Zurück zum Inhalt

Zum Inhaltsverzeichnis springen

Kanada

Kanada

Kanada

Die Irokesen nannten das Land Kanata, was einfach „eine Gruppe von Hütten“ bedeutet. Du kennst es vielleicht als das Land des Trappers und des Eskimo, des Elchs und des Polarbären — ja, und der „Mounties“, der Königlichen Kanadischen Berittenen Polizei mit ihren roten Uniformen, der „nie ein Mann entgeht“.

Das heutige Kanada ist aber viel mehr als das. Dieses riesige Land mit seinen 9 976 200 Quadratkilometern ist das zweitgrößte der Erde. Es erstreckt sich quer über Nordamerika, vom Atlantischen Ozean im Osten bis zum Pazifik im Westen. Im Süden grenzt es an die Vereinigten Staaten und im Norden an die eisigen Gewässer der Arktis.

Innerhalb der Grenzen Kanadas kann man die majestätischen Rocky Mountains mit ihren vielen hohen Gipfeln bewundern sowie Tausende glitzernder Seen und Flüsse und die donnernden Wasser der weltberühmten Niagarafälle. Ebenfalls einen begeisternden Anblick bieten die weiten Prärien mit ihren wogenden Kornfeldern und die großen Wälder mit ihren Kiefern, Fichten, Ahornbäumen, Tannen und Birken.

Das ist die Heimat von 23 Millionen Menschen. Aufgrund einer verhältnismäßig liberalen Einwanderungspolitik findet man unter der kanadischen Bevölkerung Deutsche, Griechen, Italiener, Juden, Jugoslawen, Lateinamerikaner, Niederländer, Österreicher, Polen, Portugiesen, Russen, Skandinavier, Spanier, Ukrainer, Ungarn und Westindier. Aus den Ländern des Ostens sind Araber, Chinesen, Filipinos, Inder, Japaner, Koreaner und Pakistani gekommen. Vor Jahren, bevor sich der weiße Mann hier ansiedelte, war dieses Land die Heimat des Eskimo und vieler bunter Indianervölker. Glücklicherweise kann man immer noch einige Angehörige dieser Völker treffen, unter anderem Kri, Cayuga, Mohawk, Odschibwa, Kutenai und Haida.

Im Jahre 1534 kam der französische Forscher Cartier, und 1604 wurde in dem Gebiet, das heute Ostkanada ist, die erste ständige französische Kolonie gegründet. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kamen die Briten nach Neufundland und in die benachbarten Küstengebiete. Später breiteten sie sich über das Gebiet aus, das heute Neuschottland, Quebec und Ontario ist. Im Jahre 1763 wurde Kanada ein Teil des Britischen Reiches, doch sowohl Französisch als auch Englisch galten als Amtssprachen. Die Föderation wurde im Jahre 1867 gegründet, und die Unabhängigkeit als ebenbürtiges Mitglied des britischen Commonwealth erhielt Kanada im Jahre 1931. Gegenwärtig ist Kanada in zehn Provinzen und zwei Territorien aufgegliedert.

Die Bevölkerung lebt hauptsächlich in einem schmalen Streifen entlang der Grenze nach den Vereinigten Staaten. Die Zahl der Einwohner pro Quadratkilometer sinkt nach Norden bin rapide. Der größte Teil des Landes ist immer noch unbesiedelt und unentwickelt. Gegenwärtig leben etwa 90 Prozent der Einwohner in nur 12 Prozent des Landes. Einer der Gründe dafür ist, daß in den nördlichen Regionen sehr strenge Winter herrschen, obwohl es im Sommer hell und angenehm ist.

Wie man sich vorstellen kann, brachten die vielen Einwanderer ihre interessanten Bräuche und ihre verschiedenen Religionen mit nach Kanada. Man findet hier Hinweise auf den Buddhismus, den Islam, den Judaismus und den Hinduismus. Doch die größeren religiösen Gruppen sind die sogenannt christlichen Kirchen. Die katholische Kirche ist die größte einzelne Religionsgemeinschaft. Sie hat nahezu 10 Millionen Mitglieder, die meisten davon in der Provinz Quebec. Die United Church hat über 3 000 000 Anhänger und die anglikanische Kirche 2 500 000. Die kleineren protestantischen Gemeinschaften, wie die Presbyterianer und die Baptisten, sowie die orthodoxen Katholiken bilden einen großen Teil der übrigen Bevölkerung, obwohl sich auch viele überhaupt nicht zu einer Religion bekennen.

EIN LICHTSCHIMMER IM OSTEN

Spätestens im Jahre 1880 begann ein Schimmer des wahren geistigen Lichts in Kanada zu leuchten. Von eifrigen Bekannten und Verwandten aus den Vereinigten Staaten erhielten einige Kanadier Literatur und eine herzerquickende Botschaft über die Wiederherstellung aller Dinge durch Gottes Königreich unter dem verherrlichten Jesus Christus (Apg. 3:19-21; Offb. 21:1-5). Eine dieser nachdenklich stimmenden Schriften — Speise für denkende Christen —, die 1881 herausgegeben wurde, fand hier ein gutes Echo. Diese Schrift stellte offen die Irrlehren der Kirchen der Christenheit bloß und räumte mit religiösen Hirngespinsten auf.

Diese „gute Botschaft“ wurde von Charles T. Russell und einer kleinen Gruppe von Bibelforschern verkündigt, die ihr Büro in Allegheny (jetzt ein Teil von Pittsburgh, Pennsylvanien, USA) hatten. Von welchem Schlag waren die Kanadier, die günstig auf die Königreichsbotschaft reagierten? Nun, aus dem folgenden Brief eines Mannes aus Ontario (der in der Wacht-Turm-Ausgabe vom Januar/Februar 1882 [engl.] veröffentlicht wurde) geht echte Wertschätzung für die biblische Wahrheit hervor:

„Würden Sie mir bitte erklären, wie ich die Verbindung zu meiner Kirche lösen kann? Ich glaube, ich sollte nicht mehr zur Kirche gehen, weil ich dadurch ihren Lehren zustimmen würde, an die ich jetzt nicht mehr glaube. Eigentlich glaube ich schon lange nicht mehr daran, aber ich habe auch nichts Besseres gewußt. Jetzt ist es — Gott sei Dank! — anders. Mit Ihnen in der Hoffnung auf das ewige Leben verbunden.“

Einer der ersten kanadischen Bibelforscher war William Brookman, anscheinend ein ehemaliger Geistlicher. Unter seiner Leitung kam eine Klasse regelmäßig in Toronto zusammen.

Ein anderer Kanadier, der schon früh die Wahrheit der Bibel annahm, war Thomas Baker, der in Elba (Ontario), einer kleinen Gemeinde, etwa 80 Kilometer nordwestlich von Toronto, eine Sägemühle betrieb. Baker, ein sehr religiöser Mann, war der Vorsteher einer anglikanischen Sonntagsschule gewesen. Doch seine Sägemühle war bald ein Ausgangspunkt der großartigen Botschaft von Gottes Königreich. Seine Tochter Annie erzählt: „Jeder Kunde, der hereinkam, erhielt ein Traktat, eine Broschüre oder ein Buch. Ich glaube, keiner ist mit leeren Händen weggegangen.“

Da Thomas Baker so bekannt war, warf sein Austritt aus der etablierten Kirche in der Gemeinde viele Fragen auf. Tatsächlich stellten ihm so viele Menschen Fragen darüber, daß er eine Broschüre veröffentlichte, in der er die Gründe für seinen Austritt erklärte. Baker starb im Jahre 1906, und die Beerdigungsansprache wurde von jemandem gehalten, den er selbst über die Wahrheit des Wortes Gottes belehrt hatte.

Ende der 1880er Jahre sprachen Kolporteure (Vollzeitverkündiger des Königreiches) mit Caleb Crandell über die „gute Botschaft“. Er nahm biblische Schriften entgegen und bewirtete die Besucher in seiner Wohnung in Crandell’s Corners (jetzt in Port Perry, Ontario). Damals wurde dort keine Studiengruppe gegründet, aber wir wissen, daß Caleb mindestens eine Fahrt unternahm, um C. T. Russell in der Massey Hall in Toronto zuzuhören. Crandell war von dem, was er sah und hörte, begeistert. Immer wieder erzählte er davon: Mehrere Geistliche, die auf die Bühne gebeten worden waren, um Fragen zu stellen, wurden ärgerlich, als sie Russells vernünftigen biblischen Antworten nicht widersprechen konnten. Darauf versuchten sie, ihn alle gleichzeitig mit Fragen zu überschütten. Doch Russell rief sie ruhig zur Ordnung, bat sie, sich wie Gentlemen zu benehmen, und sagte, er werde gern auf jede Frage eingehen. Crandell war beeindruckt, als er sah, daß die Geistlichen Russells biblische Argumente nicht widerlegen konnten. Mit der Zeit verließ einer nach dem anderen die Bühne und verschwand ohne großes Aufheben in der Zuhörermenge.

DIE BIBLISCHE WAHRHEIT ERREICHT WESTKANADA

Das Licht der Wahrheit scheint in Ostkanada schon etwas heller, als ein Strahl dieses Lichts die geistige Finsternis in Westkanada durchdrang. Im Jahre 1889 gelangte William Flewwelling aus Carberry (Manitoba) in den Besitz des Buches Der göttliche Plan der Zeitalter, des ersten Bandes der Millennium-Tagesanbruch-Serie von C. T. Russell (später als Schriftstudien bekannt). Überzeugt davon, daß er die Wahrheit gefunden hatte, sprach Flewwelling mit anderen darüber, besonders nachdem er 1890 nach Vancouver (Britisch-Kolumbien) gezogen war. Ein Mann, der mit Wertschätzung zuhörte, war Robert Pollock. Bald wurden in seiner Wohnung Bibelstudienklassen abgehalten. Unseres Wissens war dies die erste Bibelstudiengruppe an der Westküste Kanadas.

In späteren Jahren half William Flewwelling, Bibelstudiengruppen in Asquith (etwa 30 Kilometer westlich von Saskatoon) und in Wadena (Saskatchewan) zu gründen. Noch später (im Jahre 1934) zog er nach Witchekan (Saskatchewan) und verkündigte die „gute Botschaft“ überall in diesem Teil der Provinz. William starb 1945 in Chitek Lake, doch viele seiner Verwandten setzen heute noch das Königreichspredigtwerk fort, das er in dieser Gegend begann.

Natürlich gelangte die Wahrheit auch auf andere Weise nach Westkanada. Im Jahre 1889, dem Jahr, in dem Flewwelling die Wahrheit kennenlernte, warf ein wohlmeinender Mann auf einem typisch westamerikanischen Pferdemarkt in Fargo (Norddakota) eine Zeitschrift auf die Schlafstelle eines Kanadiers. „Hier, Mais“, sagte der Mann. „Da ist etwas, was dich interessieren wird.“ Leslie Mais war dorthin gekommen, um eine Herde Pferde zu verkaufen, die er auf seinem Stück Land in Fort Qu’ Appelle (Nordwestterritorien, heute Saskatchewan) gezüchtet hatte. Er war Mitglied der anglikanischen Kirche und ein eifriger Bibelleser und sprach mit anderen über das, was er aus der Bibel lernte. Kein Wunder, daß der Mann die Zeitschrift auf seine Schlafstelle warf! Nun, Mais las sich diese Ausgabe des Wacht-Turms durch, abonnierte sofort und las die Zeitschrift regelmäßig bis zu seinem Tod im Jahre 1924.

C. T. RUSSELLS ERSTER BESUCH IN KANADA

Im Jahre 1891 gab es in der Gegend von Toronto genügend Bibelforscher, um den ersten eintägigen Kongreß in dieser Stadt abhalten zu können. In jenem Jahr besuchte Pastor Russell zum erstenmal Glaubensbrüder in diesem Land. Am 22. Februar hörten am Vormittag über 400 Personen zu, während er zwei Stunden sprach. Am Nachmittag waren etwa 700 anwesend, um eine weitere zweistündige Ansprache Bruder Russells zu hören. Am Abend sprach er zu einer Versammlung am anderen Ende Torontos, kehrte aber vor 21 Uhr zur Kongreßstätte zurück, um Fragen zu beantworten. Gewiß ein ausgefüllter Tag!

WIDERSTAND, WÄHREND DAS TEMPO ZUNIMMT

Das Tempo der Ausbreitung der „guten Botschaft“ nahm in diesem Land schnell zu. Anfang 1891 schrieb ein Kolporteur: „Während meines kurzen Aufenthalts in Kanada hatte ich das Vorrecht, zu sehen, daß ein ausgezeichnetes Interesse geweckt wurde und daß das Erntewerk hier gut begonnen hat. ... In Ontario sind schon über 5 000 Tagesanbrüche [Bände der Serie Millennium-Tagesanbruch] abgegeben worden, und das Werk hat erst begonnen.“

Doch diese Tätigkeit ging nicht ohne den Widerstand der Geistlichkeit vor sich. Mindestens zwei Geistliche der Christenheit verbrannten in Ontario öffentlich Exemplare des Millennium-Tagesanbruchs und prangerten Bruder Russell und die Verbreiter seiner Bücher öffentlich an.

In dieser Zeit erschienen C. T. Russells Predigten in der Wochenzeitung Niagara Falls Review. Der Herausgeber der Zeitung war Bruder James E. Anger. Er gab zu: „Ich erreichte [1892], daß ich von den Droschkenkutschern, den Sabbath Desecrators, den Hoteliers, der r[ömisch]-k[atholischen] Kirche und den protestantischen Kirchen am Ort boykottiert wurde.“ Schließlich mußte er die Zeitung verkaufen. Doch Bruder Angers Nachkommen sind bis auf den heutigen Tag aktive Zeugen Jehovas, und es gibt in diesem Teil der Niagara-Halbinsel 20 blühende Christenversammlungen.

Trotz des Widerstandes der Geistlichkeit und anderer Personen Anfang der 1890er Jahre begriffen einige Geistliche und einige ehemalige Geistliche die biblischen Wahrheiten. Darüber hinaus erkannten sie ihre Verantwortung, andere die Wahrheit zu lehren, die sie in der Bibel gefunden hatten. Einer von ihnen, John L. Lawson, schrieb Bruder Russell im Jahre 1892:

„Der Herr hat mich seit Jahren auf diese Millenniumswahrheiten vorbereitet. Im Jahre 1874 gab ich mein Amt als Geistlicher der Primitive Methodists in England auf, wo ich neun Jahre lang war. ... Seitdem habe ich mich dem Studium der Prophezeiungen gewidmet; und Deine Bände bieten mir für diesen Zweig des Studiums einen Reichtum, eine Fülle, die alles übertrifft, was ich bisher gesehen habe. Sie zu lesen ist für mich tatsächlich, als säße ich bei einem Festmahl von ,Speise zur rechten Zeit‘ — vorhergesagte Wahrheiten, die zur rechten Zeit dem Haushalt des Glaubens übermittelt werden. ...

Ich wünsche, ich könnte den Wachsamen, den Geweihten eine Hilfe sein; aber hier im [kanadischen] Busch kann ich nicht viel tun, fürchte ich. Ich würde gern wissen, welche Vorkehrungen die Gesellschaft für Kolporteure getroffen hat und ob irgendein Gebiet bekannt ist, in dem noch dringend Hilfe gebraucht wird.“

Während immer mehr Menschen die Wahrheit Gottes kennenlernten und die Notwendigkeit erkannten, sie anderen zu verkündigen, nahm das Tempo der Königreichstätigkeit ständig zu. An einem Ort nach dem anderen entstanden Klassen der Bibelforscher. Zum Beispiel begann man im Jahre 1892, christliche Zusammenkünfte in Victoria (Britisch-Kolumbien) abzuhalten.

Matthew Nelson aus Carberry (Manitoba) hörte die Königreichsbotschaft in jenem Jahr zum erstenmal und nahm sie an. Im Jahre 1893 zog Nelson nach Grandview (Manitoba) und streute dort den Samen der biblischen Wahrheit aus. Nicht selten fuhr er 25 Kilometer weit auf ungepflasterten Straßen, nur um jemanden zu erreichen, der interessiert sein mochte. Das war bei den schlammigen Straßen gar nicht so einfach. In Nelsons eigener Familie gingen seine Mutter, seine Schwestern und einige angeheiratete Verwandte positiv auf seine Bemühungen ein. Am 22. November 1914 wurde die erste Versammlung in Grandview gegründet, und Bruder Nelson hatte das Vorrecht, die Aufsicht zu führen. Diese sehr aktive „Zündkerze“, wie Matthew Nelson liebevoll von Bibelforschern am Ort genannt wurde, war für all seine christlichen Gefährten bis zu seinem Tod im Jahre 1945 eine große Ermunterung.

BEGINN DES WERKES IN DEN KÜSTENPROVINZEN

Unter denen, die um das Jahr 1892 die Wahrheit kennenlernten waren Arthur N. Marchant und W. T. Dowden aus Halifax (Neuschottland). Sie lernten auch, daß Christen etwas tun — sie leben nach der „guten Botschaft“ und sprechen darüber. Entschlossen, wie er war, wurde Marchant sofort Kolporteur. Er war völlig davon überzeugt, daß kein Werk wichtiger war als die Verkündigung der „guten Botschaft“. Schon 1895 beteiligte er sich am systematischen Zeugnisgeben und bearbeitete häufig alle Küstenprovinzen, einschließlich der Prince-Edward-Insel, und legte somit eine Grundlage für ausgezeichnete künftige Entwicklungen.

Arthur Marchant stand Interessierten in geistiger Hinsicht bei, indem er Studiengruppen gründete und einige im Zeugnisgeben schulte. Er taufte auch diejenigen, die den Wunsch hatten, diesen wichtigen Schritt zu tun.

Man muß dabei berücksichtigen, daß diese Tätigkeit nicht auf so bequeme und leichte Weise durchgeführt wurde, wie es mit den heutigen Transportmitteln möglich ist. Oft ging Bruder Marchant viele Kilometer zu Fuß. Manchmal fuhr er mit dem Fahrrad, und im Winter benutzte er vielleicht ein Auto, wenn eins zur Verfügung stand — doch das war vor der Einführung der Autoheizung. Ella Dow erinnert sich an eine Begebenheit, als Marchant in einem offenen Auto fuhr. Als er bei ihr eintraf — sie lebte auf dem Land —, war er durchgefroren bis auf die Knochen. Sie erzählt: „Ich mußte seine Beine mit Liniment einreiben und sie in den offenen Ofen stecken, um wieder etwas Wärme hineinzukriegen!“

Bruder Marchant blieb all die Jahre hindurch standhaft. Während des Ersten Weltkrieges wurde er in Halifax einmal festgenommen, weil er das Buch Das vollendete Geheimnis verbreitet hatte. Seine Kaution wurde auf 10 000 Dollar festgesetzt. Als ihn der Richter nach seinem Beruf fragte, antwortete er, ohne zu zögern: „Ein Diener Gottes, des Höchsten!“ Arthur N. Marchant vollendete seinen Lauf am 23. Mai 1940 in Treue. Er hat in den nahezu fünfzig Jahren des Jüngermachens wirklich eine gewaltige Arbeit geleistet. Heute gibt es in dem 132 000 Quadratkilometer großen Gebiet, das er so sorgfältig durcharbeitete, über 80 Versammlungen und mehr als 4 500 aktive Zeugen Jehovas.

„WIE BRENNENDES FEUER“

Bei der Erwähnung der Küstenprovinzen kommt einem unwillkürlich ein Kanadier in den Sinn, für den sich Gottes Wort schließlich „wie brennendes Feuer“ erwies (Jer. 20:9). Er mußte einfach darüber sprechen. Er wurde am 2. Juli 1877 in Kanada geboren und wurde von presbyterianischen Eltern in einer katholischen Gemeinde in Neuschottland aufgezogen. Sein Name? Alexander Hugh Macmillan.

Als er 13 Jahre alt war, starb seine jüngere Schwester an Diphtherie. Darauf kam er zu folgendem Schluß: „Das Leben ist kurz und ungewiß. Wenn das, was wir hier tun, irgendeine Auswirkung auf das hat, was wir im Jenseits sein werden, dann wäre es sehr töricht, jetzt nicht unsere Zeit dem Dienste Gottes zu weihen mit der Hoffnung, in alle Ewigkeit etwas Besseres zu haben. Ich jedenfalls bin entschlossen, das zu tun, was dem Herrn wohlgefällt.“

Mit 16 beschloß Macmillan, Prediger zu werden. Er ging von zu Hause weg, um eine Schule zu besuchen, wo er sich auf die Zulassung zu einem Theologieseminar vorbereiten konnte. Doch dann hatte er aus irgendeinem Grund einen Nervenzusammenbruch. Nahezu untröstlich kehrte er nach Hause zurück. Sein Vater hatte Einsicht mit ihm und gab ihm Geld, und bald war der junge Mann nach Boston (Massachusetts) unterwegs. Dort erwarb er ein Exemplar von C. T. Russells Buch Der Plan der Zeitalter (oder Der göttliche Plan der Zeitalter). Die Wahrheiten, die es enthielt, wurden für Macmillan „wie brennendes Feuer“. Er konnte einfach nicht an sich halten; er ging hinaus auf die Straße und hielt Passanten an, um ihnen zu erzählen, was er gelernt hatte.

Eines Tages sprach Macmillan einen Fremden an und fragte ihn: „Kennen Sie die großartige Verheißung, die Gott Abraham gab, daß durch seinen Samen alle Familien der Erde gesegnet würden?“ Überrascht antwortete der Mann: „Von welchem Abraham reden Sie — von dem Abraham, der das Pfandhaus in der Salem Street hat?“

Nun, schließlich unternahm Macmillan Schritte, um das Ziel zu erreichen, das er sich als Jugendlicher gesteckt hatte, nämlich Prediger zu werden. Im September des Jahres 1900 ließ sich dieser eifrige Kanadier als Symbol seiner Hingabe an Jehova Gott taufen. In den darauffolgenden Jahren reiste er viel und verkündigte die gute Botschaft weit und breit, besuchte Versammlungen und erbaute seine Glaubensbrüder in geistiger Hinsicht. Er beendete seinen irdischen Lauf in Treue als ein Glied der Brooklyner Bethelfamilie am 26. August 1966 im Alter von 89 Jahren.

ERBAUENDE „PILGER“BESUCHE

A. H. Macmillan war ein enger Gefährte von C. T. Russell, und sie beide waren sehr um die Anbeter Jehovas besorgt. Russell hatte anläßlich eintägiger Kongresse zahlreiche Gruppen der Bibelforscher in Kanada besucht, doch nun wurden an vielen Orten neue Versammlungen oder Klassen gegründet, und es war ihm nicht mehr möglich, sie alle zu besuchen. Solche Besuche, die Ansprachen, die dabei gehalten wurden, und die gute Gemeinschaft trugen jedoch viel dazu bei, Gottes Volk geistig zu stärken. Daher kündigte Der Wacht-Turm (engl.) in seiner Ausgabe vom 1. September 1894 an, daß eine Anzahl ernannter befähigter Brüder die Versammlungen besuchen würden. Später wurde dieser Dienst, den reisende Beauftragte der Watch Tower Society leisteten, als „Pilgerwerk“ bezeichnet. Wie sah ein typischer Tag im Leben eines Pilgerbruders aus? Ein Brief an Bruder Russell vermittelt eine gewisse Vorstellung davon:

„Bruder [George] Draper ist gekommen und wieder gegangen. ... Unsere Zusammenkünfte waren nicht groß, doch ich kann wohl sagen, daß auf jedem Angesicht ein ernsthaftes Interesse geschrieben stand und daß die ganze kleine Gruppe und die paar Außenstehenden von allen Zusammenkünften tief beeindruckt waren, die in unserem neuen Saal [in Toronto] stattfanden.

Am Sonntagmorgen versammelten sich um 10.30 Uhr etwa 40 Personen in Balmy Beach, ... um Zeugen der Taufe zu sein. Es war ein strahlender, kühler und sehr windiger Morgen, auch herrschte ein starker Wellengang, was das Ereignis noch interessanter machte. Vier Schwestern und fünf Brüder wurden [getauft] ... Wir waren wirklich eine glückliche, freudige kleine Gruppe, als wir nach Hause zurückkehrten. Um 3 Uhr nachmittags versammelten wir uns wieder in unserem Saal, um unserem lieben Bruder Draper zuzuhören, der weitere Kostbarkeiten aus dem heiligen Wort hervorströmen ließ.

Um 19 Uhr begann unsere letzte Zusammenkunft. Es waren 88 oder 90 Personen im Saal anwesend, eine ganze Anzahl davon Freunde und Bekannte unserer lieben Brüder und Schwestern. ... Um 21.30 Uhr ging unser Festmahl von Fettspeisen zu Ende, und ich denke, daß es schwer wäre, sich glücklichere Gesichter vorzustellen, als alle Anwesenden hatten; sie waren überglücklich über die Kostbarkeiten, die sie gehört hatten.“

Im Jahre 1905 konnte William Hersee aus Hamilton (Ontario) seine Angelegenheiten so regeln, daß er den Pilgerdienst aufnahm. Obwohl es ihm in finanzieller Hinsicht gutging und er in Hamilton hätte bleiben können, wurde er bald für viele eine bekannte Gestalt, während er durch ganz Nordamerika reiste und viele Jahre lang hier und in den Vereinigten Staaten als Pilgerbruder diente.

Bruder Hersee, der im Jahre 1893 in London (Ontario) getauft worden war, war klein an Gestalt, aber eindrucksvoll im Auftreten. Besonders in späteren Jahren betonte sein weißes Haar sein gütiges Wesen, das zum Teil dadurch zum Ausdruck kam, daß er Kindern und jungen Menschen besondere Aufmerksamkeit schenkte. Ein Bruder, der damals noch ein Junge war, erzählt:

„Als Bruder Hersee mit dem Abendessen fertig war, nahm er meinen Bruder Joe und mich zu einem Abendspaziergang mit auf die Felder hinaus. Wir setzten uns eine Weile hin, lehnten uns gegen einen Pfosten und beobachteten, wie die Sonne über den gepflügten Feldern unterging. Jeder, der schon einmal die Sonne in der Prärie hat untergehen sehen, wird wissen, welch ein Bild sich uns bot: Der blaue Himmel über uns war am Horizont karmesinrot, und orangefarbene Strahlen reichten weit in den Himmel hinein, während die Sonne wie ein großer Feuerball langsam unseren Blicken entschwand. Von den Bäumen erklangen die Abendlieder der Vögel, die sich zur Ruhe begaben, und rechts von uns auf der Weide schnaubten Pferde beim Grasen. Welch ein herrlicher Rahmen, um mit diesem ruhigen, ehrfürchtigen Mann über Gottes Schöpfungswerke und sein Königreich zu sprechen! Es war eine Begebenheit, die ich nie vergessen werde.“

Kein Wunder, daß sich einige heute noch, fünfzig Jahre nachdem Bruder Hersee sie besuchte, gern und voller Wertschätzung an seinen Dienst erinnern! Besonders von seinen Gebeten, die von tiefer Ergebenheit und großem Glauben zeugten, waren Junge und Alte gleichermaßen beeindruckt. Ein Ehepaar erzählt: „Er war für uns beide eine große Ermunterung. Seine Gebete waren wirklich inspirierend. Es war so, als würde er einen geradewegs in die himmlischen Höfe tragen.“

William Hersee diente Jehova — und seinen Mitanbetern des wahren Gottes — ein halbes Jahrhundert in Treue. Das Ende seines christlichen Laufes und Dienstes auf der Erde kam im Jahre 1943. Man kann leicht verstehen, daß diese gottesfürchtigen Pilgerbrüder durch ihre demütigen Anstrengungen ihre Brüder und Schwestern im Glauben stärkten.

MEHR LICHT IN MANITOBA

Die großartige Botschaft von der „Wiederherstellung aller Dinge“ gelangte im Jahre 1898 nach Rapid City (Manitoba) (Apg. 3:19-21). Damals erschien dort der Kolporteur Geoffrey Webb auf der Bildfläche und gab Geschäftsleuten Zeugnis, die sich um den dickbauchigen Ofen im hinteren Teil der Gemischtwarenhandlung von A. W. Leflar versammelten. Eine Zeitlang widersprach Bowen Smith, ein überzeugter Anglikaner, der den dortigen Holzplatz betrieb, Webbs Ausführungen. Doch Smith ließ sich schließlich überzeugen und organisierte zusammen mit Leflar und mehreren anderen die erste Klasse der Bibelforscher in diesem Teil Kanadas.

Leflar legte sein ganzes Herz in die Verkündigung der guten Botschaft. Mit Pferd und Wagen fuhr er die gesamte Umgebung ab und gab begeistert Zeugnis. Als C. T. Russell in diese Gegend zu Besuch kam und Vorträge hielt, war Leflar sofort mit Pferd und Wagen zur Stelle. Selbst heute erfordert es nicht allzuviel Phantasie, sich vorzustellen, wie der Fahrer und sein Besucher mit dem Pferdewagen über die weiten Prärien von Ort zu Ort fuhren.

Im Laufe der Jahre wurde Leflars Haus das Zentrum der christlichen Tätigkeit in jenem Teil Kanadas. Es war der Haltepunkt für viele Kolporteure und Pilgerbrüder. Dort wurden auch kleine Kongresse abgehalten. Als eine Versammlung gegründet wurde, war A. W. Leflar ihr erster Aufseher. Doch all seine Anstrengungen und auch die seiner Glaubensbrüder in dieser Gegend waren mit Opfern und Widerstand verbunden. Viele brachten gegenüber den „Russelliten“, wie man sie nannte, Verachtung und Haß zum Ausdruck, und das machte ihren christlichen Lebensweg nicht leicht. Trotzdem erduldeten sie die Verfolgung, und Bruder Leflar diente treu bis zu seinem Tod im Jahre 1946.

DIE WAHRHEIT FASST IN ALBERTA FUSS

Christliche Entschlossenheit und ein ähnlicher Geist der Opferbereitschaft führten auch in Calmar (Alberta) zum Segen Jehovas. Im Jahre 1895 traf der Bibelforscher August Dahlquist aus Norddakota ein. Ihm folgte im Jahre 1899 eine regelrechte skandinavische „Flut“, denn Familien mit Namen wie Anderson, Engberg, Hammer, Melin und Peterson kamen aus der Umgebung von De Lamere (Norddakota) nach Calmar. Diese Familien waren bereits aktive Bibelforscher, als sie die Vereinigten Staaten verließen.

Eine dieser Pionierfamilien war die von Knud Pederson Hammer. Er war ordinierter Baptistengeistlicher in Norddakota, als ein Bibelforscher ihm im Jahre 1890 ein Buch zurückließ. Wie einer von Hammers Nachkommen erzählt, erkannte dieser Baptistenprediger „bald, daß es die Wahrheit enthielt. Infolgedessen stand K. P. Hammer im Jahre 1891 eines Tages in der Kirche auf und unterrichtete die Gemeinde, daß er, seine Frau und das Baby, das sie auf dem Arm hatte, ,Babylon‘ verlassen würden. Darauf gingen sie mit ihrem Töchterchen Hanna hinaus, um nie wieder in den Bereich der falschen Religion zurückzukehren.“

Im Jahre 1892 besuchte Bruder Hammer seine Heimatstadt Skien in Norwegen. Aufgrund dieses Besuches bekundeten seine Mutter und seine Schwester Interesse an der Königreichsbotschaft.

Ein Nachkomme von Bruder Hammer berichtet noch weitere Einzelheiten: „Wie geplant, mietete eine Gruppe von 50 Personen im Jahre 1899 einen Eisenbahnwagen. Sie hatten sich vorgenommen, gemeinsam nach Calmar zu ziehen. Hier war nun eine organisierte Gruppe von Bibelforschern — bereit, ein neues Leben in einem neuen Land zu beginnen. Kurz vor der Abfahrt erhielt K. P. Hammer von Charles Taze Russell die Einladung, als Beauftragter der Gesellschaft nach Norwegen zu gehen und dort die erste Versammlung zu gründen. Die Brüder besprachen die Angelegenheit miteinander, und man kam zu dem Schluß, daß Hammer die Einladung Russells annehmen sollte.“

Bruder Hammers Familie fuhr dann in der Obhut anderer Bibelforscher nach Calmar, während er selbst nach Norwegen reiste. Obwohl er dort einige Interessierte fand, konnte er keine Versammlung gründen. In welchem Zustand befand sich seine Familie bei seine Rückkehr? In dem oben zitierten Bericht heißt es weiter:

„Auf Bruder Hammer wartete bei seiner Rückkehr eine angenehme Überraschung. John Frederickson, ein voll ausgebildeter Holzbearbeiter, hatte mit der Hilfe anderer Brüder auf dem Stück Land der Familie Hammer ein schönes Häuschen errichtet. Das war nur eine der vielen Taten der Liebe und Güte, die sich die Brüder in jenen Jahren gegenseitig erwiesen“ (Joh. 13:35).

Geistige Dinge kamen bei diesen Bibelforschern in Calmar, unter denen sich auch Andrew Melin befand, stets an die erste Stelle. Sein Sohn berichtet: „Jedesmal, wenn wir unsere Post bekamen ..., saßen wir den ganzen Abend um den Tisch, auf dem eine Kohlenöllampe stand, und hörten zu, während Vater aus dem Wacht-Turm vorlas. Am Anfang kam die Zeitschrift in Englisch, aber später erhielten wir sie in Schwedisch, und dann konnte Mutter alles genauso gut verstehen.“

Zu Fuß und zu Pferd gaben die Melins, John Frederickson und K. P. Hammer gründlich Zeugnis. Sie arbeiteten mit den Bänden der Anbruchs-Serie. Es gab nicht viele Orte im Bezirk von Calmar, wo diese Zeugen Jehovas nicht gut bekannt waren. Man sollte nicht etwa meinen, daß sie sehr viel Zeit hatten. Sie erwarben sich Heimstätten und mußten hart arbeiten, um das Land zu roden (mindestens 8 Hektar, um das Besitzrecht zu erwerben). Dabei benutzen sie Pferde, Ochsen und ihre bloßen Hände. Gleichzeitig mußten sie den größten Teil ihrer Nahrung selbst anbauen. Außerdem gab es in einigen dieser Bibelforscherfamilien mit der Zeit bis zu 13 Kinder. Um daher Geld für notwendige Anschaffungen zu verdienen, nahmen diese Brüder jede zusätzliche Arbeit an, die sich ihnen bot, und wenn es auch für 35 Cent pro Tag war! Ja, sie waren opferbereit, liebevoll, fleißig und treu — und dafür wurden sie von Jehova reich gesegnet.

Als diese christlichen Familien wuchsen und sich immer mehr neue Interessierte mit ihnen verbanden, bauten sie in Calmar ein großes Blockbaus als Versammlungsstätte. Die gute geistige Grundlage, die damals gelegt wurde, hat dazu geführt, daß viele treue Zeugen Jehovas hervorgebracht wurden, und die Familiennamen jener ersten Bibelforscher sind jetzt in ganz Westkanada bekannt. Es gibt heute noch eine aktive Christenversammlung in Calmar.

EIN NEUES JAHRHUNDERT DÄMMERT

Es ist hier nicht möglich, alle Orte aufzuführen und alle Einzelpersonen und Familien zu nennen, die Jehova damals dienten und die in den Anfangsstadien des Werkes eine Rolle spielten. Es war aber offensichtlich, daß Gott sein Volk segnete. Zum Beispiel zeigte der Bericht über die Feier des Abendmahls des Herrn im Jahre 1899, daß es eine ganze Reihe kleine, aber wachsende Gruppen gab. In jenem Jahr waren die Anwesendenzahlen in Ontario wie folgt: Brantford 22, Dorchester 5, Goderich 4, Hamilton 10, London 7, Meaford 5, Niagara Falls 7 und Toronto 21. Die Anwesendenzahlen in Manitoba waren: Brandon 8, Clive 4 und Rapid City 10. Aus Wharnock (Britisch-Kolumbien) wurden 5 Anwesende gemeldet, aus Regina (Nordwestterritorien, heute Saskatchewan) 7 und aus Truro (Neuschottland) 8. Auch andere Gruppen kamen in jenem Jahr zusammen, um des Todes Christi zu gedenken.

Somit breitete sich das Werk der Verkündigung der „Wiederherstellung aller Dinge“ durch Gottes Königreich um die Jahrhundertwende in ganz Kanada aus. Um die wachsenden Gruppen der Bibelforscher zu stärken, besuchten die Pilgerbrüder weiterhin ihre Glaubensbrüder, und an verschiedenen Orten wurden regelmäßig geistig erbauende Kongresse durchgeführt.

So kam es, daß hier und da Anglikaner, Presbyterianer, Baptisten und andere — manchmal führende Persönlichkeiten in diesen Organisationen — mutig die falsche Religion aufgaben (Offb. 18:1-4). Solche Personen machten dann unverzüglich ihre Mitmenschen mit den biblischen Wahrheiten bekannt, die sie selbst lernten.

WACHSTUM TROTZ WIDERSTAND

Die Ausdehnung war mit Sicherheit im Gange. Zum Beispiel führte das Wachstum der Bibelforscherklassen an verschiedenen Orten dazu, daß sie sich nicht mehr in Privatwohnungen zum Studium versammelten, sondern für die Sonntagszusammenkünfte Säle mieteten. Natürlich brachte die Ausdehnung auch Widerstand mit sich. Einige religiöse Kritiker gingen manchmal in dem Bemühen, dem Wachstum und dem Einfluß des Volkes Jehovas entgegenzuwirken, zu weit. Beachte zum Beispiel, was gemäß dem Bericht von Cecil Scott im Jahre 1904 in Nashwaak (Neubraunschweig) geschah.

