomas und Lichfield Remmie, die später Gottes Volk wertvolle Dienste leisteten. Anfänglich blieben ihre Frauen dem Studium fern, obwohl sich Bruder Ervin darum bemühte, daß sie sich am Studium beteiligten. Schließlich versuchte er zu ergründen, weshalb Mrs. Remmie nicht am Studium teilnahm, und fragte ganz unschuldig: „Sind Sie Analphabet?“ Was? Das war ja die Höhe! Sie würde ihm schon zeigen, daß sie eine gute Bildung hatte. So schloß sie sich der Studiengruppe an — und lernte die Wahrheit kennen. Mrs. Thomas nahm dann ebenfalls teil, und beide Frauen wurden im darauffolgenden Jahr getauft. Als eifrige Pioniere haben Winifred Remmie und Olive Thomas vielen anderen geholfen, die Wahrheit kennenzulernen.

Im Jahre 1950 schlossen sich zwei weitere Missionare, Bruder Cyr und Bruder Mroz, der Gruppe vorübergehend an, bis sie nach Ostafrika gesandt wurden. Im Mai wurde ein geräumigeres Haus in Monrovia, Johnson Street 17 bezogen, und die Fausts reisten mit dem Schiff in ihre neue Zuteilung nach Harper auf Kap Palmas. Inzwischen waren nun drei Jahre vergangen, seit Bruder und Schwester Watkins in diesem „Land der Freiheit“ eingetroffen waren, und es hatte sich ein Kern von 28 Verkündigern und 8 Pionieren gebildet, die regelmäßig die gute Botschaft verkündeten. Doch welche Früchte würde der Dienst für Jehova in den 1950er Jahren hervorbringen, die damals gerade begannen?

NACH FÜNFZIG JAHREN WIEDER IN HARPER

Etwa fünfzig Jahre waren vergangen, seit die Wacht-Turm-Studienklassen in Harper durch den Tod der beiden Gibsons unterbrochen worden waren. Jetzt fanden die Fausts hier, auf dem malerischen, von Palmen umsäumten Kap Palmas, das in den Atlantik hinausragt, ein gutes Echo. Nach nur vier Monaten berichteten bereits zehn Verkündiger über ihren Predigtdienst.

Trotzdem stießen die Missionare auf Widerstand von seiten der „Propheten“. Diese religiösen Fanatiker kleideten sich mehrmals in der Woche in weiße Gewänder und marschierten mit Laternen durch die Straßen. Sie sangen, schrien, schlugen die Trommel und hielten hin und wieder inne, um eine Art Schleiftanz zu tanzen. Sie glaubten fest an „Wunderheilungen“. Als einer der Missionare krank wurde und in ein Krankenhaus gehen mußte, umringten die „Propheten“ das Missionarheim und höhnten: „Diener Gottes werden krank und gehen ins Krankenhaus? Ihr nicht Diener Gottes, ihr falsche Propheten!“ In den darauffolgenden Wochen kamen diese Anhänger der falschen Religion mitten in der Nacht zum Missionarheim und machten leise seltsame „Mätzchen“ und Bewegungen, zweifellos in der Absicht, die Missionare durch einen Zauber fortzutreiben.

Doch die Fausts blieben, und eines Tages nahm der Anführer dieser Fanatiker einige Wachtturm-Schriften entgegen. Nach einem Gespräch mit einem Missionar erklärte dieser Führer seinen Anhängern, es sei nicht mehr nötig, die Schuhe auszuziehen, bevor sie den „heiligen Boden“ der Kirche beträten. Durch ein Bibelstudium wurde dieser Mann davon überzeugt, daß viele seiner Vorstellungen „Lehren von Dämonen“ waren und daß der wahre Gott Jehova ist, dessen Name nicht ignoriert werden darf (1. Tim. 4:1). Das veranlaßte den Mann, den Namen seiner Kirche von „Kirche des Herrn“ in „Jehovas Stiftshütte“ zu ändern. Als der „Hauptapostel“ dieser Gruppe in Monrovia davon erfuhr, kam er sofort herbeigeeilt und brachte seinen abtrünnigen Jünger vor Gericht, weil er den Namen der Kirche geändert hatte. Durch den darauf folgenden Streit wurde die Gemeinde gespalten. Obwohl der Ortsführer den Prozeß gewann, erkannte er aufgrund weiterer Gespräche und weiteren Studiums, daß seine Kirche nicht „Jehovas Stiftshütte“ war. Und so nahm er das Schild wieder ab.

Eines Tages prangerte er dann vor seiner aufgeregten Gemeinde seine falsche Religion an und erklärte, er habe das wahre Volk Jehovas gefunden. Darauf begleitete er die Zeugen in ihren Predigtdienst von Haus zu Haus und erklärte vielen Menschen, wie er die Wahrheit gefunden hatte. Wieder wurde er von seinem ehemaligen geistlichen Führer vor Gericht gebracht, diesmal, weil er den Glauben der „Propheten“ denunziert und die Mitglieder dieser Kirche abspenstig gemacht habe. Der Richter fragte den Angeklagten, warum er seine Religion gewechselt habe, und dieser antwortete: „Ich war blind, jetzt aber sehe ich.“ Nachdem allen ein wirkungsvolles Zeugnis gegeben worden war, wurde die Klage abgewiesen. Dieser Bruder, Wilmot Bright, diente danach in Harper als Königreichsverkündiger.

Im Jahre 1951 zogen die Remmies von Monrovia nach Harper und waren der neuen Versammlung dort eine große Hilfe. Eine Zeitlang war Schwester Faust in einem Privatkrankenhaus in dem 30 Kilometer entfernten Pleebo. Dort studierte sie mit William David die Bibel, und bald lernten auch einige seiner Angehörigen die Wahrheit kennen. Unter ihnen befanden sich drei ältere Frauen, Analphabetinnen, die schließlich Schwestern wurden. Schwester Blondie, Schwester Tardie und Schwester Kardie, die die Wahrheit begeistert in Grebo, ihrer Eingeborenensprache, predigten, waren bald überall in Pleebo bekannt.

Damals begann Frank Williams, ein weiterer Angehöriger dieser Familie, zu studieren. Er besuchte später als erster eingeborener Liberianer die Gileadschule. Die Abschlußfeier seiner Klasse fand im Yankee-Stadion in New York anläßlich des internationalen Kongresses „Göttlicher Wille“ im Jahre 1958 statt. Ein anderer Verwandter, der zu studieren begann, war Jacob Wah, der klein von Gestalt war, aber ein großes Wissen und eine hervorragende Redefähigkeit besaß.

Im Jahre 1952 kehrte ein Liberianer namens Theodore Y. Morgan von der Goldküste (Ghana) in seine Heimat zurück und diente als Pionier in der Versammlung auf Kap Palmas. Bruder Morgan, dessen Eltern dem Stamm der Grebo angehörten, wurde im Jahre 1895 geboren, als dieser Stamm gerade beschlossen hatte, gegen die Siedler auf dem Kap Krieg zu führen. Daher wurde der Junge Yedato genannt. Das bedeutet: „Es werde Krieg!“ Doch jetzt verbrauchte Yedato seine Kräfte in einem geistigen Kriegszug.

Im August 1952 dienten zwanzig Verkündiger in der Gegend von Kap Palmas zusammen mit vier Pionieren. Mit der Zeit wurde in Harper ein großer Königreichssaal gebaut, und in Pleebo wurde eine Versammlung gegründet. Wenn die Älteren auf dem Kap an diese Zeit zurückdenken, können sie wirklich sagen: „Der Wachtturm war schon hier, als ich kam, und wie es aussieht, wird er noch hier sein, wenn ich nicht mehr da bin!“

Im November 1952 wurde ein Meilenstein in der Entwicklung des Königreichswerkes hier erreicht. Die beiden kleinen Versammlungen kamen zum ersten Landeskongreß Liberias zusammen; die Delegierten aus Kap Palmas machten eine Seereise von mehreren hundert Kilometern. Es herrschte eine Begeisterung und Freude ohnegleichen, während alle dem Besuch von zwei Brüdern aus dem Brooklyner Bethel — N. H. Knorr und M. G. Henschel — erwartungsvoll entgegensahen.

ZWEIGBÜRO GEGRÜNDET

Im schönsten Saal Monrovias, im Jahrhundertpavillon, kamen 400 Personen zusammen, um Bruder Knorrs öffentlichen Vortrag zu hören: „Es ist Zeit, Gottes Weg zu betrachten“. Es herrschte allgemein Übereinstimmung darüber, daß das Königreichspredigtwerk erst begann, denn das gesamte Landesinnere von Liberia war praktisch noch unberührt. Damit die zukünftige Ausdehnung besser beaufsichtigt werden konnte, wurde ein Zweigbüro gegründet, und einer der Missionare wurde als Zweigaufseher eingesetzt.

Das Missionarheim in Monrovia, Johnson Street 17 war ein kleines Haus mit Wellblechdach. Doch im Februar 1953 fing man an, ein neues Haus zu bauen, und im Oktober war es fertig. Im Königreichssaal fanden 150 Personen bequem Platz, und das Missionarheim hatte drei Schlafzimmer. Die moderne Gestaltung des Gebäudes gab zu vielen günstigen Kommentaren Anlaß. Nun wurden die Zusammenkünfte von viel mehr Personen besucht als früher, und es herrschte allgemein die Ansicht: „Jehovas Zeugen sind hier, um zu bleiben.“

INS LANDESINNERE

Ende Mai 1953 kamen John und Michael Charuk aus Sierra Leone. Sie waren leibliche Brüder, von „einer Ma und einem Pa“, wie ein Liberianer sagen würde. Diese beiden Missionare, die Anfang Dreißig waren und ursprünglich aus Westkanada stammten, hatten bereits vier Jahre in Afrika gedient, drei davon als Bezirksaufseher und Missionare in Nigeria. Sie hatten großes Wissen und praktische Erfahrung in bezug auf die Probleme, die für Westafrika typisch sind. Da nun vier Missionare in der kleinen Unterkunft zusammengezwängt waren, suchte John Charuk nach einem neuen Heim in Kakata.

Nachdem sich John Charuk in Kakata niedergelassen hatte, besuchte er den betagten Thomas Holman in Salala und verbrachte später jeden Monat ein paar Tage bei ihm. Beim zweiten Besuch brachte dieser schafähnliche Mann seinen Entschluß zum Ausdruck, ein Zeuge zu werden, und nahm die notwendigen Änderungen in seinen Eheangelegenheiten vor. Thomas Holman, der im darauffolgenden April getauft wurde, war der erste Zeuge im Gebiet von Kakata und Salala.

Anfang 1954 wurde eine Wohnung in Kakata gemietet. Sie diente als Missionarheim, und Michael Charuk schloß sich dort seinem Bruder an. Die Brüder gingen enorme Strecken zu Fuß, um die schafähnlichen Menschen zu erreichen und eine Gruppe aufzubauen. Michael Charuk fand einige wirklich interessierte junge Männer in Nyehn, vier Stunden Fußweg entfernt. Eine Zeitlang besuchte er sie zweimal in der Woche. Das bedeutete, daß er in aller Frühe von zu Hause fortgehen mußte, damit er noch am gleichen Tag zurückkehren konnte, natürlich alles zu Fuß. Diese Männer schätzten die Anstrengungen, die unternommen wurden, um ihnen zu helfen. Schließlich wurden William Bonney, William Morris und James Mally Königreichsverkündiger.

Ende September berichteten sieben Königreichsverkündiger in diesem ausgedehnten Gebiet, und im Februar 1955 wurde eine Versammlung gegründet. Und wie reagierten die Leute im Gebiet von Kakata auf die gute Botschaft? Nun, beachte bitte folgende Erfahrung: Nachdem ein Missionar ein Bibelstudium mit einer Gruppe interessierter Personen beendet hatte, fragte man ihn, wann er die Straße weiter hinabginge; die Leute dort würden auf Jehovas Zeugen warten. In der nächsten Woche nahm er sich dann vor, einige von ihnen aufzusuchen. In einem Haus wurde er hereingebeten, aber dann freundlich getadelt: „Wir haben uns schon gefragt, ob Sie wohl noch kommen und mit uns studieren. Warum haben Sie uns das angetan und uns so lange warten lassen?“ Die Leute nahmen Literatur entgegen, und auf der Stelle wurde ein Bibelstudium eingerichtet. In einem anderen Haus wurde der Bruder von einer Frau mit den Worten begrüßt: „Endlich kommen Sie auch einmal zu uns!“ Aus Wertschätzung für die Königreichsbotschaft lud sie ihn zum Mittagessen ein. Am nächsten Tag freute er sich, eine Dame sagen zu hören: „Sie sind für mich kein Fremder. Ich kenne Ihr Werk, und wir haben Sie erwartet.“ Die ganze Familie setzte sich zusammen, um dem biblischen Gespräch zuzuhören. Sie bat auch darum, regelmäßig besucht zu werden, damit sie aus Gottes Wort belehrt würde.

DIE WAHRHEIT RÜTTELT HARBEL AUF

Im Mai 1953 zog Frank Songor, der zum Stamm der Kissi gehörte und inzwischen Pionier geworden war, von Monrovia weg, um seinen Beruf als Klempner vorübergehend in Roberts Field auszuüben, in der Nähe der großen Firestone-Plantage, auf der über 30 000 Arbeiter beschäftigt waren. Am darauffolgenden Sonntag trieb ihn Jehovas Geist an, in einem der Arbeiterlager Zeugnis zu geben. Auf dem Weg traf er einen Mann von seinem eigenen Stamm, der gerade zur Kirche ging, und er unterhielt sich mit ihm über Jehovas Vorhaben und das neue System der Dinge. Dort unter den Kautschukbäumen nahm die Versammlung Harbel ihren Anfang. Dieser Mann, Bayo Gbondo, nahm die Wahrheit an und bat um ein Studium. Nach dem ersten Studium ging er nicht mehr zur Kirche. Nach dem zweiten Studium schickte er zwei seiner drei Frauen fort und legalisierte seine Ehe mit der übriggebliebenen Frau. Darauf begann er, Gottes Wort mit Ernst und Eifer zu predigen.

Frank Songor stellte fest, daß das Interesse an der Königreichsbotschaft gewaltig war. Jeden Tag ging er nach der Arbeit in die Lager, um Zeugnis zu geben und Bibelstudien zu leiten. Diejenigen, die die gute Botschaft liebten, hatten den Wunsch, zusammen mit Bruder Songor die gute Botschaft von Ort zu Ort zu verkündigen, und schon bald hatten sich ihm zehn Personen angeschlossen. Das plötzliche Auftreten der kleinen Gruppe regte viele weitere Personen an, zu kommen und zuzuhören. Wie sehr sie doch die Botschaft liebten! Und mit welchem Eifer sie darüber sprachen! Ihre Fetische, Amulette und „Medizinen“, denen sie einst vertrauten, landeten auf dem Misthaufen oder im Feuer.

Viele unterwarfen sich den hohen Maßstäben der Bibel, als sie verstanden, daß Polygamie, Hurerei und Ehebruch von Jehova nicht gutgeheißen und durch seinen Krieg von Harmagedon ausgemerzt werden (Offb. 16:14-16). Obwohl die Stammesgesetze die Polygamie gestatteten und Hurerei duldeten, befreite die Wahrheit wie reines Wasser diese schafähnlichen Menschen von Befleckung, und sie wurden mit Mut und Dankbarkeit erfüllt. Sie gaben sich nicht damit zufrieden, nur ein- oder zweimal in der Woche der Wahrheit zuzuhören. Sie wollten täglich belehrt werden und sprachen auch mit anderen über das, was sie gelernt hatten.

Als Frank Songor wieder wegzog, nahm sich Bayo Gbondo der Interessierten an. Sie machten sich selbst mit den Grundsätzen und Methoden der Organisation Gottes vertraut und setzten sie in die Tat um. Sie bauten Bänke aus Bambus und hielten Zusammenkünfte unter den Kautschukbäumen ab. Noch keine sechs Monate nachdem Frank Songor dort angefangen hatte zu arbeiten, eigneten sich 18 Personen dafür, am Predigtdienst teilzunehmen, und 60 besuchten die Zusammenkünfte. Diese Zusammenkünfte liefen ordentlich ab und waren von einem Geist des Friedens und der Freude gekennzeichnet, der noch weitere anzog, die von der Macht des Christentums, das Angehörige verschiedener Stämme vereinen kann, beeindruckt waren.

Das Analphabetentum und die Unmoral waren die beiden großen Probleme, die in Harbel ebenso wie in den meisten anderen Städten im Landesinneren überwunden werden mußten. Doch im Laufe der Zeit beherrschten sogar die Analphabeten zusammenhängende biblische Zeugnisse. Sie lernten zunächst Schrifttexte auswendig und wiederholten sie, während sie auf die entsprechenden Worte in der englischen Bibel zeigten. Viele Wohnungsinhaber waren überrascht, ungebildete Eingeborenenfrauen auf diese Weise predigen zu hören. Der Fetischismus und die falschen Lehren der Christenheit wurden erschüttert. An ihrer Stelle erhob sich der Name und Ruhm des wahren Gottes, Jehovas. Da die Firestone-Plantage ein Anziehungspunkt für Arbeiter aus dem ganzen Land war und diese zusammen mit ihren Angehörigen ständig in ihre Eingeborenendörfer reisten, waren Jehovas Zeugen und ihre Predigttätigkeit bei Firestone bald im ganzen Land bekannt.

Im Juni 1954 wurden die 31 Verkündiger zur Versammlung Harbel organisiert, und sechs Monate später war sie die größte Versammlung im ganzen Land. Da die meisten Verkündiger täglich Zeugnis gaben, erreichten sie im ersten Jahr des Bestehens der Versammlung durchschnittlich 39,9 Stunden Predigtdienst im Monat.

NEUE-WELT-GESELLSCHAFT-KONGRESS

Fünf Delegierten aus Liberia war es möglich, den Neue-Welt-Gesellschaft-Kongreß zu besuchen, der im Jahre 1953 im New Yorker Yankee-Stadion stattfand. Darunter war Bernice Clement, unsere erste in Afrika geborene Delegierte. Das einzige Problem war ihr neugeborenes Baby. Doch dieses Problem wurde überwunden, indem sie es einfach mitnahm. Was diese Schwester auf dem Kongreß hörte, begeisterte sie so sehr, daß sie sich entschloß, Pionier zu werden, und zwei Jahre später konnte sie diesen Wunsch verwirklichen. Wie war das möglich, da sie doch sieben Kinder hatte und von ihrem Mann keine Unterstützung erwarten konnte? Sie sorgte für ihre Familie, indem sie Brot und Kuchen backte und verkaufte. Sie knetete den Teig am Abend und stand morgens um 4 Uhr auf, um zu backen und zu kochen. Um 13 Uhr war sie dann mit allem fertig und war nun frei, die gute Botschaft zu verkündigen.

