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Schweiz und Liechtenstein

Schweiz und Liechtenstein

Schweiz und Liechtenstein

WORAN denkst du, wenn du etwas von der Schweiz hörst — an Berge, Uhren, Käse oder an zartschmelzende Schokolade? Nun, in der Schweiz gibt es noch weit Wertvolleres als diese Dinge. Zuerst möchten wir dir aber etwas über das Land selbst erzählen.

Etwa hundert Jahre bevor Jesus Christus seinen öffentlichen Dienst in Israel durchführte, wollte ein keltischer Volksstamm, die Helvetier, von Zentraleuropa in mildere Gegenden im Süden wandern. Die römischen Legionen unter Julius Cäsar stellten sich ihnen jedoch in den Weg. Nach einer verlustreichen Schlacht im Jahre 58 v. u. Z. wurden die überlebenden Helvetier zur Umkehr gezwungen; sie ließen sich erneut im Flachland zwischen dem Genfer See und dem Rhein nieder. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich hier ein Staatenbund, der als Confoederatio Helvetica oder einfach Helvetia bekannt wurde. Zweifellos kennst du dieses Land unter seinem neuzeitlichen Namen — Schweiz.

Die Schweiz ist ein kleines Land mitten im Herzen Europas; sie umfaßt nur 41 293 Quadratkilometer. Im Norden grenzt sie an die Bundesrepublik Deutschland, im Westen an Frankreich, im Süden liegt Italien, und die östliche Grenze bilden Österreich und Liechtenstein. Wenn das Gebiet auch verhältnismäßig klein ist, gibt es wenige Länder, die auf so engem Raum eine derartige Vielfalt an Landschaftsbildern zu bieten haben wie die Schweiz — seien es majestätische, schneebedeckte Berge oder die Palmenalleen im Süden. Die nahezu 6,5 Millionen Einwohner gehören vier Kulturkreisen an und sprechen die betreffenden Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. Die rätoromanischsprechenden Schweizer beherrschen gewöhnlich auch die deutsche oder die italienische Sprache. Hinzu kommen noch die Sprachen der vielen Ausländer, die in die Schweiz gekommen sind, um dort zu arbeiten oder zu leben.

DIE RELIGIÖSE SITUATION

Der größte Teil der Einwohner bekennt sich entweder zum protestantischen oder zum katholischen Glauben. Obwohl in den Städten und Dörfern nunmehr Angehörige beider Konfessionen nebeneinander wohnen, gibt es immer noch Gegenden, in denen die eine oder andere Religion vorherrscht. Zum Beispiel sind Genf und Zürich aus der Geschichte als die Städte der protestantischen Reformatoren Calvin und Zwingli bekannt. Auch Bern, Basel und Lausanne sind überwiegend protestantisch, wohingegen die Städte St. Gallen, Luzern und Lugano fast ausschließlich katholisch sind. Die alte Stadt Freiburg ist zufolge ihrer katholischen Universität und zahlreicher Seminare eine Hochburg der römisch-katholischen Kirche.

In vielen Fällen ist die Grenze eines Kantons (d. h. eines Landes oder einer Provinz) auch eine konfessionelle Grenze, da die Bevölkerung eines gewissen Kantons entweder vorherrschend katholisch oder mehrheitlich protestantisch ist. Spricht man zum Beispiel von der Zentralschweiz, vom Wallis oder vom Tessin, so denkt man unwillkürlich an den Katholizismus. Personen, die jedoch aus den Kantonen Bern, Neuenburg oder Zürich stammen — um nur einige zu nennen —, gehören gewöhnlich dem protestantischen Glauben an.

Natürlich gibt es außerdem eine Anzahl anderer Religionen, zum Beispiel die christkatholische Kirche, die Israelitische Glaubensgemeinschaft, die Methodisten und andere mehr. Ja, es gibt Ortschaften, in denen Dutzende religiöse Gruppen vertreten sind.

Würde eine solch religiös gesinnte Bevölkerung die Königreichsbotschaft willkommen heißen? Wir werden sehen.

DIE BIBLISCHE WAHRHEIT GELANGT IN DIE SCHWEIZ

Im Jahre 1891 unternahm der erste Präsident der Watch Tower Society, Charles T. Russell, eine Reise durch verschiedene Länder Europas und des Nahen Ostens. Er machte auch in Bern halt. Über den Zweck seiner ausgedehnten Reise äußerte er sich wie folgt: „Eigenartige alte Ruinen, Schlösser und dergleichen interessieren mich nicht, aber ich möchte die Menschen beobachten, ihre Lebensweise, ihre Gedankengänge und ihre Neigungen kennenlernen.“ In seinem Reisebericht, der in der englischen Ausgabe der Zeitschrift Zions Wacht-Turm vom November 1891 veröffentlicht wurde, erwähnte er, daß in der Schweiz ebenso wie in anderen Ländern „das Feld“ reif sei und nur darauf warte, abgeerntet zu werden.

Aus diesem Grund machte er Adolf Weber den Vorschlag, in die Schweiz zu gehen und sich dort um den „Weinberg des Herrn“ zu kümmern. Bruder Weber war ein gebürtiger Schweizer, der in die Vereinigten Staaten ausgewandert war und dort die Wahrheit kennengelernt hatte. Er arbeitete zeitweise als Gärtner für Bruder Russell. Ohne zu zögern, nahm Bruder Weber den Auftrag an, für den er wie geschaffen war, denn er sprach die drei wichtigsten Sprachen der Schweiz. Im Januar 1900 ließ er sich in seinem Geburtsort, Les Convers, in den Jurabergen nieder.

Bruder Weber verdiente seinen Lebensunterhalt als Gärtner und Förster, doch sein Hauptinteresse galt dem Ausstreuen des Samens der Wahrheit. Er begann bei den Menschen, mit denen er arbeitete, dehnte aber bald sein Gebiet aus, indem er zu Fuß umliegende Dörfer und Städte besuchte und die Leute ansprach, wo immer er ihnen begegnete. Zur Winterszeit ging er zu Fuß nach Frankreich und sogar bis nach Italien, um dort zu predigen, doch im Frühling kehrte er wieder nach Les Convers zurück. In seinem Rucksack nahmen die wenigen persönlichen Habseligkeiten den geringsten Platz ein; doch war er vollgepackt mit Schriften, so viele Bruder Weber nur tragen konnte.

Eines Tages begegnete er im Kanton Bern auf einer Brücke über den Hagneckkanal einem Mann und gab ihm Zeugnis. Als er seinen Rucksack abnahm, entglitt ein Buch und fiel in das seichte Wasser nahe bei den Schleusen, direkt vor die Rechen. Später kam der Schleusenwärter, um die Rechen zu reinigen, und fand das Buch. Er ließ es trocknen und begann darin zu lesen. Es war ein Exemplar des 1. Bandes der Schriftstudien von Bruder Russell. Der Schleusenwärter und seine Frau staunten nicht wenig über die Dinge, die sie lasen, und kamen zu der Überzeugung, die Wahrheit gefunden zu haben.

DURCH INSERATE INTERESSE ERWECKT

Bruder Weber ließ nichts unversucht, um die Dinge ins Rollen zu bringen. Außer dem persönlichen Zeugnisgeben gab er in verschiedenen Zeitungen Inserate für die Schriftstudien auf, obwohl diese Art Reklame gewöhnlich alles andere als billig war. Es gelang ihm auch, einige Buchhändler dafür zu gewinnen, die Schriftstudien in ihre Kollektionen aufzunehmen. Schon bald trafen Bestellungen aus verschiedenen Landesteilen ein. Interessierte Personen, die in der gleichen Gegend wohnten, wurden miteinander in Verbindung gebracht, damit sie zusammenkommen und den Stoff gemeinsam studieren konnten. Es gab damals wenig Zerstreuung, so daß Freunde und Bekannte gern eine solche Zusammenkunft besuchten, wenn sie dazu eingeladen wurden. Meistens sprachen sie sich untereinander ab, wer das Studium leiten sollte, und manchmal wechselten sie sich dabei ab.

In jenen frühen Jahren des Werkes spielten Traktate eine große Rolle. Die wenigen getauften Brüder brachten den Mut auf, diese am Eingang der Kirchen zu verteilen oder sie zu Tausenden mit der Post an Haushaltungen im deutschsprachigen Teil der Schweiz zu versenden. Brüder in den Vereinigten Staaten halfen ihrerseits, das Werk zu fördern, indem sie deutsche Ausgaben von Zions Wacht-Turm an Freunde und Verwandte in der Schweiz versandten. Einige von diesen nahmen die Wahrheit an (Pred. 11:1).

DER PRÄSIDENT STAND VOR DER TÜR

Eine der ersten Personen, die durch Bruder Weber die Wahrheit kennenlernten, war Frau Anna Bachmann in Basel. Obwohl sie bis dahin regelmäßig die evangelisch-reformierte Kirche besucht hatte, wurde ihr Interesse am Bibelstudium erst durch ein Gespräch geweckt, das Bruder Weber mit ihr über Gottes Vorsatz in Verbindung mit der Menschheit und über die grundlegenden Wahrheiten der Bibel führte. Sie nahm das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter entgegen und studierte es ganz allein, weil niemand da war, der ihr hätte helfen können. Ein Jahr später kehrte Bruder Weber zurück, beantwortete in seiner ruhigen Art ihre Fragen und ermunterte sie, das Studium des Wortes Gottes fortzusetzen.

Zu Frau Bachmanns Überraschung standen dann im Mai 1903 zwei Besucher vor ihrer Tür. Der eine war ein Bibelforscher aus dem nahe gelegenen Mülhausen (damals eine deutsche Stadt, heute zu Frankreich gehörend), und sein Begleiter war niemand anders als der Präsident der Watch Tower Society selbst, Bruder Russell. Das vom Erstgenannten übersetzte Gespräch war für Frau Bachmann sehr erbauend und half ihr, weitere Fortschritte zu machen. Im Laufe der Zeit gab sie sich Jehova hin und diente ihm. Auch ihr Mann nahm die Wahrheit an und später auch ihr Sohn Fritz. Andere Personen bekundeten ebenfalls Interesse, so daß 1909 in Basel eine Studiengruppe organisiert werden konnte. Fritz Bachmann, mittlerweile an Jahren vorgerückt, ist heute mit einer der Versammlungen in Basel verbunden.

BEDARF AN FRANZÖSISCHEN SCHRIFTEN

Die Zeitschrift Zions Wacht-Turm war von 1897 an in den Vereinigten Staaten in Deutsch gedruckt worden. Als sie ab 1903 auch in Französisch erschien, war das für Bruder Weber ein Grund zu großer Freude. Doch er hatte das Gefühl, daß die Schriftstudien in Französisch ebenfalls dringend benötigt wurden, um das Verständnis der Bibel zu fördern. Deshalb ging er selbst daran, sie zu übersetzen. Andere Veröffentlichungen folgten. Im Jahre 1903 wurde in Yverdon ein kleines Büro der Gesellschaft und ein Literaturdepot eröffnet.

Die Zahl derer, die Jehova dienten, war damals recht klein. Zusammenkünfte, ja sogar Kongresse wurden in Privatwohnungen abgehalten. Aber die Zukunft sah vielversprechend aus, und die Brüder waren voller Eifer. Bruder Weber wurde zum Leiter des Werkes im französischen Sprachgebiet ernannt. Für den deutschsprechenden Teil der Schweiz wurde in Zürich ein kleines Büro eingerichtet, wo man Schriften beziehen und Auskünfte erhalten konnte; es stand unter der Aufsicht des Zweigbüros in Barmen-Elberfeld (Deutschland).

ERBAUENDE BESUCHE VON BRUDER RUSSELL

„Hauptversammlungen“ waren von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Werkes. Eine solche Hauptversammlung fand 1910 in Zürich statt; ungefähr hundert Personen waren anwesend. Von Jahr zu Jahr nahm die Zahl der Teilnehmer zu, und oftmals befand sich auch Bruder Russell in ihrer Mitte.

Wenn man zurückdenkt, so staunt man unwillkürlich über seinen Unternehmungsgeist. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man bei weitem nicht so schnell und bequem reisen wie heute. Dennoch überquerte Bruder Russell fast jedes Jahr den Ozean, um seine Brüder in Europa zu stärken und das Werk voranzutreiben. Und wie ausgefüllt sein Zeitplan war!

Im Jahre 1912 besuchte er Genf, Basel, Zürich und St. Gallen. Sein öffentlicher Vortrag „Jenseits des Grabes“ wurde mit Hilfe großer Plakate angekündigt. Darauf war ein Finger zu sehen, der anklagend auf eine Prozession von Geistlichen wies. Der Text dazu lautete: „Weh euch ...! Denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen“ (Luk. 11:52, Lu). Dieses Thema öffnete manchen Leuten die Augen und war eine echte Sensation. Die Tatsache, daß es kein Höllenfeuer gibt, daß die Toten ohne Bewußtsein sind und daß für sie die Hoffnung besteht, wieder zu leben, wurde zum Stadtgespräch (Pred. 9:10; Apg. 2:22-31; 24:15). Im Nu verbreitete sich die Nachricht, und es schien, daß die gemieteten Säle nie groß genug waren. Oft mußten Scharen von Menschen abgewiesen werden, weil kein Platz mehr war. Die Verkündigung der Wahrheit über den Zustand der Verstorbenen rüttelte wahrhaftig an den Pfeilern der traditionellen Religionen!

PEINLICHE FRAGEN AN GEISTLICHE

Einige Personen begannen, ihren Pfarrern peinliche Fragen zu stellen. Unter ihnen war Clara Adler. Sie hatte von einer Verwandten eine Broschüre erhalten, betitelt Wo sind die Toten?, und hatte sie mit großem Interesse gelesen. Der klare Aufschluß über den Zustand der Toten und die Hoffnung für die ganze Menschheit veranlaßte sie, zu ihrem Pfarrer zu laufen, um ihn an ihrer Begeisterung teilhaben zu lassen.

„Bestimmt hat er noch nie so etwas Wunderbares gehört“, dachte sie. Doch o weh! Sie kam an die falsche Adresse: „Ich kenne das, ich kenne das, ... aber es wäre viel besser für Sie, solche Schriften nicht zu lesen.“ Schwester Adler ließ sich jedoch nicht entmutigen. Sie sagt: „Obwohl ich damals sehr wenig von der Wahrheit wußte, waren mir die Worte der Bibel maßgebender als die Meinung des Pfarrers. Ich erkannte jetzt, daß man nicht Theologie studieren mußte, um Gottes Wort zu verstehen. Vielmehr hat Gott dem Menschen den Verstand gegeben, um ihn zu gebrauchen.“ Das hat sie auch getan, und sie hat vielen anderen geholfen, es ebenfalls zu tun.

Viele Geistliche gerieten wegen der von Bruder Russell gelehrten Wahrheiten in große Aufregung, doch es gab auch einige, die seine Bemühungen um die Verbreitung genauer biblischer Erkenntnis begrüßten. Unter diesen befand sich Ludwig Reinhardt. Er veröffentlichte 1877 eine Übersetzung des „Neuen Testaments“ in Deutsch. Sie verdient wegen folgender Wiedergabe von Lukas 23:43 besondere Beachtung: „Und Jesus sprach zu ... [dem Übeltäter]: Wahrlich, ich sage dir heute: Mit mir wirst du im Paradiese sein.“ Im Laufe eines Briefwechsels mit einem Bibelforscher im Jahre 1908 schrieb dieser protestantische Pfarrer folgendes: „Ich kenne also die ‚Millennial-Dawn‘-Bewegung sehr gut und freue mich über die rege und selbstverleugnungsvolle Tätigkeit Br. C. T. Russells und aller seiner Mitbrüder von Herzen ... Da mir sehr daran liegt, so viel wie möglich alle Unrichtigkeiten auszumerzen und eine möglichst getreue und gute Übersetzung zu liefern, so wäre ich Ihnen und Br. Russell sehr dankbar, wenn Sie mir alle Stellen bezeichnen würden, welche Sie in meiner Übersetzung beanstanden.“

„PILGERBRÜDER“ STÄRKEN DIE GLÄUBIGEN

„Pilgerbrüder“ waren reisende Vertreter der Gesellschaft, ähnlich wie heute die Kreisaufseher. Ihre Bemühungen trugen zur Einheit unter den Brüdern bei und bewirkten eine engere Verbindung zu Gottes Organisation. Die Gesellschaft kündigte in der Zeitschrift Zions Wacht-Turm die vorgesehene Reiseroute der Pilgerbrüder an, und Versammlungen und kleinere Gruppen auf dieser Route konnten schriftlich den Wunsch äußern, besucht zu werden. Die Pilgerbrüder waren geübte Redner, und ihre öffentlichen Vorträge wurden meistens sehr gut besucht. Im Jahre 1913 zählte man in der Schweiz beispielsweise eine Gesamtzuhörerschaft von über 8 000 Personen.

Einige Brüder erinnern sich noch heute an die liebevolle Hilfe, die ihnen von Bruder Herkendell und Bruder Buchholz aus Deutschland sowie von anderen Pilgerbrüdern zuteil wurde. Gewöhnlich blieben sie nur ein oder zwei Tage an jedem Ort. Aber sie machten von ihrer Bibelkenntnis guten Gebrauch, indem sie den Brüdern biblische Erkenntnis vermittelten und Neuinteressierte ermahnten, sich niemals durch Gegner einschüchtern zu lassen. Bruder Wellershaus hatte ein Steckenpferd: die Chronologie. Er hielt jeweils an Hand von Karten und graphischen Darstellungen ausführliche Ansprachen, die so eindrucksvoll waren, daß sich Zuhörer von damals heute noch sofort daran erinnern, wenn vom Dienst der Pilgerbrüder gesprochen wird.

IN ERWARTUNG DES JAHRES 1914

Von 1876 an war die Aufmerksamkeit der Bibelforscher auf das Jahr 1914 als einen Wendepunkt in der Weltgeschichte gelenkt worden. Die 2 520 Jahre der sogenannten Zeiten der Nationen sollten damals enden (Luk. 21:24). Schwester Berta Obrist erinnerte sich, wie oft sie von ihrer Familie verspottet wurde, wenn sie von dem Krieg sprach, der in jenem Jahr zu erwarten war. „Hör jetzt endlich auf, über 1914 zu reden!“ fuhr ihre Großmutter sie jeweils verärgert an. Doch wie überrascht und sprachlos sie war, als im Jahre 1914 dann tatsächlich der Krieg ausbrach!

Auch die Eltern der kleinen Hulda in Schaffhausen konnten einfach nicht glauben, daß die Weltlage im Jahre 1914 eine drastische Veränderung erfahren würde, wie ihnen dies ein Bekannter wiederholt an Hand der Bibel erklärt hatte. Doch Schwester Hulda Peter erinnert sich, daß ihre Mutter ganz außer sich war, als der Krieg ausbrach. Jetzt stiegen in ihr eine Menge Fragen auf, und sie wollte um jeden Preis eine Bibel haben. Als sie die Wahrheit erfaßte, nahm sie sie bereitwillig an, trat aus ihrer Kirche aus und symbolisierte ihre Hingabe an Jehova Gott durch die Wassertaufe.

Auch viele andere wurden aufgerüttelt und erkannten die Bedeutung der Ereignisse, die sich von 1914 an auf der Weltbühne abspielten. Zu ihrem Nutzen veranlaßte Jehova die Vorbereitung einer Serie von vier Vorträgen mit Lichtbildern und Kurzfilmen.

DAS PHOTO-DRAMA DER SCHÖPFUNG

Die Vorführung des Photo-Dramas der Schöpfung war ein großer Erfolg. Einige Wochen nach der Generalmobilmachung der Schweizer Armee zufolge des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges wurde es zum ersten Mal in Bern gezeigt. In zwei Wochen zählte man insgesamt mehr als 12 000 Anwesende. Danach wurde es vor weiteren begeisterten Zuhörerschaften in kleineren Städten und Dörfern vorgeführt.

Unter den 3 000 Personen, die ihren Namen und ihre Anschrift mit der Bitte um mehr Informationen zurückließen, befand sich auch Heinrich Heuberger. Er hatte das Photo-Drama in der Ortschaft Safenwil gesehen. Die Vorführung erstreckte sich über vier Abende, und er war darauf bedacht, auch nicht einmal zu fehlen. „Ich war hellauf begeistert“, berichtete er. „Ich wollte mehr darüber erfahren. Deshalb füllte ich eine dazu bestimmte Karte aus und sandte sie noch am gleichen Abend ab. Bald darauf erhielt ich ein Traktat der Bibelforscher. Wenig später folgte ich einer Einladung zu einem öffentlichen Vortrag, und dort erwarb ich den ersten Band der Schriftstudien.“ Sein Arbeitgeber war der Schwager des protestantischen Pfarrers, und er machte kein Hehl daraus, daß er mit diesem Buch keineswegs einverstanden war. Aber Heinrichs Interesse war so brennend, daß er seine freien Stunden im Wald zubrachte, wo er das Buch ungestört lesen konnte.

Im Laufe des Jahres 1915 wurde das Photo-Drama im Gasthof „Zum Rothen Haus“ in der kleinen Stadt Brugg vorgeführt. Der Saal war schon lange vor der festgesetzten Zeit voll besetzt, so daß die Polizei keine weiteren Personen hineingehen ließ. Aber einige kühne junge Leute wollten sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Sie stellten Leitern an das Gebäude und erreichten den Saal durch die offenen Fenster im ersten Stock.

ENTWICKLUNG IM FRANZÖSISCHSPRACHIGEN GEBIET

In den Jahren vor 1914 war im deutschsprachigen Teil der Schweiz eine gute Zunahme zu beobachten, aber die Fortschritte des Werkes unter der französischsprechenden Bevölkerung entsprachen nicht den Erwartungen. Diesem Gebiet wurde deshalb besondere Aufmerksamkeit geschenkt, indem mehr öffentliche Vorträge gehalten wurden und das Photo-Drama vorgeführt wurde. Gute Resultate ließen nicht lange auf sich warten.

Das Literaturdepot in Yverdon wurde im Laufe des Jahres 1912 nach Genf verlegt und in ein Zweigbüro umgewandelt. Nun wurde von dort aus nicht nur das Werk im französischsprachigen Teil der Schweiz, sondern im ganzen französischen Sprachgebiet Europas beaufsichtigt. Später befand sich das Büro in anderen Lokalitäten, jedoch in der gleichen Straße. Das Zweigbüro betreute nun 23 Versammlungen. Der Gedächtnismahlbericht des Jahres 1916 wies eine Gesamtzahl von 256 Anwesenden in der französischsprechenden Schweiz und 108 in Frankreich auf. Im folgenden Jahr zählte man eine Zuhörerschaft von insgesamt 56 550 bei den verschiedenen Vorführungen des Photo-Dramas.

PRÜFUNGEN BEWIRKEN EINE LÄUTERUNG

Das Jahr 1918 brachte Glaubensprüfungen und eine Läuterung. So wurde die Schlacke ausgefegt, und Personen, die Jehovas Wege wirklich liebten, wurden kenntlich gemacht (Mal. 3:1-3). Zufolge des Krieges gab es Einschränkungen, besonders was das Heizmaterial betraf, und deshalb mußten öfter Zusammenkünfte abgesagt werden. Zudem übten die Ereignisse im Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn einen nachteiligen Einfluß auf die Tätigkeit der Brüder hierzulande aus. Einige wurden von Furcht ergriffen. Andere glaubten, das Werk gehe dem Ende zu und Harmagedon könne jeden Augenblick hereinbrechen. Auch von seiten der verantwortlichen Brüder gab es wenig Ermunterung. Das war die Lage, als am 11. November 1918 der Krieg zu Ende ging.

Viel schlimmer waren jedoch die von L. A. Freytag verursachten Schwierigkeiten. Als der verantwortliche Leiter des Büros in Genf war er bevollmächtigt gewesen, eine französische Übersetzung der englischen Ausgabe des Wacht-Turms und der einzelnen Bände der Schriftstudien zu veröffentlichen. Doch er mißbrauchte seine Stellung, indem er seine eigenen Gedanken publizierte. Als Bruder Rutherford, der Präsident der Gesellschaft, davon erfuhr, entließ er Freytag unverzüglich, und das Büro in Genf wurde geschlossen. Doch Freytag bemächtigte sich des Eigentums der Gesellschaft in Genf und verweigerte einen Rechenschaftsbericht über finanzielle Angelegenheiten. Überdies wollte er eine eigene Zeitschrift unter dem Namen La Tour de Garde (Der Wacht-Turm) herausbringen. Er entstellte die Tatsachen und behauptete, die Gesellschaft beanspruche Dinge, die sein persönliches Eigentum seien. Deshalb wurde es nötig, gerichtlich gegen ihn vorzugehen. Freytag verlor alle drei Fälle und mußte der Gesellschaft sowohl die Einrichtungen und die Literatur als auch das Photo-Drama der Schöpfung zurückgeben. Auch wurde er gezwungen, über die finanziellen Mittel Rechenschaft abzulegen. Daraufhin wurden alle Verbindungen zu ihm abgebrochen, und er gründete eine eigene Bewegung.

Obwohl die Versammlungen ausdrücklich gewarnt und liebevoll ermahnt worden waren, folgte eine ganze Anzahl Personen Freytag nach. Bedauerlicherweise blieben von den 304 Personen, die 1919 dem Gedächtnismahl in französischer Sprache beigewohnt hatten, nur 75 mit der Gesellschaft verbunden, und von diesen wiederum kehrten später viele in die Welt zurück.

