Bolivien
Bolivien
BOLIVIEN liegt im Herzen Südamerikas. Das Land weist einige wahrhaft atemberaubende landschaftliche Merkmale auf. Die Gipfel der Anden erheben sich beinahe 7 000 Meter. Etwa 3 800 Meter über dem Meeresspiegel liegt der Titicacasee, der höchste schiffbare See der Erde. Zum Osten hin wird die Landschaft von Bergen mit schroff eingeschnittenen Tälern geprägt sowie von endlosen Savannen, und die Tiefländer sind von Wäldern bedeckt.
Der Altiplano oder das Hochland ist eine ausgedehnte Hochebene im Westen, die sich zwischen zwei Gebirgszügen erstreckt. Ihre Höhe beträgt im Durchschnitt 3 800 Meter. Es handelt sich um ein kaltes, steiniges Gebiet mit spärlicher Vegetation. Obwohl es unwirtlich erscheint, ist es doch die Heimat des Lamas, des Alpakas und des Kondors; außerdem ist es dicht bevölkert. Zwei Drittel der 6 400 000 Bewohner Boliviens sind dort zu Hause. Die übrige Bevölkerung hat sich in den Tälern und in den
warmen, feuchten Tiefländern des Nordens und des Ostens angesiedelt.DAS STREBEN NACH MACHT UND REICHTUM
Etwa in der Mitte des 15. Jahrhunderts drangen Armeen des Inkareiches in das bolivianische Hochland ein und zwangen den Bewohnern sozusagen eine neue Kultur auf. Im darauffolgenden Jahrhundert entrissen die Spanier den Inkas die Macht. Die spanischen Eroberer trachteten nach Reichtum, und in Bolivien fanden sie sagenhaft reiche Silber- und Goldvorkommen. Eingeborene wurden zu Zwangsarbeit herangezogen, und aus Afrika brachte man Sklaven herbei, um das Silber, auf das man in Potosí stieß, abzubauen. Etwa in der Mitte des 17. Jahrhunderts war Potosí mit einer Bevölkerung von über 150 000 die größte Stadt auf dem amerikanischen Kontinent.
Mit den Spaniern kam auch die römisch-katholische Religion. Sie wurde vielen aufgezwungen und diente als ein Mittel, die Bevölkerung zu unterdrücken. Die neue Religion duldete und übernahm jedoch viele der früheren Bräuche und Glaubensansichten der Inkas. Diese beteten die Sonne, den Mond und „Mutter Erde“ an, die sie Pacha Mama nannten.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts führten Bemühungen, die Fremdherrschaft abzuschütteln, zur Unabhängigkeit Boliviens. Simón Bolívar wurde zum „Befreier“ proklamiert, und das Land wurde nach ihm benannt. Seither hat es unzählige Regierungswechsel gegeben.
Der starke Einfluß dieser Vergangenheit zeigte sich in der Reaktion der Menschen in Bolivien, als sie mit der guten Botschaft von Gottes Königreich in Berührung kamen.
DIE BIBLISCHE WAHRHEIT ERREICHT BOLIVIEN
Pionierverkündiger der Zeugen Jehovas hatten zwar
bereits in Bolivien gepredigt, doch erst ab Oktober 1945 wurde das Werk der Verkündigung des Königreiches regelmäßiger durchgeführt. Damals kletterten Edward Michalec und Harold Morris, Absolventen der 3. Klasse der Wachtturm-Bibelschule Gilead, aus einem kleinen zweimotorigen Flugzeug. Sie waren gerade auf dem höchsten Zivilflugplatz der Welt in einer Höhe von 4 110 Metern gelandet. Das Sonnenlicht erschien ihnen ungewöhnlich hell, und der Himmel war tiefblau. Sie spürten augenblicklich die Wirkung der dünnen, frischen Luft, denn es war schwieriger, genügend Sauerstoff aufzunehmen.Als sie auf ihrer Fahrt in einem Kleinbus den Flugplatz hinter sich ließen, waren sie von dem Blick auf La Paz überwältigt, das in einem Becken etwa 460 Meter tiefer vor ihnen lag. Die Stadt schien mit Silberspänen bedeckt zu sein. Es waren Tausende von Metalldächern, die das Sonnenlicht reflektierten. La Paz war ein Labyrinth von engen Straßen und winkligen Gassen. Aufgelockert wurde das Bild durch hoch aufragende Eukalyptusbäume, die in Gruppen angepflanzt waren. Das war also ihre Missionarzuteilung.
Auf dem Weg zur Stadt kamen ihnen auf der schmalen Straße überfüllte Busse entgegen; die Menschen hingen in Trauben an den Türen. Bei näherem Hinsehen fiel den Missionaren die bronzefarbene Haut, die dunklen Augen und das tiefschwarze Haar dieser Menschen auf. Die Männer hatten abgetragene Anzüge oder Pullover an und trugen wollene Zipfelmützen mit Ohrklappen. Die Frauen schmückten sich mit den typischen „Melonen“ (Hüte), gestrickten Schals und trugen mehrere lange Röcke übereinander. Einige hatten ein buntgestreiftes, deckenähnliches Tuch, das vorn verknotet war, um die Schultern geschlungen. Darin trugen sie ihr Baby auf dem Rücken. Auf den Marktplätzen waren viele cholitas (einheimische Frauen aus La Paz in ihrer typischen Tracht) zu sehen. Sie saßen auf einem Stuhl, umgeben von einem Berg Obst
und Gemüse. Im Stadtzentrum machten die kleinen Häuser aus Lehmziegeln den Häusern im Kolonialstil und modernen Hotels Platz. Weit in der Ferne erhob sich wie eine gemalte Kulisse der majestätische schneebedeckte Berg Illimani.SIE BRACHTEN EINE KOSTBARE GABE
Die Neuankömmlinge waren nicht gekommen, um die Sehenswürdigkeiten Boliviens zu bewundern, noch glichen sie den habsüchtigen Abenteurern und Eroberern der Vergangenheit. Anstatt soviel wie möglich wegzuholen, waren diese Männer mit einer Gabe nach Bolivien gekommen, mit einem Schatz, der weit kostbarer war als Silber und Gold — mit der Wahrheit des Wortes Gottes (Spr. 8:10, 11).
In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft bemühten sich die Missionare um eine Aufenthaltsgenehmigung und um eine Wohnung. Anfangs war es nicht leicht, sich in dieser hügeligen Stadt in 3 700 Meter Höhe zu bewegen. Sie waren oft außer Atem und ihr Herz schlug wie ein Vorschlaghammer, während sie sich abmühten, in gebrochenem Spanisch mit den Menschen Kontakt aufzunehmen. Es war so gut wie unmöglich, alles vorherzusehen, was auf sie zukommen würde.
Von den Erwachsenen konnten 85 Prozent nicht lesen. Zwei Sprachen — Aymará und Quechua — konnte man nicht einmal schreiben. Tausende konnten kein Spanisch, obwohl sie dabei waren, es zu erlernen. Das Mißtrauen gegenüber Fremden war tief verwurzelt. Zu reisen war gefährlich. Die Armut zwang unzählige Menschen, 12 bis 14 Stunden am Tag zu arbeiten. Der Alkoholismus und der Genuß von Kokablättern, deren Anbau gesetzlich erlaubt war, untergrub die Moral vieler. Ehen nach Übereinkunft waren allgemein üblich, und die vorwiegend katholische Bevölkerung steckte tief in heidnischem Brauchtum.
Doch im Laufe der Zeit sollte mit der Hilfe des Geistes Jehovas und seiner Organisation jedes dieser Hindernisse überwunden werden.DIE BIBLISCHE LEHRE MIT WERTSCHÄTZUNG AUFGENOMMEN
Ausgerüstet mit einem Grammophon und auf Schallplatten aufgenommenen biblischen Vorträgen in Spanisch sowie mit einer vollen Literaturtasche, begannen die Missionare in ihrem neuen Gebiet Zeugnis zu geben. In dieser Höhe war es anstrengend, die steilen Straßen zu erklimmen. Die meisten Leute schenkten aber der mit dem Grammophon vorgespielten Botschaft Gehör, und viele nahmen Literatur entgegen. Obwohl einige von ihnen ergebene Katholiken waren, hörte man oft die Äußerung: „Ich bin zwar römisch-katholisch, aber die Priester kann ich nicht leiden.“ Schon nach zwei Monaten führten die Missionare 41 Heimbibelstudien durch.
Einer der ersten, der die Wahrheit in Bolivien willkommen hieß, war Carlos Arraya, ein Buchhalter, der durch seine sanfte Stimme auffiel. Sein Name stand auf der Liste der Wachtturm-Abonnenten, die die Missionare vor ihrer Abreise nach Bolivien erhalten hatten. Er schätzte das Bibelstudium mit den Missionaren, obwohl diese nur über begrenzte Spanischkenntnisse verfügten. Sein geistiger Fortschritt war langsam aber beständig, und im November 1953 symbolisierte er seine Hingabe an Jehova Gott durch die Taufe. Später, als Versammlungsaufseher, tat er sehr viel, um seine Mitzeugen in La Paz zu stärken. Sein schlechtes Augenlicht und sein vorgerücktes Alter haben seine Tätigkeit in letzter Zeit zwar eingeschränkt, doch seine Liebe zu Jehova ist stark geblieben.
INMITTEN VON GEWALT AUF JEHOVA VERTRAUEN
Sieben Monate nach der Ankunft der ersten Missionare trafen vier weitere ein. Die Gruppe bestand aus Alden
Seeyle, seiner Frau Mary, ihrer Schwester Betty Jackson und Elizabeth Hollins.Der Zweite Weltkrieg war ein Jahr zuvor zu Ende gegangen, und Bolivien befand sich in einem politischen Umbruch. Die Furcht vor einem Wiederaufleben des Nationalsozialismus in Südamerika und politische Machtkämpfe führten zu gewalttätigen Demonstrationen und zu vielen Ermordungen. Auch der Präsident des Landes wurde ermordet. Seinen Leichnam hängte man an einen Laternenpfahl vor dem Präsidentenpalast.
Bruder Michalec erinnert sich, daß Blutlachen auf dem Bürgersteig keine Seltenheit waren. Er berichtet: „Eines Tages beobachtete ich von einem sicheren Versteck aus, 2. Chr. 16:9).
wie ein Panzer in den Vorgarten eines großen Hauses fuhr, sein Geschütz auf das Haus richtete und mitten hineinfeuerte! Ich schloß daraus, daß in dem Haus jemand wohnen müsse, den man nicht sehr schätzte.“ Elizabeth Hollins, die später Ed Michalec heiratete, berichtet: „Manchmal war es unmöglich, das Haus zu verlassen. An einem Septembertag ging ich über den Marktplatz zum Bus und sah drei junge Männer an Pfählen hängen. Da ich so etwas noch nie gesehen hatte, stieß ich einen kleinen Schrei aus. Eine Frau fuhr mich mit den Worten an: ‚Wenn Sie diesen Anblick nicht mögen, schauen Sie doch nicht hin!‘ “ Solche Vorfälle führten den Brüdern die Notwendigkeit vor Augen, sich ganz und gar auf Jehova zu verlassen, der sie in jenen gefährlichen Zeiten beschützte (Mitten in dieser unruhigen Zeit schlug das Wort der Wahrheit in demütigen Herzen Wurzeln. So richtete die Watch Tower Bible and Tract Society im September 1946 in La Paz ein Zweigbüro ein, das sich der Königreichsinteressen in Bolivien annahm. Das gemietete Apartment, in dem sich das Zweigbüro befand, diente gleichzeitig als Missionarheim. Einige Monate später, als die erste Versammlung in Bolivien gegründet wurde, fanden in diesem Apartment auch die Zusammenkünfte statt. Es war ein bescheidener Anfang.