Die Zeitungen in Monrovia enthielten lange Berichte über den Kongreß in New York. Interessierte Personen waren beeindruckt, als sie das Bild der liberianischen Delegierten sahen, das im Kongreßbericht erschien. Bei unserem eigenen Kongreß im November, der im neueingeweihten Königreichssaal stattfand, wurde etwas von dem Geist dieses großen Kongresses vermittelt, als die Tonbandaufnahmen der Vorträge abgespielt wurden. Zum öffentlichen Vortrag kamen 115 Personen. Der Kongreß und der fertiggestellte Königreichssaal brachten Jehovas Organisation in Liberia neues Ansehen ein.

SINOE HÖRT DIE GUTE BOTSCHAFT

Frank und Taretha Faust erhielten nach ihrer Rückkehr von dem Kongreß in New York im Jahre 1953 eine neue Missionarzuteilung, und zwar Greenville im Verwaltungsbezirk Sinoe. Greenville stellte sich als ein fruchtbares Gebiet heraus. Doch viele der Interessierten hatten eine lange Arbeitszeit und wollten abends nicht noch weite Wege zurücklegen. Außerdem konnten die meisten von ihnen nur wenig oder gar nicht lesen. Wie konnte ihnen nur geholfen werden, schneller Fortschritte zu machen?

Man machte den Vorschlag, frühmorgens zu studieren. Die Interessierten waren damit einverstanden. Und so kamen jeden Morgen Punkt 6 Uhr durchschnittlich 15 Personen in das Missionarheim, um die Bibel zu studieren, bevor sie zur Arbeit fuhren. Das trug dazu bei, daß die Interessierten gestärkt wurden und besser lesen lernten.

Im Juni 1954 wurde die Gruppe von 12 Verkündigern in Greenville als vierte Versammlung in Liberia organisiert. Wie sehr das Interesse in diesem Land wuchs, geht aus dem Bericht über die Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl im Jahre 1954 hervor. Es waren 240 Personen zugegen, während es 1953 nur 118 gewesen waren.

Nebenbei bemerkt, war das Missionarheim in Greenville ein kleines Haus, das auf Steinsäulen stand und dessen Wände mit Blechplatten abgedeckt waren. Manchmal hörten die Missionare etwas durch die Wände des Hauses rutschen. Später entdeckten sie, daß sich eine große Schlange mit ihnen auf eine friedliche Koexistenz unter einem gemeinsamen Dach eingelassen hatte.

„DIE NEUE-WELT-GESELLSCHAFT IN TÄTIGKEIT“

Was den Menschen in Liberia wirklich half, Jehovas Organisation schätzenzulernen, war der Film der Wachtturm-Gesellschaft mit dem Thema: „Die Neue-Welt-Gesellschaft in Tätigkeit“. Dieser Film, in dem die Tätigkeit im Hauptbüro der Zeugen Jehovas und an anderen Orten gezeigt wurde, wurde zum erstenmal im Jahre 1954 vorgeführt.

In Greenville kamen an einem Donnerstagabend 400 Personen, um sich den Film anzusehen. „Dieser Film war zu gut, um nur einmal gezeigt zu werden“, sagten anschließend viele Leute. Am Samstagabend, als der Kreisaufseher privat studierte, klopfte es plötzlich an seiner Tür. „Sie müssen kommen und den Film zeigen. Die Leute warten schon alle. Wir haben alles organisiert. Bitte, kommen Sie!“ Bei seiner Ankunft sah er über 500 Personen vor dem Saal warten. Diesmal schätzten sie den Film sogar noch mehr als das erstemal. „Diese Leute [auf der Leinwand] spielen nicht, sie arbeiten“ war immer wieder zu hören. Ein geachteter Mann und seine Familie nahmen sich das zu Herzen, was sie im Film gesehen hatten, und fingen an, die Zusammenkünfte zu besuchen. Bald danach verkündigte der Vater die Königreichsbotschaft.

In einem anderen Ort hatte der Führer einer religiösen Gruppe seinen Anhängern früher gesagt, sie sollten die Bücher der Zeugen Jehovas verbrennen. Doch nachdem er diesen Film gesehen hatte, bemerkte er: „Ich habe nie gewußt, daß die Neue-Welt-Gesellschaft so ist.“ Danach bekundete er Interesse für die Wahrheit der Bibel. Ein Interessierter war so beeindruckt, daß er ausrief: „Bevor das Jahr zu Ende ist, muß ich getauft sein und ein Zeuge Jehovas werden.“

In Harbel sahen 2 000 Anwesende den Film auf einer Doppelleinwand. Viele waren überrascht über die Arbeit, die die Neue-Welt-Gesellschaft verrichtete. In den darauffolgenden Monaten nahm die Versammlung dort schnell an Zahl zu, und dieser ausgezeichnete Film trug sicherlich zu dieser Entwicklung bei.

In der Hauptstadt Monrovia kamen zur ersten Vorführung 500 Personen, und die Verkündiger berichteten später, daß die Personen, mit denen sie die Bibel studierten, ein sichtlich erhöhtes Interesse bekundeten. Der Film wurde in vielen Gemeinden gezeigt, und nach einem Jahr hatten ihn fast 6 000 Personen gesehen.

DIE ERSTEN KREISKONGRESSE

Da nun in Kakata und Harbel Versammlungen in Tätigkeit waren, war es möglich, im April 1954 einen Kreiskongreß in Kakata zu veranstalten. Interessanterweise ließen sich 40 Prozent der 67 Verkündiger des Kreises auf diesem Kongreß taufen — insgesamt 26 Neue! Zum öffentlichen Vortrag kamen 170. Bei dieser Gelegenheit sahen sich auch die meisten Verkündiger des Kreises zum erstenmal. Es war ein wirklich bedeutsamer und nützlicher Kreiskongreß, der erste dieser Art in Liberia.

Wie stand es nun mit den Königreichsverkündigern am anderen Ende des Landes, in und um Kap Palmas? Die 36 Verkündiger dort wurden eingeladen, ihren ersten Kreiskongreß im darauffolgenden Monat in Webbo, etwa 70 Kilometer von Kap Palmas entfernt, zu besuchen. Ein Teil der Reise nach Webbo mußte mit dem Kanu auf dem Cavally zurückgelegt werden, und das war gefährlicher als erwartet. Aber die Brüder, die anwesend sein konnten, freuten sich, daß 65 zum öffentlichen Vortrag kamen. Das war bemerkenswert, denn in Webbo lebten keine Zeugen, nicht einmal interessierte Personen.

KONGRESS „TRIUMPHIERENDES KÖNIGREICH“

Das herausragende Ereignis des Jahres 1955 war unser Kongreß „Triumphierendes Königreich“ in Monrovia, auf dem M. G. Henschel aus dem Brooklyner Büro der Gesellschaft und Harry Arnott aus dem nordrhodesischen (heute sambischen) Zweigbüro dienten. Wieder wurde der Jahrhundertpavillon gemietet. Es war wirklich befriedigend, zu sehen, daß 551 Personen kamen, um den begeisternden Vortrag „Weltbesiegung nahe — durch Gottes Königreich“ zu hören. 19 wurden getauft.

Erst drei Jahre zuvor hatte uns Bruder Henschel zusammen mit Bruder Knorr besucht. Das war im Jahre 1952, als hier das Zweigbüro gegründet wurde. Damals gab es 53 Verkündiger, davon waren 11 Pioniere. Nun, was war das Ergebnis ihres Dienstes während jener drei Jahre? Es war eine Freude, zu sehen, daß jetzt 162 Personen die Botschaft verkündigten, darunter 18 Pioniere. Statt nur zwei Versammlungen gab es fünf. Jehova hatte unsere Tätigkeit wirklich gesegnet.

Nun planten wir, die Wahrheit auch in bisher nicht zugeteilten Gebieten zu verkündigen. Missionare sollten neue Zuteilungen erhalten, und einheimische Brüder sollten als Sonderpioniere eingesetzt werden, sobald sie die Voraussetzungen erfüllten. Wir begannen auch, unsere Publikationen in die Bassa-Sprache zu übersetzen.

NACH GBARNGA

Bruder und Schwester Watkins erhielten Anfang 1956 eine neue Zuteilung. Sie gingen nach Gbarnga, einer Provinzhauptstadt, die etwa 200 Kilometer von Monrovia entfernt ist. Die Eingeborenenbevölkerung von Gbarnga sprach Kpelle, aber eine ganze Anzahl Personen konnte auch Englisch. Im April 1956 berichteten bereits zwei neue Verkündiger über ihre Predigttätigkeit in Gbarnga.

Im Jahre 1955 hatte die Regierung begonnen, die schlechte Straße, die ins Landesinnere führte, zu einer guten Fernverkehrsstraße auszubauen. Diese Straße führte durch Gbarnga und sollte schließlich die Verbindung mit Kap Palmas herstellen, das am anderen Ende Liberias liegt. Als die Bauarbeiten begannen, arbeitete William David aus Pleebo bei der Baufirma. Am Ende des Arbeitstages machte dieser Bruder immer guten Gebrauch von seiner Zeit, indem er all seinen Arbeitskollegen und auch den Einwohnern der Städte und Dörfer entlang der Straße predigte.

Später schlossen sich ihm zwei Arbeitskollegen an, obwohl einer von ihnen ein heftiger Gegner gewesen war. Während die Straße weiter ins Landesinnere vordrang, hörten viele die Königreichsbotschaft zum erstenmal. Tatsächlich halfen die Brüder, die unter den Straßenarbeitern waren, vielen interessierten Personen, auf den Weg zu gelangen, der zu ewigem Leben führt (Matth. 7:13, 14).

Als die Straße bis Gbarnga fertiggestellt war, kam Bruder Watkins etwa jeden Monat einmal nach Monrovia und besuchte unterwegs interessierte Personen. So kam es, daß der Name und der Vorsatz Jehovas entlang der Fernverkehrsstraße des Landes gut bekannt wurden, bis hin nach Putu, das fast 650 Kilometer von Monrovia entfernt ist, wo die Bauarbeiten eine Zeitlang unterbrochen wurden.

Bruder und Schwester Watkins fanden in Gbarnga viele, die ein hörendes Ohr hatten. Um die Außengebiete besser zu erreichen, schaffte sich Bruder Watkins ein Motorrad an. Bald war er in allen umliegenden Städten und Dörfern eine bekannte Erscheinung. Einer der Orte, wo man auf großes Interesse stieß, war Sayngbey Town. Ein „Bischof“ war der geistige Ratgeber dieser einfachen Menschen gewesen, aber er war kurz zuvor mit allem Geld verschwunden. Er wurde nie wieder gesehen. „Kommt doch, und belehrt uns, denn wir lieben Gott zu viel.“ (So drücken sich die Liberianer aus, wenn sie „sehr“ meinen.) Mit solchen Worten wurden die Missionare herzlich willkommen geheißen. Da keiner der Einwohner lesen konnte, wurden jede Woche Vorträge über verschiedene Themen gehalten und danach Wiederholungsfragen gestellt. Im Laufe der Zeit nahmen eine ganze Anzahl dieser Menschen die Wahrheit an und begannen die gute Botschaft zu predigen.

Eines Tages bot Bruder Watkins einem jungen Mann eine Broschüre an, in der die Hoffnung für die Toten erklärt wurde. Dieser nahm die Broschüre begeistert an und bat den Missionar inständig, sich zu setzen und ihm mindestens die Hälfte der Broschüre vorzulesen. Bei diesem jungen Mann wurde ein Bibelstudium eingerichtet, und seine Freude kannte keine Grenzen, als sein großer Durst nach der Wahrheit zum erstenmal gestillt wurde. Er war so begeistert, von der unsichtbaren Gegenwart Christi zu hören, daß er das ganze Kapitel über dieses Thema auswendig lernte.

Die Logik der Wahrheit war so überwältigend, daß er beschloß, fleißig zu studieren und sich dem Königreichspredigtwerk zu widmen. Das gefiel aber seinem Vater nicht, der es seinem Sohn ermöglichte, die Schule zu besuchen, damit er zum Nutzen der Familie prominent und wohlhabend werden konnte. Daher versuchte der Vater, den Eifer seines Sohnes für das Predigtwerk zu dämpfen, indem er ihm sämtliche finanzielle Unterstützung entzog. Doch das bestärkte den Sohn um so mehr in dem Entschluß, Jehova zu dienen.

Danach wurde der Sohn sehr krank und war vom Fieber geschwächt. Aber er widersetzte sich der Absicht seines Vaters, ihn zu einem eingeborenen Wahrsager zu schicken, der ihm die Ursache der Krankheit kundtun sollte. Der Sohn wußte, daß seine Krankheit nicht von Ahnen oder durch Zauberei hervorgerufen worden war. Darauf überließ ihn sein Vater sich selbst, aber irgendwie gelang es dem jungen Mann, ein Krankenhaus in einer entfernten Stadt zu erreichen. Nach einigen Tagen schickte der Vater einen Brief und bat darin, den Leichnam zurückzubringen, da er glaubte, sein Sohn müsse nun tot sein. Als er jedoch erfuhr, daß sich sein Sohn wieder erholte, ohne die Hilfe des Dämonismus in Anspruch genommen zu haben, gab der alte Mann zu, daß der Gott, dem sein Sohn diente, Macht hatte. Von dieser Zeit an hielt der alte Mann Gottes Gesetz hinsichtlich des Blutes. Der Name seines Sohnes war Joseph Lablah. Er wurde im April 1957 getauft. Im darauffolgenden Jahr nahm er den Pionierdienst auf.

Eines Tages kehrte Bruder Watkins in eine kleine Stadt in der Nähe von Gbarnga zurück, um einen jungen Mann zu besuchen, dem er eine Broschüre zurückgelassen hatte. Als die Frau des jungen Mannes das Geräusch des Motorrades hörte, floh sie in den Kassawabusch. Sie dachte: „Welch einen anderen Grund sollte wohl ein fremder Mann haben, Leute wie uns zu besuchen, als uns zu fangen und zu opfern?“ Bei einer anderen Gelegenheit kam der Missionar zu Fuß und überraschte die Frau auf diese Weise. Sein freundlicher Gruß hielt sie davon ab zu fliehen.

Mit Hilfe eines Dolmetschers erzählte ihr Bruder Watkins von einem „großen Häuptling“, der Menschen, die er liebte, viel gutes Ackerland geschenkt hatte. Sie durften es behalten, solange sie den „Häuptling“ und seine Gesetze respektierten. Doch sie versagten erbärmlich, widersetzten sich dem „Häuptling“ und verursachten viele Schwierigkeiten. Nun würde dieser gütige „Häuptling“ bald die Unruhestifter hinauswerfen und sein Eigentum denen geben, die dafür Wertschätzung hätten.

Dieses Beispiel half der Bauersfrau, den Vorsatz des Schöpfers zu verstehen. Sie lernte auch, daß Gottes Name Jehova ist. Die Hoffnung auf eine großartige Zukunft, die dieser große himmlische „Häuptling“ den Menschen seines Wohlgefallens verheißen hat, war für sie herzerquickend.

Bald studierte dieses Ehepaar die Bibel und besuchte unsere christlichen Zusammenkünfte, und die Frau wurde immer glücklicher in der Wahrheit. Doch dies änderte sich bald, denn der Ehemann beschloß wegzuziehen, um dem „Mammon“ nachzugehen. Er interessierte sich für ein anderes Mädchen, mißhandelte seine Frau und verbot ihr, weiterhin etwas mit Jehovas Zeugen zu tun zu haben. Doch dazu war sie nicht bereit. Vor ihren Eltern und den Dorfältesten erklärte sie: „Was Jehova mich gelehrt hat, hat mich keiner von euch gelehrt. Ich kann einfach nicht aufhören. Ich habe jetzt eine neue Hoffnung!“

Die Eltern der Frau gaben dem jungen Mann den Brautpreis zurück, und er gab ihr einen Scheidungsbrief: „Diese Frau ist frei, irgend jemand zu heiraten. Mein Name ist nicht mehr auf ihr.“

Diese verstoßene Frau beeilte sich nun, mit Jehovas Volk wieder Verbindung aufzunehmen, und an einem unvergeßlichen Tag begleitete sie den alternden Missionar selbst im Predigtwerk — den gleichen Missionar, vor dem sie früher immer weggelaufen war. Bald wurde sie getauft, und später heiratete sie ein Bruder, mit dem sie als Sonderpionier diente. Sie konnte keine Kinder haben. Jetzt empfand diese christliche Frau, Gbangu Woah, jedoch die große Genugtuung, in geistigem Sinne „Kinder“ hervorbringen zu können.

Bruder und Schwester Watkins erlebten in ihrer Zuteilung in Gbarnga viel Freude. Im April 1957 beteiligten sich dort 17 Königreichsverkündiger am Predigtdienst. Anfang des darauffolgenden Jahres wurde eine Versammlung gegründet, die achte in Liberia.

MISSIONARE IN DEN BOMIBERGEN

Ende Dezember 1955 trafen unerwartet zwei Missionare aus Gambia ein. Es waren Rene leRoux und Matthew Pienaar, die beide ursprünglich aus Südafrika stammten. Das gab uns die willkommene Gelegenheit, das Werk in dem dichtbesiedelten Eisenerz-Bergbaugebiet in den Bomibergen einzuführen.

Rene leRoux gelang es schnell, mit den Liberianern Freundschaft zu schließen. Er lernte, liberianische Kost zu essen und zuzubereiten. Oft saß er mit den Interessierten in der Küche und erfuhr aus erster Hand, wie und warum sie bestimmte Dinge taten. Er paßte sich ihrer Lebensweise an und erlangte das Vertrauen vieler Stammesangehöriger. Wenn die liberianischen Eingeborenen ihn fragten, woher er komme, dann sagte er ihnen, er sei in Afrika geboren. Sobald sie das hörten hüpften sie gewöhnlich vor Freude. Er war ein Afrikaner, genau wie sie!

Einige Jahre später wurde Bruder leRoux im Landesinneren als Kreisaufseher eingesetzt. Wenn dann die Kongreßzeit herbeikam, gingen er und andere Brüder in den Wald und jagten Wild für die Cafeteria. Alles, was sie schossen — Affen, Stachelschweine, Rehe oder Waschbären —, wurde schließlich zu einem schmackhaften Eintopf verarbeitet.

Im Oktober 1956 berichteten die ersten Königreichsverkündiger aus den Bomibergen über ihren Predigtdienst. Im folgenden März wurde dort eine Versammlung gegründet. Später begannen zwei eifrige Schwestern — Esther Bruel und Jamima Flowers —, in dieser kleinen Versammlung als Pioniere zu dienen. Schwester Bruel starb 1970, aber Schwester Flowers setzte ihren Dienst als Sonderpionier in den Bomibergen fort.