Nichtsdestoweniger fuhr Jehova fort, die Treuen durch seinen Geist zu unterstützen. In allen Teilen des Landes zeigten sich immer mehr interessierte Personen, die in die Freuden des vor ihnen liegenden Königreichswerkes eingingen. Unter ihnen befand sich auch Alice Berner. Als junges Mädchen hatte sie Psalm 103 auswendig gelernt und war tief berührt von den Worten: „Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen“ (Lu). Dieses junge Fräulein bereitete den Pfarrherren ihrer Kirche große Sorgen. Sie erinnert sich: „Mein Austritt aus der protestantischen Kirche verursachte geradezu einen Aufruhr. Zwei Pfarrer versuchten, mich zum Verbleib in ihrer Hürde zu überreden. Aber diese Diskussionen ließen mich nur noch deutlicher erkennen, daß man sich unbedingt von einem Religionssystem trennen muß, das nicht völlig auf der biblischen Wahrheit fußt.“ Wenige Jahre später widmete Schwester Berner ihre ganze Zeit dem Dienst für Jehova. Die Tatsache, daß sie mit 85 Jahren immer noch eine freudige und aktive Bethelmitarbeiterin ist (jetzt in der Bundesrepublik Deutschland), bekräftigt, daß sie ihren Entschluß nie bedauert hat.

Im Frühling 1919, im gleichen Jahr, in dem Alice Berner zum ersten Mal mit der Wahrheit in Berührung kam, trafen gute Nachrichten aus Übersee ein: Die Brüder vom Hauptbüro in Brooklyn und der Präsident der Gesellschaft, J. F. Rutherford, waren am 25. März 1919 aus ihrer ungerechtfertigten Haft entlassen worden! Kurz darauf erhielt Jehovas Volk durch die Spalten des Wacht-Turms zeitgemäße Belehrung, damit es erkennen konnte, welch großes Werk noch zu tun war. Keine Rede davon, daß das Zeugniswerk zu Ende gehe! Im Gegenteil, jetzt sollte es erst richtig vorangetrieben werden!

EIN ZENTRALEUROPÄISCHES BÜRO EINGERICHTET

Im darauffolgenden Jahr besuchte Bruder Rutherford die Schweiz und brachte die Dinge in Bewegung. Um das Werk im kriegsgeschädigten Europa zu reorganisieren, wurde beschlossen, ein Zentraleuropäisches Büro einzurichten, und die Schweiz schien dafür der geeignetste Ort zu sein, da sie am Krieg nicht aktiv beteiligt gewesen war. So wurde das Zentraleuropäische Büro zusammen mit dem Zweigbüro für die Schweiz in der Usteristraße 19 in Zürich eingerichtet. Ein Mitarbeiterstab von 10 Personen arbeitete dort im Jahre 1924. Der verantwortliche Leiter war Conrad Binkele, und unter den Mitarbeitern befand sich auch Max Freschel, der später im Hauptbüro in Brooklyn diente und vielen als Maxwell Friend bekannt war und geschätzt wurde.

Das Zentraleuropäische Büro hatte die Aufsicht über das Werk in der Schweiz, in Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Österreich, Italien, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Polen, und zeitweilig auch über das Werk in Deutschland. Einige dieser Länder hatten eigene Leiter des Werkes, aber diese arbeiteten eng mit dem Zentraleuropäischen Büro zusammen. Die Monatsberichte wurden an dieses Büro gesandt und von dort gesammelt nach Brooklyn weitergeleitet. Die Versorgung der genannten Länder mit Veröffentlichungen in zahlreichen Sprachen gehörte ebenfalls zum Aufgabenbereich des Zentraleuropäischen Büros.

Während der ganzen Zeit hatte Bruder E. Zaugg, der Leiter des Werkes in den französischsprachigen Gebieten, sein Büro in Bern. Ebenfalls in Bern hatten einige Brüder aus eigener Initiative eine Druckerei gegründet und stellten Publikationen für die Gesellschaft zu niedrigen Kosten her, da alle Mitarbeiter Gott hingegebene Personen waren. Im Laufe der Zeit übernahm die Gesellschaft diese Räumlichkeiten, vergrößerte die Druckerei und erwarb eine Rotationspresse, auf der ab Oktober 1922 die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter in Deutsch gedruckt wurde. Auch große Mengen Broschüren und Traktate in mehr als einem Dutzend Sprachen wurden dort hergestellt.

Anläßlich des Besuches von Bruder Rutherford im Jahre 1924 wurde jedoch deutlich, daß mehr Platz und eine bessere Einrichtung nötig waren, um den enormen Bedarf an Literatur im Nachkriegseuropa zu decken. Die Gesellschaft kaufte ein gegenüberliegendes Grundstück und begann mit dem Bau eines neuen „Bibelhauses“, das im Frühjahr 1925 bezugsbereit war. Im neuen Druckereiraum stand auch eine weitere Rotationspresse. Die Leistungsfähigkeit der Druckerei wurde im Laufe der Jahre fortwährend verbessert, so daß schließlich pro Jahr 500 000 gebundene Bücher und eine Million Broschüren, außer Zeitschriften und Traktaten, in wenigstens 16 Sprachen hergestellt wurden.

WECHSEL DES STANDORTES UND DER LEITUNG

Es war ein großes Ereignis, als das Zentraleuropäische Büro am 1. April 1925 in dieses neue Gebäude in der Allmendstraße 39 in Bern übersiedelte.

Josef A. Bick erinnerte sich gut an die Umstände in Verbindung mit diesem Umzug. „Wir freuten uns auf die neuen Räumlichkeiten“, sagte er, „aber da war e i n e große Frage im Sinn aller Mitarbeiter: Wem wird wohl die Leitung übertragen werden? Drei Brüder kamen in Frage: C. C. Binkele, der bisherige Leiter des Büros in Zürich; E. Zaugg, bereits in Bern und verantwortlich für das dortige Werk und die französischsprechenden Gebiete; und da war auch Jakob Weber, der sich bislang um das Predigt- und Kolporteurwerk gekümmert hatte.“

Würden die Brüder den Interessen zur Förderung der wahren Anbetung den ersten Platz einräumen, oder würden sie zulassen, daß persönlicher Stolz und die Sorge um ihre Position sie daran hinderten, ihren Dienst weiterhin in Demut auszuüben? „Es waren spannungsvolle Tage“, erinnert sich Bruder Bick, „aber der Präsident hatte die Sachlage gut erkannt.“ Mit Rücksicht auf Bruder Binkeles geschwächten Gesundheitszustand wurde ihm vorgeschlagen, zur Behandlung in die Vereinigten Staaten zu reisen. An seiner Stelle wurde Bruder Zaugg mit der Aufsicht betraut. Im Laufe der Zeit gaben jedoch sowohl C. C. Binkele als auch E. Zaugg die wahre Anbetung auf.

SCHWERE PRÜFUNGEN IM JAHRE 1925

Das Jahr 1925 begann dank des neuen Bethelheims und der neuen Druckerei in Bern sehr vielversprechend. Die Brüder waren freudig, und sie wurden ermuntert, das Werk voranzutreiben. Einige hatten jedoch eigene Vorstellungen bezüglich des Jahres 1925. Würden sie sich durch die Wacht-Turm-Ausgabe vom 1. Februar jenes Jahres warnen lassen? Sie mahnte wie folgt zur Vorsicht:

„Das Jahr 1925 ist gekommen. Mit großer Erwartung haben Christen diesem Jahr entgegengesehen. Viele haben zuversichtlich erwartet, daß alle Glieder des Leibes Christi während des Jahres zu himmlischer Herrlichkeit verwandelt werden. Dies mag vielleicht erfüllt werden. Es mag vielleicht nicht so sein. Zu seiner eigenen rechten Zeit wird der Herr seine Absichten mit Bezug auf sein eigenes Volk vollbringen. Christen sollten nicht so tief bekümmert sein um das, was sich während dieses Jahres ereignen mag, daß sie es daran fehlen ließen, freudig das zu tun, was der Herr möchte, daß sie tun sollten.“

Jakob Weber, der im Bethel für die Dienstabteilung verantwortlich war, gehörte zu denen, die sich nicht warnen ließen. Er war so sicher, daß alle Gesalbten bis zum Jahresende im Himmel verherrlicht wären, daß er einen „Torschlußkurs“ einschlug. Ohne Bestellungen dafür erhalten zu haben, versandte er große Mengen Literatur an die Versammlungen mit der Anweisung, diese Publikationen vor Ende 1925 kostenlos in ihren Gebieten zu verteilen.

Alle Bemühungen der Brüder im Bethel, ihn zur Vernunft zu bringen, fruchteten nichts. Schließlich verließ er nicht nur das Bethel, sondern auch die Wahrheit und verursachte viel Kummer unter den Brüdern, weil er eine ganze Anzahl mitriß. In einigen Versammlungen ging die Zahl der Verkündiger um mehr als die Hälfte zurück.

Ein anderer trauriger Zustand kam innerhalb der Bethelfamilie ans Licht. Einige wenige hatten unmoralische Handlungen begangen. Die Reaktion aus dem Büro des Präsidenten erfolgte blitzartig. Anschließend wurde Martin C. Harbeck von Brooklyn nach Bern entsandt, um die Leitung der Zweigstelle zu übernehmen. Das war im Februar 1926.

SCHWEIZER VERKÜNDIGER KÜMMERN SICH UM LIECHTENSTEIN

An dieser Stelle erscheint es passend, etwas über Liechtenstein zu erwähnen, eines der kleinsten Länder der Welt. Es liegt am Ostufer des Rheins zwischen der Schweiz und Österreich. Die Liechtensteiner nennen es mit Vorliebe ’s Ländle — ein passender Kosename in Anbetracht der bescheidenen Ausmaße des Landes von nur 27 Kilometer Länge und einer durchschnittlichen Breite von ungefähr 6 Kilometern. Ein Großteil der 27 076 Einwohner genießt das ruhigere Leben in ländlichen Siedlungen, fern vom Gedränge der Städte. Die Hauptstadt Vaduz, inmitten einer prächtigen Alpenlandschaft gelegen, zählt gegenwärtig 4 927 Einwohner.

Die Verantwortung, das Licht der Wahrheit in dieser Hochburg des Katholizismus leuchten zu lassen, fiel den Verkündigern in der Schweiz zu. In den 20er Jahren begegneten die Brüder der Versammlung Rorschach heftigem Widerstand, wenn sie in Liechtenstein predigten. Sie wurden verhaftet und des Landes verwiesen. Doch Louis Meyer, ein ehemaliger Offizier der Heilsarmee, der 1923 die Wahrheit angenommen hatte, war sich der Verantwortung bewußt, die sich aus der Prophezeiung Jesu in Markus 13:10 ergab. Er suchte schafähnlichen Menschen in Liechtenstein die Gelegenheit zu geben, die Wahrheit zu hören. „Einmal bemühten wir uns, alle Haushaltungen zu erreichen, indem wir ihnen mit der Post eine Broschüre zusandten“, erinnerte er sich. „Daraufhin leiteten die Behörden Strafklage gegen den ‚unbekannten Auftraggeber‘ ein, aber es kam zu keiner Verurteilung, weil das Schweizer Postamt jegliche Auskunft verweigerte.“

Nach Rücksprache mit dem Zweigbüro organisierte Bruder Meyer später eine Tagesversammlung im Hotel Rosengarten in Bad Ragaz, unweit der Grenze zu Liechtenstein. Die Morgenstunden wurden dem Haus-zu-Haus-Dienst gewidmet. Für alle Fälle waren auch Brüder von der Dienstabteilung und von der Rechtsabteilung des Bethels anwesend. Die Dienstanweisungen waren knapp und klar: „Gebt ein kurzes Zeugnis, händigt eine Veröffentlichung aus, notiert interessierte Personen, und geht weiter. Sollte die Polizei aufkreuzen, so ruft sofort hier im Hotel an.“

Bruder Meyer berichtet: „Anfänglich schien alles gutzugehen. Aber beim Mittagessen fehlten die Verkündiger, die in Liechtenstein gepredigt hatten! Schließlich kam der Telefonanruf: ‚Alle sind verhaftet worden, und man verlangt eine große Kaution.‘ Die Brüder wurden in ihrem Bus vor dem Regierungsgebäude festgehalten. Sie sangen ‚Zionslieder‘ (nach dem damaligen gleichnamigen Liederbuch). Das konnten die Behörden nicht verbieten, aber es machte sie ganz nervös, weil dadurch die Aufmerksamkeit der ganzen Nachbarschaft erregt wurde.“

Durch die Vermittlung des Bruders von der Rechtsabteilung der Gesellschaft konnten die Verkündiger schließlich ohne Kaution freikommen. Ihrer Meinung nach hatte auch ihr Singen zu ihrer Freilassung beigetragen.

UNVERGESSLICHE BOTSCHAFTEN WERDEN VERBREITET

Im Laufe der Zeit haben langjährige Zeugen für Jehova mehrmals das Vorrecht gehabt, der schweizerischen Öffentlichkeit unvergeßliche Botschaften auszurichten. Eine davon war der Vortrag „Millionen jetzt Lebender werden nie sterben“. Dieses Thema zog große Menschenmengen an. Selbst heute noch erinnern sich ältere Personen, die wir im Dienst antreffen, an den Titel dieses Vortrages! Zum Spaß änderten einige den Titel geringfügig, indem sie von dem Wort sterben die Buchstaben st wegließen, so daß es hieß: „Millionen jetzt Lebender werden nie erben“. Doch die Hauptsache ist, daß sich die Menschen an die Botschaft erinnern.

Eine weitere denkwürdige Botschaft enthielt das Traktat Anklage gegen die Geistlichkeit. Die Verbreitung dieses Traktates Mitte der 20er Jahre war eine aufregende Tätigkeit. Der Versammlung in Zürich wurde zu diesem Zweck ein Teil des katholischen Kantons Schwyz zugeteilt. Ein unerschrockener Bruder, Gottfried Honegger, beabsichtigte, das Traktat nach Beendigung der Messe vor der Kirche zu verteilen, aber andere Brüder rieten ihm davon ab, indem sie sagten: „Du bist ja von Sinnen. Die Leute werden dich schlimm zurichten, wenn du sie so herausforderst.“

Bruder Honegger gab zwar diese Idee auf, führte aber dennoch eine mutige Aktion durch. Als der Gottesdienst in der Kirche vorbei war und sich alle Männer zum üblichen Sonntagstrunk in die Gasthäuser begeben hatten, ging er von Gasthaus zu Gasthaus und von Tisch zu Tisch und händigte schnell jedem Mann ein Traktat aus. Als sie erkannten, worum es ging, tobten sie. Unser Bruder zog sich vorsichtshalber in den Wartesaal des Bahnhofsgebäudes zurück, bis sich die Lage wieder beruhigte.

Auch Jules Feller erinnert sich an die Anstrengungen, die in Verbindung mit der Verbreitung dieses Traktates gemacht wurden: „Wir waren fünf Brüder von der Bethelfamilie, die beschlossen hatten, das Goms, ein Hochtal im Wallis, mit diesem Traktat zu bearbeiten. Da jeder ein geübter Radfahrer war, kamen wir überein, die Reise mit dem Fahrrad zu unternehmen, was allerdings zwei Tage erfordern würde. An einem Samstag Ende Mai brachen wir frühmorgens auf. Alles ging gut, bis wir einen Bergpaß erreichten, der noch völlig verschneit war. Mit einem solchen Hindernis hatten wir wahrhaftig nicht gerechnet!“

Was nun? Umkehren? Auf keinen Fall. Er berichtet weiter: „Mutig schulterte jeder sein bepacktes Fahrrad, und so begannen wir, im Zickzack den Abhang zu erklimmen. Doch dieses Unterfangen war viel schwieriger, als wir es uns vorgestellt hatten, und zudem noch gefährlich. Überdies trug einer der Brüder kein passendes Schuhwerk, so daß er auf dem gefrorenen Schnee immer wieder ausrutschte und mehr rückwärts als vorwärts ging. Das entmutigte ihn so sehr, daß er aufzugeben gedachte.“

Die anderen vier Brüder halfen ihm dann, seine Last zu tragen, und so erreichten sie schließlich nach dreistündigem Aufstieg und zufolge eines heftigen Gewitters völlig durchnäßt, das erste Dorf auf der anderen Seite des Passes. Dort stärkten sie sich durch eine Mahlzeit und einige Stunden Schlaf. Bruder Feller erzählt weiter:

„Am nächsten Morgen um drei Uhr fingen wir an, die Traktate in die Briefkästen oder unter die Türen zu stecken. Später am Tag, als die Einwohner aufgestanden waren, übergaben wir ihnen die Traktate persönlich. Einige Leute wurden sehr zornig und zerrissen sie. Wir fuhren jedoch in aller Ruhe fort, die 20 Dörfer jenes streng katholischen Gebietes zu bearbeiten.“

IM GEBÄUDE DES VÖLKERBUNDES WIRD ZEUGNIS GEGEBEN

Der Zweigaufseher, Martin C. Harbeck, war ein dynamischer Mann, durchaus befähigt, hochgestellten Persönlichkeiten die Wahrheit auf gefällige Art darzulegen. Er beschaffte sich einen Presseausweis, um bestimmten Sitzungen des Völkerbundes in Genf beiwohnen zu können. Bei diesen Gelegenheiten setzte er alles daran, mit einigen dieser Männer zu sprechen. Es gelang ihm, Publikationen auszuhändigen an Anthony Eden (England), Gustav Stresemann (Deutschland) und Maxim Litwinow (Rußland) — alles Delegierte ihrer Länder beim Völkerbund. Auf diese Weise wurde ihre Aufmerksamkeit auf das wahre Mittel zur Vereinigung der Völker aller Länder in Frieden und Gerechtigkeit gelenkt: Gottes Königreich in den Händen Christi.

Ein weiterer Versuch, einflußreiche Personen und Spitzenpolitiker zu erreichen, wurde anläßlich der Abrüstungskonferenz in Genf im Jahre 1932 unternommen. In Übereinstimmung mit den vor langer Zeit in Psalm 2:10-12 niedergeschriebenen Worten sandte man sowohl diesen Männern als auch einigen führenden Geistlichen ein Exemplar der Broschüre Das Königreich, die Hoffnung der Welt. Auf einer beigelegten Karte wurden die Empfänger dringend gebeten, dieser Botschaft ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken. Auf diese Weise erhielten 292 dieser politisch Mächtigen der Erde ein Zeugnis.

EINE ROTATIONSMASCHINE FÜR RUSSLAND?

In Deutschland war Hitler 1933 an die Macht gekommen. Bald darauf wurde das Werk der Zeugen Jehovas verboten. Bruder Harbeck begab sich nach Magdeburg, um nach dem Eigentum der Gesellschaft zu sehen. Er wurde jedoch verhaftet. Nach zehn Tagen ließ man ihn unter der Bedingung frei, daß er das Land unverzüglich verlasse.

Daraufhin reiste ein Bruder von Brooklyn nach Deutschland, um zu versuchen, die beschlagnahmte Rotationsmaschine aus Deutschland hinauszuschaffen und sie nach Rußland zu verschicken. Die Gesellschaft beabsichtigte, das Predigen der Königreichsbotschaft in jenem Land voranzutreiben. Aber die russischen Behörden waren der Auffassung, ihr Volk habe Schuhe nötiger als Bibeln, und so gelangte die Magdeburger Rotationsmaschine schließlich nach Bern. Dort hat sie gute Dienste geleistet, bis sie einige Jahre nach Kriegsende wieder nach Deutschland zurückgebracht werden konnte.

TÄTIGKEIT MIT DEM GRAMMOPHON

Im Jahre 1934 wurde in Verbindung mit dem Königreichspredigtwerk etwas Neues eingeführt, nämlich die Verwendung des Grammophons. Die Verkündiger sagten dem Wohnungsinhaber, daß sie eine fünf Minuten dauernde Predigt auf Schallplatte bei sich hätten, die sie ihm gern vorspielen würden. Meistens kam die Antwort: „Oh, aber ich habe kein Grammophon!“ Wenn der Verkündiger dann darauf hinwies, daß er eines bei sich habe, war die Neugierde so groß, daß die meisten Wohnungsinhaber gern zuhörten. Auf diese Weise wurde viel Interesse geweckt, und zahlreiche Schriften konnten zurückgelassen werden.

Die Tätigkeit mit dem Grammophon war verhältnismäßig einfach. Selbst Schulkinder konnten sich daran beteiligen. Ruth Bosshard (jetzt im Bethel) erinnert sich, wie sie als Zwölfjährige an schulfreien Nachmittagen ihr zugeteiltes Gebiet aufsuchte und interessierten Damen Schallplattenvorträge vorspielte. Wenigstens eine jener Zuhörerinnen gab sich später Gott hin, sehr zur Freude der jugendlichen Verkündigerin.

Manchmal ergaben sich auch ungewöhnliche Situationen. Heinrich Heuberger berichtet: „Eine sechsköpfige Familie gestattete mir, einen biblischen Vortrag auf Schallplatte abzuspielen. Alle waren im Wohnzimmer versammelt, doch während des Abspielens verschwand lautlos einer nach dem anderen, so daß ich am Ende der fünfminütigen Ansprache ganz allein zurückblieb. Was blieb mir da anderes übrig, als mein Grammophon einzupacken, ‚Auf Wiedersehen!‘ zu rufen und meiner Wege zu gehen?“

Geduld und wiederholte Besuche waren notwendig, um den Sinn dieser traditionsgebundenen Leute für neue Gedanken zugänglich zu machen.

‘UNSER GOTT IST NICHT EIN GOTT DER UNORDNUNG’

Diese Worte zitierte jeweils Erwin Saner in Basel, während er mit dem Finger auf die Uhr zeigte, wenn ein Kind verspätet in die Sonntagsschule der Versammlung kam (1. Kor. 14:33).

Sonntagsschule? Ja, tatsächlich. Es gab eine Zeit, da hatten wir eine separate Jugendgruppe für die 13- bis 25jährigen und für die jüngeren eine Sonntagsschule, in der das Buch Der Weg zum Paradiese behandelt wurde. Dieses Buch von W. E. Van Amburgh wurde 1924 herausgegeben und war „der Jugend zum Forschen in der Heiligen Schrift gewidmet“. Erwachsene Glieder der Versammlung unterrichteten abwechslungsweise die Kinder am Sonntagmorgen. Ulrich Engler aus Thalwil erklärte diesbezüglich: „Wir Eltern gingen an Sonntagen in den Predigtdienst. Es war damals nicht Brauch, die Kinder mitzunehmen, auch nicht zu den Zusammenkünften am Abend. Als dann in Zürich eine Jugendgruppe gegründet und die Kinder der Thalwiler Versammlung auch dahin eingeladen wurden, waren wir sehr froh.“

Die Vereinigung „Jehovas Jugend“ hatte sogar ihr eigenes Sekretariat in Bern. Dieses gab eine besondere Zeitschrift, Jehovas Jugend, heraus, die auf den Druckpressen der Gesellschaft hergestellt wurde. Bruder Rutherford schrieb das Vorwort zur ersten Ausgabe. Die Jugendlichen hielten Zusammenkünfte ab und nahmen aktiv am Zeugniswerk teil. Bei größeren Veranstaltungen, die eigens für die Jugend organisiert wurden, führten sie auch biblische Dramen auf. Man mußte jedoch einsehen, daß dies in Wirklichkeit eine Organisation innerhalb der Organisation war. Aus der Bibel war zu ersehen, daß Jehova im alten Israel die Kinder zusammen mit den Erwachsenen zur Belehrung versammelte (5. Mo. 31:12). Als wir dies deutlicher erkannten, wurden diese besonderen Vorkehrungen für die Jugendlichen aufgehoben. Dies geschah 1936 anläßlich des Besuches von Bruder Rutherford.

BEMÜHUNGEN, DAS LICHT IN ITALIEN LEUCHTEN ZU LASSEN

Im Zentraleuropäischen Büro machte man sich Gedanken über Italien. Dort war der Diktator Mussolini an die Macht gelangt, und das Werk der Diener Jehovas war verboten worden. Auch gab es nur einige wenige Brüder in Italien, und diese wurden von der faschistischen Polizei scharf beobachtet. Immerhin war es möglich gewesen, in einer privaten Druckerei in Mailand 500 000 Exemplare der Broschüre Das Königreich, die Hoffnung der Welt drucken zu lassen. Diese Broschüren sollten nun verbreitet werden.

Einige Schweizer Brüder, die bereit waren, das Risiko auf sich zu nehmen, sollten nach Oberitalien reisen und in einer Blitzaktion dem Volk, das in Finsternis saß, durch die Verbreitung dieser Broschüre Licht bringen. Alfred Gallmann aus Basel war einer der Verkündiger, die bei dieser Aktion freudig mithalfen. Er berichtete:

„Zusammen mit einigen anderen Brüdern und Schwestern reiste ich nach Mailand, wo wir Anweisungen erhielten. Der Feldzug war sehr gut vorbereitet worden. Wir arbeiteten zu zweit und hatten zusammen 50 000 Broschüren zu verteilen, die bereits in die betreffenden Städte abgesandt worden waren. Meinem Partner und mir wurden die Städte Verona, Vicenza und Venedig zugeteilt. Die Aktion sollte so rasch wie möglich durchgeführt werden, um zu vermeiden, daß sich die Geistlichkeit bei der Polizei beschwerte und diese die Broschüren beschlagnahmen würde.