EINE FURCHTEINFLÖSSENDE FAHRT ZU DEN YUNGAS
Damals unternahmen Bruder Michalec und Bruder Morris eine Fahrt zu den Yungas. Das sind bewaldete Gebiete mit vielen kleinen Dörfern in den tiefer gelegenen Tälern nördlich von La Paz. Die beiden Zeugen wollten dieses Gebiet für das Königreichswerk erschließen. Als sie mit anderen Reisenden auf den Lastwagen kletterten, ahnten sie allerdings nicht, welch eine gefährliche Fahrt ihnen bevorstand.
Nachdem sie eine Höhe von etwa 4 600 Metern erreicht hatten, fiel die Straße auf einer kurzen, kurvenreichen Strecke Hunderte von Metern ab. Sie führte an steilen Hängen entlang und schien für den Lastwagen zu schmal zu sein. Es gab keine Leitplanken, und an vielen Stellen ging es mehr als 300 Meter steil in die Tiefe. Lassen wir Bruder Michalec selbst erzählen: „Wenn der Fahrer auf eine Haarnadelkurve zusteuerte, setzte er die Geschwindigkeit kaum herab. Verbissen riß er das Steuer herum und schaffte es stets mit knapper Not, ohne zu wissen, ob ein anderes Fahrzeug entgegenkam.“ Diese Möglichkeit und ihre Folgen wagten sich die Brüder nicht auszumalen.
An einem steilen Abhang trat der Fahrer plötzlich auf die Bremse, um nicht einen der riesigen Kondore zu verletzen, der seine Schwingen über die gesamte Straße ausgebreitet hatte. An manchen Stellen war der Berg so steil, daß die Straße gewölbeartig in den Berg hineingebaut war. Die Reisenden mußten sich ducken, um sich nicht an den Felsvorsprüngen zu verletzen. Und als die Fahrt mitten durch einen Wasserfall ging, bekamen die Mitfahrenden im hinteren Teil des Wagens eine Dusche ab.
Diese Kostprobe vom Reisen in den Anden machte den Brüdern klar, daß reisende Aufseher einmal viel Liebe und echtes Interesse an den Brüdern aufbringen müßten, wenn Versammlungen in den Yungas gegründet würden.
Als die beiden Missionare ihren Bestimmungsort erreicht hatten, konnten sie bei den freundlichen Menschen viel Literatur zurücklassen und viel Samen der biblischen Wahrheit aussäen. In den darauffolgenden Jahren sollten diese Samenkörner zum Wachstum blühender Versammlungen beitragen.
REISEN IN ANDERE GRÖSSERE STÄDTE
Kurz nach seiner Rückkehr nach La Paz begab sich Bruder Michalec erneut auf die Reise, und zwar nach
Cochabamba, der zweitgrößten Stadt Boliviens. Diesmal reiste er allein. Er bestieg einen Lastwagen, der mit Orangen beladen war. Behutsam kletterte er auf die Plane, die die Ladung bedeckte, und verteilte seine Länge von 1,80 m so vorsichtig wie möglich, um die Früchte nicht zu beschädigen. Auf einer staubigen, holprigen Straße ging es in Richtung Süden. Die ganze Nacht hindurch führte die kurvenreiche Straße bergab, bis das bezaubernde, liebliche Tal von Cochabamba erreicht war. Die Stadt mit ihren Palmen und modernen Häusern hatte im Gegensatz zu dem kargen Hochland einen besonderen Liebreiz.Die vielen Priester und Nonnen aus dem Ausland, die anscheinend von dem angenehmen Klima angelockt worden waren, übten eine strenge Herrschaft aus. Die meisten Leute reagierten zwar skeptisch auf Bruder Michalec’ Besuche, doch er verspürte die Leitung Jehovas. Er besuchte einen pensionierten Oberst, der unsere Veröffentlichungen
las und offensichtlich von der Wahrheit begeistert war. Am nächsten Tag machten sich Bruder Michalec und dieser Oberst mit ihren Fahrrädern auf den Weg und besuchten einige Personen, mit denen der Oberst über die Bibel gesprochen hatte. Einer von ihnen war Carlos Saavedra, ein Lehrer, der echtes Interesse erkennen ließ und für sich und seine Familie Literatur entgegennahm.Eine Woche später fuhr Bruder Michalec in einem altmodischen Zug nach Oruro, der damals drittgrößten Stadt Boliviens. Sie lag in einer öden, kalten Gegend im Hochland und war der Eisenbahnknotenpunkt für die nahe gelegenen Bergwerksgebiete. Obwohl die Umgebung eintönig war, zeichneten sich die Menschen im allgemeinen durch Demut und Freundlichkeit aus. Bruder Michalec hatte damals allerdings wenig Ahnung von einem teuflischen Brauch, der viele dieser demütigen Menschen gefangenhielt.
Unter denen, die bei dem ersten Besuch in Oruro angetroffen wurden, war auch Raimundo Vásquez, ein Verzinner, der später viele Jahre lang in Oruro als Versammlungsaufseher diente. Bei einem späteren Besuch in demselben Jahr wurde bei einer jungen Dame, Sofia Reynaga (jetzt Flores), ein Bibelstudium eingerichtet. Schon bald erzählte sie anderen von den biblischen Wahrheiten und ließ sich nach kurzer Zeit taufen. Obgleich es ein kleiner Anfang war, wurde 1947 in Oruro eine Versammlung gegründet und im Januar darauf eine in Cochabamba.
Der Fortschritt bei den einzelnen war jedoch unterschiedlich. Sofia Reynaga heiratete einen Mann, der kein Zeuge war. Danach war sie zehn Jahre untätig. Schließlich studierte ein anderer Zeuge die Bibel mit ihr. Sie erhielt die nötige Hilfe, durch die die Wahrheit tief in ihr Herz hinabgetönt wurde. Inzwischen ist sie schon wieder zwanzig Jahre lang ein eifriger Verkündiger des Königreiches
und eine Quelle der Ermunterung für Neue in der Versammlung. Sicher erinnern wir uns an den pensionierten Oberst in Cochabamba, der vielen geholfen hatte. Auch er ließ sich als Zeuge Jehovas taufen, aber erst gegen Ende der 70er Jahre. Andererseits beteiligten sich Carlos Saavedra und seine Frau schon sehr bald am Predigtdienst. Ihre Wohnung wurde der Königreichssaal, und Bruder Saavedra erhielt die Ernennung zum Versammlungsaufseher. Die meisten ihrer Kinder wurden Zeugen Jehovas, und ganze Familien, die schon in der zweiten und dritten Generation Verkündiger der Wahrheit sind, erinnern sich noch an ihr erstes Bibelstudium mit Carlos. Nach 36 Jahren treuen Dienstes starb er im Jahre 1983.BEFREIUNG VON EINEM TEUFLISCHEN BRAUCH
Jahrhundertelang — noch vor dem Eintreffen der katholischen Priester — glaubten die Bergleute hier in Bolivien, der Herrscher der Unterwelt, den sie el tío (wörtlich: der Onkel) nannten, führe die Aufsicht über die Bergwerke. Die katholische Kirche, die diesen Brauch nicht ausmerzen konnte, übernahm ihn und förderte ihn sogar. Aus el tío wurde nun der Teufel, und man lehrte die Bergleute, die „Jungfrau“ um Schutz anzuflehen. Die Verhältnisse in den Bergwerken tragen noch zum Aberglauben bei.
Obwohl am Eingang des Bergwerks Eiszapfen hängen mögen, kann die Temperatur im Innern dieser feuchten Höhlen bis auf +50 °C ansteigen. Die Bergleute arbeiten mit schweren Werkzeugen in dumpfen, feuchten Stollen, in denen der Sauerstoff knapp ist und die mit Staub und giftigen Gasen angefüllt sind. Ihr dunkelgrün gefärbter Mund läßt ihre Abhängigkeit von Kokablättern erkennen, die sie kauen, um das quälende Hungergefühl zu unterdrücken und damit sie sich tatkräftiger fühlen. Diese Verhältnisse und die heidnischen Vorstellungen eines Höllenfeuers ebnen der Teufelsverehrung den Weg.
In fast jedem Bergwerk findet man am Eingang eine kleine Nische für el tío. Dieser Götze mit Hörnern und einem Schwanz wird mit Opfern in Form von Alkohol, Zigaretten und Kokablättern überhäuft. Man hofft, daß sich der Teufel dadurch beeindrucken läßt und die Bergleute vor dem Tod unter Tage beschützt.
Vor und während des alljährlichen Festes, in dessen Mittelpunkt der Teufelstanz steht, geben häufig diejenigen, die es sich am wenigsten leisten können, viel Geld für kostspielige Kostüme, für Kokablätter und Alkohol aus. Auf den Straßen wimmelt es von Teufelstänzern. Der Brauch findet seinen Höhepunkt in der katholischen Kirche von Socavón (Kirche der Bergwerke). Hier wird der „Jungfrau“ mit den Worten gehuldigt: „Wir kommen aus der Hölle und bitten dich, kleine Bergwerksmutter, uns, alle deine Söhne des Teufels, zu segnen.“ Dann zelebriert ein katholischer Priester eine besondere Messe für diese „Söhne des Teufels“. Während der Festtage herrscht ein Chaos — unzählige betrunkene Männer und Frauen, bedeckt mit Schlamm, Konfetti und Mehl, bespritzen sich mit Wasser, singen wild durcheinander und zetteln Schlägereien an. Es herrscht, wie der Apostel Petrus sich ausdrückte, ein „Tiefstand der Ausschweifung“ (1. Pet. 4:4).
Jehovas Zeugen fanden bei ihrer Predigttätigkeit in Oruro und in den Bergwerksgebieten viele aufrichtige Personen, die eine starke Abneigung gegen die abergläubischen Ansichten empfanden und die gottlosen Bräuche, zu denen diese Ansichten führten. Diese Personen freuten sich sehr, den Vorsatz Gottes kennenzulernen, der darin besteht, die ganze Erde in ein Paradies zu verwandeln, in dem Gerechtigkeit herrschen wird. Sie waren dankbar, zu wissen, daß Gottes Wort sagt: „Laßt euch nicht in ein ungleiches Joch mit Ungläubigen spannen. Denn welche Gemeinschaft besteht zwischen Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? Oder welche Teilhaberschaft hat Licht mit 2. Kor. 6:14, 15). Für viele war es ein mühevoller Kampf, sich von den tief verwurzelten abergläubischen Ansichten zu befreien, das Laster des Kokakauens zu überwinden sowie das Rauchen einzustellen und vom Alkoholismus loszukommen. Da ihnen aber geholfen wurde, geistige Freiheit zu erlangen, empfanden sie wie der Psalmist, der schrieb: „[Jehova] hat die Trübsal des Niedergedrückten weder verachtet noch verabscheut; und er hat sein Angesicht nicht vor ihm verborgen, und als er zu ihm um Hilfe rief, hörte er“ (Ps. 22:24).