BEZIRKSKONGRESS IN GREENVILLE

Bis zum Dezember 1956 hatten alle Landeskongresse in der Hauptstadt Monrovia stattgefunden. Nun wurden Vorkehrungen getroffen, den ersten Landeskongreß außerhalb der Hauptstadt zu veranstalten Er sollte in Greenville (Verwaltungsbezirk Sinoe) stattfinden. Greenville liegt östlich von Monrovia an der Atlantikküste. Da es keine Straßenverbindung zwischen Greenville und der Hauptstadt gab, konnte man nur mit dem Flugzeug dorthin gelangen, was sehr teuer war, oder mit einem kleinen Schiff, das einen recht unregelmäßigen Fahrplan hatte.

Das Schiff, auf dem einige Dutzend Delegierte aus Monrovia fuhren, war ein flachgehendes Landungsfahrzeug aus dem Zweiten Weltkrieg. Es hatte den Namen „Junior“. Die Reise war ein unvergeßliches Erlebnis und dauerte fast drei Tage. Viele Verkündiger hatten noch nie eine Schiffsreise gemacht und hatten keine Ahnung, was ihnen bevorstand. Das Schiff lag sehr flach im Wasser und schien sehr stark zu schaukeln. Viele übelriechende Ölfässer standen an Bord, und schließlich zwang der Regen alle, auf ganz beengtem Raum Unterschlupf zu suchen. Fast jeder war seekrank. (Glücklicherweise konnten die Delegierten nach dem Kongreß auf einem großen Schiff mit etwas mehr Komfort nach Monrovia zurückfahren.)

Etwa zwei Stunden vor Programmbeginn trafen wir auf dem Kongreßgelände ein — todmüde, schmutzig, krank und hungrig. Doch am Ende des ersten Kongreßtages fühlten wir uns alle wieder frisch und munter. Wegen der Transportschwierigkeiten konnten nur etwa 80 der 246 Königreichsverkündiger des Landes an diesem schönen Kongreß teilnehmen. Doch die Bürger von Greenville folgten der Einladung, und beim öffentlichen Vortrag waren 190 Personen anwesend.

Auch der Geistliche, der für die Schule der Episkopalkirche verantwortlich war, besuchte den öffentlichen Vortrag. Als er einen seiner Lehrer, Thomas J. Williams, unter den Zuhörern sah, entließ er ihn gleich am nächsten Tag. Dieser interessierte Lehrer kam aber trotzdem in die Wahrheit und wurde zwei Jahre später getauft.

AUF NACH KOLAHUN!

Im Juni 1956 wurde Bayo Gbondo als erster Liberianer zum Sonderpionier ernannt. Zuerst baute er das Werk in Harbel weiter auf. Aber im Februar 1957 zogen er und seine Frau Teetee in ihre neue Zuteilung nach Kolahun, das 480 Kilometer von Monrovia entfernt in der Ecke des Landes liegt, wo sich die Grenzen von Sierra Leone und Guinea treffen. Dort schloß sich ihnen Borbor Tamba Seysey an, ein anderer Bruder aus der Versammlung Harbel, der gerade zum Sonderpionier ernannt worden war.

Kolahun war die große Stadt der Gbandi. Doch hier lebten auch viele Kissi, die am meisten Interesse für die biblische Wahrheit bekundeten. Noch vor Ende des Jahres schloß sich den anderen Brüdern, die ihre Aufmerksamkeit immer mehr den Kissi-Dörfern zuwandten, ein weiterer neuernannter Sonderpionier an, Fallah Neal, der ebenfalls ein Kissi war. Im Dezember 1957 wurde in Kolahun eine kleine Versammlung gegründet. Aber das Interesse in dem Kissi-Dorf Tarma war so groß, daß ein Pionier dorthin geschickt wurde.

Viele Dörfer in diesem Gebiet hielten sich an Gesetze und Tabus, die auf Aberglauben beruhten. So durfte zum Beispiel im Dorf das Wort „Leopard“ nicht erwähnt werden, und Wasser durfte nur auf dem Kopf getragen werden. Doch als immer mehr Dorfbewohner die Wahrheit kennenlernten, wollten sie sich nicht mehr den Gesetzen der Abergläubischen unterwerfen.

Hier ein Beispiel: In Tarma durfte niemand einen Mörser, den er vom Feld mitbrachte, auf dem Kopf tragen; man mußte ihn herunternehmen und auf dem Boden rollen. Die Dorfbewohner glaubten, wenn jemand dieses Gesetz übertreten würde, könnte keine Frau im Ort mehr Kinder kriegen. Jemand, der zum Reiskochen Holz aus der Umgebung des Busches des Frauengeheimbundes verwandte, würde ihrer Ansicht nach einen aufgeblähten Bauch bekommen und sterben.

Doch ein Christ trug seinen Mörser auf dem Kopf ins Dorf. Am nächsten Tag brachte eine Frau ein Kind zur Welt, und das Gesetz war erschüttert. Die Brüder schlugen Brennholz in der Nähe der verbotenen Zone und kochten ihren Reis darauf, aber keiner starb. Ein weiteres Gesetz war zerbröckelt!

Danach kamen Nachbarn zu dem Sonderpionier, um sich Kohlen für ihren Herd zu kaufen. Er fragte eine alte Frau: „Fürchten Sie sich nicht, Kohlen zu verwenden, die aus dem Holz vom Busch des Frauenbundes gemacht worden sind?“ Sie antwortete: „Das braucht Sie nicht zu stören. ... Wir haben all die alten Dinge hinter uns gelassen!“

Obwohl einige Häuptlinge jede Gelegenheit wahrnahmen, Gottes Diener in Schwierigkeiten zu bringen, strömten die Menschen in Jehovas Organisation. Und so wurde im August 1958 eine Versammlung in Tarma gegründet.

Die Wahrheitsliebe dieser neuen Brüder wurde oft auf die Probe gestellt, wenn die Grundsatztreue den Verlust materieller Dinge erforderte. Als der Kreisaufseher das Dorf Lilionee besuchte, flüsterten die Leute alle miteinander. War jemand gestorben? Nein. Etwas für die Dorfbewohner weit Schlimmeres war geschehen. Ein Polygamist, der drei Frauen gehabt hatte, hatte gerade zwei Frauen entlassen und ihnen die volle Freiheit gegeben. Außerdem verlangte er die 300 Dollar, die er als Brautpreis bezahlt hatte, nicht wieder zurück. So etwas hatte man noch nie gehört! Der Dorfbewohner, der das getan hatte, war David Saa. Er war ein Zeuge Jehovas geworden.

David Saa besuchte regelmäßig die christlichen Zusammenkünfte und vernachlässigte dabei auch nicht seine Angehörigen, denn er nahm sie alle mit, auch das Jüngste, das auf Mutters Rücken getragen wurde. Zuvor hatte er sein Amt als Dorfhäuptling aufgegeben. Er sagte: „Ich möchte dem Königreich Gottes dienen. Ich weiß, daß man nicht zwei Herren dienen kann. Als Häuptling müßte ich vielleicht etwas tun, was nicht mit Gottes Königreich in Übereinstimmung ist. Dann könnte ich Gottes Gunst verlieren. Lieber will ich nur ein einfacher Arbeiter sein, aber von Gott anerkannt werden.“

Dieser Bruder — der einzige Zeuge im Dorf — weigerte sich, zusammen mit den anderen Dorfbewohnern auf dem Berg Opfer darzubringen und die verstorbenen Ahnen anzuflehen und zu ehren. Dann kam die Saatzeit. Alle stellten die üblichen Zauberflaschen auf ihre Reisfelder, da sie glaubten, die Felder würden dadurch geschützt werden und eine gute Ernte bringen. Wieder weigerte sich unser Bruder mitzumachen. Jeder sagte, er sei verrückt. Wer würde ihn beschützen? Er würde überhaupt keinen Reis ernten. Aber seine Antwort war: „Wenn mich Jehova mit viel Reis segnen möchte, dann wird er es tun, und wenn nicht, dann kann ich trotzdem keinem fremden Gott opfern oder auf ihn vertrauen.“

Monate vergingen, und schließlich konnten die Reisfelder abgeerntet werden. Und ausgerechnet wessen Felder brachten den besten Ertrag im ganzen Bezirk? Nun, die Felder unseres Bruders David Saa! Jehova sei gepriesen! Die Dorfbewohner waren völlig verblüfft. Sogar von anderen Dörfern kamen Leute herbei, um sich selbst zu überzeugen. „Wahrlich, Jehova kann dich segnen“, sagten sie. „Stimmt es wirklich, daß du kein Opfer dargebracht und keine Zauberflasche aufgestellt hast und dir kein Unheil widerfahren ist? Und sieh dir nur deinen Reis an! Wir haben all das getan und haben trotzdem keine bessere Ernte.“

Nun änderte sich die Haltung der Leute. Sie waren nicht mehr feindlich eingestellt. Sogar Bruder Saas jüngerer Bruder, der bis dahin ein Gegner war, suchte im nächsten Dorf einen Zeugen auf und bat darum, über Jehova belehrt zu werden. Die Dorfbewohner selbst hatten alle große Achtung vor der Lehre des Wortes Gottes.

FORTSCHRITTE UNTER DEN KISSI

Der Juli 1958 war für Bayo Gbondo und Fallah Neal eine glückliche Zeit. Sie verließen ihre Sonderpionierzuteilung vorübergehend, um den internationalen Kongreß „Göttlicher Wille“ in New York zu besuchen. Danach nahmen sie an der 32. Klasse der Gileadschule teil.

Nach ihrer Rückkehr von der Gileadschule im Jahre 1959 wurden beide in das Land der Kissi geschickt, wo sie gebraucht wurden. Bruder Neal sandte man in eine neue Region, nach Limbaba. Mitte 1960 wurde auch dort eine Versammlung gegründet.

Im Oktober 1960 wurde für die drei Versammlungen im Gebiet der Kissi und der Gbandi ein Kreiskongreß abgehalten. Nach nur drei Jahren Predigttätigkeit gab es dort 55 Verkündiger und 10 Pioniere. Daß es eine große Zahl interessierter Personen gab, konnte man erkennen, als 192 Personen den öffentlichen Vortrag besuchten. Zweiundzwanzig wurden auf jenem Kongreß getauft.

In dieser Zeit trafen die Brüder in Tarma Vorbereitungen, um ihren eigenen Königreichssaal zu bauen. Die Stammesführer versuchten, den Bau zu verhindern oder aufzuhalten, doch vergeblich. Ein Jahr lang schlug ein Bruder Bäume und sägte Bretter, während die anderen aus der Gruppe seinen Reis anpflanzten, pflegten und ernteten. Die Bretter wurden dann eine weite Strecke zur Autostraße transportiert und verkauft. Von dem Erlös kauften die Brüder Zement und Wellblech und trugen alles stundenlang auf dem Kopf zum Bauplatz. Freiwillige legten das Fundament, und dann begann die ganze Gruppe von etwa 50 Personen mit echtem Eifer zu bauen. In nur vier Tagen war das Gebäude fertig. Beobachter riefen überrascht aus: „Das Wort der Zeugen Jehovas ist stark!“

KAMPF GEGEN DAS ANALPHABETENTUM

Das Analphabetentum war ein gewaltiges Problem unter den Kissi und Gbandi. Es gab ganze Dörfer, in denen niemand lesen und schreiben konnte. Doch überall bekundete man großes Interesse für die gute Botschaft. In einem Fall bat ein Dorf von fünfzig Personen darum, daß jemand komme und sie belehre, aber es gab einfach keinen befähigten Bruder, den man hätte schicken können. Die wenigen Brüder, die lesen konnten, hatten bereits alle Hände voll zu tun. Es war ratsam, daß die Brüder unter den Kissi und Gbandi ihre eigene Sprache lesen lernten. In Gbandi stand das Evangelium des Johannes zur Verfügung. Aber in Kissi schien kein Teil der Heiligen Schrift zur Verfügung zu stehen, zumindest nicht in Liberia. Später erfuhr man, daß ein großer Teil der Bibel in dem Kissi-Dialekt veröffentlicht worden war, der in Guinea gesprochen wurde und der sich etwas von dem in Liberia gesprochenen unterschied.

Mit Hilfe von Rene leRoux, der damals als Kreisaufseher diente, schrieben die Brüder ihre eigenen Lesefibeln in Kissi und Gbandi. Die Fibel in Kissi war schön bebildert, und sie wurde vom Ministerium für Information und kulturelle Angelegenheiten in Monrovia für uns gedruckt. Die Fibel in Gbandi wurde im Zweigbüro der Watch Tower Society vervielfältigt. Nachdem die Brüder diese Hilfsmittel erhalten hatten, gingen sie mit Eifer daran, das Lesen zu lernen. Bis zum August 1962 hatten 47 Brüder unter den Kissi und Gbandi in ihrer Sprache das Lesen gelernt. Die Kissi warteten nun freudig darauf, ein Traktat und die Broschüre „Diese gute Botschaft vom Königreich“ in ihrer Sprache für den Predigtdienst zu erhalten. Die Manuskripte dafür waren in das Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn geschickt worden, wo diese Veröffentlichungen gedruckt werden sollten.

FAHNENGRUSSFRAGE IN KAKATA

Im Jahre 1957, nachdem die Versammlung in Kakata etwa zwei Jahre bestanden hatte, wurde die Lauterkeit der Brüder auf die Probe gestellt. Eines Morgens fragte der Leiter einer öffentlichen Schule: „Wie viele Schüler gibt es hier, die Zeugen Jehovas sind und nicht die Fahne grüßen?“ Acht Schüler traten vor. Der Schulleiter und die Lehrer waren wütend. Sie versuchten, den Friedensrichter zu überreden, die Jungen dem Militär zu übergeben, damit sie ausgezogen würden und fünfundzwanzig Hiebe erhielten. Dann sollten sie gezwungen werden, die Fahne zu grüßen. Doch der Friedensrichter war dazu nicht bereit. Er sagte: „Es gibt kein Gesetz, das mich dazu befugt, es sei denn, Sie könnten beweisen, daß sie schlechte Beweggründe haben und gegen die Regierung sind. Aber wenn es sich um rein religiöse Gründe handelt, dann gewährt die Verfassung jedem Religionsfreiheit.“

Darauf schloß die Schulbehörde die Brüder sofort von der Schule aus. Verwandte und Freunde, ja praktisch die ganze Gemeinde war gegen sie, und alle sagten: „Ihr seid ja verrückt, wenn ihr euch die Schulbildung versagt. Was soll denn später mit euch werden? Ihr werdet keine Arbeit finden. Ihr werdet es in diesem Land zu nichts bringen.“ Die meisten von der Schule gewiesenen Brüder nutzten die Lage, um Pionier zu werden. Später wurden drei von ihnen — John Roberts, Samuel Brown und Charles David — Sonderpioniere.

KONGRESS „LEBENGEBENDE WEISHEIT“

Dieser Landeskongreß fand vom 18. bis 22. Dezember 1957 in Harper (Kap Palmas) statt. Es war der erste Kongreß dieser Art auf dem Kap, und 90 von den 291 Brüdern war es möglich dabeizusein. Ähnlich wie ein Jahr zuvor beim Kongreß in Greenville mußten die Delegierten von Monrovia aus mit dem Schiff reisen. Diesmal nahm sie jedoch ein großes deutsches Frachtschiff auf dem Deck mit und brachte sie über Nacht ans Ziel. Unterwegs sangen die Delegierten Lieder und hielten auf dem Deck ihr Wachtturm-Studium ab. Sie trafen rechtzeitig in der Kongreßstadt ein.

Das brandneue Regierungsgebäude, von dem aus man einen herrlichen Blick auf den von Palmen umsäumten Strand des Kaps hat, bildete einen wunderbaren Schauplatz, an dem wir die „lebengebende Weisheit“ von Jehova Gott hörten. Acht Personen wurden untergetaucht, 166 hörten den öffentlichen Vortrag, und danach kamen noch mehr Menschen, um den neuesten Film der Gesellschaft zu sehen, so daß die Anwesendenzahl auf 228 stieg.

Doch wie sollten die Delegierten zurück nach Monrovia gelangen? Alles hing davon ab, ob zufällig ein Schiff rechtzeitig die Küste entlangkommen und Deckpassagiere aufnehmen würde. Während des Kongresses machten sich die Brüder keine Sorgen darum. Sie gaben sich damit zufrieden, die Sache in Jehovas Hand zu legen. Das erforderte wirklich Glauben, denn nicht selten kam es vor, daß Reisende wochenlang auf Kap Palmas warten mußten, bis ein Schiff kam.

Kurz bevor der öffentliche Vortrag begann, entdeckte man am Horizont die schwachen Umrisse eines Schiffes, das die Küste entlangkam. Nach dem Ende des Programms wurden sogleich Vereinbarungen mit den Schiffsagenten getroffen. Am Montagmorgen gelangten die Delegierten mit Hilfe eines Bootsmannsstuhls und einer Strickleiter an Bord des Ozeandampfers. Am Dienstagabend waren sie alle wieder in Monrovia. Das wurde als ein kleines Wunder angesehen. Besonders die Bewohner des Kaps waren davon beeindruckt, daß Jehova offensichtlich zugunsten seines Volkes gewirkt hatte.

„WER WIRD EUCH BEERDIGEN?“

Viele Menschen gehörten anscheinend nur deswegen einer Kirche an, um sicherzugehen, daß sie eine schöne kirchliche Beerdigung erhielten. Wenn sie natürlich ihre Beiträge nicht zahlten, wurden die Kirchenglocken nicht für sie geläutet, und sie erhielten auch keine kirchliche Beerdigung. Den Familien fiel es oft sehr schwer, die ausstehenden Kirchengebühren für einen verstorbenen Angehörigen zu bezahlen. Die Kirchen führten diesen Brauch an, um ihre Mitglieder davon abzuhalten, sich mit uns zu verbinden. Sie sagten: „Wenn ihr Zeugen Jehovas werdet, wird euch keiner beerdigen.“

Eine Anzahl Jahre gab es unter unseren Brüdern und Mitverbundenen keine Todesfälle. Dieser Umstand sowie unsere Lehre, daß im neuen System der Dinge niemand zu sterben brauche, veranlaßten viele Menschen zu der Frage: „Stimmt es, daß Jehovas Zeugen nicht sterben?“ Man zögerte, sich mit uns zu verbinden, weil man glaubte, die Organisation treffe keine Vorkehrung zur Beerdigung von Verstorbenen. Als dann doch einige Brüder starben, waren viele Außenstehende überrascht, zu sehen, daß ein Sarg in den Königreichssaal getragen und dort ein regelrechter Trauergottesdienst abgehalten wurde. Doch statt nach dem allgemeinen Brauch eine Musikkapelle vor dem Leichenzug herziehen und Trauermusik spielen zu lassen, folgten alle Brüder auf wohlgeordnete Weise dem Sarg und sangen Königreichslieder, während sie die Hauptstraße zum Friedhof hinabgingen. Auf diese Weise konnten sich viele davon überzeugen, daß wir sehr wohl unsere Toten bestatten, und das, ohne irgendwelche Abgaben zu erheben.