Bei unserer Ankunft hielten wir Ausschau nach ein paar Jungen, die uns den Weg zu den Straßen und Gäßchen zeigen konnten, die jeder zu bearbeiten hatte. Für ein kleines Trinkgeld halfen sie uns, die Broschüren in die Briefkästen zu werfen. Diese Jungen hatten richtig Spaß an dieser Tätigkeit, obwohl sie überhaupt keine Ahnung hatten, um was es sich eigentlich handelte.“

Verlief der Feldzug ohne jeden Zwischenfall? Beinahe. Einige Brüder wurden von der Polizei angehalten, aber nach ihren Erklärungen in gebrochenem Italienisch ließ man sie gehen. Am Ende der Woche trafen sich alle wieder in Mailand, hoch erfreut über die erfolgreiche Durchführung dieser Aktion. Wenigstens ein kleiner Teil der zahlreichen Bevölkerung Italiens war auf die einzige Hoffnung auf Freiheit und Gerechtigkeit hingewiesen worden — auf Gottes Königreich.

GEISTIGE SPEISE IN DAS NATIONALSOZIALISTISCHE DEUTSCHLAND EINGESCHLEUST

Zu den Aufgaben des Zentraleuropäischen Büros gehörte es auch, den Kontakt zu den unter Verfolgung leidenden Brüdern aufrechtzuerhalten. Obwohl Deutschland eigentlich nicht unter der Aufsicht dieses Büros stand, unternahmen die Mitarbeiter in Bern große Anstrengungen, um ihren Brüdern in Deutschland die dringend benötigte geistige Speise zukommen zu lassen.

Zu diesem Zweck sandte das Zweigbüro maschinegeschriebene Abschriften von Wachtturm-Artikeln an den Versammlungsaufseher in Basel, Karl Kalt, der uns folgendes wissen läßt: „Es war meine Verantwortung, dafür zu sorgen, daß etwa 30 Abschriften dieser Artikel auf dünnem Papier von vertrauenswürdigen Brüdern oder Schwestern hergestellt wurden. Die Kopien mußten zu einem bestimmten Datum fertig sein. Wir arbeiteten gewöhnlich jeden Abend bis Mitternacht.“

Wie gelangte jedoch diese geistige Speise in die Hände der Brüder in Deutschland? Da Basel an der deutschen Grenze liegt, war der Weg nicht weit. In jenen Vorkriegsjahren herrschte immer noch reger Verkehr über die Grenze. Allerdings kam es vor, daß Reisende gründlich durchsucht wurden. Bruder Kalt führt weiter aus:

„Vertrauenswürdige Personen aus Deutschland holten die Abschriften bei mir zu Hause ab und brachten sie über die Grenze, entweder versteckt in ihren Schuhen, zwischen doppelten Sohlen, oder unter ihrer Kleidung verborgen. Sie taten dies unter Lebensgefahr, aber sie brachten das kostbare Gut an seinen Bestimmungsort.“ Diese geistige Speise erreichte nicht nur die Brüder, die noch in Freiheit waren, sondern auch jene in den Konzentrationslagern.

SOLIDARITÄT MIT JEHOVAS ZEUGEN IN DEUTSCHLAND

Der große Druck, unter dem die Brüder in Deutschland litten, wurde auch von ihren Brüdern in der ganzen Welt mitempfunden. Es war so, wie Paulus in 1. Korinther 12:26 schrieb: „Wenn ein Glied leidet, leiden alle anderen Glieder mit.“ Dies trat deutlich zutage anläßlich einer besonderen Zusammenkunft aller Versammlungen am Sonntag, den 7. Oktober 1934, morgens um 9 Uhr. Bei diesem Anlaß wurde ein verschlossener Briefumschlag geöffnet. Er enthielt den Text eines Telegramms, das an die Hitler-Regierung abgesandt werden sollte. Der Wortlaut war wie folgt:

„Hitler-Regierung, Berlin, Deutschland. Ihre schlechte Behandlung der Zeugen Jehovas empört alle guten Menschen und entehrt Gottes Namen. Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten.“

Dieses Telegramm wurde am gleichen Tag von den Versammlungen in 50 verschiedenen Ländern einschließlich Deutschlands abgeschickt. Man stelle sich die Flut von Telegrammen vor, die sich an jenem Tag auf Berlin ergoß! Dies war nicht nur eine Warnung an Hitler und seine Partei, sondern es war auch eine Kundgebung der weltweiten Einheit und Solidarität des Volkes Jehovas. Was den Verlauf der Dinge betrifft, so ist das Geschick Hitlers und seiner Partei jedermann bekannt.

„KREUZZUG GEGEN DAS CHRISTENTUM“

Um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf den Widerstand der Zeugen Jehovas gegen den Terror der Nationalsozialisten zu lenken, stimmte das Büro der Gesellschaft in Brooklyn der Herausgabe des Buches Kreuzzug gegen das Christentum zu. Dieses Buch schildert in vielen Einzelheiten den Leidensweg der Zeugen Jehovas in Deutschland. Es enthält die Erfahrungen, die über hundert Brüder und Schwestern gemacht haben, und legt vor allem Zeugnis darüber ab, daß Männer und Frauen im nationalsozialistischen Deutschland um ihres Glaubens willen litten und starben. Das Buch wurde vom Europa-Verlag in Zürich, einer weltlichen Verlagsanstalt, herausgegeben und war in Buchhandlungen und an Zeitungskiosken ausgestellt. Es ist auch in Französisch und Polnisch erschienen, aber nicht in Englisch.

In einem Schreiben an die Gesellschaft sagte der bekannte Schriftsteller Dr. Thomas Mann: „... auf jeden Fall haben Sie Ihre Pflicht getan, indem Sie mit diesem Buch vor die Öffentlichkeit traten, und mir scheint, einen stärkeren Appell an das Weltgewissen kann es nicht geben.“ Der protestantische Geistliche Th. Bruppacher äußerte sich in einem Zeitungsartikel, der am 19. August 1938 erschien, folgendermaßen: „Der künftige Kirchenhistoriker wird einmal anerkennen müssen, daß nicht die großen Kirchen, sondern einige von den verschrieenen, belächelten Sektenleuten es gewesen sind, welche als erste das Rasen des Nazidämons aufgefangen und den glaubensmäßigen Widerstand gewagt haben. Sie leiden und bluten, weil sie als ‚Zeugen Jehovas‘ und Anwärter des Königreiches Christi die Hitlerverehrung, das Hakenkreuz, den deutschen Gruß und den erzwungenen Gang zur Urne ablehnen.“

EIN ZUFLUCHTSORT FÜR PIONIERE

Im Jahre 1936 kaufte die Gesellschaft das „Bärenmoos“, ein Bauerngut in der Nähe von Steffisburg bei Thun, um die Bethelfamilie mit gesunder Nahrung zu möglichst niedrigen Kosten zu versorgen. Zwei Jahre später erwarb sie ein weiteres Landgut, Chanélaz, unweit der Stadt Neuenburg gelegen. Beide Landwirtschaftsbetriebe dienten ebenfalls als Zufluchtsstätten für Pioniere, die ihre Auslandszuteilung verlassen mußten und nicht in ihre Heimatländer zurückkehren konnten. Dies betraf vor allem deutsche Pioniere, die auf dem Balkan gedient hatten. Bis zu 30 Brüder und Schwestern arbeiteten als Landarbeiter in diesen Betrieben; das war übrigens die einzige Beschäftigung, für die die schweizerischen Behörden eine Aufenthaltsbewilligung erteilten.

Einer der Brüder, die im Bärenmoos dienten, war Heinrich Dwenger. Geboren in Deutschland im Jahre 1887, ließ er sich 1909 anläßlich eines Besuches des Zweigbüros in Barmen taufen. Am gleichen Tag wurde er eingeladen, den Vollzeitdienst aufzunehmen. Der Entschluß fiel ihm nicht leicht, denn seine Eltern waren nicht in der Wahrheit und hegten hohe Erwartungen in bezug auf das berufliche Fortkommen ihres Sohnes. Trotzdem trat er im Oktober 1910 in den Vollzeitdienst ein, vorerst als Mitarbeiter im Zweigbüro in Barmen und später in Magdeburg. Danach erfüllte er schwierige Dienstaufgaben in Polen, Ungarn und in der Tschechoslowakei. Auf der Flucht vor der deutschen Gestapo gelang es ihm schließlich, die Schweiz zu erreichen, so wie die Gesellschaft ihm Anweisung gegeben hatte. Als Landarbeiter im Bärenmoos versorgte er frohgemut die Schweine. In späteren Jahren versah er seinen Dienst in der Abonnementsabteilung des Schweizer Zweigbüros.

Rückblickend auf sein Leben im Dienst Jehovas, sagte Bruder Dwenger: „Ich bin sehr glücklich, daß ich die biblische Verpflichtung, die gute Botschaft von Gottes Königreich zu predigen, angenommen habe. Ich habe viele Jahre in Bethelheimen in verschiedenen Ländern gedient, wo ich mir nicht die Arbeit aussuchen konnte, die mir gefiel, sondern wo ich die mir aufgetragenen Aufgaben zu erfüllen hatte. Ich bin glücklich, daß ich stets bemüht gewesen bin, den Anweisungen Jehovas, die mir durch seine irdische Organisation zugingen, nachzukommen, denn dieser Gehorsam ist für mich eine Quelle reicher Segnungen gewesen.“

Am 30. Januar 1983 hat Bruder Dwenger im Alter von 96 Jahren seinen irdischen Lauf beendet. Zahlreichen Brüdern und Schwestern sowohl in der Schweiz als auch im Ausland wird Heinrich Dwenger als ein Beispiel der Bescheidenheit, der Demut und des Gehorsams in guter Erinnerung bleiben — ein Beispiel zur Nachahmung.

Während ihrer Dienstzeit auf dem Gutshof Chanélaz haben es Oskar Hoffmann und seine Frau Anni besonders geschätzt, mit Adolf Weber Gemeinschaft zu pflegen, dem Bruder, der im Jahre 1900 mit dem Predigen der guten Botschaft in der Schweiz begonnen hatte. Er hatte manche gekannt, die einen vielversprechenden Anfang im Dienst Jehovas hatten, aber bald wieder zu den hinter ihnen liegenden Dingen zurückkehrten. Obgleich einige der Überheblichkeit zum Opfer fielen, fuhr Adolf Weber fort, Jehova auf loyale und demütige Weise zu dienen. Er war inzwischen an Jahren vorgerückt und kränklich, weshalb er die Wintermonate auf dem Gutshof Chanélaz verbrachte. Seine Bescheidenheit, sein starker Glaube und sein eifriger Dienst hinterließen bei allen, die ihn gekannt haben, einen tiefen Eindruck. Er war 85 Jahre alt, als er im Februar 1948 seinen irdischen Lauf vollendete.

IN EINE KATHOLISCHE HOCHBURG EINGEDRUNGEN

Als Bruder Rutherford 1922 in die Schweiz kam, machte man den Versuch, in der katholischen Hochburg Luzern einen öffentlichen Vortrag zu organisieren. Die Brüder fanden tatsächlich einen Saal mit 850 Sitzplätzen. Kein einziger blieb leer. Alle Anwesenden lauschten mit großer Aufmerksamkeit, und niemand verließ vorzeitig den Saal. Mehrmals zeigte die Zuhörerschaft ihre volle Übereinstimmung durch langen Applaus, so daß sich Bruder Rutherford am Schluß gezwungen sah, nochmals zum Rednerpult zurückzukehren. Er verabschiedete sich vom Publikum, indem er „Auf Wiedersehen!“ rief.

Dieses Versprechen hatte er gehalten. Eine internationale Hauptversammlung wurde vom 4. bis 7. September 1936 in Luzern anberaumt. Sozusagen aus allen europäischen Ländern strömten die Brüder herbei, einige sogar aus dem nationalsozialistischen Deutschland, obwohl sie dadurch ihre Freiheit und ihr Leben aufs Spiel setzten. Tatsächlich wurden deutsche Kongreßbesucher von Agenten der Nationalsozialisten heimlich fotografiert, und bei ihrer Rückkehr wurden sie sofort verhaftet.

Das Thema des weit und breit angekündigten Vortrags von Bruder Rutherford lautete: „Harmagedon — die Schlacht Gottes, des Allmächtigen“. Im letzten Augenblick verbot jedoch die Kantonsregierung von Luzern, den Vortrag auch für die Öffentlichkeit zu halten. Nur die im Saal versammelten Brüder konnten ihn anhören, während eine ungefähr zweitausendköpfige Menschenmenge von der Polizei daran gehindert wurde, den Saal zu betreten. Dennoch waren die Brüder entschlossen, diese Botschaft der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Sie hatten eine Druckerei gefunden, die bereit war, den Text in sechs Stunden zu drucken. So konnte der Wortlaut des Vortrages allen ausgehändigt werden, denen der Zugang zum Saal verwehrt worden war. Die Stadt Luzern erhielt auf diese Weise ein nachhaltigeres Zeugnis, sehr zum Ärgernis der Geistlichkeit, die hinter dem Verbot stand.

Als diese Unterdrückung der Versammlungsfreiheit publik wurde, hallte ein Ruf der Entrüstung durch die Schweizer Presse. Die National-Zeitung von Basel stellte am Schluß eines längeren Artikels die Frage: „Wohin entschwinden unsere Freiheiten, auf die wir so stolz waren?“

DIE MACHENSCHAFTEN DER GEISTLICHKEIT FALLEN AUF SIE ZURÜCK

Bruder Rutherford, ein unerschrockener und freimütiger Mann, unterbreitete am darauffolgenden Tag den Kongreßteilnehmern eine Resolution. Darin hieß es auszugsweise: „Aus diesem Grunde lassen wir heute die Warnung an die Herrscher in Deutschland, an die katholische Hierarchie und an alle ähnlichen Organisationen, die die wahren und treuen Nachfolger Christi Jesu grausam verfolgen, ergehen, daß ihr Geschick, nach Gottes Wort, vollständige Vernichtung sein wird (Psalm 145:20).“ Je ein Exemplar dieser Resolution wurde als eingeschriebener Brief an den Papst und an Hitler gesandt.

Doch das war nicht alles. Am letzten Tag des Kongresses verbreiteten ungefähr tausend Verkündiger in Luzern und Umgebung mehr als 10 000 Exemplare der Broschüre Entscheidung — Reichtum oder Ruin — Was wählst du? Eine Anzahl Verkündiger wurden verhaftet und ihre Schriften beschlagnahmt. Mehrere Zeitungen kritisierten diese behördlichen Maßnahmen, aber in Wirklichkeit wurde dadurch ein umfangreiches Zeugnis gegeben. Dazu kam, daß eine Sondernummer der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter gedruckt wurde, die einen eingehenden Bericht über den Kongreß enthielt.

Wie du siehst, zeigt die Titelseite dieser Ausgabe einen schwarzen Priesterhut auf einer Stange vor der Silhouette von Luzern. Die Bildunterschrift lautet: „Der neue Geßlerhut“. Wer war dieser Geßler? In Friedrich Schillers Drama Wilhelm Tell wird Geßler als grausamer Landvogt dargestellt, der im 13. Jahrhundert die freiheitsliebende Bevölkerung rund um den Vierwaldstätter See zu unterjochen suchte. Es wird gesagt, er habe seinen Hut auf eine Stange gesteckt und das Volk gezwungen, sich zum Zeichen ihrer Unterwerfung und Ergebenheit davor zu verbeugen. Somit wurde durch den Geßlerhut, der als das Symbol des Despotismus auf der Titelseite der Sonderausgabe des Goldenen Zeitalters erschien, auf die von der Geistlichkeit bei jenem Anlaß angeregte Unterdrückung der Redefreiheit angespielt.

Von dieser Ausgabe wurden 100 000 Exemplare gedruckt, von denen 20 000 kostenlos an alle Haushaltungen in Luzern und Umgebung verteilt wurden. Die nachgedruckten 18 000 Exemplare waren in wenigen Tagen ebenfalls verbreitet. Noch heute ist der Kongreß 1936 in Luzern für viele unvergeßlich!

Einer, dessen Interesse damals durch die Sondernummer der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter geweckt wurde, war Edouard Zysset aus Bern. Er ging ins Büro der Gesellschaft, und nach einer lebhaften Diskussion mit dem verantwortlichen Redakteur, Bruder Zürcher, ging er mit einem Stoß Publikationen unter dem Arm nach Hause. Vier Jahre später, 1940, ließ er sich zusammen mit seiner Frau Yvonne taufen. Besonders von diesem Zeitpunkt an waren sie beide der Gesellschaft eine sehr große Hilfe beim Korrekturlesen von Veröffentlichungen und bei der Vorbereitung unserer französischen Bibelkonkordanz. Sie trugen zur Stärkung französischer Versammlungen bei und dienten auch zweimal eine gewisse Zeit lang als Glieder der Bethelfamilie.

DER RECHTSKAMPF IN DEN DREISSIGER JAHREN

Die Schweiz ist weltweit dafür bekannt, eine der ältesten Demokratien zu sein. Historiker verherrlichen den Freiheitskampf, den die Gründer der Eidgenossenschaft gegen die Fremdherrschaft geführt haben. Auch sind die Schweizer stolz auf ihre Verfassung, die unter anderem Glaubens- und Gewissensfreiheit garantiert. Es ist deshalb um so erstaunlicher, welch ein intensiver Kampf „zur Verteidigung und gesetzlichen Befestigung“ unseres Rechts notwendig war, von Haus zu Haus zu predigen, sei es mündlich oder durch die Verbreitung von Schriften (Phil. 1:7). Dieser Kampf dauerte beinahe drei Jahrzehnte. Allein im Jahre 1935 gab es 111 Fälle auszufechten, von denen ungefähr die Hälfte zu unseren Gunsten entschieden wurde.

Was waren die Gründe, und wer stand hinter all den Schwierigkeiten, die den Verkündigern des Königreiches Gottes in den Weg gelegt wurden? Es waren die führenden Vertreter „Groß-Babylons“, die an der zunehmenden Tätigkeit der Zeugen Jehovas kein Gefallen hatten. Die symbolische Heuschreckenplage, wie sie in der Prophezeiung Joels und in der Offenbarung beschrieben wird, hatte sie erfaßt, und sie fühlten sich durch diese Gerichtsbotschaften gequält.

Die Broschüre Zuflucht zum Königreich veranlaßte zum Beispiel einen katholischen Priester zu folgender Äußerung: „Die Schrift enthält eine Unmenge biblischer Verdrehungen, Absurditäten, gemeine Verleumdungen, bewußte Irreführungen des Volkes, gemeiner Appell an die niedrigen Triebe des Menschen. Und solche Manipulationen sollten wir Katholiken uns gefallen lassen? Sicherlich sind gesetzliche Handhaben da, um diese Kerle und Volksverführer unschädlich zu machen. Wir sollen unsere Macht nicht brauchen? — Wir möchten die zuständigen Behörden dringend bitten, gegen diese boshaften Bibelforscher scharf vorzugehen und ihnen den verdienten Lohn zu geben.“

SIE MACHTEN WIRKLICH VON IHRER MACHT GEBRAUCH

Der ständige Druck der Geistlichkeit auf die Behörden blieb nicht ohne Auswirkungen. Auf Veranlassung von Ortspfarrern verhaftete die Polizei öfter Verkündiger im Predigtdienst. Die Anklagen lauteten entweder auf Verletzung religiöser Gefühle durch derbe Ausdrücke oder durch gewisse Illustrationen in unseren Veröffentlichungen, auf Störung des konfessionellen Friedens oder auf Verstoß gegen das Sonntagsruhegesetz. Des öftern wurden wir auch wegen Hausierens ohne Patent angeklagt.

Im Kanton Luzern verbot man das Buch Licht, Band 1, wegen gewisser Bilder, die es enthielt. In Freiburg, einem anderen katholischen Kanton, wurden einige Verkündiger vor Gericht beschuldigt, durch die Verbreitung des Buches Befreiung übermäßige Kritik an der katholischen Kirche geübt zu haben; wir verloren den Fall. Im Kanton Graubünden wurde die Verbreitung irgendwelcher unserer Publikationen verboten, während man im katholischen Kanton Zug die „friedenstörende Tätigkeit“ der Zeugen Jehovas ganz und gar untersagte. Danach verordnete die Luzerner Kantonsregierung dasselbe.

In diesen und Dutzenden anderen Fällen fochten wir die Gesetzlichkeit dieser gegen uns getroffenen Maßnahmen an. Der dazu erforderliche Rechtskampf mußte manchmal bis hinauf zum Bundesgericht geführt werden. Wir erlitten Niederlagen, aber wir errangen auch Siege. Jehova unterstützte sein Volk, und es war glaubensstärkend, zu beobachten, wie die Verkündiger den Kampf um die Freiheit, die Wahrheit zu predigen, unterstützten. Sie beteiligten sich weiterhin am Predigtdienst, obwohl in gewissen Gebieten Verhaftungen an der Tagesordnung waren.

DAS ZIEL DES FEINDES: VOLLSTÄNDIGES VERBOT

„Es ist höchste Zeit, der Tätigkeit der Bibelforscher alias Zeugen Jehovas ein Ende zu setzen.“ Diese Äußerung erschien häufig, besonders aber in der katholischen Presse. Die Tatsache, daß Jehovas Zeugen im nationalsozialistischen Deutschland verboten waren, ermutigte unsere Feinde in der Schweiz, das gleiche Ziel anzustreben. Verleumdung und Entstellung waren ihre Waffen.

Ein einflußreiches Mittel war die Schweizerische Pressekorrespondenz, ein monatlich erscheinendes Informationsblatt, das allen Behörden und Zeitungsredaktionen zugestellt wurde. Es stand in enger Verbindung zu der „Gesellschaft für Kirche und Papst“, die 1931 in St. Gallen gegründet worden war. Dieses Blatt war sehr bemüht, Jehovas Zeugen als eine höchst verdächtige und staatsfeindliche Organisation, die die Idee einer jüdischen Weltregierung unterstützt, erscheinen zu lassen. Auf die Unterbindung unseres Werkes und das Verbot unserer Schriften hinarbeitend, schrieb das Blatt: „Diese trübe Flut, die alle Länder Europas von Bern aus überschwemmt, überbindet uns Katholiken in der Schweiz die Verpflichtung, hier selbst dafür zu sorgen, daß diese Zentrale ausgehoben wird. Wir dürfen es nicht dulden, daß dieses unser herrliches Land als Ausgangspunkt für eine bolschewistische Wühlarbeit in den europäischen Staaten mißbraucht wird.“ Welch absurde Behauptung!

Der verantwortliche Leiter des Blattes, Herr Toedtli, strengte gegen die Vertreter der Gesellschaft, Martin C. Harbeck und Franz Zürcher, einen Prozeß wegen „Herabwürdigung der Religion“ an. Gleichzeitig sollte die Frage geklärt werden, ob die Veröffentlichungen der Gesellschaft als „Schundliteratur“ einzustufen seien oder nicht. Die von Herrn Toedtli vorgebrachten Anklagen stützten sich auf eine lange Abhandlung eines Herrn Fleischhauer, Mitglied der Nationalen Front und Leiter des antijüdischen und nationalsozialistischen Propagandazentrums in Erfurt (Deutschland). Dieser Mann behauptete, die Bibelforscher seien getarnte Kommunisten, die zusammen „mit den Freimaurern und den Juden den gewaltsamen Umsturz der christlichen Regierungen anstrebten und auf den Trümmern der Christenheit ein jüdisches Reich errichten wollten“.

BRUDER RUTHERFORD BEIM VERHÖR ANWESEND

Als der Fall am 26. August 1936 in Bern vor Gericht kam, hielt sich Bruder Rutherford, der Autor der beanstandeten Schriften, gerade in der Schweiz auf und konnte so den Verhandlungen als Zeuge beiwohnen. „Wenn die eingeklagten Schriften als ‚Schundliteratur‘ bezeichnet werden, so ist auch das Wort Gottes ‚Schundliteratur‘ “, argumentierte er, denn sowohl die Vergleiche als auch die beanstandeten Illustrationen beruhten auf Texten aus den Bibelbüchern Hesekiel, Jeremia und Offenbarung. „Es ist offensichtlich, daß die Gesetzgeber nicht die Absicht hatten, die Verbreitung der Heiligen Schrift oder erklärender Veröffentlichungen derselben zu verbieten. Die in Frage stehenden Publikationen enthalten die Wahrheit und nichts anderes, wie auch der Herr Christus Jesus sagte: ‚Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit‘ (Johannes 17:17).“ Mit diesen Worten schloß er seine Ausführungen.

Nach fünfstündigem Verhör kam Gerichtspräsident Lehmann zu dem Schluß, daß die Vertreter der Watch Tower Society, Martin C. Harbeck und Franz Zürcher, nicht beschuldigt werden könnten, das Gesetz gegen „Schundliteratur“ verletzt oder die Religion in den von der Gesellschaft in Bern gedruckten Schriften entwürdigt zu haben. Die beiden Angeklagten wurden somit freigesprochen, und der Kläger mußte an jeden von ihnen 150 Franken als Beitrag für die Verteidigerkosten entrichten.

