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Ecuador

Ecuador

Ecuador

AN der Mitte der Erde und doch am weitesten von ihrem Mittelpunkt entfernt — dort liegt Ecuador, das sich zu beiden Seiten des Äquators erstreckt. Dampfende Regenwälder im Tiefland bilden einen Kontrast zu den „Städten des ewigen Frühlings“ hoch oben in den felsigen Anden. Zwei rivalisierende Meeresströmungen an der Pazifikküste beleben abwechselnd das Land. Der kühle Humboldtstrom herrscht von Mai bis Dezember vor und sorgt im Landesinnern für kühles, trockenes Wetter. Dann hat von Januar bis April der warme El Niño die Oberhand, der Hitze und Feuchtigkeit mit sich bringt, gleichzeitig aber das Land mit neuen jahreszeitlichen Regenfällen erfrischt.

Die ecuadorianische Bevölkerung ist so vielfältig wie das Land, in dem sie lebt. Von den Dutzenden von Indianerstämmen sind vielleicht die Otavalo-Indianer die bekanntesten. Die Männer flechten ihre Haare gewöhnlich zu einem Zopf und tragen einen dunklen Filzhut sowie einen marineblauen Poncho, dazu eine weiße Hose und ein weißes Hemd. Einige von ihnen, die ihre gewebten Decken, Schals und Ponchos im Ausland verkaufen, kommen weit herum. Im Gegensatz dazu sind die Colorado-Indianer nur spärlich bekleidet. Die Männer kann man an ihrer typischen Haartracht erkennen — sie tragen Rundschnitt und haben ihre Haare mit einer hellorangefarbenen Paste eingefettet und glattgestrichen.

Einen weiteren bedeutenden Teil der Bevölkerung machen die Schwarzen aus, deren Herkunft sich direkt bis nach Jamaika und Afrika zurückverfolgen läßt. Auch Spanien hat seine Spuren hinterlassen, was sowohl an den Gesichtszügen der Menschen als auch in der Architektur zu erkennen ist — eine Folge des Einflusses der Konquistadoren, die auf der Suche nach Gold hierherkamen. Fügt man zu diesem Bild noch die vielen orientalischen, jüdischen, arabischen und europäischen Kaufleute hinzu, hat man das Ecuador von heute. Die gastfreundlichen Ecuadorianer begrüßen andere meistens mit einem Händedruck und einem herzlichen Lächeln. Diese freundliche Gesinnung hat vielen von ihnen geholfen, eine Botschaft anzunehmen, die ihr Leben außerordentlich bereichert hat.

Die gute Botschaft kommt nach Ecuador

Im Jahre 1935 erfuhren zumindest einige Menschen in Ecuador von der guten Botschaft von Gottes Königreich. In jenem Jahr predigten zwei Zeugen Jehovas, Theodore Laguna und sein Partner, die nach Chile unterwegs waren, zehn Monate lang in Ecuador. Dann, im Jahre 1946, trafen Absolventen der Gileadschule, die Ecuador als Zuteilung erhalten hatten, in der Hafenstadt Guayaquil ein. Es handelte sich um Walter und Willmetta Pemberton sowie um Thomas und Mary Klingensmith.

Nachdem sich diese ersten Missionare um die nötigen gesetzlichen Formalitäten gekümmert hatten, machten sie sich sogleich auf den Weg zur Hauptstadt Quito, die etwa 3 000 m über dem Meeresspiegel auf einer Hochebene aus Vulkanasche liegt. Da bis zu dieser Höhe keine befahrbaren Straßen hinaufführten, bestiegen sie in Guayaquil den Zug nach Quito. Sie erinnern sich noch gut an ihre Reise: „Wir hatten Glück, daß wir nicht wie viele andere auf dem Dach sitzen oder an den Seiten hängen mußten. Nicht wenige hatten Bananen, Ananas und Hühner mitgenommen, um sie in weiter entfernt liegenden Orten zu verkaufen.“

Wegen der starken Steigung, Teufelsnase genannt, mußte der Zug eine Zickzackstrecke überwinden. Man hatte den Eindruck, als würde er auf einem schmalen, in eine Felswand gehauenen Sims fahren. Der Zug kroch zunächst vorwärts den steilen Berghang hinauf, hielt dann an und fuhr rückwärts weiter, um das nächste Teilstück zu erklimmen. Dieser Vorgang wiederholte sich so lange, bis man oben angelangt war. Nach zwei Tagen näherten sie sich in der Dämmerung ihrem Bestimmungsort. Voller Ehrfurcht betrachteten sie die in Schnee gehüllten Spitzen der Vulkanberge, von denen der Cotopaxi — mit 5 897 m einer der höchsten aktiven Vulkane der Erde — am beeindruckendsten war.