Finsternis? Welche Harmonie besteht ferner zwischen Christus und Belial [oder Satan]?“ (JEDEM WIRD UNERSCHROCKEN GEPREDIGT
Im Jahre 1949 waren in Oruro 13 Verkündiger eifrig tätig. Einer von ihnen war Seleme Wakin, ein stämmiger Libanese. Er gab Geschäftskollegen, Kunden seines Textilgeschäftes und jedem, der zuhörte, mutig Zeugnis. Eines Tages begann er in seinem Geschäft eine freundliche Unterhaltung mit einem Priester. Seleme fragte: „Herr Priester [seine Art der Anrede], warum verwendet die Kirche Bilder, obwohl die katholische Bibel sie verbietet?“ Der Priester erwiderte: „Ach, nur die ungebildeten Leute in den Bergen, die nicht lesen und schreiben können, beten sie an. Die Gebildeten, Intelligenten unter der Bevölkerung beten die Bilder nicht an. Ihnen dienen sie lediglich als eine Hilfe, Gott anzubeten.“ In diesem Moment betrat eine gut gekleidete Dame aus einer angesehenen Familie das Geschäft. Seleme wandte sich ihr zu und fragte: „Wie betrachten Sie Ihre religiösen Bilder? Beten Sie sie an oder sind sie lediglich eine Hilfe, Gott anzubeten?“ Mit einer schwungvollen Geste erwiderte sie mit Nachdruck: „Ich bete sie an!“
Nach dem Verkauf seines Geschäfts zog Seleme nach La Paz, um seine ganze Kraft als Pionier im Vollzeitdienst
einzusetzen. Bei einer Gelegenheit packte er seinen Koffer voll Bücher und machte sich auf den Weg zu den Kasernen. Er gab viele Bücher bei den Soldaten ab, und diese luden ihn zu einem Essen ein. Ein Priester war ebenfalls eingeladen. Schon bald hatten es die Soldaten so weit gebracht, daß sich beide rege unterhielten. Es zeigte sich eindeutig, wer die bessere Bibelkenntnis hatte, und am Ende der Mahlzeit spendeten die Soldaten Seleme begeistert Applaus.Seleme hatte häufig Gelegenheit, hohen Beamten Zeugnis zu geben und biblische Literatur bei ihnen zurückzulassen. Er wurde sogar vom Präsidenten Boliviens in Audienz empfangen und konnte ihm mutig Zeugnis geben, was wohlwollend aufgenommen wurde.
DER ERSTE BESUCH DES PRÄSIDENTEN DER GESELLSCHAFT
Im März 1949 besuchte N. H. Knorr, der damalige Präsident der Watch Tower Society, zum erstenmal Bolivien. Sein Sekretär, M. G. Henschel, begleitete ihn. Anläßlich dieses Besuches wurde in La Paz ein Kongreß abgehalten. Den ersten Teil des Hauptvortrags hielt Bruder Knorr, den zweiten Teil übernahm Bruder Michalec. Die Anwesendenzahl am Schluß betrug 56. Sogar eine halbe Stunde nachdem alle nach Hause gegangen waren, kamen noch einige! Bei dieser Gelegenheit konnten die Besucher gleich selbst sehen, was mit der hora boliviana (bolivianische Uhrzeit) gemeint ist — eine spaßhafte Anspielung auf das chronische Zuspätkommen der Leute. Aber trotz dieser Gewohnheit beginnen die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas hier genauso pünktlich wie bei ihren christlichen Brüdern in anderen Teilen der Welt.
Nach dem Kongreß wurde liebevoll Rat darüber erteilt, wie das Königreichswerk in Bolivien organisiert und ausgedehnt werden könnte. Weitere Missionare sollten gesandt werden. Es wurde vorgeschlagen, das Zweigbüro
und den Königreichssaal an einen zentraleren Ort zu verlegen. Die Zahl der Anwesenden stieg später merklich an, und die Zahl derer, die sich am Predigtdienst beteiligten, erhöhte sich auf 20 und mehr. Nun richtete sich die Aufmerksamkeit auf die damals viertgrößte Stadt Boliviens.SANTA CRUZ INS AUGE GEFASST
Santa Cruz de la Sierra liegt im östlichen Tiefland, das vom übrigen Land fast völlig abgeschnitten war. Eine unbefestigte Straße bot die einzige Möglichkeit, die Stadt auf dem Landweg zu erreichen. In der Regenzeit konnte eine Fahrt von Cochabamba aus unter Umständen einen Monat dauern. Als weitere Missionare in Bolivien eintrafen, wurden einige Santa Cruz zugeteilt. Unter ihnen befanden sich auch John und Esther Hansler.
Hier im subtropischen Tiefland wächst die totai-Palme und der Papayabaum; es gibt Zitrusgewächse und den eigenartig aussehenden toborochi-Baum mit seinem knorrigen, gewundenen Stamm (man nennt ihn auch palo borracho, was „betrunkener Pfahl“ bedeutet). Die Straßen glichen eher Sand- und Schlammkanälen. Anhaltender
Wind blies einem den Sand ins Gesicht und ins Essen. Am interessantesten jedoch war die Bevölkerung.Während die Menschen im Hochland gewöhnlich reserviert, ernst und Fremden gegenüber etwas skeptisch waren, zeichnete sich die Bevölkerung von Santa Cruz eher durch eine heitere, sorglose und aufgeschlossene Haltung aus. Auch ihre laute, ausgelassene Musik unterschied sich stark von den melancholischen Weisen, die man in den Bergen hören konnte. Es gab manche schlaflose Nacht, wenn auf einer Party die ganze Nacht hindurch eine Blaskapelle spielte.
Die Missionare wurden bei ihrer Zeugnistätigkeit von Haus zu Haus oft hereingebeten, und die Leute hörten manchmal über eine halbe Stunde zu. Die meisten reagierten zwar freundlich, doch zeigten sie kein sonderliches Interesse an den Weltverhältnissen, und sie waren mit ihrem Leben ganz zufrieden. Viele führten ein unsittliches Leben. Und ein etwaiger Religionswechsel hätte den Spott einer Unmenge Verwandter eingebracht. Dennoch war es möglich, nach drei Jahren eine kleine Versammlung zu gründen, und im Laufe der Zeit berichteten 10 Verkündiger. Doch es hatte den Anschein, in Santa Cruz würde sich in theokratischer Hinsicht nicht viel mehr tun. Als dann Schwester Hansler ein Baby erwartete, wurde das Missionarheim geschlossen.
Bruder und Schwester Hansler entschieden sich dafür, in Bolivien zu bleiben. Dies bedeutete natürlich, auf Bequemlichkeiten zu verzichten und mit einer primitiven Unterkunft zufrieden zu sein. Doch sie wurden mit vier gesunden Kindern gesegnet, die alle Diener Jehovas wurden und im Vollzeitdienst gestanden haben oder dieses Vorrecht immer noch wahrnehmen. John und Esther freuen sich, wieder in ihrer ursprünglichen Zuteilung, Santa Cruz, zu dienen, und zwar als Sonderpioniere.
EINE ZEIT DER UMWÄLZUNG
Nach den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts in Bolivien
hatten sich die Missionare an die ständigen politischen Umstürze bereits gewöhnt. Aber im Jahre 1952 rebellierte die Zivilbevölkerung gegen die Regierung, was eine der schrecklichsten Revolutionen auslöste, die das Land je erlebt hatte. Überall in La Paz waren Schüsse, Maschinengewehrfeuer und gelegentlich Sprengstoffexplosionen zu hören. Granaten, die von den Bergen hoch über der Stadt abgefeuert wurden, schlugen in nahe gelegene Häuser ein. Rettungswagen rasten durch die Straßen und nahmen Verwundete und Tote auf. Die Schießereien und Bombenanschläge hielten drei Tage lang an.Diese Ereignisse fielen genau in die Zeit der Vorbereitungen auf das Abendmahl des Herrn. Die Missionare in La Paz konnten sich kaum vorstellen, daß es irgend jemand wagen würde, auf die Straße zu gehen, so daß sie sich darauf einstellten, das Gedächtnismahl allein zu feiern. Wie überrascht waren sie jedoch, daß sich einige trotz des Kugelregens auf den Weg machten und ihr Leben riskierten, um dieser besonderen Feier beizuwohnen!
EIN BEREITWILLIGES HERZ WIRD VON DER WAHRHEIT MOTIVIERT
Als im Jahre 1953 einmal ein Missionar in seinem gebrochenen Spanisch einer Frau Zeugnis gab, näherte sich ihnen ein etwas neugieriger junger Mann, um zuzuhören. Es war Walter Martínez. Der Missionar bat den jungen Mann, der Frau freundlicherweise die Erklärung über den „Zweck des Wachtturms“ vorzulesen. Er tat es, und sie nahm zwei Zeitschriften. In der sich anschließenden Unterhaltung wurde mit Walter ein Bibelstudium vereinbart. Noch in derselben Woche wurde dreimal mit ihm studiert, und am Sonntag war er in der Zusammenkunft.
Zwei Wochen später, anläßlich des Kreisaufseherbesuches in der Versammlung Oruro, bemerkte Walter, daß alle eingeladen wurden, am Predigtdienst teilzunehmen. In spanisch heißt „Predigtdienst“ servicio del campo, und bei dem Wort campo („Land“) dachte er an eine Fahrt ins Grüne mit einem Picknick. „An diesem Sonntagmorgen war ich der erste im Königreichssaal“, berichtet Walter. „Natürlich dachte ich nur an das Picknick.“ Als die anderen eintrafen, wunderte er sich etwas, denn niemand schien etwas zum Essen mitgebracht zu haben, sondern alle besorgten sich Bücher und Zeitschriften. Da er nicht auffallen wollte, kaufte er zwei Bücher und 20 Zeitschriften. Es war ihm schleierhaft, was er damit anfangen sollte. Aber als sie in Richtung Marktplatz gingen, blieb Walter vor Schreck fast das Herz stehen. „O nein!“ dachte er. „Sie werden auf dem Marktplatz singen, wie die anderen evangelischen Gruppen es sonntags morgens tun.“ Er blieb etwas zurück, um unbemerkt zu entwischen; aber es gelang ihm nicht. Wie erleichtert war er doch, als sie den Marktplatz hinter sich ließen und weitergingen! Jetzt sollte er erfahren, was es mit dem servicio del campo wirklich auf sich hatte.