DAS URTEIL ANGEFOCHTEN

Die katholische Presse im ganzen Land war über den Entscheid empört und nannte ihn „ein unglaubliches Fehlurteil“. Toedtli legte Berufung ein, und der Fall wurde am 28. Mai 1937 vor dem Berner Obergericht erneut aufgerollt. Das Urteil der ersten Instanz wurde umgestoßen, und die Vertreter der Gesellschaft wurden wegen „Herabwürdigung der Religion“ zu einer Buße von je 100 Franken verurteilt. Immerhin hielt das Gericht die Entscheidung aufrecht, daß keine Verletzung des Gesetzes gegen „Schundliteratur“ vorlag.

Kaum ein Jahr später kam ans Licht, wer Toedtlis Anstifter gewesen waren. Toedtli wurde der Spionage für das nationalsozialistische Deutschland für schuldig befunden und zu einer dreimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Allerdings hatte er sich bereits abgesetzt, und die Verurteilung erfolgte in absentia.

OFFIZIELLES VERBOT EINER BROSCHÜRE

In Europa herrschte 1939 eine gespannte Lage. Die Schweiz war beinahe ganz von totalitären Mächten eingekreist. Obwohl deren Ideologien im allgemeinen verworfen wurden, so waren die Schweizer Behörden doch eifrig bestrebt, jede Provokation dieser gefährlichen Nachbarn zu vermeiden. Die Lage nahm noch bedrohlichere Formen an, als die deutschen Truppen die Schweiz von allen Seiten umschlossen. Im Westen standen sie in Frankreich, im Osten in Österreich und im Süden in Italien. Die Schweiz und Liechtenstein waren vollständig isoliert, wie eine Insel im sturmgepeitschten Meer. In dieser Situation verbreiteten Jehovas mutige Diener die Broschüre Faschismus oder Freiheit, in der folgende Streitfrage vorgelegt wurde: „Soll die Welt durch den auf den Thron erhobenen König, durch Christus, in Gerechtigkeit regiert werden, oder sollen selbstsüchtige Willkürdiktatoren über sie herrschen?“ Die Broschüre nannte Hitler einen Vertreter des Teufels und deckte auf, daß die katholische Hierarchie „mit den Faschisten Hand in Hand“ arbeitete.

Zigmillionen Exemplare dieser Broschüre waren in den Ländern, die unter der Aufsicht des Zentraleuropäischen Büros standen, verbreitet worden, doch war es nicht verwunderlich, daß die Broschüre nun durch die schweizerische Bundesanwaltschaft aufgrund eines Bundesratsbeschlusses verboten wurde. Trotzdem wurde in der Presse über diese Maßnahme heftig debattiert. Die Gesellschaft ihrerseits reagierte mit einem Traktat, von dem 400 000 Exemplare in der ganzen Schweiz verbreitet wurden. Das hatte eine wahrhaft stürmische Gegnerschaft zur Folge, und wir wurden vielfach beschuldigt, kommunistische Propaganda zu betreiben. In katholischen Gebieten verhinderte oder unterbrach man unsere Zusammenkünfte, doch wie sich Josef Dvorak aus Luzern erinnert, darf gesagt werden: „Der beste Geist herrschte in der Versammlung immer dann, wenn die Schwierigkeiten am größten waren.“ Ohne die Hilfe des Geistes Gottes wären die Brüder ermattet und unter den ständigen Angriffen des Feindes zusammengebrochen. So aber waren sie bereit, „einen harten Kampf für den Glauben zu führen“, und ihr Vertrauen in Jehova wurde belohnt (Judas 3).

Über ein Beispiel ihrer Willigkeit wird aus der Versammlung Buchs (St. Gallen) berichtet. Die Versammlung verfügte noch über einen bedeutenden Vorrat an Broschüren Faschismus oder Freiheit. Als diese Broschüre in der Schweiz verboten wurde, kamen die Brüder zu dem Schluß, es sei das beste, die Broschüre im Ausland zu verbreiten — im Nachbarland Liechtenstein. Zufolge der Zollunion mit der Schweiz gibt es an der Grenze zu den beiden Ländern keine Kontrolle. Karl Dangelmeier war einer der Brüder, die abends die Broschüren in Liechtenstein verbreiteten. „Auch hier wirbelte die Broschüre viel Staub auf“, berichtete er, „besonders das Bild, das den Papst in Gesellschaft von Hitler und Mussolini darstellt! In Zeitungsartikeln kam Empörung zum Ausdruck, und die katholische Jungmannschaft war gegen uns zum Angriff bereit. Wir waren aber vorsichtig und hatten nie eine Tasche bei uns. So beendeten wir die Aktion unbehelligt, und die Broschüren gelangten in die Hände der Menschen.“

1939: DER ZWEITE WELTKRIEG BRICHT AUS!

Es war keine leichte Aufgabe für die Schweizer Regierung, im Schatten der totalitären Mächte, die ein Land nach dem anderen besetzten, zu lavieren. Die Armee wurde aufgeboten, um die Grenzen zu bewachen. Der Umstand, daß der Militärdienst obligatorisch ist, brachte für Männer, die sich ausschließlich Gott hingegeben hatten, große Prüfungen mit sich. Die meisten Zeugen Jehovas verweigerten aufgrund ihres christlichen Gewissens den Wehrdienst (Jes. 2:2-4; Röm. 6:12-14; 12:1, 2). Deshalb wurde eine große Anzahl Zeugen vor die Militärgerichte zitiert. Die Strafen waren unterschiedlich hoch — von einigen Monaten bis zu fünf Jahren Gefängnis. Wenn eine Strafe abgesessen war, wurden die Brüder meistens erneut zur Armee einberufen, und das Verfahren wiederholte sich. Eine zweite Strafe war immer höher als die erste.

Von allen Zeugen, die als Dienstverweigerer aus Gewissensgründen verurteilt wurden, hatte Fernand Rivarol aus Genf die längste Haftstrafe erhalten. Das kostete ihm die Arbeitsstelle und verursachte verständlicherweise Probleme für seine Frau und seine kleine Tochter. Aber Jehova sorgte für Ermutigung durch einen Gefängniswärter, der zu dieser Zeit bereits für die Wahrheit Interesse zeigte. Er nutzte jede Gelegenheit, die sich ihm in seinem Dienst bot, um Bruder Rivarol und die beiden anderen Brüder, die zur gleichen Zeit inhaftiert waren, sowohl physisch als auch geistig zu stärken. Die Standhaftigkeit dieser Diener Gottes trug viel dazu bei, daß der Gefängniswärter, Emile Bolomey, schließlich ein eifriger Bruder wurde.

Aus der Stellungnahme unserer Brüder schlossen die Behörden irrtümlicherweise, daß die Tätigkeit der Gesellschaft gegen die Interessen des Staates gerichtet sei und daß die Gesellschaft vorsätzlich zu antimilitaristischen Handlungen anstifte. Völlig ungerechtfertigt beschuldigte man sie sogar umstürzlerischer Aktivitäten.

SCHLIESSUNG DES ZENTRALEUROPÄISCHEN BÜROS

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges behinderte weitgehend die Arbeit des Zentraleuropäischen Büros, da ein Land nach dem anderen unter totalitäre Herrschaft geriet. Die Verbindung zu den Brüdern aufrechtzuerhalten wurde immer schwieriger, oder der Kontakt riß völlig ab. Die Tätigkeit des Büros wurde hinfällig, und so kehrte Bruder Harbeck mit seiner Frau im Sommer 1940 in die Vereinigten Staaten zurück, wo sie im Zonen- und Kreisdienst eingesetzt wurden.

Nun wurde die Verantwortung für das Werk in der Schweiz Franz Zürcher übertragen. Er hatte den Betheldienst schon im Jahre 1923 aufgenommen und in Belgien, im Saarland, im Nahetal, im Rheinland, in Elsaß-Lothringen und natürlich auch in der Schweiz beim Vorführen des Photo-Dramas der Schöpfung mitgeholfen. Danach war ihm die Redaktion der deutschen Ausgabe der Zeitschrift Das Goldene Zeitalter anvertraut worden. In Verbindung mit seinen Aufgaben in der Dienstabteilung hatte er auch für ungefähr 100 Pioniere gesorgt, die in den Ländern tätig waren, die der Aufsicht des Zentraleuropäischen Büros unterstanden.

Es war eine sehr schwierige Zeitperiode, in der Bruder Zürcher die Verantwortung für das Zweigbüro in der Schweiz übernahm. Er mußte sich sehr auf die Führung Jehovas verlassen. Unsere Feinde hatten sich kein geringeres Ziel gesteckt, als ein vollständiges Verbot unseres Werkes zu erwirken. In Artikeln katholischer Zeitungen wurden Jehovas Zeugen politische Ziele unterstellt, und ihre Tätigkeit wurde als staatsfeindlich bezeichnet. Die Überschriften solcher Artikel lauteten zum Beispiel: „Die ‚Ernsten Bibelforscher‘, die Wegbereiter des Bolschewismus“ oder: „Die ‚Bibelforscher‘ als Handlanger Moskaus“.

Angesichts dieser Stimmungsmache sahen sich die Militärbehörden dazu genötigt, etwas zu unternehmen. Am frühen Nachmittag des 5. Juli 1940 fuhr beim Zweigbüro in Bern ein Lastwagen mit Soldaten vor, die das Büro und die Druckerei der Gesellschaft besetzten. Der Bethelfamilie wurde befohlen, sich im Speisesaal zu versammeln und dortzubleiben, bis eine gründliche Hausdurchsuchung erfolgt sei. Einige Räume wurden versiegelt, und große Mengen von Literatur wurden beschlagnahmt und abtransportiert. Die Behörden suchten nach einem Beweis dafür, daß die Gesellschaft eindeutig zur Verweigerung des Militärdienstes aufgefordert habe. Eine Untersuchung wurde angeordnet.

WOHNUNGEN VON BRÜDERN DURCHSUCHT

Bald darauf durchsuchte die Polizei an einem bestimmten Tag und zu einer festgesetzten Stunde einige Wohnungen von Aufsehern und Verkündigern in allen Teilen der Schweiz. Man beschlagnahmte Literatur und führte Verhöre durch, die protokolliert wurden.

Emil Walder erzählt darüber folgendes: „Eines Morgens läutete um 7 Uhr die Klingel unserer Wohnung in der Marchwartstraße 37 in Zürich-Wollishofen. Draußen standen zwei stämmige Männer, Detektive der Kantonspolizei, die einen Hausdurchsuchungsbefehl vorwiesen und unaufgefordert eintraten. Sie durchsuchten alles und fanden meine Tasche mit den Akten und den in der Zusammenkunft des Vorabends eingenommenen Spenden, da ich damals die Versammlungskonten führte. Sie untersuchten und beschlagnahmten alles. Dann mußte ich sie in die Polizeikaserne begleiten, wo sie mich einer ‚Gehirnwäsche‘ unterzogen in der Hoffnung, mehr Namen und Adressen von Brüdern zu erfahren. Aber sie hatten keinen Erfolg. Danach begleitete mich ein anderer Detektiv bis an meinen Arbeitsplatz in der Bank, um festzustellen, ob mein privates Tresorfach etwas enthielt, was die Gesellschaft belasten würde. Auch das war erfolglos.“

DER ZENSUR UNTERWORFEN

Ohne das Ergebnis der Untersuchung abzuwarten, verfügte der schweizerische Generalstabschef eine Vorzensur des Wachtturms. Dieser Maßnahme konnte die Gesellschaft jedoch nicht zustimmen. Wie könnte geistige Speise von Jehova durch Militärpersonen dieses Systems der Dinge zensiert werden? So wurde offiziell die Herausgabe des Wachtturms eingestellt. Aber die Brüder — zu diesem Zeitpunkt schon mehr als tausend — brauchten deswegen nicht geistig zu darben. Zum persönlichen Studium erhielten sie maschinengeschriebene Kopien von Artikeln, die unter den Gliedern der Versammlung die Runde machten. Auf diese Weise konnten sie mit dem ständig zunehmenden Licht Schritt halten.

Um jedoch für den Predigtdienst Literatur zur Verfügung zu haben, holte man von der Zensurbehörde die Bewilligung ein, die Zeitschrift Trost (früher Das Goldene Zeitalter) sowie Broschüren zu drucken. Das wiederholte an uns gerichtete Ersuchen der Zensoren, beim Kommentieren der Weltlage eine vorsichtige Ausdrucksweise zu gebrauchen, spiegelte ihre Furcht vor den mächtigen Nachbarn wider.

Bruder Jules Feller, der mittlerweile schon mehr als 60 Jahre im Bethel dient, war damals beauftragt worden, die Manuskripte zur Zensur zu bringen. „Meistens beanstandeten die Zensoren die Texte nicht“, erinnert er sich. „Hie und da war gemäß ihrem Empfinden ein Ausdruck zu direkt, und sie verlangten, daß der Satz anders formuliert wurde. Natürlich kann man etwas auf verschiedene Art sagen, ohne dadurch die Wahrheit zu verwässern. Eines Tages wurde ich jedoch auf sehr feindselige Weise empfangen. Die Beamten warfen Jehovas Zeugen vor, nur vom Staat profitieren und nichts für ihn tun zu wollen, zum Beispiel keinen Militärdienst leisten zu wollen. Es war eine richtige Attacke.

Eine lange Diskussion entspann sich. Zwei Stunden lang prasselte ein Hagel von Fragen von seiten der vier an diesem Tag anwesenden Beamten auf mich herab. Dann erlebte ich das, was Jesus in Matthäus 10:18, 19 vorausgesagt hatte: ‚Ihr werdet vor Statthalter und Könige geschleppt werden um meinetwillen, ihnen und den Nationen zu einem Zeugnis. Wenn man euch aber ausliefert, so macht euch keine Sorgen darüber, wie oder was ihr reden sollt; denn was ihr reden sollt, wird euch in jener Stunde gegeben werden.‘ Das Gespräch endete mit einem Sieg für die Wahrheit. Danach behandelten sie uns bis zum Schluß des Krieges in entgegenkommender Weise.“

BRUDER ZÜRCHER VERURTEILT

Im Zusammenhang mit der von den Militärbehörden eingeleiteten Untersuchung wurden gegen den Zweigaufseher, Bruder Zürcher, Schritte unternommen. Er wurde fälschlicherweise der Untergrabung der militärischen Disziplin und der Zuwiderhandlung gegen das Verbot staatsgefährlicher Propaganda beschuldigt. Zwei Jahre vergingen, bis der Fall schließlich am 23. und 24. November 1942 vor Gericht behandelt wurde. Die Anklagerede des Auditors glich einem vernichtenden Hagelwetter. Er nannte Bruder Zürcher einen Demagogen schlimmster Sorte, der hinter Schloß und Riegel gehöre. Zitate aus dem Buch Licht, Band 2, Seite 171 bis 174 wurden vorgelesen, wo vom Überrest gesagt wird, daß er während der großen Schlachtung von Königen, Militärbefehlshabern und Starken und all derer, die Satans Organisation ausmachen, von einem sicheren Ort aus zusehen werde. Da einer der Anklagepunkte die Untergrabung der militärischen Disziplin war, ist leicht verständlich, daß diese Beschreibung den Auditor in Wut versetzte. Er brüllte: „Ist das nicht Drückebergerei, militärische Feigheit in höchster Potenz? Damit ist ein Bild ihrer Einstellung zum schweizerischen Waffendienst gegeben!“

Der Verteidiger, Anwalt Johannes Huber, war ein hochgeachteter Parlamentarier und Mitglied des Nationalrates. Er erwähnte, daß er in den 40 Jahren seiner Praxis noch nie in einer solchen Atmosphäre vollständiger Voreingenommenheit ein Plädoyer gehalten habe. Nach seinem Ermessen gelte der Prozeß nicht der angeklagten Person, sondern vielmehr den Zeugen Jehovas als Gesamtheit. Es sei ein Versuch, sie zum Schweigen zu bringen. Seine Verteidigungsrede schloß er mit den Worten: „Es war für mich daher nicht nur die Erfüllung eines Anwaltmandates, sondern ich sah es bei aller Unterschiedlichkeit der Überzeugung als eine Pflicht an, für diese Leute einzutreten, die heute so verkannt werden und denen so bitteres Unrecht geschieht. Darum bitte ich Sie um Freispruch!“ Dennoch wurde Bruder Zürcher zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, und es wurden ihm gewisse bürgerliche Ehren aberkannt.

Unser Anwalt legte beim Militärkassationsgericht Berufung ein. Das endgültige Urteil wurde am 16. April 1943 gefällt und lautete auf ein Jahr Zuchthaus, bedingten Strafvollzug und fünf Jahre Aberkennung der bürgerlichen Ehren. In Anbetracht der Situation war das ein äußerst mildes Urteil.

1942: VERBINDUNG ZU BROOKLYN UNTERBROCHEN

Zwar waren schon von Beginn der Feindseligkeiten an Briefe, die an die Gesellschaft gerichtet waren, zensiert worden, doch als die Vereinigten Staaten in den Krieg eintraten, rissen sämtliche Verbindungen zum Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn ab. Deswegen erhielten wir den englischen Wachtturm nur bis zur Ausgabe vom 1. Oktober 1942, die den Artikel „Das einzige Licht“ enthielt. Wie würde nun das Zweigbüro an geistige Speise für die unter seiner Aufsicht dienenden herankommen, da es doch nicht mehr möglich war, die englischen Zeitschriften zu erhalten?

Jehova sorgte für eine Verbindung zum Zweigbüro in Schweden. Dieses Land gehörte ebenfalls zu den wenigen Ländern Europas, die nicht in den Krieg verwickelt waren. Von dort erhielten wir nun laufend die Wachtturm-Ausgaben, aber in Schwedisch. Niemand unter den Schweizer Brüdern war dieser Sprache mächtig. Doch eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der deutschen und der schwedischen Sprache war offensichtlich. Ermutigt durch diese Feststellung, erlernte Alice Berner (jetzt im Zweigbüro in der Bundesrepublik Deutschland, damals ein Glied der Bethelfamilie in Bern) die schwedische Sprache. Nach relativ kurzer Zeit war sie imstande, den Wachtturm ins Deutsche zu übersetzen. So konnten die Brüder während der folgenden zwei Jahre mit geistiger Speise versorgt werden. Im ganzen erhielten wir auf diese Weise 42 Wachtturm-Artikel und zwei Broschüren.

Als der Krieg vorüber war, sandte uns das Hauptbüro in Brooklyn einen vollständigen Satz aller Artikel, die im englischen Wachtturm während der Zeit der Unterbrechung erschienen waren. Wie viele Themen hatten wohl die Brüder in der Schweiz während des Krieges verpaßt? Nicht ein einziges! Die erste schwedische Ausgabe, die wir bekommen hatten, enthielt genau den Artikel, der im englischen Wachtturm auf das Thema „Das einzige Licht“ folgte. Während der ganzen Kriegsjahre waren die Wasser der Wahrheit nie versiegt! Man kann sich zweifellos vorstellen, wie dankbar wir gegenüber Jehova, dem großen Fürsorger, waren! (Vergleiche 1. Mose 22:14.)

FINANZIELLE PROBLEME

Nicht nur geistig, sondern auch materiell sorgte Jehova für sein Volk. Warum entstanden trotzdem finanzielle Probleme? Das Werk wurde durch freiwillige Beiträge unterstützt, doch während der Kriegsjahre hatten viele Brüder selbst finanzielle Engpässe zu überwinden. Außerdem hatten wir aufgehört, den Wachtturm zu drucken, und es konnte keine Literatur mehr in andere europäische Länder verschickt werden. Somit kam von dieser Seite kein Geld ein. Zufolge dieser Umstände gab es auch nicht genug Arbeit für alle Glieder der Bethelfamilie, und so bekundeten einige Brüder und Schwestern ihre Bereitschaft, das Bethel zu verlassen. Sie waren sich aber einig, daß die im Bethel verbrachten Jahre die glücklichste Zeit ihres Lebens war.

Die finanzielle Krise bestand jedoch weiter. Unter anderem wurde es notwendig, das monatliche Taschengeld der Mitarbeiter im Bethel und auf den Bauernhöfen auf 10 Franken zu kürzen, doch beklagten sich die Brüder nicht über diese Sparmaßnahme.

EIN BUCH IN DER FARBE DEINER WAHL

Mitten in der Kriegszeit wurde 1942 in Zürich ein begeisternder Kongreß abgehalten. Am Sonntagmorgen waren in den vordersten Sitzreihen des Kongreßhauses lauter strahlende junge Gesichter zu sehen! Der Tag sollte für die Kinder ein besonderes Ereignis werden. In einer Ansprache, die ihnen speziell gewidmet war, wurden sie ermahnt, fleißig, dienstbereit und freundlich zu sein und vor allem, dem biblischen Rat entsprechend, ihren Eltern zu gehorchen. Am Schluß des Vortrages wurde das Buch Kinder freigegeben, und jedes anwesende Kind sollte kostenlos ein Exemplar erhalten.

Auf der Bühne erschienen mehrere Brüder, jeder mit einer Anzahl Bücher in neun verschiedenen Farbtönen. Alle Kinder wurden eingeladen, auf die Bühne zu kommen und ein Buch in der Farbe ihrer Wahl entgegenzunehmen. Welch große Freude das für die Kinder war! Mehr als 400 Bücher wurden in die Hände voraussichtlicher Verkündiger gelegt. Eine ganze Anzahl jener Kinder wuchs zu eifrigen Dienern heran, die noch immer in Jehovas Organisation tätig sind.

DIE THEOKRATISCHE PREDIGTDIENSTSCHULE VERDRÄNGT DAS GRAMMOPHON

Das Jahr 1944 brachte eine Neuerung in den Versammlungen: die Theokratische Predigtdienstschule. Diese Schule wurde zu Beginn des Jahres im Bethel in Bern eingeführt. In den darauffolgenden Monaten wurde dieser Kurs im öffentlichen Reden, bei dem hilfreiche Ratschläge erteilt wurden, wie man die Königreichsbotschaft an den Türen der Menschen besser darlegen konnte, auch in den Versammlungen des ganzen Landes eingeführt. Je geschickter die Brüder im Erklären der guten Botschaft wurden, desto weniger benutzten sie das Grammophon; jetzt hielten sie selbst eine kurze Predigt.

Vielen Verkündigern war dieser Wechsel in der Predigtmethode sehr willkommen, denn für sie war das Mitführen eines Grammophons zusammen mit einer Literaturtasche im Dienst von Haus zu Haus sehr beschwerlich gewesen. Überdies bedeutete die Umstellung eine deutliche Verbesserung der Qualität unseres Predigtdienstes.

KRIEGSENDE IN SICHT!

Am 6. Juni 1944 begannen die alliierten Truppen mit der Invasion Frankreichs in der Normandie, und am 15. August gingen die alliierten Streitkräfte an der französischen Mittelmeerküste an Land. Immer mehr zeichnete sich der Zusammenbruch des Nationalsozialismus und der Sieg der Alliierten ab. Dieser Umstand bewog die Behörden in der Schweiz, ihre einschränkenden Maßnahmen gegen Jehovas Zeugen und die Wachtturm-Gesellschaft zu lockern. Es war, wie in Offenbarung 12:16 vorausgesagt: „Die Erde [die stabileren, demokratischen Mächte] kam der Frau zu Hilfe, und die Erde öffnete ihren Mund und verschlang den Strom [der totalitären Gegner], den der Drache aus seinem Maul gespien hatte.“

Die verantwortlichen Brüder im Zweigbüro atmeten erleichtert auf. Bruder Rutherford hatte sie dringend angewiesen, es möglichst nicht zu einem vollständigen Verbot des Werkes und zur Schließung des Zweigbüros in der Schweiz kommen zu lassen. Sie hatten manch heikle Situation erlebt, aber jetzt war das Schlimmste vorbei. Das Zweigbüro war noch tätig, und das Werk konnte fortgesetzt werden. Die Brüder fühlten wie David, als er Psalm 34:19 verfaßte: „Viele sind der Unglücksschläge des Gerechten, aber aus ihnen allen befreit ihn Jehova.“

Es dauerte nicht lange, bis die vom schweizerischen Generalstab im Juli 1940 beschlagnahmte Literatur zurückgegeben wurde. Soldaten verbrachten mehrere Tage damit, eine genaue Zählung der Publikationen vorzunehmen. Später fanden diese Schriften gute Verwendung im Predigtdienst.

Was würdest du empfinden, wenn du nach vierjähriger Unterbrechung wieder eine gedruckte Ausgabe des Wachtturms in den Händen hieltest? Die deutsch- und französischsprechenden Brüder waren überglücklich, als die Zeitschrift vom 1. Oktober 1944 an wieder regelmäßig erschien, obwohl anfänglich nur einmal im Monat. Ungefähr ein Jahr später wurde sie erneut halbmonatlich herausgegeben.

DER ZWEITE WELTKRIEG IST BEENDET, DOCH UNSER KAMPF GEHT WEITER

Am 8. Mai 1945 feierte der Westen das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa, aber in der Schweiz war der Kampf um die Religionsfreiheit und um das Recht zu predigen noch nicht zu Ende. In den meisten Landesteilen genossen wir mehr Handlungsfreiheit als während des Krieges, aber in katholischen Gegenden gab es immer noch viel Widerstand.