Viele sind beunruhigt darüber, daß Jehovas Zeugen keine Totenwache halten und nicht bis zum nächsten Morgen trinken und kirchliche Lieder singen. Geistliche leiten gewöhnlich solche Anlässe ein, und von den Familien wird dann erwartet, daß sie Getränke und Erfrischungen bereitstellen, ganz gleich, wie arm sie sind. Wenn genügend Alkohol da ist, finden sich viele Leute ein, aber wenn es nur wenig zu trinken gibt, werden Klagen laut: „Was für eine armselige Totenwache das doch war!“ Trunkenheit ist bei solchen Anlässen gang und gäbe, und oft kommt es dabei zu Unmoral, zu heftigen Auseinandersetzungen, Streitigkeiten und sogar zu Mord.

Wenn ein Zeuge stirbt, gibt es gewöhnlich heftige Auseinandersetzungen mit den Angehörigen, die nicht in der Wahrheit sind, ob eine Totenwache gehalten werden soll, selbst wenn der Verstorbene ausdrücklich keine Totenwache gewünscht hat. Als vor einigen Jahren die junge Frau eines eifrigen Bruders starb, widersetzte er sich heftig den entschlossenen Bemühungen der Angehörigen, eine Totenwache zu halten. Seine Haltung machte einen solch großen Eindruck, daß sie nach seinem Tod freiwillig darauf verzichteten, eine Totenwache zu halten. Das an sich war schon ein Zeichen großer Achtung vor ihm.

DEN GÖTTLICHEN MASS-STAB FÜR DIE EHE HOCHHALTEN

Als sich das Werk auszudehnen begann, hielt man es für notwendig, dokumentarische Belege für Eheverhältnisse zu fordern. Besonders in bezug auf Ehen, die nach dem einheimischen Gewohnheitsrecht geschlossen wurden, herrschte große Laxheit. Da die Eltern oft überhöhte Brautpreise für ihre Töchter forderten, entschied die Regierung, daß der Brautpreis in keinem Fall 40 Dollar übersteigen dürfe. Außerdem sah das Gesetz vor, daß die Eingeborenenbehörden bei der Registrierung eine Heiratsurkunde ausstellen sollten.

In der Praxis aber registrierten die meisten Eingeborenenbehörden die Ehen nicht und stellten auch keine Heiratsurkunden aus. Man überließ es dem Ehemann und der Familie des Mädchens, die Frage des Brautpreises und eine Übereinkunft für die Ehe auszuhandeln. Tatsächlich lebten viele in einer „Stammesehe“. Das bedeutete daß ein Mann den Eltern einen geringen Betrag — vielleicht 5 Dollar — für das Vorrecht gab, mit einer ihrer Töchter zusammen zu leben bis der volle Brautpreis bezahlt war und sie formell dem Mann übergeben wurde. In einigen Fällen wollten die Familien nicht den vollen Brautpreis bezahlt haben, denn sie dachten, wenn einmal ein Notfall eintrete und sie sofort Geld brauchten, dann könnten sie plötzlich den Brautpreis verlangen. In anderen Fällen zahlten arme Männer den Brautpreis über einen Zeitraum von mehreren Jahren ab.

Die Brüder wurden angewiesen, ihren Brautpreis sofort zu zahlen und sich eine Heiratsurkunde ausstellen zu lassen. Wenn die Eingeborenenbehörde keine Heiratsurkunde ausstellte, mußten der Bruder und seine Frau eine Eheerklärung unterschreiben, die dann so lange anerkannt wurde, bis das Paar die Heiratsurkunde beschaffen konnte. In späteren Jahren hielt es das Innenministerium für vorteilhaft, für alle Brautpreisehen eine Urkunde auszustellen. Diese Urkunden wurden als „Hauptfrau“-Urkunden bezeichnet. Wenn ein Mann Anklage erhob, daß ein anderer Mann seine Hauptfrau geschändet oder sie ihm weggenommen habe, mußte der Schuldige 100 Dollar Strafe zahlen. Der Ankläger mußte jedoch eine „Hauptfrau“-Urkunde vorzeigen, um zu beweisen, daß sie wirklich seine Hauptfrau und nicht seine Nebenfrau war.

Jehovas Zeugen erwarben sich einen solchen Ruf als Befürworter einer amtlichen Eintragung von Ehen, daß das Innenministerium in Monrovia ein besonderes Standesregister nur für Jehovas Zeugen hatte. Wenn ein Bruder irgendwo im Land keine Heiratsurkunde erhalten konnte, brauchte er nur nachzuweisen, daß er den Brautpreis bezahlt hatte, dann wurde ihm eine solche Urkunde ausgestellt.

Oft lebten interessierte Personen, die die gute Botschaft predigen wollten, unverheiratet zusammen. So wurden viele Ehen geschlossen. Im Jahre 1957 waren unsere Ansichten über die Ehe das Tagesgespräch in Harbel, denn an einem Nachmittag nahm der Bezirksaufseher sieben Paaren das Treuegelöbnis ab, und eine in Monrovia erscheinende Zeitung veröffentlichte einen Bericht darüber. Viele Leute kamen, um das selbst mitzuerleben. Tatsächlich waren 242 Personen bei den Zeremonien anwesend.

FORTSCHRITTE UND GEISTIGES WACHSTUM

Im Januar 1958 berichteten zum erstenmal 300 Verkündiger in ganz Liberia. Die Interessierten in Kolahun kamen, nachdem Bruder Bayo Gbondo in einer entfernten Stadt Besuche gemacht hatte, zu dem Schluß, daß sie ebenfalls die gute Botschaft verkündigen müßten, wenn sie wirklich Zeugen Jehovas werden wollten. So machten sie sich selbständig ans Werk und gaben der Bevölkerung in der ganzen Umgebung Zeugnis. Danach begab sich ein Komitee zu dem einige Kilometer entfernten Königreichssaal und überreichte den überraschten Brüdern eine Liste mit den Namen von 20 Personen, die 186 Stunden Zeugnis über Gottes neue Ordnung gegeben hatten.

KONGRESSE „GÖTTLICHER WILLE“

Den Höhepunkt des Jahres 1958 bildete die Gelegenheit für einige Brüder aus Liberia, den internationalen Kongreß „Göttlicher Wille“ in New York zu besuchen. Im Jahre 1953 hatten insgesamt fünf Delegierte den „Neue-Welt-Gesellschaft-Kongreß“ dort besucht. Wie viele konnten diesmal die Reise ermöglichen? Zweiundzwanzig! Ein großes Bild von der Delegation erschien in der fahrenden Zeitung von Monrovia. Später wurden in den Zeitungen hier neun verschiedene Artikel über diesen großartigen Kongreß veröffentlicht, und einige Delegierte wurden nach ihrer Rückkehr auf der Straße von Leuten angehalten, die Näheres über dieses wunderbare Ereignis wissen wollten.

Es herrschte auch große Begeisterung über Liberias eigenen Kongreß „Göttlicher Wille“, der vom 28. Februar bis zum 3. März 1959 stattfinden sollte. In der letzten Februarwoche traf eine Gruppe nach der anderen in Monrovia ein. Einige Delegierte aus dem Landesinneren staunten, als sie zum erstenmal eine moderne Stadt sahen, gar nicht zu sprechen von den vielen freundlichen Brüdern und Schwestern die sie trafen! Eine Gruppe von 13 Verkündigern legte die 300 Kilometer weite Strecke von Kap Palmas in einem Neuntagemarsch zurück. Unterwegs verbreiteten sie ihre sämtliche biblische Literatur und hielten vor insgesamt 450 Zuhörern 15 öffentliche Vorträge.

Kaum hatte der Kongreß am Samstagnachmittag begonnen, als ein Beamter des Außenministeriums kam und erklärte, eine Körperschaft der Vereinten Nationen habe vom Präsidenten die Erlaubnis erhalten, das Gebäude bis zum Dienstag, unserem letzten Kongreßtag, zu benutzen. Am darauffolgenden Morgen bestätigte Präsident Tubman diese Entscheidung. So mußte unser Kongreß in ein Fußballstadion verlegt werden.

Unser Sonntagvormittagprogramm fand in dem viel zu kleinen Königreichssaal statt, bis wir alle Vorbereitungen für die Benutzung des Antoinette-Tubman-Stadions abschließen konnten. Am Nachmittag wurde das Stadion schließlich geöffnet, und die Kongreßteilnehmer strömten mit großer Freude dorthin, der Reinigungsabteilung dicht auf den Fersen, die durch eifrigen Gebrauch von Handfegern und Besen schnell die Sitzreihen gesäubert hatte. Es störte die Brüder nicht, daß zuwenig Stühle da waren. Sie breiteten einfach Taschentücher, Matten und Decken auf den Zementstufen aus. Die Dankbarkeit dafür, eine Kongreßstätte zu haben, kam in der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit zum Ausdruck, die die Zuhörer dem gesamten fünfstündigen Programm schenkten.

Am Montag brannten bei Einbruch der Dunkelheit alle Sicherungen im Stadion durch mit Ausnahme der Sicherungen für den Lautsprecher und den Verstärker. Der Zweigaufseher hielt gerade eine Ansprache, und plötzlich sah er sich von anscheinend sämtlichen übelriechenden Insekten im Stadion belagert. Sie wurden von dem einzigen Licht, das noch schien, angelockt, nämlich von der Lampe über dem Rednerpodium. Ständig machte er während seiner Ansprache spontane Gesten, die sowohl dem Nachdruck als auch der Selbstverteidigung gegen die Insekten dienten. Bruder Knorr, der aus dem Brooklyner Bethel gekommen war, sollte als nächster reden, und als er merkte, was ihn erwartete, sprühte er sich tüchtig mit Insektenspray ein und rückte dann in weiser Voraussicht das Rednerpult und das Mikrofon ins Dunkle, so daß noch gerade ausreichend Licht auf sein Manuskript fiel. Auf diese Weise entging er größtenteils dem Sperrfeuer der Insekten. Am Ende seines Vortrages funktionierte schließlich auch wieder das Licht, und die Anwesenden konnten die Tribünen bei Licht verlassen.

Am Dienstagabend waren wir wieder an unserer ursprünglichen Kongreßstätte, im Jahrhundertpavillon. Dort hielt Bruder Knorr vor 518 Zuhörern den Vortrag: „Eine paradiesische Erde durch Gottes Königreich“. Er betonte, daß mehr Brüder lesen lernen müßten. Das neue Buch Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies war für viele ein schöner Ansporn, alles zu lesen und nicht nur den Sinn der Bilder kennenzulernen.

Auf diesem Kongreß ließ sich eine Rekordzahl von 69 Personen taufen. Diese Veranstaltung begeisterte die liberianischen Zeugen so sehr, daß am Ende des Dienstjahres 1959 415 Verkündiger berichteten — die sechste aufeinanderfolgende Höchstzahl und eine 42prozentige Mehrung gegenüber dem Durchschnitt des vorangegangenen Jahres!

LESEN LERNEN

Nach dem Kongreß wurde mehr Nachdruck denn je auf das Lesenlernen gelegt. In den Versammlungen wurden Kurse organisiert, und das Amt für Erwachsenenbildung stellte Lesebücher zur Verfügung. Obwohl das Lernen einigen Älteren schwerfiel, zeigen die ziemlich vollständigen Zahlen für die Fünfjahresperiode, die 1962 zu Ende ging, daß bis dahin insgesamt 109 Personen in den Leseklassen der Versammlungen das Lesen und Schreiben gelernt hatten Es braucht wohl kaum erwähnt zu werden, daß dies beachtlich zur Wirksamkeit des Königreichspredigtwerkes beitrug.

Das zunehmende Interesse am Lesen geht auch aus einem Bericht hervor, den ein Kreisaufseher im Jahre 1959 schrieb. „Als ich vor vier Monaten hier war, lernte ich die kleine Mary kennen, die etwa sieben Jahre alt ist“, schrieb er. „Ich konnte mich nicht mit ihr unterhalten weil sie kein Englisch verstand. Aber jetzt ist sie ein Verkündiger hält gute biblische Predigten und gibt auch Literatur ab. Und was das beste ist, sie kann lesen. Es war eine angenehme Überraschung für mich, als sie den Einladungszettel in die Hand nahm und nicht nur den Titel auf der Vorderseite, sondern auch die Abhandlung auf der Rückseite vorlas.“

VERKÜNDIGERZAHL VERDOPPELT SICH IN DREI JAHREN

Im August 1961 war die Verkündigerzahl in Liberia auf 620 gestiegen. Genau drei Jahre vorher, im Jahre 1958, hatten 301 Personen über ihren Predigtdienst berichtet. Während die Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl im Jahre 1958 510 betrug, sprang sie zwei Jahre später auf 1 396, und im Jahre 1961 waren zu unserer Überraschung 1 710 Personen anwesend.

Im Jahre 1960 war das Land in drei Kreise aufgeteilt worden, und die Kongresse fanden an vielen verschiedenen Stellen statt, damit die Verkündiger dabeisein konnten, ohne große Strecken reisen zu müssen. Es fiel auf, daß auf diesen Kongressen nicht nur Angehörige verschiedener Stämme, sondern sogar verschiedener Rassen anwesend waren. Ein weißer Kreisaufseher schrieb: „Eines Abends kam ein Mann von der Pfingstgemeinde zu mir und sagte: ,Was ich hier sehe, habe ich noch nie zuvor gesehen — daß ein Weißer in dem Haus eines Schwarzen übernachtet, mit ihm Gemeinschaft pflegt und mit ihm ißt. Wir haben auch unsere Missionare. Sie kommen, um uns zu predigen, aber sie kommen nie in unsere Häuser, um zu essen, Gemeinschaft mit uns zu pflegen und zu schlafen. Wir versuchen oft, euch zu kritisieren, aber eines können wir nicht abstreiten — ihr habt Liebe untereinander, und das ist wirklich der Weg der Wahrheit!‘ “

Während der drei Jahre von 1958 bis 1961 verdoppelte sich die Anzahl der Verkündiger. Und so stieg auch die Zahl der Versammlungen von neun auf achtzehn. Außerdem gab es zwanzig oder noch mehr Gruppen in abgelegenem Gebiet. Gegen Ende 1962 dienten zwölf Absolventen der Gileadschule in Liberia, vier von ihnen waren Einheimische.

DER WIDERSTAND WÄCHST

Besonders in dem Gebiet um Kolahun, in dem Kissi gesprochen wird, sahen die Stammeshäuptlinge in der eifrigen Tätigkeit der Zeugen Jehovas eine Bedrohung ihrer Macht und Autorität. Die Brüder und die Interessierten hielten sich nicht mehr an die Gesetze der Medizinmänner und zahlten auch kein Geld mehr, wenn die Gemeinde den Ahnen Opfer darbringen wollte. Diese Weigerung aus Gewissensgründen führte zu Verhaftungen und ungerechten Bestrafungen, und oft wurde bei den Oberhäuptlingen und den obersten Bezirksverwaltungen Berufung eingelegt, die einige dieser Fälle an das Innenministerium in Monrovia weiterleiteten.

Offen gesagt, trugen die Brüder teilweise selbst zu den Spannungen bei, indem sie aus den Stammesbräuchen manchmal eine Streitfrage machten, obwohl es nicht nötig gewesen wäre. Einige Neue machten den Fehler, Gemeindearbeiten zu verweigern. Auch traten manche vor den Behörden nicht mit dem gebührenden Respekt und der nötigen Milde auf (Tit. 3:1, 2).

Im Gebiet von Limbaba begannen die Brüder, ihre Häuser in der Nähe voneinander zu bauen, als ob sie eine eigene getrennte Gemeinde bilden wollten. Auf diese Weise konnten sie sich zwar von lästigen Dorfgesetzen frei machen, aber ihre Handlungsweise konnte auch als ein Schritt zur Autonomie ausgelegt werden. Folglich war es notwendig, daß der Kreisaufseher Rene leRoux lange Unterredungen mit den Beamten führte, um die Spannungen zu mildern und unsere Absichten klarzulegen.

„STAATSGEFÄHRDENDE LEHREN“?

Mitte Januar 1963 billigte der liberianische Senat eine Gesetzesvorlage, durch die das Gesetz hinsichtlich patriotischer Zeremonien ergänzt werden sollte. Das Gesetz sah vor, daß die Fahne täglich geehrt werden sollte, und verlangte das Singen der Nationalhymne und ähnlicher Lieder. Die Übertretung des Gesetzes sollte schwer bestraft werden.

Fast gleichzeitig veröffentlichte die Regierungszeitung The Liberian Age in ihrer Ausgabe vom 18. Januar 1963 einen Leitartikel mit der Schlagzeile: „Regierung geht gegen staatsgefährdende Lehren vor“. In dem Artikel wurde Jehovas Zeugen zu Unrecht vorgeworfen, Untreue gegenüber dem Staat zu lehren, indem sie ihren Mitgliedern untersagen würden, die Fahne zu grüßen und die Nationalhymne zu singen. Unter anderem hieß es in dem Artikel:

„Wie der Justizminister erklärte, entwickelte sich kürzlich in einem Teil des Landesinneren eine gefährliche Situation, die durch die Lehren und den Einfluß dieser seltsamen Religion heraufbeschworen wurde, [aber] die Regierung ergriff Gegenmaßnahmen, bevor sich die Situation zuspitzte.

Um sicherzugehen, daß so etwas nicht wieder vorkommt, sind entsprechende Schritte unternommen worden. Der Präsident hat ein Gesetz gebilligt, das besagt, daß sich eine Person oder Organisation, die ,unter dem Deckmantel religiöser oder anderer Lehren‘ Bürger oder Ausländer lehrt oder beeinflußt, die Nationalfahne oder die Nationalhymne zu mißachten, oder die versucht, einer Person oder Personengruppe Mißachtung gegenüber der Regierungsgewalt und den Landesgesetzen einzuflößen, eines staatsgefährdenden Vergehens schuldig macht.

Darauf wurde ein Beamter des Justizministeriums angeführt, der gesagt hatte, eine Organisation, die nicht aufhöre, diese Dinge zu lehren, würde verboten werden.

Am gleichen Tag bat uns ein Vertreter dieser Zeitung um eine Erwiderung auf die Vorwürfe. Darauf schrieb Bruder G. Henry Ricketts, ein bekannter und hochgeachteter liberianischer Bürger, der ursprünglich aus Jamaika stammte, einen Antwortbrief. Darin legte er deutlich unsere Ansicht dar, daß die Fahnengrußzeremonie ein religiöser Akt ist (da die Fahne selbst als heilig angesehen wird) und somit eine Form der Anbetung darstellt. Um unseren Standpunkt zu verteidigen, daß wir dem „Cäsar“ geben, was ihm gebührt, aber Gott alle Anbetung, führte er viele Aussprüche verschiedener Autoritäten an, darunter Aussagen des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten (Luk. 20:25).