Als sie im Gebiet angekommen waren, sagte der Kreisaufseher zu Walter: „Ich möchte mit dir zusammenarbeiten.“
Schon bald bot Walter die Botschaft begeistert dar, und an diesem Morgen verbreitete er seine gesamte Literatur. Er machte dann rasch Fortschritte, wurde getauft und war glücklich, daß er schließlich den Pionierdienst aufnehmen konnte. Später hatte Walter zusammen mit Jaime Valdivia das Vorrecht, als erster Bolivianer die Wachtturm-Bibelschule Gilead zu besuchen. Beide dienten später in Bolivien als reisende Aufseher.EIN KATHOLISCHES SCHAUSPIEL IN SUCRE
In La Paz befindet sich zwar der Sitz der Regierung Boliviens, doch Sucre ist die verfassungsmäßige Hauptstadt. In dieser Region lebt das Volk der tarabuco. Die Männer tragen helmähnliche Hüte, die denen der spanischen Eroberer gleichen. Sucre war wegen seiner niedrigeren Höhenlage und des angenehmen Klimas schon recht früh eine beliebte Zufluchtsstätte katholischer Einwanderer, die in Potosí arbeiteten. Und Sucre rühmt sich, pro Kopf mehr Kirchen zu haben als irgendeine andere Stadt im Land.
Das katholische Erbe der Stadt hat die Reaktion auf die Königreichsbotschaft hier sehr beeinflußt. Die Priester warnten ihre „Herde“, auf die Zeugen zu hören, und katholische Kinder wurden dazu angehalten, die Missionare bei ihren Hausbesuchen zu belästigen.
Um das Königreichswerk in Sucre zu beleben, wurde 1955 ein Kreiskongreß geplant. Plakate in Schaufenstern kündigten den öffentlichen Vortrag an. Als jedoch der Kongreß näher rückte, verschwanden die Plakate aus den Schaufenstern. Die Ladenbesitzer erklärten, „jugendliche Zeugen“ hätten ihnen gesagt, der Kongreß fände nicht statt, und daher hätten sie die Plakate weggenommen. Offensichtlich waren katholische Jugendliche unter dem Vorwand, Zeugen zu sein, am Werk gewesen. Die Priester versuchten, den Besitzer des Hotels, in dem der Kongreß stattfinden sollte, zum Vertragsbruch zu verleiten. Aber er ließ sich nicht einschüchtern.
Kurz vor Beginn des Kongresses umringten grölende Jungen von der katholischen Schule Sagrado Corazón das Hotel und warfen mit Steinen. Nachdem die Polizei sie zerstreut hatte, kehrte vorübergehend Ruhe ein. Am letzten Tag des Kongresses traten Priester, Frauen der Katholischen Aktion und aufgebrachte Schüler auf den Plan. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hoch oben an der Kirche, hatte man einen starken Lautsprecher angebracht, durch den alle Katholiken aufgerufen wurden, die Kirche und die „Jungfrau“ gegen die „protestantischen Ketzer“ zu verteidigen. Da viele in der Menschenmenge friedlich waren, ergriffen die Brüder die Gelegenheit, ihnen Zeugnis zu geben. Als jedoch der wutentbrannte Bischof von Sucre erschien, nahm die Spannung zu.
Der Bürgermeister und der Präfekt waren bereits eingetroffen und wiesen den Bischof warnend darauf hin, daß er zur Rechenschaft gezogen werde, falls irgend etwas passieren sollte. Nachdem er sich beruhigt hatte, wurde ihm erlaubt, den Saal zu betreten. Man ließ Polizeiverstärkung kommen. Der Hauptvortrag wurde bereits gehalten. Gegen Ende des Vortrags erhob sich ein Priester und bat um Gehör. Bruder Michalec, der als Vorsitzender diente, ging zu ihm und sagte, man würde sich seiner Fragen nach Schluß annehmen. Der Präfekt und der Bürgermeister erklärten einem der Priester, daß sie sich schändlich verhalten hätten, und sagten: „Es ist Zeit zu gehen!“ Auf die Frage des Priesters: „Wen meinen Sie damit — die Leute oder uns?“ antwortete der Präfekt: „EUCH!“ Daraufhin verließen der Bischof, die Priester sowie deren Freunde den Saal, und der Tumult war zu Ende.
Der Präfekt und der Bürgermeister entschuldigten sich bei den Brüdern und versicherten ihnen, daß die Handlungen dieser Fanatiker nicht die Empfindungen der Bürger von Sucre widerspiegelten. Im Laufe der Jahre haben die meisten bolivianischen Beamten eine wohlwollende Haltung Apg. 19:35-41).
gegenüber dem Werk der Zeugen Jehovas erkennen lassen. Die Brüder in Sucre sind davon überzeugt, daß Jehova sie durch diese Beamten beschützt hat, genauso wie er den Apostel Paulus im alten Ephesus bewahrte, als religiöse Unruhestifter gegen ihn und seine Gefährten aufgehetzt wurden (Trotz des günstigen Ausgangs der Sache, ging die Anwesendenzahl bei den Zusammenkünften in Sucre vorübergehend zurück, und es schien, als fürchteten sich die Leute davor, Jehovas Zeugen zuzuhören. Es wurde beschlossen, der Stadt Potosí mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
POTOSÍ SCHÄTZT WAHREN REICHTUM
Potosí bedeutet „großer Reichtum“ oder „reiche Fundgrube“. Die Stadt war jedoch nicht mehr die große Metropole, die sie im 17. Jahrhundert gewesen war. Die Silbervorkommen waren fast erschöpft, und nur wenig erinnerte noch an die glorreiche Vergangenheit.
In der atemberaubenden Höhe von 3 960 Metern erklommen die Missionare die Hügel von Potosí und konnten viel Literatur bei der freundlichen Bevölkerung zurücklassen. Die Reaktion war sehr gut, und schon nach fünf Jahren berichtete eine Versammlung mit 40 Verkündigern.
Im Jahre 1956 begann einer der Missionare, Richard Holman, ein Studium mit der Familie Ibieta. Auch der achtjährige Marco beteiligte sich an dem Studium. Die Familie machte zunächst gute Fortschritte, und alle wurden aktive Verkündiger. Aber im Jahre 1959 verließ die Familie aus unbekannten Gründen die Versammlung. Der kleine Marco vergaß jedoch nie den Eifer, den Bruder Holman hatte, der stets pünktlich zum Studium erschien, selbst wenn es abends kalt und regnerisch war. Einige Jahre später nahmen Marco und sein jüngerer Bruder das Bibelstudium in La Paz wieder auf. Marco berichtet: „
Meine Liebe zu Jehovas Organisation, die brachgelegen hatte, begann wieder aufzuleben, während ich mir eine genaue Erkenntnis der Bibel aneignete. Die schönen Erinnerungen an unsere Gemeinschaft in der Versammlung Potosí waren ein großer Ansporn für mich, die Wahrheit ernst zu nehmen. Als ich 1970 wieder mit dem Bibelstudium begann, stand ich im Begriff, zur Universität zu gehen. Aber nun konnte nichts meinen verzehrenden Wunsch verdrängen, die Bibel zu studieren.“ Marco wurde Pionier und später ein Glied der Bethelfamilie in La Paz, wo er gegenwärtig als Glied des Zweigkomitees dient.BOLIVIANISCHE ZEUGEN ERSCHLIESSEN NEUE GEBIETE
Besonders vom Jahre 1956 an nahm eine wachsende Zahl von ergebenen bolivianischen Zeugen den Vollzeitdienst als Pionierverkündiger auf und halfen, neue Gebiete zu erschließen. Die meisten dieser Brüder sprachen Quechua und waren somit in der Lage, Tausende zu erreichen, die noch nie von der guten Botschaft gehört hatten. Zu diesen eifrigen Verkündigern gehörten Walter Martínez, Jaime Valdivia und Jaime Barrery. Später schlossen sich ihnen Joaquin Copa und Antonio Zamudio sowie andere an. Die eifrigen Bemühungen dieser Pioniere führten dazu, daß in Uyuni, Atocha und in anderen Bergwerksgebieten Versammlungen gegründet werden konnten. Sie halfen vielen Familien, die im Bergbau, bei der Salzgewinnung oder in der Landwirtschaft tätig waren, vom Aberglauben loszukommen und loyale Diener Jehovas zu werden.
Die Opferbereitschaft dieser Pioniere war beispielhaft. Zur Veranschaulichung diene folgende Begebenheit: Ein Sonderpionierehepaar bat den Kreisaufseher, ihnen etwas zu erklären, was sie nicht verstanden hätten. Sie zeigten ihm eine Handvoll Schecks und fragten: „Wofür sind diese?“ Die Gesellschaft schickt den Sonderpionieren monatlich
eine kleine Zuwendung, um ihnen bei der Bestreitung ihrer Lebenshaltungskosten zu helfen, denn die Zeit, die sie für das Predigen einsetzen, erlaubt es ihnen gewöhnlich nicht, weltliche Arbeit zu verrichten. Dieses Ehepaar war schon für das Vorrecht des Dienstes dankbar.DIE KÖNIGREICHSWAHRHEIT ERREICHT DIE TROPISCHE REGION BENI
Damals im Jahre 1952 besuchten Königreichsverkündiger die im Norden liegende riesige Region Beni. In diesem Gebiet gibt es Alligatoren und Riesenschildkröten. Der Wohlstand der Viehfarmbesitzer, die über Privatflugzeuge verfügen, bildet einen krassen Gegensatz zu der Armut der Lehmhüttenbewohner. Die katholische Geistlichkeit steht in dem Ruf, die Reichen zu begünstigen, während sie selbst oft wohlhabend ist. Außerdem sind viele Geistliche für ihre Unsittlichkeit bekannt. Die Folge ist, daß die aus Katholiken bestehende Bevölkerung praktisch atheistisch eingestellt ist. Doch es gibt herzerfreuende Ausnahmen.
In einem kleinen Dorf zeigte der Polizeichef großes Interesse, als die Zeugen diese Gegend besuchten und ihre Tätigkeit erklärten. Er bot ihnen sogar an, bei der Verbreitung ihrer biblischen Literatur mitzuhelfen. So kam es, daß immer mehr Bauern, die den Ort aufsuchten, sich vor der Polizeiwache sammelten, weil sie sehen wollten, was los war. Sie alle erhielten vom Polizeichef biblische Literatur. Ein Mann nahm 30 Zeitschriften entgegen und verteilte sie an seine Nachbarn. Mittlerweile waren die Missionare damit beschäftigt, Besuche von Haus zu Haus zu machen.