Der Holzfäller Hezekiah London, ein religiöser Mann, hatte am Rande seiner Familienfarm eine Kirche gebaut. Seine sieben Töchter sangen alle im Chor. Eines Tages erhielt London von einem Freund aus Connecticut, der Bibelforscher war, einige Schriften. Als er die Publikationen gelesen hatte, schrieb er an das „Bibelhaus“ in Allegheny (Pennsylvanien) und erhielt weitere Schriften. Kurz nachdem er diese gelesen hatte, war er überrascht, als der Ortsgeistliche an einem Sonntag über das Thema „Die Internationalen Bibelforscher und Pastor Russell“ sprach. Diese Predigt war nicht nur sehr abschätzig, sie war auch weit von der Wahrheit entfernt. Mittendrin stand London auf, nahm seine Frau bei der Hand und rief seinen Töchtern, die im Chor saßen, zu: „Kommt, Mädchen! Wir gehen nach Hause.“ Alle neun gingen hinaus. Da Hezekiah London das Gebäude gestiftet hatte und die finanzielle Stütze der Kirche war, fiel die Gemeinde bald auseinander. Der Prediger ging fort, und das Gebäude wurde geschlossen.

Darauf lud Hezekiah London Pilgerbrüder ein, nach Nashwaak zu kommen. Ein paar Wochen vor dem Eintreffen eines Pilgerbruders (etwa zweimal im Jahr) begab sich London jeweils an einem Montagvormittag mit Pferd und Wagen auf den Weg und kehrte erst am Samstag wieder zurück. Während einer solchen Fahrt verbreitete er im Umkreis von vielen Kilometern Traktate und Broschüren und lud die Menschen zu den Vorträgen ein, die von dem Pilgerbruder gehalten werden sollten. Und die Zusammenkunftsstätte? Richtig! Das war das ehemalige Kirchengebäude auf Londons Farm in Nashwaak (Neubraunschweig). Heute sind 30 Verwandte Hezekiah Londons Zeugen Jehovas.

Kurz nach der Jahrhundertwende wuchsen in verschiedenen Gegenden Versammlungen des Volkes Gottes heran. In gewissen Gebieten Kanadas war die Situation aber immer noch so wie ein Jahrzehnt zuvor in einigen der größeren Gemeinden. Zum Beispiel gab es Gebiete in Manitoba, wo Einzelpersonen die biblische Wahrheit angenommen hatten, aber nicht mit anderen Christen zusammenkommen konnten und nur selten von Pilgerbrüdern besucht wurden. Dennoch waren diese Personen standhaft, und Jehova stärkte sie.

Schwester Sample, die in der Nähe von Souris (Manitoba) wohnte, ist ein Beispiel dafür. Sie war seit 1897 im Besitz unserer Literatur und hatte von einem gewissen John Kerslake Zeitschriften entgegengenommen. Sie hatte aber versucht, bei der Kirche zu bleiben und in Sonntagsschulen zu lehren. Im Jahre 1903 kam jedoch der Tag der Entscheidung. Sie stand in der Kirche auf und teilte allen Anwesenden mit, weshalb sie sich von der Christenheit trennen müsse. Eine Nachbarin versuchte, sie in die Kirche zurückzuholen, und Prediger wurden in Aktion gesetzt. Doch all das war vergebens. Sie blieb standhaft. Später nahm die Nachbarin, Mrs. Nay, ebenfalls die Wahrheit an. Aber sie mußten fast alles allein tun. Schwester Samples Sohn John beschrieb ihre Situation in jenen Anfangsjahren: „Kein Versammlungsdiener [vorsitzführender Aufseher]. Kein Studienleiter auf den man sich stützen konnte. Keine Zusammenkünfte. Ein zerknirschtes Herz. Eine abgenutzte Bibel. Lange, gebetsvolle Stunden.“

DIE „GUTE BOTSCHAFT“ ZIEHT WEITERHIN AUFRICHTIGE AN

Es fanden sich immer mehr aufrichtige Menschen, die den Wunsch hatten, Gott wohlzugefallen, und entschlossen waren, ihm trotz aller ungünstigen Umstände zu dienen. Einer von ihnen war ein ehemaliger Hauptmann, William Meneray. Im Jahre 1906 fand er einmal beim Aufräumen in einem Telegrafenamt in Souris (Manitoba), kurz bevor er nach Winnipeg zurückfuhr, einige Wacht-Turm-Ausgaben aus den Jahren 1893 und 1894. Obwohl sie schon recht alt waren, nahm er sie mit. Seine Frau las einige der Zeitschriften und empfahl auch ihrem Mann, sie zu lesen. Der erste Artikel, den er las, war der Nachdruck einer Broschüre der Watch Tower Society über die Hölle. Nun, das war der Anfang. Meneray schrieb sofort an das Büro der Gesellschaft und fragte, ob es irgendwelche Personen in Winnipeg gebe, die den gleichen Glauben hätten. Er erhielt die Adresse von Mr. und Mrs. Reginald Taylor und von Mr. und Mrs. Hamilton. Schon vor dem Jahre 1906 hatten diejenigen, die diese Dinge glaubten, in gewissem Maße Gemeinschaft miteinander gepflegt. Tatsächlich wurden schon im Jahre 1901 Besuche von Pilgerbrüdern in Winnipeg im Wacht-Turm angekündigt, und im Jahre 1905 erschien im Wacht-Turm ein Brief, wahrscheinlich von Frances Hamilton, aus dem hervorging, daß sie und ihr Mann das Gedächtnismahl gefeiert hatten. Es scheint aber, daß die erste organisierte Versammlung in Winnipeg im Jahre 1905 oder 1906 ihre Tätigkeit aufnahm.

Nicht zufrieden damit, in seinem eigenen Bezirk Zeugnis zu geben, richtete Meneray einen umfangreichen Postdienst ein. Auf diese Weise erreichte er isoliert lebende Menschen mit Traktaten und Broschüren. Diese hatten auffällige Titel wie Diebe im Paradies und Was ist die Seele? Einige dieser Schriften wurden bis nach Yukon gesandt. George Naish berichtete, daß auch Interesse unter den Carment- und Rainbowindianern in Kamsack (Saskatchewan) geweckt wurde.

William Meneray machte mit C. T. Russell und anderen Bibelforschern einmal eine Weltreise, eine Reise, die die gewaltige Notwendigkeit für ein weltweites Zeugnisgeben deutlich machte. Bruder Meneray ging seinen Weg treu weiter bis zum letzten Tag seines Lebens auf der Erde, dem 21. Januar 1960.

Im Jahre 1911 nahm Charles Cutforth aus Gilbert Plains (Manitoba) seinen Dienst als Zeuge Jehovas auf. Sein Bruder, H. W. Cutforth, bekundete ebenfalls Interesse. Er stellte seine Wohnung den Bibelforschern als Versammlungsstätte zur Verfügung. Im Laufe der Zeit wurde Charles Cutforth Kolporteur und reisender Beauftragter der Watch Tower Society. Sein Sohn John wurde Pionier (1941), diente als reisender Aufseher (1942) und wurde ein Mitarbeiter im Zweigbüro der Gesellschaft in Toronto (1943). Er besuchte die Wachtturm-Bibelschule Gilead im Jahre 1946 und wurde nach Australien geschickt. Dort diente John Cutforth als Kreis- und Bezirksaufseher. Später wurde er nach Papua-Neuguinea gesandt, wo er heute noch treu dient.

James Gibson aus Haliburton (Ontario) war ein weiterer aufrichtiggesinnter Mann, der in den Schriften C. T. Russells Gottes Wahrheit erkannte. Das war im Jahre 1907, als er von James und Alexander Brown, Angehörigen seiner Frau aus New Liskeard (Ontario), Literatur erhielt. Seine Frau Margarete sah diese Schriften damals nicht im richtigen Licht. Nachdem aber Bruder Gibson im Jahre 1908 gestorben war, ging sie für sechs Wochen zu den Browns. Als sie dann wieder zurückkehrte, „hatte sie die Wahrheit mit festem Griff erfaßt und konnte über nichts anderes mehr nachdenken oder reden“, berichtet ihre Enkelin, die auch erzählt:

„Bis zu ihrem Tod im Jahre 1929 ließ meine Großmutter kaum einen Tag vergehen, ohne daß sie jemandem etwas über die Wahrheit schrieb oder erzählte. In der Anfangszeit in Haliburton fuhr sie mit dem Pferdewagen zu denen, die sie besuchen wollte. Da sie in der Gegend von Haliburton zu den ersten Siedlern gehörte und eine eifrige Mitarbeiterin in der Kirche gewesen war, kannte sie jeden in der Umgebung. Die Art, wie sie Zeugnis gab, erinnerte einen an die ersten Christen, denn sie packte ihre Tasche mit Büchern und dem zum Reisen Notwendigen, setzte sich in ihren Pferdewagen, fuhr zu Bekannten oder Nachbarn und kündigte bei ihrem Eintreffen an, daß sie gekommen sei, um bei ihnen zu bleiben, bis sie ihre Botschaft verstehen würden. Wenn sie ein hörendes Ohr fand, blieb sie zwei oder drei Tage und vertiefte sich mit den Leuten in die Heilige Schrift, oft bis spät in die Nacht beim Licht der Laterne. Dadurch, daß sie das Werk auf diese Weise durchführte, half sie vielen Familien, schnell die Wahrheit zu erkennen.“

Im Jahre 1911 kamen in der Versammlung Toronto 110 Personen zum Gedächtnismahl. Auch andere Klassen, wie sie oft genannt wurden, nahmen an Größe zu. In jenem Jahr wurden in ganz Kanada 108 Klassen von Pilgerbrüdern besucht. Die Gruppe in Vancouver hatte guten Erfolg mit Sonntagabendvorträgen in der Pender Hall. Samuel Withers (der am 9. März 1971 im Alter von 96 Jahren starb) fing damals an, mit Jehovas Volk zusammenzukommen. Sein Herz wurde wirklich von der Wahrheit berührt. Er war vom Inhalt des Buches Der göttliche Plan der Zeitalter so beeindruckt, daß er drei Nächte lang aufblieb und seinen Inhalt geradezu verschlang. In der dritten Nacht wachte seine Frau einmal auf und fragte: „Was hast du denn, daß du um 8 Uhr früh andauernd ,Preiset den Herrn!‘ sagst?“ Offensichtlich war er dankbar, daß seine vielen Fragen beantwortet wurden.

ENTSCHLOSSEN, DIE KÖNIGREICHSBOTSCHAFT ZU VERKÜNDIGEN

Diejenigen, die eine Erkenntnis der biblischen Wahrheit erlangten, waren eifrig darauf bedacht, mit anderen über die gute Botschaft vom Königreich zu sprechen. Ein Beispiel dafür ist Julius W. Lundell. Im Jahre 1912 traf er seine Entscheidung, etwas hinsichtlich seiner Kontakte mit der Botschaft der Bibelforscher zu tun. Seine Tochter, Olive Mais, berichtet einige Einzelheiten darüber:

„Julius W. Lundell hörte im Jahre 1903 zum erstenmal etwas von der Wahrheit. Er lebte damals in einer Sonntagsschule der ,Freien Mission‘ in Norddakota, als ein anderer Lehrer ihm eines Tages erzählte, er habe einen Vortrag gehört, in dem anhand der Bibel bewiesen worden sei, daß es keine Hölle gebe. Im Jahre 1910 erwarb dann mein Vater als Pioniersiedler in Nordsaskatchewan eine Heimstätte, die 30 Kilometer nördlich von Maidstone lag. Eines Tages lieh ihm ein Nachbar ein Buch über das Thema Evolution. In diesem Buch lag eine Broschüre mit dem Thema Was sagt die Heilige Schrift über die Hölle? Hier war der Beweis für das, was ihm sein Freund erzählt hatte.

Zwei Jahre später erschien in der Winnipeg Free Press eine Annonce von Bruder Meneray. Darin wurde die Frage aufgeworfen: ,Weißt du, daß die Zeiten der Nationen im Jahre 1914 enden werden?‘ [Luk. 21:24]. Mein Vater bestellte Literatur, und als die Schriftstudien mit der Post eintrafen, las er darin eine Woche lang Tag und Nacht ohne Unterlaß. Beim Licht einer Kerosinlampe las er bis spät in die Nacht. Am Ende der Woche wußte er, daß er die Wahrheit gefunden hatte. Mit seinen Büchern und der Bibel unter dem Arm ging er darauf zu seinen Nachbarn, um ihnen die gute Botschaft zu verkündigen. Ihre Reaktion war: ,Lundell ist verrückt geworden!‘ “

Das war aber weit von der Wahrheit entfernt; es war erst der Anfang seines aktiven Dienstes für Jehova. Seine Tochter erzählt weiter: „Völlig von der Wahrheit überzeugt, bestellte und verbreitete mein Vater in jenen Jahren ganze Kartons von Literatur ... Dann, im Jahre 1917, besuchte Andrew Melin aus Calmar (Alberta) verschiedene schwedische Siedlungen und hielt biblische Vorträge. Auf diese Weise kam er auch zu uns nach Milleton. Er war der erste, der meinem Vater half, seine Tätigkeit zu organisieren. Es dauerte nicht lange, und ein Bild meines Vaters erschien in vielen Anzeigen, und er hielt Vorträge in allen Gemeindeschulen und Gemeindesälen nördlich und südlich des Saskatchewan.“

Doch das Halten biblischer Vorträge war nicht das einzige Mittel zur Verkündigung der guten Botschaft. Wenn Bruder Lundell reiste, nahm er immer einen Koffer voll biblischer Literatur mit. Seine Tochter fügt hinzu: „Ob bei einer Versteigerung oder auf dem Jahrmarkt von Lloydminster, man konnte immer darauf rechnen, meinen Vater dort am Auto zu finden, eine Gruppe Männer um sich geschart und in eine lebhafte Unterhaltung vertieft. Wenn es Zeit war, nach Hause zu fahren, war der Koffer, den er mit Literatur vollgepackt hatte, leer. Als wir einmal in einem Schlammloch steckenblieben und ein Mann mit Mauleseln vorbeikam, erhielt er seinen Lohn aus dem braunen Koffer. In einem griechischen Restaurant in North Battleford wurden in ein Gespräch, das mit dem Wirt begann, bald alle Gäste hineingezogen, und am Ende des Gesprächs war der Koffer wieder leer.“

Gewiß war diese Entschlossenheit die Königreichsbotschaft bekanntzumachen, lobenswert. Aufgrund eines solch ausgezeichneten Geistes auf seiten der Diener Gottes wurde in Verbindung mit der Verkündigung der „guten Botschaft“ großartige Arbeit geleistet. Daher ging das erste Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts mit einer bemerkenswerten Zunahme in der Zahl der wahren Anbeter in den meisten Teilen Kanadas zu Ende. In allen Provinzen war damals ein Wachstum zu beobachten, in einigen sogar ein ganz beträchtliches. Ähnliche Fortschritte wurden im nächsten Jahrzehnt gemacht. Doch es erwies sich auch als eine Zeit der Glaubensprüfungen für diese aufrichtigen Bibelforscher.

GEISTLICHE GREIFEN AN!

Eine der ersten Versammlungen der Zeugen Jehovas, die in Kanada gegründet wurden, war die in Hamilton (Ontario). Diese starke, sehr aktive Versammlung zog natürlich das Mißfallen der Geistlichkeit auf sich. Da sich die Geistlichen nicht mit der Bibel gegen den machtvollen Vorstoß der Wahrheit verteidigen konnten, nahmen sie zu persönlichen Schmähungen Zuflucht. Sie unternahmen verzweifelte Anstrengungen, um einen Mann zu vernichten: C. T. Russell.

Ein Geistlicher, der sich dieser Methode in Hamilton bediente, war ein bombastischer Baptistenprediger namens J. J. Ross. Im Jahre 1912 schrieb er eine freche Flugschrift, in der er viele falsche Anschuldigungen gegen Bruder Russell vorbrachte. Bruder Russell erhob auf Anraten seines Rechtsberaters, J. F. Rutherford, gegen Ross Anklage wegen Verleumdung in Schrift oder Druck. Als Ankläger wohnte Russell dem Prozeß bei, um die Beweise zu unterbreiten, und er wurde einem langen Kreuzverhör von etwa fünf Stunden unterzogen. Nach der Gerichtsverhandlung behauptete sein baptistischer Gegner fälschlich, Russell habe sich eines Meineids schuldig gemacht, als er nach seinen Griechischkenntnissen gefragt worden sei. Diese Behauptung veröffentlichte Ross in seiner zweiten Flugschrift gegen Russell. Darin entstellte der Geistliche das, was Russell vor Gericht gesagt hatte, und gab einen Auszug des Kreuzverhörs wie folgt wieder:

F.: „Kennen Sie das Griechische?“

A.: „O ja!“

Dadurch, daß Ross aus dieser Frage das Wort „Alphabet“ ausließ, versuchte er, einen Widerspruch zu einer späteren Antwort nachzuweisen:

F.: „Sind Sie mit der griechischen Sprache vertraut?“

A.: „Nein.“

Was wirklich geschah, geht aus einem amtlichen Bericht hervor (Polizeibericht der Stadt Hamilton [Ontario], 17. März 1913). Daraus ist ersichtlich, daß C. T. Russell keinen Meineid leistete. Das Kreuzverhör (durchgeführt von George Lynch-Staunton, K. C.) ging gemäß dem Buch Jehovah’s Witnesses in Canada von M. James Penton wie folgt vor sich:

„Frage: ,Sie behaupten also nicht, in der lateinischen Sprache geschult zu sein?‘

Antwort: ,Nein, Sir.‘

Frage: ,Oder in der griechischen?‘

Antwort: ,Nein, Sir.‘ “

Danach wurde Russell gefragt, ob er einzelne griechische Buchstaben kenne, und er antwortete darauf, er könne sich „bei einigen möglicherweise vertun“. Gemäß dem oben zitierten Buch stellte Lynch-Staunton kurz danach Russell die Frage: „ ‚Sind Sie mit der griechischen Sprache vertraut?‘ Russells Antwort war ein deutliches ,Nein‘.“

Es gab somit keinen Zweifel hinsichtlich dieser Angelegenheit. C. T. Russell hatte sich keines Meineids schuldig gemacht, wie Ross nach der Verhandlung fälschlich behauptete. Der Fall selbst kam später vor ein Untersuchungsschwurgericht, das es ablehnte, der Anklage stattzugeben. Der Fall kam daher nie vor den Obersten Gerichtshof von Ontario. In Ontario darf nur der Kronanwalt vor dem Untersuchungsschwurgericht sprechen. Wir wissen nicht, wie der Fall vorgetragen wurde und warum ihn die Geschworenen zurückwiesen. Zu keiner Zeit wurde ein Urteil aufgrund des entscheidungserheblichen Sachverhalts gefällt. In späteren Schriften stellte Ross diesen unklaren Ausgang so dar, als habe er einen großen Sieg errungen. Er und andere vergaßen offensichtlich, daß schließlich nicht Russell der Angeklagte war.

UNBEEINDRUCKT VON DEN POSSEN DER WIDERSACHER

Trotz des Hasses der Geistlichkeit der Christenheit ließen sich Jehovas Zeugen nicht beunruhigen. Im Jahre 1913 hielten sie eine Kongreßserie ab, und es waren sehr erfolgreiche Zusammenkünfte. Zum Beispiel besuchten etwa 1 000 Personen den Kongreß in Victoria (Britisch-Kolumbien), und etwa 4 500 kamen zu dem Kongreß in Vancouver. Diese Kongresse fanden in den größeren Bevölkerungszentren des Westens statt, bevor die Serie mit einem einwöchigen Kongreß in Toronto fortgesetzt wurde. Dort waren etwa 1 200 Personen anwesend. Die Hälfte der Delegierten kam aus den Vereinigten Staaten.

Über 200 Delegierte reisten mit C. T. Russell von einem Kongreß zum anderen. Ein Pressebericht kündigte die Ankunft des Kongreßsonderzuges in Edmonton (Alberta) an. Unter anderem hieß es darin:

„Auf den Vorwurf, er sei ein Antihöllenprediger, erwiderte Pastor Russell:

,Es gibt in der ganzen Welt keinen Prediger, der die Hölle mehr predigt als ich. Aber die Hölle, die ich predige, ist die Hölle der Bibel und nicht die Hölle, in der es Feuer, Schwefel, Mistgabeln und Schmirgelpapierrutschen geben soll. Die Hölle der Bibel ist eine sehr vernünftige Übersetzung der ursprünglichen griechischen und hebräischen Ausdrücke Hades und Scheol, die den Todeszustand, das Grab, bezeichnen.‘ “

Über den Kongreß in Toronto (1913) hieß es im Wacht-Turm (engl.): „Einige besuchten diesen Kongreß hauptsächlich deshalb, weil sie erkannt hatten, daß ein böser Geist der Verleumdung und der Falschdarstellung aus irgendeinem Grund bemüht war, einem religiösen Werk Schaden zuzufügen. Satan und seine verblendeten und irregeführten Diener übertreiben ihre Anstrengungen, der Sache des Herrn Schaden anzutun. Manchmal macht der Herr den Zorn des Menschen zu seinem eigenen Ruhm und im Interesse der Wahrheit zunichte. Zum Beispiel kam ein Mann, dem gesagt worden war, Pastor Russell sei der Antichrist, um zu sehen, wie der Antichrist wohl aussehe. Als er die frohe Botschaft des Evangeliums hörte, wurde sein Herz ergriffen, und jetzt frohlockt er.“

Auf dem Kongreß in Toronto gingen einige Gegner so weit, daß sie auf dem Kongreßgelände mit einem großen Banner erschienen, auf dem einige geringschätzige Parolen standen, in denen die Ausdrücke „Russellismus, Millennium-Anbruchslehre, Teufelslehre“ vorkamen. Die Polizei vertrieb sie jedoch vom Gelände. Wie die Toronto News (25. Juli 1913) berichteten, waren die „Umtriebe der Torontoer Russellgegner“ in jener Woche nicht allein auf diese Stadt beschränkt, denn es hieß darin: „Russellfeindliche Schriften sind in alle Welt an verschiedene Sekretäre dieser Bewegung geschickt worden, wie Mr. Philip Sidersky aus Baltimore, ein Mitglied der ,Nationalen Vereinigung der Evangeliumsmission‘, erklärte.“ Der Zeitungsbericht trug jedoch eine Schlagzeile, aus der hervorging, daß die Bibelforscher von den Possen ihrer Widersacher „unbeeindruckt“ waren.

GEISTIGER HUNGER GESTILLT

Einer von denen, die 1913 den Kongreß in Toronto besuchten, war Tassey Raycove. In Mazedonien war er Vorsänger in der orthodoxen Ortskirche gewesen. Er hatte auch die Aufgabe gehabt, die Kirche zu putzen, und das hatte ihm die Gelegenheit gegeben, die Bibel zu lesen, die dort aufbewahrt, aber vom Priester nie benutzt wurde. Durch das Lesen der Heiligen Schrift wurde in Raycove ein Hunger nach Wahrheit geweckt, der auch noch nach seiner Auswanderung nach Kanada in ihm nagte. Hier hatte er Gelegenheit, mehrere Religionsgemeinschaften zu untersuchen. Doch eine nach der anderen enttäuschte ihn. Er war der Hauptälteste einer bulgarischen Baptistengruppe, als Bruder Russell im Jahre 1913 den Kongreß in Toronto besuchte, den seine religiösen Widersacher unbedingt sprengen wollten. Anthony, Tassey Raycoves Sohn, berichtet:

„Die Nachricht von diesem Besuch wurde von den babylonischen Religionisten in Toronto mit Ärger und Verachtung aufgenommen. Sie sagten: ,Dieser Teufel Russell kommt am Sonntag in die Stadt.‘ Mein Vater redete genauso, doch im stillen sagte er sich: ,Ich werde ihm trotzdem zuhören.‘ Und das war der Wendepunkt in seinem Leben, denn zum erstenmal hörte er nun die befriedigende Botschaft, die die Schafe als die Stimme des vortrefflichen Hirten erkennen.“

Nach Russells zweistündiger Ansprache über die Seele besorgte sich Raycove einen Band der Schriftstudien und las begierig darin. Dann bestellte er die anderen Bände und las sie mit der gleichen Begeisterung. „Endlich war die Suche nach der Wahrheit vorbei“, erzählt sein Sohn und fügt hinzu: „Dann kam sein dramatischer Bruch mit Babylon der Großen. Der Prediger hielt gerade eine seiner üblichen Höllenpredigten, als er den absichtlichen, aber entscheidenden Fehler machte, einen Schrifttext falsch zu zitieren. Der Hauptälteste sprang sofort auf, widersprach der Äußerung des Predigers geradewegs und wies ihn heftig zurecht, weil er den Schrifttext falsch zitiert hatte.“ Eine kurze, aber heiße Debatte folgte und führte dazu, daß vielen Kirchenmitgliedern die Augen geöffnet wurden.

EIN GLÜCKLICHER SKLAVE JEHOVAS BEGINNT SEINEN WEG

Während des zweiten Jahrzehnts des zwanzigsten Jahrhunderts begann Thomas James Sullivan seinen treuen Dienst als ein freudiger Sklave Jehovas. Als Sullivan im Jahre 1911 in Brooklyn (New York) arbeitete, hörte er von einem Kollegen, daß Pastor Russell nicht an die Hölle glaube. Diese Äußerung beeindruckte ihn, weil er noch nie hatte verstehen können, wie sich die Lehre von der ewigen Qual mit einem Gott der Liebe vereinbarte (1. Joh. 4:8). Der junge Mann hörte jedoch bis zum Jahre 1913 nichts mehr über diese Glaubensansichten.

Im November jenes Jahres hielt sich Sullivan in Winnipeg (Manitoba) auf, wo er bei der Einführung eines Buchhaltungssystems für eine Reihe Hotels half, die von der Eisenbahngesellschaft gebaut wurden. Unter dem Personal befand sich eine junge Dame, die immer die Bibel bei sich hatte. In ihrem Büro hatte sie sechs Bände der Schriftstudien von Pastor Russell aufgestellt. Sie wußte so gut in der Bibel Bescheid, daß sogar ihre Vorgesetzten sich oft an sie wandten, wenn sie etwas über die Bibel wissen wollten. Doch lassen wir T. J. Sullivan die Geschichte weitererzählen. Vor einigen Jahren schrieb er:

„Manchmal mußten wir bis Mitternacht und noch länger arbeiten. Da der Betrieb der öffentlichen Verkehrsmittel um Mitternacht eingestellt wurde und sie einen langen Heimweg hatte, begleitete ich sie oft nach Hause. Das gab uns Gelegenheit, uns weiter über die Bibel zu unterhalten, und die Umgebung war dazu besonders anregend. Um das zu verstehen, muß man die weite, offene Prärie des Nordwestens kennen. Die Temperatur lag damals nachts gewöhnlich so zwischen 30 und 40 Grad unter Null. Zu beiden Seiten des Weges lag der Schnee ein bis eineinhalb Meter hoch. Über uns wölbte sich ein kalter, blauer Sternenhimmel, und die Strahlen des Nordlichts (Aurora borealis) huschten am Himmel dahin und erhöhten die erhabene Pracht der Schöpfung Gottes. Unter solchen Voraussetzungen über Gottes Vorhaben zu sprechen war für mich ein sehr eindrucksvolles, ja geradezu feierliches Erlebnis. Ich fühlte mich mit allen Fasern meines Innern zu diesem wunderbaren Schöpfer und seiner Liebe und Fürsorge hingezogen.“

T. J. Sullivan ließ sich tatsächlich von Gottes Liebe und Fürsorge ansprechen. Er schloß sich den Bibelforschern in Winnipeg an, gab sich Jehova hin und wurde vor der Feier des Abendmahls des Herrn im Jahre 1916 getauft. Man könnte hinzufügen, daß Bruder Sullivan im September 1918 Schwester Evelyn Finch heiratete — jene erste Zeugin Jehovas, der er nach seiner Ankunft in Kanada begegnet war und die so viel dazu beigetragen hatte, daß er Jehovas Vorhaben kennenlernte.

Im Jahre 1924 wurden Bruder und Schwester Sullivan Glieder der Brooklyner Bethelfamilie. Sie dienten dort beide bis zum Ende ihres irdischen Lebens. T. J. Sullivan war ein glücklicher und treuer Sklave Jehovas im Bethel (schließlich als Glied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas) bis zu seinem Tod am 30. Juli 1974 im Alter von 86 Jahren.

DIE „BESTIMMTEN ZEITEN DER NATIONEN“ SIND ABGELAUFEN!

Nun kam das lang ersehnte Jahr 1914! Einige erwarteten mehr als das, was C. T. Russell oder Der Wacht-Turm vorhergesagt hatte. Es gab beträchtliche Spekulationen, und es war vorauszusehen, daß einige, besonders die geistig Unreifen, enttäuscht sein würden, wenn ihre persönlichen Hoffnungen nicht in Erfüllung gingen. Doch die meisten derer, die reif waren, erkannten, daß genau das geschehen konnte. Ende 1913 schrieb ein Kanadier, der ein gutes Verständnis hatte, an die Gesellschaft:

„Obwohl es unser himmlischer Vater für passend erachtet, den Glauben seines Volkes in verschiedener Hinsicht zu prüfen, scheint es doch, daß wir während des kommenden Jahres einer noch größeren Prüfung unseres Vertrauens zu Gott und seinem Wort begegnen werden.

Ich habe jedoch den Eindruck, daß der Glaube unserer lieben Brüder und Schwestern sehr stark ist, und ich denke, daß sie den guten Kampf des Glaubens erfolgreich bis zum Ende weiterkämpfen werden.

So, wie ich Pastor Russell immer verstanden habe, hat er nie behauptet, seine Auslegung der Zeitprophezeiungen sei unfehlbar. Seine Schriften haben bei mir immer diesen Eindruck hinterlassen.

Sollte das Jahr 1915 kommen und nicht all das mit sich bringen, was viele der Brüder erwarten, wird es mir nur wenig ausmachen. ,Dein Wort ist Wahrheit‘, und wir wissen, daß kein Jota davon vergehen wird, bis alles erfüllt sein wird. Wir wissen ferner, daß gemäß den Zeichen der Zeit der Tag nicht mehr fern ist.

Wenn feurige Prüfungen über uns kommen, wollen wir immer der Worte gedenken: ,Werfet nun eure Zuversicht nicht weg, die eine große Belohnung hat.‘ “

In der gleichen Ausgabe des Wacht-Turms, in der dieser Brief erschien, wurde im Leitartikel darauf hingewiesen, daß sich nicht alles, was erwartet wurde, innerhalb eines einzigen Jahres durch einen schnellen und radikalen Wechsel erfüllen müsse. Dennoch hieß es: „Das Jahr 1914 [ist] das letzte der Zeitperiode, die die Bibel als die ,Zeiten der Nationen‘ bezeichnet“ (Luk. 21:24). Außerdem hieß es in dem Artikel: „Es geht über unser Fassungsvermögen hinaus, uns eine Vorstellung davon zu machen, wie in einem Jahre alles zur Vollendung gelangen kann, was nach der Schrift als dem Anfang der Friedensherrschaft vorausgehend erwartet werden kann“ (deutsch: März 1914, S. 35).

Einige Versammlungen waren im Jahre 1914 schon recht groß. In Toronto kamen in jenem Jahr 204 Personen zum Gedächtnismahl, in Vancouver 195 und in Winnipeg 105. Es würde sich aber zeigen, wer an einem Datum hing und wer Jehova aus Liebe diente.

DAS PHOTO-DRAMA DER SCHÖPFUNG

Für diejenigen, die eifrig damit beschäftigt waren, Jünger zu machen, und nicht nur „auf die Uhr guckten“, war dies eine begeisternde Zeit. Ein Mittel, das ihnen half, viele mit der „guten Botschaft“ zu erreichen, war die Ton-Film-Produktion, die damals überall das „Stadtgespräch“ bildete. Sie wurde „Das Photo-Drama der Schöpfung“ genannt und bestand aus Lichtbildern und Filmen sowie aus Schallplattenaufnahmen mit Vorträgen und Musik. Alle Lichtbilder und Filme waren von Hand koloriert. Das Photo-Drama war acht Stunden lang, und seine Zuschauer wurden in vier Vorführungen von der Schöpfung durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch bis zum Höhepunkt des Vorhabens Gottes mit der Erde und der Menschheit am Ende der Tausendjahrherrschaft Jesu Christi geführt.

Eine achtstündige Filmschau in Ton und Farbe im Jahre 1914? Wer hatte sie produziert? Eine der „Größen“ Hollywoods? Nein. Das Photo-Drama wurde von der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung hergestellt. Der Eintritt war frei, und es wurde nie eine Kollekte erhoben. Diese Produktion in Farbe und Ton, die voller biblischer, wissenschaftlicher und geschichtlicher Tatsachen war, erschien, Jahre bevor die Öffentlichkeit Farbfilme und Filme mit Dialogen und Musikuntermalung zu sehen bekam.

Die Qualität der Bilder und des Tons war so gut, daß einige Zuschauer dachten, C. T. Russell sei persönlich anwesend, wenn er in der Einleitung auf der Leinwand erschien, um die Darbietung einzuführen. Wie lebhaft und rührend war die Darstellung von der Auferstehung des Sohnes der Witwe — ein Wunder, das Gott durch den Propheten Elia gewirkt hatte! Und welch eine Freude war es, zu sehen, wie sich eine Blüte öffnete oder wie ein Küken aus dem Ei schlüpfte. Ja, durch die Verwendung von Zeitrafferaufnahmen wurden diese denkwürdigen Szenen des Photo-Dramas ermöglicht.

Die Ortsversammlungen kündigten das Photo-Drama an und luden die Öffentlichkeit dazu ein. Einige Schilder, die an Gebäuden angebracht wurden, waren 3,50 × 4,30 Meter groß. Der Widerhall war erstaunlich. Die Filmtheater waren Woche für Woche voll besetzt.

In Hamilton wurde das Photo-Drama drei Wochen lang im Grand Opera House aufgeführt und in Toronto im Grand Theatre. Als die Zuschauer aus einer der Aufführungen herauskamen, hörten sie zum erstenmal die erschütternde Nachricht, daß in Europa der Krieg erklärt worden war. Diese Nachricht muß bewirkt haben, daß ihnen einige Punkte, die sie gerade zuvor in der Vorführung gesehen und gehört hatten, unauslöschlich eingeprägt wurden. Damals wurde in Toronto das Photo-Drama auch im Zentralgefängnis (das später nach Kingston verlegt wurde) gezeigt.

Um sicherzugehen, daß so viele wie möglich das Photo-Drama sahen, wurden auch Schulkinder zu den Vorführungen eingeladen. Zum Beispiel bekamen im Jahre 1914 die Schüler in Halifax (Neuschottland) zu diesem Zweck schulfrei. Das gleiche geschah auch in Victoria (Britisch-Kolumbien), wo mehrere Klassen das Photo-Drama sahen. Charles W. Forbes, der damals 14 Jahre alt war, sah das Photo-Drama auf diese Weise und wurde später ein Bibelforscher. Er vergaß das, was er sah, nie und erzählt uns: „Das Theater war überfüllt. Ich mußte zusammen mit anderen stehen. Aber die Meisterwerke des großen Schöpfers, die besonders in dem gewaltigen Sternenhimmel zum Ausdruck kommen, waren wirklich sehenswert und zeigten, was ein so mächtiger Gott hervorgebracht hat.“

Es wurden auch Anstrengungen unternommen, um die in Kanada lebenden Polen und Ukrainer mit dem Photo-Drama zu erreichen. So veranstaltete man Vorführungen in großen Zentren wie Toronto und Winnipeg sowie an gewissen Orten im Westen. Das Manuskript und die Schallplattenaufnahmen wurden ins Polnische und ins Ukrainische übersetzt.

Die Schönheit und Erhabenheit des Photo-Dramas war so gewaltig, daß es noch heute, nach mehr als 60 Jahren, Personen gibt, die sich an die Szenen und an die Botschaft und sogar an den Ort der Aufführung erinnern können. Für einige waren diese lehrreichen Vorführungen von besonderer Bedeutung. Zum Beispiel war Della Smart, eine Christadelphianerin, über den Gang der Weltereignisse und über einige Lehren ihrer Religionsgemeinschaft beunruhigt. Sie betete aufrichtig zu Gott, er möge ihr helfen, sein Volk zu finden, damit sie das richtige Verständnis dieser Dinge erlangen könne. Ein paar Tage später las sie eine Ankündigung des Photo-Dramas in Toronto. Sie kam gleich zur ersten Vorführung und erkannte, daß ihre Gebete erhört worden waren. Das war im Jahre 1916. Heute ist Schwester Smart in den Neunzigern, und sie dient Jehova immer noch nach besten Kräften.

DOCH NICHT ALLE FREUTEN SICH

In den meisten Fällen war die Zusammenarbeit mit Amtspersonen und anderen gut; einige Theater wurden für die Aufführungen des Photo-Dramas sogar kostenlos zur Verfügung gestellt. Doch in anderen Fällen leistete man Widerstand. Zum Beispiel hielten Geistliche in Toronto Predigten gegen das Photo-Drama und versuchten, die Kinobesitzer zu veranlassen, die Vorführungen abzusagen. Das diente jedoch lediglich dazu, das Photo-Drama noch mehr bekanntzumachen.