An dem Morgen, an dem diese Erwiderung im Liberian Age veröffentlicht wurde, reiste der Zweigaufseher nach New York ab, um die 38. Klasse der Gileadschule zu besuchen, und sein Vertreter, John Charuk, wurde mit der Verantwortung für das Zweigbüro betraut. Unterdessen wurde eine Unterredung mit dem Präsidenten vereinbart, nachdem sich der Justizminister geweigert hatte, eine Delegation unserer Brüder zu empfangen.

Vier Tage nachdem Bruder Ricketts’ Brief veröffentlicht worden war, kündigte das Justizministerium seine Verhaftung wegen „staatsgefährdender Lehren und Einflüsse“ unter dem Deckmantel religiöser Überzeugung an. Außerdem wurde behauptet, er habe sich des Widerstandes gegen die Staatsgewalt schuldig gemacht, da er erklärt habe: „Jehovas Zeugen nehmen lediglich für sich selbst das Recht in Anspruch, sich zu weigern, die Fahne irgendeiner Nation zu grüßen.“ Ein Leitartikel, der im Liberian Age über diese Angelegenheit erschien, trug die Überschrift „Gefährliche Lehre“.

Alle Bemühungen mit Präsident Tubman und dem Justizminister in Verbindung zu treten, schlugen fehl. Es könnte erwähnt werden, daß zu dieser Zeit eine gespannte Atmosphäre im Land herrschte. Das Gerücht ging um, ein Anschlag auf den Präsidenten sei geplant. Anfang Januar wurde das Land erschüttert, als bekannt wurde, daß der togolesische Präsident Sylvanus Olympio erschossen worden war, und das kurz vor einem Staatsbesuch in Liberia. In ganz Monrovia waren Bilder von ihm aufgestellt worden, und man hatte viele Vorbereitungen für diesen Besuch getroffen, der nicht mehr verwirklicht werden konnte.

Außerdem wurde ein hoher Heeresoffizier ins Gefängnis gesteckt, und Liberias Verteidigungsminister wurde seines Amtes enthoben. Es wurde berichtet, daß in Liberias bedeutendsten Zentren der Gelehrsamkeit, in der Universität von Liberia und im Cuttington College, kommunistisches Gedankengut verbreitet würde. In einer Rundfunkrede an die Nation kündigte Präsident Tubman an, er werde diese Institutionen schließen lassen, wenn derartige Lehren nicht sofort ausgemerzt würden. Der Verdacht auf eine allgemeine Verschwörung zum Umsturz der Regierung trug nicht gerade zu einem Geist der Duldsamkeit gegenüber Jehovas Zeugen und ihren angeblich „staatsgefährdenden Lehren“ bei.

DER ERSTE SCHLAG IN KOLAHUN

Mitte Februar 1963 berief Präsident Tubman in Kolahun eine Ratsversammlung ein, auf der die Häuptlinge ihre Vorwürfe gegen Jehovas Zeugen vorbrachten. Sie gingen sogar so weit, zu behaupten, der Sonderpionier Bayo Gbondo versuche, seine eigene Regierung und Herrschaft aufzurichten. Am Ende des zweiten Tages verlangte der Präsident, daß alle Zeugen vor ihm erschienen. Etwa vierzig Brüder kamen in dem Glauben, Präsident Tubman würde mit ihnen über eine Entschädigung für Bayo Gbondo verhandeln, dem zwei Häuser weggenommen worden waren.

Während dieses Treffens wurde Bayo Gbondo gefragt: „Ist es wahr, daß ihr Zeugen Jehovas eure eigene Regierung und eure eigenen Gesetze habt?“ Darauf antwortete er: „Nein, das ist nicht wahr. Jehovas Zeugen treten für Gottes Königreich ein, um das Christus seine Nachfolger beten lehrte, und sie erkennen gleichzeitig die bestehende Regierung des Landes an. Als Christen gehorchen wir den Gesetzen und Grundsätzen der Bibel und leben danach. Wir halten uns aber auch an die Gesetze der Regierung und achten sie.“

Trotzdem wurde den Zeugen dann befohlen, hinauszugehen und die Fahne zu grüßen. Dies war ein spannungsgeladener Augenblick. Unter den Anwesenden befanden sich viele Regierungsbeamte, Vertreter der Justiz, Stammeshäuptlinge aus allen Teilen des Landes, Geistliche, Armeeangehörige und eine Anzahl ausländischer Diplomaten. Vor diesen hochstehenden Beobachtern weigerte sich die große Mehrheit der Brüder, die Fahne zu grüßen. Darauf wurden sie von Soldaten mit Gummiknüppeln angegriffen. Danach wurden die Brüder zurückgebracht, damit sie die Fahne grüßten, und die Soldaten standen neben ihnen und hoben ihnen die Arme hoch. Das konnte gewiß nicht als ein freiwilliger Gruß angesehen werden.

Nun sagten einige Häuptlinge: „Bayo ist der Anstifter all dieser Unruhen. Darauf wurde angeordnet, daß Bayo Gbondo zu fünf Jahren in Belle Yelle verurteilt werden sollte — ein berüchtigtes Gefangenenlager, das „Sibirien“ Liberias. Aber er war so schwer geschlagen worden, daß er nicht laufen konnte.

Später wurden Bayo Gbondo und die anderen freigelassen. Doch zuvor fand nochmals eine Fahnengrußzeremonie statt. Was dabei geschah, wurde erst später bekannt, aber zu dieser Zeit nahm man an, daß die Brüder die Fahne nicht gegrüßt hatten, obwohl sie schwer geschlagen worden waren. Was tatsächlich vorgefallen war, werden wir später sehen.

Bruder Charuk schickte dem Präsidenten ein Funktelegramm und dankte ihm für die Freilassung der Brüder. In einer Antwort darauf hieß es, sie seien nur deswegen freigelassen worden, weil sie die Fahne gegrüßt und versprochen hätten, künftig den Gesetzen des Landes zu gehorchen. Bezog sich der Präsident dabei auf einen erzwungenen Fahnengruß, oder hatten die Brüder tatsächlich gegrüßt? Das sollte sich erst herausstellen, als wir einen Bezirkskongreß in Gbarnga abhielten.

VERHAFTUNG UND AUSWEISUNG

Der Vorfall in Kolahun löste weitere Ereignisse aus. In Lower Buchanan wurde Bruder Lichfield Remmie von dem Aufsichtsbeamten des Verwaltungsbezirks zu einer Unterredung gerufen. Während dieser Unterredung wurde er aufgefordert, jegliche Tätigkeit einzustellen. Darauf wandten sich er und der Zweigaufseher an den Justizminister, aber dieser weigerte sich, mit ihnen zusammenzutreffen, und hörte sich nicht einmal an, was sie zu sagen hatten. Anschließend kehrte Bruder Remmie nach Lower Buchanan zurück, wo Präsident Tubman einer Methodistenkonferenz beiwohnen wollte. Dort konnte sich Bruder Remmie mit dem Präsidenten ausführlich über unsere Ansichten bezüglich der Fahne unterhalten. Daraufhin wurde jedoch seine Verhaftung und Ausweisung angeordnet, da Bruder Remmie aus Sierra Leone stammte.

Bruder Remmie wurde von Soldaten geschlagen und erhielt über drei Tage nichts zu essen. Als er nach Monrovia gebracht wurde, wurde er in eine Gefängniszelle gesperrt, deren Boden mit menschlichen Exkrementen übersät war. Ein Appell an den Gesandten von Sierra Leone führte zu einer Intervention, besonders nachdem bekanntgeworden war, daß Bruder Remmie ein Cousin des Premierministers jenes Landes war. Nach einer Woche unmenschlicher Behandlung wurde der Bruder in ein Krankenhaus gebracht, und seine Ausweisung wurde verzögert.

DER KONGRESS IN GBARNGA

Nach Bruder Ricketts’ Verhaftung Ende Januar wurde das Justizministerium gefragt, ob etwas gegen den religiösen Kongreß der Zeugen Jehovas einzuwenden sei, der vom 8. bis 10. März 1963 in Gbarnga stattfinden sollte. Das Justizministerium hatte keine Einwände. Daher wurden die Pläne für die Veranstaltung fortgesetzt. Gbarnga lag zentral im Landesinneren.

In den ersten Tagen der Kongreßwoche traf M. G. Henschel ein. Er und Bruder Charuk verbrachten viel Zeit in der amerikanischen Botschaft und versuchten, ein Interview mit Präsident Tubman zu vereinbaren, um unseren Standpunkt zu erklären. Schließlich erhielten sie die Nachricht, daß am Montag, dem 11. März, 10 Uhr vormittags eine Unterredung gewährt werde. Darauf fuhren die beiden Brüder nach Gbarnga, und der Bezirkskommissar Samuel B. Cooper stellte ihnen freundlicherweise seine Wohnung als Unterkunft zur Verfügung. Dieser Beamte hatte sich freundlich und hilfsbereit gezeigt, und die Ereignisse in Kolahun schienen ihn nicht beeinflußt zu haben.

Die Brüder hatten schwer gearbeitet, um den Kongreß vorzubereiten. Sie hatten ein großes Gebiet am Ende der Progressive Street gesäubert. Außerdem hatten sie Hütten aufgerichtet, denn das Programm sollte in Englisch, Kpelle, Kissi und Bassa abgehalten werden. Am Samstagabend hielt Bruder Henschel eine zeitgemäße Ansprache über die „obrigkeitlichen Gewalten“ (Röm. 13:1). Bruder Ricketts traf am Sonntagmorgen ein. Er war einen Tag vorher freigelassen worden. Die Brüder frohlockten. Sie ahnten nicht, daß dies nur zu dem Plan gehörte, alle Zeugen zusammenzubringen und sie einer Prüfung in bezug auf den Fahnengruß zu unterziehen.

Am Sonntag waren etwa 400 Personen anwesend, darunter viele Interessierte aus Gbarnga. Der Tagestext, der an jenem Vormittag besprochen wurde, war Jakobus 5:10 entnommen, wo es heißt: „Brüder, nehmt euch beim Erleiden von Ungemach und beim Geduldüben die Propheten als Beispiel, die im Namen Jehovas geredet haben.“ Wie passend dieser Text doch war!

Etwa um 10.30 Uhr, als die versammelten Christen dem Vortrag lauschten „Den Glauben und ein gutes Gewissen bewahren“, brachte ein Leutnant namens Warner von der Militärstation in Gbarnga einen Brief des Bezirkskommissars Cooper auf das Kongreßgelände. In diesem Brief hieß es auszugsweise: „Damit der Eindruck ausgemerzt wird, den die Öffentlichkeit hinsichtlich der Loyalität Ihrer Mitglieder hat, ordne ich an, daß Sie sich nach Empfang dieses Briefes mit allen Teilnehmern Ihrer Tagung zum Exerzierplatz begeben, um der Fahne der Republik Liberia die Treue zu bekunden.“

M. G. Henschel und zwei andere Brüder brachen sofort auf, um mit dem Bezirkskommissar zu sprechen. Bruder Henschel bat darum, mit jeglicher Maßnahme zu warten, bis er mit dem Präsidenten gesprochen habe, mit dem er durch die amerikanische Botschaft eine Vereinbarung für Montagmorgen getroffen habe. Der Kommissar war jedoch nicht bereit, darauf zu hören, und befahl den Soldaten, alle Anwesenden zum Exerzierplatz zu führen. Die Brüder kehrten zum Kongreß zurück und schickten sofort Spencer Thomas und Frank Williams nach Monrovia, damit sie die britische und die amerikanische Botschaft von den Vorgängen unterrichteten, die ihre Staatsangehörigen betrafen. Obwohl die Soldaten eine Straßensperre aufgerichtet hatten, um alle Zeugen Jehovas abzufangen, gelangten die Brüder nach Monrovia.

GEFANGEN!

Die Soldaten fuhren auf einem Lastwagen vor. Sie sprengten die friedliche Versammlung und trieben alle zusammen — Männer, Frauen und Kinder. Die Gruppe von etwa 400 Personen mußte dann mitten durch die Stadt zum Exerzierplatz marschieren. Unterwegs sangen sie Königreichslieder zum Preise Jehovas. Von fern und nah kamen Menschen herbei, und Ausländer machten Fotos. Die Afrikaner staunten, als sie sahen, was sich da abspielte. Soldaten schrien: „Schweigt! Hört auf zu singen!“

Als sie auf dem Exerzierplatz ankamen, mußten sie sich in einem Kreis um den Fahnenmast aufstellen, die ausländischen Zeugen ganz vorn. Zweimal machte ihnen der Leutnant vor, was sie tun sollten. Doch keiner grüßte. Darauf befahl der Kommissar: „Setzt sie alle hinter Schloß und Riegel!“ Nun nahmen die Soldaten den Brüdern all ihre persönlichen Sachen ab wie Federhalter, Brillen und Taschen, und das mit offizieller Genehmigung. Später wurden Geld, Uhren und Schmuck von den Soldaten gestohlen. Dann sperrten sie soviel Zeugen wie möglich in vier fensterlose Räume. Einige davon waren in Wirklichkeit Latrinen. Die übrigen Zeugen wurden außerhalb des Wachgebäudes in ein eingezäuntes Gehege gesperrt. Dort mußten sie den ganzen Sonntagnachmittag bis etwa 18 Uhr bleiben. Sie vertrieben sich die Zeit, indem sie Königreichslieder sangen.

Inzwischen fuhren drei Lastwagen vor, die Soldaten aus einem nahe gelegenen Militärlager brachten. Die Brüder wurden dann in Begleitung von bewaffneten Soldaten auf den Exerzierplatz geführt. Wieder mußten sie vor dem Fahnenmast Aufstellung nehmen, doch nur wenige machten einen Kompromiß. Die übrigen wurden über die Straße auf ein offenes Feld getrieben. Dort mußten sie durch die Reihen der Soldaten Spießruten laufen. Sie wurden getreten, gestoßen und mit Gewehren geschlagen. Sogar Frauen mit kleinen Kindern wurden geschlagen. Man muß die Schreie weithin gehört haben.

Nun mußten die Brüder ihre Schuhe, ihre Jacken und ihre Hemden ausziehen und ihre Kopfbedeckung abnehmen. Dann wurden sie gezwungen, die ganze Nacht aufrecht zu sitzen. Sie durften weder schlafen noch ihren Kopf aufstützen. Wasser erhielten nur Kleinkinder und Säuglinge, von denen später einige in eine nahe gelegene Klinik gebracht wurden. Das Sitzen auf dem harten Boden und den losen Kieselsteinen war eine Qual. Wenn jemand einnickte, war sofort ein Soldat zur Stelle, der ihn schlug, um ihn wach zu halten. Die ganze Nacht lang beschimpften die Soldaten die Brüder ohne Unterlaß: „Wo ist jetzt euer Jehova?“ „G steht für alles. G für Gott, G für Gouvernement. Unser Gott gab uns ein Gewehr. Was hat euer Gott euch gegeben?“

KOMPROMISSE AM MONTAGMORGEN

Als der Morgen graute, herrschte eine gespannte Stimmung. Die Soldaten erklärten, alle würden noch vor Ende des Tages die Fahne bereitwilligst mit beiden Händen grüßen. Seit Sonntagmorgen hatte, außer einigen Kindern, keiner etwas zu essen oder zu trinken bekommen Ein Oberst drohte ihnen, daß es an diesem Morgen sehr schlimm werde. Er bog seine Peitsche, während er sagte: „Wir werden dafür sorgen, daß ihr die Fahne heute morgen grüßt.“

Auf dem Weg zum Fahnenmast wurde den Brüdern befohlen, Schuhe, Socken und Mäntel auszuziehen. Einige Soldaten rissen ihnen die Uhren vom Arm. Als die Zeremonie begann, wurden alle, die bereit waren, die Fahne zu grüßen, aufgefordert, sich von den anderen zu trennen und näher an den Fahnenmast heranzutreten. Erstaunlicherweise waren 60 oder mehr Brüder aus Kolahun bereit zu grüßen, auch der Gileadabsolvent Bayo Gbondo. Zweifellos wurden durch seine Handlung viele andere beeinflußt.

Warum grüßten die Brüder aus Kolahun? Der Bezirkskommissar hatte die Brüder aus Kolahun abgesondert und sie daran erinnert, daß sie bereits in Kolahun die Fahne gegrüßt hätten. Er drohte ihnen, wenn sie sie jetzt nicht grüßten, würde er sie alle nach Belle Yelle schicken. Später fragte Schwester Watkins Bayo Gbondo, ob er in Kolahun gegrüßt habe. „Ja“, erwiderte er. „Sie hätten mich sonst umgebracht.“ Anscheinend hatten ihn die Soldaten so lange geschlagen bis er nachgab, aber er hatte nichts davon erzählt. So kam die Sache schließlich ans Tageslicht.

Die Zeugen, die in Gbarnga die Fahne nicht grüßten, wurden darauf wie Tiere wieder zurück aufs offene Feld getrieben. Viele wurden mit Gewehren geschlagen, besonders auf den Kopf. Schwester Rhoda Brown aus Lower Buchanan, die damals im achten Monat schwanger war, wurde zweimal niedergeschlagen und über den Boden gerollt. Eine andere Schwester, Ida Zizi aus Monrovia, die ihr Kind auf dem Rücken trug, wurde so niedergeschlagen, daß sie auf den Säugling fiel. Das Kind schien tot zu sein, doch es konnte später in der Klinik wiederbelebt werden. Sogar siebenjährige Kinder wurden von den bewaffneten Soldaten geschlagen.

Nachdem sich die Zeugen hingesetzt hatten, wurden sie aufgefordert in die Sonne zu schauen, und die Soldaten achteten genau auf ihre Augen, um sich zu vergewissern, daß die Brüder in die pralle Sonne starrten. Nachdem sie diese Unmenschlichkeit eine halbe Stunde lang ertragen hatten, durften sie auf dem Exerzierplatz unter schattigen Bäumen Zuflucht suchen. Darauf zwangen die Soldaten einige Zeugen, unter ihnen Bruder Henschel, aus einem von Parasiten verseuchten Fluß, der etwa einen halben Kilometer entfernt war, Wasser zu holen. Schwester Muriel Klinck, eine Missionarin, wurde gezwungen, in den Fluß hineinzuwaten und Wasser auf dem Kopf zu tragen. Ein Soldat trat sie dann boshaft in den Leib. Einige Soldaten drohten ihr, sie zu vergewaltigen. Als die Wasserträger mit ihren Eimern bei den gefangenen Zeugen eintrafen, kippten die Soldaten die Eimer um und zertrampelten die Trinkgefäße mit ihren Stiefeln. Zur Erklärung sagten sie: „Kein Gruß, kein Wasser.“ Schließlich erlaubten ihnen die Soldaten, etwas von dem Flußwasser zu trinken — das erste, was sie nach vierundzwanzig Stunden trinken durften.