Im Jahre 1957 wurden Missionare nach Trinidad und Riberalta, die beiden bedeutendsten Städte dieser Region, gesandt. Die Missionare stellten fest, daß es in den meisten Fällen schwierig war, die Leute davon zu überzeugen,
daß die Bibel nicht einfach ein von Menschen gemachtes Buch mit einem Sittenkodex ist, den man unmöglich halten kann. Felicia Chinchilla nahm aber die Wahrheit an, und selbst als die Missionare eine neue Zuteilung erhielten, setzte sie ihren Dienst treu fort. Kurz vor ihrem Tod bestand ihre Hauptsorge darin, daß ihre Kinder Anbeter Jehovas würden. Sie wandte sich an die in dem betreffenden Gebiet tätigen Sonderpioniere mit der Bitte, die Mädchen zu adoptieren. Obwohl dies nicht möglich war, versprachen die Sonderpioniere, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um den Töchtern in geistiger Hinsicht beizustehen. Eine von ihnen ist zur Zeit mit ihrem Mann im Sonderpionierdienst tätig.EINE ZEIT FEURIGER PRÜFUNGEN
Die Brüder hatten im Laufe der Jahre einige Prüfungen durchgemacht, doch zu Beginn der 60er Jahre war die Zeit gekommen, in der jeder beweisen mußte, wie echt sein Glaube war. Innenpolitisch herrschte eine ziemliche Spannung, und patriotische Aktivitäten häuften sich. Einigen fehlte es an klarem Verständnis, was die christliche Neutralität betraf und was es bedeutete, sich vom Götzendienst fernzuhalten (Mat. 22:21; 1. Joh. 5:21; Dan. 3:16-18). Beginnend mit dem Wachtturm vom 1. November 1962 (spanisch), wurden die Brüder durch eine gründliche Erörterung dessen gestärkt, was die Bibel über die Einstellung des Christen zu den „obrigkeitlichen Gewalten“ und der relativen Unterordnung zu sagen hat (Röm. 13:1-7). Es war wirklich geistige „Speise zur rechten Zeit“ (Mat. 24:45). Dennoch schreckten einige zurück; sie fürchteten den Verlust ihres Arbeitsplatzes oder den Ausschluß ihrer Kinder vom Schulunterricht. Die Mehrheit bewies trotz Schmähungen, daß ihr Glaube stark war. Diese Brüder haben durch ihr Verhalten ein reines Gewissen vor Gott bewahrt.
Das Jahr 1963 brachte weitere Prüfungen und Läuterungen. Spr. 24:23).
Siebzehn Personen mußte die Gemeinschaft entzogen werden, fast so vielen wie in den 16 vorangegangenen Jahren zusammen. Einige der Ausgeschlossenen waren schon seit vielen Jahren mit uns verbunden und gut bekannt. Es gab Personen, denen es schwerfiel, die Entscheidungen der Rechtskomitees zu akzeptieren. Doch darf es in derart wichtigen Angelegenheiten keine Parteilichkeit geben, und so führte dies dazu, daß einzelne ihre Loyalität gegenüber Jehova und seiner sichtbaren Organisation unter Beweis stellen mußten (Im selben Jahr stellte es sich heraus, daß sich eine Missionarin in einer kleinen Stadt unweit von Santa Cruz der Unsittlichkeit schuldig gemacht hatte. Obwohl in dem Fall die nötigen rechtlichen Maßnahmen ergriffen wurden, nahm die Bevölkerung in der Stadt gegenüber Jehovas Zeugen eine feindliche Haltung ein. Es war fast unmöglich, an den Türen zu predigen, und so beschloß man, die Pioniere in ein anderes Gebiet zu versetzen. Bis auf den heutigen Tag gibt es in der erwähnten Stadt keine Versammlung, obwohl in letzter Zeit etwas Interesse vorgefunden wurde.
Trotz dieser Prüfungen überschritt die Zahl der Königreichsverkündiger in Bolivien im Jahre 1963 die 500-Grenze. Den Abschluß des Jahres bildete ein Besuch von Bruder Henschel. Er war kurz zuvor in Liberia (Westafrika) einer schweren Prüfung seiner christlichen Neutralität unterzogen worden. Die bolivianischen Zeugen waren sehr bewegt, als er sie mit seinen Erfahrungen stärkte und auf die Wichtigkeit hinwies, mutig und standhaft zu sein.
GESETZLICHE ANERKENNUNG UND DAS ZWEIGBÜRO
Anläßlich des Besuches von Bruder Henschel wurde über den Bau eines neuen Zweigbüros gesprochen. Der erste Schritt bestand darin, die gesetzliche Anerkennung
der Watch Tower Bible and Tract Society zu erlangen. Nach einem Jahr langwierigen Schriftverkehrs war es soweit. Der nächste Schritt bestand in der Suche eines Grundstücks — keine leichte Aufgabe in einer dichtbevölkerten, von steilen Bergen umgebenen Stadt. Im Jahre 1965 wurden schließlich während des Besuches von Bruder Knorr Vereinbarungen getroffen, in einem Wohnviertel von La Paz, in der Nähe des Stadtzentrums, ein Grundstück zu erwerben. Das Gebäude, das zwei Jahre später fertiggestellt war, verfügte über einen großen Königreichssaal und Unterkünfte für 14 Missionare. Der ansprechende Bau war für die einheimischen Zeugen ein weiterer Beweis für das echte Interesse der Organisation Jehovas am Königreichswerk in Bolivien.Im Laufe der Zeit leiteten verschiedene befähigte Brüder das Zweigbüro in Bolivien. Edward Michalec, einer der ersten Missionare, diente zum Beispiel zehn Jahre in dieser Eigenschaft. Später waren es J. R. Dickey, Harold Morris, Don Anders, Chester Krochmal, J. F. Millar und Alden Seeyle. Sie alle dienten unterschiedlich lange als Zweigaufseher. Doch jeder stellte sich bereitwillig zur Verfügung und trug persönlich zur Förderung des Königreichswerkes bei. Im Jahre 1966, während das neue Zweigbüro im Bau war, wurde J. D. Rose mit der Aufsicht über das Zweigbüro betraut. Er hatte kurz zuvor die Gileadschule absolviert.
EIN PLAN, DER VEREITELT WURDE
Damals befand sich Santa Cruz in einer schwierigen Zeit des Umbruchs, der dazu führte, daß die Stadt zur zweitwichtigsten des Landes wurde. Man stieß auf Erdöl- und Erdgasvorkommen. Die Straße nach Cochabamba wurde befestigt, und nun zogen Tausende von Personen dorthin, wo einige wenige Großfamilien eine festgefügte Gemeinde gebildet hatten. In der Versammlung der Zeugen Jehovas war eine rasche Zunahme zu verzeichnen,
und im Jahre 1966 beteiligten sich mehr als 50 Verkündiger am Königreichspredigtdienst. Es waren auch neue Missionare in Santa Cruz eingetroffen. Doch dann wurde ganz unerwartet der Versammlungsaufseher von einem Beamten zu einem Verhör vorgeladen.Der Raum war voller Leute, die dem Bruder unbekannt waren. Es stellte sich heraus, daß es sich um Zeitungsreporter handelte. In ihrer Gegenwart befragte der Beamte unseren Bruder über seine weltliche Arbeit, von der er behauptete, daß sie illegal sei. Der Bruder versicherte ihm, seine Arbeit sei keineswegs gesetzwidrig. Er erklärte weiterhin, daß er seine Arbeit aufgegeben habe, um in dem darauffolgenden Monat mit dem Vollzeitpredigtdienst zu beginnen. Der Beamte erwiderte, auch er sei ein „gläubiger Mensch“, doch der Bruder habe „schwere Fehler“ begangen. Nachdem der Beamte die Ausweispapiere des Bruders und die seiner Frau beschlagnahmt hatte, ließ er sie gehen.
Dem Versammlungsaufseher und einem anderen Bruder — beide hatten geschäftlich miteinander zu tun — war aufgefallen, daß sich gewisse einheimische Firmen Sorgen machten und die Konkurrenz der Brüder fürchteten. Dieser Beamte nun, der den Beschwerden Gehör geschenkt hatte, war ein fanatischer Anhänger der Siebenten-Tags-Adventisten und plante, die Tätigkeit der Zeugen Jehovas mit in die Sache hineinzuziehen. Was würde geschehen?
Als unser Bruder am nächsten Morgen einen Blick in die Tageszeitungen warf, traute er seinen Augen kaum! In allen vier Zeitungen wurde die Angelegenheit in Schlagzeilen auf der ersten Seite behandelt. Eine Zeitung hatte sogar seinen vollen Namen in Großbuchstaben gedruckt und erklärt: International gesuchter Betrüger in Santa Cruz verhaftet! In einer anderen Zeitung verunglimpfte der besagte Beamte den Namen Jehovas Zeugen mit der Behauptung: Zeuge Jehovas vertauscht Sekte mit
gesetzwidrigen Geschäften. Am nächsten Tag erschienen weitere Meldungen dieser Art auf der ersten Seite. Diesmal besagte eine Bekanntmachung, man habe „entdeckt“, unser Bruder sei ein „Berater“ eines in der Vergangenheit entmachteten Präsidenten gewesen, der nun im Exil lebe und als Feind betrachtet werde. Zur gleichen Zeit wurden dieselben Meldungen über verschiedene Radiostationen verbreitet. Diese Verleumdungskampagne hielt monatelang an.Da der Beamte keine rechtmäßigen Gründe hatte, gegen unsere Brüder etwas zu unternehmen, benutzte er offensichtlich eine Kampagne, um die Öffentlichkeit aufzuwiegeln und möglicherweise ein polizeiliches Vorgehen zu veranlassen. Unsere Brüder waren auf das Schlimmste gefaßt und hatten sich darauf eingestellt, von der Polizei abgeholt zu werden. Aber die Polizei kam nicht. Und niemand strengte eine Klage an. Die Leute hörten weiterhin zu, als die Zeugen von Haus zu Haus gingen, und die Zahl der Bibelstudien erhöhte sich. Es hatte den Anschein, als wären sie blind, was die Berichte in den Tageszeitungen anbetraf, und taub hinsichtlich der Radiomeldungen. Schließlich wurde der Beamte seiner Stellung enthoben.
Inmitten dieser schwierigen Verhältnisse wurden die einheimischen Brüder damit beauftragt, auf dem nächsten Kongreß das „Jeremia“-Drama aufzuführen, in dem auf eindrucksvolle Weise die Verfolgung dargestellt wird, die der treue Prophet Gottes durchmachte. Die freudige Erregung in Verbindung mit den Aufnahmen und den Dramenproben ließen sie die Sturmwolken vergessen, die über sie hinwegzogen.
Der Versammlungsaufseher hatte zwar wegen des auf ihm lastenden großen Drucks sein Gleichgewicht etwas verloren, doch erfüllte er später die Voraussetzungen für den Vollzeitdienst und nahm ihn wie geplant auf. Er und der andere zuvor erwähnte Bruder stehen immer noch im
Pionierdienst und sind Aufseher in Bolivien — und das fast 20 Jahre nach dem gescheiterten Plan des voreingenommenen Beamten.RASCHE ZUNAHME IN SANTA CRUZ
Die Versammlung in Santa Cruz hatte zwar vorübergehend einen Rückgang zu verzeichnen, aber es blieb kein bleibender Schaden zurück. Ermuntert durch die Missionare, arbeiteten die ortsansässigen Zeugen fleißiger denn je. Es verhielt sich genauso wie zur Zeit der Christenversammlung im ersten Jahrhundert, nachdem die Verfolgung durch Saulus zu Ende war. Auch die Versammlung in Santa Cruz ‘trat in eine Zeitspanne des Friedens ein und wurde erbaut und mehrte sich beständig’ (Apg. 9:31). Ihre Zusammenkunftsstätte reichte schon bald nicht mehr aus, so daß die Leute draußen vor den Fenstern zuhörten. Ein neuer Königreichssaal mit 150 Sitzplätzen wurde gebaut, und bereits nach zwei Jahren mußte er vergrößert werden. Die Versammlung wurde geteilt, und am anderen Ende der Stadt entstand ein großer Königreichssaal. Heute gibt es in Santa Cruz 11 Versammlungen mit insgesamt über 800 Verkündigern, die mit Eifer das Königreich Jehovas bekanntmachen. Ein begeisterndes Wachstum stellte sich auch in La Paz, Cochabamba, Oruro und in den Bergwerksgebieten ein.