Als zum Beispiel im Januar 1946 in Zug der öffentliche Vortrag „Wird der Mensch als Welterbauer Gelingen haben?“ gehalten wurde, drang plötzlich die Polizei in den Saal ein und ließ den Redner nicht weitersprechen. Die Gesellschaft prozessierte und brachte den Fall bis vor das Bundesgericht in Lausanne. Das Ergebnis war die Aufhebung dieses verfassungswidrigen Verbots der Zuger Behörden, worauf in den Tageszeitungen Schlagzeilen wie diese zu lesen waren: „Die Zeugen Jehovas bekommen recht“ und: „Die Glaubensfreiheit muß gewahrt bleiben“. Du darfst indes davon überzeugt sein, daß die katholische Presse nicht so positiv über dieses Urteil berichtete.

HILFSAKTION FÜR DIE BRÜDER IN DEUTSCHLAND

Als Nachrichten über die betrüblichen Zustände eintrafen, in denen sich unsere aus den Konzentrationslagern zurückgekehrten Brüder befanden, verschlossen ihnen die Schweizer Brüder nicht ‘die Tür ihrer Gefühle innigen Erbarmens’ (1. Joh. 3:17). Sie starteten vielmehr sofort eine Hilfsaktion in demselben Geist, der sich auch in den frühchristlichen Versammlungen zeigte (Apg. 11:29, 30; 2. Kor. 8:1-4). Große Mengen Kleider und Haushaltgegenstände wurden gespendet. Einige Schwestern setzten ihre Zeit und Kraft ein, um sicherzustellen, daß alles in gutem Zustand war. Schließlich konnten in den Jahren 1946 und 1947 444 Kisten mit einem Nettogewicht von ungefähr 25 Tonnen nach Deutschland versandt werden. Der Wert dieser Hilfssendung belief sich auf mehr als 262 000 Franken. „Als wir von der Freude und Dankbarkeit unserer deutschen Brüder und Schwestern hörten, waren wir sehr glücklich und fühlten uns reichlich belohnt für die zusätzliche Arbeit, die diese Aktion mit sich gebracht hatte“, bemerkte eine Schwester, die dabei mitgeholfen hatte.

Nicht nur materielle Hilfe wurde sehr benötigt, es bestand auch ein großes Bedürfnis an geistiger Speise, um die Brüder zu stärken und ihnen einen guten Start für die Nachkriegstätigkeit zu ermöglichen. Deshalb sandte das Schweizer Zweigbüro auch biblische Schriften nach Deutschland, und wir betrachteten es als großes Vorrecht, auf diese Weise zum Wiederaufbau des Werkes in Deutschland beitragen zu können.

LANG ERWARTETER BESUCH VON BRUDER KNORR

Wir konnten es kaum erwarten, bis uns der Präsident der Gesellschaft nach dem Krieg seinen ersten Besuch abstattete. Acht ereignisreiche Jahre waren vergangen, und inzwischen war Nathan H. Knorr Präsident geworden. Sein Besuch in Bern im Jahre 1945 war zwar nur sehr kurz, aber er wollte im Mai 1947 wiederkommen. Diesen Besuch wollten wir zu einem großen Ereignis werden lassen. Deshalb planten wir einen Kongreß im schönen Kongreßhaus in Zürich.

„Freude für alles Volk“ war das Thema des öffentlichen Vortrages, der am Freitagabend auf dem Kongreß gehalten werden sollte. Und es bereitete den Verkündigern tatsächlich Freude, mitzuhelfen, 100 000 Einladungszettel zu verteilen, Plakate aufzuhängen oder als Plakatträger durch die Straßen der Stadt zu marschieren. Auch in den Zeitungen wurde der öffentliche Vortrag angekündigt. Wir wollten ganz Zürich wissen lassen, was vor sich ging.

Es kamen 1 540 Personen zum Vortrag. Am Schluß der Zusammenkunft wurde allen Fremden eine Broschüre übergeben. Da 800 Exemplare verteilt wurden, schlossen wir daraus, daß die Mehrheit der Anwesenden interessierte Personen waren, die unserer Einladung Folge geleistet hatten. Das war wirklich ein befriedigendes Ergebnis.

DER PIONIERDIENST WIRD BETONT

Von der Zeit der ersten Kolporteure an hatte es im deutschsprachigen und im französischsprachigen Gebiet immer einige treue Vollzeitprediger gegeben, doch waren es zugegebenermaßen nur sehr wenige. Unter den 1 462 Verkündigern im Jahre 1945 waren beispielsweise nur drei Pioniere! Bruder Knorr wies darauf hin, daß diese Zahl in keinem Verhältnis zu der Fülle an Möglichkeiten stand, die es im Land gab. Er schlußfolgerte, diese niedrige Zahl an Pionieren müsse darauf zurückzuführen sein, daß ein Großteil der Literatur kostenfrei abgegeben werde, um einen Verstoß gegen das Hausiergesetz zu vermeiden, was bedeutete, daß die Verkündiger sämtliche Kosten und Auslagen für das Predigtwerk selbst bestreiten mußten.

Mit seiner Feststellung traf er ins Schwarze. Einige Brüder hatten tatsächlich den Vollzeitpredigtdienst aufgeben müssen, weil sie die Auslagen nicht mehr zu decken vermochten. Um somit solchen zu helfen, die geneigt waren, den Pionierdienst aufzunehmen, mußte zuerst das Problem gelöst werden, das mit der Entgegennahme freiwilliger Beiträge zusammenhing.

WIE ES ZU LÖSEN WAR

Einer der Reisegefährten von Bruder Knorr war Hayden C. Covington, der damalige Anwalt der Gesellschaft in Brooklyn. Er berichtete auf dem Kongreß, wie die Brüder in den Vereinigten Staaten vor Gericht gegangen waren, um dafür zu kämpfen, daß sie bei der Abgabe von Schriften in Verbindung mit dem Predigen des Evangeliums freiwillige Beiträge entgegennehmen durften, ohne ein Hausierpatent zu benötigen. Das Schweizer Zweigbüro müsse für die Rechte und Privilegien des christlichen Dienstes ebenfalls einen Rechtskampf ausfechten, bis diese Fragen geklärt seien. Es müsse ein gemeinsames Unterfangen aller Verkündiger in der Schweiz sein. Die Anwesenden zeigten ihre Bereitwilligkeit durch begeisterten Applaus. Ja, jener Kongreß in Zürich erwies sich in der Geschichte des Königreichswerkes in der Schweiz wirklich als ein wichtiger Meilenstein.

„HAUSIEREN OHNE PATENT“ — DIE STRITTIGE FRAGE

Schon in den 30er Jahren waren Brüder angehalten und wegen „Hausierens ohne Patent“ bestraft worden. Nach der nun auf dem Kongreß in Zürich erhaltenen Ermutigung wollte man diese strittige Frage endgültig klären. Die Brüder unternahmen jetzt wie der Apostel Paulus im alten Philippi Schritte zur „Verteidigung und gesetzlichen Befestigung der guten Botschaft“ (Phil. 1:7).

Die Verkündiger wurden angewiesen, wiederum freiwillige Beiträge für Literatur entgegenzunehmen, die sie im Predigtdienst abgeben würden. Das löste unverzüglich in allen Landesteilen eine Lawine von Anzeigen bei der Polizei aus, aber die Gesellschaft war entschlossen, in dieser Frage einen Durchbruch zu erzwingen. Was war das Ergebnis?

Das Obergericht des mehrheitlich protestantischen Kantons Bern hatte zum Beispiel jahrelang darauf bestanden, daß die Annahme von freiwilligen Beiträgen bei der Abgabe von Publikationen unter das Hausiergesetz falle. Jahrzehntelang hatte dieses Gericht gegen uns entschieden. Dann, im Jahre 1948, wurde wieder ein Bruder von einem unterem Gericht zu einer Buße von 20 Franken verurteilt. Es wurde beim Obergericht Berufung eingelegt. Diesmal gab es einen Durchbruch. In seiner Urteilsbegründung führte das Berner Obergericht aus:

„Im vorliegenden Fall, ganz unabhängig davon, daß gar kein Gewinn erzielt wurde, zeigt nichts in der Haltung des Angeschuldigten einen professionellen Charakter in seiner Tätigkeit. Die Absicht, einen Gewinn zu erzielen, sei es für ihn, sei es für die Rechnung der ‚Zeugen Jehovas‘, durch das Mittel des Hausierens, kann nicht festgestellt werden. Die Umstände lassen die Schlußfolgerung zu, daß der Angeklagte, unter Ausschluß jedes selbstsüchtigen Motivs, einzig und allein für einen vornehmen und selbstlosen Zweck gehandelt hat. Das Anbieten der Broschüren erfolgte nicht in der Erwartung einer Gegenleistung, die wenigstens die Produktionskosten gedeckt hätte. Die beste Entschädigung für den Angeschuldigten bestand gewiß in der Erhöhung der Anzahl der Anhänger der Sekte und in der günstigen Aufnahme seiner Evangelisation. Wenn es auch wahr ist, daß die Verordnungen über das Hausieren auch zum Zweck haben, die Öffentlichkeit vor denen, welche sie belästigen, zu schützen, so wäre es doch übertrieben, die religiöse Propaganda in den Häusern unter dem Deckmantel des Gesetzes über den Warenhandel zu verhindern und damit die Meinungsfreiheit zu verletzen, welche durch die Verfassung gewährleistet wird.“

Mit diesem Freispruch stieß das Berner Obergericht seine eigene, 40 Jahre lang geübte Gerichtspraxis in dieser Frage um. Obwohl dieser Entscheid für andere Kantone nicht verbindlich war, so nahmen andere kantonale Gerichte doch mit großem Interesse davon Kenntnis.

DER HÄRTESTE KAMPF IM KANTON WAADT

Im französischsprachigen Kanton Waadt dauerte der hartnäckige Konflikt über die Hausierfrage am längsten. Im Jahre 1935 war dort dem Hausiergesetz ein Zusatz hinzugefügt worden, der besagte, daß das Anbieten von Waren, deren Preis nicht festgesetzt, sondern dem Gutbefinden des Käufers überlassen bleibe, dem Hausieren gleichkäme. Dem Staatsanwalt in Lausanne war dieser Gesetzesartikel willkommen, um gegen Jehovas Zeugen vorgehen zu können.

Im Jahre 1948 verurteilte das Bezirksgericht in Payerne den Pionier Jean Siegenthaler zu einer Geldstrafe wegen Hausierens ohne Patent. Berufung wurde eingelegt, aber das Obergericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil, indem es darauf bestand, daß die Tätigkeit des Angeklagten genau dem entspreche, worauf das Gesetz abziele.

Im Kielwasser dieses Entscheides entwickelte sich ein Kampf um unsere Rechte und Freiheiten, der sich über fünf Jahre hinzog. In den meisten Fällen schützten die Bezirksgerichte unser Recht durch Freispruch. Aber der Staatsanwalt war uns feindlich gesinnt und ging jeweils in die Berufung beim Obergericht, das die Urteile der ersten Instanz aufhob. Einen Fall brachte die Gesellschaft vor die höchste richterliche Behörde, das Bundesgericht. Doch beschämenderweise wies dieses Gericht die Berufung zurück.

EIN MUTIGER RICHTER WAGT, ANDERER MEINUNG ZU SEIN

Schließlich kam am 3. September 1951 ein Fall vor das Bezirksgericht in Lausanne. Er betraf Schwester Gilberte Schneeberger. Da für diesen Fall wenig Hoffnung bestand, verzichtete die Wachtturm-Gesellschaft auf die Dienste eines Anwalts. Könnt ihr euch die junge Pionierin vorstellen, die da ganz allein im Gerichtssaal saß?

Der Richter, Monsieur Zweifel, trat ein. Nachdem er die Sitzung eröffnet hatte, sagte er in väterlichem Ton: „Mein liebes Fräulein, Ihr Fall ist identisch mit demjenigen, den das Bundesgericht ungünstig beurteilt hat. Ich selbst bin an das Gesetz gebunden und kann es nicht ändern.“

Da stand unsere junge Schwester auf und bat, sich verteidigen zu dürfen.

„Natürlich, mein Fräulein, natürlich. Ich bin ganz Ohr.“ Der Richter lehnte sich in seinen Sessel zurück und lauschte den Darlegungen der Schwester. Sie las ein Memorandum vor, das die Rechtsabteilung der Gesellschaft vorbereitet hatte.

Monsieur Zweifel war von den Argumenten sehr beeindruckt. Er fing wirklich an zu zweifeln (er machte seinem Namen Ehre) und vertagte die Urteilsverkündung. Zwei Tage später wurde das Urteil bekannt: Freispruch!

Welch eine Überraschung! Dieses Urteil hatte von seiten des Richters, Monsieur Zweifel, echten Mut erfordert. Außerdem scheute er sich nicht, sowohl das Urteil des Obergerichts als auch das des Bundesgerichts als fragwürdig und unbefriedigend zu bezeichnen. Was würde nun die Zukunft bringen?

EIN AUFRICHTIGER PFARRER SAGT ZU UNSEREN GUNSTEN AUS

Einige Zeit später befaßte sich das Bezirksgericht von Aigle mit einem weiteren Fall. Neben anderen Personen wurde auch ein protestantischer Pfarrer als Zeuge vorgeladen. Er hatte von dem betreffenden Verkündiger zwei Bücher entgegengenommen und ihm dafür einen freiwilligen Beitrag in Höhe von 4 Franken gegeben. Der Geistliche bezeugte klar vor Gericht, daß der Zeuge Jehovas nicht zu ihm gekommen sei, um Bücher zu verkaufen, sondern um religiöse Themen zu besprechen. In den Augen dieses Pfarrers war der junge Mann eindeutig ein Evangelist und nicht ein Hausierer. Der Verkündiger wurde freigesprochen.

Andererseits mußte Karl Maurer, ein treuer Pionier in Payerne, einen Tag und eine Nacht im Gefängnis zubringen, weil er nicht bereit war, die ihm auferlegte Buße zu bezahlen.

DER HARTNÄCKIGE STAATSANWALT VERLIERT DIE SCHLACHT

Im Jahre 1953 kam es in diesem Konflikt schließlich zur entscheidenden Kraftprobe. Der Staatsanwalt, darauf erpicht, Jehovas Zeugen zu besiegen, ärgerte sich, daß die Bezirksgerichte die negative Haltung der höheren Gerichte ignorierten, und ging bei einem Fall, in dem die unteren Gerichte den Angeschuldigten freigesprochen hatten, mehrmals in die Berufung. Das Obergericht des Kantons Waadt mußte sich schließlich zum vierten Mal seit 1948 mit derselben strittigen Frage befassen.

Nun geschah das Unerwartete: Das Gericht, aus einer neuen Gruppe von Richtern zusammengesetzt, prüfte die Frage von Grund auf und kam am 26. Januar 1953 einstimmig zu dem Schluß, daß die Tätigkeit der Zeugen Jehovas nicht als Hausieren betrachtet werden kann. Die Berufung des Staatsanwalts wurde abgewiesen. Endlich hatte das Waadtländer Obergericht den Weg zu einer vernünftigen und freiheitlichen Praxis in Harmonie mit Geist und Buchstaben des Handelsgesetzes gefunden!

Dieser Sieg beendete ein aufregendes Kapitel der Geschichte des Werkes der Zeugen Jehovas in der Schweiz. Er zeugt von der furchtlosen Haltung der Verkündiger und auch von der Liebe zur Freiheit auf seiten vieler Richter. Doch vor allem macht er deutlich, daß Jehova seine Diener gesegnet hat, weil sie eifrig für die von Gott erhaltenen Rechte und für die Religionsfreiheit gekämpft haben.

DIE NEUTRALITÄT IMMER NOCH EINE HERAUSFORDERUNG

Wir haben bereits erzählt, wie es den Brüdern ergangen ist, die während des Zweiten Weltkrieges eine neutrale Stellung eingenommen haben. Obwohl die Schweiz nicht aktiv am Krieg beteiligt war und mit Nachdruck ihre eigene Neutralität verkündete, wurden doch inkonsequenterweise Bürger verurteilt und eingesperrt, die aus religiösen Gründen dasselbe Recht für sich in Anspruch nahmen.

Nach dem Krieg war das Strafmaß milder, aber Verurteilungen waren noch immer an der Tagesordnung. Im Laufe der Zeit nahm jedoch das Interesse der Öffentlichkeit am Problem der „Dienstverweigerer aus Gewissensgründen“ zu, und die Presse beschäftigte sich eingehend mit dieser Frage. Interessant sind die Bemerkungen, die der frühere Generalstabschef Jörg Zumstein bezüglich der Gerichtsfälle von Militärdienstverweigerern machte. Im Februar 1984 wurde er in einer Zeitung wie folgt zitiert:

„Ich habe solche Prozesse mitverfolgt, weil ich sehen wollte, was da geschieht. Diese Prozesse mit den Zeugen Jehovas haben sich durch ein gewisses Niveau ausgezeichnet, auch auf seiten der Angeklagten. Diese Leute und ihre Angehörigen haben sich jeweils im Sonntagsstaat ins Gericht begeben, sie haben würdig für ihre Sache plädiert. Das Gericht kannte den Sachverhalt und hat die eingespielte Strafnorm, fünf oder sechs Monate, appliziert. Das wird von den Zeugen Jehovas irgendwie akzeptiert, daß der Staat einen bestraft, welcher der Forderung des Staates nicht nachkommt. Aber sie haben den Staat nicht ‚zur Sau‘ gemacht wie viele andere, die heute vor Divisionsgerichten erscheinen.“

Die Bestrebungen in Richtung einer Lösung für das Problem der „Dienstverweigerer aus Gewissensgründen“ sind nicht ohne Einfluß auf die Militärgerichte geblieben. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt variieren die Strafen zwischen drei und fünf Monaten Gefängnis, und die Brüder werden meistens gleich bei der Verurteilung von weiterer Militärdienstpflicht entbunden. In vielen Fällen verbüßen sie die Strafe, indem sie tagsüber in Spitälern und Altersheimen arbeiten und nur die Nacht in ihrer Gefängniszelle zubringen. Jährlich finden immer noch zwischen 60 und 70 Militärgerichtsprozesse statt, bei denen es hauptsächlich um junge Brüder geht, die ihre neutrale Haltung geltend machen.

Um ihrer christlichen Neutralität willen nehmen diese jungen Brüder ‘als vortreffliche Soldaten Christi Jesu teil am Erleiden von Ungemach’ (2. Tim. 2:3). Sie bieten sich jedoch willig dar, den Dienst zu leisten, der von Gott verlangt wird. Es ist genauso, wie es einst Schwester Adele Reichenbach, die zu den ersten gesalbten Zeugen im Alpengebiet von Gstaad gehörte, zum Ausdruck brachte. Als sie bei der Frau eines Armeeoffiziers einen Rückbesuch machen wollte, öffnete der Oberst selbst die Tür, gab ihr das Buch zurück, das seine Frau entgegengenommen hatte, und sagte verächtlich: „Geht weg, und nehmt das Zeug mit, ihr Dienstverweigerer!“ Schwester Reichenbach erwiderte: „Wissen Sie, Herr Oberst, wir leisten den Dienst, den Sie verweigern.“

BEMÜHUNGEN, NICHTZUGETEILTES GEBIET ZU BEARBEITEN

Von 1952 an unternahm man besondere Anstrengungen, in „nichtzugeteiltem Gebiet“ zu predigen. Dabei handelte es sich vor allem um abgelegene Täler und Landstriche sowie kleine Dörfer mit großen Kirchen und mit Kruzifixen, die da und dort entlang des Weges standen. Die streng katholische Bevölkerung hatte in der Vergangenheit vielleicht einmal ein Traktat erhalten, aber ein gründliches Zeugnis war in diesen abgelegenen Orten bis dahin nicht gegeben worden.

Einige dieser Menschen hatten noch nie etwas von Jehovas Zeugen gehört, und viele hatten noch nie eine Bibel gesehen, geschweige denn eine besessen. Es war wirklich unberührtes Gebiet. Die Verkündiger nahmen mutig und begeistert an der Tätigkeit teil. Mancherorts waren sie erstaunt über den Erfolg. Erstaunt waren auch die Geistlichen, die eine solche Invasion in „ihre“ Weidegründe nicht erwartet hatten. So gut sie konnten, wiesen sie ihre Schäfchen an, keine Schriften entgegenzunehmen oder sie zu verbrennen und die Polizei zu rufen. In einem der Dörfer gingen etwa 50 junge Katholiken von Haus zu Haus, um die von Jehovas Zeugen zurückgelassenen Veröffentlichungen einzusammeln. Die Brüder wurden bedroht und einige sogar tätlich angegriffen.

In einem Fall hatte ein Bruder einem Dorfbewohner Zeugnis gegeben, worauf dieser unverzüglich die Polizei anrief, um Anzeige zu erstatten. Die Antwort, die er allerdings nicht erwartet hatte, lautete: „Lassen Sie diese Leute nur ruhig weitermachen; sie kennen das Gesetz besser als wir und wissen genau, was sie tun dürfen und was nicht.“ Offensichtlich war unser Kampf um die Religionsfreiheit nicht vergeblich gewesen.

DER „KIRCHENBOTE“ HILFT, INTERESSE ZU WECKEN

Es kam vor, daß die Bemühungen der Geistlichkeit, die Menschen von der Wahrheit fernzuhalten, genau das Gegenteil bewirkten. So war es im Fall eines Ehepaars. Als zwei junge Pioniere vorsprachen, hörte die Frau den Darlegungen aufmerksam zu und bat sie dann herein. „Mein Mann wird sich dafür interessieren“, sagte sie. Nahezu eine Stunde lang hörte sich das Ehepaar mit ungewöhnlichem Interesse die biblischen Erklärungen über die Aufrichtung einer von Gott verheißenen neuen Ordnung an. Sie nahmen gern bibelerklärende Schriften entgegen, und ein weiterer Besuch wurde vereinbart. In kurzer Zeit waren beide in ein Studium der Bibel vertieft.

Am Ende des dritten Besuches offenbarte der Mann den Grund für sein ursprüngliches Interesse: „Ich hatte einen Artikel über Jehovas Zeugen im Kirchenboten gelesen. Darin hieß es, wenn zwei gutgekleidete und taktvolle junge Leute an die Tür kämen und die Bibel gemäß ihrer Religion erklären wollten, solle man sie nicht anhören. Man solle vielmehr sagen: ‚Wir haben schon unsere Kirche, und unser Pfarrer lehrt uns alle diese Dinge.‘ Dann solle man die Tür schließen. Aber seht, ich bin ein freier Mann und möchte die Dinge selbst prüfen. Deshalb habe ich euch zugehört.“

Das junge Ehepaar machte gute Fortschritte, begann die Zusammenkünfte zu besuchen und beteiligte sich bald am Predigtdienst. Auch symbolisierten sie ihre Hingabe an Jehova. Der Kirchenbote hatte ihre Aufmerksamkeit auf die Wahrheit gelenkt.

Doch auch unter den Geistlichen gab es Ausnahmen — solche, die zugaben, daß ihre Herde Hilfe benötigte und daß die Besuche der Zeugen Jehovas nützlich sein könnten. Ein Pfarrer veröffentlichte beispielsweise folgenden Artikel in seinem Kirchenblatt:

„Meine lieben Zeugen Jehovas!

Eigentlich bin ich Ihnen dankbar, sehr dankbar sogar, daß Sie so tapfer in unserer Gemeinde von Haus zu Haus gehen. Wenn Sie auch nicht überall eingelassen werden, so erreichen Sie doch, daß unsere Leute sich wieder einmal vielleicht — nur vielleicht! — daran erinnern:

Neben Brot und Spielen, neben Freude und Trauer, neben Erfolg und Mißerfolg, neben Existenzkampf und Geschäft, Freizeit und Arbeit gibt es also noch so etwas wie Religion, Glauben, Glauben an Jesus Christus. Halten Sie uns nicht schon dadurch eine gewaltige Predigt, daß Sie kommen? ... Vielleicht ist Ihnen geantwortet worden: ‚Danke schön, wir brauchen nichts, wir gehören zur Landeskirche!‘ Darf ich Sie bitten: Fragen Sie doch einmal weiter, wenn Ihnen die Leute mit dieser Antwort von der Landeskirche begegnen! Fragen Sie einmal: Aber was glauben Sie denn eigentlich?

Sehen Sie, deswegen bin ich Ihnen dankbar. Es gelingt Ihnen doch vielleicht hier und dort, unsere Leute zu wecken. Nun, ich will nicht ungerecht sein und zugeben, daß ich selber Ihren Weckruf genauso nötig habe. Ich bewundere Ihre Tapferkeit ... Alle Achtung vor solchem Einsatz, mein Kompliment für Ihren guten Willen! Ich glaube, davon haben wir alle etliches zu lernen.“

ERÖFFNUNG VON MISSIONARHEIMEN

Im Jahre 1947 trafen die ersten Absolventen der Gileadschule in der Schweiz ein. Es waren drei Brüder und eine Schwester aus unserem Zweigbüro, die zur achten Klasse eingeladen worden waren und wieder der Schweiz zugeteilt wurden. Die erhaltene Schulung erwies sich sowohl im Zweigbüro als auch im Predigtdienst als große Hilfe in der sich ausdehnenden Tätigkeit. Heute, nach 40 Jahren, sind drei dieser Gruppe noch immer Glieder der Bethelfamilie: Fred Borys und Willi Diehl in der Schweiz sowie Alice Berner, seit 1956 in Deutschland.