Zu keiner Zeit stellten die Behörden Nahrung zur Verfügung. Nachdem die Brüder über vierundzwanzig Stunden nichts gegessen hatten, durften ein paar Zeugen zum Kongreßgelände gehen und von den vorhandenen Vorräten etwas Reis kochen. Als der Reis zu der Gruppe gebracht wurde, waren für jeden nur vier Löffel Reis da.

Während der ersten vierundzwanzig Stunden durften nur einige der Frauen zur Toilette gehen. Erst im Laufe des Montags wurde dies den Männern erlaubt.

Bei der Fahnengrußzeremonie um 18 Uhr forderte Leutnant Warner die Zeugen auf, Dolmetscher zu stellen. Sie sollten Reden übersetzen, die die Beamten halten wollten, um die Brüder zum Fahnengruß zu überreden. Einige Zeugen schienen sehr bereitwillig zu sein, das Dolmetschen zu übernehmen. Doch statt die Gelegenheit wahrzunehmen, ihre Brüder in einer Sprache, die die Soldaten nicht verstehen konnten, zur Treue aufzufordern, übermittelten ihnen die Dolmetscher lediglich, was die Soldaten sagten: „Der Fahnengruß verstößt nicht gegen Gottes Gesetz. Jedermann grüßt die Fahne, und ihr solltet die Fahne auch grüßen.“ Darauf gaben zusätzlich zu den Dolmetschern etwa hundert weitere Personen ihre Lauterkeit auf. Zu dieser Gruppe gehörten auch einige Aufseher und Sonderpioniere. Einige wurden bewußtlos, während sie vor der Fahne standen, wahrscheinlich aus Angst. Später machten sie Kompromisse.

Die Kompromißbereiten durften sich auf eine Wiese des Militärgeländes setzen, während diejenigen, die keine Kompromisse gemacht hatten, auf einer Schotterstraße sitzen mußten. Dies war die zweite Nacht, in der sie aufrecht sitzen mußten. Eine Zeitlang wurde eine neue Brutalität hinzugefügt: Jeder wurde gezwungen, die Arme hochzuhalten. Wer die Arme sinken ließ, wurde mit dem Gewehr geschlagen. Die Offiziere ermunterten weltliche Verwandte, mit den Treuen zu sprechen. Diese versuchten dann, auf sie einzureden: „Denke doch an deine Kinder!“ Oder: „Wie kannst du uns so etwas antun?“ Einige gaben unter dem Druck nach und brachen ihre Lauterkeit.

Das Lager der Treuen war jetzt kleiner als das der Kompromißbereiten. In dieser Nacht erfuhren diejenigen, die treu geblieben waren, auf eine seltsame Weise Erleichterung, denn die Aufmerksamkeit der Soldaten wurde häufig auf das Lager der Kompromißbereiten gelenkt, das sich in einem Zustand der Verwirrung befand. Offensichtlich hatte Jehovas Geist die Kompromißbereiten verlassen.

Man konnte hören, wie die Soldaten diejenigen, die unter dem Druck nachgegeben hatten, beschimpften: „Warum habt ihr uns die ganze Zeit hingehalten? Warum habt ihr die Fahne nicht gleich am ersten Tag gegrüßt?“ „Jetzt ist mein Gott dein Gott.“ Ein Soldat verspottete die Kompromißbereiten mit den Worten: „Warum habt ihr eure Brüder im Stich gelassen?“ Ein anderer Soldat sagte zu ihnen: „Jetzt sehen wir, daß es nicht nur zweierlei Soldaten, sondern auch zweierlei Christen gibt, tapfere und feige. Ihr seid nur zur Tagung gekommen wegen des Reises. Wenn ihr nicht gegrüßt hättet, so wären alle bereits freigelassen worden.“ Auch die Gruppe der Kompromißbereiten wurde die ganze Nacht wach gehalten.

DIENSTAG, 12. MÄRZ

Am Morgen wurden die Soldaten von anderen abgelöst, die offenbar noch sadistischer waren. Ein paar weitere Zeugen machten Kompromisse, und die übrigen wurden auf das Feld zurückgebracht, wo sie mit Gewehrkolben und kurzen Peitschen geschlagen wurden. M. G. Henschel wurde mit einem Gewehrkolben beinahe bewußtlos geschlagen.

Die Sonne brannte auf die unbedeckten Köpfe. Ein Missionar bekam einen Sonnenstich. Ein anderer, Rene leRoux, sagte später: „Es war, als hätte man den Kopf in einem 250 Grad heißen Ofen.“

Am Dienstagmorgen (12. März) verlangten die Ausländer energisch, daß man sie freilasse. Der Leutnant ging, um sich zu erkundigen. Bald darauf kam er wieder, und etwa um 11 Uhr wurden die fast dreißig Ausländer freigelassen. Sie alle waren trotz der brutalen Behandlung treu geblieben. Bevor sie weggingen, sprach Bruder Henschel ein paar Minuten zu den zurückbleibenden liberianischen Zeugen; sie beteten gemeinsam und fühlten sich gestärkt.

Auf dem Kongreßgelände herrschte ein großes Durcheinander. Alle Koffer waren mit Bajonetten aufgerissen und die Wertsachen gestohlen worden. Elektrische und andere Geräte waren zerstört worden. Die freigelassenen Zeugen kehrten zu dem Gelände zurück, auf dem die liberianischen Christen noch festgehalten wurden, und brachten ihnen Getränke, Nahrung, Geld und anderes. Aber der Bezirkskommissar gebot dem bald Einhalt. Später sagte er den liberianischen Brüdern, es werde ihnen nun sehr schlimm ergehen. Die Soldaten schnitten den Männern ein Kreuz in die Haare, um sie als Gefangene zu kennzeichnen. Dieser „Haarschnitt“ wurde ihnen mit Glasscherben gemacht. Bei der Fahnengrußzeremonie am Abend wurde etwa ein weiteres Dutzend Brüder schwach.

Bruder Joseph Lablah erwähnte später, daß die Soldaten, während sie die Haare schnitten, sagten: „Das sind die echten Zeugen Jehovas.“ Unwissentlich hatten die Soldaten die Brüder sehr ermuntert.

Die Nacht zum Mittwoch war am schlimmsten. Der „Haarschnitt“ sollte die Zeugen daran erinnern, daß sie Gefangene waren und erwarten konnten, nach Belle Yelle zu kommen. Männer wurden gezwungen, ihre Hemden auszuziehen, und die Frauen durften keine Überwürfe tragen und keine Tücher um den Kopf binden, um sich vor der Kälte zu schützen. Moses Anderson, ein Pionier, der nur eine kurze Hose trug, mußte auf einem Fuß stehen, bis er bewußtlos wurde. Auch einige andere verloren das Bewußtsein.

Die Zeugen kümmerten sich liebevoll umeinander. Wenn möglich, sprachen sie einander Mut zu, führten Schrifttexte an und beteten um Kraft, um ihre Lauterkeit bewahren zu können. Als Bruder Anderson bewußtlos wurde, sprangen ihm andere Zeugen aus dieser Gruppe zu Hilfe, ungeachtet der persönlichen Gefahr. Sie konnten keinen Puls fühlen und befürchteten, er sei tot. Sein Körper war ganz kalt. So zogen sie ihm Kleider an und veranlaßten die Soldaten, ihn in die Erste-Hilfe-Station zu tragen.

Die Gruppe offenbarte einen bemerkenswerten Glauben und Mut. Seit Sonntagmorgen hatten alle kaum etwas gegessen und getrunken, seit Samstagabend hatten sie nicht geschlafen und waren sie der sengenden Sonne sowie der feuchten Nachtluft preisgegeben. Trotzdem half ihnen das Gebet, die gegenseitige Ermunterung und das Nachsinnen über die Bibel, standhaft zu bleiben.

MITTWOCHMORGEN — DAS ENDE DER TORTUR

Als die Brüder wieder vor der Fahne stehen mußten, waren sie entschlossen, standhaft zu bleiben. Schwester Rhoda Brown, die bereits im achten Monat schwanger war und an den Beinen brutal geschlagen und mit Gewehren zu Boden geworfen worden war, sagte: „Sind wir schon so weit, so sollen sie jetzt tun, was sie wollen, ich werde die Fahne nicht grüßen.“ Nur einer grüßte, Apollos Ene aus Nigeria, der die Absicht gehabt hatte, über Liberia in die Vereinigten Staaten zu gehen.

Kurz nach der Zeremonie teilte Kommissar Cooper den Zeugen mit, daß sie freigelassen würden. Ene, der kurz zuvor schwach geworden war, warf sich zu Boden und weinte bitterlich. Als er wieder in Monrovia war, wurde er krank, und am 24. April 1963 starb er.

Den Treuen wurde gesagt, daß sie gerichtlich verfolgt würden und man ihr Eigentum beschlagnahmen und sie für 10 Jahre einsperren würde. Alle Männer mußten sich den Kopf kahlscheren lassen, bevor sie Gbarnga verließen. Außer den ausländischen Brüdern bewahrten etwa 100 liberianische Zeugen während der Verfolgung in Gbarnga ihre Lauterkeit. Unter ihnen waren Menschen aus allen Schichten — Analphabeten und Studenten. Diejenigen, die treu geblieben waren, hatten immer gewissenhaft die Zusammenkünfte besucht.

Die Kinder verhielten sich während der Verfolgung ganz ausgezeichnet. Sie saßen stundenlang ruhig auf dem Boden, da sie es gelernt hatten, während der Zusammenkünfte im Königreichssaal still zu sitzen.

Der materielle Verlust, den die Brüder erlitten, wurde auf über 6 000 Dollar geschätzt. Aber die liberianischen Versammlungen verspürten einen noch größeren Verlust, denn sieben Versammlungsdiener (vorsitzführende Aufseher) und neun Sonderpioniere hatten Kompromisse geschlossen. Das bedeutete, daß einige Versammlungen sowie ein Dutzend Verkündigergruppen aufgelöst werden mußten. Viele andere, die Kompromisse gemacht hatten, waren noch ganz neu in der Wahrheit gewesen und hatten noch kein grundlegendes Verständnis hinsichtlich der betreffenden Streitfragen gehabt.

Ein treuer Bruder verspürte nach seiner Freilassung ein überwältigendes Glücksgefühl, nicht weil er weiterer Verfolgung entgangen war, sondern weil er treu geblieben war. Er dachte: „So werden wir bestimmt empfinden, wenn Harmagedon vorbei ist.“ Sein Herz war von Hoffnung erfüllt.

Auch der betagte Bruder Holman war unter den Treuen. Während der Tortur war er ohnmächtig geworden und in eine nahe gelegene Klinik gebracht worden. Als er zu der Gruppe zurückkehrte, waren die Brüder wirklich glücklich, ihn zu sehen, denn sie hatten ihn schon für tot gehalten. Sein Haar war genauso geschnitten worden wie das der Gefangenen. „Ich war überglücklich, daß ich alles überlebt hatte“, schrieb er später. „Ich schämte mich auch nicht, daß mich mein Haarschnitt als Häftling kennzeichnete. Ich zeigte es den Leuten, mit denen ich sprach ... In meinem ganzen siebzigjährigen Leben bin ich nie ein Gefangener gewesen, und wenn ich jetzt ein Gefangener um Jehovas Namens willen bin, so bin ich glücklich“ (Matth. 5:10-12).

MISSIONARE AUSGEWIESEN

Nach den Ereignissen in Gbarnga waren die Brüder unsicher. Welche weiteren Schritte die Regierung gegen sie unternehmen würde, konnten sie nur ahnen. Schwester Edna Geary wurde aus ihrer Stellung im Finanzministerium entlassen, weil sie sich geweigert hatte, die Fahne zu grüßen. Schwester Dorothy Seaman verlor ihre Stellung als Lehrerin, und Bruder Jacob Wah wurde von der Universität von Liberia entlassen. An verschiedenen Orten durften Kinder, die Zeugen Jehovas waren, nicht mehr die Schule besuchen.

Am 18. April 1963 befahl die Regierung schließlich den 27 ausländischen Zeugen, einschließlich aller Missionare, das Land zu verlassen. Sie erhielten folgende Mitteilung vom Justizministerium: „Da Sie sich in schamloser und trotziger Weise geweigert haben, die liberianische Fahne zu grüßen und gebührend zu respektieren, und dadurch willentlich die Gesetze dieses Landes übertreten haben, werden Sie hiermit aufgefordert, das Land innerhalb von 14 Tagen zu verlassen. Sollten Sie dieser Aufforderung nicht nachkommen, wird gegen Sie ein Deportationsverfahren eingeleitet.“

Hätten diese ausländischen Zeugen die liberianische Fahne gegrüßt, so hätten natürlich die Länder, aus denen sie kamen, dies als eine Zurückweisung ihrer eigenen Staatsangehörigkeit angesehen.

Nach dieser Wende der Ereignisse verließen viele liberianische Brüder Monrovia und andere Gemeinden, in denen sie bekannt waren, und zogen anderswohin, einige nach Sierra Leone. In den Königreichssälen wurden keine Zusammenkünfte mehr abgehalten. Man traf sich statt dessen an verschiedenen Orten in kleineren Gruppen. Bruder Frank Williams, ein liberianischer Gileadabsolvent, erhielt einige Schulung, bevor die Missionare fortgingen, so daß er das Werk im Zweigbüro der Gesellschaft fortsetzen konnte. Bruder Joseph Lablah aus Gbarnga war weiterhin im Kreisdienst tätig und besuchte und ermunterte die Brüder im ganzen Land.

Im März berichteten nur 258 Brüder über ihren Predigtdienst, und im April waren es 314. Die Verkündigerzahl war um die Hälfte gesunken. Schätzungsweise 200 Personen hatten Kompromisse geschlossen. Da eine ganze Anzahl Sonderpioniere (von denen viele Kompromisse geschlossen hatten) nicht in ihre Zuteilung zurückkehrten, gaben viele abgelegen lebende Verkündiger die Zeugnistätigkeit auf. So war es auch in manchen kleinen Versammlungen. Einige Verkündiger, die nicht in Gbarnga waren, hörten aus Furcht auf zu predigen.

Die Furcht und die Unsicherheit wurden im Mai noch offenkundiger, als die ausländischen Brüder nicht mehr da waren. In der Gegend von Kolahun, wo bis zu 150 Personen tätig gewesen waren, hatte mindestens die Hälfte Kompromisse geschlossen. Doch nach April wurde die Aufsicht über diesen Teil des Landes dem Zweigbüro in Sierra Leone übertragen, und die Berichte von denen, die in diesem Gebiet tätig waren, wurden nicht mehr nach Monrovia geschickt. (Erst kürzlich wurde dieses Gebiet wieder der Aufsicht des liberianischen Zweigbüros unterstellt.)

Diese Faktoren erklären, weshalb im Mai nur 164 Königreichsverkündiger berichteten. In jenem Monat ging im Zweigbüro ein Brief von einem neuen Bruder ein, der sich darüber beschwerte, daß die Treuen und die Kompromißbereiten enge Gemeinschaft miteinander pflegten, indem sie zusammen essen und alles gemeinsam tun würden. Außerdem schrieb er, daß keiner mehr zu folgen scheine. An diesen Beobachtungen muß etwas Wahres gewesen sein, denn im Juni berichteten nur 100 Personen.

TUBMAN ANTWORTET

Als die Missionare aufgefordert wurden, Liberia zu verlassen, schrieb Bruder Knorr einen Brief an Präsident Tubman, in dem er diese Maßnahme bedauerte und darum bat, diesen Schritt neu zu überdenken. Dieser Brief vom 17. April 1963 wurde in der Zeitschrift Awake!, Ausgabe vom 22. Juli 1963 (deutsch: Erwachet! vom 22. September 1963) veröffentlicht und erregte viel Aufsehen.

Am 14. August 1963 hielt Tubman eine Rede anläßlich seiner formellen Annahme einer weiteren Amtszeit als Präsident. Er fühlte sich verpflichtet, ausführlich über Jehovas Zeugen zu sprechen, und bezog sich auf Protestbriefe, die er bereits von verschiedenen Leuten aus den Vereinigten Staaten, aus Großbritannien und Kanada erhalten hatte.

In seiner Rede sagte Präsident Tubman unter anderem: „Jehovas Zeugen sind als Sekte in diesem Land willkommen, aber wir verlangen von ihnen, daß sie das Gesetz halten, das von allen Personen fordert, die Fahne zu grüßen, wenn sie in ihrer Anwesenheit bei einer Zeremonie gehißt oder gesenkt wird.“ Der Ausspruch, Jehovas Zeugen seien willkommen, ermutigte die Brüder sehr. Bald wurde der Königreichssaal für die Zusammenkünfte wieder geöffnet.

Doch schon vorher begannen sich die Brüder wieder freier zu bewegen. Die Tätigkeit der Verkündiger nahm zu, denn im August berichteten 116 und im September 153 Personen. Der vollständige Bericht über die in Gbarnga begangenen Grausamkeiten erschien in der Awake!-Ausgabe vom 8. August 1963 (deutsch: Erwachet! vom 22. Oktober 1963), und darauf ergoß sich eine Flut von Briefen nach Monrovia und in die liberianischen Gesandtschaften in den verschiedenen Ländern und verursachte wachsende Beunruhigung. Liberia konnte die Unmenschlichkeiten, die an Jehovas Zeugen begangen worden waren, nicht leugnen.

Gerüchte darüber, daß einer unserer Brüder in Gbarnga gestorben sei, veranlaßten den Präsidenten zu der Erklärung, er werde die Untersuchung dieses Berichtes persönlich leiten. Das war fünf Monate nach der Verfolgung in Gbarnga.

Zusätzlich zu den Stimmen aus dem Ausland setzten sich viele einflußreiche Liberianer dafür ein, daß den Zeugen Religionsfreiheit gewährt werde, und zeigten ihren Abscheu vor den Greueltaten, die einige begangen hatten. Schließlich schickte Präsident Tubman Ende November ein Telegramm an M. G. Henschel in der Zentrale der Watch Tower Society, in dem er sich bereit erklärte, am 4. Dezember eine Delegation der Zeugen Jehovas in Monrovia zu empfangen und die Fahnengrußfrage sowie unsere missionarische Tätigkeit in Liberia zu besprechen.

INTERVIEW MIT DEM PRÄSIDENTEN

Außer M. G. Henschel gehörten zu der Delegation Bruder Klinck, Bruder Charuk und Bruder Woodworth Mills, ein Vertreter des nigerianischen Zweigbüros der Gesellschaft. Bruder Henschel erklärte, daß wir daran interessiert seien, die Liberianer über die Bibel zu belehren, damit sie tatsächlich den Willen Gottes tun könnten und nicht nur „Herr, Herr“ sagen würden (Matth. 7:21). Außerdem wies er darauf hin, daß die biblische Bildung die beste Verteidigung gegen den atheistischen Kommunismus sei. Darauf zeigte er aus einigen Publikationen unsere Ansichten über das Zahlen von Steuern und über die Unterordnung unter die „obrigkeitlichen Gewalten“, die in Römer, Kapitel 13 erwähnt werden.