STANDHAFTES EINTRETEN FÜR DIE WAHRHEIT BRINGT GUTE ERGEBNISSE
Ignacia de Torres aus Santa Cruz hatte ein hörendes Ohr, als ihre Schwester aus La Paz ihr von den biblischen Wahrheiten erzählte. Ignacia reagierte zwar nicht hellauf begeistert, doch der Same der Wahrheit ging auf. Im Jahre 1963 richtete ein Missionar ein Bibelstudium bei ihr ein. Ignacias Mann, ein großer, forsch auftretender Polizist, war allerdings ein erbitterter Gegner. Er geriet außer sich vor Wut und feuerte mit seinem Polizeirevolver in die
Luft, während Ignacia und ihre Kinder Schutz suchend wegliefen.Eines Tages kam er nach Hause als Pamela Moseley, eine andere Missionarin, das Studium durchführte. Ihr dröhnten die Ohren, als er sie mit lautem Gebrüll aufforderte, so schnell wie möglich zu verschwinden. Pamela gab jedoch nicht auf. Eines Tages blieb er zu Hause, um die Missionarin abzufangen. Ignacia sagte ihm klar und deutlich, sie würde in den Königreichssaal gehen, falls er ihr verböte, zu Hause zu studieren. „Sag selbst, ist es nicht besser, ich studiere hier?“ fügte sie freundlich hinzu. Von diesem Zeitpunkt an ließ der Widerstand nach.
Ignacias Liebe zu Jehova und zu ihren christlichen Brüdern nahm beständig zu. Bereitwillig stand sie von Leid und Kummer betroffenen Brüdern mit ihrer Berufserfahrung als Krankenschwester bei. Und das kam nicht selten vor. Von größerer Bedeutung war natürlich ihre eifrige Tätigkeit, Menschen aus geistiger Gefangenschaft zu befreien. Drei ihrer Kinder folgten dem Beispiel ihrer Ergebenheit und wurden Zeugen Jehovas. Nach Jahren inbrünstiger Gebete erfüllte sich ihre größte Hoffnung. Ihr gegnerisch eingestellter Mann begann die Wahrheit zu prüfen. Nach zehn Jahren, in denen er die Bibel studiert und viele Änderungen in seiner Persönlichkeit vorgenommen hatte, ließ auch er sich taufen, und zwar im Januar 1984.
DIE WAHRHEIT UNBEFLECKT ERHALTEN
So, wie im ersten Jahrhundert können auch heute menschliche Unvollkommenheiten und Schwächen die Handlungsweise von Christen beeinflussen, sogar von solchen, die Verantwortung tragen (Apg. 15:36-40; Gal. 2:11-14). In den 60er Jahren offenbarten einige Brüder eine kritische Einstellung gegenüber dem Vertreter der Gesellschaft im Zweigbüro und gegenüber anderen, die eng mit ihm zusammenarbeiteten. Ein bekannter reisender Aufseher sympathisierte mit den Murrenden, indem er selbst noch kritische Äußerungen machte. Dieser Bruder war der Meinung, daß mehr gesellige Veranstaltungen anläßlich seines Besuches helfen würden, die Einheit der Brüder zu stärken. Das Ergebnis war jedoch, daß diese Geselligkeiten in große Feiern ausarteten und zuviel getrunken wurde. Dieser Umstand erwies sich für diejenigen, die hart gekämpft hatten, um vom Alkoholismus loszukommen, als ein Stein des Anstoßes. Einige Neuinteressierte hörten aufgrund dessen, was sie sahen, mit dem Bibelstudium auf. Andere, die ihr Verhalten zu rechtfertigen suchten, indem sie auf das verwiesen, was andere taten, mußten später wegen übermäßigen Trinkens zurechtgewiesen werden.
Ein weiterer Bruder, der im Kreisdienst tätig war und schon vielen geholfen hatte, begann in geschäftlichen Angelegenheiten ein schlechtes Beispiel zu geben. In seinem Dienst als Kreisaufseher schob er die Erledigung wichtiger theokratischer Angelegenheiten hinaus, damit er sich zuerst seiner geschäftlichen Interessen annehmen konnte.
Eine Zeitlang schien es, als wären diejenigen, die die Sache hätten regeln sollen, nicht in der Lage, dies mit Selbstbeherrschung und in Frieden zu tun. Nach einigen Jahren wurden jedoch schließlich entsprechende Maßnahmen ergriffen (Gal. 6:1; Jak. 3:17). Wie froh war man doch, als einige derer, die Glaubensprobleme hatten, sich bemühten, wieder ein gutes Verhältnis zu Jehova herzustellen.
NEUE GEBÄUDE FÜR DIE WAHRE ANBETUNG
Im Jahre 1969 gab es 869 Verkündiger, die sich auf 24 Versammlungen verteilten. Bei den meisten Königreichssälen handelte es sich jedoch um unfreundliche Räumlichkeiten, die man gemietet hatte. Eine Versammlung kam in einem teilweise überdachten Innenhof einer Privatwohnung zusammen. Bei Regen gab es allerdings Probleme.
Die Versammlung in Trinidad war die erste, die mit der Hilfe eines Darlehns der Gesellschaft einen eigenen Königreichssaal errichtete. Viele andere Versammlungen folgten diesem Beispiel — La Paz, Potosí, Oruro, Santa Cruz, Cochabamba, Tarija und Sucre.
In Chorolque befindet sich zweifellos der am höchsten gelegene Königreichssaal der Welt. Eine Zinnmine bildet hier die Haupterwerbsquelle für einige tausend Bewohner. Wegen der dünnen Luft haben die Gesichter und Lippen vieler Leute ein blaugraues Aussehen. Eine beträchtliche Anzahl der Bergarbeiterfamilien hat positiv auf die Wahrheit reagiert. Ihr Königreichssaal, der auf einem von der Bergwerksgesellschaft geschenkten Stück Land steht, befindet sich in 4 800 Meter Höhe.
JEHOVA SORGT FÜR DAS ENTRINNEN
Die Königreichsbotschaft wurde selbst in abgelegenen Gebieten des Landes gepredigt. Sogar die Dorfbewohner in den riesigen Salztonebenen El Salar erhielten die Gelegenheit, die gute Botschaft zu hören. Allerdings war die Reaktion nicht immer freundlich. Was sich zum Beispiel 1970 in Coquesa ereignete, wo Bruder Toribio Cruz wohnt, zeigt, wie Jehova seinen Dienern in schwierigen Situationen beisteht.
Ein Bezirksaufseher mit seiner Frau, ein Kreisaufseher und ein Missionarehepaar besuchten Coquesa. Nur der
Kreisaufseher war bolivianischer Herkunft. In einer Gegend, in der Fremden großes Mißtrauen entgegengebracht wird, verursachte ihre Ankunft ziemliches Aufsehen. Die bereits gespannte Atmosphäre verschlimmerte sich noch, als der Missionar eine unglückliche Bemerkung machte, die spaßhaft gemeint war. Doch man faßte die Worte nicht so auf, und schon bald versammelte sich die ganze Stadt in der Schule, um zu beratschlagen, was mit diesen Fremden zu tun sei. Der Kreisaufseher, Bruder Martínez, spürte die Gefahr und schlug vor, sofort wieder abzureisen. Andere waren jedoch dafür, über Nacht zu bleiben und die Entwicklung abzuwarten.Am nächsten Tag richtete ein Bote den Brüdern folgendes aus: „Die Stadt möchte etwas über Sie erfahren, kommen Sie bitte zum Marktplatz und unterrichten Sie uns.“ Bei ihrer Ankunft bemerkten die Brüder, daß drei Zugänge zum Marktplatz gesperrt waren. Der Bezirksaufseher vermutete eine Falle, rannte zum Auto zurück und rief den anderen zu, ihm zu folgen. Die Pöbelrotte ergriff Toribio, während die anderen zu entkommen suchten. Im Verlauf der wilden Verfolgungsjagd schnappten einige nach dem Schal von Bruder Martínez, und andere brachten dem Missionar Schnittverletzungen im Gesicht bei. Sie sprangen ins Auto und rasten davon, während die Pöbelrotte das Auto mit Steinen bewarf.
Toribio jedoch befand sich in den Händen des Pöbels. Man schlug so wild auf ihn ein, daß er dachte, er werde bestimmt sterben. Doch schließlich gelang es ihm, sich zu befreien und wegzurennen. Die Pöbelrotte war ihm hart auf den Fersen, als er ein tiefes, schnell dahinfließendes Gewässer erreichte — zu breit, wie er dachte, um hinüberzuspringen. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Mit seiner ganzen Kraft setzte er zum Sprung an und schaffte das Unglaubliche. Als die Pöbelrotte das Wasser erreichte, sah sie nur noch mit Staunen, wie Toribio auf der anderen Seite ihren Blicken entschwand.
Voller Hautabschürfungen und leicht bekleidet verbrachte er die kalte Nacht auf einem nahe gelegenen Berg. Doch Toribios unglaublicher Sprung hatte die Verfolger offensichtlich davon überzeugt, daß sein Gott ihm geholfen hatte. Anstatt sein Haus niederzubrennen, wie sie es zuvor getan hatten, blieb es verschont. Toribio konnte wieder nach Hause zurückkehren, und er wurde seither nicht mehr belästigt. Gegenwärtig dient er in der dortigen Versammlung als vorsitzführender Aufseher.
DEN ZAUBERBANN DES SEES BRECHEN
Der Titicacasee liegt in 3 810 Meter Höhe. Stellenweise soll er über 270 Meter tief sein. Die totoras (Schilfboote), die auf dem Wasser zu sehen sind, dienten Thor Heyerdahl als Vorbild, als er sein Papyrusboot baute, mit dem er den Atlantik überquerte. Natürlich gibt es weit mehr über den See zu sagen, als mit dem Auge zu erfassen ist.
Von alters her war der Titicacasee ein Brennpunkt mystischen Geschehens. Wie würde sich die biblische Wahrheit auf das Leben derjenigen auswirken, die in einer solchen Umgebung leben?
Als damals im Jahre 1966 ein Mann das Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ wegwarf, nahm es sein Schwager mit nach Hause. Trotz seiner begrenzten Spanischkenntnisse — denn seine Muttersprache war Aymará — verstand er, daß das Buch Aufschluß über Jehova Gott vermittelte. Dieser Name stand, wie er bereits wußte, in der Bibel, aber in den Kirchen wurde nichts darüber gesagt. Von Zeit zu Zeit fuhr er nach La Paz, um sich mehr Literatur zu beschaffen. Sein Verhältnis zu Jehova vertiefte sich, und er sprach mit seinen Nachbarn über das, was er lernte. Schließlich ließ er sich taufen und wurde später Pionier.