Weitere Missionare kamen im Jahre 1948. Charles Renye und Raymond Leistikow wurden als Kreisaufseher eingesetzt. Sie gaben sich ernstlich Mühe, die deutsche Sprache zu erlernen, um ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Wie sie stammten auch die Ehepaare Robert und Elaine Honey und William und Ione Strege aus den Vereinigten Staaten; die Zuteilung der beiden Ehepaare war Genf, wo 1950 das erste Missionarheim eröffnet wurde. Sie bemühten sich sehr, Französisch zu lernen, um mit den Brüdern in Genf zusammenarbeiten zu können. Aus der 15. Gileadklasse kam Franziska Trackova, die nunmehr ihren treuen Dienst als Missionarin in Lausanne versieht. Die Bemühungen dieser Missionare wirkten sich segensreich auf die Versammlung in Genf aus, was die dortige Zunahme beweist.

Die Versammlung in Lausanne erfuhr einen wahren Aufschwung, als 1951 ein Missionarheim für vier Schwestern aus der 17. Klasse eröffnet wurde. Diese fröhlichen Missionarinnen halfen besonders den Schwestern, ihre Gespräche an den Türen durch die Verwendung eines Themas wirkungsvoller zu gestalten.

EIN NEUER ZWEIGAUFSEHER

Im Laufe der Jahre haben eine Reihe von treuen Brüdern dem Werk in der Schweiz in hervorragender Weise als Zweigaufseher vorgestanden. Bis 1953 hatte Franz Zürcher diese Aufgabe erfüllt. Dann war die Zeit gekommen, die Last der Verantwortung auf jüngere Schultern zu legen. Filip Hoffmann wurde von Deutschland aus in die Schweiz entsandt. Im Jahre 1957 löste ihn Jules Feller ab; Bruder Hoffmann dient jetzt im Zweigbüro in Dänemark. Schließlich wurde 1963 die Aufsicht Günter Kulschewski anvertraut, und am 1. November 1965 übernahm Willi Diehl diese Verantwortung.

Bruder Diehl hat den Vollzeitdienst 1931 im Bethel in Bern aufgenommen. Er arbeitete dort an den Druckpressen. Fünfzehn Jahre später wurde er eingeladen, die Gileadschule zu besuchen. Nach seiner Heirat stand er mit seiner Frau zwei Jahre im allgemeinen Pionierdienst. Dann diente er im Kreis- und Bezirksdienst. Im Jahre 1964 erging erneut die Einladung an ihn, die Gileadschule zu besuchen — diesmal zusammen mit seiner Frau —, um aus einem umfassenderen Kurs Nutzen zu ziehen. Dieser ganze Werdegang hat ihn vorzüglich für seine Arbeit als Zweigaufseher ausgerüstet.

Wie in allen anderen Zweigbüros der Gesellschaft gibt es auch in der Schweiz seit 1976 ein Zweigkomitee. Willi Diehl ist der Koordinator; die anderen Komiteeglieder sind Armin Beetschen, Jean-Jules Guilloud, Lars Johansson und Hans Klenk.

DEM KANTON TESSIN WIRD AUFMERKSAMKEIT GESCHENKT

Im sonnigen Süden der Schweiz, zwischen den Alpen und der italienischen Grenze, liegt der Kanton Tessin. Hier wird Italienisch gesprochen, und die Einwohner gehören fast ausschließlich dem katholischen Glauben an. Es war für die Königreichsbotschaft nicht leicht, hier Fuß zu fassen. Aber die Gesellschaft traf Vorkehrungen, sich der wenigen Interessierten, die man zu finden hoffte, anzunehmen. Keiner der Brüder hätte sich träumen lassen, welch reiche Ernte später eingebracht würde.

Ein Deutschschweizer, Andreas Monstein, der auch Italienisch sprach, wurde 1944 nach Lugano gesandt. Er bearbeitete das Gebiet, hielt öffentliche Vorträge und kümmerte sich um einige kleine Gruppen von Interessierten. Es war ein kleiner Anfang, der aber nicht zu verachten war (Sach. 4:10).

Im Laufe der Zeit halfen auch andere Pioniere, in verschiedenen Teilen des Tessins den Samen der Wahrheit auszustreuen. Es war harte Arbeit. Die Menschen waren in bezug auf die Bibel völlig unwissend, und viele waren von Aberglauben erfüllt und fürchteten sich vor der Geistlichkeit. Aber die kleine Verkündigergruppe bewies Ausdauer, und eines Tages erhielt sie Unterstützung von unerwarteter Seite.

MISSIONARE AUS ITALIEN

Eine Anzahl Absolventen der Gileadschule, die in Italien Missionardienst verrichteten, mußten plötzlich das Land verlassen und kamen ins Tessin. Mit der Zeit konnten zwar die meisten nach Italien zurückkehren, oder sie reisten aus anderen Gründen ab, doch inzwischen war die Grundlage für mehrere Versammlungen gelegt worden. Ein Missionar, an den man sich noch lange erinnern wird, ist Angelo Fraese. Während nahezu 20 Jahren diente er von dem Missionarheim in Lugano aus. Man nannte ihn manchmal spaßhaft den „Engel der Versammlung in Lugano“! (Sein Vorname bedeutet Engel.)

Seit der ersten Zeugnistätigkeit im Tessin sind viele Jahre vergangen. Inzwischen ist dort sehr viel gepredigt worden. Mit welchem Ergebnis? Heute gibt es 11 blühende Versammlungen mit insgesamt etwa 950 Verkündigern. In Lugano allein sind vier Versammlungen, und es ist noch kein Ende in Sicht.

DEN „GASTARBEITERN“ PREDIGEN

Nach dem Krieg gab es in der Schweiz einen großen wirtschaftlichen Aufschwung. Die interessantesten Arbeitsplätze wurden von den erwerbstätigen Schweizern besetzt. Wer würde aber die bescheideneren Tätigkeiten verrichten? Dafür gab es in den kriegsgeschädigten Ländern viele willige Hände. So setzte eine wahre Einwandererwelle ein. Bis Ende 1968 lebten 933 000 Ausländer in der Schweiz, was 15 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Die Mehrzahl dieser „Gastarbeiter“ stammte aus Italien. Im Predigtdienst kamen die Verkündiger bald überall im Land mit Italienern in Kontakt. Viele von ihnen bekundeten Interesse an der Wahrheit.

Eine typische Erfahrung schilderte uns Rudolf Wiederkehr. Er traf einen Italiener in einem alten Haus in Hunzenschwil. Keiner der beiden Männer konnte die Sprache des anderen sprechen. Was blieb da zu tun? Unser Bruder ließ eine italienische Ausgabe der Zeitschrift Der Wachtturm zurück. Doch ungeachtet des Sprachproblems machte er später einen Rückbesuch. Als der Italiener ihn sah, holte er schnell den Wachtturm in Italienisch und rief mit leuchtenden Augen aus: „Questo è la verità!“ („Das ist die Wahrheit!“). Ermutigt durch diese Reaktion, beschaffte sich der Bruder drei Exemplare des Buches „Gott bleibt wahrhaftig“ in italienischer Sprache und begann ein Studium mit diesem Mann — Signor Pelagatti —, mit dessen Frau und ihrem 12jährigen Sohn Gianni. Die Familie las in den italienischen Büchern, und Bruder Wiederkehr benutzte sein deutsches Exemplar. Wenn Worte nicht weiterhalfen, machte man reichlich von Gesten Gebrauch. Manchmal diente der Junge als Übersetzer, denn er hatte in der Schule Deutschunterricht.

Dem Studium mit Familie Pelagatti schloß sich auch die älteste Tochter mit ihrem Mann, Signor Trombi, an. Alle fünf machten gute Fortschritte. Als man mit dem Buch zu Ende war, trat die ganze Familie spontan aus der katholischen Kirche aus und bekundete ihre Hingabe an Jehova durch die Taufe. Sie wurden eifrige Zeugen Jehovas und halfen vielen anderen italienischen Familien, die Wahrheit kennenzulernen. Vater Pelagatti ist zwar mittlerweile bereits im Tod entschlafen, aber Gianni und seine Familie sind weiterhin treue Zeugen und dienen in der italienischen Versammlung in Reinach, während Familie Trombi in der Nähe von Parma (Italien) tätig ist. Wie aber empfindet Bruder Wiederkehr? „Ihr könnt euch kaum vorstellen, wie sehr ich mich heute noch über diese Erfahrung freue!“

INFORMELLES ZEUGNISGEBEN FÜHRT ZU UNGEAHNTEM ERGEBNIS

Irène Frenzel, die viele Jahre in der Gegend von Luzern im Pionierdienst stand, erzählte beiläufig ihrem italienischen Friseur, daß sie 1953 zum Kongreß der Zeugen Jehovas in die Vereinigten Staaten reisen werde. Der Friseur hatte noch nie etwas von Jehovas Zeugen gehört und fragte, worum es sich dabei handle. Ein Gespräch außerhalb der Arbeitszeit wurde vereinbart, und mit der Hilfe einer italienischsprechenden Schwester konnte ein Studium eingerichtet werden.

Der Friseur, Bruno Quilici, war sehr lernbegierig, doch verteidigte er gleichzeitig seine katholischen Glaubensansichten. Es gab hitzige Diskussionen über das Thema „Höllenfeuer — Ja oder nein?“ „Uns wurde gelehrt, daß es eine Hölle gibt“, rief er wiederholt lautstark aus und schlug dabei mit der Faust auf den Tisch. Doch schließlich trug Gottes Wort über die falschen Lehren den Sieg davon, und Herr Quilici vertiefte sich so sehr in die Bibel, daß er jede Woche gleich zweimal studieren wollte. Während dieser ganzen Zeit sang er immer noch im Kirchenchor. Mit der Zeit wurde er indes aus den Fesseln der falschen Anbetung befreit und gab sich Jehova, dem Gott der Wahrheit, hin. Lassen wir ihn über das Ergebnis seiner Bemühungen selbst erzählen:

„Als erstes war ich sehr glücklich, daß meine Frau, eine Deutschschweizerin, ebenfalls die Wahrheit annahm. So konnten wir gemeinsam unsere beiden Kinder gemäß biblischen Grundsätzen erziehen. Als wir in den Kanton Aargau umzogen, war ich einer der ersten italienischen Verkündiger in jener Gegend, und ich fühlte mich dafür verantwortlich, allen italienischen Arbeitern weit und breit zu predigen. Meine Anstrengungen wurden gesegnet, denn zahlreiche Familien nahmen die Wahrheit an. Wenn ich an die sieben italienischsprechenden Versammlungen denke, die im Laufe der Zeit daraus entstanden sind, so danke ich Jehova für die Herzensfreude, die ich darüber empfinde.“

Gab sich Bruder Quilici mit den Ergebnissen in seiner näheren Umgebung zufrieden? Nein. Er dachte auch an seine Verwandten in Italien. Er erzählt weiter: „Sobald ich konnte, reiste ich nach Italien, um unter meinen Angehörigen Interesse zu wecken. Es war nicht umsonst. Zwei meiner leiblichen Schwestern und ihre Familien wurden die ersten Zeugen in der Umgebung von Lucca. Und heute gibt es dort fünf erfolgreiche Versammlungen.“

Inzwischen ist Bruder Quilici, was seine weltliche Beschäftigung betrifft, in den Ruhestand getreten und hat sich seiner Tochter im allgemeinen Pionierdienst angeschlossen. Auch sein Sohn und seine Schwiegertochter stehen im Vollzeitdienst.

UNGLAUBLICH RASCHER ZUWACHS

Für die Schweizer Verkündiger war die spontane Reaktion und die rasche Zunahme unter den Italienern eine wirkliche Überraschung. Sie waren an Studien mit Schweizer Landsleuten gewöhnt, die sich über Jahre hinzogen. Aber mit den Italienern war es ganz anders! Wenn diese einen biblischen Lehrpunkt verstanden hatten, wandten sie ihn unverzüglich in der Praxis an. Auch mußte man sie nicht zweimal zu einer Zusammenkunft einladen. Und wenn sie kamen, kamen sie selten allein. Sie brachten Verwandte und Freunde mit und machten sich nichts daraus, was die Nachbarn darüber dachten. Obwohl einige Widerstand von seiten ihrer Angehörigen überwinden mußten, trug doch der Umstand, daß sie sich im Ausland befanden und unter der schweizerischen Bevölkerung etwas isoliert lebten, zum raschen Gedeihen des Königreichssamens in ihren empfänglichen Herzen bei.

Gemäß den Angaben von Arturo Leveris waren zu Beginn der 60er Jahre, als er den Kreisdienst im italienischen Gebiet aufnahm, neun italienische Versammlungen und einige kleine Gruppen zu besuchen. Er berichtet: „Bald schossen italienische Versammlungen im ganzen Land wie Pilze aus dem Boden. Das bedeutete, daß selbst im deutsch- und französischsprachigen Gebiet italienische Versammlungen gegründet wurden, um sich der Interessierten annehmen zu können.“ Im Laufe der Zeit entstanden fünf italienische Kreise. Die gut besuchten Kreiskongresse gaben dem Werk unter den italienischen Gastarbeiterfamilien noch mehr Aufschwung.

ÄLTESTE MIT VORZÜGLICHEN EIGENSCHAFTEN

Bei der italienischen Bevölkerung sind die Familienbande eng geknüpft. Typisch ist nicht nur die sehr große Liebe zu den Kindern, sondern auch der Respekt, der den betagten Eltern gezollt wird — und wie gut man sich ihrer annimmt! Diese zarten Gefühle tragen offenbar dazu bei, daß Männer in der großen christlichen Familie, der Versammlung, gute Älteste sind. Die freundliche und rücksichtsvolle, jedoch standfeste Haltung der Ältesten hat unermeßlich viel zum Erfolg der Tätigkeit unter den italienischen Einwohnern beigetragen.

In Anwendung des Rates aus Hebräer 10:25 und 5. Mose 31:12 geben die Ältesten auch ein gutes Beispiel, indem sie stets ihre ganze Familie zu den Zusammenkünften mitbringen. Neuinteressierte ahmen diese gute Gewohnheit nach und bringen ebenfalls ihre Kinder mit. Zwar mögen die Kleinsten manchmal durch ihr Geschrei ein wenig Unruhe verursachen, weil sie das, was im Königreichssaal gelehrt wird, noch nicht verstehen; aber es ist trotzdem besser, sie mitzubringen, als sie zu Hause zu lassen. Mit der Zeit werden sie lernen und an Weisheit zunehmen.

Oftmals sind die Säle bis auf den letzten Platz besetzt, und es wird unangenehm warm, doch die Brüder harren geduldig aus, bis eine Lösung des Problems gefunden wird. Manch eine französisch- oder deutschsprechende Versammlung mußte sich nach einem größeren Saal umsehen, nicht ihretwegen, sondern wegen der italienischen Versammlung, die den gleichen Saal benutzt.

Ein typisches Beispiel für solch eine Situation ist die Versammlung in Neuenburg. Dort gab es anfänglich eine französische und eine deutsche Versammlung. Später kam eine italienische und eine spanische hinzu, und schließlich wurde in dieser Stadt auch die erste portugiesische Versammlung unseres Landes gegründet. Aufgrund dieser Zunahme unter den fremdsprachigen Einwohnern sahen sich die Brüder gezwungen, nach einer passenderen Versammlungsstätte Ausschau zu halten. Sie kauften ein Stockwerk in einem Gebäude und richteten zwei Königreichssäle ein. Dort kommen nun fünf Versammlungen zusammen.

NACH DEN ITALIENERN KAMEN DIE SPANIER

Eine andere Gruppe von „Gastarbeitern“ sind die Spanier, die allerdings weniger zahlreich sind als die Italiener. Wachsame Verkündiger haben einer Anzahl von ihnen geholfen, mit der Königreichsbotschaft bekannt zu werden. Hans Bodenmann sen. aus Basel berichtet zum Beispiel:

„Als ich eines Tages von einem ergebnislosen Besuch zurückkehrte, bemerkte ich am Straßenrand zwei junge Männer, von denen einer in einem Buch las, das wie eine Bibel aussah. Ich grüßte sie und erfuhr, daß sie Spanier waren. Das Buch war tatsächlich eine Bibel. Trotz Sprachschwierigkeiten gab ich ihnen zu verstehen, daß ich am nächsten Abend zur gleichen Stelle kommen würde, aber in Begleitung einer spanischsprechenden Person.

Als mich Bruder Siegenthaler, der viele Jahre in Spanien gelebt hatte, am nächsten Abend begleitete, fanden wir vier Spanier vor, die auf uns warteten. Obwohl sie Jehovas Zeugen noch nie begegnet waren, stimmten sie sofort einem wöchentlichen Bibelstudium in einer Privatwohnung zu.

Beim ersten Studium waren sechs Personen anwesend. Das nächste Mal waren es acht. Wir zeigten ihnen einen Film der Gesellschaft, der sie sehr beeindruckte. Während des ersten Jahres gab es ein ständiges Auf und Ab. Einige hörten zu studieren auf, andere kehrten nach Spanien zurück, aber an ihrer Stelle kamen wieder Neue. Ich hatte die Freude, zu erleben, wie Juan Pérez, einer der beiden Männer, zu denen ich am Straßenrand gesprochen hatte, und seine Frau eifrige Verkündiger wurden.“

Im Dezember 1969 wurde dann aus der spanischen Studiengruppe eine selbständige Versammlung, Basel-española, die zweite spanische Versammlung in der Schweiz. (Die erste war 1965 in Luzern gegründet worden.) Juan Pérez wurde Versammlungsaufseher. Im Mai 1970 kehrte er mit seiner Frau nach Spanien zurück, um dort den Sonderpionierdienst aufzunehmen.

Weitere spanische Versammlungen entstanden, und von 1972 an bildeten sie einen eigenen Kreis. Beim ersten Kreiskongreß waren nur 185 Personen anwesend, aber seither ist der Kreis auf 16 Versammlungen angewachsen und zählt nahezu 1 200 Verkündiger.

In Verbindung mit dem italienischen und spanischen Tätigkeitsfeld in unserem Land sind wir froh, Brüder zu haben, die neben den in der Schweiz gebräuchlichen Sprachen auch weitere Sprachen beherrschen. Ein Beispiel dafür ist Max Wörnhard. Er ist geborener Deutschschweizer und sehr sprachbegabt. Obwohl er für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen muß, dient er zeitweise im Zweigbüro und versieht den Dienst als Bezirksaufseher für den spanischen und die italienischen Kreise.

WERTSCHÄTZUNG FÜR DIE FILME DER GESELLSCHAFT

Nicht nur die spanischen „Gastarbeiter“ zogen Nutzen aus der Vorführung der Filme der Gesellschaft; wir alle waren sehr begeistert davon. Da viele unserer Brüder mit kleinen Versammlungen auf dem Land verbunden waren, fiel es ihnen schwer, sich das weltweite Ausmaß des Werkes Jehovas vorzustellen. Deshalb waren sie und auch die Öffentlichkeit sehr beeindruckt, in den verschiedenen Filmen Brüder vieler Rassen und Nationalitäten zu sehen. Was sie da sahen, war nicht eine kleine, unbedeutende Gruppe, sondern eine weltumspannende Organisation.

Manche äußerten sich günstig über Szenen, die unsere schwarzen Brüder beim Verkündigen des Königreiches zeigten. Eine Frau machte sich Sorgen, als sie sah, wie afrikanische Taufanwärter in ihrer Kleidung im Wasser untergetaucht wurden. Sie befürchtete, diese Menschen würden sich erkälten, wenn sie nachher in nassen Kleidern umhergingen. Natürlich hatte sie nicht daran gedacht, daß die Temperaturen in Afrika anders sind als in der Schweiz.

Diese Filme waren ein ausgezeichnetes Mittel, Menschen zum Besuch des Königreichssaals zu bewegen, damit sie mit eigenen Augen sahen, daß sich Jesu Worte erfüllten: „Diese gute Botschaft vom Königreich wird auf der ganzen bewohnten Erde gepredigt werden, allen Nationen zu einem Zeugnis“ (Mat. 24:14).

PIONIERE EBNEN DEN WEG IN LIECHTENSTEIN

Von Liechtenstein haben wir als letztes in Verbindung mit der Verbreitung der Broschüre Faschismus oder Freiheit berichtet. Aber was ist in den darauffolgenden Jahren im schönen Liechtenstein geschehen?

Eine Pionierschwester, Helen Knechtli, wurde 1956 beauftragt, in diesem Gebiet zu wirken. Sie wohnte in Buchs, auf der Schweizer Seite des Rheins, und ging jeden Tag zu Fuß über die Brücke nach Liechtenstein. Sie predigte von Haus zu Haus nur mit der Bibel, aber wenn sie Interesse vorfand, überbrachte sie beim Rückbesuch Publikationen. Schwester Knechtli fand durch ihre freundliche und geduldige Art bei vielen Menschen günstige Aufnahme, und so konnten mehrere Heimbibelstudien durchgeführt werden. Endlich begann die Wahrheit im Ländle Fuß zu fassen!

Ungefähr zwei Jahre später wurde Blanka Hertenstein, die die Gileadschule absolviert hatte, von Österreich in die Schweiz zurückberufen und in Liechtenstein eingesetzt. Sie organisierte ihre Tätigkeit so geschickt, daß die Polizei eineinhalb Jahre brauchte, um sie aufzuspüren — und das in einem Land, das nur 160 Quadratkilometer groß ist. Schwester Hertenstein hatte den Rat Christi befolgt: „Erweist euch vorsichtig wie Schlangen und doch unschuldig wie Tauben.“ Sie besuchte in einem Gebiet jeweils nur einige wenige Menschen und begab sich dann in ein anderes Gebiet (Mat. 10:16). Dank des Wagens, den ihr großzügige Brüder zur Verfügung gestellt hatten, konnte sie morgens an einem Ende des Landes mit ihrer Predigttätigkeit beginnen und in einer Ortschaft nach der anderen arbeiten, bis sie abends am anderen Ende des Landes ihren Tag beschloß. Wenn die Polizei gerufen wurde und nach ihr suchte, war Blanka bereits verschwunden. Es war, als hätte sie der Erdboden verschluckt.

Die Polizei verbot unserer Schwester, von Tür zu Tür zu gehen, aber Blanka hatte bereits mehrere Personen gefunden, die aufrichtig an der Wahrheit interessiert waren, und diese besuchte sie weiterhin. Solche privaten Besuche konnte die Polizei ihr nicht untersagen.

’S LÄNDLE BEGINNT, FRÜCHTE HERVORZUBRINGEN

Im Jahre 1961 ließ sich auf dem Kongreß in Hamburg die erste Schwester aus Liechtenstein taufen. Ein Jahr später gab es sieben Königreichsverkündiger. In einer Privatwohnung wurde wöchentlich das Wachtturm-Studium abgehalten.

Obwohl die katholische Kirche damals die Bevölkerung fest im Griff hatte und wußte, wie sie auf schlaue Art den Arm des Staates gegen Jehovas Zeugen einsetzen konnte, machte das Königreichswerk Fortschritte. Im Jahre 1965 waren 11 Verkündiger tätig. Später zogen einige weg; zwei Brüder, die aus Deutschland gekommen waren, um dort zu dienen, wo Hilfe not tat, mußten das Land verlassen, und andere wurden untätig. Trotzdem erlosch das Licht der Wahrheit in Liechtenstein nicht.

EIN ERWACHET!-ARTIKEL BAUT VORURTEILE AB

Die Erwachet!-Ausgabe vom 8. August 1966 enthielt einen ansprechenden Artikel über das Thema „Liechtenstein — ein Kleinod in den Alpen“. Diese Ausgabe wurde im ganzen Land in einer Sonderaktion verbreitet, an der sich Verkündiger aus der Schweiz und aus Liechtenstein mit Freuden beteiligten.

Der Artikel wurde sehr geschätzt. Die Leute zeigten sich zugänglich und nahmen gern ein Exemplar entgegen. Ihnen gefiel die Idee, daß der Bericht über ihr Land in der ganzen Welt gelesen würde, von Menschen, die 26 verschiedene Sprachen sprechen (in so vielen Sprachen wurde Erwachet! damals gedruckt). Die Gesellschaft erhielt vom Pressedienst der Regierung ein Dankschreiben für diesen vorzüglichen Artikel.

Nach dieser Sonderaktion stellten die Brüder fest, daß das Vorurteil gegen das Werk der Zeugen Jehovas weitgehend abgebaut worden war. Demzufolge wurden dem Predigtwerk von 1966 an weniger Schwierigkeiten in den Weg gelegt als zuvor.

EINE INTERESSIERTE ARBEITETE IM SCHLOSS

Nähert man sich Vaduz, der Hauptstadt Liechtensteins, so fällt einem von weitem das Schloß auf, das hoch über den hübschen Häusern aufragt. Es ist aber nicht lediglich ein Überbleibsel aus vergangenen Jahrhunderten, nein, es ist tatsächlich die Residenz des regierenden Fürsten. Das Fürstentum Liechtenstein ist eine verfassungsmäßige Erbmonarchie auf demokratischer und parlamentarischer Grundlage.

Amalija, eine junge Frau aus Jugoslawien, die sich für die biblische Wahrheit interessierte, hatte eine Anstellung im Haushalt des Fürsten gefunden. Sie kannte Jehovas Zeugen von ihrer Heimat her und wußte bereits einiges aus Gottes Wort. Dem Brauch entsprechend, erwartete man nun von ihr, sich zum Gebet in der Schloßkapelle einzufinden. Doch schon aufgrund ihrer wenigen Bibelkenntnisse lehnte sie ab. „Es wird der Fürstin mißfallen, wenn Sie nicht mit zur Kapelle kommen“, sagte ihr Vorgesetzter. „Aber Gott würde es mißfallen, wenn ich käme“, erwiderte sie. Und so ließ man sie in Ruhe.