Bruder Klinck sprach über den praktischen Nutzen, den die Liberianer aus unserer Evangelisation gezogen hatten, die Verbesserungen in sittlicher und geistiger Hinsicht, die viele an sich vorgenommen hatten, und die wertvolle Schulung, die sie im Predigtwerk erhalten hatten. Bruder Charuk beschrieb die Ergebnisse des Leseprogramms in Zusammenarbeit mit der Regierung im Kampf gegen das Analphabetentum, und Bruder Mills sprach über den guten christlichen Ruf, den sich die Zeugen in Nigeria erworben hatten, die damals 37 000 an Zahl waren und keine Schwierigkeiten hatten.

Mr. Tubman hörte eine halbe Stunde lang aufmerksam zu. Er fragte, ob unser Werk das gleiche sei wie Zions Wacht-Turm. Als er erfuhr, daß wir diesen Namen früher gebraucht hatten, erklärte er, daß in den 1890er Jahren, als er noch ein kleiner Junge war, eine Bibelstudienklasse in seiner Heimatstadt, Kap Palmas, tätig war, die Zions Wacht-Turm benutzte. Er erwähnte die Gibsons und einen Mr. Seton, die damals mit der Gruppe verbunden waren.

Darauf erzählte Mr. Tubman, das Fahnengrußgesetz sei von einem Geistlichen der Episkopalkirche namens J. W. Pearson eingebracht worden, und berichtete amüsiert, daß der erste, der wegen der Übertretung des Gesetzes verhaftet wurde, der achtzigjährige Vater des Geistlichen war. Der Präsident verwies dann nochmals auf seine Rede vom 14. August und bestätigte, daß er fest für Religions- und Gewissensfreiheit eintrete. Er erzählte jovial, daß vor einiger Zeit ein Zeuge Jehovas mit ihm gesprochen habe, als er eine der Provinzen besucht habe. „Er predigte mir, und ich hörte ihm zu. Jehovas Zeugen kennen ihre Bibel sehr gut. Er versuchte mich zu bekehren, aber ich sagte ihm: ,Ich bin jetzt zu alt, um mich zu ändern.‘ “

Der Präsident erzählte dann seine Version von den Vorgängen in Kolahun: Der Bezirkskommissar hatte ihm berichtet, daß sich einige Zeugen Jehovas in diesem Gebiet geweigert hätten, sich der Autorität des Häuptlings unterzuordnen. Diese Personen hätten sich von der Dorfgemeinschaft getrennt und hätten Häuser auf Land gebaut, das sie ohne gesetzliche Befugnis in Besitz genommen hätten. Als der Häuptling sie vorgeladen habe, damit sie über ihr Verhalten Rechenschaft ablegten, hätten sie sich geweigert zu erscheinen und hätten gesagt, Jehovas Zeugen unterständen nicht seiner Autorität. Der Kommissar habe daher an den Präsidenten geschrieben und ihn um Erlaubnis gebeten, Soldaten zu beauftragen, die illegal gebauten Häuser niederzureißen. Als Mr. Tubman nach Kolahun gekommen sei, um die Sache persönlich zu untersuchen, habe er festgestellt, daß sich die betreffenden Männer der Autorität widersetzten. Er sagte, sie seien nicht bestraft worden, weil sie sich geweigert hätten, die Fahne zu grüßen, sondern weil sie illegal Land in Besitz genommen, sich dem Häuptling widersetzt und sich geweigert hätten, die Autorität des Vertreters der Regierung anzuerkennen.

Die Ereignisse in Gbarnga bezeichnete Mr. Tubman als „eine Ausschreitung“, und er sagte, die Schuldigen seien angemessen bestraft worden. „Es tut mir leid, daß das vorgekommen ist“, erklärte Mr. Tubman. Er war überrascht, als er erfuhr, daß Bruder Henschel dort gewesen war und die Tortur mitgemacht hatte. Nochmals sagte der Präsident: „Es tut mir leid.“

Darauf sagte Mr. Tubman, daß die Missionare, die Liberia verlassen mußten, zurückkehren dürften. Über die Fahnengrußfrage sagte er: „Das Gesetz verlangt, daß jede Person der Fahne Respekt zollen muß, wenn sie bei einer Zeremonie gehißt oder gesenkt wird. Der Ausdruck ,Respekt‘ kann unterschiedlich ausgelegt werden. Wenn ich bei einer Fahnengrußzeremonie anwesend bin, grüße ich nicht. Ich stehe dann still und nehme den Hut ab. Ich bin nicht dafür zuständig, das Gesetz auszulegen, aber ich denke, daß von Zivilisten nicht verlangt wird, den militärischen Gruß zu entbieten.“

Der Präsident versicherte der Delegation, daß ein Regierungserlaß veröffentlicht werde, der besagen sollte, daß das Werk der Zeugen Jehovas im ganzen Land ungehindert fortgesetzt werden dürfe. Das geschah auch einige Tage später. Der Erlaß unterrichtete „alle Menschen im ganzen Land, daß Jehovas Zeugen das Recht und Vorrecht des freien Zugangs in jeden Teil des Landes haben sollten, damit sie ihr Missionswerk und ihren Gottesdienst durchführen können, ohne von jemandem belästigt zu werden. Sie sollen den Schutz des Gesetzes sowohl hinsichtlich ihrer Person als auch hinsichtlich ihres Eigentums haben sowie das Recht auf die freie Ausübung ihres Gottesdienstes gemäß ihrem Gewissen, wobei sie die Gesetze der Republik halten, indem sie der Nationalfahne Respekt zollen, wenn sie bei einer Zeremonie gehißt oder gesenkt wird, indem sie still stehen.“

Die Zeitungen äußerten sich günstig über diese friedliche Lösung. Viele beglückwünschten die ersten beiden zurückkehrenden Missionare und sagten, sie seien froh, daß Jehovas Zeugen wieder da seien.

ERNEUTER AUFBAU

Die Schulbehörden wußten von dem Regierungserlaß, der Jehovas Zeugen das Recht gewährte, ihren Respekt zu zeigen, indem sie vor der Fahne still standen, und im allgemeinen räumte man den Kindern der Zeugen Jehovas dieses Recht ein. Einige Schüler mußten die Schule wechseln. Da die Brüder nun in Ruhe gelassen wurden, schenkten sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem dringenden Wiederaufbau der erschütterten Versammlungen. Es war offensichtlich, daß Jehova die Dinge so gelenkt hatte, daß ein umfassendes Zeugnis in ganz Liberia gegeben werden konnte.

Die Brüder freuten sich darauf, daß die Missionare zurückkehrten. Nach ein paar Monaten waren alle Missionare wieder da, außer Rene leRoux, der eine Zuteilung nach Kenia erhalten hatte. Im Dezember 1963, als die ersten Missionare zurückkehrten, berichteten 216 Königreichsverkündiger über ihren Predigtdienst, aber bis zum August 1964 stieg die Zahl wieder auf 307. Darunter waren 6 einheimische Sonderpioniere und 14 allgemeine Pioniere.

Die Brüder, die die Gbarnga-Episode durchgemacht hatten, verstanden nun zweifellos besser, was die Streitfrage der Lauterkeit alles einschloß. Vorher war man geneigt zu sagen: „Bruder, so etwas kann hier nicht passieren. Liberia ist anders.“ Viele waren auf das, was in Gbarnga geschah, nicht vorbereitet, weil sie einfach nicht mit Verfolgung rechneten. Folglich wurden sie von Furcht ergriffen und gaben nach.

Eine große Anzahl von denen, die Kompromisse gemacht hatten, waren auf gottgefällige Weise betrübt. Sie bewiesen echte Reue und daß sie die Streitfrage nun richtig verstanden. Gegen Ende des Dienstjahres 1964 waren 69 der 115 Abtrünnigen, die im Zuständigkeitsbereich des liberianischen Zweigbüros der Gesellschaft lebten, wiederaufgenommen worden. Die übrigen Kompromißbereiten lebten im Gebiet von Kolahun, für das damals das Zweigbüro von Sierra Leone verantwortlich war.

KONGRESS „EWIGE GUTE BOTSCHAFT“

Im April 1964 fand ein viertägiger Kongreß in der neuen und modernen Stadthalle in Monrovia statt, auf dem das Programm der Kongreßserie „Ewige gute Botschaft“ aus dem Jahre 1963 dargeboten wurde. An diesem schönen Ort kamen Jehovas Zeugen zusammen, um den Sieg zu feiern, den ihnen Jehova geschenkt hatte. Die wahre Anbetung hatte offensichtlich über Satans Versuch, die christliche Herde in Liberia zu vernichten, triumphiert. Viele Brüder trafen sich seit der schweren Prüfung in Gbarnga jetzt zum erstenmal wieder, und es gab so manches freudige Wiedersehen. Es herrschte ein Geist glücklicher Zuversicht in Jehova.

Doch würde die Öffentlichkeit der Einladung zu dem öffentlichen Vortrag „Wer wird im Kampf um die Weltherrschaft siegen?“ folgen? Alle waren begeistert, zu erfahren, daß 520 Personen anwesend waren, doppelt soviel, wie es Königreichsverkündiger im ganzen Land gab.

Zweifellos knirschte die Geistlichkeit mit den Zähnen, als sie sah, daß Gottes Segen auf seiner Organisation ruhte. Später erfuhren wir aus zuverlässigen Quellen, daß im Amt für Staatssicherheit eine Resolution vorlag, die von drei prominenten Geistlichen unterschrieben war. Sie enthielt lauter Falschanschuldigungen sowie die Aufforderung, Jehovas Zeugen zu verbieten, da sie die Autorität des Staates untergraben würden, indem sie die Menschen aufforderten, die Fahne nicht zu grüßen und die Nationalhymne nicht zu singen. Außerdem hieß es in der Resolution, unsere Organisation sei in Wirklichkeit politischer und nicht religiöser Natur. Diese drei Geistlichen sind heute tot, aber Jehovas Zeugen leben immer noch!

MASSNAHMEN ZUR GEISTIGEN STÄRKUNG

Der Vorfall in Gbarnga machte deutlich, daß viele von denen, die die gute Botschaft verkündigten, nicht richtig verstanden hatten, was es bedeutet, die Lauterkeit zu bewahren und Jehova ausschließlich ergeben zu sein (2. Mose 20:4-6; Ps. 3:8; 1. Joh. 5:21). Aus diesem Grund wurde beschlossen, diese und andere Angelegenheiten mit voraussichtlichen Verkündigern zu besprechen, bevor man ihnen erlaubte, sich am Predigtdienst zu beteiligen. Ehe sich jemand taufen lassen konnte, mußte er also gründlich studieren. Dadurch wurde die Zahl derer, die sich Jehova Gott hingaben, natürlich geringer, aber es hatte eine geistige Stärkung zur Folge.

Während der fünf Jahre von 1964 bis 1969 wurden nur 93 Personen untergetaucht. Die Brüder, besonders die Pioniere, wurden ermuntert, mit Personen, die lesen konnten, soviel wie möglich zu studieren, da diese besser befähigt waren, andere zu lehren, und im allgemeinen beständiger waren als die Analphabeten.

AUSDEHNUNG IN MONROVIA

Jetzt war der Weg für qualifizierte Sonderpioniere aus Nigeria offen. Der erste, Isonode Akhibi, diente hier eine Zeitlang als Kreisaufseher. Ein anderer, Enoch Esionye, der im Jahre 1965 kam, diente zunächst auf Kap Palmas und war dann später eine Zeitlang als Kreisaufseher tätig. Dann kam die Familie Norman aus Kanada, und im Laufe der darauffolgenden drei Jahre trafen noch sechs andere Missionare ein.

Mit der Ankunft weiterer Missionare im Jahre 1968 wurde es nötig, ein Missionarheim in Sinkor, einem schnell wachsenden Stadtteil von Monrovia, zu mieten. Anfang 1969 wurde ein schönes Haus an der Old Road in Sinkor gemietet. Dieses Gebäude hatte genügend Platz für das Zweigbüro sowie Zimmer für die Missionare. Im Jahre 1970 wurde ein drittes Missionarheim erworben, und zwar in Logan Town. Somit gab es Anfang der 1970er Jahre in jedem der drei Hauptbevölkerungszentren von Monrovia (das etwa 100 000 Einwohner hat) ein Missionarheim.

DIE STÄNDIGE FAHNENGRUSSFRAGE

Im Laufe der Jahre wurde der Fahnengruß in den Schulen von Zeit zu Zeit wieder eine Streitfrage. Im Jahre 1965 wurden drei Schüler von einer von Methodisten geführten Schule in Monrovia verwiesen. Es handelte sich dabei um Beverly und Kenneth Norman und um Leona Williams. Als die dreizehnjährige Leona ihrem ungläubigen Vater davon erzählte, schlug er sie und drohte ihr, sie am nächsten Morgen vor der ganzen Schülerschaft zu zwingen, die Fahne zu grüßen. Doch alles Reden, alle Drohungen und sogar weitere Schläge waren erfolglos. Später konnte sie eine andere Schule besuchen.

Bei einer späteren Gelegenheit erhielten vier Schüler je fünfundzwanzig Schläge mit einem dicken Rohrstock. Ein anderer wurde von der Schule verwiesen, weil er das Treuegelöbnis nicht wiederholte. Als man jedoch feststellte, daß der Fahnengruß nicht zu einer großen Streitfrage gemacht wurde, wurden die Schulen wieder toleranter.

Am 25. Juni 1968 erschien im Liberian Age ein Leitartikel mit der Überschrift „Acht Studenten verweigern Fahnengruß“. Die Studenten wurden mit Jehovas Zeugen in Verbindung gebracht. Der Unterstaatssekretär im Kultusministerium, Samuel F. Dennis, der auch Priester der Episkopalkirche ist, verurteilte die Weigerung als „unpatriotisch“.

Der Zweigaufseher hatte mehrere Unterredungen mit dem Unterstaatssekretär und hoffte, daß die Regierung danach eine vernünftigere Einstellung gegenüber den jugendlichen Zeugen einnehmen würde. Er machte darauf aufmerksam, daß die Beschneidung der Religionsfreiheit im Falle der Studenten die Achtung vor der Fahne nicht fördern, sondern eher das Gegenteil bewirken würde, sogar unter denen, die sie grüßen würden. Es wurden viele weitere Argumente vorgebracht, um zu zeigen, daß die Haltung Liberias den Grundsätzen einer aufgeklärten Regierung zuwiderlief.

Der Unterstaatssekretär mußte all dies mit Präsident Tubman besprechen, und darauf wurden die Vertreter des Zweigbüros der Gesellschaft von den Ergebnissen unterrichtet. Es sollte erwähnt werden, daß die Fahnengrußfrage wieder einmal aufgetaucht war, nachdem ein langer Prozeß wegen Staatsverrates stattgefunden hatte. Es ging dabei um prominente Männer, die versucht hatten, den Nachkommen der ausländischen Siedler die Regierung zu entreißen. Vorher war bei Stammesrebellionen gegen die Regierung in Monrovia auch die liberianische Fahne entweiht worden, und auf der Universität von Liberia kritisierten einige Studenten ganz offen die Regierung und den Präsidenten. Sie brachten ihre Verachtung unter anderem dadurch zum Ausdruck, daß sie die Fahne auf sehr respektlose Weise grüßten.

Der Unterstaatssekretär gab zu verstehen, daß die Regierung den Schülern unter Jehovas Zeugen das Recht gewähren könne, während der Fahnengrußzeremonie einfach still zu stehen, wenn man nicht befürchten müsse, daß politische Gruppen diese Duldsamkeit für selbstsüchtige Zwecke ausnutzen würden. Die Studenten, die die Herrschaft von Stammesangehörigen befürworteten, könnten sich weigern, die von den Siedlern eingeführte Fahne zu grüßen, und sich darauf berufen, daß Jehovas Zeugen sie ja auch nicht grüßten.

Diese Erklärung half uns, die Haltung der Regierung zu verstehen. Den Brüdern wurde versichert, die Regierung wisse, daß Jehovas Zeugen keine politischen Absichten hätten. Aber man war offensichtlich der Ansicht, daß Jehovas Zeugen in den Schulen unter den gegebenen Umständen nicht das Recht gewährt werden könne, den Fahnengruß zu verweigern.

Folglich gab das Kultusministerium bekannt, daß Schüler, die den Fahnengruß verweigerten, von der Schule verwiesen und Schulleiter und Lehrer, die solche „illoyalen Handlungen“ dulden würden, entlassen werden sollten. In dem Rundschreiben hieß es weiter: „Der Fahnengruß sollte nicht als ein Akt der Anbetung oder Verehrung ausgelegt werden, sondern als Zeichen der Loyalität und des Respekts gegenüber der Nation und der bestehenden Autorität. Eine Weigerung wird als kriminell und staatsgefährdend angesehen.“

Während der Zeit dieser Verhandlungen hielt man es für angebracht, um die Erlaubnis zu bitten, Präsident Tubman und anderen geladenen Gästen im Privattheater des Regierungsgebäudes den neuesten Film der Gesellschaft, „Gott kann nicht lügen“, zu zeigen. Dieser Film sollte den Zuschauern vor Augen führen, daß unsere Botschaft allein auf der Bibel beruht und daß unsere Zukunftshoffnungen auf Jehovas aufgerichtetes Königreich gerichtet sind.

Obwohl sich Präsident Tubman nicht wohl fühlte, wohnte er der Filmvorführung bei und war anscheinend angenehm berührt. Zum Schluß sagte er, alles sei genauso dargestellt worden, wie es in der Bibel stehe. Er war beeindruckt davon, daß die Erde ein Paradies werden soll und daß die Menschen hier ewig leben werden. Die Brüder konnten einige gute Erklärungen über die ‘neuen Himmel und eine neue Erde’ geben und Mr. Tubman die neuesten Publikationen der Gesellschaft überreichen (2. Petr. 3:13). Durch diesen Film wurde zwar die Entscheidung hinsichtlich der Fahnengrußfrage nicht geändert, aber die Vorführung half dem Präsidenten, sich ein besseres Bild über Gottes Volk und dessen Standpunkt zu machen.

NOCH EIN GBARNGA?

Am Tag der Fahne, am 24. August 1968, gingen zwei Kinder von Zeugen Jehovas aus der Gegend des Mano nicht zur Fahnengrußzeremonie in die Schule, und sie wurden eine Woche lang ausgesperrt. Als sie zur Schule zurückkehrten, befahl ihnen der Schulleiter die Fahne zu grüßen, was sie verweigerten. Statt die Schüler einfach zu entlassen, beauftragte der Aufsichtsbeamte des Verwaltungsbezirks die Polizei, die Häuser und Arbeitsplätze der Zeugen aufzusuchen und sie alle zur Polizeistation zu bringen. „Entweder Sie grüßen die Fahne, oder Sie kommen ins Gefängnis und verlieren Ihre Arbeit!“

So wurden acht aktive Zeugen zusammengebracht und aufgefordert zu grüßen. Sie weigerten sich alle außer einem. Dieser war noch ganz neu in der Wahrheit und war auch noch nicht getauft. Die übrigen mußten im Gefängnishof über zwei Stunden lang barfuß über Steine und Schutt laufen, bis sie erschöpft waren. Während dieser Tortur wurde ein sechzehnjähriger Schüler schwach und gab nach. Schließlich wurden fünf Brüder und eine 65jährige Schwester in Zellen eingesperrt.