Auch andere, die an den Ufern des Sees wohnten, entschieden sich für die wahre Anbetung. Die meisten in der Gegend konnten jedoch nicht lesen und sprachen lediglich Apg. 19:19, 20; 5. Mo. 7:25, 26). Man stöberte alle möglichen Dinge auf und vernichtete sie — kostspielige Kostüme, die bei heidnischen Tänzen getragen werden; Glücksbringer, die Land und Vieh fruchtbar machen sollen; Familienerbstücke, die beim Darbringen von Opfern für falsche Götter verwendet wurden, sowie Kreuze und Schriften der falschen Religion. Von einer älteren Schwester, die völlig ans Bett gefesselt war, wird berichtet, daß sie erst wieder genas, als ihre Tochter all ihre Glücksbringer verbrannt hatte. Sie hat seither keine Zusammenkunft der Versammlung versäumt.
Aymará. Brüder, die zu Besuch weilten, bemerkten, daß einige immer noch Gegenstände besaßen, die sie bei mystischen Handlungen benutzt hatten, als sie noch keine Zeugen waren. Den biblischen Rat, den man ihnen in ihrer Muttersprache darüber erteilte, beherzigten sie schnell (GROSSES WACHSTUM IN EL ALTO
Als die ersten Missionare im Jahre 1945 in El Alto
landeten, wo sich der Flugplatz von La Paz befindet, gab es dort nichts weiter als ein paar dürftige Behausungen aus Lehmziegeln. Doch in den 60er Jahren wuchs La Paz weit ins Land hinein, und es entwickelte sich hoch über der Metropole eine Satellitenstadt. Damals begannen zwei junge Männer aus El Alto, Hugo Fernández und sein Bruder, die Zusammenkünfte in La Paz zu besuchen. Um wieder nach Hause zu kommen, mußten sie spät abends einen gefährlichen zweistündigen Aufstieg durch eine Schlucht auf sich nehmen. Doch ließen sie sich dadurch nicht vom Besuch der Zusammenkünfte abhalten.Schließlich führte die Gruppe in El Alto alle Zusammenkünfte selbst durch. Hugo verbrachte einige Vormittage in der Woche damit, Aufgaben für die Zusammenkünfte vorzubereiten. Die Arbeit fiel ihm nicht leicht, doch sie trug sehr zu seinem geistigen Wachstum bei. Bald nach seiner Taufe brachte er dem Kreisaufseher gegenüber sein Interesse am Pionierdienst zum Ausdruck. „Warum fängst du nicht gleich damit an?“ erwiderte der Aufseher. Hugo meinte jedoch, er müsse noch sechs Monate als Schuhmacher tätig sein. „Wieviel Paar Schuhe kannst du in sechs Monaten herstellen?“ fragte ihn der Kreisaufseher. Dann fügte er hinzu: „Wie viele Menschen warten auf die Rettung?“ Hugo dachte ernstlich darüber nach, und ab 1. August war er Sonderpionier. Er erlebte, wie die Gruppe in El Alto beständig wuchs, bis schließlich aus der ursprünglichen Gruppe vier Versammlungen von Lobpreisern Jehovas geworden waren.
LIEBEVOLLES INTERESSE TREIBT REISENDE AUFSEHER AN
Als Bruder Michalec und Bruder Morris im Jahre 1946 die halsbrecherische Fahrt in die Yungas unternommen hatten, bekamen sie zu spüren, was es heißt, in Bolivien zu reisen. Jetzt gibt es Versammlungen in Gebieten, die noch schwieriger zu erreichen sind. Ergebene reisende Aufseher und ihre Frauen verausgaben sich bis an die
Grenze des Möglichen, um Versammlungen und kleine Gruppen in den entlegensten Gebieten zu erreichen. Auf ihren Fahrten müssen sie oft mit enormen Höhenunterschieden fertig werden. In vielen Fällen können sie ihr Ziel nur zu Fuß erreichen. So haben einige dieser ergebenen Brüder Strecken bis zu 200 km zurückgelegt. Einen besonderen Anteil an dieser aufopferungsvollen Tätigkeit hatten die Brüder Nahín Escalera, Wallace Liverance, Mark Pefferman sowie ihre Ehefrauen.Die Erfahrung von Hugo Fernández — damals Kreisaufseher — zeigt, was die erwähnte Tätigkeit alles mit sich bringen kann. Der Regen hatte die Straßen in schlüpfrige Schlammwege verwandelt. Mit seinem schwerbeladenen Motorrad hatte Bruder Fernández in acht Stunden 140 km geschafft. Ein Fluß, der mehrere Meter über die Ufer getreten war, hinderte ihn daran weiterzukommen. Die Nacht rückte näher, und es war undenkbar, bei dem strömenden Regen draußen zu übernachten. Auf die andere Seite des Flusses zu gelangen schien unmöglich. Bruder Fernández betete zu Jehova und beschloß, es zu wagen. Er schützte den Motor mit einer Plastikfolie und setzte alles auf eine Karte. Er berichtet: „Als ich mit dem schwerbeladenen Motorrad in den Fluß hineinfuhr, hatte ich alle Hände voll zu tun, in der starken, kalten Strömung die Lenkstange festzuhalten. Wasser spritzte mir ins Gesicht und nahm mir die Sicht. Ich hatte sogar das Gefühl, als wäre mein Kopf unter Wasser gewesen. Aber bevor ich es recht gewahr wurde, befand ich mich auf der anderen Seite!“ Nur Sekunden später versuchte ein Auto aus der entgegengesetzten Richtung, den Fluß zu durchqueren, und blieb in der Mitte stecken. Hugo war davon überzeugt, daß Jehova in dieser Zeit der Bedrängnis für sein Entrinnen gesorgt hatte, und er war ihm sehr dankbar (Ps. 18:1, 2). Er erreichte wohlbehalten die nächste Versammlung. Seit 1977 dient Bruder Fernández als ein Mitglied des Zweigkomitees in Bolivien.
BRUDER F. W. FRANZ MACHT EINEN DENKWÜRDIGEN BESUCH
Die Brüder erinnern sich noch gern an den Besuch, den F. W. Franz, der jetzige Präsident der Watch Tower Society, 1974 Bolivien abstattete. Bruder Franz wurde von zwei Missionaren der ersten Gileadklasse begleitet sowie von drei anderen Gliedern der Brooklyner Bethelfamilie. Alle hatten auf seine Veranlassung hin einen Anteil am Programm. Unter ihnen war auch eine Schwester, die über neun Jahre in Bolivien als Missionarin tätig gewesen war und sich sehr über die Gelegenheit freute, ihre frühere „Auslandszuteilung“ wiederzusehen.
Im Freilichttheater von La Paz fand eine besondere Zusammenkunft statt, zu der viele Besucher aus allen Teilen des Landes gekommen waren. Bruder Franz hielt einen meisterhaften Vortrag, der sich auf Psalm 91 stützte. Schon zu Beginn regnete es stark, aber die meisten Anwesenden blieben volle zwei Stunden auf ihren Plätzen. Einige wunderten sich jedoch, wie Bruder Franz es anstellte, daß seine Bibel und seine Notizen trocken blieben. Aber bei genauem Hinsehen stellten sie fest, daß er den gesamten Vortrag einschließlich langer Bibelzitate völlig auswendig hielt, und das in Spanisch.
Die Brüder waren sowohl von seiner Liebe, Einfachheit und Demut tief beeindruckt als auch von seiner Bereitwilligkeit, ihre biblischen Fragen bis spät in die Nacht hinein zu beantworten.
EIN ZWEIGKOMITEE ÜBERNIMMT DIE AUFSICHT
Als man übereinkam, die Aufsicht des Zweiges einem Zweigkomitee anstatt einer Einzelperson zu übertragen, war eine ausgeglichenere und umfassendere Leitung auf geistigem Gebiet die Folge. Im Jahre 1977 wurde Eldon Deane, der lange Zeit in Argentinien im Vollzeitdienst stand, von der leitenden Körperschaft nach Bolivien gesandt
und zum Koordinator ernannt. Zusammen mit Hugo Fernández, Marco Ibieta und Walter Meynberg, der schon nahezu 20 Jahre im Bethel von La Paz gedient hat, teilt er sich in die Aufgaben des Zweigkomitees. Offenbar hat der Segen Jehovas auf dieser Vorkehrung geruht.PRIESTER FLIEHEN AUS „BABYLON“, UM SICH GOTT ZU NAHEN
In zunehmendem Maße ist zu beobachten, wie die ‘Wasser Babylons’ vertrocknen; ja, Menschen entziehen der falschen Religion ihre Unterstützung (Offb. 16:12). Einer von ihnen war ein Jesuitenpater. Julio Iniesta studierte die Bibel mit den Zeugen in Cochabamba und gab sich später in seinem Heimatland Spanien Jehova hin. a
Seit frühester Kindheit verspürte Hugo Durán, der aus Vallegrande stammt, ein starkes Verlangen, Gott näherzukommen. Er glaubte, dieses Ziel am besten dadurch erreichen zu können, daß er sich zum katholischen Priester ausbilden ließ. Doch nachdem er sich 10 Jahre lang auf den Priesterstand vorbereitet hatte, war er weiter von Gott entfernt denn je. Er erzählt: „Im Priesterseminar ist eine persönliche Annäherung an Gott unmöglich. Gott hat weder einen Namen, noch eine Persönlichkeit, noch hat er Interesse an den Menschen, denn die Gott-ist-tot-Theorie herrscht vor. Wir lernten hauptsächlich eine Unmenge von Riten, die selbst in ihrer Gesamtheit keinen einzigen Tropfen lebengebenden Wassers boten, geschweige denn, daß sie jemandes Durst hätten stillen können. Als unser Seminar einmal Geld brauchte, engagierten die Priester zu diesem Zweck eine Sängerin für eine Show. Man hatte uns gelehrt, schon allein eine Frau anzuschauen sei Sünde. Nun veranlaßten sie uns zu ‚sündigen‘, nur um zu Geld zu kommen. Das zeigte uns, daß sie in Wirklichkeit Heuchler waren.“
Hugo verließ schließlich das Priesterseminar und heiratete Ps. 83:18; Luk. 11:2-4; Phil. 4:6). Anfangs leuchteten Hugo zwar einige Punkte der biblischen Wahrheit nicht so recht ein, doch er betete beständig und überzeugte sich schließlich von ihrer Richtigkeit. Seit seiner Taufe im Jahre 1973 hat er vielen geholfen, Gott näherzukommen, und heute dient er als ein liebevoller Ältester.
eine frühere Nonne. Beständig betete er darum, auf irgendeine Weise Gott zu finden. Zu jener Zeit besuchte ihn ein Zeuge in seiner Wohnung in Santa Cruz, und nach vielen Unterhaltungen wurde mit ihm ein regelmäßiges Bibelstudium begonnen. Nun lernte Hugo, wer Gott wirklich ist — keine namenlose, gleichgültige Gottheit, sondern Jehova, ein liebevoller Vater, der sich um alle wichtigen Bedürfnisse seiner Diener kümmert (JEHOVAS ORGANISATION LEISTET HILFE
Bei vielen Menschen, die einen Lauf der Selbstzerstörung eingeschlagen hatten, wurde durch die Macht des Wortes Gottes das Unheil abgewendet, das sonst unvermeidbar gewesen wäre. Doch im Falle von Carlos, einem jungen Goldschmied aus Santa Cruz, half das Lesen der Bibel allein nicht. Er benötigte die Hilfe der Organisation Jehovas.