Im Jahre 1917 sollte das Photo-Drama in Guelph (Ontario) vorgeführt werden. Was dort geschah, ist typisch für die Bemühungen, seine Vorführung zu verhindern, und es zeigt auch, wer hinter den Kulissen wirkte. George Humphries, der 1974 starb, war ein bekannter Bibelforscher. Er arbeitete für die Ortszeitung, den Guelph Mercury. Später erzählte er die Geschichte, an die er sich noch gut erinnerte:

„Am ersten Sonntag ging alles glatt. Die Vorführung war gut besucht. Dann, am Montagabend, versuchte der Stadtrat auf seiner Stadtratssitzung, folgende Resolution zu formulieren: ,Beschlossen, daß sonntags keine Filme gezeigt werden dürfen.‘ Das war natürlich gegen das Photo-Drama gerichtet. Darauf sagte ein Ratsherr: ,Meine Herren, wir müssen hier vorsichtig sein. Stellen Sie sich vor, solche Filme werden für Kriegszwecke benötigt.‘ Daher wurde die Resolution geändert und lautete nun: ,Beschlossen, daß sonntags keine Filme gezeigt werden dürfen, außer zu Kriegszwecken.‘

Es war natürlich klar, daß wir diese Sache klären mußten. Der Filmvorführer und ich vereinbarten ein Gespräch im Büro des Bürgermeisters. In diesem Fall gab uns Jehova den Sieg. Zwei wichtige Faktoren standen zu meinen Gunsten. Der Bürgermeister und mein Arbeitgeber, der Manager des Guelph Mercury, Mr. J. I. McIntosh, konnten sich nicht leiden. Mr. McIntosh sagte zu mir: ,George, du beschaffst alle Fakten, und wir werden sie drucken.‘ Zu sagen, ich sei begeistert gewesen, wäre noch zu milde ausgedrückt. Der Kinobesitzer, ein Katholik, zeigte mir im Gesetzbuch die Paragraphen hinsichtlich der Vorführung von Filmen an Sonntagen. ,Wenn Sie zum Bürgermeister gehen‘, sagte er, ,zeigen Sie ihm diese Seite, wo es im Gesetz heißt, daß irgend jemand, sei es von behördlicher oder anderer Seite, der Sie daran hindert, sonntags Filme zu zeigen, mit einer Geldstrafe von 700 Dollar zu rechnen hat, weil Sie eine Provinzlizenz haben, solche Filme sonntags zu zeigen.‘ Mit diesen zwei Waffen suchten wir den Bürgermeister in seinem Büro auf. Wir wurden hereingelassen, und nachdem wir uns gesetzt hatten, sah mir der Bürgermeister in die Augen und sagte: ,Ich bin gegen Sie, und ich werde jedes Mittel — sei es gesetzlich oder nicht — anwenden, um Sie daran zu hindern, diese Filme zu zeigen.‘ ...

Zuerst zeigte ich ihm das Gesetzbuch. ,Woher haben Sie das?‘ fragte er. ,Vom Kinobesitzer‘, entgegnete ich. Darauf ließ er den Stadtdirektor rufen. Als dieser erschien, teilte der Bürgermeister ihm mit, was vorgefallen war. Dann sagte er zu dem Stadtdirektor: ‚Was können wir ihm dafür antun?‘ Der ehrwürdige Herr kratzte sich am Kopf und meinte: ,Wir könnten die Lizenzgebühr erhöhen.‘ Damit schien der Bürgermeister nicht zufrieden zu sein. Doch dann heftete er seinen Blick auf mich und fragte: ,Arbeiten Sie nicht für den Mercury?‘ Mit dem zufriedensten Gesichtsausdruck antwortete ich: ,Ja, das tue ich.‘ Er sah aus wie ein geschlagener Mann und erklärte: ,Ich habe weder die Befugnis, Sie zu hindern, noch die Befugnis, Ihnen zu erlauben weiterzumachen.‘ Damit gingen wir.

Ich begab mich in das Büro des Mercury und berichtete alle Einzelheiten. Noch am gleichen Abend erschien die Zeitung mit allen Einzelheiten auf der Titelseite ... Der Bericht war fast eine Spalte lang, und die Schlagzeile verkündete, daß die Vorführung des Photo-Dramas nicht verhindert werden könne. Am nächsten Sonntag standen die Leute Schlange und warteten darauf, daß die Türen geöffnet wurden. Das Kino war für den Rest der Vorführung voll besetzt, auch noch während des öffentlichen Vortrags am Ende. Man konnte hören wie die Leute sagten: ,Was haben die Geistlichen eigentlich dagegen?‘ “

WIDERSTAND DER GEISTLICHEN NIMMT ZU

Viele Geistliche widersetzten sich unserem Werk auf jede erdenkliche Weise. Beachte zum Beispiel, was dem Bibelforscher Charles Matthews im Jahre 1914 widerfuhr. Er war in zwei Gebieten von Neubraunschweig, und zwar Canaan Station und Birch Mountain sehr aktiv und sprach überall von einem Krieg, der im Jahre 1914 ausbrechen werde. Einige Leute sagten, er werde noch in eine Irrenanstalt eingeliefert werden. Doch als in jenem Jahr tatsächlich der Krieg ausbrach, sagten sie: „Ich glaube, Charlie hat recht. Jetzt ist der Krieg da. Wir dachten, die Welt sei zu zivilisiert für so etwas.“

Die Geistlichen reagierten jedoch anders. Irgend etwas mußte getan werden, um dem Einfluß entgegenzuwirken, den Matthews jetzt unter den Menschen ausüben konnte. Daher traf der Geistliche R. M. Bynon Vorbereitungen, einen Vortrag in der Indian Mountain Reformed Church in Berry Mills (Westmorland County, Neubraunschweig) zu halten. Zu welchem Zweck? Um „den Russellismus bloßzustellen“. Der Geistliche hatte einen Missionar bei sich, der seine Ansichten unterstützte. Matthews erhielt eine Einladung. Während des Gottesdienstes sprachen der Geistliche und sein Gefährte gegen Russell und „seine“ Lehren. Einer von ihnen forderte die Zuhörer auf, das zu widerlegen, was sie gesagt hatten. Doch als Matthews das Wort ergreifen wollte, ließen sie ihn nicht reden. Schließlich hielt einer der Prediger inne, um „Amen!“ zu sagen. Sofort erwiderte ein Diakon: „Ja, amen! Und jetzt laßt Matthews reden!“ Nun redete Matthews eine halbe Stunde lang und verwandte dabei die Bibel. Darauf dankte er den Anwesenden für das Zuhören. Ein Prediger versuchte zu kontern, indem er aufsprang und schrie: „Dieser Mann ist nicht bekehrt. Er ist ein Heide!“ Doch da standen die Zuhörer auf und gingen hinaus.

Manchmal waren Geistliche regelrecht unehrlich. Zum Beispiel hatte James Kelly in Winnipeg einen Band der Schriftstudien gelesen. Was sich kurz darauf ereignete, berichtet seine Tochter, Schwester Wainwright:

„Am Sonntag machten Vater, Mutter und wir sechs uns auf den Weg, um den Ostergottesdienst in der Methodistenkirche von Fort Rouge zu besuchen. Ich habe diese Predigt nie vergessen, die [ein Geistlicher namens] Salton hielt, weil sie so schön war. Ich war daher überrascht, daß mein Vater finster dreinblickte, meine Mutter ständig anstieß und sagte: ,Merk dir das!‘ Oder: ,Vergiß nicht, was er sagt.‘ Am Ende dieser interessanten Predigt wunderte ich mich, daß Dr. Salton plötzlich alles verdarb, indem er seine Gemeindemitglieder eindringlich ermahnte, nur ja nichts mit diesen ,Bibelforschern‘ und besonders mit ihrer Literatur zu tun zu haben, [und behauptete,] ihr Führer, Pastor Charles Taze Russell, sei ein Ehebrecher und Götzendiener. ...

Auf dem langen Heimweg hörte ich, wie Vater zu Mutter sagte, sie solle erst einmal das Mittagessen vergessen und zu Hause wenigstens ein bestimmtes Kapitel aus dem Buch Die Schlacht von Harmagedon lesen. Ich wunderte mich, warum Mutter plötzlich so aufgeregt wurde, während sie las. Schließlich rief sie aus: ,Aber Jim! ... Dr. Salton hat ja Wort für Wort aus diesem Kapitel vorgelesen — und zweifellos auch aus anderen Teilen dieses Buches.‘ Dann bat Vater sie, die Titelseite aufzuschlagen, damit sie den Namen des Autors lesen konnte. Es war Charles Taze Russell!“

Die Heuchelei der Geistlichen bei ihren Angriffen auf Russell diente lediglich dazu, gerechtgesinnten Menschen die Augen zu öffnen. Vom nächsten Sonntag an ging die Familie Kelly zu den Zusammenkünften der Bibelforscher.

KRIEGSHYSTERIE

Mit dem Ausbruch des Krieges fand die Geistlichkeit eine neue Waffe gegen die Bibelforscher. Die Feindseligkeit einiger neidischer religiöser Führer und ihr dringender Wunsch, das Wachstum dieser Christen zu behindern, konnten nun hinter dem Deckmantel des Patriotismus versteckt werden. Diese Widersacher nutzten die Kriegshysterie aus, um neutrale Christen fälschlich als Sicherheitsrisiko und als Gefahr für den Staat zu brandmarken. Das bedeutete, daß die Geistlichen selbst Befürworter des Krieges werden mußten, obwohl sie dadurch Gegner ihrer Mitgeistlichen in anderen Ländern wurden. Dieser Widerspruch und auch ihre Verleugnung des „Friedefürsten“ schien sie nicht zu beunruhigen (Jes. 9:6, 7). Hier ist ein Beispiel für den Standpunkt vieler Geistlicher in dieser Zeit, an das sich Schwester Wainwright erinnert:

„Ich weiß noch, was einer der freimütigeren Geistlichen in den Zeitungen schrieb: ,Jeder, der im Schützengraben stirbt, hat einen Freifahrschein für den Himmel, und nicht einmal Gott könnte ihn daraus fernhalten.‘ “

Einige erkannten die Verantwortung die die Geistlichkeit in bezug auf die Förderung des Krieges trug. Im Jahre 1924 berichtete die Torontoer Zeitung Telegram:

„Zwei junge Studenten aus dem University College, R. V. Ferguson und W. S. McKay, erschienen gestern vor der Toronto General Ministerial Association [Allgemeine Predigervereinigung von Toronto], um die Ansichten der Gruppe ,Kein Krieg mehr‘ darzulegen. Mr. Ferguson, der viereinhalb Jahre mit den Scots Guards im Krieg gewesen sein soll, erklärte, er müsse den Mann noch kennenlernen, der um des Grundsatzes der Sache willen in den Krieg gegangen sei.“

Gemäß dem Zeitungsbericht sagte Ferguson weiter: „Wir sangen ,Vorwärts, christliche Soldaten!‘ und ließen uns dann mit Rum vollaufen, damit wir die schmutzige Arbeit tun konnten. Tausende junger Männer ließen sich im Zustand der Trunkenheit anwerben; andere meldeten sich, um sich in Uniform sehen lassen zu können; andere wurden durch Propaganda verlockt. Die Kanzel wurde eine Rekrutierstation. Die Kirche wurde ein Bestandteil der organisierten Sünde. Die Prediger waren Werbeoffiziere, und die Kirchen hingen voll von Fahnen.“

Tatsächlich blieb die Einstellung der Geistlichkeit zum Krieg nicht unbemerkt. Doch wie verhielt es sich mit ihrer Haltung gegenüber der Tätigkeit wahrer Christen?

Ist es naiv oder unfair, zu sagen, einige Geistliche hätten es darauf abgesehen gehabt, die Bibelforscher zum Schweigen zu bringen? Nun, beachte, was Ray H. Abrams nach dem Ersten Weltkrieg in seinem Buch Preachers Present Arms (Prediger präsentieren das Gewehr) schrieb. Über die Rolle der Geistlichkeit im Krieg äußerte er sich wie folgt: „Es ist bedeutsam, daß so viele Geistliche einen aktiven Anteil an dem Bemühen hatten, sich der Russelliten zu entledigen. Lange bestehende religiöse Streitigkeiten und Haßgefühle, die in Friedenszeiten keinerlei Beachtung vor Gericht erfuhren, fanden nun unter dem Bann der Kriegshysterie ihren Weg in den Gerichtssaal.“

Doch bevor wir über weitere Maßnahmen unserer religiösen Gegner berichten, scheint es passend zu sein, darauf hinzuweisen, daß die Jahre 1914 bis 1918 für Jehovas Volk noch weitere Prüfungen mit sich brachten.

NEUTRALE CHRISTEN WÄHREND DES ERSTEN WELTKRIEGS

Kanadische Christen, die ihre Neutralität bewahrten und respektvoll die Beteiligung am Ersten Weltkrieg ablehnten, hatten verschiedene Leiden zu erdulden (Jes. 2:2-4; Joh. 17:16). So harmlos diese Menschen auch waren, eine Anzahl von ihnen wurde nicht nur ins Gefängnis gesperrt, sondern auch unmenschlich behandelt, in der Absicht, sie zu demoralisieren und geistig zugrunde zu richten. Beachte zum Beispiel, was Ralph Naish und Robert Clegg in Winnipeg widerfuhr. George Naish, der Jehova treu bis zu seinem Tod im Jahre 1978 in Saskatoon diente, berichtete:

„Eines Tages wurden ... [Robert Clegg] und mein leiblicher Bruder Ralph in den Waschraum gebracht, und als sie sich wieder weigerten, Soldat zu werden, wurden sie abwechselnd unter die kalte und die heiße Dusche gestellt, bis sie, nachdem sie mehrmals ohnmächtig geworden waren, das Bewußtsein verloren und nicht wieder aufgeweckt werden konnten. Sie lagen mehrere Stunden auf dem kalten Steinfußboden, bis der Nachtoffizier sie bei seiner Inspektion fand. ... Sie wurden darauf in das St.-Bonifatius-Krankenhaus gebracht, wo sie einige Wochen lang schwer krank daniederlagen. Die Zeitungen von Winnipeg gaben diesem Ereignis in den folgenden Tagen eine ganz schöne Publicity, doch das Informationsamt der Regierung in Ottawa verbot jede weitere Bekanntmachung und drohte damit, Maßnahmen gemäß dem Kriegsrecht zu ergreifen, wenn die Angelegenheit weiter publiziert werde.“

Einige Kanadier, die sich als neutrale Christen ebenfalls eine grobe Behandlung gefallen lassen mußten, waren Frank Wainwright, Claude Brown, Lloyd Stewart, David Cook, Edward Ryan und John Gillespie. Diese Männer wurden nach einiger Zeit nach England geschickt, wo sie schließlich in dem berüchtigten Gefängnis von Wandsworth landeten.

Das Leben in diesem Gefängnis war sehr aufreibend, und die neutralen Christen, die dort eingesperrt waren, erduldeten viele Mühsale und Glaubensprüfungen. Frank Wainwright erzählt zum Beispiel: „Bei einer Gelegenheit wurde eine Anzahl von uns in einen abgeschlossenen Teil des Gefängnishofes gebracht, weil wir uns geweigert hatten zu exerzieren. Dort stand eine Reihe uniformierter Männer mit einem Stock in der Hand. Einer nach dem anderen wurden wir aufgefordert, über den Hof zu rennen. Wenn wir zu langsam liefen, wurden wir von den Männern ergriffen und über den Hof geschleift und mit den Stöcken auf Rücken und Beine geschlagen. Dann wurden wir in unsere Zellen zurückgebracht. Wir beteten zu Jehova, er möge uns Kraft geben, trotz der Schläge standzuhalten. Jehova muß diese Gebete erhört haben, denn solche Vorfälle ereigneten sich nie wieder.“

Claude Brown war der einzige Schwarze in dieser Gruppe von Christen, und „er wurde von den Wachen und den Soldaten besonders brutal behandelt“, wie Bruder Wainwright berichtet. Er fügt hinzu: „Als er in Wandsworth einmal mit den im Gefängnis üblichen Schlagworten bedroht wurde, wie: ,Entweder wir machen etwas aus dir, oder wir erledigen dich‘ und: ,Wir zähmen Löwen‘, erwiderte er: ,Aber Herr Hauptmann, wir sind doch keine Löwen. Wir sind die Schäfchen des Herrn!‘ ... Nachdem [Bruder Brown] freigelassen worden war, setzte er seinen Dienst treu fort. Im Jahre 1923 wurde er von der Watch Tower Society gebeten, in Westafrika zu dienen, um dort ,Bibel-Brown‘ und seiner Frau zu helfen.“

JEHOVAS HILFE UND SEGEN OFFENKUNDIG

Jehova unterstützt seine Diener, wenn sie um der Gerechtigkeit willen leiden, und ihre Treue führt zu reichen Segnungen (Matth. 5:10; Phil. 4:13). Manchmal kommt es sogar bei grausamen Verfolgern schließlich zu einer Sinnesänderung. Und oft führt treues Zeugnisgeben zu guten Ergebnissen. Beachte in dieser Hinsicht die Erfahrung von George Naish:

„Am nächsten Tag [nach der Verhaftung] wurde ich dem Gefängniskommandanten vorgeführt. Dieser unternahm große Anstrengungen, mich zu bewegen, andere und besonders die Familie, bei der ich wohnte, zu belasten. Schließlich stellte er eine Uhr auf seinen Schreibtisch und teilte mir mit, ich hätte drei Minuten Zeit, um etwa 20 Fragen zu beantworten, andernfalls würde ich ,nach Nr. 6 hinuntergebracht und aus der Hand erschossen‘. Man versicherte mir, daß dies mit allen ,feigen Soundsos‘ geschehe, die nicht bereit seien, ,für ihren König und ihr Vaterland zu kämpfen‘. Als seine Drohungen nicht fruchteten, brüllte er aus Leibeskräften: ,Wachhabender!‘ Darauf kam der Wachhabende mit zwei Soldaten angelaufen. Nun schrie der Offizier, ein Major: ,Bringt dieses feige Schwein nach Nr. 6, und erschießt ihn!‘ Da ich noch nie eine Erschießung mitgemacht hatte, war ich — gelinde gesagt — beunruhigt. Doch ich betete zu Gott um Hilfe. Mit Hieben und Stößen brachte man mich ins Kellergeschoß, und als ich nach ,Nr. 6‘ kam, wurde die Tür aufgestoßen, und ich wurde mit einem gewaltigen Tritt hineinbefördert. Ich wurde nicht erschossen, obwohl ich mir in den folgenden Monaten manchmal wünschte, man hätte es getan. ...

Nachdem ich eine Zeitlang in diesem Gefängnis verbracht hatte, wurde ich in ein Zeltlager der Armee überführt, das sich damals auf dem Ausstellungsgelände befand, und das bedeutete für mich einen Szenen- und Handlungswechsel. Während ich zwischen den langen Zeltreihen vor dem Vorratslager des Quartiermeisters stand, kam ein hochgewachsener junger Offizier mit zwei Soldaten schnellen Schrittes auf mich zu. Ich hörte genug von ihrer Unterhaltung, um zu verstehen, daß es um mich ging. Der Offizier blieb vor mir stehen und forderte mich mehrmals auf strammzustehen. Als ich dies nicht tat, versetzte er mir einen gewaltigen Kinnhaken, so daß ich in den Spannschnüren der gegenüberliegenden Zeltreihe landete. Als ich mich nicht allein befreien konnte, warf er sich auf mich und fing an, mich zu würgen. Nach einigen Augenblicken heftiger Schmerzen wurde ich bewußtlos. Meine lebhafteste Erinnerung an diesen Vorfall ist der schnelle Wechsel im Gesichtsausdruck dieses Mannes, als er durch seinen brennenden Haß von einem Menschen zum Tier wurde.“

Trotz dieser und anderer Mühsale sagte Bruder Naish jedoch: „Es war wunderbar, aus täglichen Erfahrungen zu lernen, daß Jehova uns wirklich nie verläßt oder im Stich läßt. Oft sagte ich meinem himmlischen Vater im Gebet, daß ich mit meinem Ausharren am Ende sei. Doch es geschah immer irgend etwas, was mir wieder Mut gab und mir zeigte, daß er mich mit seiner Kraft stützte.“

Außerdem hatte George Naish während dieser prüfungsreichen Zeit viele Gelegenheiten, mit anderen über Jehovas Wort zu sprechen und auf diese Weise sowohl seinen Glauben zu stärken als auch Samen auszustreuen. „Einiges von dem Samen ging später auf“, erzählte er, „wie zum Beispiel im Fall eines Feldwebels, der mit uns durch die Straßen [von Prince Albert] marschierte, damit wir etwas Bewegung hatten. Jahre danach, als ich einmal einige Kilometer von Saskatoon entfernt Landgebiet bearbeitete, sprach ich an einer Wohnung vor, wo ich diesen ehemaligen Feldwebel, Mr. Roger Barker, traf. Er bat mich herzlich einzutreten. Nach ein paar Besuchen begannen er und seine Frau, die Zusammenkünfte der Versammlung Saskatoon zu besuchen, und sie kamen in die Wahrheit.“

Erinnerst du dich noch an den Major, der George Naish als ein „feiges Schwein“ bezeichnet hatte? Nun, Bruder Naish traf ihn Jahre später bei einer Beerdigung in Yorkton. „Als ich nach vorn ging, um die Beerdigungsansprache zu halten“, berichtete Bruder Naish, „blickten wir uns beide völlig überrascht an. Nach der Ansprache bat er mich, mit ihm zum Friedhof zu fahren. Er fing sofort an, sich dafür zu entschuldigen, wie er mich Jahre zuvor behandelt hatte. Es fiel ihm schwer zu glauben, daß ich keinen Groll gegen ihn hegte. Wir führten ein sehr herzliches Gespräch über die Wahrheit. Diese und andere Begegnungen ließen erkennen, daß selbst dann, wenn wir nicht über das reden konnten, was uns am meisten am Herzen lag, unsere Taten in jenen prüfungsreichen Jahren bei vielen Menschen einen bleibenden Eindruck hinterließen.“

Betrachte eine andere Erfahrung, die zeigt, daß das Erdulden von Leiden zu reichen Segnungen führen kann. Als Bruder Naish an einem bestimmten Ort eingesperrt war, hatte er die Gelegenheit, mit Bruder Charles Matthews Gemeinschaft zu pflegen und einen anderen Insassen über die Wahrheit zu belehren. Bruder Naish schrieb:

„Es war erlaubt, sich vor dem Mittag- und dem Abendessen kurz zu unterhalten. Wir drei sprachen natürlich leise über geistige Dinge. Louis Ratz, der andere Häftling, von dem ich spreche, beobachtete Matthews und mich immer mit großem Interesse. Später sagte er uns, daß er dies tue, weil er sich das Band der Einheit, das uns zusammenhalte, nicht erklären könne. Ich arbeitete am Tisch neben ihm, und wenn es die Umstände gestatteten, kam er zu mir und bestand darauf, daß ich ihm aufs neue erzählte, warum ich im Gefängnis war. Meine ständige Erklärung: ,Weil ich nicht bereit bin, meine Mitmenschen zu töten‘ ging ihm schließlich ein, und er mußte lange und laut lachen. Ich fragte ihn, was ihn so amüsiere. Er antwortete: ,Das ist alles sehr komisch. Ich bringe einen um und bekomme lebenslänglich. Du bringst keinen um und kriegst auch lebenslänglich.‘ ...

Sein Interesse war gewaltig. Nach meiner Freilassung gelang es mir schließlich, durch die Kommission für Haftentlassung in Ottawa seine Entlassung aus dem Gefängnis zu erwirken. Dieser Mann, der 16 Jahre im Gefängnis gesessen hatte, kam zur Wahrheit und war bis zu seinem Tod vor ein paar Jahren ein loyaler Diener Gottes.“

Nein, es war nicht leicht, im Ersten Weltkrieg die christliche Neutralität zu bewahren. Es war auch nicht leicht, um der Gerechtigkeit willen eine grobe, manchmal sogar brutale Behandlung auf sich zu nehmen. Dennoch führte das Ausharren unter diesen Mühsalen zu guten Ergebnissen. Es wurde ein Zeugnis gegeben, sogar Verfolger waren beeindruckt, und es gab einige, die das wahre Christentum annahmen, weil sie die Treue der neutralen Königreichsverkündiger beobachteten (1. Petr. 3:13-15). Trotz aller Leiden hatten Jehovas Diener gewiß seine Hilfe und seinen Segen während dieser schwierigen Kriegsjahre.

DER WIDERSTAND ERREICHT EINEN HÖHEPUNKT

Natürlich waren nicht alle kanadischen Christen zu dieser Zeit im Gefängnis. Aber sie wurden alle auf die Probe gestellt, und bestimmt hatten sie Feinde — religiöse Widersacher, die es darauf abgesehen hatten, die Bibelforscher zum Schweigen zu bringen. Ja, die Zeit von 1914 bis 1918 erwies sich für wahre Christen als eine Zeit des Leidens um des Gewissens willen. Der Höhepunkt kam, als der Krieg immer mehr Männer forderte und besonders als das Buch Das vollendete Geheimnis, der siebte und letzte Band der Schriftstudien, herausgegeben wurde. Anscheinend fühlten sich einige Geistliche durch die darin enthaltenen Äußerungen über den Krieg verletzt, vielleicht aufgrund der peinlichen Rolle, die sie in diesem Krieg spielten. Es kam zu einer äußerst boshaften und offensichtlich organisierten Kampagne mit dem Ziel, den Bibelforschern, die sich über ganz Nordamerika ausbreiteten, etwas am Zeug zu flicken — und sie begann in Kanada.

Ist das nicht etwas übertrieben? Keineswegs! Beachte, was das Buch Preachers Present Arms darüber sagt. Dr. Abrams schrieb: „Eine Analyse des ganzen Falles führt zu dem Schluß, daß die Kirchen und die Geistlichkeit von Anfang an hinter der Bewegung standen, die darauf abzielte, die Russelliten auszumerzen. Im Februar 1918 begannen die Geistlichen in Kanada eine systematische Kampagne gegen sie und ihre Publikationen, besonders gegen Das vollendete Geheimnis. Gemäß der Winnipeg Tribune glaubte man, der Generalstaatsanwalt sei durch direkte Bemühungen der Geistlichkeit auf die Russelliten aufmerksam gemacht worden und dies habe auch zum Verbot ihres Buches geführt.“

Im Januar 1918 unterzeichneten führende Geistliche Kanadas eine Petition, in der sie die Zivilbehörden baten, die Publikationen der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung zu verbieten. Daß es sich dabei um keine geringe Zahl von Gegnern handelte, kann man daran erkennen, daß die Petition über 600 Unterzeichner hatte. Viele der darin genannten Publikationen waren bereits seit über 30 Jahren in Umlauf. Offensichtlich war es nicht reiner Patriotismus, der diese Geistlichen veranlaßte, gegen die Bibelforscher vorzugehen.

Daß der Druck der Geistlichkeit die Regierung Kanadas dazu veranlaßte, Das vollendete Geheimnis zu verbieten, erkennt man an folgenden Bemerkungen, die später in der Winnipeg Tribune gedruckt wurden: „Die verbotenen Publikationen enthalten angeblich aufrührerische und kriegsfeindliche Äußerungen. Auszüge aus einer der neuesten Ausgaben des ,Schriftforschers‘ wurden vor ein paar Wochen von Rev. Charles G. Patterson, dem Pastor der St. Stephen’s Church, von der Kanzel herab angeprangert. Danach bat Generalstaatsanwalt Johnson Rev. Patterson um ein Exemplar der Publikation. Man glaubt, daß die Anordnung des Zensors eine direkte Folge davon ist.“

Amtliche Dokumente der kanadischen Regierung, die in den letzten Jahren für die Öffentlichkeit freigegeben wurden, enthüllen deutlich, daß die Geistlichkeit tatsächlich die Maßnahmen auslöste, die im Jahre 1918 gegen wahre Christen in diesem Land unternommen wurden. Als man damals die Vermutung äußerte, die Geistlichkeit stehe dahinter, wurde dies geleugnet. Doch zur selben Zeit hatte der Hauptzensor, Col. Ernest Chambers, in seinen Akten einen Brief von „Reverend“ A. E. Cooke, dem Prediger der First Congregational Church in Vancouver (Britisch-Kolumbien), der an den Zensor geschrieben hatte:

„Die Allgemeine Predigervereinigung Vancouvers hat mich beauftragt, Ihre Aufmerksamkeit auf eine Angelegenheit zu lenken, die uns zu dieser Zeit von beträchtlicher Wichtigkeit für die Öffentlichkeit zu sein scheint. Wie Sie wissen, nennen sich die Nachfolger des verstorbenen ,Pastors‘ Russell ... ,Internationale Bibelforscher‘ ...

Wäre es nicht gut, auch die propagandistische Literatur dieser Körperschaft, die in den Vereinigten Staaten veröffentlicht und nach Kanada zur Verbreitung geschickt wird, zu verbieten?“

Der Hauptzensor, Col. Chambers, beantwortete diesen Brief. In seinem Schreiben, das als „vertraulich“ gekennzeichnet war, teilte er dem Geistlichen Cooke mit:

„Ehrwürdiger Herr! ... Ihre Mitteilung, die die Ansichten einer solch einflußreichen Körperschaft wie der Allgemeinen Predigervereinigung Vancouvers wiedergab, erwies sich als sehr nützlich, um Maßnahmen in dieser hochwichtigen Angelegenheit zu erwirken. ...

Ich halte die in diesen Veröffentlichungen enthaltenen erbitterten Angriffe, die unterschiedslos gegen die Kirchen aller Glaubensrichtungen gerichtet sind, für beachtenswert, selbst wenn die mit diesen Angriffen verbundenen Behauptungen in militärischer Hinsicht nicht zu beanstanden sind.“

Somit enthüllen diese vertraulichen Dokumente aus der Vergangenheit, die nun der Öffentlichkeit zugänglich sind, daß die Geistlichkeit tatsächlich veranlaßte, daß man im Jahre 1918 gegen Jehovas Diener vorging. Ja, diesen treuen Christen wurden ihre Freiheiten versagt, weil sie es wagten, wie Jesus Christus furchtlos das Wort Gottes zu verkündigen und die Heuchelei der Geistlichkeit bloßzustellen (Matth. 23:1-39).

Es ist höchst interessant, daß das Verbot in Kanada am 12. Februar 1918 erlassen wurde und die offiziellen Maßnahmen in den Vereinigten Staaten gegen das Buch Das vollendete Geheimnis am 14. März desselben Jahres folgten. Die Maßnahmen in den USA erfolgten ebenfalls nach Intervention der Geistlichkeit.

IM GLAUBEN AUSHARREN

Das Verbot wurde über die Organisation der Bibelforscher sowie über Das vollendete Geheimnis und den Schriftforscher verhängt. Der Glaube und die Entschlossenheit der Diener Jehovas in dieser Zeit waren wirklich hervorragend. Sie waren überzeugt davon, daß sie nichts Falsches getan hatten und daß es nur dem Einfluß der Geistlichkeit zuzuschreiben war, daß sie unter Verbot standen. Einige waren schon um 6 Uhr früh oder noch spätabends unterwegs, um Traktate zu verbreiten.

Da die kanadischen Christen nun unter einem ungerechtfertigten Verbot standen, mußten sie sich „vorsichtig wie Schlangen und doch unschuldig wie Tauben“ verhalten (Matth. 10:16). Zum Beispiel las Janet MacDonald in der Presse die Bekanntmachung: „Dem Besitzer verbotener Bücher drohen eine Höchststrafe von 5 000 Dollar und fünf Jahre Gefängnis.“ Ließen sich Gottes Diener dadurch einschüchtern? Keineswegs! Schwester MacDonald schrieb: „Sobald wir dies hörten, brachten wir unsere Bücher in den Hühnerstall. Zwischen die Wände steckten wir Zeitungen, damit die Bücher sauber blieben, dann packten wir sie hinein und vernagelten die Fächer mit Brettern. Am nächsten Tag kam der Ortspolizist und fragte meinen Vater, ob er irgendwelche Exemplare dieses Buches im Hause habe, was er verneinte.“ Natürlich nicht! Die Bücher waren alle im Hühnerstall.

Der Kampf um die reine Anbetung in Kanada hatte begonnen. „Wir machten uns daran, die Bücher Das vollendete Geheimnis schnell und weit zu verbreiten, da wir Schwierigkeiten erwarteten“, schrieb T. J. Sullivan und fügte hinzu: „Als das Verbot rechtskräftig wurde, setzten die Brüder in den Vereinigten Staaten und in Kanada eine Petition in Umlauf, in der die Regierung ersucht wurde, die Maßnahmen gegen das Buch aufzuheben, damit die Menschen dieses Hilfsmittel zum Bibelstudium ungehindert erwerben könnten.“ Während Bruder Sullivan und ein anderer Bruder diese Petition in Port Arthur (Ontario) in Umlauf setzten, wurden sie von den Bewohnern im allgemeinen freundlich empfangen. Doch gab es auch feindliche Reaktionen. Bruder Sullivan schrieb:

„Die Polizei verschaffte sich die Erlaubnis, unser [Hotel-]Zimmer zu durchsuchen, und fand unsere eigenen Exemplare des Buches Das vollendete Geheimnis. Wir verbrachten jene Nacht im Gefängnis, wurden aber am darauffolgenden Tag wieder entlassen. Sehr wahrscheinlich lenkte das Aufsehen, das unsere Verhaftung erregte, die Aufmerksamkeit der Leute mehr auf die Sache, als es durch die Petition geschehen wäre. Die Zeitung verkündete auf der Titelseite unsere Verhaftung ... Die Polizei beschlagnahmte die fünf- oder sechshundert Exemplare des Buches Das vollendete Geheimnis, die zur Verbreitung in das Gebiet gesandt worden waren. Doch an dem Abend, an dem die Polemik in der Presse ihren Höhepunkt erreichte, nahmen die Polizeibeamten von Port Arthur die Bücher Das vollendete Geheimnis für sich und ihre Freunde mit nach Hause, und so wurde der ganze Vorrat für uns verbreitet!“

An vielen Orten wurden Privatwohnungen durchsucht, um Wachtturm-Schriften zu finden und zu vernichten, auch persönliche Exemplare. Sogar Bibeln wurden beschlagnahmt. Als zum Beispiel die Nachricht von der Verhaftung T. J. Sullivans und seines Gefährten in Winnipeg bekannt wurde, geschah folgendes, wie Sullivan einige Jahre später berichtete: „Die Militärbehörden entsandten einen Lastwagen mit Soldaten, die die Wohnungen, in denen wir uns nun aufhielten, nach verbotenen Schriften durchsuchen sollten. Die Militärbehörden konnten uns zwar verhaften, unsere Wohnungen durchsuchen und unser Eigentum beschlagnahmen lassen, aber sie konnten uns nicht vor Gericht stellen. Wir waren immer noch Zivilisten, und die Zivilbehörden bestanden darauf, daß sie für uns zuständig seien. Die Zivilbehörden in Winnipeg waren jedenfalls empört über das gewaltsame Vorgehen der Soldaten, die die Haussuchungen durchführten und das Eigentum von Christen zerstörten. Wenn Soldaten eine Wohnung durchsuchten, dann stellten sie wirklich alles auf den Kopf. Sie warfen Kohlen, Mehl, Zucker und andere Dinge durcheinander, so daß nachher nichts mehr davon brauchbar war. Das beunruhigte die Zivilbehörden sehr, und einige Beamte ließen uns das auch merken, indem sie unsere Fälle mit der größtmöglichen Nachsicht behandelten.“

In überraschend vielen Fällen erkannten freundliche Personen die Ungerechtigkeit des Verbots und sympathisierten mit Gottes Dienern. Sie wußten, daß die Bibelforscher ungefährliche und gute Bürger waren, obwohl ihre Glaubenslehren ungewöhnlich waren. An einem Ort gab der Polizeichef einmal einem seiner Männer (der ein Bibelforscher war) den Rat, er solle sich am besten den Tag frei nehmen, da die Polizei am Nachmittag den IOOF-Saal durchsuchen werde, wo die Bibelforscher zusammenkamen. Man hatte den Auftrag, alle Literatur zu beschlagnahmen, die dort zu finden sei. Das gab den Brüdern Zeit, ihre Literatur zu verstecken. Einer der durchsuchenden Beamten fand eine Liste, die mit „Diener“ überschrieben war und die Namen der verantwortlichen Brüder enthielt. Überzeugt davon, daß er eine große Entdeckung gemacht hatte, eilte der Polizist zu dem Offizier, der für die Durchsuchung verantwortlich war. Doch da dieser nicht mit der biblischen Terminologie vertraut war, sagte er den Finder nach einigen Schimpfworten: „Wir wollen nicht ihre Diener. Wir wollen ihre Verantwortlichen!“

Roberta Davies berichtet, daß in einem anderen Fall ein Polizeiinspektor bei einer Hausdurchsuchung eine junge Frau fragte: „Sind das Ihre Bücher?“ „Ja“ war ihre wahrheitsgemäße Antwort. Darauf forderte er sie auf: „Stecken Sie die Bücher weg, meine Liebe, bevor ich sie sehe.“ Später gab er den Polizeidienst auf. Er erzählte einem Bibelforscher, er könne „eine solch schmutzige Arbeit“ nicht machen. Er war nicht der einzige Polizist, der so dachte.