Ein Problem bestand dennoch für Amalija, und es wurde durch die Sprachschranke noch verschlimmert: Wie konnte sie Jehovas Zeugen finden? Sie nahm das Buch Vom verlorenen Paradies zum wiedererlangten Paradies und ging damit zum Bahnhof im nahe gelegenen Buchs in der Schweiz. Dort zeigte sie das Buch den Vorübergehenden, und mit vielen Gesten versuchte sie zu erfahren, wo Leute, die diese Bücher verbreiten, zu finden waren. Aber niemand verstand ihr Anliegen. Ganz enttäuscht schrieb sie in ihre Heimat und bat um Hilfe. Schließlich wurde sie durch die Vermittlung der Zweigbüros mit den Brüdern in Kontakt gebracht.

Als gute und zuverlässige Angestellte wurde sie im fürstlichen Haushalt sehr geschätzt. Aus diesem Grund erhielt sie die Erlaubnis, im Jahre 1969 den internationalen Kongreß „Friede auf Erden“ in Nürnberg zu besuchen, wo sie mit großer Begeisterung dem jugoslawischen Programm beiwohnte. Sie war eine der 5 095 Personen, die damals getauft wurden.

EINE VERSAMMLUNG GEGRÜNDET

Von 1967 an unterstützt ein Sonderpionierehepaar, Oskar und Anni Hoffmann, die kleine Schar von Königreichsverkündigern in Liechtenstein. Sie haben das Feld getreulich und mit Ausdauer gepflügt und den Samen der Königreichswahrheit ausgestreut. Sie haben auch mit Sorgfalt die wachsenden jungen Pflänzchen gepflegt. Zugegeben, die Ernte ist nicht überwältigend, doch gibt es jetzt eine Versammlung von ungefähr 45 aktiven Zeugen, die in einem gefälligen Königreichssaal in Schaan zusammenkommen. Einige Verkündiger aus der Schweiz unterstützen die Versammlung, um so den Bedarf an Ältesten zu decken.

Zusammenfassend sagt Bruder Hoffmann über das Werk im Fürstentum Liechtenstein: „Wir haben den Widerstand der Geistlichkeit überwunden und die Eingriffe der Polizei überstanden. Jene Tage sind vorbei. Jetzt müssen wir standhalten gegen materialistisches Denken und Gleichgültigkeit geistigen Dingen gegenüber. Aber unsere treuen Brüder in Liechtenstein sind entschlossen, auch dieser Herausforderung zu begegnen.“ Das wird ihnen mit Jehovas Hilfe bestimmt gelingen.

IM RUNDFUNK — EINE SELTENE GELEGENHEIT

Da in der Schweiz die protestantische und die katholische Kirche die größten Konfessionen sind, hört man im Rundfunk nur selten etwas von den kleineren Religionsgemeinschaften. Doch im Jahre 1956 ergab sich für uns eine Gelegenheit:

Einige andersdenkende religiöse Bewegungen waren vom Rundfunk zu einer Diskussion mit Vertretern der evangelisch-reformierten Kirche eingeladen worden, aber wir waren die einzigen, die die Einladung annahmen. Die Kirche war vertreten durch einen Professor für Theologie an der Universität Bern, einen Gymnasiallehrer und eine Lehrerin; die Wachtturm-Gesellschaft entsandte Alfred Rütimann und Fred Borys, zwei Mitarbeiter des Zweigbüros. Das Gespräch wurde unsererseits mit einem gerafften Bericht über Jehovas Zeugen eröffnet, worauf eine kurze Ansprache des Professors folgte. Darauf entspann sich eine öffentliche Debatte über verschiedene Themen.

Dieses Programm wurde an einem Samstagabend gesendet, also zu einer sehr günstigen Zeit. Die spontane Reaktion im ganzen Land war eindeutig zugunsten der Zeugen Jehovas. Offenbar hatten nicht nur unsere Brüder aufmerksam und begeistert zugehört. In Dutzenden von Briefen an das Büro der Gesellschaft lobten die Schreiber die Art und Weise, wie sich Jehovas Zeugen verteidigt hatten. Viele Personen waren entrüstet über die spöttische Einstellung der Kirchenvertreter. Am eindrucksvollsten war die Tatsache, daß während der ganzen Diskussion unsere Brüder zur Beweisführung fortwährend die Bibel zitierten, wohingegen die Vertreter der Kirche sie nicht ein einziges Mal anführten.

„Hut ab vor Jehovas Zeugen“, rief ein Mann aus, der kurz nach Schluß der Sendung mit dem Zweigbüro telefonierte. Ein anderer sandte die Kopie seines Kirchenaustritts, der eine Folge des Gehörten war. Er schrieb dazu: „Endlich habe ich gefunden, was ich schon lange gesucht habe.“

Die Zeitung Oberländer Tagblatt brachte folgenden Kommentar: „Diskussionen über Fragen der Auslegung der Heiligen Schrift [stellen] an die sich an solchen Erörterungen Beteiligenden sehr große Anforderungen an ihr eigenes echtes und gelebtes Christentum und an ihre menschliche Fähigkeit, mit Andersdenkenden umzugehen. Diese Klippen wurden von (kirchlicher) evangelisch-reformierter Seite nicht umschifft. Mit Bedauern muß gesagt werden, daß, hätte man sich für die eine oder andere Gesprächspartei entscheiden müssen, man sich eher zugunsten der Vertreter der Sekte (Zeugen Jehovas) entschieden haben würde.“

AUCH IM FRANZÖSISCHEN RUNDFUNK

Natürlich war es der sehnliche Wunsch unserer französischsprechenden Brüder, in ihrer Sprache ebenfalls ein gutes Zeugnis über Rundfunk zu hören. Dieser Wunsch ging am Sonntag, dem 20. Dezember 1970, in einer Abendsendung in Erfüllung. Einige Wochen zuvor hatte das Studio von Radio Sottens, dem französischen Sender des Schweizer Rundfunks, mit André Eiselé, Aufseher der Versammlung Prilly, Kontakt aufgenommen. In einer Sendefolge über verschiedene soziale und religiöse Gruppen im Land wünschte man, auch Jehovas Zeugen zu interviewen.

Zwei Brüder und eine Schwester beteiligten sich zusammen mit Bruder Eiselé an dieser Diskussion. Der Moderator stellte Fragen über unser Verhältnis zu Gott, zu unseren Mitmenschen und zur menschlichen Gesellschaft im allgemeinen. Sie wurden beantwortet, und da es kurz vor Weihnachten war, legten die Brüder Nachdruck auf die Wichtigkeit, die Gottesanbetung von heidnischen Ideen und Bräuchen rein zu erhalten.

„Kaum zwei Tage nach dieser Diskussion nahm man wieder Verbindung mit mir auf“, erzählt Bruder Eiselé. „Der Moderator schlug eine weitere Radiosendung vor, diesmal über persönliche Eindrücke und über seelische Konflikte, die sich für einen Christen durch das Beobachten biblischer Grundsätze hinsichtlich der christlichen Neutralität ergeben mögen. Ich sagte zu, und das Gespräch wurde am Freitag, dem 8. Januar 1971, von 22.00 bis 22.35 Uhr ausgestrahlt.“ Viele drückten ihre Genugtuung darüber aus, insbesondere Schwestern, deren Männer gegen die Wahrheit eingestellt waren. Die Männer hatten einen besseren Eindruck von Jehovas Zeugen gewonnen und verhielten sich nicht mehr so gegnerisch, wenn ihre Frauen die Zusammenkünfte besuchen oder am Predigtdienst teilnehmen wollten.

SOGAR IM FERNSEHEN!

Würde die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft je so liberal sein und Jehovas Zeugen auf dem Bildschirm präsentieren? Anläßlich unseres internationalen Kongresses in Basel im Jahre 1965 erlebten wir den Durchbruch. Im Rahmen der Tagesschau wurde ein kurzer, aber günstiger Bericht über diesen Kongreß ausgestrahlt. Seit jenem Zeitpunkt erschienen Interviews und kurze Berichte von Bezirkskongressen sowohl auf dem deutschen als auch auf dem französischen Kanal. Obwohl diese Sendungen nur wenige Minuten dauerten, haben sie doch das Interesse zahlreicher Personen geweckt.

Die beste und ausführlichste Reportage über Jehovas Zeugen im Fernsehen war am 26. Januar 1979 auf dem italienischen Kanal zu sehen. Sie dauerte 40 Minuten und beleuchtete verschiedene Aspekte des christlichen Lebensweges. Die Zuschauer konnten das Bibelstudium der Familie Soldati in Bellinzona beobachten, sie wurden zu einem Kongreß nach Mailand (Italien) mitgenommen, und man zeigte ihnen die Arbeit unserer Organisation in Form eines Rundgangs durch das Büro und die Druckerei der Gesellschaft in Thun. Besonders interessant war das Interview mit Teresa Medici in Lugano, einer Schwester, die im Alter von 80 Jahren getauft worden war und mit 98 Jahren noch immer mutig für ihre Überzeugung einstand. Diese liebe Schwester ist inzwischen im Alter von 102 Jahren entschlafen, doch hielt sie bis zuletzt am Glauben, an Christi Auferstehungsverheißung, fest (Joh. 5:28, 29).

DER GRÖSSTE KONGRESS

Der größte Kongreß, der jemals in der Schweiz stattgefunden hat, war der internationale Kongreß „Wort der Wahrheit“, der 1965 in Basel, einer Stadt von ungefähr 200 000 Einwohnern, abgehalten wurde. Zu diesem Kongreß sollten sich Brüder sowohl aus Süddeutschland als auch aus Frankreich und anderen europäischen Ländern zusammenfinden. Zwischen 30 000 und 40 000 Besucher wurden erwartet. Für Schweizer Verhältnisse war das ein riesiger Kongreß; ihn vorzubereiten bedeutete eine Herausforderung.

„ ‚Wo werden wir alle diese Kongreßteilnehmer unterbringen?‘ war die erste Frage, die in meinem Sinn aufstieg“, erinnert sich Hans Klenk, der Schweizer Bezirksaufseher, der zusammen mit Karl Hägele, einem Bezirksaufseher aus der Bundesrepublik Deutschland, mit dem Organisieren des Kongresses betraut war.

Das Programm war in fünf Sprachen vorgesehen: in Deutsch, Französisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch. Tatsächlich sollte es für ungefähr 2 000 Brüder aus Spanien und Portugal ein großes Ereignis werden, hofften sie doch, die Reisebewilligung in die Schweiz zu erhalten, obwohl in ihren Ländern das Werk noch verboten war. Leider schafften es aber nicht alle, denn als einige Beamte erfuhren, daß sie zu einem christlichen Kongreß fahren wollten, erhielten sie keinen Reisepaß.

Lange vor Kongreßbeginn kamen in Basel etwa 800 Verkündiger aus der schweizerischen und deutschen Umgebung zur „Startversammlung“. Sie erhielten Anweisungen, wie sie vorgehen sollten, um in der Stadt und in umliegenden Ortschaften nach Unterkünften in Hotels und Schulhäusern, auf Zeltplätzen und in Privathäusern zu suchen. Dieser Tätigkeit widmeten sie im ganzen 18 000 Stunden. Ihre Liebe für die Brüder und ihre Begeisterung halfen ihnen, diese Aufgabe anzupacken, und als schließlich die Kongreßteilnehmer in großen Scharen eintrafen, mußte kein einziger die Nacht unter freiem Himmel verbringen.

BEWUNDERUNG FÜR UNSEREN EINSATZ

Auf dem Kongreßgelände, einem großen Sportfeld, gab es viel Aufbauarbeit zu bewältigen. Fünf Sprachsektoren erforderten fünf Rednertribünen sowie alle anderen notwendigen Einrichtungen. Siebenundsiebzig Brüder und Schwestern stellten ihre Zeit, ihre Muskelkraft und ihr Know-how zur Verfügung. Bei der Erstellung zusätzlicher Toiletten half zum Beispiel Frieda Hemmig an dem Tag mit, Gräben auszuheben, an dem sie gerade 65 Jahre alt wurde. Noch heute empfindet sie es als ein Vorrecht, an der mühsamen Arbeit aus „Liebe zur ganzen Bruderschaft“ einen Anteil gehabt zu haben (1. Pet. 2:17).

Als der Kommandant der städtischen Feuerwehr das Kongreßgelände besichtigte, war er höchst überrascht. Er rief aus: „Wie macht ihr das bloß? Hier gibt es unbezahlte Arbeiter in Hülle und Fülle, und in der Stadt fehlt es überall an Arbeitskräften, obwohl hohe Löhne angeboten werden.“

Der Kreisaufseher aus Deutschland, Bruder Rohleder, der für den Freiwilligendienst zuständig war, erklärte ihm den Grund anhand des Beispiels eines Bruders aus Australien. Dieser war vier Wochen zur Kongreßstadt unterwegs gewesen, doch bei seiner Ankunft in Basel meldete er sich unverzüglich beim Freiwilligendienst, um seine Mithilfe als Installateur anzubieten. Der Feuerwehrkommandant schüttelte den Kopf: „Das ist wirklich bemerkenswert. Ich kann es kaum glauben! Heutzutage tut doch niemand mehr etwas, ohne bezahlt zu werden.“ Er hatte natürlich keine Ahnung davon, was der Geist Jehovas durch diejenigen vollbringen kann, die sich von ihm gebrauchen lassen.

Am 18. Juli 1965, dem letzten Tag des Kongresses, lauschten insgesamt 36 785 Personen Bruder Knorrs öffentlichem Vortrag „Die Weltregierung auf der Schulter des Friedefürsten“. Der Kongreß selbst bewies, daß Jehovas Zeugen in ihren Reihen bereits Einheit und Frieden haben. Die Anwesendenzahl teilte sich wie folgt auf: 29 827 im deutschen Sektor, 3 385 im französischen, 1 340 im italienischen, 1 886 im spanischen und 347 im portugiesischen Sektor.

EIN NEUES ZWEIGGEBÄUDE BENÖTIGT

Als uns Bruder Knorr 1968 besuchte, wurde ein wichtiger Beschluß gefaßt. Der Präsident persönlich verkündete die Nachricht anläßlich einer Sonderzusammenkunft in Bern am 29. Mai: Das Schweizer Zweigbüro wird ein neues Bethelheim und ein neues Druckereigebäude erhalten. Es wurden dringend bessere Einrichtungen benötigt, und die Brüder waren deshalb über diese Nachricht hoch erfreut. War es nicht ein Beweis dafür, daß Jehova ihre Bemühungen gesegnet hatte? Ein passendes Grundstück wurde in Thun gefunden, etwa 32 km vom ehemaligen Bethelgebäude in Bern entfernt. Es lag in einer wunderschönen Gegend unweit des Thuner Sees mit herrlicher Sicht auf die Alpenwelt. Die Bethelfamilie war begeistert.

Am 11. Februar 1969 begann man mit dem Aushub, und Ende März wurde der Beton gegossen. Danach machten die Bauarbeiten große Fortschritte. Das Gebäude sollte zweimal so groß werden wie das alte. Geplant waren fünf Stockwerke, 53 Wohnräume für die Familie und reichlich Platz für die Druckerei sowie für die Lager- und Büroräume. Der Innenausbau — zum Beispiel die Bodenbeläge und die Schreinerarbeiten — wurde größtenteils von Brüdern ausgeführt. Um dem Boden des Hauptgeschosses die nötige Stabilität zu verleihen, wurden 80 Tonnen Armierungseisen verlegt, 50 Tonnen davon allein für den Betonboden der Druckerei. Jahre später erwies es sich als sehr nützlich, daß der Druckereiboden so solide gebaut worden war.

AUCH EINE NEUE ROTATIONSPRESSE

In Anbetracht des steigenden Bedarfs an Publikationen wurde vorgesehen, in der neuen Druckerei eine zweite Druckmaschine zu installieren. Es war eine 35 Tonnen schwere M.A.N.-Rotationsmaschine. Bruder Milan Miller aus Brooklyn half uns, sie aufzustellen. Natürlich hatten wir auch noch die alte Rotationsmaschine, die die Gesellschaft im Jahre 1924 erworben hatte. Während vieler Jahre arbeitete Reinhard Pletscher an dieser Presse. Er kümmerte sich so gut darum, daß er oftmals in der Freizeit „seine“ Maschine reinigte und polierte. Diese Vorliebe veranlaßte einige der Bethelmitarbeiter, die schwarze Druckmaschine „Reinhards schwarze Frau“ zu nennen. Schwester Pletscher nahm es nicht übel; sie lachte mit den übrigen in der Familie darüber. Immerhin hat diese gute Pflege zusammen mit einer gründlichen Überholung bewirkt, daß die Maschine noch viele Jahre nach dem Umzug nach Thun funktionstüchtig war. Sie hat sogar Bruder Pletscher „überlebt“, der seinen irdischen Lauf im Jahre 1973 beendete.

WERTSCHÄTZUNG FÜR DIE NEUEN RÄUMLICHKEITEN

Bei der Bestimmungsübergabe des neuen Gebäudes am 16. Mai 1970 erinnerte Bruder Knorr daran, welch wichtige Rolle Gebäude in alter Zeit im Zusammenhang mit der Anbetung Jehovas gespielt haben — die Stiftshütte im alten Israel und der prachtvolle Tempel, den Salomo gebaut hatte. Er sagte: „Dieses neue Bethelheim wäre, obwohl es der wahren Anbetung gewidmet ist, völlig wertlos, wenn sich die Menschen, die es benutzen, nicht ganzherzig zur Förderung des Werkes Jehovas auf der Erde einsetzten.“

Nicht nur die Bethelfamilie empfand tiefe Dankbarkeit für ihr neues Heim und die angenehmen Arbeitsräume, sondern auch mehr als 4 000 andere Brüder und interessierte Personen. Diese nahmen an zwei Wochenenden im Oktober desselben Jahres die Gelegenheit wahr, das neue Bethel „am Tag der offenen Tür“ zu besuchen. „Wir waren sehr beeindruckt von dem schönen Gebäude und der geräumigen Druckerei“, sagte eine Schwester, „und der Gedanke, daß von diesem Ort aus nicht nur wir Verkündiger in der Schweiz, sondern auch Brüder in vielen fremden Ländern geistige Speise erhalten würden, machte uns sehr glücklich.“

Das lebhafte Interesse und der Geist der Freigebigkeit der Verkündiger im Zusammenhang mit der Finanzierung dieses Neubaus kam in folgendem Brief einer jungen Schwester zum Ausdruck:

„Liebe Brüder!

Ich habe soeben meine Berufslehre beendet. Als Auszeichnung für meine guten Leistungen durfte ich zu meiner Freude einen Preis in Form eines Geldbetrages entgegennehmen. Ich denke, daß ich das Geld nicht besser verwenden könnte, als es Euch für den Bethelneubau in Thun zur Verfügung zu stellen. Aus diesem Grund sende ich Euch als Beilage den Betrag von 80 Fr.

Mit Euch im Werke Jehovas vereint, verbleibe ich mit herzlichen Grüßen

Eure Schwester

Marie-Louise“

AUSDAUER — EIN ERFORDERNIS

In unserem Land kommen die Menschen gewöhnlich nicht schon kurz nach Beginn eines Bibelstudiums in die Wahrheit. Wir müssen viel Geduld und Ausdauer bekunden. Erfahrungsgemäß können die meisten Bibelstudien erst dann begonnen werden, wenn die Menschen zum Verkündiger Vertrauen gefaßt haben. Sie müssen davon überzeugt sein, daß wir aufrichtig an ihrem persönlichen Wohlergehen interessiert sind. Grete Schmidt, eine langjährige Sonderpionierin, kann diese Tatsache durch folgende Erfahrung belegen:

„Vor einigen Jahren lernten mein Mann und ich eine nette tschechische Familie kennen, die in Luzern wohnte. Die Frau war Lehrerin und der Mann ein Spitzensportler im Rudern. Beide waren als Atheisten erzogen worden, aber dessen ungeachtet hatten sie Freude am Diskutieren. Doch jedesmal, wenn Gott oder die Bibel erwähnt wurden, lächelten sie nur. ... Mit der Zeit hörten wir auf, sie zu besuchen.“

Zwei oder drei Jahre vergingen. Dann erschien im Wachtturm vom 15. Oktober 1976 ein Artikel über einen Läufer, der bei den Olympischen Spielen in Tokio eine Goldmedaille gewonnen hatte und heute ein Bruder ist. „Als ich diesen Artikel las“, fährt Schwester Schmidt fort, „kam mir das tschechische Ehepaar in den Sinn, denn der Mann hatte bei den gleichen Olympischen Spielen eine Silbermedaille gewonnen. So beschloß ich, die Familie mit dieser Zeitschrift wieder zu besuchen. Zuerst sprachen sie über Sport, und ich hörte einfach zu. Bei weiteren Besuchen sprach ich dann immer wieder über die Bibel.“

Und wie reagierte das Ehepaar? „Entschuldigen Sie bitte, Frau Schmidt. Sie haben vergessen, daß wir Atheisten sind.“

„Ich fuhr trotzdem fort, diese nette Familie zu besuchen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, daß etwas nicht ganz in Ordnung war. Schließlich bemerkte ich, daß sie Familienprobleme hatten. Sie sprachen bereits von Scheidung.“

Die Schwester zeigte ihnen dann anhand der Bibel, wie solche Probleme überwunden werden können. Sie waren ganz erstaunt über die praktischen Ratschläge, die in der Bibel zu finden sind, und nun stimmten sie einem Bibelstudium zu. Ihre Ehe wurde dadurch zunehmend gefestigt. Schließlich nahmen sie die Wahrheit an und ließen sich im Frühjahr 1979 taufen. Hören wir, was Bruder Jiri Lundák jetzt empfindet:

„Früher konnte ich Wörter wie ‚heilig‘, ‚Engel‘ und ähnliche Ausdrücke einfach nicht leiden; sie taten mir in den Ohren weh. Ich wollte auch nichts von Zusammenkünften wissen. Aber jetzt ist alles anders. Meine Freizeit gehört Gott und meiner Familie. Auch haben wir jetzt ganz andere Freunde. Ich weiß nun, wie wichtig die Zusammenkünfte sind, und ich habe gelernt, die Verantwortung eines Vaters zu übernehmen. So erfreuen wir uns eines glücklichen Familienlebens, und ich danke Jehova immer wieder, daß wir beten gelernt haben und daß er uns seine Hand angeboten hat, bevor wir nach ihm suchten.“ Wahrlich, Ausdauer kann zu guten Ergebnissen führen.

ERSTAUNLICH VIELE JUNGE TAUFANWÄRTER

Im Jahre 1975 ließ sich auf den Kreis- und Bezirkskongressen (in allen vier Sprachen) die bisher höchste Anzahl Personen, nämlich insgesamt 1 138, taufen. Die Zahl hat in den folgenden Jahren abgenommen, aber in dem Jahresdurchschnitt von ungefähr 560 Taufanwärtern sind erstaunlich viele junge Menschen eingeschlossen. Einige von ihnen müssen hart kämpfen, um von Familientraditionen frei zu werden, doch ist es glaubensstärkend, ihre Ernsthaftigkeit zu beobachten. Als Beispiel lassen wir einen jungen Mann erzählen:

„Ich war dabei, eine Erfrischung in einem Restaurant zu genießen, als mich eine deutsche Touristin fragte, ob der Platz neben mir frei sei. Auf meine bejahende Antwort setzte sie sich, und bald entspann sich ein Gespräch. Sie sagte mir, daß sie viel mit jungen Leuten zu tun habe, da sie an der Universität Konstanz (Deutschland) arbeite. Dann wies sie darauf hin, wie wichtig es sei, junge Menschen auf den besten Lebensweg aufmerksam zu machen. Ich stimmte zu, denn ich konnte selbst beobachten, wie viele Jugendliche unter Alkohol- und Drogenmißbrauch litten. Die Dame sprach dann von einem hervorragenden Buch, betitelt Mache deine Jugend zu einem Erfolg. Es tat ihr leid, es nicht bei sich zu haben, aber sie versprach, mir ein Exemplar zu bringen. Das tat sie auch wirklich, doch da ich sehr beschäftigt war, übergab sie es mir schnell und sagte, sie müsse jetzt nach Deutschland zurückreisen, aber jemand anders werde kommen, um das Buch mit mir zu besprechen.

Ein Bruder nahm Kontakt mit mir auf, und bald studierte ich nicht nur das Buch, sondern besuchte auch alle Zusammenkünfte. Meine Liebe zu Jehova wuchs. Mein Leben erhielt einen Sinn, und ich hatte auf einmal viele neue Freunde. Ich erkannte die Notwendigkeit, ‚Babylon die Große‘ zu verlassen. Im Februar 1979 entschloß ich mich zum Kirchenaustritt. Da ich von zu Hause weg war, hinderte mich niemand daran, diesen Schritt zu tun.