Häufig wurde er bewußtlos auf dem Rücken eines Trinkkumpanen nach Hause gebracht, wo ihn die Familie mit Tränen in den Augen in Empfang nahm. Im Laufe der Zeit besuchten die Zeugen seine Frau, die in den Schriften Trost fand und hoffte, daß durch die Bibel auch Carlos geholfen werden könnte. Er war sich zwar seiner großen Probleme bewußt, doch nach seiner Überzeugung hatten die Zeugen keine Lösung. Immer wenn er das Verlangen verspürte zu trinken, bemühte er sich, an seine Familie zu denken, oder ging er in eine katholische Kirche und sprach gewisse Gebete. Er versuchte es sogar mit dem Bibellesen. Da er aber eine Abneigung gegen den Namen Jehova hatte, ersetzte er ihn durch den Titel „Gott“. Alles, was er versuchte, schlug fehl.
Seine Frau und sein Bruder, die inzwischen mit Zeugen Jehovas studierten, versuchten, mit ihm über die Bibel zu sprechen. Doch stets wurden sie schroff abgewiesen. Trotz der scheinbar hoffnungslosen Situation betete seine Frau darum, daß irgend etwas geschehen möge, was Carlos helfen würde, sich zu ändern. Eines Tages fragte ihn seine Familie bei einer Familienfeier, ob er sie nicht zum Königreichssaal begleiten wolle. Da er nicht unhöflich sein wollte, stimmte er zu, hatte jedoch nicht vor hineinzugehen. Als sie angekommen waren, sagte seine Frau: „Nun, da wir einmal hier sind, möchtest du nicht einen Moment mit hineingehen?“ Nur sehr zögernd stimmte Carlos zu. Er blieb volle zwei Stunden, und obwohl er wenig verstand, beeindruckte es ihn, daß alles, was gesagt wurde, von der Bibel gestützt wurde. In der gleichen Woche besuchte er noch zwei andere Zusammenkünfte, und am Sonntag beschloß er, die Bibel ernstlich zu studieren.
Natürlich verschwand sein Alkoholproblem nicht über Nacht. Die nächsten acht Monate war er noch ein Trinker und versäumte oft das Bibelstudium und die Zusammenkünfte. Der Bruder, der das Studium mit ihm durchführte, versuchte ihm einzuprägen, das Gelernte auch anzuwenden, und zwar in Übereinstimmung mit Lukas 6:46, wo es heißt: „Warum denn nennt ihr mich ‚Herr! Herr!‘, tut aber die Dinge nicht, die ich sage?“ Aber wie konnte er dieses Verlangen nach Alkohol besiegen? Ein anderer Bruder schlug vor, genau zu dem Zeitpunkt, wenn das Verlangen aufkommt, inbrünstig zu Jehova zu beten. Das tat er und hatte Erfolg! In seine einst zerrüttete Familie kehrte wieder Einheit und Frieden ein, während alle in geistiger Hinsicht Fortschritte machten. Seine finanzielle Lage verbesserte sich so sehr, daß es ihm möglich war, ein eigenes Juweliergeschäft zu eröffnen. Carlos, seine Frau und zwei seiner Kinder haben sich inzwischen taufen lassen. Die Kinder stehen im Pionierdienst, und Carlos ist ein christlicher Aufseher. Wie gut es sich doch auswirkt, wenn jemand die Hilfe dankbar annimmt, die Jehova durch seine Organisation bietet, und Nutzen aus seinem Wort zieht!
GOTTES WORT ERWEICHT HERZEN IN TARIJA
Obwohl sich die Bevölkerung Tarijas durch eine ruhige und friedliche Wesensart auszeichnet, erwies sich das Gebiet in geistiger Hinsicht doch als „harter Boden“. Die Menschen in diesem Teil Südboliviens sind tief in ihrer Tradition verwurzelt. Dennoch berichtete hier im Jahre 1978 eine Versammlung mit 30 Verkündigern. Viele fühlten sich jedoch nicht hinreichend befähigt, was offensichtlich auf eine etwas kritische Einstellung derer zurückzuführen war, die zuvor die Leitung innehatten. Einige, die sich früher an der Bekanntmachung der Königreichsbotschaft beteiligten, waren untätig. Doch die entsprechende Ermunterung bewirkte, daß 15 von ihnen wieder als Zeugen für Jehova tätig wurden. Auch die Bewohner
des Ortes hörten bereitwilliger zu, da die Zeugen freundlicher waren und weniger Streitgespräche führten.Mit Lastwagen fuhren zunächst 20, dann 30, später 40 und schließlich 50 Verkündiger auf steinigen Bergstraßen in Landgebiete, um dort die Dörfer zu bearbeiten. Innerhalb weniger Jahre konnten etwa 35 zerstreut liegende Dörfer in dieser Berggegend zum ersten Mal mit der guten Botschaft erreicht werden. Viele chapacos (Bergbewohner von Tarija) hörten aufmerksam zu, als die Zeugen die Wahrheit mit Hilfe der hübschen Darstellungen in dem Buch Mein Buch mit biblischen Geschichten erklärten. Diese Predigtdienstfahrten trugen dazu bei, die Einheit und das Vertrauen der Brüder zu stärken. In knapp vier Jahren war die Zahl der Verkündiger auf mehr als das Doppelte angestiegen. Jetzt sind zwei blühende Versammlungen eifrig damit beschäftigt, weitere ehrlichgesinnte Menschen zu suchen.
LEDIGLICH EIN „PFLÜGEN DES MEERES“?
Vor vielen Jahren sagte ein prominenter Bolivianer zu den ersten Zeugen, ihre Tätigkeit sei völlig umsonst. Um seiner Skepsis noch Nachdruck zu verleihen, erklärte er: „Was ihr tut, gleicht dem Pflügen des Meeres.“ Natürlich wußte er nichts von der Macht des Wortes Gottes, der Wirksamkeit des Geistes Jehovas sowie der Liebe und Entschlossenheit seiner Zeugen.
Zugegeben, es war eine echte Herausforderung, in einem Land, in dem zu Beginn nur 15 Prozent der Bevölkerung lesen konnte, standhafte Jünger heranzubilden. Doch Jehovas Zeugen haben Hunderten das Lesen und Schreiben beigebracht, damit sie selbst die Bibel lesen konnten. Es ist wirklich eine Freude mitzuerleben, wie Älteste, die einst Analphabeten waren, heute auf Kongressen Vorträge halten und tiefe biblische Wahrheiten erklären.
Aus der kleinen Gruppe, die sich 1946 in La Paz versammelte,
sind inzwischen 20 Versammlungen geworden. In Cochabamba, wo damals nur eine Familie die wahre Anbetung pflegte, sind gegenwärtig sechs Versammlungen tätig, drei weitere in Oruro und zwei in Potosí. Insgesamt gibt es in Bolivien 85 Versammlungen von Lobpreisern Jehovas. Ungeachtet der galoppierenden Inflation, der das Wirtschaftsleben lähmenden Streiks und trotz des schlechten Wetters, erreichte man im Dienstjahr 1985 eine Höchstzahl nach der anderen. Im April waren sogar 4 207 Verkündiger tätig. Und die Gesamtzahl der Pioniere betrug im April 1 005 — das waren 24 Prozent aller Verkündiger! Es bestehen sogar gute Aussichten, daß die Zahl der Lobpreiser Jehovas noch weiter steigt, was die Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl erkennen läßt. Trotz des strömenden Regens waren 17 169 Personen anwesend. Die geduldige Bearbeitung des bolivianischen Feldes hat Früchte hervorgebracht.So, wie entschlossene Bergleute nach wertvollen Mineralien suchen, haben Jehovas Zeugen jede Möglichkeit genutzt, nach gerechtigkeitsliebenden Menschen zu forschen. Per Fahrrad, Motorrad, Flußschiff, Kanu, Lastwagen, Flugzeug, Pferd und Esel — und ganz besonders per pedes — sind Jehovas Zeugen unterwegs gewesen, um Bewohner abgelegener Gebiete mit der Königreichsbotschaft zu erreichen. In den vergangenen 40 Jahren haben sich über 180 Missionare an diesem Werk beteiligt.
Während Jehovas Zeugen in Bolivien die Zeugnistätigkeit heute, in den letzten Tagen des alten Systems, intensivieren, setzen sie ihr Vertrauen weiterhin auf Jehova. Wenn sie das, was er in ihrer Mitte vollbracht hat, Revue passieren lassen, empfinden sie so wie der inspirierte Psalmist, der schrieb: „Viele Dinge hast du selbst getan, o Jehova, mein Gott, ja deine wunderbaren Werke und deine Gedanken uns gegenüber, niemand ist mit dir zu vergleichen. Wollte ich sie kundtun und davon reden: Sie sind zahlreicher geworden, als ich aufzählen kann“ (Ps. 40:5).
[Fußnoten]
a Siehe Der Wachtturm vom 15. Februar 1983, Seite 10—15.
[Karte auf Seite 71]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
BOLIVIEN
RIBERALTA
TRINIDAD
Titicacasee
LA PAZ
COCHABAMBA
SANTA CRUZ
ORURO
VALLEGRANDE
SUCRE
COQUESA
POTOSI
UYUNI
ATOCHA
CHOROLQUE
TARIJA
PERU
CHILE
ARGENTINIEN
PARAGUAY
BRASILIEN
[Bild auf Seite 74]
Edward und Elizabeth Michalec blicken auf 40 Jahre fruchtbaren Dienstes in Bolivien zurück
[Bild auf Seite 80]
Harold Morris (Mitte), einer der ersten Missionare in Bolivien, hier zusammen mit N. H. Knorr und M. G. Henschel im Jahre 1949
[Bild auf Seite 82]
John und Esther Hansler (rechts) und ihre vier erwachsenen Kinder begrüßen andere vor dem Königreichssaal in Santa Cruz
[Bild auf Seite 95]
Das Zweigbüro in La Paz
[Bilder auf Seite 100]
Charlotte Tomaschafsky (rechts), eine Missionarin, gibt einer Familie der Aymará am Titicacasee Zeugnis. Schilfboote auf dem See sind etwas Alltägliches.
[Bild auf Seite 107]
Die Glieder des Zweigkomitees blicken auf insgesamt 90 Jahre Vollzeitdienst zurück (von links nach rechts: Eldon Deane, Walter Meynberg, Marco Ibieta, Hugo Fernández)