Es ist bekannt, daß in dem Bemühen, unsere Literatur zu finden, auf Veranlassung der Regierung die Privatpost einfacher Christen abgefangen wurde. Doch trotz dieser Maßnahmen und trotz vieler Haussuchungen wurden die meisten Bücher nie gefunden. Die Literatur war in Scheunen, Kellergeschossen und an anderen Orten sicher verborgen.

Typisch ist ein Fall, der sich im Westen ereignete. Die Polizisten schnitten Matratzen in der Mitte auf, rissen den Flurläufer ab, nahmen eine Orgel auseinander und siebten sogar das Mehl im Mehlkasten durch, um Exemplare des Buches Das vollendete Geheimnis aufzustöbern. Doch sie konnten kein einziges finden. Sie ahnten nicht, daß ein Exemplar des Buches mit Klebestreifen an der Unterseite des Stuhls befestigt war, auf dem der verantwortliche Beamte saß, während er seine Männer das Haus durchsuchen ließ.

Wenn die Behörden unsere Literatur entdeckten, wurden die Besitzer oft mit hohen Geldstrafen belegt oder ins Gefängnis gesperrt. Interessant ist jedoch, was 10 Bibelforscher aus Vancouver erlebten. In der Gefängnisbücherei sahen sie die Bücher, für deren Besitz sie drei Monate Gefängnis bekommen hatten!

PROBLEME VON INNEN

Während des Ersten Weltkriegs hatten die kanadischen Bibelforscher nicht nur als neutrale Christen zu leiden und später die Unannehmlichkeiten in Verbindung mit dem Verbot zu ertragen, sondern sie wurden auch anderen Belastungen und Schwierigkeiten ausgesetzt. Innerhalb der Organisation entwickelten sich Probleme. Um diese Entwicklung zu verstehen, müssen wir einige Zeit zurückgehen.

Schon vor dem Herbst des Jahres 1916 war C. T. Russell körperlich leidend gewesen. Aber er setzte seine Arbeit fort und hielt seine Vortragstermine ein. Zum Beispiel kam Bruder Russell in dem großen Wunsch, seinen Glaubensbrüdern zu dienen, im März 1916 noch einmal nach Kanada. Seine Reiseroute sah wie folgt aus: Toronto (11. März), Peterborough und Lindsay (12. März), Midland (13. März), North Bay (14. März), New Liskeard (15. März), Bracebridge und Barrie (16. März), Guelph (17. März), Brantford und Hamilton (19. März) und Niagara Falls (20. März). Wirklich ein anstrengender Zeitplan!

Die schwere Arbeit forderte ihren Tribut. Bei der Zusammenkunft in Toronto mußte Russell seine Vorträge im Sitzen halten. Danach ging es mit seiner Gesundheit rapide bergab. Er starb am 31. Oktober 1916.

Dieses Ereignis löste Trauer, Enttäuschung und Ungewißheit hinsichtlich der Zukunft aus. Sollte das Werk weitergehen? Russell war der festen Überzeugung gewesen, daß wahren Christen noch ein großes Werk bevorstand. Im Jahre 1915 hatte er während einer Fragestunde in Vancouver gesagt: „Es ist noch ein großes Werk zu tun, und es sind noch Tausende von Geschwistern und Millionen von Dollar nötig, um es zu verrichten. Woher all das kommen soll, weiß ich nicht — der Herr weiß, was er zu tun hat.“

„Ein großes Werk zu tun“! Tausende, die es tun sollten! Das war begeisternd — für die meisten. Einige begannen jedoch, einen Oppositionsgeist zu entwickeln und den Anweisungen von Brooklyn zur Durchführung des von Russell erwähnten Werkes zu widerstehen. Gewisse Personen kamen auf die Idee, Joseph F. Rutherford, der rechtmäßig gewählt worden war, um Russell zu ersetzen, die Verantwortung wegzunehmen. Dieser Geist der Rebellion war nicht nur bei einigen zu beobachten, die wunderbare Vorrechte im Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn hatten, sondern es gab auch gewisse Brüder in Kanada, die solche Vorstellungen entwickelten. Dies und die Verhaftung Rutherfords und seiner Gefährten aufgrund falscher Anklagen im Jahre 1918 schien das Äußerste zu sein, was die Aufrichtigen ertragen konnten. Es sah so aus, als fiele alles auseinander. Eine Zeit der Prüfung war über alle gekommen.

In Toronto zogen sich etwa 30 Personen von der Versammlung zurück und bildeten eine eigene Gruppe. Sie bemühten sich durch Briefeschreiben und auf andere Weise, Nachfolger hinter sich herzuziehen. Doch ihre Tätigkeit kam innerhalb von zwei Jahren zum Stillstand. Auch in Montreal gab es einige, die sich lossagten. Meinungsverschiedenheiten, die bis Anfang der 1920er Jahre bestanden, hatten einen großen Einfluß auf die Versammlungen in Vancouver und Victoria. Der ehemalige Pilgerbruder Charles Heard organisierte die sogenannte Bewegung der „Standhaften“, die sich überall im kanadischen Westen spürbar machte und dazu beitrug, daß viele Versammlungen auf die Hälfte zusammenschrumpften. Einige Abtrünnige gründeten ihre eigenen Ortsgruppen, die die Watch Tower Society offen angriffen und behaupteten, Jehova habe die Gesellschaft verlassen.

Viele waren wegen der internen Schwierigkeiten beunruhigt. Doch schließlich wurde klar, daß die Unwürdigen von den Treuen geschieden wurden (1. Joh. 2:19). Es waren Männer und Frauen von wahrem Glauben und Mut erforderlich, um das große Predigt- und Lehrwerk zu verrichten, das noch bevorstand.

EIN ZWEIGBÜRO FÜR KANADA

Man hörte in jenen Jahren aber nicht nur schlechte Nachrichten. Es gab auch viel Grund zur Freude. Die Fortschritte des Königreichspredigtwerkes führten zur Gründung eines Zweigbüros der Watch Tower Society in Winnipeg am 1. Januar 1918. Walter F. Salter wurde als erster Zweigaufseher eingesetzt, und vier weitere Personen wurden gebeten, seine Mitarbeiter zu werden.

Im Jahre 1920 wurde das Zweigbüro nach Toronto verlegt, wo es zuerst in den ausgedehnten Räumlichkeiten in der Dundas Street West Nr. 270 untergebracht war. Das Zweigbüro teilte das Gebäude mit einer Reparaturwerkstatt für Autoverdecke. (Die damaligen Autos hatten noch kein Metallverdeck.) Im vorderen Teil des Gebäudes war viel Platz für Büros, und im hinteren Teil wurde die Versandabteilung eingerichtet. Später wurden zwei kleine Druckmaschinen angeschafft, mit denen Handzettel und eine Broschüre über die Hölle gedruckt wurden. Damals gab es im Zweigbüro noch keine Wohnräume. Die Arbeiter wohnten daher bei anderen Bibelforschern oder in Logierhäusern und sorgten selbst für ihre Mahlzeiten. Der damalige Mitarbeiterstab bestand aus W. F. Salter, Frank Wainwright. Charles Cutforth, Julia Loeb, Winnifred McCombe und Edna Van-Alstyne.

DAS VERBOT AUFGEHOBEN!

Ein weiteres begeisterndes Ereignis war die Aufhebung des ungerechten Verbots des Vollendeten Geheimnisses, des Schriftforschers und der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung. Das war am 1. Januar 1920, eine ganze Zeit nach dem Ende des Krieges, der das Verbot angeblich gerechtfertigt hatte.

Interessanterweise erhob die kanadische Geistlichkeit Einwände gegen die Wiederherstellung der Presse- und Religionsfreiheit nach dem Krieg. Sie bekundete dies sogar durch eine Resolution. Warum wünschte sie nicht, daß die mit dem Krieg verbundenen Einschränkungen aufgehoben wurden? Ein Hinweis darauf mag die Tatsache sein, daß sie zu erreichen versuchte, daß die Internationale Bibelforscher-Vereinigung in einer im August 1920 veröffentlichten Druckschrift des Arbeitsministeriums aufgeführt wurde, in der vor angeblich subversiven Organisationen gewarnt wurde. Doch Bruder Rutherford legte beim Arbeitsministerium Protest ein, und die Öffentlichkeit wurde in einem gedruckten Protestschreiben von der Situation unterrichtet.

EINE WIEDERBELEBUNG

Welche Freude herrschte doch, als nach dem Ende des Krieges wieder Kongresse abgehalten werden konnten! Und wie begeistert war Gottes Volk, daß es auch Bruder Rutherford und seinen Gefährten möglich war, einige dieser Kongresse zu besuchen, weil sie aus dem Gefängnis freigelassen worden waren! Im Jahre 1919 fanden Kongresse in Winnipeg, Calgary und Vancouver statt. 1920 wurden in Kanada zwölf Kongresse abgehalten.

Das Erscheinen J. F. Rutherfords und einiger seiner Gefährten auf kanadischen Kongressen in den Jahren nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis und ihrer Entlastung von allen falschen Anklagen zog große Mengen interessierter Personen zu diesen Veranstaltungen. Dies war zum Beispiel bei der Kongreßserie in Westkanada im Jahre 1921 der Fall. Der erste dieser Kongresse fand vom 5. bis 7. August in Winnipeg statt. Das war die Stadt, in der der Geistliche und der Politiker lebten, die das Verbot des Buches Das vollendete Geheimnis und die darauf folgende Verfolgungswelle ausgelöst hatten, die schließlich auch zur Verhaftung Rutherfords und seiner Gefährten führte. Wie reagierte die Bevölkerung Winnipegs auf den Besuch Bruder Rutherfords? Schätzungsweise 6 000 Personen kamen zum öffentlichen Vortrag.

Die Nachkriegszeit zeichnete sich durch eine Wiederbelebung des Volkes Jehovas aus. Hervorragend in dieser Hinsicht war der Kongreß der im Jahre 1919 in Cedar Point (Ohio, USA) stattfand. Durch diesen Kongreß wurde die Begeisterung für das Evangeliumswerk unter den Bibelforschern in Kanada ebenso wie in anderen Ländern wiederbelebt. Damals wurde die neue Zeitschrift Das Goldene Zeitalter (jetzt Erwachet!) veröffentlicht, die dem Werk starken Auftrieb gab. Dann kam das Jahr 1922 und ein weiterer begeisternder Kongreß in Cedar Point. Die Kongreßbesucher kehrten mit dem Entschluß nach Hause zurück, auch außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung Zeugnis zu geben. Jehovas Diener waren bestimmt wiederbelebt worden. Sie gingen wirklich daran, den König und sein Königreich zu verkündigen.

AUSDEHNUNG DES KÖNIGREICHSDIENSTES

Dieser Geist trieb Gottes Diener dazu an, das Werk der Verkündigung der Königreichsbotschaft auszudehnen. Natürlich waren sie auch vor 1922 sehr aktiv gewesen. Zum Beispiel hatten sie in nur einem Jahr — 1920 — hier in Kanada über 65 000 Exemplare des Buches Das vollendete Geheimnis verbreitet. Doch jetzt, nach dem Kongreß in Cedar Point im Jahre 1922, hieß es für die Königreichsverkündiger: „Zurück ins Feld!“ Und sie waren entschlossen, nicht nur in ihren Heimatgebieten Zeugnis zu geben, sondern auch in entlegenen Gegenden Kanadas.

Charles V. Johnson arbeitete zum Beispiel als Kolporteur im Peace River Country in Nordalberta und setzte die Tätigkeit derer fort, die früher dort Zeugnis gegeben hatten. Im Jahre 1919 hatte ein Bibelforscher namens Nielson entlang der Eisenbahnlinie bis zum Kleinen Sklavensee gearbeitet. Das war über 700 Kilometer nördlich der amerikanischen Grenze — für damalige Verhältnisse eine ganz schöne Entfernung! John Hamilton leistete in den Jahren 1923 bis 1934 Spirit-River-Distrikt Pionierarbeit.

George Naish berichtet, wie einige Königreichsverkündiger in Saskatoon arbeiteten: „Oft sah man am Wochenende zwei Brüder — vollbepackt mit Literatur — in einen Zug steigen. Sie fuhren in eine Kleinstadt, nicht allzuweit entfernt, wo sie von Haus zu Haus arbeiteten, bis sie nach Rückkehr des Zuges am gleichen oder am nächsten Tag zurückfahren konnten. Wenn wir erst am nächsten Tag nach Hause fahren konnten und so den Abend oder einen Teil des Abends Zeit hatten, nachdem wir die Stadt bearbeitet hatten, gingen wir in verschiedenen Richtungen zu den Farmhäusern, die man zu Fuß erreichen konnte, das heißt, die drei bis sechs Kilometer entfernt lagen. Wir arbeiteten im Halbkreis, bis wir das Dorf oder die Stadt wieder erreichten, und fuhren dann mit dem Zug zurück. So trafen wir müde, aber glücklich über das Vorrecht, dabeigewesen zu sein, zu Hause ein.“

Wie eifrig waren die Verkündiger der „guten Botschaft“ in jenen Tagen? Nun, beachte, was einmal geschah, als bei der Literaturbestellung ein Fehler gemacht wurde, so daß eine kleine Gruppe 2 000 Bände der Schriftstudien zum Verbreiten erhielt. Der Bruder, der die falsche Bestellung aufgegeben hatte, erzählt: „Groß war meine Überraschung, als ich eines Tages nach Hause kam ... Der Hausmeister begrüßte mich mit den Worten: ,Was in aller Welt habt ihr denn da bestellt?‘ Ich erklärte: ,Nur ein paar Bücher.‘ Seine Antwort war: ,Ihr müßt ja eine ganze Bibliothek bestellt haben.‘ ... Was sollten wir mit 288 Sätzen von Büchern tun, also insgesamt 2 016 gebundenen Büchern? Mein Partner lehnte meinen Vorschlag glatt ab, wegen dieser Angelegenheit an das Zweigbüro der Watch Tower Society in Toronto zu schreiben. Er sagte, die einzige Lösung sei mehr und noch mehr Predigtdienst, um die Bücher zu verbreiten. Interessanterweise hatten wir nach weniger als einem Jahr keine Schriftstudien mehr auf Lager. Das zeigt, wie tüchtig die Brüder in der Versammlung arbeiteten.“

Bei der Ausdehnung des Königreichsdienstes verwendeten wir alle Arten von Fahrzeugen — Fahrräder, Pferdewagen und „Demokraten“ (vierrädrige, von Pferden gezogene Wagen). Außerdem gab es Pferdegespanne, deren Wagen aus alten Autokarosserien hergestellt wurden. Im Winter erhielten diese ein Verdeck und wurden „Kombüsen“ genannt. Sie wurden zwar mit einem kleinen Holzofen geheizt, so daß die Passagiere nicht frieren konnten, doch es bestand stets die Gefahr, daß man sich verbrannte, wenn der Wagen umstürzte. Offene Pferdewagen wurden mit etwas Wärme versorgt, indem Feldsteine, die die ganze Nacht erhitzt worden waren, auf den Boden des Wagens gelegt wurden. Decken und Büffelfellkleidung rundeten die Ausrüstung ab.

Manchmal bearbeiteten Jehovas Diener große Gebiete, indem sie Autokarawanen bildeten. Die Trittbretter, die damals die Autos hatten, waren der richtige Platz, um Mahlzeiten zuzubereiten oder Literatur zu sortieren. Um eine Schlafmöglichkeit zu haben, nahmen die Brüder ihre Zeltausrüstung mit.

Loretta Sawyer erinnert sich noch, wie sie in Saskatchewan als Kolporteur mit dem Pferdewagen umherreiste. Sie berichtet:

„Mein Gebiet erstreckte sich von zu Hause fast 60 Kilometer nördlich bis zum Saskatchewan, dann 55 Kilometer nach Westen, wo es von dem gleichen Fluß begrenzt wurde, dann entlang der Haupteisenbahnlinie nach Süden und schließlich nach Osten bis nach Hause. Das waren etwa 2 500 Quadratkilometer. ...

Ich hatte für die Nacht stets eine Unterkunft für mich und mein Pferd. Jehova sorgte immer für mich. Gelegentlich mußte ich einen geringen Betrag bezahlen, doch nie war jemand gehässig oder nicht in der Lage, uns aufzunehmen. Außer daß ich ein Bett für die Nacht bekam, erhielten mein Pferd und ich unser Frühstück, und mein Fußstein wurde heiß gemacht, damit ich in den kühlen Herbsttagen einen warmen Start für die Fahrt über die Prärie hatte.“

Zu dieser Zeit entstand auch eine kleine Klasse in Wakaw (Saskatchewan). Dies hatte eine entscheidende Auswirkung auf das Königreichswerk in diesem Land. Wakaw wurde ein Versammlungsort für die Bibelforscher. Sie machten Schlagzeilen, denn manchmal kamen dort bis zu 400 Brüder aus anderen Gegenden zusammen. Emil Zarysky aus Wakaw wurde unter seinen ukrainischen Landsleuten in der Provinz sehr aktiv und leistete eine gewaltige Arbeit. Eine Zeitlang diente er als Kolporteur und Pilgerbruder. Im Jahre 1926 kamen in Wakaw 104 Personen zum Gedächtnismahl zusammen. Die Versammlung wuchs schnell. Wir können mindestens 44 Pioniere und Missionare zählen, die aus dieser kleinen Versammlung hervorgegangen sind. 15 davon sind noch im Vollzeitdienst, unter ihnen Joseph Lubeck und Olga Campbell (die jetzt beide im Brooklyner Bethel dienen), Victoria Siemens und Helen Held.

BEREIT FÜR WEITERE AUSDEHNUNG

In den Jahren 1922 und 1928 nahm die Königreichspredigttätigkeit in Kanada zu. 1922 kamen 2 335 Personen zum Gedächtnismahl. Tatsächlich waren die frühen 1920er Jahre eine Zeit des christlichen Fortschritts in diesem Land. Und Jehovas Diener blickten optimistisch in die Zukunft, denn im Wacht-Turm vom 15. Dezember 1923 (engl.) hieß es: „Unsere neuen Räumlichkeiten sind hell, bequem und geräumig. Wir haben 520 m2 Bodenfläche — ausreichend für unsere gegenwärtigen Bedürfnisse mit Möglichkeiten für eine weitere Ausdehnung.“

„Neue Räumlichkeiten“? Ja, für das Zweigbüro der Gesellschaft war ein besserer Platz gefunden worden. Zwar wurden die Mitarbeiter erst später im Zweigbüro untergebracht, aber dieses geräumigere Gebäude bot mehr Platz zum Drucken. Nun konnte die Verkündigung des Königreiches in Kanada mit größerer Kraft denn je zuvor durchgeführt werden.

DIE KÖNIGREICHSVERKÜNDIGUNG IN QUEBEC

Im Jahre 1923 wurden Alexander Deachman und Peter Allan Robertson als Sonderpioniere nach Quebec geschickt. Ein Bericht über den Predigtdienst in Quebec aus jenem Jahr lautet:

„Die durchschnittliche Bücherabgabe pro Woche ist nicht wesentlich zurückgegangen, und gegenwärtig können wir uns mit den Menschen über einfache Themen vernünftig unterhalten. Am Sonntag, dem 10. Juni, zeigten wir abends im Leboeuf-Saal in Valleyfield das ,Photo-Drama‘. Der Saal war mit französisch und mit englisch sprechenden Besuchern voll besetzt, und das Ergebnis war, daß wir 25 Bücher abgeben konnten. Der Herr, bei dem wir wohnten, bat uns, das ,Drama‘ in seiner Wohnung vorzuführen, und das taten wir am 13. Juni. 17 Erwachsene waren anwesend, alles französisch sprechende Katholiken. Der englischsprachige Pastor wollte unsere Lichtbilder am 18. Juni in der Kirche zeigen, aber es war uns nicht möglich, bis Sonntag in Valleyfield zu bleiben. ... Die protestantischen Pastoren nahmen uns sehr herzlich auf ..., sie sagten niemals etwas gegen uns, und beide besitzen einige von Bruder Russells Büchern. In unserer Pension sagte ein junges Mädchen, sie glaube, sie könne nicht mehr zur Kirche gehen, wir seien viel netter als die Priester. Alles deutet auf ein Erwachen hin. Der König hat den Weg für seine Botschaft bereitet; jetzt müssen nur noch Arbeiter gefunden werden, die die frohe Botschaft verkündigen.“

Unter denen, die das Vorrecht hatten, in jenen Tagen in Quebec zu predigen, war Janet MacDonald (das war, bevor sie 1928 den Bibelforscher Howard MacDonald heiratete). Janet begann die gute Botschaft in Montreal im Jahre 1924 zu predigen. Damals nahm sie an der Verbreitung einer Resolution teil, die gerade zuvor auf dem Kongreß in Columbus (Ohio) angenommen worden war. Die Resolution, die in Form eines Traktates veröffentlicht worden war, trug den Titel „Offene Anklage gegen die Geistlichkeit“, und darin wurde deutlich die todbringende Natur der falschen Religion bloßgestellt. Schwester MacDonald berichtete später:

„Wir folgten der Route, die die Gesellschaft festgelegt hatte, und kamen in viele Städte, wie Granby, Magog, Asbestos und andere in den Eastern Townships. Um Opposition zu vermeiden, begannen wir schon um drei Uhr früh, das Traktat von Tür zu Tür zu verbreiten, und bis sieben oder acht Uhr, wenn die Stadt erwacht war, waren wir mit unserer Arbeit fertig. Mehrmals wurden wir von der Polizei festgenommen, die uns durch Einschüchterung aus der Stadt zu vertreiben suchte. Ein Beispiel war Magog, wo uns die Polizei vor Gericht stellte. Es wurde keine Anklage erhoben, aber wir sollten 15 Dollar bezahlen, um wieder freizukommen. Wir sagten, wir hätten keine 15 Dollar, und so verlangten sie 10. Als wir sagten, wir hätten keine 10 Dollar, gingen sie auf 5 Dollar herab. Wir sagten, wir hätten auch keine 5 Dollar, und so ließen sie uns gehen.

In Coaticook stießen wir im Mai 1925 auf größere Schwierigkeiten. Wir wurden von einem Mob, der vom Oberritter der Kolumbusritter angeführt wurde, umringt, und man versuchte, uns zu zwingen, in einen Lastwagen einzusteigen. Wir rannten zur Eisenbahnstation und nahmen im Wartesaal Zuflucht. Der Stationsvorsteher sah den Mob kommen und verschloß beide Türen. Die Männer liefen ziellos herum, drohten mit den Fäusten und schlugen gegen das Fenster. Bald kam der Führer des Mobs mit der Polizei.

Wir wurden festgenommen und zum Rathaus gebracht, wo sofort ein Gericht einberufen wurde. Man beschuldigte uns der ,Veröffentlichung einer Schmähschrift‘, weil darin die Geistlichkeit kritisiert wurde. Der einzige Zeuge, der aufgerufen wurde, war der katholische Ortspriester. Wir wurden nach Sherbrooke gebracht und über Nacht in einem schmutzigen, von Ungeziefer verpesteten Gefängnis eingesperrt, wo ich so schlimm gebissen wurde, daß ich mehrere Wochen lang ärztlich behandelt werden mußte.

Die Verhandlung fand am 10. September vor Friedensrichter Lemay statt, der beschloß, sich an das Gesetz zu halten. Er sagte: ,Es handelt sich hierbei nicht um eine Schmähschrift, und ich weise die Klage gegen die Beschuldigten ab.‘ “

Es war somit nicht leicht, in jenen Tagen den König und sein Königreich in Quebec zu verkündigen. Dennoch drängten dort, wie auch anderswo in Kanada, treue Verkündiger der „guten Botschaft“ voran. Es war ein großes Werk zu tun, und sie waren darauf bedacht, es zu tun.

MIT DER KÖNIGREICHSBOTSCHAFT „IM ÄTHER“

Anfang der 1920er Jahre ergab sich eine neue Möglichkeit, das Königreich zu verkündigen, und die Bibelforscher zögerten nicht, davon Gebrauch zu machen. Schon vor 1923 hatten sie das neue Medium — das Radio — in kleinem Rahmen verwendet. Zum Beispiel hatte Smith Shuttleworth aus Brandon auf der Station CKX einige biblische Vorträge gehalten. Doch hatten die kanadischen Bibelforscher keine eigenen Stationen.

Im Sommer 1923 hatte George Naish aus Saskatoon ab und zu Kontakt mit einem Rechtsanwalt, der während des Krieges Offizier der Fernmeldetruppe gewesen war. Einmal sah Naish einige fast 20 Meter lange Holzstämme auf dem Boden liegen und erkundigte sich danach. Man erklärte ihm, sie hätten zu einem Signalturm gehört. Später kam Bruder Naish auf die Idee, daß diese Stämme auch gut zum Bau von Sendetürmen verwendet werden könnten. Warum keinen Radiosender bauen, um die biblische Wahrheit zu verkündigen?

Das Zweigbüro der Gesellschaft in Toronto unterstützte diesen Gedanken, und so nahm die Versammlung das Projekt in Angriff. Im Spätherbst wurde auf einer Anhöhe im Nordwesten der Stadt Saskatoon ein Grundstück gekauft; die oben erwähnten Holzstämme und andere Ausrüstungsgegenstände wurden als Altmaterial beschafft, und die Bibelforscher von Saskatoon bauten einen Radiosender. Im Frühling 1924 nahm der 250 Watt starke Sender CHUC — einer der ersten religiösen Radiosender in Kanada — den Betrieb auf. Zu dieser Zeit gab es in Saskatoon nur einen weiteren Sender und im ganzen Land noch sieben andere.

Wie sah das Programm aus? In der begrenzten Sendezeit wurden biblische Vorträge gehalten, biblische Fragen beantwortet und Musikstücke dargeboten. William Flewwelling, der eine gute Radiostimme hatte, hielt oft Ansprachen und beantwortete Fragen. Hilda Essen sang auf Wunsch Lieder, und Chorstücke wurden von talentierten Kräften aus der Ortsversammlung unter der Leitung des Bibelforschers Costa Wells dargeboten, der etwas Ähnliches schon unter dem Taktstock von S. Betts im Crystal Palace in London (England) getan hatte.

Die Reaktion der Öffentlichkeit war ausgezeichnet. Alle Post wurde sorgfältig bearbeitet, und interessierte Personen erhielten Literatur zugeschickt oder wurden besucht. Durch die Station CHUC war es möglich, viele Menschen in abgelegenen Gebieten zu erreichen. Zum Beispiel reagierte eine gewisse Mrs. Graham aus McKague (etwa 190 Kilometer von Saskatoon entfernt) günstig auf die Königreichsbotschaft und begann daraufhin, diese im Carrot River Valley zu verbreiten. Wenn der Empfang besonders gut war, erreichte CHUC die Ausläufer der Rodky Mountains in Westalberta sowie den Norden der Vereinigten Staaten, etwa 300 bis 500 Kilometer entfernt. Da es so viele interessierte Personen gab, die nach der Wahrheit suchten, war eine Vergrößerung unumgänglich. George Naish erzählt darüber:

„Nicht lange danach wurde eine Erweiterung nötig. Zu dieser Zeit baute die Pianogesellschaft Heintzman ein sehr schönes Geschäft in Saskatoon. Ich trat an den Manager heran und sprach mit ihm über die Möglichkeit, einen Teil des Hauptladens dreimal in der Woche als Studio zu benutzen. Als Gegenleistung werde am Anfang und am Ende jeder Sendung bekanntgegeben, hier sei das CHUC-Studio im Heintzmangebäude in Saskatoon. Der Manager schien zunächst unschlüssig zu sein, doch sagte er, er werde die Sache mit seinen Vorgesetzten besprechen. Das tat er, und schon nach wenigen Wochen sendeten wir mit Fernsteuerung — zu jener Zeit etwas völlig Neues. Wie uns der Rundfunkinspektor damals sagte, hat unser kleiner Sender CHUC auf diesem Gebiet Pionierarbeit geleistet.“

AUSDEHNUNG DER RADIOTÄTIGKEIT

Im Jahre 1925 übernahm die Watch Tower Society den Sender CHUC, und seine Studios wurden in das Regent Building verlegt, ein ehemaliges Theater, das zu diesem Zweck gekauft worden war. In Toronto betrieb die Gesellschaft den Sender CKCX (ab 1926). Eine der hervorragendsten Sendungen war der Vortrag „Der größte Konflikt der Erde nahe“, den Bruder Rutherford 1926 im Pantages Theatre hielt. CKCX wurde das Zentrum eines landesweiten Sendernetzes, über das die Königreichsbotschaft ausgestrahlt wurde. Übrigens kann sich Margaret Lovell daran erinnern, daß der Ansager Neville Maysmith (der Schauspieler war, bevor er Bibelforscher wurde) auf den Gedanken kam, eine Erkennungsmelodie abzuspielen, wenn die Kennbuchstaben CKCX angesagt wurden. Später haben andere dies übernommen.

Als sich unser Radiowerk ausdehnte, nahm die Gesellschaft im Jahre 1926 die Station CHCY in Edmonton in Betrieb. Sie richtete auch eine vierte Station ein, und zwar CFYC in Vancouver. Außer diesen Radiostationen, die die Königreichsbotschaft verbreiteten, benutzten die Gesellschaft und auch Ortsversammlungen der Bibelforscher manchmal kommerzielle Stationen an verschiedenen Orten, indem sie Sendezeit kauften. Zum Beispiel wurde in Sydney (Neuschottland) die Station CJCB benutzt. Nach einer solchen Sendung — es war Rutherfords Ansprache „Das Königreich, die Hoffnung der Welt“ — sagte ein gewisser Colonel J. A. MacDonald zu Daniel J. Ferguson: „Die Bewohner von Cape Breton Island haben gestern eine Botschaft gehört, die die beste war, die sie jemals in diesem Teil der Welt zu hören bekamen. Es war einfach wunderbar.“

EIN INTERNATIONALES RUNDFUNKNETZ

Das Jahr 1927 war wirklich begeisternd. In Toronto (Ontario) sollte vom 18. bis 26. Juli ein Kongreß stattfinden. Delegierte kamen aus jedem Bundesstaat der USA, aus jeder Provinz Kanadas und sogar aus Europa. Als J. F. Rutherford den öffentlichen Vortrag „Freiheit für die Völker“ hielt, sprach er zu mehr Menschen auf einmal, als je zuvor jemand gesprochen hatte. Es war nicht nur eine sichtbare Zuhörerschaft von etwa 15 000 Personen im Coliseum und in anderen Räumlichkeiten auf dem Ausstellungsgelände anwesend, sondern durch Fernsteuerung wurde auch die Radiostation CKCX benutzt. Sie gehörte zu einem internationalen Netz von 53 Stationen. Ja, Millionen hörten die Botschaft über das größte Rundfunknetz, das es bis dahin gegeben hatte.

Graham McNamee, damals ein bekannter Ansager von NBC (National Broadcasting Company), wurde nach Toronto gesandt, um den Redner einzuführen. Durch Sondervereinbarungen konnte der Vortrag auch in Australien und England gehört werden. Es ist interessant, daß die Zeitungen von Toronto über dieses historische Ereignis schwiegen, obwohl der Bürgermeister die Kongreßdelegierten in der Stadt willkommen hieß. Die Gesellschaft veröffentlichte aber ihre eigene Zeitung, den „Messenger“, um täglich über den Kongreß zu berichten.

KAMPF UM DIE FREIHEIT IM ÄTHER

Da sich die Geistlichkeit darüber ärgerte, daß die Brüder zur Verbreitung der biblischen Wahrheit zunehmenden und wirkungsvollen Gebrauch vom Radio machten, übte sie großen Druck auf Regierungsbeamte aus. Am 8. März 1928 gab die kanadische Rundfunkgesellschaft CBC daher plötzlich bekannt, daß die Sendelizenzen der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung nicht erneuert würden. Ein Grund dafür wurde zunächst nicht angegeben. Die Brüder protestierten energisch gegen diesen Angriff auf die freie Meinungsäußerung und setzten sofort eine Petition in Umlauf, um zu erreichen, daß die Radiostationen weiter senden könnten. Schließlich wurde eine Petition mit 466 938 Unterschriften vorgelegt, in der die Aufhebung des Sendeverbots gefordert wurde, das den Stationen der Gesellschaft auferlegt worden war.

Die offizielle Haltung der Regierung wurde von P. J. A. Cardin, dem Minister für Schiffahrt und Fischerei, einem Katholiken, zum Ausdruck gebracht. Er behauptete, es lägen viele Beschwerden gegen die Sendungen der Bibelforscher vor, aber er nannte keine Namen und sagte nur: „Der Inhalt der Sendungen wird von den Beschwerdeführern im allgemeinen als unerträglich beschrieben; man sagt, die Propaganda, die im Namen der Bibel verbreitet werde, sei unpatriotisch und eine Beschimpfung aller unserer Kirchen. Die Tatsachen deuten darauf hin, daß nach den Lehren der Bibelforscher alle organisierten Kirchen korrupt und mit ungerechten Kräften verbündet sind, daß das ganze Gesellschaftssystem schlecht ist und alle Regierungen zu verurteilen sind. Das Ministerium ist davon überzeugt, daß die Lizenzen der Bibelforscher im Interesse der Allgemeinheit nicht erneuert werden sollten.“

Es fällt nicht schwer, aus diesen Worten auf die Urheber der Beschwerden zu schließen. Natürlich wurde alles schlimmer dargestellt als es tatsächlich war, und einiges von dem, was der Minister in seinem Bericht sagte, war aus dem Zusammenhang gerissen. Doch wenn solche Gründe wirklich stichhaltig wären, müßte praktisch jede Rundfunkstation und jede Zeitung, die andere kritisiert, verboten werden. Dieser Gedanke wurde auch während der Parlamentsdebatten zum Ausdruck gebracht, die auf die Petition folgten. Ein Abgeordneter faßte die Angelegenheit sehr gut zusammen, indem er sagte:

„Ich bin kein Mitglied der Bibelforscher-Vereinigung. ... Aber ich möchte fragen: Wann haben wir einen Minister dieser Regierung als Zensor der religiösen Meinungsäußerung eingesetzt“? Zu jeder Zeit in der Geschichte haben religiöse Körperschaften andere religiöse Körperschaften kritisiert. Ich denke, die römisch-katholische Kirche hat sich manchmal sehr grob gegen Häretiker ausgesprochen; ich denke, die anglikanische Kirche äußert in ihrem Athanasianischen Glaubensbekenntnis einige sehr scharfe Worte gegen diejenigen, die nicht daran glauben, und ich habe Evangelisten gehört, die den Menschen gesagt haben, wohin sie kommen, wenn sie nicht an die Lehren glauben, die sie ihnen predigen. Es wird behauptet, daß die Bibelforscher andere Religionsgemeinschaften verurteilen. Warum sollten wir die Bibelforscher lediglich deswegen bestrafen, weil sie den Fußstapfen anderer Religionsgemeinschaften folgen? Wenn die Bibelforscher ausgeschaltet werden sollen, weil sie Katholiken und Protestanten gleichermaßen verurteilen, sehe ich nicht ein, warum nicht auch die [Organisten-]Zeitschrift Sentinel und die Zeitschrift Catholic Register verboten werden sollten.“

In einem Bericht über diese Angelegenheit erklärte Der Wacht-Turm: „Wir schickten einen unserer Rechtsanwälte nach Ottawa, und seine Erkundigungen bei der Regierung haben ergeben, daß der einzige Grund, den man finden konnte, darin bestand, daß ein Geistlicher seine Predigt nicht zu Ende halten konnte, weil unsere Station bereits mit ihrer Sendung begonnen hatte. Unsere Station hatte sich jedoch eindeutig an ihre Zeit gehalten, und der Prediger hatte 15 Minuten überzogen. Das war natürlich kein Grund, den anderen Stationen in verschiedenen Teilen Kanadas auch die Lizenz zu entziehen.“

Wenn die kanadische Regierung gedacht hatte, sie könnte ihre Willkürmaßnahme verborgen halten, so wurde sie enttäuscht. Proteste und Forderungen nach einer Erklärung wurden laut. Mr. Cardin war auf diese Reaktion offensichtlich nicht vorbereitet. Abgeordnete forderten eine Erklärung für die Maßnahme der Regierung. Die allgemeine Erklärung, es sei „eine große Anzahl von Protesten“ eingegangen, mag für Cardin zufriedenstellend geklungen haben, als er vergeblich versuchte, der Sache auszuweichen, aber das Parlament gab sich damit nicht zufrieden. Zwei liberalgesinnte Abgeordnete, J. S. Woodsworth und A. A. Heaps, waren von der schwachen Erklärung des Ministers für Schiffahrt und Fischerei nicht überzeugt. Sie verlangten daher, er solle alle Schreiben und Beschwerden, die er angeblich empfangen habe, vorlegen.

Der Druck der Proteste nahm auch außerhalb des Unterhauses zu. Die große Petition mit 466 938 Unterschriften wurde im Parlament eingereicht. Auch wurden 1 500 Telegramme und Tausende von Briefen eingesandt, in denen gegen die Maßnahme der Regierung protestiert wurde. In verschiedenen Teilen Kanadas wurden Massenprotestkundgebungen abgehalten.

Unterdessen beharrten die Abgeordneten, die für Gerechtigkeit eintraten, auf ihrer Forderung, Mr. Cardin solle die Beschwerden auf den Tisch legen, die ihn angeblich veranlaßt hatten, die Erneuerung der Lizenzen zu verweigern. Es trat eine unerwartete Verzögerung ein. Schließlich, nach wiederholten Anfragen, wurden die Beschwerden am 7. Mai 1928 vorgelegt.