Als man davon in Monrovia erfuhr, wurde der Innenminister verständigt. Dieser ordnete an, daß der Aufsichtsbeamte des Verwaltungsbezirks und die Betreffenden nach Monrovia zu einem Verhör kommen sollten. Die Brüder mußten aber neunzehn Tage auf ihre Freilassung warten, bis Präsident Tubman aus Algier zurückkehrte. Inzwischen mußten sie verschiedene Demütigungen ertragen, dem großen Druck ihrer Verwandten standhalten sowie die schlimmsten Drohungen von den Behörden über sich ergehen lassen. C. W. Hugh aus Nigeria gab ein gutes Beispiel, indem er die Brüder zur Standhaftigkeit ermunterte. Schwester Mary Williams, eine ältere Frau, die sich sonst fast nie wohl fühlte, war während ihrer gesamten Gefängnishaft erstaunlicherweise nicht einmal krank.

BIBELDRAMA IM FERNSEHEN ÜBERTRAGEN

Besonders die Bezirkskongresse mit ihren biblischen Dramen haben dazu beigetragen, die Vorurteile abzubauen, die man in diesem Land gegen Gottes Organisation hatte. Im Jahre 1967 wurde sogar ein ganzes Kongreßdrama in Liberia im Fernsehen gesendet. Es handelte von Josua und den Israeliten.

Die einstündige Aufführung wurde meisterhaft dargeboten. Keine einzige Zeile wurde ausgelassen, nicht eine Handlung vergessen. Der englische Programmdirektor war begeistert und lobte die Brüder für ihr sicheres Auftreten und ihre Disziplin. Nach der Reaktion der Menschen zu urteilen, müssen Tausende das Drama gesehen haben. Viele fragten uns, wann wir weitere Dramen aufführen würden, und es waren sehr günstige Kommentare zu hören. Ein Mann, der selten ein freundliches Wort für uns übrig hatte, bemerkte: „Ich weiß gar nicht was die Leute gegen euch haben.“

KONGRESS „FRIEDE AUF ERDEN“

Der internationale Kongreß „Friede auf Erden“, der im Jahre 1969 in New York stattfand, bot einer Anzahl liberianischer Brüder die Gelegenheit, zum erstenmal einen wirklich großen Kongreß zu erleben. Insgesamt besuchten im Jahre 1969 einundvierzig Delegierte aus Liberia verschiedene internationale Kongresse. Einige von ihnen waren in New York, London und Nürnberg. Auch sieben Sonderpioniere wurden finanziell unterstützt, um einen dieser Kongresse besuchen zu können. Auf diese Weise konnte zum Beispiel der Sonderpionier Daniel Tah mit seinen eigenen strahlenden Augen die Zentrale der Gesellschaft sehen und die großen Kongresse in New York und London erleben. Er rief freudig aus: „Jehova läßt diejenigen, die ihm vertrauen, nie im Stich!“

Als der Kongreß „Friede auf Erden“ im Dezember auch in Liberia — in der Stadthalle von Monrovia — abgehalten wurde, kamen 1 252 Personen zum öffentlichen Vortrag. Das war wirklich ausgezeichnet, denn in jenem Monat gab es nur 582 Verkündiger der guten Botschaft. Fünfundvierzig Personen wurden getauft. Das Programm war so praktisch und zu Herzen gehend, daß mehrere Delegierte ausriefen: „Dieser Kongreß hat wirklich unser Herz berührt!“

KONGRESS „MENSCHEN GUTEN WILLENS“

Der außerordentlichste Kongreß, den Jehovas Zeugen je in Liberia erlebten, fand Ende 1970 statt. Der englischsprachige Kongreß wurde vom 3. bis 6. Dezember in Monrovias renoviertem und klimatisiertem Jahrhundertpavillon abgehalten. Im Königreichssaal wurde das Programm in verschiedenen Eingeborenensprachen dargeboten.

Einige Tage vor dem Kongreß war die Erwartung durch die Schlagzeile „US-Zeugen Jehovas zum Kongreß erwartet“ geweckt worden. Dies sollte Liberias erster wirklich internationaler Kongreß sein. Zwei Tage nach Erscheinen des Zeitungsartikels wurden die ersten Delegierten aus dem Ausland im Fernsehen interviewt.

Am Mittwochmorgen, am 2. Dezember, wurde die Erwartung zu einer freudigen Wirklichkeit, als 55 Reisende der Watch-Tower-Tour 4 von vielen Brüdern am Flugplatz herzlich willkommen geheißen wurden. Der beste Bus des Landes wartete, um unsere Gäste nach Monrovia zu bringen. Doch zunächst statteten sie der Firestone-Plantage einen Besuch ab. Viele Besucher waren überrascht, zu sehen, daß Monrovia eine moderne Stadt ist, in der es die neuesten Automodelle, teure Häuser und vielstöckige Hochhäuser gibt.

Für die Besucher wurde am Nachmittag im Jahrhundertpavillon ein besonderes Programm veranstaltet. Sie hörten Vorträge über die Geschichte unseres Werkes in Liberia, Interviews mit Missionaren und eine Beschreibung der vier grundlegenden ethnischen Gruppen der Eingeborenenbevölkerung Liberias. Brüder aus den verschiedenen Stämmen trugen ihre charakteristische Kleidung und erklärten ihre Stammessitten. Dann folgte die farbenprächtige Darbietung „Das Leben auf der Farm“. Die Bassa und die Kpelle sprechenden Verkündiger führten mit viel Rhythmus und Gesang vor, wie man ein Reisfeld kultiviert, den Samen sät, den Boden pflügt, die Vögel verscheucht, die Ernte einbringt und schließlich den Reis in einem Mörser zerstampft und zum Kochen vorbereitet. Jeder Schwester unter den Besuchern wurde ein echter liberianischer Fächer geschenkt, der aus getrockneten Palmfasern kunstvoll geflochten und an den Rändern mit Hühnerfedern verziert war. Die Brüder erhielten Ringe, die aus den harten Kernen der Palmfrucht hergestellt worden waren.

Im Anschluß daran gab es im Königreichssaal ein üppiges Festmahl mit typischen afrikanischen und libanesischen Speisen. Die Reisenden versuchten Delikatessen wie jallaf-Reis, Kartoffelkraut, geröstete Bananen und Ingwerbier. Es wurden auch Kostproben von echtem fufu aus vergorenem Maniok gereicht. Einer der Reisenden sagte am Ende des ersten Tages in Afrika: „Selbst wenn wir nicht weiterkommen, sind wir schon reich belohnt worden.“

Die liberianischen Brüder freuten sich, mit den Besuchern am nächsten Morgen in den Predigtdienst zu gehen. Sie stammten aus ganz verschiedenen Welten, aber sie fühlten sich im Geiste liebender Brüderlichkeit vereint.

Während dieses Kongresses wurden 62 Personen im Atlantik getauft. Die Taufbewerber stammten aus den unterschiedlichsten Verhältnissen. Zu ihnen gehörten ein bekannter Rechtsanwalt und eine Amerikanerin die mit dem Friedenskorps nach Liberia gekommen war. Da waren auch die hübsche siebzehnjährige Neini aus Ganta, die kurz zuvor wegen ihres Glaubens von der Schule verwiesen worden war, und Angeline, eine junge Ehefrau, die von ihrem wütenden Ehemann wegen der Wahrheit schwer geschlagen und schließlich hinausgeworfen worden war, sowie der 77jährige „Pa“ Beckles, ein ehemaliger protestantischer Prediger.

Als die Reisegruppe der Watch-Tower-Tour 4 am Freitagmorgen Abschied nahm, kam die zweite Gruppe. Sie bestand aus vierzig Zeugen, unter ihnen M. G. Henschel, der sieben Jahre vorher mit seinen liberianischen Brüdern auf dem Feld in Gbarnga treu ausgeharrt hatte. Er hatte sich von den schweren Kopf- und Nackenschlägen erholt, die ihm mit Gewehrkolben versetzt worden waren, und am Freitagnachmittag sprach er über das passende Thema „Wir beten an, was wir kennen“. Am Ende des Nachmittagsprogramms kamen Scharen von denen, die auf dem Feld in Gbarnga gewesen waren, zur Bühne, um ihrem treuen Bruder die Hand zu schütteln. Man tauschte Erinnerungen über die Leiden aus und lachte über die Namen, die die Soldaten verschiedenen Brüdern gegeben hatten. Anwesend waren auch einige der Kinder, die sich während der Verfolgung so vorzüglich verhalten hatten und inzwischen gute Königreichsverkündiger geworden waren. Es war eine einzigartige und freudige Begebenheit. Viele ermunternde Worte waren zu hören, und immer wieder wurde der Entschluß zum Ausdruck gebracht, standhaft zu bleiben.

Als Bruder Henschel und diese zweite Gruppe am nächsten Morgen abflogen, landete ein weiteres Flugzeug. Ein Mann und eine Frau stiegen zusammen mit anderen Passagieren aus, und nun sah man sie über das Feld eilen. Es waren vertraute Gestalten — Bruder und Schwester Knorr! Ihr Flugzeug war auf dem Weg von Freetown nach Accra, und diese kurze Zwischenlandung in Liberia ermöglichte eine kurze Zeit erbaulicher Gemeinschaft.

NOCH EINMAL DIE FAHNENGRUSSFRAGE

Seit 1963 war viel getan worden, um den Standpunkt der Zeugen Jehovas in bezug auf den Fahnengruß zu erklären. Dieses Thema war wiederholt Gegenstand von Radio- und Fernsehsendungen und -interviews. Schließlich entschied die Regierung, es sei für Erwachsene statthaft, während der Fahnengrußzeremonie respektvoll still zu stehen, aber auf die Schulkinder wurde keine Rücksicht genommen. Demzufolge wurden viele jugendliche Zeugen von der Schule verwiesen. Viele gerechtgesinnte Bürger hielten es für ein Unrecht, diesen Kindern die Schulbildung zu verweigern. Aber die Ausweisung von Kindern aus den Schulen sowie die Tüchtigkeit eines liberianischen Christen führten schließlich zu einer Unterredung mit dem Präsidenten selbst.

Jahrelang hatte Spencer Thomas für die liberianische Regierung als Bauingenieur gearbeitet. Wegen der guten Qualität seiner Arbeit war er Präsident Tubman persönlich bekannt. Im Laufe der Zeit wurden die wichtigsten Bauaufträge regelmäßig seiner Aufsicht unterstellt. Nach dem Tod Präsident Tubmans plante sein Nachfolger, William R. Tolbert, an vielen Stellen in ganz Liberia Bau- und Reparaturarbeiten durchführen zu lassen. Und wem wollte er die Leitung dieser Bauarbeiten übertragen? Nun, Bruder Thomas. Doch als der Präsident Bruder Thomas zu sich rief und ihm das Angebot unterbreitete, lehnte dieser respektvoll ab. Warum? Er erklärte, er sei im Begriff, Liberia zu verlassen und seine Familie sei bereits fortgezogen. Auf die Frage, warum er fortginge, antwortete Bruder Thomas, seine Kinder hätten wegen der Fahnengrußfrage Schwierigkeiten, eine gute Schulbildung zu erhalten.

Darauf empfing Präsident Tolbert im April 1972 eine Delegation von sechs Zeugen Jehovas. Sie baten ihn darum, den Standpunkt der Regierung nochmals zu überprüfen. Im Laufe der Unterhaltung richtete der Präsident eine Anzahl Fragen an einen in Liberia geborenen Zeugen. Seine ruhigen und sicheren Antworten veranlaßten den Präsidenten zu der Frage: „Wo haben Sie denn Ihre Schulung erhalten?“ Darauf verwies der Bruder auf die Theokratische Schule. Zwei Schwestern legten die schwierige Lage der Eltern dar, die für ihre Kinder eine gute Bildung wünschen, aber auch von Gott die Verantwortung erhalten haben, sie in den Grundsätzen der reinen Anbetung zu unterweisen. Später wurde dem Präsidenten ein ausführliches, zehnseitiges Dokument über die Fahnengrußfrage überreicht, und er versprach, es unvoreingenommen zu studieren.

In diesem Dokument wurde die Ansicht dargelegt, daß die Befreiung der Zeugen Jehovas vom Fahnengruß keine Gewährung von „ausschließlichen Vorrechten oder Begünstigungen“ darstelle. Eine solche Befreiung gewähre ihnen lediglich das von der Verfassung garantierte „natürliche und unveräußerliche Recht, Gott gemäß ihrem Gewissen zu dienen, ohne von anderen behindert oder belästigt zu werden“.

Als der Präsident eine gesetzliche Stellungnahme zu dieser Frage forderte, beauftragte das Justizministerium eine Gruppe von Rechtsanwälten, diese Frage zu erforschen. Diese kamen zu dem Ergebnis, daß Jehovas Zeugen im Recht seien, und das Justizministerium unterstützte diese Stellungnahme. Es wurde allerdings nie eine Entscheidung diesbezüglich veröffentlicht, doch ist die Streitfrage seither auch nicht wiederaufgetaucht.

FORTGESETZTES WACHSTUM

Das ausgezeichnete Wachstum des Königreichspredigtwerkes in abgelegenen Gebieten erforderte es, daß im Jahre 1973 neue Versammlungen gegründet wurden. Bis zum Ende jenes Jahres gab es 22 Versammlungen im Land. Viele weitere Arbeiter wurden benötigt, um sich dieses großen Wachstums anzunehmen.

Unser Bezirkskongreß „Göttlicher Sieg“, der vom 5. bis 9. Dezember 1973 stattfand, war in vieler Hinsicht etwas Besonderes. Zu unserer Freude besuchten 88 Brüder und Schwestern aus dem Ausland den Kongreß im Rahmen ihrer Westafrikatour. Die einheimischen Brüder führten farbenprächtige Sketche auf, in denen sie die Arbeit auf einem Reisfeld darstellten. Schwestern führten vor, welche Schritte nötig sind, bis der Reis gekocht werden kann — wie er getrocknet und im Mörser zerstampft wird, wie die Spreu weggeblasen und dann der Reis verlesen wird. Unterdessen sangen sie Volkslieder, wie sie der liberianische Landmann bei seiner Arbeit singt. Zum Schluß wurden leckere Früchte und Gemüse ausgestellt, die hier wachsen.

Obwohl wir lange im voraus das Tubman-Stadion gemietet hatten, wurde uns am Freitag mitgeteilt, daß für Sonntag, 16 Uhr — zur gleichen Zeit wie unser öffentlicher Vortrag — ein Fußballspiel vorgesehen war. Darauf wurde der Vortrag auf Sonntagvormittag, 11 Uhr verlegt. Wie viele würden zu dieser Zeit kommen können? Als Bruder William Jackson aus dem Brooklyner Bethel seinen Vortrag beendet hatte, zählte man 2 225 Anwesende — die größte Zuhörerzahl, die wir je bei einem öffentlichen Vortrag hatten! Das ausgezeichnete Zeugnis, das durch diesen Kongreß gegeben wurde, und die freudige Gemeinschaft mit christlichen Besuchern aus anderen Ländern trugen viel dazu bei, alle Brüder hier anzuregen, einen noch größeren Anteil am Dienst Jehovas zu haben.

Sonntag, der 7. April 1974, war für Jehovas Zeugen in Liberia ein sehr befriedigender Tag. Die 939 Verkündiger unternahmen vereinte Anstrengungen, um so viele Menschen wie möglich zum Abendmahl des Herrn einzuladen, das an diesem Datum stattfinden sollte. Wie würde das Echo sein? Viele Dankgebete stiegen zu Jehova auf, als sich 3 310 Personen mit uns in unseren Königreichssälen im ganzen Land versammelten. Am Ende jenes Dienstjahres waren 160 Neue getauft worden. Jehova hatte unsere vereinten Anstrengungen gesegnet.

MIT OPTIMISMUS IN DIE ZUKUNFT

Im Mai 1947 waren Bruder und Schwester Watkins hier als Missionare eingetroffen. Lange Zeit hatte Bruder Watkins dem Tag entgegengeblickt, an dem es 1 000 Königreichsverkündiger in Liberia geben würde. Endlich war es soweit — 28 Jahre später. Im Mai 1975 berichteten 1 027 Verkündiger! Wir verspürten nun etwas von der Freude, die mit den Worten zusammenhängt: „Der Kleine selbst wird zu einem Tausend werden“, und wir waren Jehova sehr dankbar dafür (Jes. 60:22).

Im Januar 1976 erreichten wir die Zahl von 1 060 Verkündigern. Jetzt blicken wir nach Möglichkeiten aus, das Werk in abgelegene Gebiete auszudehnen, in denen noch nicht Zeugnis gegeben wurde. Wir hoffen, daß es weitere Königreichsverkündiger ermöglichen können, den Sonderpionierdienst aufzunehmen, damit mehr Arbeiter in diese Gebiete geschickt werden können, in denen sie benötigt werden.

Wir arbeiten weiter darauf hin, zwei Hindernisse, die dem Fortschritt entgegenstehen, zu überwinden: das Analphabetentum und die Neigung zur Unmoral. Etwa 24 Prozent der Verkündiger können noch nicht lesen, und weitere 15 Prozent lesen sehr schlecht. In den letzten fünf Jahren mußte 130 Personen wegen Unsittlichkeit die Gemeinschaft entzogen werden. Aber die Treuen setzen das Werk fort, und sie haben viel zu tun.

Die 1 670 000 Einwohner Liberias setzen sich aus Namenchristen, Moslems und einer beträchtlichen Anzahl Animisten zusammen. In den vergangenen neunundzwanzig Jahren ist das sogenannte christliche Gebiet gut bearbeitet worden. Doch in den rein moslemischen Gebieten ist noch sehr viel zu tun. Auch ein großer Teil der animistischen Bevölkerung ist noch nicht erreicht worden, da diese größtenteils in kleinen Dörfern und Halbstädten im „Busch“ verstreut lebt.

Unsere Predigt- und Lehrtätigkeit erstreckt sich hauptsächlich auf die dichtbesiedelten Städte. Doch wir hoffen, daß allmählich auch andere Teile der Bevölkerung die gute Botschaft hören werden, sobald Sonderpioniere zur Verfügung stehen. Wir beten stets zu Jehova Gott, daß noch viele Einwohner dieses „Landes der Freiheit“ die Wahrheit annehmen, die zu wirklicher Freiheit und zu ewigem Leben führt.