Aber o weh! Als ich meine Eltern davon unterrichtete, gab es eine heftige Reaktion. Sie riefen mich an und fragten mich, ob ich den Verstand verloren hätte. Nichts ließen sie unversucht, um mich umzustimmen. Ich erklärte ihnen freundlich, daß ich dem einen wahren Gott dienen wollte und daß ich meinen Standpunkt nicht ändern werde. Am nächsten Tag stand mein Vater da und sagte: ‚Du kommst mit nach Hause, du Bengel!‘ Könnt ihr euch vorstellen, wie mir zumute war?“

Wie ging es wohl für unseren jungen Freund weiter? Er mußte seinem Vater zum Priester folgen. Dieser versuchte, ihn von seinem Entschluß abzubringen, aber über Bibeltexte wollte er nicht diskutieren. Die Eltern beschlossen trotz allem, ihren Sohn in ein katholisches Internat zu schicken. Welche Gefühle löste das bei ihm aus?

„Ich war sehr niedergeschlagen, doch ich setzte mein ganzes Vertrauen auf Jehova. Salomos Worte kamen mir in den Sinn: ‚Vertraue auf Jehova mit deinem ganzen Herzen, und stütze dich nicht auf deinen eigenen Verstand. Beachte ihn auf all deinen Wegen, und er selbst wird deine Pfade gerademachen‘ (Spr. 3:5, 6). Am Anfang war es sehr hart. Ich mußte jeden Sonntag in die Kirche gehen, aber ich saß dort und betete zu Jehova, während sich die anderen am Gottesdienst beteiligten. Es boten sich viele Gelegenheiten, Zeugnis zu geben, und wenn Versammlungszeit war, führte ich mein persönliches Studium im Internat durch. Nach ungefähr drei Monaten sahen die Priester ein, daß es nutzlos war, mich weiterhin zum Besuch der Kirche zu zwingen. Später wurde mir erlaubt, die Sonntage außerhalb des Internats zu verbringen. Könnt ihr erraten, wohin ich ging?“

Bei einem seiner Gespräche mit dem Abt bot ihm der junge Mann die Zeitschriften an. Der Abt seinerseits lud ihn ein, zu drei verschiedenen Klassen über Jehovas Zeugen zu sprechen. So hatte er Gelegenheit, 90 Schülern Zeugnis zu geben und ihnen Publikationen auszuhändigen. Zwei Klassen hatten so viele Fragen über die Bibel, daß ihm zwei Stunden zur Beantwortung eingeräumt wurden.

Unser junger Bruder schließt seinen Bericht wie folgt ab: „Die Vorsteher dankten mir am Schluß des Jahres sogar und sagten, sie hätten noch nie einen so fleißigen Schüler gehabt. Jetzt erfreue ich mich eines sinnvollen Lebens, das mir Jehova durch seine irdische Organisation ermöglicht hat. Im Sommer 1980 ließ ich mich auf dem Bezirkskongreß in Zürich taufen, und nun erlebe ich viele Freuden im Pionierdienst. Ich danke Jehova für seine Barmherzigkeit und seine liebende Güte!“

DAS NEUE BETHEL MUSS ERWEITERT WERDEN

Schon wenige Jahre nach Inbetriebnahme der neuen Bethelräumlichkeiten stellte es sich heraus, daß wir wegen der zunehmenden Produktion mehr Platz benötigten. Wir stellten nun Zeitschriften in sechs Sprachen her und druckten im Jahre 1975 eine Rekordzahl von 31 Millionen Zeitschriften. Da das Werk der Zeugen Jehovas in Spanien 1970 gesetzlich anerkannt worden war, benötigten die Verkündiger dort große Mengen an spanischen Zeitschriften für den Predigtdienst, den sie nun in der üblichen Weise durchzuführen begannen. Es war unser Vorrecht, sie damit zu beliefern. Die gleiche Situation stellte sich auch in Portugal ein, als das Werk dort im Dezember 1974 gesetzlich anerkannt wurde. Bis dahin hatten wir Zeitschriften in Französisch, Deutsch, Englisch und Italienisch gedruckt. Von 1981 an kamen dann noch die Sprachen Griechisch und Türkisch hinzu, so daß wir schließlich pro Monat 15 Ausgaben in acht Sprachen druckten. Etwas später kam noch die vierteljährliche Ausgabe der Zeitschrift Erwachet! in Türkisch hinzu.

„All das erforderte Platz“, erklärt Lars Johansson, der Druckereiaufseher. „Wir fanden es deshalb passend, einen Teil des Gartens dazu zu verwenden, einen Anbau an unser Bethelgebäude zu errichten. Dieser Anbau würde Platz für ein großes Papierlager und für eine besser ausgerüstete Versandabteilung bieten. Auch sahen wir den Bedarf an mehr Wohnräumen voraus, so daß wir im Neubau zusätzliche Zimmer für 12 Personen einplanten. Dieser neue Gebäudeteil wurde im Februar 1978 der Bestimmung übergeben.

NEUE DRUCKVERFAHREN WERDEN EINGEFÜHRT

Die Feststellung des Apostels Paulus, daß „die Szene dieser Welt wechselt“, trifft bestimmt auf das alte System der Dinge auf der Erde zu, aber man könnte diese Worte auch auf die Druckverfahren anwenden! (1. Kor. 7:31). Die Modernisierung der Druckereien der Gesellschaft in den Vereinigten Staaten und anderswo war notwendig geworden, um mit der weltweiten Entwicklung Schritt halten zu können. Wir hatten schon davon gehört und waren gespannt, wann unsere Druckerei an der Reihe wäre.

Die Vorbereitungen begannen im Winter 1980/81. Schritt um Schritt wurde im Bethelanbau eine neue Reproduktionsabteilung aufgebaut. Als erstes stellten wir mit Fotosatz Unseren Königreichsdienst in vier Sprachen her, und im Juli begannen wir, die griechischen Ausgaben der Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! auf der neu erworbenen Bogenoffsetanlage zu drucken.

Als nächstes traf im Juni 1982 die erste umgebaute Offsetrotationsmaschine aus Brooklyn ein. Um Platz für sie zu schaffen, wurde unser „altes Schlachtschiff“, die 1924 gekaufte Rotationsmaschine, abgebaut und verschrottet. Sie hatte in 58 Dienstjahren Millionen von Zeitschriften gedruckt.

Bald darauf traf aus Brooklyn die Nachricht ein, daß dem Schweizer Zweig eine zweite umgebaute Offsetrotationsmaschine zugeteilt worden sei. Wie froh wir doch waren, daß beim Errichten des Druckereigebäudes in Thun der Boden des Hauptgeschosses so solide gebaut worden war! Diese Druckpresse traf im Dezember 1983 ein. Nun war unsere Druckerei gut ausgerüstet, um Zeitschriften in acht Sprachen herzustellen, die für die Verbreitung und für den persönlichen Gebrauch der Brüder in nahezu 100 verschiedenen Ländern bestimmt waren.

VERKÜNDIGER, DIE SICH WILLIG DARBIETEN

Wir stellen mit Freude fest, daß der Pioniergeist, der sich wie nie zuvor in Jehovas irdischer Organisation ausbreitet, auch eine Anzahl unserer Brüder und Schwestern in der Schweiz erfaßt hat. Während vieler Jahre war die Zahl der Pioniere in unserem Land einer unserer schwachen Punkte gewesen, aber seit 1980 hat sich die Zahl der allgemeinen Pioniere von 101 auf 271 erhöht. Außerdem sind 64 Sonderpioniere tätig (davon 2 in Liechtenstein, und 3 dienen in der Schweiz als Missionare). Wir hoffen sehr, daß in der verbleibenden, verkürzten Zeit noch viele weitere diesen Dienst aufnehmen werden (1. Kor. 7:29).

Die zunehmende Zahl der Hilfspioniere läßt erkennen, daß der Wunsch, in den Vollzeitdienst einzutreten, noch bei vielen anderen vorhanden ist, doch sind sie nicht dazu in der Lage. Im Mai 1986 beteiligten sich 1 117 Verkündiger am Hilfspionierdienst — eine erfreuliche Höchstzahl, verglichen mit 361 im Jahre 1980. Wir empfinden das als einen bemerkenswerten Fortschritt in unserem Land.

Die Versammlung Dittingen veranschaulicht treffend, wie die positive Einstellung der Ältesten diese fruchtbare Entwicklung beeinflußt. Auf dem Kreiskongreß im Herbst 1985 in Basel stellte Samuel Hurni auf der Bühne 15 Hilfspioniere vor. Er erklärte dazu: „Unsere Versammlung besteht aus 26 getauften Verkündigern; von diesen haben sich 57 Prozent, das heißt 15, entweder im Mai oder im September, oder in beiden Monaten am Hilfspionierdienst beteiligt.“ Er erzählte weiter, daß die Ältesten unter sich beschlossen hatten, in dieser Tätigkeit selbst führend voranzugehen. Die Ältesten wandten sich dann an die anderen Glieder der Versammlung, indem sie sagten: „Die Ältesten werden im Mai Hilfspioniere sein; möchtest du es nicht mit ihnen zusammen auch einmal versuchen?“ Einige Verkündiger waren darüber, daß die Ältesten sie für fähig hielten, so erfreut, daß sie begeistert den Versuch unternahmen. Die gemeinsame Anstrengung war sehr erfolgreich und gereichte der ganzen Versammlung zum Segen. Alle fühlten sich gestärkt und waren durch die Freude, die die Hilfspioniere ausstrahlten, in gehobener Stimmung (Ps. 110:3).

TROTZ VERSCHIEDENARTIGKEIT EINHEIT BEWAHREN

Ein besonderes Merkmal der Organisation des Volkes Jehovas in der Schweiz ist die Verschiedenartigkeit in Sprache und Herkunft. Die Einheit zu bewahren und auf den gemeinsamen Fortschritt zu achten ist daher eine der wichtigen Aufgaben des Zweigkomitees.

Die Gründung fremdsprachiger Versammlungen erfordert zusätzliche Bemühungen. Die Versammlungen zu betreuen bedeutet vermehrte administrative Arbeit, wie zum Beispiel der Briefwechsel mit den Versammlungen und den Kreisaufsehern, die Auswertung der Berichte, das Koordinieren und Organisieren von Kongressen, das Abfassen und Versenden von Mitteilungsschreiben, Anweisungen für den Predigtdienst und die Bereitstellung der Literatur sowie vieles andere mehr, und das alles in vier Sprachen — Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch. Da im Zweigbüro nicht alle Brüder diese Sprachen beherrschen, ist sehr viel Übersetzungsarbeit erforderlich.

Im Predigtdienst wurde die wachsende ausländische Bevölkerung eine Herausforderung für die Verkündiger. Würden sie an den Türen dieser Menschen mit der Ausrede vorübergehen, man könne sich mit ihnen ja doch nicht verständigen? Oder würden sie wenigstens die Herkunft dieser Menschen herauszufinden suchen und ihnen eine Veröffentlichung in ihrer Sprache bringen? Einige aufgeweckte Verkündiger taten mehr als das: Sie lernten eine neue Sprache, um diesen Menschen zu helfen (1. Tim. 2:4).

Abgesehen von den bereits erwähnten Sprachgruppen, wird auch Jugoslawen, Portugiesen, Griechen und Türken sowie tamilischen und vietnamesischen Flüchtlingen Zeugnis gegeben. Einige unter ihnen bekunden ernsthaftes Interesse oder haben bereits auf Jehovas Seite Stellung bezogen. Die Anwesenheit von Menschen aus noch vielen anderen fremden Ländern gibt uns tatsächlich das Gefühl, gleich vor unserer Haustür eine Missionarzuteilung zu haben.

DIE BETHELFAMILIE SPIEGELT DIE VERSCHIEDENARTIGKEIT WIDER

Zu unserer Bethelfamilie gehören ungefähr 65 Personen. Dank des Umstandes, daß das Zweigbüro in der Schweiz eines der ältesten ist, sind einige unserer Mitarbeiter schon lange in unserer Mitte, und sie haben sich wie Säulen in unserer Mitte erwiesen. Oft sind Besucher, die zu uns kommen, beeindruckt von der relativ großen Anzahl langjähriger Mitarbeiter in unserem Bethel. Wir möchten euch die 12 Brüder und Schwestern vorstellen, die über 65 Jahre alt sind. (Siehe Seite 215.) Sie stehen im ganzen schon 552 Jahre im Vollzeitdienst, was im Durchschnitt für jeden 46 Jahre ausmacht.

Diese beteiligen sich alle noch immer eifrig an der Arbeit. Lydia Wiedenmann, 87, deckt zum Beispiel jeden Tag die Tische; Jules Feller, 86, versieht die Arbeit im Empfangsraum; Arnold Rohrer, 86, nimmt sich unserer vielen Fahrräder an; Paul Obrist, 81, arbeitet im Büro; Willi Diehl, 75, dient als Koordinator des Zweigkomitees.

Auf dem Bild fehlen zwei liebe Brüder, die vor kurzem ihren irdischen Lauf beendet haben: David Wiedenmann, im Alter von 82 Jahren, der als Glied des Zweigkomitees bis zu seinem Todestag gearbeitet und uns ein Beispiel der Bescheidenheit und der Zufriedenheit gegeben hat, und Gottfried Feuz, im Alter von 88 Jahren; davon hat er 63 im Vollzeitdienst verbracht. In seinen letzten Jahren war er ein gewissenhafter Mitarbeiter in der Abonnementsabteilung, und wir werden ihn wegen seiner Güte lange in Erinnerung behalten.

Gewiß kann von diesen Brüdern und Schwestern gesagt werden: „Eine Krone der Schönheit ist graues Haar, wenn sie auf dem Weg der Gerechtigkeit gefunden wird“ (Spr. 16:31). Mit ihrer reichen Erfahrung sind sie für die jüngeren Glieder der Familie sehr wertvoll. Weder das unterschiedliche Alter noch die Verschiedenheit der Sprache ist der Einheit abträglich. Tatsächlich sind in der Bethelfamilie drei der offiziellen Landessprachen vertreten. Dies fällt am meisten während der Besprechung des Tagestextes und während des Wachtturm-Studiums der Bethelfamilie auf, wenn Kommentare in drei Sprachen gegeben werden.

ENTWICKLUNG DER DINGE IM BETHEL

Wie die meisten Zeugen Jehovas des 20. Jahrhunderts feststellen können, ist der technische Fortschritt der letzten Jahre geradezu überwältigend. Zweifellos hat Jehova dafür gesorgt, daß moderne Hilfsmittel vorhanden sind, um das Predigen der „guten Botschaft vom Königreich ... auf der ganzen bewohnten Erde ..., allen Nationen zu einem Zeugnis“ zu ermöglichen, und zwar nur während einer einzigen Generation (Mat. 24:14, 34).

Angesichts dieses Auftrags ist es verständlich, daß die Gesellschaft den bestmöglichen Gebrauch von Computeranlagen macht. Auch das Zweigbüro in der Schweiz ist im Juli 1983 mit einer MEPS-Anlage (vielsprachiges elektronisches Fotosatzsystem) ausgerüstet worden, und wir lernen immer mehr, wie wir unsere Arbeit mit Hilfe dieses vielseitigen Systems rationeller durchführen können. Besonders die umfangreiche Arbeit in der Abonnementsabteilung ist auf eine verhältnismäßig einfache Tätigkeit an einigen Computer–Eingabestellen reduziert worden. Auch in der Versandabteilung hat der Computer die Arbeit sehr vereinfacht.

Andererseits haben Zweigbüros, für die wir früher Zeitschriften gedruckt haben, neue Gebäude und Offsetrotationsmaschinen erhalten und haben selbst zu drucken begonnen. Die Vorteile dieser Dezentralisation sind Einsparungen an Zeit und Versandkosten. Bei uns ist gegenwärtig die Anzahl der Zeitschriften, die wir von jeder Ausgabe drucken, stark vermindert worden, doch es sind immer noch 12 verschiedene Ausgaben in sechs Sprachen.

Durch diese Entwicklung sind einige Mitarbeiter unseres Zweigbüros für den Vollzeitpredigtdienst frei geworden, und wir freuen uns über die guten Berichte, die sie uns aus ihrem neuen Tätigkeitsfeld zukommen lassen. Es ist offensichtlich, daß Jehova all jene segnet, die sich von ihm für irgendeine Aufgabe gebrauchen lassen, und daß er für sie mit väterlicher Liebe sorgt.

BEZIRKSKONGRESSE MIT INTERNATIONALEM CHARAKTER

Als die Gesellschaft verlauten ließ, daß in Verbindung mit den Kongressen des Jahres 1985 etwas Besonderes geplant sei, waren wir sehr darauf gespannt. Sobald wir davon in Kenntnis gesetzt wurden, gingen wir daran, unsere Bezirkskongresse „Bewahrer der Lauterkeit“ in Deutsch und Französisch zu organisieren, wobei wir die zu erwartenden Besucher aus dem Ausland mit berücksichtigten.

Es war zu erwarten, daß die englischsprechenden Gäste eine besonders große Gruppe sein würden. Deshalb sahen wir an allen vier Tagen des deutschsprachigen Kongresses — vom 1. bis 4. August in Zürich — ein Programm in englischer Sprache vor. Brüder aus den Vereinigten Staaten, Kanada und Großbritannien sowie englischsprechende Brüder, die in der Schweiz leben, übernahmen gern die verschiedenen Programmpunkte. So konnten alle Themen dargeboten werden mit Ausnahme der Dramaaufführungen, die unsere Besucher jedoch in deutscher Sprache mitverfolgen konnten. Auf dem französischsprachigen Kongreß in Genf war das Programm in englischer Sprache zwar nicht so umfangreich, doch freuten sich die einheimischen Brüder auf beiden Kongressen über die begeisternden Berichte der Besucher aus verschiedenen Ländern.

Außerhalb der Programmzeiten gab es für die Schweizer Brüder und ihre ausländischen Gäste besonders in der Cafeteria Gelegenheit, sich zu treffen und zu unterhalten. Es war herzerfreuend zu sehen, wie sich alle bemühten, die Sprachschranken zu überwinden. Manche versuchten, die seit der Schulzeit im Gedächtnis schlummernden Deutsch- oder Englischkenntnisse wieder zu beleben. Irgendwie verstanden sie einander, wenn nicht durch Worte, so doch durch Gesten, durch eine Umarmung oder durch die Sprache ihrer Augen. Es war ein Ausdruck echter Bruderschaft, wie sie nur durch die Liebe, die Frucht des Geistes Gottes, zustande kommen kann, denn die Liebe ist „ein vollkommenes Band der Einheit“ (Kol. 3:14).

Viele der nahezu 1 800 ausländischen Kongreßbesucher begleiteten die einheimischen Verkündiger in den Predigtdienst und zeigten so ihr Interesse an der Zeugnistätigkeit ihrer Brüder hierzulande. Die meisten benutzten auch die Gelegenheit, unser Bethelheim und die Druckerei zu besuchen, und dies war für uns eine große Ermunterung.

Von Brüdern, die den Kongreß in Genf besucht hatten, erhielten wir einen rührenden Abschiedsbrief, in dem es unter anderem hieß: „Wir möchten nicht von Euch scheiden, ohne Euch wissen zu lassen, woran wir uns am meisten erinnern werden. Es ist nicht die Höhe Eurer Berge, noch die Tiefe Eurer Seen, sondern es ist Eure echte Liebe zu unserem großen Schöpfer und Euer ehrliches Bemühen, die gerechten Grundsätze unseres Vaters einzuhalten. Wir sind durch Eure Entschlossenheit, Bewahrer der Lauterkeit zu bleiben, sehr angespornt worden.

Wir schätzten Eure Bemühungen sehr, Euch trotz der Sprachschwierigkeiten mit uns zu unterhalten.

Nie werden wir Eure freundlichen Gesichter vergessen, und wie wir uns dank Eures Lächelns gleich zu Hause und willkommen gefühlt haben. Wirklich, ‚wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder in Einheit beisammenwohnen!‘ Und wie dankbar sind wir doch, zu dieser universellen Familie von Brüdern zu gehören!“ (Ps. 133:1).

So sind uns von den Bezirkskongressen 1985, die von insgesamt 20 601 Personen besucht wurden, viele glückliche Erinnerungen verblieben. Wir fühlten uns alle ermutigt, mit unseren Brüdern in aller Welt Schulter an Schulter vorwärts zu gehen und unsere Lauterkeit Jehova und Christus Jesus gegenüber zu bewahren. Auch freuen wir uns auf erneute Gelegenheiten, solch wunderbare christliche Gemeinschaft zu pflegen.

ENTSCHLOSSEN, DEN DIENST FORTZUSETZEN

Wir haben zusammen 95 Jahre theokratischer Entwicklung des Werkes in der Schweiz betrachtet, von Bruder Russells erstem Besuch im Jahre 1891 bis heute. Das kleine Rinnsal der Wasser der Wahrheit ist angeschwollen und hat jedes Tal und jede einsame Sennhütte hoch oben in den Bergen erreicht. Wenn wir an den Wohnungstüren in den Städten vorsprechen, erkennen uns die Menschen als Zeugen Jehovas, noch bevor wir etwas sagen. Das zeigt, daß die Königreichsbotschaft gepredigt worden ist und daß sie gehört wurde. Aber die meisten fühlen sich sicher und sind mit ihrer Lebenslage zufrieden. Deshalb kümmern sie sich wenig um das, was ihnen ohnehin unmöglich erscheint: dauerhafter Frieden auf der Erde unter Gottes Königreich.

Trotzdem sind die Bemühungen der Diener Jehovas nicht umsonst gewesen. Obwohl viele, die Jehova einmal für eine gewisse Zeit gedient haben, in die Welt zurückgekehrt sind, hatten wir im Mai 1986 eine Höchstzahl von 13 659 loyalen Verkündigern des Königreiches (42 davon wohnen in Liechtenstein). Die Anwesenheit von 25 698 Personen beim Gedächtnismahl im Jahre 1986 (82 davon versammelten sich in Liechtenstein) läßt auf eine weitere Zunahme schließen, vorausgesetzt, daß Jehovas Geduld noch andauert. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß viele Verkündiger — vielleicht die Hälfte — Ausländer sind, die in die Schweiz kamen, um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, und die hier unerwarteterweise geistige Reichtümer gefunden haben. Viele sind inzwischen in ihr Heimatland zurückgekehrt und haben dort zur Förderung des Königreichswerkes beigetragen. Dadurch ist die Verbreitung der Königreichsbotschaft in jenen Ländern beschleunigt worden, und die Brüder in der Schweiz empfinden es als ein Vorrecht, einen Anteil daran gehabt zu haben.

Die Glieder der „großen Volksmenge“ werden in Jesaja 56:6 selbst als „Ausländer“ bezeichnet, „Ausländer, die sich Jehova angeschlossen haben, um ihm Dienst zu tun und den Namen Jehovas zu lieben, um ihm zu Knechten zu werden“. Tausende davon in der Schweiz sind entschlossen, zusammen mit den 73 Gliedern des gesalbten Überrests, die sich sowohl hier als auch in Liechtenstein noch in ihrer Mitte befinden, den Dienst für Jehova fortzusetzen und vereint die Königreichshoffnung all denen zu verkündigen, die sie hören möchten.

[Karte auf Seite 114]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

SCHWEIZ UND LIECHTENSTEIN

FRANKREICH

BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

SCHWEIZ

Bern

Schaffhausen

Basel

Rhein

Bodensee

Brugg

Zürich

St. Gallen

Thalwil

Aare

Les Convers

Zug

Buchs

Neuenburg

Luzern

Bad Ragaz

Payerne

Steffisburg

Yverdon

Freiburg

Thun

Prilly

Lausanne

Genfer See

Gstaad

Aigle

Rhone

Genf

Bellinzona

Lugano

LIECHTENSTEIN

Schaan

Vaduz

ÖSTERREICH

ITALIEN

SPRACHEN

Deutsch

Französisch

Italienisch

Rätoromanisch

[Bild auf Seite 119]

Adolf Weber, der im Jahre 1900 mit der Königreichsbotschaft in sein Heimatland zurückkehrte

[Bild auf Seite 130]

Mit einer „Friedensglocke“ auf einem Pferdewagen erweckten die Brüder in Zürich Interesse für die Zeitschrift „Das Goldene Zeitalter“

[Bild auf Seite 135]

Schweizer Zweigbüro und Druckerei von 1925 bis 1970

[Bild auf Seite 136]

Martin C. Harbeck (stehend mit seiner Frau) und J. F. Rutherford

[Bild auf Seite 145]

Heinrich Dwenger, von 1910 bis 1983 im Betheldienst, hier in der Abonnementsabteilung in Thun

[Bild auf Seite 149]

Titelseite der Sonderausgabe der Zeitschrift „Das Goldene Zeitalter“, die den Tatsachenbericht über den denkwürdigen Kongreß in Luzern enthielt

[Bildnachweis]

DER NEUE GESSLERHUT

[Bild auf Seite 158]

Franz Zürcher, Zweigaufseher von 1940 bis 1953

[Bild auf Seite 161]

Jules Feller trat 1924 in den Betheldienst ein; mit 86 Jahren ist er immer noch ein aktiver Mitarbeiter

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Willi Diehl, Koordinator des Zweigkomitees, mit seiner Frau Marthe

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Das Schloß — Wahrzeichen Liechtensteins

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Bethelheim, Büro und Druckerei in Thun

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Ein Dutzend langjährige Glieder der Bethelfamilie; durchschnittlich steht jeder von ihnen 46 Jahre im Vollzeitdienst (von links nach rechts: Lydia Wiedenmann, Marthe Diehl, Jules Feller, Willi Diehl, Paul Bigler, Martha Bigler, Paul Obrist, Ernst Zedi, Hans Russenberger, Arnold Rohrer, Johannes Förster, Josefine Förster)