Eine große Debatte über die Frage fand am 31. Mai und 1. Juni 1928 im Unterhaus statt. J. S. Woodsworth gab in der Debatte den Ton an. Er wies darauf hin, daß nach all den Wochen der Verzögerung hauptsächlich Zeitungsausschnitte, die den Lizenzentzug behandelten, vorgelegt worden waren. Mr. Cardin, der nur sehr wenige Beschwerden vorzuweisen hatte, um seine Maßnahme zu rechtfertigen, hatte versucht, seine schwache Position zu verbessern, indem er Material verwandte, das nach seiner Willkürmaßnahme veröffentlicht worden war.

Ein Sprecher nach dem anderen erhob sich im Unterhaus, um die Maßnahme der Regierung gegen Jehovas Diener anzugreifen. Einer von ihnen war ein Mr. Irvine, der sagte: „Wenn ich zu wählen hätte, ob sich meine Kinder so etwas [Jazz] anhören sollten oder die erhebenden, aufschlußreichen Sendungen der Bibelforscher, dann würde ich vorziehen, daß einiges von diesen anderen Programmen gestrichen wird und dafür die Sendungen der Bibelforscher bestehenbleiben, selbst wenn ich mit ihren religiösen Ansichten nicht übereinstimme. Ich bin der Meinung, daß die Frage der Religion nicht in diese Angelegenheit hineingezogen werden sollte; die Frage der Religionsfreiheit und der religiösen Duldsamkeit sollte eigentlich schon vor Jahrhunderten geklärt worden sein.“

Um 11 Uhr nachts war die Debatte noch nicht zu Ende. Sie wurde am folgenden Tag, am 1. Juni 1928, fortgesetzt. Cardin kämpfte, um seine völlig unhaltbare Position aufrechtzuerhalten, während ihn die anderen Abgeordneten mit Fragen beschossen, die er nicht beantworten konnte. Er hatte insgesamt drei Beschwerden aus Vancouver, fünf aus Edmonton, sechs aus Saskatoon und ein paar aus Toronto vorzuweisen (Jehovah’s Witnesses in Canada, S. 100). Ein Abgeordneter sagte dazu: „Mit anderen Worten: Das Ministerium hat die Lizenzen entzogen und dann nach Tatsachen gesucht, um seine Maßnahme zu rechtfertigen. Ich halte das nicht für fair; eine solche Maßnahme sollten wir in diesem Haus nicht zu rechtfertigen suchen.“

Die Willkürmaßnahme der Regierung war aufgedeckt worden. Gleichzeitig war ein gutes Zeugnis gegeben worden (Matth. 10:18). Eine verhältnismäßig kleine Gruppe hatte die Hauptbühne der Nation in Beschlag genommen, und das ganze Land nahm von ihren gerechten Forderungen Notiz.

Die Behörden hielten an ihrem Standpunkt fest. Sie ignorierten die nahezu 500 000 Unterschriften der Petition und behaupteten, sie würden lediglich den Wünschen der Öffentlichkeit entsprechen. Die Lizenzen wurden nie wieder erteilt. Daher mußten für die Ausstrahlung der Königreichsbotschaft andere Stationen benutzt werden. Im Jahre 1931 sendeten 21 Stationen Bruder Rutherfords Vorträge wöchentlich.

DIE INTERNATIONALE BIBELFORSCHER-VEREINIGUNG VON KANADA

Die zunehmende Tätigkeit der Diener Gottes und andere Umstände führten zur Gründung der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung von Kanada. Diese gesetzliche Körperschaft dient den Interessen der Zeugen Jehovas in diesem Land heute noch. Sie ist zum Beispiel der Eigentümer des Zweigbüros.

Als die Vereinigung im Jahre 1925 gegründet wurde, bestand die Bethelfamilie in Toronto aus 12 Personen. Zu dieser Zeit waren in Kanada durchschnittlich 1 000 Königreichsverkündiger zusammen mit 71 Kolporteuren in 70 Gruppen oder Versammlungen tätig.

RECHTSKÄMPFE BEGINNEN

All diese Tätigkeit rief Reaktionen hervor. Von der Geistlichkeit aufgehetzte Regierungsbeamte und die Polizei fingen an, uns mehr und mehr in unserem öffentlichen Evangelisierungswerk zu behindern. In Quebec begannen die Verhaftungen in Ste-Anne-de-Beaupré, Westmount und Montreal. Diese Fälle sowie ein Fall in Calgary wurden gewonnen. Sie waren die ersten in einer Reihe von Rechtskämpfen für die Bewahrung der Freiheit der Meinungsäußerung.

Über den Fall in Calgary berichtete die dort erscheinende Zeitung Herald: „KEINE LIZENZ ERFORDERLICH, UM RELIGIÖSE SCHRIFTEN IN UNSERER STADT ZU VERKAUFEN. Der Verkauf von religiösen Schriften, bei dem das Element des Profits keine Rolle spielt, ist kein Hausieren im Sinne des Gemeindegesetzes, das von dem Verkäufer solcher Schriften fordert, sich eine Lizenz zu beschaffen, bevor er etwas verkauft. Dieses Urteil fällte Richter Sanders am Samstag auf dem Polizeigericht, und zwar im Fall von H. B. ‐‐‐‐‐‐‐ von der Internationalen Bibelgesellschaft, der angeklagt worden war, gegen die Bestimmungen verstoßen zu haben.“

„SCHULTRUPP“-WERK

Es könnte erwähnt werden, daß Jehovas Diener im Jahre 1924 ein Werk organisierten, das in vielen Gemeinden spürbare Auswirkungen hinterließ. Es war als „Schultrupp“-Werk bekannt und bestand darin, in einem bestimmten Gebiet Zeugnis zu geben und die Menschen zu einem Vortrag einzuladen, der dann in einer Schule gehalten wurde.

Gewöhnlich arbeiteten zwei Bibelforscher zusammen. Auf diese Weise wurden Tausende von Menschen in ganz Kanada erreicht. Die Teilnehmer an diesem Werk reisten von einem Ort zum anderen und hielten manchmal jeden Abend woanders einen Vortrag. Gelegentlich wurden sonntags zwei Vorträge gehalten. Dies war kein Werk für faule Leute!

WOHNAUTOS ERLEICHTERN DAS WERK

Um in Landgebieten Zeugnis geben zu können, mußten die Königreichsverkündiger oft wochenlang auswärts übernachten. Wie konnten unter diesen Umständen für sie Unterkünfte beschafft werden? Nun, einige Versammlungen benutzten eine Art Wohnauto. Harry Marshall aus Portage la Prairie (Manitoba) baute wahrscheinlich das erste. Was waren das für Fahrzeuge?

Die Brüder bauten eine Karosserie mit Koch- und Schlafausrüstung und montierten sie auf das Fahrgestell eines Chevrolet- oder Ford-Lastwagens. Das war eine Verbesserung gegenüber den Zelten, die einige benutzt hatten. Es ist gut möglich, daß diese Wohnautos die Vorläufer der heutigen populären „Camper“ sind, die hinten auf Lieferwagen angebracht sind.

HAUS-ZU-HAUS-DIENST BETONT

Im Jahre 1927 wurden die Brüder besonders ermuntert, an Sonntagen Hausbesuche zu machen. Diese Art des Zeugniswerkes war für einige Leute schockierend, da sie den Sonntag als den „Tag des Herrn“ ansahen, an dem niemand arbeiten durfte. Natürlich übersahen sie, daß ihre Geistlichen selbst an jenem Tag auf der Kanzel „arbeiteten“.

In einigen Gegenden machte die Polizei Schwierigkeiten, und eine Reihe von Dienern Jehovas wurde verhaftet. Aber das Zeugniswerk ging weiter. Überraschenderweise stieß diese Tätigkeit bei einigen „Ältesten“ in gewissen Versammlungen der Bibelforscher auf Widerstand. Diese Männer hielten es für unwürdig, auf diese Weise bei den Menschen vorzusprechen. Zumindest behaupteten sie, dies sei der Grund für ihren Widerstand. Doch später wurde klar, daß diejenigen, die diesem Dienstzweig Widerstand leisteten, Überbleibsel von denen waren, die sich im Jahre 1916 und danach gegen die Gesellschaft aufgelehnt hatten. Nun mußten sie entweder im Werk des Herrn mitmachen, oder es würde anderen auffallen, daß sie nicht mit dem in Übereinstimmung waren, was die Versammlung des Volkes Gottes im allgemeinen als ihr Vorrecht und ihre Verantwortung ansah. Einige dieser Männer blieben damals am Wegesrand zurück.

Während die Gruppen ständig wuchsen, ein erfolgreicher öffentlicher Evangelisationsfeldzug durchgeführt wurde und die Geistlichkeit einen ständigen Kampf führte und alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel anwandte, um die Verkündiger der Königreichsbotschaft zum Schweigen zu bringen, ging ein weiteres Jahrzehnt zu Ende. Es waren viele ausgezeichnete Ergebnisse erzielt worden. Zum Beispiel wurden durch das Werk mit den Wohnautos Menschen erreicht, die in Gegenden lebten, wo es keine Versammlungen der Bibelforscher gab. Es ist beachtenswert, daß im Jahre 1930 eine Höchstzahl von 125 Kolporteuren tätig war, eine schöne Zunahme gegenüber den 63, die 1926 tätig gewesen waren.

VERMEHRTE TÄTIGKEIT UNTER DER FRANZÖSISCH SPRECHENDEN BEVÖLKERUNG

Ebenfalls in den zwanziger Jahren begann unser Werk unter der französisch sprechenden Bevölkerung von Quebec und Ontario Fuß zu fassen. Im Jahre 1927 gab es in Montreal eine französische Versammlung mit 18 Personen. Diese und andere französisch sprechende Königreichsverkündiger predigten energisch die „gute Botschaft“ in der Provinz Quebec.

In dieser Zeit entstand auch eine französische Klasse von 30 Personen in Chiswick im Norden Ontarios, die erste französische Versammlung der Diener Gottes in Ontario.

BOOTE BENUTZT, UM DIE „GUTE BOTSCHAFT“ ZU VERKÜNDIGEN

Ende der zwanziger Jahre wurde J. D. MacLennan nach Neufundland gesandt, um unser Werk dort besser zu organisieren, und es wurde ihm ein Boot zur Verfügung gestellt, damit er die Menschen in den sonst unzugänglichen Außenhäfen Neufundlands erreichen konnte. Doch wie verhielt es sich mit den vielen Buchten und Inseln entlang der Westküste Kanadas? Nun, im Jahre 1930 verkündigten Arne und Christina Barstad und Arthur Melin die Königreichsbotschaft von Vancouver bis Alaska von Bord des Bootes Charmian aus. In jenem Jahr schloß sich ihnen Frank Franske an, der an der Küste von Neufundland und Labrador Zeugnis gegeben hatte. Sie hatten eine äußerst außergewöhnliche Zuteilung — ein Paradies für einen Künstler! Die Berge reichten direkt bis an die See und ließen die Dörfchen und Boote in den engen Schluchten zwischen den steil abfallenden Wänden winzig erscheinen. Die Gezeiten stiegen und fielen in Prince Rupert bis zu 8 Meter und in Alaska bis zu 11 Meter.

Das war für Arthur Melin ein neues Erlebnis. Er hatte zwar in Alberta Zeugnis gegeben und mit seinem Cousin Elmer Melin in dem Gebiet um die Seen Pigeon Lake und Conjuring Lake Pionierdienst verrichtet, doch hier gab es viel mehr Wasser. Franske hatte schon in Neufundland Erfahrungen mit dem Meer gemacht. Aber der Pazifik war anders. Barstad war jedoch ein erfahrener Seemann und so befanden sie sich in guten Händen. Begeistert besuchten sie Fischerdörfer, Firmenstädte, Holzfällerlager und abgelegen lebende Fallensteller und Bergarbeiter. Sie kamen auch zu Zollhäfen in Alaska und zu fernen Indianerdörfern. Viele Personen reagierten günstig, und als Folge ihrer ersten Besuche haben sich später Versammlungen entwickelt.

Die Charmian war mit einer leistungsstarken Lautsprecheranlage ausgerüstet, die kilometerweit über das Wasser gehört werden konnte. Sie war hier sehr nützlich, um Menschen entlang der Küste zu erreichen. Nachdem über die Lautsprecheranlage des Bootes ein biblischer Vortrag gehalten worden war, bereitete das Zeugnisgeben sehr viel Freude. Literatur ließ sich leicht abgeben, manchmal bis zu 100 Bücher an einem Nachmittag oder Abend.

Im Jahre 1931 wurde die Charmian unter der Anleitung von George Young und Frank Franske umgebaut. Die Barstads konnten in den Jahren danach ihren Dienst entlang der Küste mit verschiedenen Besatzungen fortsetzen. Franske und seine Frau kehrten 1940 auf die Charmian zu den Barstads zurück, bis der Bootsdienst durch ein Regierungsverbot beendet wurde. Später beschlagnahmten die Behörden die Charmian.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhr Franske mit seinem eigenen Boot das gleiche Gebiet ab und erzielte ausgezeichnete Ergebnisse. Indianerfamilien, wie die Schooners in Namu, nahmen die Wahrheit an. Innerhalb von zwölf Monaten nahmen Franske und James Quinn in diesem Teil des kanadischen Feldes über 1 500 Abonnements auf unsere Zeitschriften auf. Somit wurden eine Anzahl Jahre wirkungsvoll Boote gebraucht, um die Königreichsbotschaft zu verkündigen.

KOLPORTEURE DRÄNGEN MIT DEM WERK VORAN

Die Kolporteure waren am Anfang der dreißiger Jahre gut organisiert. Außer denen, die allein arbeiteten, gab es sieben „Lager“ oder Gruppen. Diese Kolporteur-„Lager“ waren in Britisch-Kolumbien, Manitoba, Alberta-Saskatchewan, Quebec, Ostontario, Südwestontario und in den Küstenprovinzen zu finden. Die Kolporteure mahlten ihren Weizen und kochten ihre Mahlzeiten selbst und tauschten Literatur gegen frische Nahrungsmittel ein. Sie gaben in den Landgebieten Zeugnis und benutzten dabei in den Monaten, in denen es das Wetter gestattete, Wohnautos und Campingwagen. Im Winter zogen sie in ein großes Haus in der Stadt, wo sie einer Ortsversammlung helfen konnten, ihr Gebiet zu bearbeiten. Manchmal zogen diese Gruppen in einem Winter von einer Stadt in die andere.

Zu dieser Zeit fing man an, die Kolporteure Pioniere zu nennen. Und in einigen Gegenden waren sie wirklich als „Wegbereiter“ tätig. Zum Beispiel leisteten Arthur Melin und David Hadland in und westlich von Burns Lake (Britisch-Kolumbien) ausgezeichnete Arbeit. In dieser ganzen Gegend, die sie im Sommer 1932 bearbeiteten, gab es keinen einzigen Königreichsverkündiger. Mit einem Ford, Modell „A“, und später mit einem anderen Auto bearbeiteten sie ein großes Gebiet. Sie streuten Samen aus, und Jehova gab das Wachstum dazu. Heute gibt es in dieser Gegend 10 Versammlungen.

Natürlich ging das Werk nicht ohne Probleme und Widerstand vonstatten. In Hull (Quebec) wurden 1932 drei Pioniere verhaftet und fälschlich beschuldigt, aufrührerische Schriften zu verbreiten. Sie legten Richter Achim ihren Fall dar und folgten dabei den Richtlinien aus Brooklyn, die für das Verhalten vor Gericht gegeben worden waren, und wurden mit einem Sieg gesegnet. Ein Schuldspruch hätte für sie 5 bis 20 Jahre Gefängnis bedeuten können!

Ebenfalls im Jahre 1932 wurde der Pionier Frank Lyster in Sherbrooke (Quebec) verhaftet. Außerdem kam es in jenem Jahr in Lachine (Quebec) zu einer Pöbelaktion. Janet MacDonald, eine der Sonderpionierinnen, die dort damals dienten, erinnert sich, daß sich in einigen Städten 200 bis 300 Mann starke Pöbelrotten bildeten. Sie erzählt:

„Wenn wir uns unseren Weg durch die Menge bahnten, wurden einige aggressiver als andere und traten oder schlugen uns. Das Finale erfolgte in Lachine. Bruder Demorest wurde von dem verärgerten Sohn eines Ratsherrn die Treppe hinuntergestoßen. Ich arbeitete auf der anderen Straßenseite und wurde über den Vorfall von einem Mann unterrichtet, der uns günstig gesinnt war und mir den Rat gab, den Distrikt zu verlassen. Demorest und ich beschlossen gleichzeitig, wegzugehen, aber es gelang uns nur mit Mühe und Not, uns den Weg durch den Mob zu bahnen. Als wir schließlich dorthin kamen, wo wir das Auto abgestellt hatten, war es nicht mehr da. Howard (mein Mann) und die beiden anderen Brüder waren abgefahren, um Polizeischutz zu erbitten. Das war jedoch glatt abgelehnt worden. Wir mußten nur ein paar Minuten warten, bis sie zurückkehrten. Als Bruder Demorest und ich einsteigen wollten, wurden wir mit Eiern beworfen. Ein Ladenbesitzer hatte für den Mob eine ganze Kiste Eier auf die Straße geschoben. Es war Januar, und wenn die Eier zerbrachen, froren sie gleich und machten das Auto sehr unansehnlich.“

Es gelang den Zeugen, ohne Personenschaden zu entkommen, abgesehen von dem, was Bruder Demorest widerfahren war. Später wurde der Fall vor Gericht gebracht, und einer der Anführer des Mobs wurde für schuldig befunden und mußte die Kosten für die Beschädigung des Autos bezahlen.

Es kam auch vor, daß die Polizei versuchte, eine Gruppe zu behindern, die mit einem Wohnauto in den Küstenprovinzen arbeitete. Man wollte den Eindruck erwecken, daß die Pioniere eine kommerzielle Tätigkeit verrichteten und daher eine Lizenz oder Genehmigung benötigten. Das geschah in Newcastle, Dalhousie, Bathurst, Campbellton, Grand Falls und Edmundston (Neubraunschweig). Die Behinderung endete jedoch meistens damit, daß die Pioniere zur Polizeiwache gebracht wurden. Daniel Ferguson und Roderick Campbell hatten nämlich von einem Beamten in der Hauptstadt einen Brief erhalten, in dem bestätigt wurde, daß unser Werk nichtkommerzieller Natur war. Wenn dieser Brief der Polizei gezeigt wurde, ergriff man gewöhnlich keine weiteren Maßnahmen gegen uns.

QUEBEC AUS DER NÄHE BETRACHTET

Wie bereits erwähnt, wurde Quebec in den dreißiger Jahren ein Schlachtfeld im Kampf um die Religionsfreiheit. Und wer steckte dort hinter der Verfolgung der wahren Christen? Nun, falls du noch irgendeinen Zweifel hegen solltest, betrachte unsere Tätigkeit in dieser Provinz während jenes ereignisreichen Jahrzehnts einmal etwas näher, und du wirst sehr schnell feststellen, wer die Hauptgegner des Volkes Jehovas waren.

Im Winter 1931 wurde unserem Werk in Quebec viel Widerstand geleistet. Eine Zeitlang wurde Alfred Ouellette jeden Tag von der Polizei festgenommen (manchmal sogar zweimal am Tag) und zur Polizeiwache gebracht, wo er verhört wurde. Das gleiche erlebte Ovila Gauthier. Oft sagte die Polizei: „Wir erhielten einen Anruf vom Priester, [der sagte,] Sie hätten für diese Tätigkeit keine Befugnis.“

1932 begannen die Behörden von Quebec, die altbekannte Falschanklage der Aufwiegelei gegen uns zu verwenden — und das in Fällen, bei denen es nur um unterschiedliche religiöse Ansichten ging. (Vergleiche Apostelgeschichte 24:1-8.) Der erste dieser Fälle in Kanada wurde aus Hull (Quebec) berichtet, wo Emery St. Amour und Wilfrid Spicer fälschlich beschuldigt wurden, staatsgefährdende Schriften zu verbreiten. Der Richter wies jedoch die Anklage ab.

Im Herbst 1933 verließ nach einem Kongreß eine Kolonne von 40 Autos mit 158 Zeugen Jehovas Montreal und machte sich auf den 260 Kilometer weiten Weg nach Quebec City. Um 6.30 Uhr am nächsten Morgen war jeder an seinem zugeteilten Platz — bereit, in einer schnellen Aktion drei kostenlose Broschüren in Französisch zu verbreiten. Innerhalb von eineinhalb Stunden hatten sie in der Stadt 45 000 Broschüren abgegeben, was unter den Priestern einen ganz schönen Aufruhr verursachte. Dreißig Zeugen wurden festgenommen und fälschlich wegen „aufwieglerischer Verschwörung“ angeklagt. Man stelle sich das vor!

Nur sechs dieser Zeugen wurden schließlich vor Gericht gestellt. Der erste Fall, der zur Verhandlung kam, betraf die Pioniere George Barrett und George Brodie. Während ihrer sechstägigen Verhandlung vor einem Richter und mehreren Geschworenen in Quebec City berief der Staatsanwalt zwei katholische Priester und zwei protestantische Geistliche als Zeugen, die sagten, ihrer Meinung nach sei die Literatur der Zeugen Jehovas aufwieglerisch. Ja, es gab einen Schuldspruch. Die Angeklagten wurden zu einer Geldstrafe von je 300 Dollar oder einer Haftstrafe von fünf Monaten verurteilt. Gegen das Urteil wurde vor dem Berufungsgericht von Quebec Berufung eingelegt, doch vergebens. Das Gericht entschied, daß die Kritik der Zeugen Jehovas an der katholischen Kirche Aufwiegelei sei. Als nächstes wurde daher vor dem Obersten Gerichtshof von Kanada Berufung eingelegt, und der Schuldspruch wurde umgestoßen, doch lediglich wegen eines technischen Fehlers. Die Anklageschrift war nicht richtig aufgesetzt worden. Daher wurde die Entscheidung des Gerichts, Kritik an der Kirche sei Aufwiegelei, nicht umgestoßen und blieb Teil des Gesetzes von Quebec.

Angesichts dessen konnten Jehovas Zeugen wegen Aufwiegelei verurteilt werden, wann immer sie eine Publikation verbreiteten, die im Widerspruch zum Katholizismus stand. Die Behörden erkannten dies, und so wurde es üblich, die Brüder wegen Aufwiegelei anzuklagen. In den meisten Fällen zwischen 1935 und 1940 führte dies zu einem Schuldspruch.

ABSCHAFFUNG DER WAHLÄLTESTEN EIN SEGEN

Eine Zeitlang brachte das System der gewählten Ältesten Unruhe in die Versammlungen. Gemäß dem damaligen Verständnis wurden diese Männer demokratisch in ihr Amt gewählt. Natürlich waren viele von ihnen ergebene, geistiggesinnte Männer, die für ihre Glaubensbrüder ein wahrer Segen waren. Andere aber waren einfach gute Redner oder hatten sonstwie Überzeugungskraft. Vielleicht hatten sie eine gute Bildung oder eine angesehene Stellung in der Gemeinde und waren sehr beliebt. Doch sie waren nicht immer am besten geeignet, in der Versammlung Verantwortung zu tragen. Häufig riefen die offenen Wahlen Spannungen und verletzte Gefühle hervor.

Als die Watch Tower Society Dienstleiter einsetzte und das öffentliche Evangelisierungswerk mehr betont wurde, begannen die „Wahlältesten“, die nicht von Tür zu Tür Zeugnis geben wollten, Probleme zu verursachen. Sie waren selbst nicht bereit, am Evangelisierungswerk teilzunehmen, und wollten auch andere davon abhalten.

Obwohl eine Anzahl Älteste und Pilgerbrüder untreu wurden, gab es jedoch auch solche, die loyal blieben. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür war George Young, der sich durch seine harte Arbeit, seine christlichen Taten, seine Güte und Rücksichtnahme einen guten Ruf erwarb. Im ganzen Westen war er als der „Evangelist“ Young bekannt, und die Theater waren voll besetzt, wenn er seine ausgezeichneten Ansprachen hielt. Er wurde zum Pilgerbruder ernannt und diente in ganz Kanada. Auch besuchte er Versammlungen des Volkes Gottes in der Karibik. Später wurde Bruder Young nach Südamerika geschickt, um dort bei der Entwicklung des Königreichswerkes zu helfen, besonders in Brasilien. Er wurde sogar nach Rußland gesandt, um das Werk dort zu organisieren, doch aufgrund des Widerstandes der Regierung mußte er das Land verlassen. Nachdem George Young jahrelang in anderen Zuteilungen gedient hatte, starb er 1939 in Treue.

Wenn wir auf die Zeit der „Wahlältesten“ zurückblicken, müssen wir daher erkennen, daß viele Männer, die damals in der Versammlung Verantwortung trugen, sehr treu dienten. Es gab jedoch auch Probleme, und es mußte eine Lösung gefunden werden.

Welch eine Erleichterung und ein Segen für die Treuen war es doch, als im Jahre 1932 das System der „Wahlältesten“ abgeschafft wurde! Der Wachtturm erklärte, daß jemand gemäß der Bibel ein Ältester ist, wenn er die geistigen Befähigungen dazu hat und theokratisch ernannt worden ist. Jetzt zeichneten sich die Zusammenkünfte des Volkes Gottes durch Ordnung, Frieden und Einheit aus. Jehovas Geist war offenkundig. Das führte zu Wachstum und Fortschritt.

RUTHERFORDS RADIOVORTRÄGE VERBOTEN

Im Jahre 1933 unternahm die Kanadische Rundfunkkommission auf Anstiften der anglikanischen Geistlichkeit einen weiteren Versuch, die Ausbreitung der Königreichsbotschaft über Rundfunk zu unterdrücken. Diesmal wurden alle Schallplattenvorträge Richter J. F. Rutherfords verboten. Beachte bitte, daß sich in die offizielle Mitteilung der Rundfunkkommission an Radiostationen in ganz Kanada eine persönliche Meinung eingeschlichen hatte. Die Mitteilung lautete:

„Die Reden eines Richters Rutherford, eines gesellschaftsfeindlichen ausländischen Agitators, dürfen von kanadischen Stationen nicht gesendet werden, ohne daß die Manuskripte oder Schallplattenaufzeichnungen derselben der Kanadischen Rundfunkkommission zur Genehmigung vorgelegt worden sind. Unterzeichnet: Hector Charlesworth, Vorsitzender“ (Kursivschrift von uns).

Doch wer drängte Charlesworth zu dieser Maßnahme? Die in Saint John (Neubraunschweig) erscheinende Zeitung The Telegraph Journal berichtete: „Hector Charlesworth, Vorsitzender der Rundfunkkommission, erklärte, er habe von einer Gruppe anglikanischer Geistlicher aus St. John eine ernst zu nehmende Klage erhalten“ (Kursivschrift von uns). In dem Bericht wurden einige dieser Geistlichen namentlich aufgeführt.

Nun begann eine gewaltige Protestkampagne gegen das Rundfunkverbot. Sie wurde durch die Verbreitung von 1 350 000 Exemplaren der vierseitigen Schrift „Wichtige Mitteilung an das Volk“ eingeleitet, um die Menschen mit den Tatsachen vertraut zu machen. Darauf wurde eine Petition von Küste zu Küste in Umlauf gesetzt. Diese Petition wurde von 406 270 Personen unterzeichnet, und sie erhielt in der Presse viel Publicity. Das Parlament wurde mit Protestbriefen und mit Resolutionen von Arbeiterorganisationen und anderen Gruppen überschüttet. Die Petition wurde dem Generalgouverneur vorgelegt, und dies löste eine Debatte im Parlament aus. Der Premierminister versprach, sich mit der Sache zu befassen, doch es geschah nichts dergleichen.

Wie entschlossen Charlesworth war, das Verbot durchzusetzen, zeigt seine Reaktion auf die Bemühungen einer Radiostation, die eine faire Behandlung der Angelegenheit verlangte und sich in der schwierigen Zeit auch finanziell über Wasser halten wollte. Die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter (der Vorgänger von Erwachet!) berichtete:

„Eine der kanadischen Stationen sandte Mr. Charlesworth ein Telegramm, in dem es sinngemäß hieß: ,Wir stimmen zwar nicht völlig mit Richter Rutherfords Ansprachen überein, doch wir finden nichts Gesellschaftsfeindliches oder Kommunistisches daran. Seine Sendungen sind gegen andere Formen der Religion gerichtet und stellen seine eigenen religiösen Auffassungen heraus, die wir fundamentalistisch nennen würden. Wir glauben, im Interesse der Redefreiheit sollten wir Sendungen aller Art annehmen, solange sie nicht im Widerspruch zur demokratischen Regierung stehen. In der gegenwärtigen Zeit ist der Ausfall von Einnahmen eine Härte für uns.‘ Außerdem setzte sich die Station mit Mr. Charlesworth telefonisch in Verbindung, um die Erlaubnis zu erhalten, die Sendungen auf jeden Fall mindestens noch zwei Wochen fortzusetzen, aber die Antwort war: ,Keine Chance.‘ “

DOCH DIE WAHRHEIT ERSCHALLT WEITER!

Trotz des Rundfunkverbots waren weiterhin Aufnahmen von biblischen Vorträgen in ganz Kanada zu hören. Im Jahre 1931 hatten wir angefangen, sogenannte „Sprechmaschinen“ (Grammophone mit elektrischem Verstärker) in unserem Zeugniswerk zu verwenden. Auf diesen Geräten wurden Schallplatten abgespielt, und der Ton wurde über Lautsprecher verstärkt. Die in diesem Land benutzten „Sprechmaschinen“ wurden vom kanadischen Zweigbüro der Gesellschaft entworfen und gebaut. Darauf konnten die gleichen Aufnahmen der Vorträge J. F. Rutherfords abgespielt werden, die von den Rundfunkstationen benutzt worden waren. Als daher aufgrund des Drucks der Geistlichkeit Rutherfords Vorträge ab 1933 nicht mehr ausgestrahlt werden durften, machte die Gesellschaft vermehrten Gebrauch von transportablen „Sprechmaschinen“. Die Schallplattenvorträge wurden in immer mehr Sälen und an Kongreßstätten abgespielt.

Ein Modell dieses Grammophons konnte auch in Autos eingebaut werden, die auf diese Weise zu Lautsprecherwagen wurden. Diese Grammophone waren bei voller Lautstärke kilometerweit zu hören. Eine kanadische Neuerung war, daß die Lautsprecher auf einem Teleskopmast befestigt wurden, der etwa 12 Meter ausgefahren werden konnte, so daß der Ton in noch größerer Entfernung zu hören war.

Obwohl die Geistlichkeit der Benutzung der Grammophone viel Widerstand entgegensetzte, verstand die Öffentlichkeit im allgemeinen, was Jehovas Zeugen erreichen wollten. Viele Menschen lernten die Wahrheit Gottes auf diese Weise kennen, und ganze Versammlungen entstanden aufgrund der zum Nachdenken anregenden Vorträge.

In einem Bericht aus Britisch-Kolumbien heißt es: „In Langley reparierte ein Mann gerade das Dach seiner Scheune, als er plötzlich eine Stimme hörte, die über das Thema sprach: ,Wo sind die Toten?‘ Er konnte niemanden sehen, hörte aber jedes Wort. Er wollte jedoch mit keinem über das sprechen, was er gehört hatte, weil er befürchtete, man würde ihn für verrückt erklären. Daher behielt er es für sich. Als am darauffolgenden Sonntagvormittag jemand an seine Tür klopfte und ihm eine Broschüre mit dem gleichen Thema, Wo sind die Toten?, anbot, klärte sich das Geheimnis auf. Schon nach kurzer Zeit wurde in Langley für all die neuen Jünger eine Versammlung gegründet.

In den 1930er Jahren wurde auch ein tragbares Grammophon (ohne elektrischen Verstärker) für unsere Zeugnistätigkeit eingeführt. Zunächst wurde es bei biblischen Gesprächen mit interessierten Personen benutzt. Später verwandten wir diese Grammophone auch in unserem Haus-zu-Haus-Zeugniswerk. Wir leiteten die Königreichsbotschaft ein, indem wir eine Schallplatte abspielten. Die Schallplatten enthielten biblische Ansprachen von Bruder Rutherford, jede etwa 4 1/2 Minuten lang, und wurden in englischsprachigen Gebieten abgespielt. Es standen viele Themen zur Verfügung. Diese Schallplatten wurden in Kanada zum ersten Mal im Jahre 1934 benutzt. Allein im Jahre 1938 wurden über 900 Grammophone an kanadische Zeugen versandt, wodurch die Zahl der benutzten Geräte auf 2 500 stieg.

Ja, dies war eine Zeit begeisternden Königreichsdienstes. 1935 waren über 2 200 Verkündiger der „guten Botschaft“ in 150 Versammlungen in ganz Kanada tätig! Als das Jahr 1935 zu Ende ging, waren die nötigen Änderungen vorgenommen worden, so daß die 16 Glieder der Bethelfamilie im Zweigbüro in Toronto untergebracht werden konnten.

INTERNE SCHWIERIGKEITEN

Unser Werk ging voran. Und doch war das Jahr 1936 allem Anschein nach ein kritisches Jahr. Es kam zu Schwierigkeiten innerhalb und außerhalb der Organisation. Überall im Land gab es Opposition. In Chéticamp (Neuschottland) wurden Königreichsverkündiger mit heißem Wasser und sogar mit Buttermilch überschüttet. In Ste. Anne des Chênes (Manitoba) hielt ein Mob die Fahrzeuge amerikanischer Touristen irrtümlich für die Autos einer Gruppe von Zeugen Jehovas und bewarf sie mit Steinen, Eiern und Tomaten. Das war den Bürgern der Stadt zu Recht peinlich. In Quebec wurde unserem Werk weiterhin erbitterter Widerstand geleistet.

Doch wir standen auch vor internen Problemen. Anlaß dazu gab der damalige Zweigaufseher, W. F. Salter. Anscheinend war er nicht mit den schriftgemäßen Ansichten über die „große Schar“ einverstanden, die ab 1935 in den Wachtturm-Schriften dargelegt wurden (Offb. 7:9). Man stelle sich nur vor: Er verbreitete die Ansicht, vor Harmagedon sei es nicht nötig, von Haus zu Haus Zeugnis zu geben! Wenn sich alle dieser Ansicht angeschlossen hätten, wäre die Einsammlung der „großen Schar“ wirklich behindert worden.

Es sprach, sich herum, daß sich Salter einbildete, er sei der neue Mitteilungskanal für Jehovas Zeugen und Der Wachtturm werde einmal seine Ansichten drucken, zum Beispiel über die Allversöhnung. Er schrieb auch an den Leiter eines europäischen Zweigbüros und äußerte die Ansicht, er (Salter) erwarte, der nächste Präsident der Watch Tower Society zu werden. Laura French, ein Glied der Torontoer Bethelfamilie, berichtet, daß einige Bemerkungen Salters während des Wachtturm-Studiums der Bethelfamilie montags abends so viel Unruhe auslösten, daß schließlich, als abgestimmt wurde, wer das Studium leiten sollte, die Mehrheit gegen ihn und für Frank Wainwright stimmte.

Als sich die Sache so zugespitzt hatte, kam Bruder Rutherford nach Toronto und führte mit Gliedern der Bethelfamilie eine fünfstündige Besprechung durch. Er bat einige von ihnen, die Briefe vorzulesen, die sie geschrieben hatten, um sich über Salter zu beschweren. Dann brachte Rutherford Beweise dafür vor, daß Salter versucht hatte, Brüder von der Organisation abzuwenden und auf seine Seite zu ziehen, und die Beweise dafür stammten nicht nur aus Kanada, sondern auch aus England und Deutschland. Salter wurde als Zweigaufseher ersetzt. Man gab ihm zwei Wochen Zeit auszuziehen. (Mit ihm zusammen wurden sieben andere aufgefordert, das Bethel zu verlassen, von denen die meisten mit Salter sympathisierten.) Rutherford verfuhr mit Salter sehr geduldig, sowohl während der Besprechung als auch während der ganzen Zeit, in der sich die Beweise gegen ihn häuften.

Percy Chapman, der viele Jahre lang eifrig im Londoner Bethel gedient hatte, wurde der neue Zweigaufseher, und so kehrte in der Bethelfamilie wieder Frieden ein. Salter aber schrieb eine Flut von Briefen und Schriften und sandte sie an viele Zeugen und an seine Nachfolger. Offensichtlich empfand er keine Reue. Im Jahre 1937 entzog ihm daher die Versammlung Toronto die Gemeinschaft.

REORGANISATION BRINGT VERMEHRTE GEISTIGE KRAFT MIT SICH

In den folgenden drei Jahren fand eine intensive Reorganisation des Königreichspredigtwerkes statt. Das ganze Land wurde in 14 Divisionen aufgeteilt, und für jede wurde ein Divisionsdiener eingesetzt. In dieser Zeit wurde auch Nachdruck auf die Rückbesuchstätigkeit gelegt. Im Jahre 1938 brachten organisatorische Änderungen größeren Frieden und größere Einigkeit mit sich und ermöglichten ein wirkungsvolleres Arbeiten.

In dieser Zeit gab es auch einige Veränderungen unter den Mitarbeitern im Bethel Toronto. Zum Beispiel kam Leo K. Greenlees am 13. Juni 1936 ins Torontoer Bethel. Er hatte fünf Jahre lang in Ontario, Montreal und in den Küstenprovinzen als Pionier gedient. Im Bethel hatte Bruder Greenlees viele schöne Vorrechte. Schließlich wurde er Kassierer des kanadischen Zweigbüros und der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung von Kanada. Im Jahre 1964 wurde Bruder Greenlees ins Brooklyner Bethel eingeladen, wo er jetzt als Glied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas dient.

Am 24. August 1937 traf Jack Nathan aus England ein. Er landete zunächst in Montreal und fuhr dann weiter ins Bethel Toronto. Im Frühjahr 1938 nahm er den sogenannten Zonendienst auf, eine Tätigkeit, die in etwa der des heutigen Kreisaufsehers entsprach. Bruder Nathan bearbeitete die gesamte Niagara-Halbinsel und reiste dann in Richtung Norden bis Kitchener und Guelph. Er erinnert sich noch, daß es damals in diesem Gebiet etwa 20 Versammlungen mit rund 700 Königreichsverkündigern gab. Seitdem hat es dort ein beachtliches Wachstum gegeben.

Vier Jahrzehnte sind nun vergangen, seit Bruder Nathan seinen Dienst hier im Bethel Toronto aufgenommen hat, wo er immer noch zum Lobpreis Jehovas tätig ist. Rückblickend kann man jedoch sagen, daß seine anfängliche Tätigkeit unter den kanadischen Brüdern eine gute Schulung für ihn war. Er wurde dadurch auf die wichtige Rolle vorbereitet, die er wenig später spielen sollte, denn er hatte zu den Brüdern und Schwestern im ganzen Land Verbindung, und er ermutigte sie und organisierte sie für den Königreichspredigtdienst, der bald unter großen Schwierigkeiten durchgeführt werden sollte.

DAS WERK IN NEUFUNDLAND

Das Zweigbüro der Watch Tower Society in Kanada beaufsichtigte bis zum Jahre 1936 das Werk der Königreichsverkündigung in Neufundland. Doch im Sommer jenes Jahres trat ein Wechsel ein. Da die gesamte Literatur der Gesellschaft aus New York kam und in Neufundland ein kleines Depot unterhalten wurde, hielt man es für das beste, das Zweigbüro der Vereinigten Staaten mit der Beaufsichtigung des Werkes in Neufundland zu betrauen.

1938 kam Neufundland wieder unter die Aufsicht des Zweigbüros der Gesellschaft in Kanada. Diese Vorkehrung blieb bis zum Jahre 1945 bestehen, als in Neufundland ein eigenes Zweigbüro eingerichtet wurde. Obwohl Neufundland im Jahre 1949 ein Teil des kanadischen Bundes wurde, ist es immer noch ein eigener Zweig der Gesellschaft.

DIE 1930ER JAHRE GEHEN ZU ENDE

Nun ging ein Jahrzehnt begeisternder Ausdehnung und großer Fortschritte in den Versammlungen zu Ende. Ja, in Kanada brachten die 1930er Jahre ein stetiges, gesundes Wachstum mit sich. Die Zahl der Königreichsverkündiger war von 798 im Jahre 1931 auf 4 269 im Jahre 1939 gestiegen. In der gleichen Zeit hatte sich die Zahl der Pioniere von 126 auf 294 erhöht.

Doch am Horizont zogen Kriegswolken herauf. Das Jahr 1939 brachte einen weiteren internationalen Notstand mit sich, und wieder wurden die Gefühle der patriotischen Elemente erregt, die in ihren Forderungen sehr schnell extrem wurden. Wir sahen uns Problemen in Verbindung mit nationalistischen Zeremonien in den Schulen sowie Problemen in Verbindung mit der Berufstätigkeit gegenüber, da wir entschlossen waren, neutral zu bleiben. Schließlich wurden wir mit einem ganz beachtlichen Problem konfrontiert, das Mitte 1940 über uns kam.

WIEDER VERBOTEN!

Der Ausbruch des 2. Weltkrieges im Jahre 1939 gab religiösen Gegnern eine weitere Gelegenheit zu dem Versuch, der Tätigkeit der Zeugen Jehovas Einhalt zu gebieten. Da ihnen dies — besonders in Quebec — bis dahin auf rechtlichem Wege nicht gelungen war, wurden sie nun hinter den Kulissen tätig und versuchten, Politiker für ihre Pläne zu gewinnen.

Der Sommer 1940 war für die westlichen Nationen, die die Alliierten unterstützten, eine finstere Zeit. Hitlers Heere hatten fast ganz Europa überrannt. Frankreich fiel innerhalb weniger Wochen. In dieser gespannten Atmosphäre erhob sich der kanadische Justizminister Ernest Lapointe, ein Katholik aus Quebec, am 4. Juli 1940 im Unterhaus und verkündete: „Ich möchte dem Haus einen königlichen Erlaß vorlegen, durch den die Organisation der Zeugen Jehovas für illegal erklärt wird.“

So kam es, daß Jehovas Zeugen und die Internationale Bibelforscher-Vereinigung von Kanada ohne vorherige Warnung und ohne Gelegenheit, ihren Standpunkt zu verteidigen, am 4. Juli 1940 verboten wurden. Das Eigentum in Toronto, Irwin Avenue 40 und das Bankkonto der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung wurden von den Behörden beschlagnahmt. Am 5. Juli 1940 wurde das Zweigbüro von der Königlichen Kanadischen Berittenen Polizei geschlossen.

Um die Einfuhr und Verbreitung unserer Literatur zu verhindern, erklärte die Regierung auch die Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania und die Watchtower Bible and Tract Society of New York, Inc. für illegal. Das geschah einen Monat nach dem Verbot der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung. Wir hatten daher glücklicherweise Zeit, einen Teil unserer Druckereiausrüstung und unserer Literatur in die Vereinigten Staaten zu schicken. Diesmal sah es für Jehovas Zeugen in Kanada wirklich hoffnungslos aus.

WIR ÜBERSTEHEN DAS VON DER GEISTLICHKEIT BEWIRKTE VERBOT

Das am 4. Juli 1940 ausgesprochene Verbot löste sofort eine Verfolgungswelle gegen Jehovas Zeugen in Kanada aus. Schon am nächsten Tag begann die Berittene Polizei, Privatwohnungen und Königreichssäle der Zeugen Jehovas zu durchsuchen und Vorräte an Bibeln und anderen religiösen Schriften zu beschlagnahmen. Das Zweigbüro der Gesellschaft wurde von der Polizei besetzt.

Nach Inkraftsetzung des Verbots artete die Verfolgung in einigen Gegenden in eine regelrechte Hexenjagd aus. Zum Beispiel wurde in Quebec City und in Montreal eine Abendmahlsfeier aufgelöst. Kinder wurden von der Schule gewiesen und ihren gottesfürchtigen Eltern weggenommen. Viele Zeugen wurden vor Gericht gestellt und eingesperrt. Insgesamt kam es zu über 500 Gerichtsfällen. Wurden diese Christen wegen irgendeines Vergehens angeklagt? Nein. Sie wurden lediglich deshalb bestraft, weil sie Zeugen Jehovas waren!

Das Verbot löste unter der Öffentlichkeit heftige Kritik aus. Vielen kanadischen Bürgern und auch Regierungsbeamten war klar, daß die Kampagne gegen diese einfachen Christen völlig ungerechtfertigt war. Angus MacInnis, ein Abgeordneter aus Vancouver, sagte vor dem Unterhaus: „Ich möchte mit allem Ernst sagen, daß die strafrechtliche Verfolgung der Zeugen Jehovas aufgrund des Kriegsnotstandsgesetzes eine bleibende Schande für dieses Land, für das Justizministerium und für das kanadische Volk ist.“

Schließlich erhielten Jehovas Zeugen die Gelegenheit, das Verbot anzufechten. Im Jahre 1942 prüfte ein Untersuchungsausschuß des Unterhauses das Verbot und gestattete es Charles Morrell und Robert McNaul, für Jehovas Zeugen zu den haltlosen Anklagen der Regierung Stellung zu nehmen.

Am 23. Juli 1942 empfahl der Untersuchungsausschuß einstimmig die Aufhebung des Verbots. Hier folgen einige Äußerungen, die Mitglieder des Untersuchungsausschusses während der offiziellen Parlamentsdebatten machten:

„Das Justizministerium legte dem Komitee kein Beweismaterial vor, das es gerechtfertigt hätte, Jehovas Zeugen zu irgendeiner Zeit zu einer illegalen Organisation zu erklären.“

„Es ist eine Schande für Kanada, daß Menschen wegen ihrer religiösen Überzeugung strafrechtlich verfolgt werden, so wie es mit diesen armen Menschen geschieht“ (Kursivschrift von uns).

Trotz dieser Empfehlung weigerte sich der damalige Justizminister, Louis St. Laurent, das Verbot aufzuheben. (St. Laurent war der Nachfolger von Lapointe, der im November 1941 gestorben war.) Ein Jahr später war das Verbot immer noch in Kraft. Am 21. Juli 1943 wurde die Regierung im Unterhaus wieder angegriffen, weil sie sich weigerte, den Zeugen die gesetzliche Anerkennung zu gewähren.

Victor Quelch, ein Abgeordneter aus Acadia, sagte: „Man muß sich fragen, ob die Maßnahmen gegen Jehovas Zeugen in erster Linie auf ihre Einstellung zur römisch-katholischen Kirche zurückzuführen sind und nicht auf eine angeblich subversive Einstellung. ... Diese Frage wird im ganzen Land gestellt. Sie wird mir von einem Ende Kanadas bis zum anderen Ende gestellt.“

Der Verteidigungsminister, der ehrenwerte Herr G. C. Crerar, wies diesen Verdacht erregt von sich und sagte: „Er stellte die Frage, ob die Politik der Regierung gegenüber Jehovas Zeugen durch deren Angriffe auf die katholische Kirche ausgelöst worden sei. ... Diese Verdächtigung hat keinerlei Grundlage (Kursivschrift von uns).

Doch die amtlichen Archive, die inzwischen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, strafen Herrn Crerar Lügen! In Wirklichkeit löste ein Brief aus dem Palast Kardinal Villeneuves an Justizminister Lapointe das Verbot aus. Hier folgt eine deutsche Übersetzung dieses in französisch geschriebenen Briefes:

Erzdiözese Quebec

Kanzlei

Quebec, 27. Juni 1940

Sehr geehrter Herr!

Seine Eminenz, der Kardinal, wäre glücklich, wenn Sie die Aufmerksamkeit des ehrenwerten Herrn Ernest Lapointe, Justizminister, auf den beigefügten Leitartikel einer Quebecer Zeitung über die Publikationen des Wachtturms oder der Zeugen Jehovas lenken würden.

Gewisse Bücher und Flugschriften, die kürzlich wieder durch die Post ins Land kamen, insbesondere die Zeitschrift Trost, sind höchst demoralisierend und höchst zersetzend für die geistige Stärke des Landes.

Ich danke Ihnen im voraus, sehr geehrter Herr, daß Sie diesem Brief Ihre freundliche Aufmerksamkeit schenken, und verbleibe

Ihr sehr ergebener

Paul Bernier, Sekretär

An den Privatsekretär

des T. H. M. Ernest Lapointe

Justizminister

OTTAWA, Ontario

Dieser Brief war in Wirklichkeit eine Aufforderung des Kardinals an Lapointe, Jehovas Zeugen für illegal zu erklären. Lapointe wußte, daß seine Macht vom Kardinal abhing. Er reagierte daher schnell. Der nächste Gegenstand in diesem Drama, das von Heimlichtuerei und Intrigen gekennzeichnet war, war der folgende Brief, der eine Woche später zum Kardinalspalast geschickt wurde. Der Brief stammte von dem Privatsekretär Lapointes und war an den Sekretär Kardinal Villeneuves gerichtet:

PERSÖNLICH

4. Juli 1940

Monsignore Paul Bernier

Kanzlei der Erzdiözese

Kardinalspalast

QUEBEC

Herr Sekretär!

Nach Erhalt Ihres Briefes vom 27. Juni habe ich es auf mich genommen, dem Wunsch Seiner Eminenz, des Kardinals, nachzukommen und die Aufmerksamkeit des Ministers auf Ihre Darlegungen sowie auf den Leitartikel zu lenken, der in der Zeitung L’Action Catholique über die Wachtturm-Gesellschaft, Jehovas Zeugen und die Zeitschrift Trost veröffentlicht wurde.

Herr Lapointe gab mir die Erlaubnis, Ihnen telefonisch die vertrauliche Mitteilung zukommen zu lassen, daß die besagte Organisation der Zeugen Jehovas heute für ungesetzlich erklärt werde, und bat mich, Seine Eminenz, den Kardinal, darüber zu informieren.

Dieser Brief soll bestätigen, was ich Ihnen gerade am Telefon gesagt habe.

Ich werde dafür sorgen, daß Seine Eminenz, der Kardinal, gebührend über die Anordnung des Ministeriums hinsichtlich der Zeugen Jehovas informiert wird.

Nehmen Sie, Herr Sekretär, bitte meinen Dank und meine herzlichsten Grüße entgegen.

Dieser Brief war von Lapointes Privatsekretär unterzeichnet. Von der Aufforderung des Kardinals an dauerte es also nur sieben Tage, bis Jehovas Zeugen verboten wurden. Im Kardinalspalast herrschte nun große Freude. Der Sekretär des Kardinals schrieb am 8. Juli 1940 einen Brief an den Privatsekretär Lapointes. Die deutsche Übersetzung dieses Briefes lautet:

Ich danke Ihnen sehr für Ihre Bereitwilligkeit, die Aufmerksamkeit des ehrenwerten Herrn Lapointe auf den Gegenstand meines Briefes vom 27. Juni zu lenken.

Ich brauche nicht hinzuzufügen — da Seine Eminenz bereits Herrn Lapointe geschrieben haben wird, um seine Genugtuung über den fraglichen ministeriellen Erlaß zum Ausdruck zu bringen —, wie sehr eine solch prompte und glückliche Lösung unser Lob und unseren Dank verdient.

Nehmen Sie bitte noch einmal meinen Ausdruck der Dankbarkeit und meine größte Hochachtung entgegen.

Paul Bernier, Priester

Während also der ehrenwerte Herr G. C. Crerar vor dem Parlament hartnäckig jegliche Einflußnahme der katholischen Kirche leugnete, zeigen doch die Tatsachen, daß das Verbot der Zeugen Jehovas vom Palast des Kardinals in Quebec aus eingefädelt wurde. Dies geht aus den Archiven der Regierung deutlich hervor.

Doch ungeachtet der Macht des Kardinals und des Justizministers von Quebec führten die Proteste von gerechtgesinnten Abgeordneten und anderen Kanadiern am 14. Oktober 1943 zur Aufhebung des Verbots, als der Krieg noch in vollem Gange war. Eine solche Umkehr des Standpunkts während dieser kritischen Zeit der Geschichte war wirklich ein Eingeständnis dafür, daß das Verbot völlig unbegründet war.

Es kostete noch einige Monate harte Kämpfe — mit Hilfe von Petitionen, Briefen, Schriftsätzen und einem Gerichtsverfahren —, um den hartnäckigen Justizminister St. Laurent zu bewegen, das Verbot der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung (13. Juni 1944) und das der Watch Tower Society (22. Mai 1945) aufzuheben. Aber wir waren nun endlich bereit für die Ausdehnung nach dem Krieg.

PROBLEME IN DER KRIEGSZEIT NACH AUFHEBUNG DES VERBOTS

Durch die Aufhebung des Verbots waren Jehovas Zeugen wieder eine legale Organisation und hatten die Freiheit, ihre religiöse Tätigkeit fortzusetzen. Das Land befand sich jedoch immer noch im Kriegszustand, und für Jehovas Diener waren viele rechtliche Probleme zu lösen. Ein Problem war die Befreiung von Predigern der Zeugen Jehovas vom Militärdienst. Ein anderes bestand darin, daß Zeugen Jehovas als Wehrdienstverweigerer in staatlichen Lagern festgehalten wurden, und ein drittes war das Recht christlicher Schulkinder, den Fahnengruß zu verweigern. Fast gleichzeitig mit der Aufhebung des Verbots wurde der junge Pionier Glen How aus Toronto in der Provinz Ontario als Rechtsanwalt zugelassen. Er wurde in den Rechtskämpfen, die folgten, sehr aktiv.

Im Jahre 1940 war in Kanada die Wehrpflicht eingeführt worden. „Prediger einer Religionsgemeinschaft“ konnten jedoch davon befreit werden. Während des Verbots war es niemandem von Jehovas Zeugen möglich gewesen, die Befreiung für sich zu beanspruchen, da die religiöse Organisation der Zeugen Jehovas damals als illegal betrachtet wurde. Durch die Aufhebung des Verbots änderte sich das Bild. In Toronto wurde ein Büro eröffnet unter dem Namen Jehovas Zeugen von Kanada. Nun war eine sichtbare Organisation vorhanden, die für Jehovas Volk eintreten konnte.

KAMPF UM DIE ANERKENNUNG

Im November 1943 wurde dem Arbeitsminister ein Schriftsatz unterbreitet, in dem die Befreiung von Vollzeitdienern der Zeugen Jehovas, die in besonderen Eigenschaften dienten, beantragt wurde. Die Regierung weigerte sich jedoch, die Befreiung zu gewähren. Obwohl Jehovas Zeugen in Kanada in jenem Jahr 15 000 Anwesende beim Gedächtnismahl hatten, gab es in dieser Religionsgemeinschaft nach Ansicht der Behörden nicht einen einzigen Prediger.

Diese Streitfrage mußte vor Gericht geklärt werden. Der erste bedeutende Fall, der vor Gericht gebracht wurde, war die Verteidigung von Earl Kitchener Stewart im Jahre 1943. Seine Verhandlung fand in erster Instanz vor einem Gericht in Vancouver statt. Gegen das Urteil wurde bei dem Appellationsgericht von Britisch-Kolumbien Berufung eingelegt. Bruder Stewart war seit 1938 Vollzeitkönigreichsverkündiger. Doch das machte auf das Gericht keinen Eindruck. Seine Verteidigung wurde abgelehnt, und er wurde verurteilt.

Unerschüttert unternahmen Jehovas Zeugen einen zweiten Versuch. Die Regierung wollte Leo K. Greenlees aus dem Zweigbüro Toronto (jetzt ein Glied der leitenden Körperschaft) einziehen, der schon seit 1931 Vollzeitdiener war. Statt darauf zu warten, daß die Behörden die strafrechtliche Verfolgung aufnahmen, wurde ein Verfahren zur Erwirkung eines Feststellungsurteils eingeleitet, das Verfahren Greenlees gegen Generalstaatsanwalt von Kanada. Das Ziel dieses Verfahrens war eine Erklärung des Gerichts, daß Leo Greenlees ein Prediger war, der nicht der Wehrpflicht unterlag. Das war ein mutiger Schachzug, der die Gegner in Staunen versetzte. Schließlich war der Krieg noch im Gange, und alles, was mit dem Militär zusammenhing, wurde nahezu als sakrosankt angesehen. Und nun war hier eine Organisation, die gerade aus einem Verbot gekommen war. Doch statt sich still und leise in eine Ecke zu verkriechen, forderte sie unverfroren Gerechtigkeit und eine faire Behandlung. Jehovas Zeugen waren wieder auf dem Schauplatz, und jeder wußte es!

Der Fall Greenlees erhielt eine volle Anhörung durch Richter Hogg vom Obersten Gerichtshof von Ontario. Das Beweismaterial wurde von L. K. Greenlees, Percy Chapman und Hayden C. Covington unterbreitet. Doch trotz des stichhaltigen Beweismaterials stellte der Richter das Verfahren wegen schwacher und irreführender Beweisführung ein. Darauf wurde vor dem Appellationsgericht von Ontario Berufung eingelegt, aber auch dieses Gericht ging im Grunde genommen nicht auf die eigentliche Streitfrage ein und fällte ebenfalls ein ausweichendes Urteil. Als nächstes wurde ein Antrag auf gerichtliche Zulassung einer Berufungsverhandlung vor dem Obersten Gerichtshof von Kanada gestellt. Die Berufung wurde jedoch aus einem technischen Grund nicht angehört: Bei dem Fall ging es nicht um finanzielle Forderungen.

Der einzige Ausweg, der blieb, war ein Appell an den Kronrat in London (England). So wurde in London ein entsprechender Antrag eingereicht, und im Oktober 1946 sollte die Anhörung stattfinden. Doch kurz zuvor hob die Regierung das Wehrpflichtgesetz auf. Nun gab es kein Gesetz mehr, dessentwegen man einen Prozeß hätte führen können; daher wurde der Fall ohne eine endgültige Entscheidung abgeschlossen. Wenigstens war Bruder Greenlees geschützt worden.

FREILASSUNG AUS DEN LAGERN

Eine Anzahl von Zeugen Jehovas waren als Kriegsdienstverweigerer eingestuft und gezwungen worden, in Lagern im kanadischen Busch zu arbeiten. Diese Praxis wurde vier Jahre lang, bis zum 15. Juli 1946, beibehalten. Einmal waren 283 Zeugen in solchen Lagern. Es war leicht, aus den Lagern freizukommen. Man brauchte nur eine symbolische Zahlung an das Rote Kreuz zu entrichten — ein Ausweg, den die meisten für unannehmbar hielten. Das Arbeitsministerium sprach zwar viel davon, Männer für wichtige Dienste einzusetzen, doch das eigentliche Ziel bestand oft darin, Vollzeitprediger der Zeugen Jehovas daran zu hindern, die „gute Botschaft“ zu verkündigen.

Bis zum Sommer 1946 waren alle Kriegsdienstverweigerer in Kanada bis auf 73 Zeugen Jehovas entlassen worden. Nun wurde ein Schriftsatz vorbereitet, in dem die willkürliche und widersprüchliche Haltung dargestellt wurde, die das Ministerium eingenommen hatte, um diesen Christen die Freiheit vorzuenthalten, nachdem alle anderen Kriegsdienstverweigerer entlassen worden waren. Kopien dieser Erklärung wurden an günstiggesinnte Abgeordnete geschickt. Einige von ihnen waren empört, als sie erfuhren, wie uns die Regierung behandelte. Sie begannen, im Unterhaus mit peinlichen Fragen gegen das Arbeitsministerium zu sticheln.

Am 10. Juli 1946 fragte der Abgeordnete John Diefenbaker (später Premierminister von Kanada): „Wie viele Mitglieder der Zeugen Jehovas werden eigentlich noch in Konzentrationslagern festgehalten?“ Das war für das Ministerium zuviel. Am 15. Juli 1946 wurden alle Arbeitslager geschlossen. Und so waren diese jungen Königreichsverkündiger frei, um an dem christlichen Nachkriegsausdehnungswerk teilzunehmen.

DIE FAHNENGRUSSFRAGE

Mit der Fahnengrußfrage verhielt es sich in Kanada im großen und ganzen ähnlich wie in den Vereinigten Staaten. In Kanada wurde bekannt, was sich in den Vereinigten Staaten hinsichtlich dieser Frage abspielte, und vom Jahre 1940 an führten eine Anzahl Schulämter in verschiedenen Teilen des Landes den obligatorischen Fahnengruß ein.

In einer Anzahl von Zivilprozessen wurde die Befugnis der Schulämter, den Fahnengruß und das Singen der Nationalhymne zu erzwingen, angefochten. Einer davon war der Fall Ruman gegen Lethbridge in Alberta. Das Gericht entschied, daß das Schulamt das Recht habe, Schüler zur Teilnahme zu zwingen. Doch die gesetzgebende Körperschaft der Provinz bekundete eine begrüßenswerte Achtung gegenüber der Freiheit und änderte das Schulgesetz, so daß die Kinder der Zeugen Jehovas unbehelligt die Schule besuchen konnten.

Das größte rechtliche Problem trat jedoch in Hamilton (Ontario) auf, wo sich ein Fall von 1940 bis 1945 hinschleppte. In Hamilton waren 27 Kinder von der Schule gewiesen worden, weil sie sich geweigert hatten, die Fahne zu grüßen und die Nationalhymne zu singen. Es wurde notwendig, eine private Königreichsschule einzurichten, damit die Kinder eine Schulbildung erhalten konnten.

Nun wurden rechtliche Schritte unternommen. Das Gericht wurde gebeten, die Wiederaufnahme der Kinder in die Schulen anzuordnen, ohne von ihnen zu verlangen, an Fahnengrußzeremonien teilzunehmen. Die Verhandlung fand am 30. und 31. März 1944 in Hamilton statt. Der Richter, Mr. Hope, eine hochpatriotische Militärperson, entschied gegen Jehovas Zeugen und sagte, das Schulamt habe nicht nur die Befugnis, die Teilnahme an der Zeremonie zu fordern, sondern auch „die zwingende Pflicht, seine Befugnisse auszuüben“. Dieses Urteil verlangte praktisch, daß alle anderen Schulämter in der Provinz die Kinder der Zeugen Jehovas von der Schule wiesen, wenn sie nicht die Fahne grüßen und die Nationalhymne singen würden.

Gegen dieses Urteil wurde beim Appellationsgericht von Ontario Berufung eingelegt, und dort kam der Fall im März 1945 zur Verhandlung. Der Krieg war noch im Gange, die patriotische Stimmung war aufgeheizt, und Jehovas Zeugen waren im Begriff, sich nach Aufhebung des Verbots neu zu organisieren. Als die Verhandlung begann, hatte das Gericht eine sehr feindliche Einstellung. Ein sicheres Auftreten war erforderlich, denn die drei Richter bombardierten die Brüder geradezu mit Fragen über Jehovas Zeugen und ihre Glaubensansichten. Die anfängliche Feindseligkeit wich jedoch bald, und die Richter nahmen eine sehr faire Anhörung vor. Sie fällten daraufhin ein einstimmiges Urteil zugunsten des Volkes Jehovas, so daß es unseren Kindern wieder möglich war, zur Schule zu gehen und eine Schulbildung zu erhalten, ohne an Zeremonien teilzunehmen, die ihr Gewissen belasteten.

Dieses Urteil war ein schrecklicher Schock für das Schulamt von Hamilton und seine Rechtsanwälte, die Jehovas Zeugen lautstark angegriffen hatten. Sie versuchten, beim Obersten Gerichtshof von Kanada Berufung einzulegen, aber das Gericht lehnte die Zulassung der Revision ab. Die günstige Entscheidung des Appellationsgerichts von Ontario war daher das endgültige Urteil. In den vergangenen mehr als 30 Jahren hat dieses ausgezeichnete Urteil sehr dazu beigetragen, die „Patrioten“ in die Schranken zu weisen, die von Zeit zu Zeit versuchten, die Streitfrage wieder aufzubringen.

KAMPF UM DIE FREIHEIT IN QUEBEC

Da nun das Verbot aufgehoben war und der Zweite Weltkrieg seinem Ende entgegenging, war jetzt, im Jahre 1944, die Zeit reif, die Königreichspredigttätigkeit in Quebec wiederaufzunehmen. Der Premier der Provinz war Maurice Duplessis, ein verschlagener, charakterloser Politiker, der mit der katholischen Geistlichkeit unter einer Decke steckte. Ein Historiker beschrieb Duplessis als einen „Demagogen, der entschlossen war, dafür zu sorgen, daß die Provinz schön sicher und rückständig und korrupt blieb“.

Zu dieser Zeit gab es in ganz Quebec weniger als 300 Zeugen. Sobald sie ihre Tätigkeit in Montreal wiederaufnahmen, begann man, sie wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses anzuklagen. Gegen Ende 1944 gab es etwa 40 solche Fälle. 1945 nahm die Zahl der Strafverfolgungen beträchtlich zu, und im September 1945, als katholische Pöbelrotten Jehovas Zeugen in Châteauguay und Lachine angriffen, wurde das ganze Land auf diesen Kampf aufmerksam. Aber die kleine Schar unerschütterlicher Christen widerstand all diesen Angriffen (Jer. 1:19).

Ende 1945 gab es schon über 400 Rechtsfälle. Aber es war noch kein Ende in Sicht. Ende 1946 waren über 800 Fälle bei den Gerichten in Montreal, Verdun, Outremont, Lachine, Quebec City, Sherbrooke und anderen Städten anhängig. Diese Rechtsfälle und die ständigen Verhaftungen waren eine aufreibende Belastung für die Diener Jehovas. Wie man sich denken kann, haben solche Vorgänge auch eine menschliche Seite. Es war nicht leicht, die Verhaftungen, die Spannungen, die Verzögerungen, die Demütigungen, den Verlust des Arbeitsplatzes und die ständige Frustration zu ertragen.

„QUEBECS LODERNDER HASS“

Es mußte etwas geschehen, um die treuen Zeugen in Quebec von dem großen Druck zu befreien. Am 2. und 3. November 1946 wurde daher in Montreal ein besonderer Kongreß abgehalten. Anwesend waren N. H. Knorr, der damalige Präsident der Watch Tower Society, und H. C. Covington, der Rechtsberater der Gesellschaft aus Brooklyn. Bruder Knorrs Schlußansprache hatte das Thema „Was sollen wir tun?“

Spannung lag in der Luft, während die erwartungsvolle und begeisterte Zuhörerschaft der Antwort lauschte, die Bruder Knorr gab, indem er der Öffentlichkeit zum ersten Mal das inzwischen historische Dokument „Quebecs lodernder Haß gegen Gott, Christus und die Freiheit ist eine Schmach für ganz Kanada“ vorlas. Das war ein aufsehenerregendes Traktat! Mit deutlichen und wohlüberlegten Worten verkündigte Bruder Knorr eine Botschaft des Untergangs, Jehovas Anklage gegen die korrupte Verwaltung der Provinz Quebec. Das Traktat enthielt eine offene, schonungslose Darlegung von Tatsachen, die nie bestritten worden sind.

Bruder Knorr kündigte an, daß dieses Traktat vom 15. November 1946 an — nur 12 Tage später — 16 Tage lang in ganz Kanada kostenlos verbreitet werden sollte. Das war ein Aufruf zur Tat!

DUPLESSIS KÜNDIGT „GNADENLOSEN KRIEG“ AN

Schnell wurde das Traktat „Quebecs lodernder Haß“ im ganzen Land verbreitet, auch in Quebec. Nun begann der Rechtskampf in allem Ernst. Duplessis kündigte den Zeugen Jehovas öffentlich einen „gnadenlosen Krieg“ an. Statt der 800 Rechtsfälle hatten wir bald 1 700. Duplessis grub das alte Aufwiegeleigesetz wieder aus, und innerhalb kurzer Zeit lagen über 100 Anklagen wegen Verstoßes gegen dieses Gesetz vor. Wieder begann das ganze Land, den Kampf in Quebec zu verfolgen.

Am 4. Dezember 1946 warf Duplessis in seinem Zorn einen Bumerang, der zurückkam und ihn selbst traf. Er entzog dem Restaurantbesitzer Frank Roncarelli, einem Zeugen Jehovas, ungerechtfertigterweise die Schankkonzession. Über diesen Angriff auf den Lebensunterhalt eines Mannes war die gesamte Geschäftswelt Kanadas aufgebracht. Jeder konnte erkennen, daß in Quebec ein charakterloser Diktator an der Macht war. Prominente Bürger von Montreal hielten eine große Protestversammlung ab.

Während das Land noch gegen die Willkürmaßnahme von Duplessis empört war, warf Jean Mercier, ein katholischer Richter aus Quebec, einen weiteren Bumerang. Er leitete am 17. Dezember 1946 das Verfahren gegen den Sonderpionier John Maynard How, der angeklagt worden war, den Frieden zu stören — eine einfache Anklage aufgrund des Gemeindegesetzes. Richter Mercier verlor jedoch völlig die Selbstbeherrschung. Schlagzeilen schrien: „Richter geißelt Jehovasekte. Fordert lebenslänglich!“ In einem Bericht hieß es: „Mercier sagte, die Polizei von Quebec sei angewiesen worden, jeden bekannten und jeden vermutlichen Zeugen Jehovas bei Erblicken festzunehmen, und verpflichtete sein Gericht, alle Sympathisanten unnachgiebig zu verfolgen.“

Der Mann, der diese Äußerungen machte, war ein Richter, den man für fair und unparteiisch gehalten hatte. Das Verhalten von Männern wie Duplessis und Mercier bewies, daß die Anschuldigungen in dem Traktat „Quebecs lodernder Haß“ völlig berechtigt, ja sogar noch untertrieben waren. Typisch für die Reaktion der Presse waren die folgenden Titel von Leitartikeln:

In Quebec herrscht wieder finsteres Mittelalter (The Toronto Star)

Welch ein Richter! (The Ottawa Journal)

Wiederkehr der Inquisition (The Globe and Mail, Toronto)

Der Geruch von Faschismus (The Gazette, Glace Bay)

Statt vor dem Kampf zurückzuscheuen, veröffentlichten Jehovas Zeugen eine weitere Flugschrift, ein Traktat mit dem Titel „Quebec, du hast dein Volk im Stich gelassen!“ Diese Antwort auf die falschen Anschuldigungen von Duplessis wurde im Januar 1947 verbreitet. Diesmal tat man es bei Nacht, um die ständigen Verhaftungen der Diener Gottes durch die Quebecer Polizei zu vermeiden.

Zur gleichen Zeit spielte sich in der Stadt Quebec ein sehr heißer Rechtskampf ab. Die kleine Pioniergruppe dort — Laurier Saumur, John Maynard How, Gerald Barry und Russell Herbert Headworth — kam so oft vor Richter Merciers Gericht und von dort aus ins Gefängnis, daß die Zeitungen von einer „Schlacht der Haftbefehle“ sprachen. Alle diese Vorgänge gaben der Presse viel Stoff zum Schreiben, so daß die Ereignisse von Quebec ein fester Bestandteil der Tagesthemen der Presse im ganzen Land waren. Viele aufrichtige Menschen bewunderten den unerschütterlichen Stand der christlichen Zeugen Jehovas.

Im Februar 1947 reisten vier Sonderpioniere aus Quebec City — von denen drei gegen Kaution auf freiem Fuß waren — nach Ithaca (New York), um an der neunten Klasse der Wachtturm-Bibelschule Gilead teilzunehmen. Während sie auf der Schule waren, kam der Fall von Laurier Saumur und Gerald Barry vor den Obersten Gerichtshof von Kanada. Das Gericht weigerte sich jedoch aus einem technischen Grund, den Fall anzuhören. Infolgedessen mußte Laurier Saumur die Gileadschule im Juni, vor Abschluß der Ausbildung, verlassen und in Quebec ins Gefängnis gehen, um den Rest seiner Strafe abzusitzen. Diese Abweisung durch den Obersten Gerichtshof bedeutete, daß unsere Fälle wieder an die Gerichte von Quebec verwiesen wurden, wo zu jener Zeit über 1 700 Fälle anhängig waren.

Im Mai 1947 starb Gerald Barry, ein treuer Bruder, dessen Fall ebenfalls vor den Obersten Gerichtshof gebracht worden war. Er war seit 1908 Pionier gewesen und hatte seit 1924 in Quebec gedient. Bestimmt kann man ihn unter die treuen Menschen einreihen, von denen der Apostel Paulus sagte: „Die Welt war ihrer nicht würdig“ (Hebr. 11:38).

WARUM NICHT AM KAMPF FÜR DIE FREIHEIT TEILNEHMEN?

Du hast bisher sicher erkannt, wie mutig und entschlossen Jehovas Volk in der Provinz Quebec war. Dies scheint die richtige Stelle zu sein, von zwei leiblichen und auch geistigen Schwestern zu erzählen, die noch keine zwanzig Jahre alt waren. Sie hatten von der Verfolgung ihrer Glaubensbrüder in Quebec gehört — von den Pöbelaktionen, den Schlägen und den Gefängnisstrafen — und überlegten sich: „Wir sind jung, stark und gesund, ein solches Gebiet wäre für uns geradezu ideal, denn wir wünschten doch, zusammen mit den Brüdern, die schon dort waren, all dem Kampfe um die Freiheit einen richtigen Anteil zu haben.“

So kam es, daß am 1. Mai 1946 zwei junge Pionierschwestern in Montreal eintrafen, begeistert darüber, eine Zuteilung nach Quebec erhalten zu haben. Eine von ihnen, Victoria Dougaluk, schrieb vor einigen Jahren:

„Es dauerte nicht lange, bis uns das widerfuhr, wovon wir früher gelesen hatten. Meine Schwester wurde verhaftet und mußte regelmäßig vor dem Jugendgericht erscheinen, und ich mußte beständig vor dem Stadtrichter erscheinen, bis es diesem zuviel wurde und er mir eines Tages erklärte, ich sei die lästigste Person, die je an diesem Ort erschienen sei. Wir hatten oft Gelegenheit, nicht nur dem Gerichtspersonal, sondern auch anderen Gefangenen Zeugnis zu geben. Das wunderbare Band der Liebe verband die Brüder, die die gleichen Erfahrungen im Gefängnis machten, immer fester. An eine Begebenheit erinnere ich mich noch besonders: Einige von uns wurden gleichzeitig festgenommen; auf Grund einer Kaution wurden dann zuerst die Älteren und jene, die Familien hatten, entlassen. So blieben zwei von uns noch übrig. Sechs Tage vergingen, und wir wußten immer noch nicht, wann wir an die Reihe kämen. Schließlich wurde eine weitere Kaution geleistet, doch nur für eine Person. Die französische Schwester, die bei mir war, sagte: ,Beide oder keine‘ und verzichtete auf die sofortige Freilassung, um bei mir zu bleiben. Ich war ihr dafür so dankbar, daß ich es in Worten gar nicht ausdrücken könnte. Mit der Zeit wurden Jehovas Zeugen sehr geachtet, denn alle Versuche, uns zu entmutigen, schlugen fehl. Die Bemühungen, unseren Eifer zu dämpfen, spornten uns nur noch zu größerer Entschlossenheit an, unser Werk fortzusetzen und in diesem Gebiet nach den ‚Schafen‘ zu suchen.“

WIEDER ANKLAGEN WEGEN AUFWIEGELEI

Mit der Hilfe des Geistes Jehovas und voller Liebe, Glauben, Loyalität und Entschlossenheit sah Gottes Volk in Quebec dem Feind ins Angesicht. Und der Feind hatte den Kampf nicht aufgegeben. Die peinlichen Bloßstellungen in dem Traktat „Quebecs lodernder Haß“ veranlaßten Duplessis, nach weiteren Waffen der Bedrohung und Bedrückung zu suchen. Zusätzlich zu den zahllosen Anklagen wegen Übertretung des Gemeindegesetzes griff er wieder auf die stets parate Anklage wegen Aufwiegelei zurück. Über 100 solche Anklagen wurden 50 Zeugen zur Last gelegt. Diese Fälle wurden in Sherbrooke, Amos, Montreal und St-Joseph-de-Beauce eingeleitet. Als Beweismaterial benutzten die Staatsanwälte die beiden Druckschriften „Quebecs lodernder Haß“ und „Quebec, du hast dein Volk im Stich gelassen!“

Der erste Fall von Aufwiegelei, der vor Gericht kam, war der von Aime Boucher, einem aufrichtigen, sanftmütigen Mann von kleiner Statur, der in den Hügeln südlich von Quebec City auf einer Farm lebte, die er mit seinen Ochsen bebaute. Bruder Boucher war arm an materiellen Gütern, aber reich an Liebe und Glauben. Seine Verhandlung fand im November 1947 in St-Joseph-de-Beauce vor Richter Alfred Savard statt, einem ehemaligen Anwaltspartner des verstorbenen Justizministers Lapointe, der im Jahre 1940 das Verbot erlassen hatte. Richter Savard war uns gegenüber ausgesprochen feindlich eingestellt und äußerte sich vor den Geschworenen sehr voreingenommen. Natürlich gab es einen Schuldspruch.

Das Appellationsgericht von Quebec erhielt den Schuldspruch aufrecht, und so wurde beim Obersten Gerichtshof von Kanada Berufung eingelegt. Dieses Gericht verwies den Fall zurück nach Quebec zur erneuten Verhandlung. Doch Jehova war mit uns, und es wurde uns eine nochmalige Anhörung gewährt — etwas bisher noch nie Dagewesenes. Das Gericht stieß nun sein Urteil um und ordnete einen vollständigen Freispruch an. Da in den Druckschriften der Zeugen Jehovas nicht zur Gewalt aufgehetzt wurde, konnten sie nicht als Aufwiegler bezeichnet werden. Daher mußte jede einzelne von Duplessis erhobene Anklage wegen Aufwiegelei abgewiesen werden. Nicht ein einziger Schuldspruch wurde aufrechterhalten. Jehova hatte sein Volk gerechtfertigt!

Das Urteil im Fall Boucher war wahrscheinlich der wichtigste rechtliche Sieg, den Jehovas Volk in Kanada gewonnen hat. Es entzog dem Angriff von Kirche und Staat auf die Freiheiten der Zeugen Jehovas und aller anderen Kanadier die Grundlage. Außerdem wurde dadurch das Gesetz modernisiert, und alle Standarddefinitionen der Aufwiegelei in diesem Land wurden ungültig. Alle Gesetzbücher mußten geändert werden! Dean Bowker, Leiter der Juristischen Fakultät der Universität von Alberta, erklärte: „Ein Urteil wie im Falle Boucher gegen den König ist soviel wert wie ein Dutzend Erklärungen des Rechts auf Redefreiheit.“

POLIZEIZENSUR AUFGEHOBEN

Die Anklagen wegen Aufwiegelei waren nun alle abgewiesen worden. Das war sehr schön. Aber da war immer noch ein Berg von über 1 600 Anklagen wegen Übertretung des Gemeindegesetzes. Was konnte hier geschehen? All diesen Fällen lag das Bemühen der Behörden von Quebec zugrunde, die Verbreitung sämtlicher Informationen der Polizeizensur zu unterwerfen. Typisch war das Gemeindegesetz Nr. 184 der Stadt Quebec, das wie folgt lautete: „Es ist verboten, auf den Straßen Quebecs irgendwelche Bücher, Flugblätter, Broschüren, Rundschreiben oder Traktate zu verbreiten, ohne zuvor die schriftliche Erlaubnis des Polizeipräsidenten einzuholen.“

Um dieses Zensurgesetz zu überwinden, wurde im Jahre 1947 ein Testfall in Quebec City gestartet. Es wurde darum ersucht, das erwähnte Gesetz für illegal zu erklären. Vor Gericht traten drei Geistliche — ein katholischer Priester, ein anglikanischer Pfarrer und ein jüdischer Rabbiner — als Zeugen für die Stadt Quebec auf. Sie versuchten, den Richter zu überreden, gegen Jehovas Zeugen zu entscheiden. Hier war ein weiterer Beweis dafür, daß Politiker und Vertreter der großen Religionsgemeinschaften vereint waren im Kampf gegen die wahren Diener Gottes.

In diesem Fall, Saumur gegen Quebec, wurde ebenfalls Berufung vor dem Obersten Gerichtshof von Kanada eingelegt. Die Verhandlung dauerte sieben Tage. Am 6. Oktober 1953 entschied das neunköpfige Gericht mit fünf zu vier Stimmen zugunsten der Zeugen Jehovas. Durch den Sieg in diesem Fall wurden die Hunderte von Fällen, bei denen es um Verstöße gegen das Gemeindegesetz ging und die noch bei den Gerichten von Quebec anhängig waren, zu Ende gebracht. Die Entscheidung im Falle Saumur wird in Kanada ebenfalls als ein bedeutendes Urteil zum Nutzen des gesamten kanadischen Volkes angesehen.

Ein Kolumnist war von dieser großartigen Entscheidung so beeindruckt, daß im Toronto Telegram folgende Bemerkungen erschienen:

„GLEICHES RECHT FÜR ALLE

Das Urteil des Obersten Gerichtshofs von Kanada im Falle Saumur sollte mit einem großen Freudenfeuer gefeiert werden, einem Freudenfeuer, das eines großen Anlasses würdig ist. Wenige Entscheidungen in der Geschichte der kanadischen Rechtsprechung können wichtiger gewesen sein. Wenige Gerichte können Kanada einen besseren Dienst erwiesen haben als dieses. Niemandem sind Kanadier, die ihr Erbe der Freiheit schätzen, mehr verpflichtet. ... Die Befreiung kann nicht mit den Freudenfeuern gefeiert werden, die sie verdient.“

Interessanterweise bat das Zweigbüro in Kanada zu der Zeit, als dieser Fall vor Gericht kam, alle Brüder, wegen des Ausgangs der Angelegenheit zu Jehova zu beten — so viel hing von einer günstigen Entscheidung in diesem Fall ab! (1. Tim. 2:1, 2). Der schließliche Ausgang zeigt, daß der „Hörer des Gebets“ seine Hilfe nicht versagte (Ps. 65:2). Ja, „das Flehen eines Gerechten hat, wenn es wirksam ist, viel Kraft“ (Jak. 5:16).

DUPLESSIS’ LETZTER VERSUCH

Nun waren alle Gesetze, die Duplessis zur Verfügung standen, von Jehovas Zeugen zu Fall gebracht worden. Aber er war noch nicht am Ende. Im Januar 1954 setzte er in der gesetzgebenden Körperschaft von Quebec ein neues Gesetz durch, von dem er behauptete, es werde den Tätigkeiten der Zeugen Jehovas ein Ende bereiten. Dieses Gesetz, das als „Bill 38“ bekannt ist, trat am 28. Januar 1954 um 17 Uhr in Kraft. Doch schon am nächsten Morgen um 9 Uhr stand der Anwalt der Zeugen Jehovas an der Tür des Gerichtsgebäudes, um die Gültigkeit des neuen Gesetzes anzufechten und eine einstweilige Verfügung gegen die Anwendung des Gesetzes zu fordern.

Der Rechtsstreit um die „Bill 38“ zog sich über einen Zeitraum von 10 Jahren hin, und die Verhandlung war außerordentlich interessant. F. W. Franz (jetzt der vierte Präsident der Watch Tower Society) kam nach Quebec und machte als sachverständiger Zeuge einige wunderbare Aussagen zur Rechtfertigung Jehovas und seines Volkes.

Der Anwalt der Zeugen Jehovas rief einen besonders unwilligen Zeugen auf: Maurice Duplessis! Er war empört, daß er gezwungen worden war, aufgrund einer förmlichen Zeugenladung vor Gericht zu erscheinen. Zweieinhalb Stunden lang nahm Glen How diesen arroganten, bissigen kleinen Mann ins Kreuzverhör, was Duplessis durchaus nicht behagte.

Zur gegebenen Zeit lehnte es der Oberste Gerichtshof von Kanada ab, eine Entscheidung hinsichtlich der Gültigkeit des Gesetzes zu fällen, und zwar aus dem technischen Grund, daß Jehovas Zeugen geklagt hatten, bevor die „Bill 38“ je gegen sie angewandt worden war. Doch wenn die Behörden jemals von diesem Gesetz Gebrauch machen würden, wäre der technische Grund, der für die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ausschlaggebend war, hinfällig. Seit 1954 ist die „Bill 38“ unwirksam geblieben. Sie ist noch nie angewandt worden. Duplessis hatte seinen letzten Versuch unternommen!

Im Jahre 1959 erlebte Duplessis die Schande, der erste Premier in der Geschichte des Britischen Reiches zu sein, der gezwungen wurde, einen Bürger persönlich für etwas zu entschädigen, was er ihm in Ausübung seines Amtes angetan hatte. Der Oberste Gerichtshof von Kanada verlangte von ihm, Bruder Frank Roncarelli Schadenersatz in Höhe von 50 000 $ wegen der Entziehung der Schankkonzession zu zahlen. Kurz nach dieser letzten Enttäuschung starb Duplessis.

Duplessis hätte sich bestimmt viel Ärger ersparen können, wenn er auf den guten Rat Gamaliels gehört hätte. Dieser Gesetzeslehrer hatte gesagt: „Steht ab von diesen Menschen, und laßt sie gehen ...; andernfalls mögt ihr vielleicht als solche erfunden werden, die in Wirklichkeit gegen Gott kämpfen“ (Apg. 5:38, 39).

ÄUSSERUNGEN DER WERTSCHÄTZUNG

Viele kanadische Rechtsgelehrte erkennen an, daß Jehovas Zeugen einen ausgezeichneten Beitrag zur Rechtsprechung und für die Freiheit in diesem Land geleistet haben. Frank Scott, ehemaliger Dekan an der Juristischen Fakultät der McGill-Universität, sagte folgendes über die Fälle der Zeugen Jehovas: „Wir sollten dankbar sein, daß wir in unserem Land einige Opfer staatlicher Unterdrückung haben, die für ihre Rechte eintreten. Ihr Sieg ist ein Sieg für uns alle.“ Ferner sagte er: „Fünf der Opfer, deren Fälle im letzten Jahrzehnt vor den Obersten Gerichtshof von Kanada kamen und sehr zur Klärung unseres Gesetzes beigetragen haben, waren Zeugen Jehovas.“

In der Zeitschrift Faculty of Law Review (Universität Toronto) bezeichnete ein anderer Rechtsgelehrter Jehovas Zeugen als „die Gruppe, die am meisten zur Stützung der Bürgerrechte beigetragen hat“. Ivan C. Rand, ein früherer Richter am Obersten Gerichtshof von Kanada, äußerte sich wie folgt, als er einige unserer Fälle beschrieb: „Wölfe kämpfen in Rudeln, aber der Löwe kämpft allein.“

Aus diesen Äußerungen anerkannter Autoritäten geht deutlich hervor, daß Jehovas Zeugen als eine Minderheit mit geringen Erfolgschancen durch ihr mutiges Auftreten einen bedeutenden Beitrag für die Freiheit in Kanada geleistet haben. Ihr Sieg ist ein Sieg für die Freiheit des kanadischen Volkes. Durch die Fälle der Zeugen Jehovas ist die Religions-, Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit geschützt worden.

Ja, Jehovas Zeugen sind dankbar, daß ihr öffentliches Auftreten vor Gericht zu einem Zeugnis ausgeschlagen ist und daß sie dadurch zur „Verteidigung und gesetzlichen Befestigung der guten Botschaft“ in Kanada beigetragen haben (Mark. 13:9; Phil. 1:7). Doch besonders sind die Zeugen dem großen Gesetzgeber, Jehova, dankbar, der sein Volk stets unterstützt hat. Es ist so, wie Hiskia einst sagte: „Seid mutig und stark. ... Mit ihm [dem König von Assyrien] ist ein Arm aus Fleisch, aber mit uns ist Jehova, unser Gott, um uns zu helfen und unsere Schlachten zu kämpfen“ (2. Chron. 32:7, 8).

VORAN IN DIE 1960ER JAHRE!

Nachdem nun all diese Rechtskämpfe vorüber waren, gingen die kanadischen Christen begeistert in die 1960er Jahre. Im April 1960 wurde Clayton Morrell, der jahrelang als Pionier, Kreisaufseher und als Glied der Torontoer Bethelfamilie gedient hatte, zum neuen Zweigaufseher ernannt. Er hatte nicht nur einen ausgezeichneten Geist und war sehr zugänglich, sondern er war auch ein guter Organisator, der entschlossen war, die ausgezeichnete Arbeit fortzusetzen, die bis dahin geleistet worden war. Damals bestand die Bethelfamilie aus 44 Personen.

Im ganzen Land gab es 6 Bezirke, 61 Kreise und 805 Versammlungen. In jenem Jahr, im Jahre 1960, hatten wir eine Höchstzahl von 38 382 aktiven Königreichsverkündigern. Somit kam in Kanada ein Zeuge auf 465 Einwohner.

Bis zum Juni 1960 waren genügend Gerichtsentscheide zu unseren Gunsten ausgefallen, so daß wir in Quebec unser Zeugniswerk von Tür zu Tür mit Bibeln und biblischen Schriften wiederaufnehmen konnten. Jetzt ging das Werk in dieser Provinz genauso voran wie in allen anderen Teilen Kanadas. Der erste französische Bezirkskongreß der in jenem Sommer in Verdun stattfand, war ein erfreulicher Meilenstein in der Entwicklung der christlichen Tätigkeit in Quebee. Über 3 000 Personen waren anwesend, etwa 1 000 davon Interessierte. Welch ein Wechsel! Der Rechtskampf in Quebec war nahezu vorbei. Der Einfluß und der Widerstand der Priester waren im Schwinden begrüßen. Die französisch sprechenden Königreichsverkündiger übertrafen an Zahl die englisch sprechenden Zeugen in dieser Provinz. In Montreal, der größten Stadt, ging das Wachstum so schnell voran, daß es im Jahre 1959 bereits sieben Königreichssäle gab, in denen 22 Versammlungen untergebracht waren. Mehrere andere Säle wurden in verschiedenen Teilen der Provinz gebaut. Sogar Quebec City sollte einen Königreichssaal der Zeugen Jehovas erhalten.

Am 1. August 1960 wurde in Toronto die erste italienische Versammlung Kanadas gegründet. Zu Beginn war sie nur 40 Verkündiger stark. Doch sie versprach ein schnelles Wachstum. Übrigens gibt es heute in ganz Kanada 33 italienische Versammlungen mit über 2 000 Verkündigern. Wir haben uns sehr gefreut, zu sehen, daß bis heute 14 spanische und portugiesische und 12 griechische Versammlungen sowie 1 chinesische und 1 koreanische Versammlung entstanden sind.

Im Jahre 1960 war somit alles bereit für ein Jahrzehnt intensiver Tätigkeit. Es war im großen und ganzen eine Zeit des Friedens und der geistigen Erbauung.

KÖNIGREICHSDIENSTSCHULE

Am 1. Januar 1961 fand ein bedeutsames Ereignis in Kanada statt: Im Zweigbüro Toronto wurde die erste Königreichsdienstschule eröffnet. Ende August jenes Jahres hatten bereits 151 Aufseher und Sonderpioniere den Kurs abgeschlossen. Viele äußerten ihre Wertschätzung für das, was sie gelernt hatten. Einige sprachen sogar davon, daß sie während des vierwöchigen Kurses ihre Persönlichkeit geändert hätten. Bis zum Jahre 1971 hatten 152 kanadische Klassen die Königreichsdienstschule absolviert, und 3 370 Personen hatten daran teilgenommen. Somit erhielt eine große Zahl von Aufsehern und Sonderpionieren eine ausgezeichnete Schulung, durch die sie für die verantwortungsvollen Zuteilungen in ihren Ortsversammlungen während der 1970er Jahre ausgerüstet wurden.

Durch verbesserte Kurse der Königreichsdienstschule erhielten alle Ältesten der Versammlungen Kanadas in den folgenden Jahren eine gute Schulung. 5 980 Älteste nahmen an dem letzten Kurs im Jahre 1977 teil. Seit ihrer Einführung im Jahre 1961 ist die Königreichsdienstschule wirklich eine entscheidende Hilfe gewesen, um viele für den weiteren Dienst in den Versammlungen und für das Predigtwerk auszurüsten.

DIE BLUTFRAGE

Im Laufe der Jahre hat die Einstellung der Zeugen Jehovas zur Heiligkeit des Blutes in unserem Land sehr ungünstige Reaktionen, ja sogar Feindseligkeit hervorgerufen (Apg. 15:28, 29). 1961 erreichte die steigende Welle der Verständnislosigkeit gegenüber unserer Weigerung, Bluttransfusionen anzunehmen, einen Höhepunkt. Es erscheint uns daher angebracht, an dieser Stelle etwas näher auf die Frage einzugehen.

Viele Zeitungen brachten aufpeitschende Schlagzeilen und veröffentlichten irreführende Erklärungen hinsichtlich der angeblichen Wirksamkeit des Blutes zur Erhaltung der Gesundheit und des Lebens. Seit den 1950er Jahren hatte die Öffentlichkeit so negativ auf unseren Standpunkt in der Blutfrage reagiert, daß die Feindseligkeit, der wir im Königreichspredigtwerk an den Türen begegneten, nur mit der Feindseligkeit verglichen werden kann, der die Brüder in den Vereinigten Staaten während der 1940er Jahre begegneten, als sich viele über die Einstellung der Zeugen Jehovas zum Fahnengruß und zum Krieg aufregten. Hier in Kanada weichen Vernunft und Respekt Gefühlsausbrüchen und sogar drohenden Verwünschungen.

Ein Fall aus dem Jahre 1956 zeigt, wie unverantwortlich die Nachrichtenmedien handeln, wenn sie die Öffentlichkeit aufhetzen und nicht beide Seiten der Angelegenheit hinreichend darstellen. In Hamilton weigerte sich eine 17jährige (die in Ontario als volljährig galt und daher ihre eigene Entscheidung bezüglich ihrer Gesundheit und ihrer Behandlung treffen konnte), eine Bluttransfusion anzunehmen, die die Ärzte dort angeordnet hatten. Man hatte sie im allgemeinen Krankenhaus von Hamilton wegen eines Leidens behandelt, das sie schon seit ihrer Geburt hatte. Sie war bis dahin am Leben geblieben, obwohl man geglaubt hatte, sie werde nach ihrer Geburt nicht lange leben. Daher traf sie eine Entscheidung, die sie für vernünftig hielt: Sie wollte sich weiter behandeln lassen, ohne jedoch biblische Grundsätze zu verletzen.

Sie hatte von einem grundlegenden Menschenrecht Gebrauch gemacht. Doch was geschah nun? Was konnte man am 17. Februar 1956 auf der Titelseite des Toronto Star lesen? Eine Schlagzeile in über 6 cm großen Buchstaben lautete: „MUSS 17JÄHRIGE STERBEN?“ Diesen riesigen Buchstaben — die normalerweise nur für den Ausbruch eines Weltkrieges oder eine andere globale Katastrophe reserviert sind — folgte eine weitere Überschrift: „Zeugin Jehovas verweigert Blut“. Um zu verstehen zu geben, daß dieses junge Mädchen aufgrund der Transfusionsverweigerung sterben werde, wurde sie im Untertitel als „Todeskandidatin“ bezeichnet. Offensichtlich wollte man die Leser in Empörung versetzen, denn im einleitenden Abschnitt des Artikels wurde vorausgesagt, die Entscheidung der Patientin werde wahrscheinlich eine erneute Welle der Empörung in der Stadt auslösen.

Warum war die Zeitung so sicher, daß das junge Mädchen sterben werde? Warum sprach sie von einem „sicheren Tod“ für den Fall, daß sie kein Blut erhalten würde? Weil die Ärzte im Krankenhaus diesen Eindruck vermittelten. Sie erzählten dem Reporter, daß das Mädchen selbst mit Bluttransfusion kaum länger als zwei Jahre leben könne. Als nun Erklärungen dieser Art mit ungenauen Begriffen (wie zum Beispiel „lebenrettendes“ Blut) verbunden wurden, reichte dies aus, um Menschen in Empörung zu versetzen. Weiter hieß es in dem Artikel, das Leben des Mädchens versiege allmählich.

Was geschah aber wirklich mit dieser Zeugin Jehovas? Sie erhielt keine Transfusion und wurde bei guter Gesundheit aus dem Krankenhaus entlassen! Riefen die Ärzte nun bei den Zeitungen an und sagten: „Wir haben eine wunderbare Neuigkeit! Das Mädchen ist wieder gesund. Jeder sollte davon erfahren!“? Nein! Sie sagten kein Wort, als sie entlassen wurde. Hätten sie die Presse informieren sollen? Nun, wie erfuhren denn die Zeitungen von dem Ausgang des Falls?

Die Nachricht von der Genesung des jungen Mädchens und ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus gelangte dadurch in die Zeitungen, daß ein neugieriger Reporter Erkundigungen über ihren Zustand anstellte und herausfand, daß sie nach Hause geschickt worden war. Lobenswerterweise berichtete die Zeitung Toronto Telegram darüber und druckte ein Bild von der lächelnden jungen Zeugin ab zusammen mit dem Kommentar, sie sehe aus wie das blühende Leben. Ja, sie ist heute noch am Leben. Inzwischen hat sie geheiratet und hat jetzt eine eigene Familie.

Wir haben ziemlich viel Platz darauf verwandt, von diesem einen Fall zu erzählen. Er ist aber typisch für die meisten dieser Fälle. Gewöhnlich beginnen Presseberichte mit großer Aufmachung auf der Titelseite und düsteren Vorhersagen. Darauf folgt Empörung und Feindseligkeit unter der Öffentlichkeit. Allmählich setzt sich eine vernünftigere Einstellung durch, wenn unvoreingenommene Ärzte und Juristen die Tatsachen untersuchen. Schließlich, wenn überhaupt, erscheint ein harmloser Bericht auf einer der hinteren Seiten einer Zeitung über die Genesung des Patienten und seine Entlassung aus dem Krankenhaus. Es gibt natürlich auch Ausnahmen, aber diese Reihenfolge der Ereignisse spielt sich immer und immer wieder ab.

DAS BLATT WENDET SICH

Unter denkenden Menschen begann sich jedoch das Blatt zu wenden. Was war die Ursache dafür? An verschiedenen Orten wurden Tatsachen veröffentlicht, durch die die andere Seite der Blutfrage beleuchtet wurde. Zum Beispiel erschien im Oktober 1960 in der Zeitschrift Canadian Bar Journal ein durchdringender, gut fundierter Artikel über die juristischen, medizinischen und religiösen Aspekte in der Frage der Bluttransfusion. Die Zeitschrift Canadian Doctor druckte den Artikel in einer besonderen Beilage zu ihrer Ausgabe vom Dezember 1960 nach und räumte dem Stoff 24 Seiten ein. Dieser prägnante Artikel erreichte Personen, die auf juristischem und auf medizinischem Gebiet tätig waren, Personen, die die Situation günstig beeinflussen konnten.

Am 26. August 1961 erschien in Maclean’s, einer in ganz Kanada erscheinenden Zeitschrift, ein Artikel über das Thema „Drei von vier Bluttransfusionen richten eher Schaden an, als daß sie heilen“. Er war von einem Arzt unter Mitwirkung von Sidney Katz geschrieben worden, einem Journalisten, der sich auf medizinische Artikel spezialisiert hat. In diesem Artikel wurde der Mißbrauch bloßgestellt, der mit unnötigen Transfusionen getrieben wird. Der Artikel war auch eine Hilfe für die Öffentlichkeit, die glauben gemacht worden war, Bluttransfusionen könnten nur nützlich, aber niemals schädlich, ja nicht einmal gefährlich sein.

Am 27. Mai 1961 erschien in der Zeitschrift Canadian Medical Association Journal ein beachtenswerter Artikel von Dr. Max Minuck und Dr. Ronald S. Lambie. Er war betitelt: „Anästhesie und Chirurgie bei Jehovas Zeugen“ und räumte im großen und ganzen mit den Ansichten auf, die viele Ärzte über Jehovas Zeugen haben, zum Beispiel, sie seien eine gefühlsbetonte religiöse Gruppe, mit der man man schwer fertig werden könne, und die Probleme, die in Verbindung mit der Bluttransfusion aufträten, seien allein die Schuld dieser „naiven Menschen“. Im einleitenden Abschnitt wiesen die Verfasser des Artikels auf die eigentlichen Schuldigen hin. Sie schrieben, bei ihren Untersuchungen hätten sie folgende Tatsache festgestellt: „Es bestehen beträchtliche Verwirrung, emotionale Vorurteile, Unduldsamkeit und Unwissenheit nicht nur in bezug auf die Glaubenslehren der Zeugen Jehovas, sondern auch in bezug auf die rechtliche und ethische Verantwortung, die bei ihrer medizinischen Behandlung zum Tragen kommt“ (Kursivschrift von uns). Später in diesem Artikel wiesen Dr. Minuck und Dr. Lambie darauf hin, daß Ärzte sonst in Fällen, in denen keine idealen Bedingungen vorhanden sind, ruhig, objektiv und geduldig an das Problem herangehen und eben das Beste tun, was unter den gegebenen Umständen möglich ist. Darauf fügten sie hinzu:

„Doch im Falle von Jehovas Zeugen ist das Chirurgenteam oft gefühlsbetont, verwirrt und unvernünftig, weil es eher auf die religiösen Ansichten des Patienten Rücksicht nehmen muß als auf physische Gegebenheiten. Jehovas Zeugen sind nicht die einzige religiöse Gruppe, die aus religiösen Gründen bestimmte Bestandteile einer medizinischen Behandlung verweigert. Auch andere Gruppen, wie die Katholiken, verweigern einige Formen medizinischer Behandlung, und wir erkennen ihren Standpunkt an. Genauso sollten auch die Glaubensansichten der Zeugen Jehovas respektiert und toleriert werden.“

Eine solche Haltung steht dem Ärztestand besser an als die Gewohnheit einiger Ärzte, dem Patienten zuerst Versprechungen zu machen und ihm dann doch Blut zu geben mit der Entschuldigung: „Was der Patient nicht weiß, kann ihm nicht schaden.“ Diese Einstellung ist nicht nur unethisch; sie ist auch unehrlich und eine Mißachtung der Rechte anderer. Männer, die sich in 45 Prozent aller Fälle in ihrer Diagnose irren, wie einige Autoritäten behaupten, sollten wirklich etwas bescheidener sein. Und es ist so, wie es ein ausgeglichener Arzt, Dr. Arthur Kelly (ehemaliger Sekretär der Medizinischen Gesellschaft Kanadas), ausdrückte:

„Ärztliche Allwissenheit ist ein sehr seltenes Gut, und die Ansichten von gestern werden durch die neuen Kenntnisse von heute verändert und ersetzt. Wir wollen daher nicht in unserem Stolz arrogant werden und die Unterwerfung des Willens des Patienten fordern. Meiner Ansicht nach sollte eher jemand vor seiner Zeit sterben, als daß wir sein Recht und seine Pflicht als Hüter seiner Gesundheit untergraben sollten.“

In neuerer Zeit hat sich das Verhältnis zwischen Arzt und Patient in der Blutfrage allmählich verbessert. Viele Chirurgen sind mutig genug gewesen, ihre Fähigkeiten anzuwenden und gleichzeitig die aufrichtigen religiösen Ansichten von Patienten, die Zeugen Jehovas sind, zu respektieren. Anfang der 1970er Jahre wurden die größeren Krankenhäuser Torontos besucht, um ein besseres Einvernehmen mit den verantwortlichen Männern dieser Institutionen zu erreichen. Sie nahmen die Zeugen sehr respektvoll auf, auch die Informationen aus medizinischen Zeitschriften, die sie ihnen unterbreiteten und aus denen hervorging, was man ohne Blut tun kann. Die Broschüre der Watch Tower Society mit dem Titel Blut, Medizin und das Gesetz Gottes (1961) war eine große Hilfe, diese Männer sowie viele Ärzte zu erreichen. Interessanterweise haben uns jetzt einige Ärzte gebeten, ihnen weitere Informationen zuzustellen, die wir in medizinischen Zeitschriften finden.

Heute scheint sich die Öffentlichkeit nur noch aufzuregen, wenn es um kleine Kinder geht, von denen Ärzte sagen, sie brauchten eine Transfusion. Die Tatsachen zeigen jedoch, daß Jehovas Zeugen mit ihrem Standpunkt nicht unrecht haben. Gewöhnlich haben ihre Kinder trotz der düsteren Vorhersagen einiger Ärzte überlebt. Dagegen sind in einer Anzahl Fälle Kinder durch Gerichtsbeschluß ihren Eltern weggenommen worden und haben darauf Bluttransfusionen erhalten. Leider sind 12 dieser Kinder nach den erzwungenen Transfusionen ihren trauernden Eltern tot zurückgegeben worden.

Die Artikel jedoch, die in juristischen, medizinischen und anderen Zeitschriften erschienen sind, und das Material, das die Watch Tower Society herausgegeben hat, haben gute Ergebnisse gezeitigt. Glücklicherweise war es auch im Jahre 1960 und 1963 möglich, beim Obersten Gerichtshof von Ontario zu erreichen, daß Jehovas Zeugen das Recht zugesprochen wurde, für sich und ihre Kinder zu entscheiden, welche medizinische Behandlung sie wünschen.

DIE ANGELEGENHEIT KLARGESTELLT

Im Jahre 1970 bemühte sich die Ärzteschaft, die Regierung von Manitoba dazu zu bewegen, ihr die Befugnis zu erteilen, Kindern von Zeugen Jehovas Bluttransfusionen aufzuzwingen. Es wurde die Gelegenheit geboten, vor einem Ausschuß der gesetzgebenden Körperschaft zu erscheinen, um die Gefahren dieses vorgeschlagenen Gesetzes vom Standpunkt der Familie und der guten medizinischen Praxis aus darzulegen. Zwei Mitglieder dieses Ausschusses hatten kurz zuvor einen Angehörigen nach einer Bluttransfusion verloren. Bruder Glen Hows dreistündiger Darlegung vor einem aufmerksamen, sehr respektvollen Ausschuß folgte die Zurücknahme des Gesetzentwurfs. Es war ein gutes Zeugnis gegeben worden, das günstige Reaktionen zur Folge hatte.

Im März 1976 berichtete ein Kronverwalter (amtlicher Leichenbeschauer und Untersuchungsrichter bei ungeklärten Todesfällen) in Verbindung mit einem Verkehrsunfall irrtümlich, eine unserer Schwestern sei gestorben, weil sie keine Bluttransfusion erhalten habe. Es war aber möglich, eine Unterredung mit dem Kronverwalter von Ontario zu führen, einem unparteiischen Mann mit gesundem Menschenverstand. Auf diese Weise ergab sich für Bruder Glen How die Möglichkeit, auf einer Tagung aller Kronverwalter Ontarios zu sprechen. Er wurde gut aufgenommen und konnte allen Anwesenden eine gedruckte Erklärung unterbreiten. Dadurch ist dieser Art von Fällen der Stachel genommen worden, denn sonst könnte der Öffentlichkeit eine falsche Vorstellung vermittelt werden, und Jehovas Zeugen wären einem voreingenommenen Kronverwalter und ungünstigen Empfehlungen aufgrund des Leichenschauverfahrens auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Heute herrscht eine objektivere Ansicht vor.

Etwas Ähnliches ereignete sich, als eine Zeitung berichtete, die Ärztekammer von Ontario plane, neue Richtlinien für die Behandlung von Zeugen Jehovas anzunehmen. Daraufhin wurde der Ärztekammer eine ausführliche Erklärung unterbreitet. Darin wurde gefordert, die Rechte des Patienten weiterhin zu achten, den „ganzen Menschen“ zu behandeln und den Nutzen erfolgreicher Behandlungen ohne Bluttransfusion zu untersuchen. Diese Erklärung hat anscheinend einen beruhigenden Einfluß ausgeübt. Trotzdem scheint in Kanada auf diesem Gebiet ständige Wachsamkeit angebracht zu sein.

LANDESWEITE GÜNSTIGE PUBLICITY

Im Jahre 1977 brachte die kanadische Rundfunkgesellschaft CBC in ihrer Fernsehserie „Access“ eine halbstündige Sendung, die sich hauptsächlich mit der Falschdarstellung der Blutfrage befaßte. Millionen von Zuschauern in ganz Kanada konnten während dieser Sendung drei Personen sehen, die gemäß den Vorhersagen der Ärzte eigentlich hätten „tot“ sein sollen. Doch da waren sie, lebendig und bei guter Gesundheit! Sie oder ihre Eltern erhielten die Gelegenheit, zu erklären, warum sie Schritte unternahmen, um sowohl ihr Leben zu retten als auch ein gutes christliches Gewissen zu bewahren.

Darauf wurden zwei Ärzte interviewt. Einer von ihnen, Dr. C. B. Baker aus Toronto, wurde gefragt, wie viele Operationen am offenen Herzen er ohne Blut vorgenommen habe. Baker antwortete:

„Wir haben bis jetzt insgesamt 37 vorgenommen ...“

„Ohne Blut?“

„Richtig.“

„Ist dies eine schlechtere Behandlungsmethode?“

„Es ist eine bessere Behandlungsmethode. ... Krankenschwestern, die auf der Intensivstation arbeiten, sagen oft: ,Warum behandeln Sie nicht alle Patienten ohne Blut? Es tut ihnen doch gut.‘ “

„Demnach ist es kein Verfahren speziell für Jehovas Zeugen. Es kann wirklich bei jedem Patienten angewandt werden?“

„Ja, und wir wenden es jetzt soviel wie möglich bei anderen an, besonders aufgrund unserer Erfahrung mit Jehovas Zeugen. Wir haben daraus eine ganze Menge gelernt, nämlich daß es Leuten, denen man kein Blut zu geben braucht, viel besser geht.“

Während dieser Sendung wurde auch Dr. Denton Cooley interviewt, der bekannte Herzchirurg aus dem Herzinstitut in Texas. Er berichtete, daß er innerhalb von etwa 20 Jahren über 600 Operationen am offenen Herzen ohne Bluttransfusion durchgeführt habe.

Die Öffentlichkeit war von dieser Sendung tief beeindruckt. Viele Zeugen wurden danach von Leuten angesprochen, die ihnen sagten, sie hätten ihre Einstellung nun völlig geändert. Einige schrieben sogar an CBC und äußerten ihre Wertschätzung dafür, daß durch diese faire Darstellung viele Vorurteile unter der Öffentlichkeit ausgeräumt worden seien. Der Programmleiter sagte später, die erdrückende Zahl der Zuschriften aufgrund des Programms über Jehovas Zeugen mache es unmöglich, sie alle zu beantworten. Er fügte hinzu: „Ich würde sagen, daß Ihr Programm als eine unserer erfolgreichsten Sendungen in diesem Jahr angesehen werden kann.“

Vor kurzem wurde im ganzen Land die Broschüre Jehovas Zeugen und die Blutfrage (1977) verbreitet. Alle Ärzte, Krankenhausleiter, Rechtsanwälte, Richter und Krankenschwestern erhielten ein Exemplar. Die vernünftigen Darlegungen in dieser Broschüre haben günstige Reaktionen hervorgerufen. Viele Ärzte, Krankenhausleiter und Rechtsanwälte bestanden darauf, mehr als die von den Zeugen erbetene Zeit darauf zu verwenden, sich ausführlich über den Inhalt der Broschüre zu unterhalten. Es scheint, daß wir durch die Verbreitung dieser Broschüre in unserem Kampf um die Heilighaltung des Blutes einen Schritt weitergekommen sind.

Über dieses Thema könnte noch viel mehr gesagt werden. Doch wir können diesen Teil des Berichts über die wahre Anbetung in Kanada nicht abschließen, ohne unsere Wertschätzung für die vielen Zeugen zum Ausdruck zu bringen, die fest dafür eingetreten sind, dem Gesetz Gottes hinsichtlich des Blutes zu gehorchen — seien es nun Älteste, Eltern oder andere gewesen. Oft hat dies für sie bedeutet, stundenlang Beschimpfungen und Umstimmungsversuche über sich ergehen zu lassen, während sie schwer krank oder vielleicht sterbend daniederlagen, oder Beleidigungen und Drohungen von Krankenschwestern, Ärzten, Richtern und anderen zu ertragen. Es hat viele schlaflose Nächte gekostet, diejenigen, die eine solche Stellung bezogen, zu trösten und zu stärken, und zahllose Telefongespräche wurden geführt, um einen günstiggesinnten Arzt zu finden, der bereit war, einen schwierigen Fall zu übernehmen. Glaubensbrüder haben Angehörige solcher Kranken in ihre Wohnung aufgenommen, sie verpflegt und sonstwie für sie gesorgt. Wir können auch nicht den Glauben der Eltern vergessen, die die schreckliche Erfahrung durchgemacht haben, daß ihnen ein Kind weggenommen wurde, damit ihm eine Bluttransfusion aufgezwungen werden konnte. Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben.

Es wäre auch nicht richtig, die Freundlichkeit, Rücksichtnahme und Liebe unerwähnt zu lassen, die viele Krankenschwestern, Ärzte und Richter in einer Anzahl von Transfusionsfällen in Kanada bekundet haben. Ihr Mitgefühl wird nicht vergessen werden. Und komme, was da wolle: Jehovas Zeugen in Kanada werden weiterhin zu ihrem himmlischen Vater um Hilfe aufblicken, während sie an ihrem Entschluß festhalten, sich ‘des Blutes zu enthalten’ (Apg. 15:28, 29).

EINE ZEIT DER STÄRKUNG

Wir nehmen nun unseren Bericht über die 1960er Jahre wieder auf. Im Jahre 1961 fand der Bezirkskongreß „Vereinte Anbeter“ statt, auf dem viel wertvolle Belehrung erteilt wurde. Das englische Programm in Vancouver wurde von 28 952 Personen besucht, und 606 wurden getauft. Während dieses denkwürdigen Kongresses wurde zur großen Freude der Delegierten die vollständige Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift in Englisch veröffentlicht. Auf dem französischsprachigen Kongreß in Ottawa waren 2 242 Personen anwesend und 37 wurden getauft.

Der März 1961 brachte eine weitere Veränderung im Bethel mit sich, denn in jenem Monat starb unser geliebter Bruder Clayton Morrell. Eugene Rosam, der damals die Königreichsdienstschule leitete, wurde als der nächste Zweigaufseher eingesetzt. Er diente etwa vier Jahre lang in dieser Eigenschaft.

In dem Bemühen, das Werk fortzusetzen, das eingeleitet worden war, kam Bruder Rosam an sieben verschiedenen Orten Kanadas mit allen Kreis- und Bezirksaufsehern zusammen. Ein siebter Bezirk wurde eingerichtet. Es wurden auch Bemühungen unternommen, die Tätigkeit auf ein Niveau zu bringen, das es den Königreichsverkündigern ermöglichte, mehr Erfahrung zu erlangen, Fortschritte zu machen und ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Das zeitigte gute Ergebnisse, und im Laufe der Zeit war zu beobachten, daß die Organisation in Kanada stärker wurde.

Aufgrund einer Situation, die mit den Jahren entstanden war, waren einige Männer, die Verantwortung in Verbindung mit unseren Kongressen trugen, in ihrer eigenen Versammlung nicht oder nicht mehr als Aufseher tätig. Das änderte sich jedoch. Alle, die im Jahre 1962 auf den 11 Bezirkskongressen „Mutige Diener Gottes“ (die von 44 711 Personen besucht wurden) und auch auf allen folgenden Kreis- und anderen Kongressen in verantwortlichen Stellungen dienten, mußten Männer sein, die sich in der Ortsversammlung, der sie angehörten, als Aufseher eigneten. Man wollte nur solche Personen in Aufsichtsstellungen haben, die auch die biblischen Voraussetzungen dafür erfüllten.

DIE „AM SCHNELLSTEN WACHSENDE“ RELIGIONSGEMEINSCHAFT

Jehova krönte unsere Anstrengungen mit Erfolg. Er gab das Wachstum. Wir wußten das, aber andere beobachteten es ebenfalls. Zum Beispiel veröffentlichte die Zeitung Windsor Star einen Artikel von Maurice Jefferies aus Ottawa über die Ergebnisse der letzten Volkszählung in Kanada (1961). Der Bericht stimmte mit der Schlagzeile überein: „Jehovas Zeugen wachsen am schnellsten“. Die kurze Meldung lautete: „MELDUNG DES STATISTISCHEN BUNDESAMTES: Der jüngste Bericht über die Religionsgemeinschaften zeigt, daß Jehovas Zeugen die am schnellsten wachsende Gemeinschaft in Kanada sind. Ihre Zahl hat sich im letzten Jahrzehnt von 34 596 auf 68 018 verdoppelt.“

Die hohe Zahl in dem Bericht war auf die Art und Weise zurückzuführen, wie bei einer Volkszählung die „Mitgliedschaft“ in einer Religionsgemeinschaft betrachtet wird. Wie bei anderen religiösen Gruppen wurden die Kinder und die Personen, die mit Jehovas Zeugen die Bibel studierten, dazugezählt. Nichtsdestoweniger war es offensichtlich, daß Jehova unser Werk des Jüngermachens segnete.

Natürlich hatten wir immer noch religiöse Feinde. Im Jahre 1963 wurden drei katholische Priester vor Gericht gestellt, weil einige Hartnäckige sich geweigert hatten, die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs anzuerkennen, durch die in Quebec Rede- und Gottesdienstfreiheit garantiert wurden. Ein Priester wurde wegen Gewaltanwendung verurteilt, und in den beiden anderen Fällen wurde Berufung eingelegt.

IN ENTFERNTE GEBIETE

Trotz der Mehrung und der schönen geistigen Entwicklung stellen wir Mitte der 1960er Jahre fest, daß im Werke des Herrn immer noch reichlich zu tun war (1. Kor. 15:58). Im Jahre 1964 bemühten wir uns daher, Menschen an den entlegensten Orten des uns zugeteilten Gebiets zu erreichen. Viele Briefe wurden an Eskimos im Norden geschrieben, und ihnen wurden 2 930 Schriften gesandt. Es gab einige ermutigende Ergebnisse. Auch war es möglich, zu entlegenen Indianerdörfern im Norden Manitobas zu fliegen. Außerdem wurden Anstrengungen unternommen, die Bewohner der Inseln zu erreichen, die vor der Ostküste Kanadas liegen — die französischen Besitzungen St. Pierre und Miquelon. Christen, die als Touristen dorthin reisten, konnten informell Zeugnis geben und auf diese Weise einigen interessierten Personen die frohe Botschaft bringen. Darauf wurde der Kontakt brieflich aufrechterhalten, um ihr Interesse an der biblischen Wahrheit wachzuhalten.

Diese Tätigkeit in entfernten Gebieten ist fortgesetzt worden. In den letzten Jahren sind viele Flüge und einige Kanufahrten in die nördlichen Regionen unternommen worden. Verschiedene Brüder haben ihr eigenes Flugzeug zur Verfügung gestellt, damit Pioniere diese Gebiete bearbeiten konnten. Die Ergebnisse sind ausgezeichnet. Hunderte von Schriften konnten verbreitet und viele Bibelstudien brieflich durchgeführt werden. Die eifrigen und entschlossenen Jüngermacher, die in diesen Gegenden Zeugnis geben, haben die Indianer, Eskimos, Pelztierjäger und andere nicht übersehen.

Nach vielen Versuchen, unser Werk auf den Inseln St. Pierre und Miquelon in Gang zu bringen, war es dem Zweigbüro der Gesellschaft in Frankreich möglich, ein Sonderpionierehepaar dorthin zu senden. Die beiden dienen in ihrer schwierigen Zuteilung fleißig und treu, und Jehova hat sie gesegnet. Sie selbst eingerechnet, gibt es dort nun fünf Königreichsverkündiger, die den Inselbewohnern Zeugnis geben, und es werden regelmäßig Zusammenkünfte abgehalten.

Da wir gerade von entlegenen Regionen sprechen, sollten wir erwähnen, daß es im Dienstjahr 1965 für passend erachtet wurde, das Yukon-Territorium, obwohl es ein Teil Kanadas ist, an das Zweigbüro der Gesellschaft in Alaska abzutreten. Aufgrund der Zufahrtsstraßen und der geographischen Lage erschien uns diese Entscheidung ratsam. Von Alaska aus kann das Königreichspredigtwerk dort besser durchgeführt und beaufsichtigt werden.

Anfang 1965 wurde es aus gesundheitlichen Gründen nötig, daß Eugene Rosam das Bethel Toronto verließ und wieder den Versammlungen im Lande diente. Leo K. Greenlees wurde aus Brooklyn zurückgerufen, um das Zweigbüro in Kanada zu leiten, und er nahm seine Arbeit im März jenes Jahres auf. Doch im Oktober 1965 kehrte Kenneth A. Little von einer besonderen Schulung in Brooklyn zurück und wurde dann der nächste Zweigaufseher in Kanada.

GUTE FORTSCHRITTE IN QUEBEC

All diejenigen, die bereit waren, Opfer auf sich zu nehmen, um in entlegenen Gebieten Zeugnis zu geben, bekundeten einen ausgezeichneten Geist. Doch auch in anderen Gebieten war Hilfe nötig, und es fanden sich kanadische Christen, die bereit waren einzuspringen. So war für Quebec 1968 das Jahr, in dem viele Einzelpersonen und Familien den Aufrufen im Königreichsdienst (kanadische Ausgabe) und den Anregungen der Bezirksaufseher nachkamen und aus anderen Teilen Kanadas nach Quebec zogen, um den Brüdern dort zu helfen, die „gute Botschaft“ in Französisch zu verkündigen.

Einige Jahre lang führte die Gesellschaft in Montreal von Zeit zu Zeit einen Kurs durch, um Sonderpionieren, die nach Quebec gesandt wurden, Französisch beizubringen. In dieser Zeit entwickelten unsere Brüder ein einzigartiges Lehrsystem, um die französische Umgangssprache in kurzer Zeit zu lehren. Man konzentrierte sich dabei auf die Ausdrücke, die Jehovas Zeugen für ihr Predigtwerk und für die Teilnahme an den Zusammenkünften benötigten. Im Laufe des Kurses wurde ein typischer Tag im Leben einer Person behandelt, und es wurden die Sprachkenntnisse vermittelt, die jemand benötigt um durch den Tag zu kommen. Die Unterweiser stellten mit einigen Gehilfen aus dem Alltag gegriffene Situationen dar und verlangten von den Teilnehmern, die französischen Ausdrücke anzuwenden, die sie für jede Situation benötigten. Auf diese Weise wurde mehr Nachdruck auf das gesprochene als auf das geschriebene Französisch gelegt, so daß die Teilnehmer es lernten, in dieser Sprache zu denken. Täglich gab es acht Stunden Sprachunterricht. Die Länge des Kurses schwankte zwischen vier und sieben Wochen. So haben über 1 000 Personen Französisch gelernt, um ihr wichtiges Werk in Quebec durchführen zu können. Darunter sind viele Zeugen, die einzig und allein zu dem Zweck in die Provinz gezogen sind, um dort die „gute Botschaft“ zu verkündigen.

Dieser vortreffliche Geist der Hilfsbereitschaft war bemerkenswert. Da nun so viele Zeugen nach Quebec gekommen waren, um dort zu helfen, konnte im Jahrbuch 1970 berichtet werden: „Wir sind in Kanada alle davon begeistert, wie das Predigtwerk in der französischsprachigen Provinz Quebec voranschreitet.“ Und wie waren die Ergebnisse? Nun, die Menschen reagierten günstig. Zum Beispiel las eine Person die französische Ausgabe des Buches Die Wahrheit, die ewigem Leben führt in nur drei Stunden durch und erklärte, dies sei wirklich die Wahrheit.

KONGRESS „FRIEDE AUF ERDEN“

Als die 1960er Jahre zu Ende gingen, erlebten wir ein besonderes geistiges Festmahl — den internationalen Kongreß „Friede auf Erden“, der auf den Pacific National Exhibition Grounds in Vancouver stattfand. Mit einer Anwesendenzahl von 65 609 stellte diese Veranstaltung einen neuen Rekord für kanadische Kongresse dar. Das Jahrbuch 1970 berichtete:

„Eine Person, die an die in Vancouver erscheinende Zeitung Sun schrieb und deren Kommentar in dieser Zeitung veröffentlicht wurde, sagte: ,Ich wohne seit mehr als vierzig Jahren in dieser Stadt, und zwar in der Nähe des PNE-Geländes. Ich möchte dem internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas meine Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Eine ordentlichere, rücksichtsvollere Menschenmenge ist in dieser Gegend nie zuvor zusammengekommen.‘ ...

In Vancouver waren Delegierte aus dreißig Ländern vertreten. Ein Fernsehkameramann, der Bilder von dieser großen Menschenmenge und der Tätigkeit im Stadion aufnahm, sagte: ,Was mich am meisten beeindruckt hat, ist die Tatsache, daß ich in einer Menschenmenge von über 50 000 Personen nicht ein einziges Mal gestoßen oder geschoben worden bin.‘ “

WERTSCHÄTZUNG FÜR CHRISTLICHE PUBLIKATIONEN

Im Laufe der der Jahre haben viele Personen ihre tiefe Wertschätzung für unsere biblischen Publikationen zum Ausdruck gebracht. Einige dieser Publikationen, wie zum Beispiel das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt, hatten nachhaltige Auswirkungen auf das Königreichspredigtwerk in diesem Land. Auch das Buch Hat sich der Mensch entwickelt, oder ist er erschaffen worden? (1967) ist in Kanada sehr gut angekommen. Ein Jahr nach seiner Veröffentlichung waren bereits über 64 000 Exemplare in die Versammlungen versandt worden. Die Öffentlichkeit fand wirklich Gefallen an diesem Buch. Einige Kreisaufseher und Pioniere konnten an manchen Türen zwei oder drei Exemplare abgeben. Eines Tages kamen ein katholischer Priester und zwei junge Männer in das Zweigbüro Toronto, um sich einige Exemplare dieses Buches zu beschaffen. Als der Priester das Buch in einer Auslage sah, rief er aus: „Da ist es! Das ist das Buch!“ Anscheinend hatte ihm ein Bischof aus Südafrika, der ihn besucht hatte, sehr empfohlen, sich ein Exemplar dieser zum Nachdenken anregenden Publikation zu beschaffen.

Bemerkenswert waren auch die Äußerungen, die ein Zeitungsredakteur in Trenton (Ontario) Ende der 1960er Jahre machte. Über die Publikationen, die er von uns erhalten hatte, schrieb er:

„Unter der Fülle interessanter Publikationen kommen einige regelmäßig von der Wachtturm-Bibelgesellschaft, die besser unter dem Namen Jehovas Zeugen bekannt ist. Dies ist eine Organisation, die jedermanns Respekt verdient. Die Zeitschriften sind gut geschrieben und zeugen von gründlicher Nachforschungsarbeit. Und ganz abgesehen von den besonderen religiösen Theorien, die die Gesellschaft vertritt und mit denen viele nicht einverstanden sein mögen, befaßt sie sich mit jedem Bereich des menschlichen Lebens und der Welt, die Gott dem Menschen gab. Sie tritt für biblische Grundsätze ein und vermittelt ihren Anhängern Begriffe wie Ehre, Reinheit, Nächstenliebe und tadelloses Benehmen. Die heutige Welt, die durch die Verirrungen der sogenannten Freiheit gespalten ist, täte gut daran, diese Publikationen zu lesen.

Die Ansichten, die auf dem Gebiet der Moral und Ethik vertreten werden, sind in jeder Hinsicht unanfechtbar. Es gibt auch andere gute Publikationen. Wir sind dankbar, daß die Ideen, die gedruckt werden, seien sie neu oder alt, größtenteils vernünftig sind. Doch insgesamt betrachtet, heben sich die Wachtturm-Publikationen von den meisten anderen durch ihren vernünftigen Standpunkt und ihre gründlichen Abhandlungen ab. Anderen Herausgebern, die weniger erfolgreich sind, mag es zu denken geben, daß die Argumente für die Verhaltensmaßregeln, die in diesen Publikationen befürwortet werden, immer mit einer Begründung verbunden sind. Willkürliche Regeln werden heutzutage abgelehnt. Hier haben wir wenigstens Publikationen, die stichhaltige Gründe für irgendeine Verhaltensweise angeben. Sie sind ein erfrischendes Tonikum inmitten einer Generation, die sextoll geworden ist und die ihre Publikationen mit Sex beschmutzt hat.“

WACHSTUM IN DEN 1970ER JAHREN

Als wir in die 1970er Jahre eintraten und auf die vergangenen 90 Jahre zurückblickten, in denen Jehovas Zeugen in diesem Lande als Lichtträger gedient haben, waren wir begeistert. Was würde ein volles Jahrhundert der Königreichspredigttätigkeit hervorbringen? Die Ausdehnung und die Mehrung setzten sich bis in die 1970er Jahre fort.

Das Dienstjahr 1970 brachte sieben Verkündiger-Höchstzahlen mit sich, davon sechs aufeinanderfolgende. Im Dezember 1969 überschritt Kanada zum ersten Mal die 45 000-Verkündiger-Grenze. Der Höhepunkt des Dienstjahres war eine sehr ermutigende Zahl von 46 808 Verkündigern im Mai 1970.

Doch wie ging es in den darauffolgenden Jahren voran? Nun, was bisher in den 1970er Jahren geschehen ist, überzeugt uns davon, daß Jehova innerhalb unserer Generation das Werk zu einem erfolgreichen Abschluß bringen wird. Beachte bitte die Zunahmen, die aus dieser Tabelle hervorgehen:

Die Zunahme ist offensichtlich, nicht wahr? Ja bestimmt, und die Zahl der Gedächtnismahlbesucher läßt darauf schließen, daß noch ein großes Wachstum möglich ist: Im Jahre 1978 waren in Kanada fast doppelt so viele Personen anwesend, wie es dort Königreichsverkündiger gibt.

Woher kommen all diese Menschen? Hauptsächlich sind es einfache, demütige Menschen, die auf das hören, was sie aus Gottes Wort lernen. Viele von ihnen sind von den Organisationen der falschen Religion enttäuscht, in denen die Bibel und ihre gerechten Grundsätze herabgewürdigt werden. Sie erkennen, daß die Christenheit Woche um Woche nur ein leeres Ritual bietet ohne eine Hoffnung und ohne geistige Nahrung. Ein gutes Beispiel dafür ist in einem Bericht über Kanada enthalten, der im Jahrbuch 1971 erschien. Dort hieß es:

„Eine Frau hörte im Rundfunk die Bekanntmachung eines Kreiskongresses, der hundertzwanzig Kilometer entfernt stattfand. Obwohl sie vorher noch nie mit Jehovas Zeugen Kontakt gehabt hatte, fuhr sie mit dem Bus dorthin, um dabeizusein. Auf dem Kongreß besorgte sie sich ein Exemplar des Wahrheits-Buches und eine Bibel, und sie traf einen Pionier, der bereit war, bei ihr vorzusprechen. Als der Pionierbruder zum ersten Bibelstudium dorthin kam, stellte er fest, daß der Herr des Hauses in seiner Nachbarschaft sechsundzwanzig Bibeln bei anderen verbreitet hatte, die ebenso wie er mit der Kirche unzufrieden waren. Nach dem ersten Bibelstudium hörte der Mann auf zu rauchen; nach dem zweiten Studium vernichtete er alle Bilder in seiner Wohnung und bat um ein Wachtturm- und ein Erwachet!-Abonnement. Nach dem dritten Studium fragte er, wie er die Zusammenkünfte der Versammlung besuchen könnte, obwohl sie vierzig Kilometer entfernt abgehalten wurden. Nach weniger als fünf Monaten nahmen der Mann, seine Frau und ihr ältester Sohn von fünfzehn Jahren den Felddienst auf. Es ist ihnen bereits gelungen, ein zweites Ehepaar und dessen zwölf Kinder für die Wahrheit zu interessieren, und diese zweite Familie studiert jetzt und wohnt den Zusammenkünften der Versammlung bei, obwohl sie zu diesem Zweck fünfundsiebzig Kilometer weit fahren muß. Das erste Ehepaar hat das Angebot gemacht, Holz für den Bau eines Königreichssaales in jenem Gebiet zu liefern, und es macht auf dem Wege der Wahrheit Fortschritte.“

WENN DAS FERNSEHEN GOTT EHRT

In den letzten Jahren hat uns das Fernsehen mehrmals die Möglichkeit gegeben, die „gute Botschaft“ hier in Kanada zu verbreiten. Beachte zum Beispiel, was sich im Jahre 1966 ereignete. Im Jahrbuch 1967 wurde darüber berichtet: „Das große Ereignis des Jahres war in Kanada die ausgezeichnete Kongreßserie. Die Brüder wurden mit ihren Bezirksversammlungen ,Gottes Söhne der Freiheit‘ wahrhaft gesegnet. Sie waren auch sehr ergriffen. Die weite Publicity dieser Kongresse von einer Küste zur anderen war außerordentlich. Hervorragend war die Fernsehübertragung, die von siebenundvierzig Stationen, die der Canadian Broadcasting Company (Kanadische Rundfunk-Gesellschaft) abgeschlossen sind, auf Landesebene überall in Kanada ausgestrahlt wurde und ein einzigartiges Programm über Jehovas Zeugen brachte. Außerdem gab es eine weitere Fernsehübertragung mit elf verbundenen Stationen, die ein halbstündiges Programm über Jehovas Zeugen ausstrahlten. So lernte die kanadische Öffentlichkeit durch das Massenmedium Fernsehen wirklich etwas über die Organisation der Zeugen Jehovas kennen.“

Etwas früher in diesem Bericht haben wir eine günstige Fernsehsendung erwähnt, die sich mit der Frage der Bluttransfusion befaßte. Das Fernsehen ist jedoch auch auf andere Weise benutzt worden, um Jehova zu ehren — durch den Gebrauch des Kabelfernsehens. Kabelfernsehgesellschaften, die verschiedenen Gemeinden einen Antennenservice bieten, sind gesetzlich verpflichtet, auch eine Kabelstation zu betreiben und Programme über die Einwohner der Gemeinden zu bringen. Nachdem wir vor etwa fünf Jahren eine Kabelfernsehstation in Toronto benutzt hatten, um einen Bezirkskongreß bekanntzugeben, war die Programmleitung, so sehr von der Qualität der Sendungen begeistert, daß sie um weitere Programme bat.

Auf diese Weise begann eine Serie, die auch heute noch läuft. Anfänglich wurden diese Programme nur von einer einzigen Station ausgestrahlt, doch inzwischen werden sie von 54 Stationen in ganz Kanada verwendet. Bis jetzt sind über 200 Programme produziert worden mit Themen wie: „Freude finden an der Kindererziehung“, „Alkoholismus — ein internationales Problem“, „Die Rolle der Frau in der Religion“, „Unser ehrfurchteinflößendes Universum“ und „Rassenunterschiede — Sind sie von Bedeutung?“ Die meisten dieser Programme sind in Englisch, aber einige sind auch in Italienisch und Französisch produziert worden. Sie sind jeweils eine halbe Stunde lang und werden in Farbe gesendet. Sie werden in Form einer „Talk-Show“ dargeboten und durch Dias und Filme ergänzt. Viele Stationen senden die Programme jede Woche.

Durch diese Sendungen werden Personen erreicht, die in abgeschlossenen Apartmenthäusern leben. Andere, die nicht bereit wären, sich in Sichtweite ihrer Nachbarn mit Jehovas Zeugen zu unterhalten, sehen sich diese Programme ungestört zu Hause an. Wenn wir jetzt in solchen Gebieten Zeugnis geben, öffnen sich uns einige Türen, weil die Menschen aufgeschlossener geworden sind. Viele geben zu, daß sie durch den Inhalt der Sendungen zum Nachdenken angeregt worden sind. Ein anderer Nutzen dieser Programme besteht drin, daß sich eine Anzahl ungläubige Ehepartner, die früher nicht bereit waren, ihrem christlichen Ehepartner zuzuhören, jetzt regelmäßig diese Programme ansehen. Auf diese Weise haben sie erfahren, was Jehovas Zeugen wirklich glauben. Das Ergebnis ist, daß einige ihre Einstellung geändert haben und nichts mehr dagegen haben, daß ihr Ehepartner Zusammenkünfte und Kongresse besucht oder die Kinder biblische Wahrheiten lehrt.

ERWEITERTE RÄUMLICHKEITEN FÜR DAS ZWEIGBÜRO

In dem Maße, wie die Tätigkeit des Predigens und Jüngermachens zunahm, wuchs auch unser Bedarf an Räumlichkeiten für das Zweigbüro. Wir waren daher sehr glücklich, als wir von der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas die Genehmigung erhielten, an unsere Fabrik ein zweistöckiges Gebäude anzubauen und an der Nordseite des Bethelheims einen neuen Königreichssaal zu errichten. Dies war ein sichtbarer Beweis für das Wachstum, das durch den Segen Jehovas bewirkt worden war. Besonders für die Fabrik wurde dringend Platz benötigt. Die Bauarbeiten begannen im November 1974 und wurden im Juni 1975 abgeschlossen. Über 2 000 Besucher kamen am 28. Juni, dem „Tag der offenen Tür“. Am 29. Juni 1975 hielt Bruder N. H. Knorr die Einweihungsansprache.

Der neue Königreichssaal mit seinen freundlichen Farben und der geschmackvoll ausgestatteten Bühne ist für die drei Versammlungen, die ihn benutzen — eine englische, eine italienische und eine spanische —, ein ausgezeichneter Versammlungssaal. Und wir waren froh, 1 500 Quadratmeter für die Fabrik gewonnen zu haben. Auf einmal schienen wir soviel Platz zu haben! Doch innerhalb eines Jahres war der hinzugewonnene Raum bereits ausgefüllt, und wir brauchten noch mehr. Auch im Bethelheim selbst wurde es allmählich eng. Was konnten wir tun?

Die beengte Situation, der wachsende Lärm von der 14spurigen Autobahn neben unserem Grundstück und die zunehmende Verschmutzung durch den Verkehr — all das sprach für eine Verlegung des Zweigbüros. Außerdem konnten wir uns auf unserem bisherigen Grundstück nicht weiter ausdehnen. Daher war die Freude groß, als wir im Februar 1977 die Genehmigung erhielten, das Torontoer Zweigbüro der Gesellschaft zu verlegen.

Damit begann die Suche. Nach etwa sechs Monaten des Suchens und weiteren Monaten des Verhandelns fanden wir ein geeignetes Grundstück in einer neuen Gemeinde in Ontario mit Namen Halton Hills. Der Antrag auf Baugenehmigung wurde im November 1977 eingereicht.

Nun herrschte wirklich eine erregte Stimmung! Viele begeisterte Freiwillige konnten es kaum erwarten, mit der Arbeit zu beginnen. Die hauptsächlichen Bauarbeiten sollten von einem Bauunternehmen ausgeführt werden, aber ein großer Teil der kleineren Innenarbeiten und die Fertigbearbeitung sollten den Dienern Jehovas überlassen bleiben, die liebevoll ihre Zeit und Kraft zur Verfügung stellen würden.

Ohne übertriebenen Wert auf Gebäude zu legen, kann man sagen, daß das neue Zweigbüro ein Beweis für Jehovas Gütigkeit sein wird. Er hat die große Mehrung an Königreichsverkündigern in diesem Land gegeben, und dieses Wachstum hat die vergrößerten Räumlichkeiten nötig gemacht.

GEMEINSAMER TREUER DIENST

Heute sind in Kanada 66 Brüder als Kreisaufseher tätig. Sieben Älteste dienen als Bezirksaufseher. Auch waren im Dienstjahr 1978 1 671 Personen als allgemeine Pioniere und 286 als Sonderpioniere tätig.

An dieser Stelle scheint es angebracht zu sein, etwas über die Vollzeitdiener im Zweigbüro der Gesellschaft hier in Kanada zu erzählen. Gegenwärtig besteht die Torontoer Bethelfamilie aus 105 Männern und Frauen. Sie sind durchschnittlich 37 Jahre alt, aber es gibt auch viele junge Leute unter ihnen. Sie sind durchschnittlich 14 Jahre im Vollzeitdienst tätig. Doch ein vollständigeres Bild über das Alter und die Reife dieser Gruppe mag folgende Darstellung geben: Zwei Mitarbeiter sind jetzt in den Achtzigern, vier in den Siebzigern und elf in den Sechzigern. Jack Nathan hat 54 Jahre in verschiedenen Zweigen des Vollzeitdienstes verbracht. Laura French ist in diesem Dienst 51 Jahre tätig, Janet MacRae 48 und Ralph Brodie 45 Jahre. Siebenundzwanzig weitere sind 20 oder mehr Jahre im Vollzeitdienst tätig. Sieben Glieder der kanadischen Bethelfamilie bekennen sich zu den gesalbten Nachfolgern Jesu Christi. Ganz offensichtlich ist in dieser Familie von Vollzeitarbeitern eine bemerkenswerte geistige Stabilität vorhanden.

Im ganzen Land predigt die große Schar ergebener Versammlungsverkündiger weiterhin eifrig die „gute Botschaft“. Wie großartig ist es für uns alle, gemeinsam treu zur Ehre unseres himmlischen Vaters zu dienen!

INTERNATIONALE KONGRESSE „SIEGREICHER GLAUBE“

Wie zeitgemäß war es doch, daß die internationalen Kongresse des Jahres 1978 unter dem Motto „Siegreicher Glaube“ standen! Nach nahezu 100 Jahren christlicher Tätigkeit gibt es hier in Kanada eine Fülle von Beweisen dafür, daß Jehova uns tatsächlich mit einem weltbesiegenden Glauben gesegnet hat. Und es gab keinen besseren Platz, um dies zu sehen, als in Montreal in der Provinz Quebec. Man stelle sich vor: Nachdem wir früher den lodernden Haß der Behörden zu verspüren bekommen hatten, die es nur darauf abgesehen hatten, uns zu vernichten, war es uns nun möglich, mit den verantwortlichen Beamten der Stadt und der Provinz gut zusammenzuarbeiten. Während es früher nur ein paar Zeugen in der Stadt gegeben hatte, wurde nun ein internationaler Kongreß mit 80 008 Besuchern abgehalten! Die Zeiten haben sich wirklich geändert.

Welche Freude war es, zu sehen, daß das berühmte Olympiastadion mit englischsprachigen Delegierten, das Velodrome mit französischsprachigen Delegierten und auch die anderen Gebäude des Olympiakomplexes voll besetzt waren! Das Programm wurde in sieben Sprachen dargeboten.

Natürlich war das Programm ausgezeichnet. Aber am längsten wird man sich wahrscheinlich an den Freitagvormittag des Kongresses erinnern, als die Bewohner Montreals besucht wurden. Wohin man an jenem Tag auch ging, überall konnte man Zeugen Jehovas sehen, die Hausbesuche durchführten oder an verkehrsreichen Straßenecken standen und Literatur anboten, die besonders zu diesem Zweck gedruckt worden war, oder die Bewohner zum Kongreß einluden. Zeitungsberichte stimmten darin überein, daß Jehovas Zeugen überall zu sehen waren. Ein Radioansager forderte die Menschen auf, den Zeugen zuzuhören und die angebotene Literatur entgegenzunehmen. Er fügte hinzu: „Denken Sie nicht, daß Sie Jehovas Zeugen damit einen Gefallen tun. Sie tun Ihnen einen Gefallen, indem sie Ihnen diese Informationen bringen.“ Und die Bewohner von Montreal reagierten tatsächlich günstig. Sie waren freundlich und aufnahmebereit. Viele der älteren Bürger müssen darüber nachgedacht haben, welch ein Wandel sich doch gegenüber früheren Jahren vollzogen hatte. In dieser Stadt, in der die Zeugen einst belästigt und eingesperrt wurden, waren sie jetzt willkommene Gäste und genossen völlige Gottesdienstfreiheit! Obgleich es einmal sehr schlecht für sie aussah, hat ihr christlicher Glaube triumphiert.

Bedeutete das jedoch, daß die Zeugen nun die veränderten Umstände selbstsüchtig ausnutzen würden? Nein, denn die Polizei von Montreal bemerkte, daß die Zeugen die „disziplinierteste“ Gruppe waren, mit der sie je zu tun hatte. Diese Disziplin kam auch durch die gute Organisation des 45 Hektar großen Wohnwagen- und Zeltlagers zum Ausdruck, das die Brüder eine kurze Strecke vom Olympiastadion entfernt aufgebaut hatten. Dort waren fünf Tage lang 15 000 Delegierte untergebracht.

Für die Stadt war all das ein großartiges Zeugnis. Durch 25 Stunden Sendezeit im Fernsehen und im Rundfunk und durch etwa 500 Artikel in Zeitungen erhielt das Ereignis viel Publicity.

Auch in Winnipeg (Manitoba), Vancouver (Britisch-Kolumbien) und Edmonton (Alberta) fanden internationale Kongresse statt. Insgesamt waren auf den vier Kongressen 140 590 Personen anwesend. 1 226 wurden als Zeichen ihrer christlichen Hingabe an Gott getauft.

JEHOVA SEGNET AUSHARREN IN RECHTEN WERKEN

Der schwache Schimmer geistigen Lichts, der Anfang der 1880er Jahre in Kanada zu leuchten begann, ist so hell wie der Mittag geworden. Aus den wenigen Verkündigern, die es damals gab, sind inzwischen fast 65 000 sehr aktive Verkündiger der „guten Botschaft“ geworden. Allein vom Verbot im Jahre 1940 an bis zum Jahre 1977 betrug die Zunahme in der Zahl aktiver Zeugen über 902 Prozent!

Viel wichtiger als Zahlen ist jedoch der geistige Zustand der kanadischen Christen. Sie haben Mühsale auf sich genommen, Verbote überstanden und unter der Feindseligkeit der Öffentlichkeit ausgeharrt. Wenige haben ihnen in ihrem Kampf um die Redefreiheit beigestanden. Doch heute geben informierte Personen zu, daß Jehovas Zeugen die Macht einer kirchlichen Diktatur in Quebec gebrochen haben und daß durch ihre Rechtskämpfe die Freiheiten aller Kanadier geschützt worden sind. Wie im Fall der ersten Christen setzen Jehovas Zeugen in Kanada zuversichtlich ihr Werk fort, trotz der Einwände, die die Welt haben mag. Sie tun dies im Glauben, wissend daß „die Hand Jehovas“ mit ihnen ist (Apg. 11:21).

Natürlich ist es in diesem Bericht nicht möglich gewesen, alle Personen zu erwähnen, die der Verkündigung der Königreichsbotschaft in Kanada ihr Leben geweiht haben. Die Zeit würde uns fehlen, wenn wir alle Beispiele der Opferbereitschaft und der Hingabe aufführen wollten. Abgesehen von all den Arbeitern, die hier in Kanada dienen, sind 755 Kanadier als Missionare ausgesandt worden. Von diesen sind 198 immer noch im Auslandsdienst tätig, und weitere 130 stehen noch in unserem Land im Vollzeitdienst. All diejenigen, die ausgesandt worden sind, haben wunderbare Vorrechte erhalten.

Ja, die Tätigkeit der Zeugen Jehovas in Kanada während der letzten 100 Jahre ist die begeisternde Geschichte des Glaubens einzelner. Doch was wird die Zukunft bringen? Die Aussichten sind ausgezeichnet. In diesem Land waren 1978 120 060 Personen bei der Feier des Abendmahls des Herrn anwesend. Es hat daher den Anschein, daß die Reihen der Königreichsverkündiger in diesem Land mit Jehovas Segen weiterhin wachsen werden (1. Kor. 3:6-9).

Wir freuen uns, sagen zu können, daß das Zeugniswerk hier vor dem Ende des alten Systems der Dinge verrichtet wird. Im Gehorsam gegenüber den Worten Jesu geht das Werk des Jüngermachens weiter (Matth. 24:14; 28:19, 20). Kanadische Christen haben ihr Licht leuchten lassen, und Zehntausende haben günstig darauf reagiert (Matth. 5:14-16).

Wenn das letzte Kapitel der weltweiten Verkündigung der „guten Botschaft“ geschrieben sein wird, möge Jehova finden, daß die Arbeiter in diesem Bereich des Feldes, der jetzt als Kanada bekannt ist, gut gedient haben, und mögen sie seine Gunst und Anerkennung erlangen. Bereits jetzt können wir Königreichsverkündiger in diesem Land die Wahrhaftigkeit dessen bezeugen, was der Sprücheschreiber sagte: „Der Segen Jehovas — der macht reich, und keinen Schmerz fügt er ihm hinzu“ (Spr. 10:22).

[Übersicht auf Seite 164]

Jahr Verk.-Höchstzahl Vers. Gedächtnismahl-Bes.

1970 46 808 788 93 503

1971 49 204 790 97 518

1972 50 166 797 100 755

1973 52 773 863 104 707

1974 58 452 919 110 847

1975 60 759 979 114 744

1976 62 880 1 011 120 533

1977 63 090 1 033 120 958

1978 61 836 1 035 120 060

[Karte auf Seite 77]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

KANADA

NORDWESTTERRITORIEN

Inuvik

Mackenzie

YUKON

BRITISCH-KOLUMBIEN

Vancouver

Victoria

Pazifik

ALBERTA

Calgary

SASKATCHEWAN

Saskatoon

Regina

MANITOBA

Winnipeg

Hudsonbai

ONTARIO

OTTAWA

New Liskeard

Hamilton

Toronto

QUEBEC

Quebec City

Montreal

NEUFUNDLAND

NEUSCHOTTLAND

Truro

Halifax

Atlantik

[Bild auf Seite 169]

Wie die „gute Botschaft“ früher verbreitet wurde:

mit Wohnautos

mit Booten

mit von Pferden gezogenen „Kombüsen“