Nun begann das echte Missionarleben. Eine Wohnung mußte gemietet werden. Die Lebensmittel wurden täglich eingekauft, weil es keine Kühlschränke gab. Zum Kochen verwendete man einen Holzofen. Wie wurde die Wäsche gewaschen? Nicht mit einer automatischen Waschmaschine. Mit den Fingerknöcheln rubbelte man jedes Wäschestück auf einem Waschbrett. Einer der Missionare sagte jedoch: „Ich kann mich nicht erinnern, daß wir uns je beklagten. Wir predigten einfach weiter.“

Auch der Predigtdienst erwies sich als eine Herausforderung, denn ihre Spanischkenntnisse waren sehr begrenzt. Dessenungeachtet begannen sie im Vertrauen zu Jehova, von Haus zu Haus zu gehen, wobei sie Zeugniskarten und Grammophone benutzten und sich oft ihrer selbsterfundenen Zeichensprache bedienten. Gute Ergebnisse ließen nicht lange auf sich warten.

Der erste Ecuadorianer findet die Wahrheit

Als Walter Pemberton einmal spätabends eine Nebenstraße von Quito entlangging, um das Gebiet auszukundschaften, lief ein kleiner Junge auf ihn zu und wollte wissen, wieviel Uhr es ist, worauf er in einen Türeingang zurückrannte. Als Walter in den Eingang hineinschaute, bemerkte er einen Mann, der gerade ein Paar Schuhe herstellte. In gebrochenem Spanisch stellte sich Walter vor, erklärte, daß er ein Missionar sei, und fragte den Mann, ob er Interesse an der Bibel hätte. „Nein, aber ich habe einen Bruder, der sehr daran interessiert ist“, lautete die Erwiderung. Wie es sich herausstellte, war der Bruder des Mannes Luis Dávalos, ein Adventist, der anfing, ernsthaft an seiner Religion zu zweifeln.

Früh am nächsten Morgen sprach Walter bei Luis vor. Walter erzählt: „Mit meinem bißchen Spanisch erklärte ich ihm Gottes Vorsatz, die Erde zu einem Paradies zu machen, in dem die Menschheit für immer unter Gottes Königreich leben werde.“

Als Luis das hörte, fragte er: „Wie soll das möglich sein? Jesus sagte, daß er in den Himmel weggehen werde, um eine Stätte für sie zu bereiten.“

Walter zeigte ihm, daß Jesus eine kleine Herde im Sinn hatte und daß die Zahl dieser kleinen Herde auf 144 000 Personen beschränkt war (Luk. 12:32; Offb. 14:1-3). Er erklärte außerdem, daß Jesus von anderen Schafen sprach, die nicht aus dieser Hürde sind, die aber die Hoffnung hätten, hier auf der Erde zu leben (Joh. 10:16).

„Mein ganzes Leben lang hat man mir beigebracht, daß alle guten Menschen in den Himmel kommen“, sagte Luis. „Ich brauche mehr Beweise für diese irdische Gruppe.“ Also schlugen sie zusammen andere Schrifttexte auf, worauf Luis ausrief: „Das ist die Wahrheit!“ (Jes. 11:6-9; 33:24; 45:18; Offb. 21:3, 4).

Luis war wie ein in der Wüste verdurstender Mann, aber es verlangte ihn nach den Wassern der Wahrheit. Sofort wollte er wissen, was die Bibel über die Dreieinigkeit, die Unsterblichkeit der Seele, die Hölle und andere Lehren sagt. Natürlich kehrte Walter an diesem Tag erst spät am Abend nach Hause zurück. Gleich am nächsten Tag gab Luis all seinen Freunden eifrig Zeugnis und teilte ihnen mit: „Ich habe die Wahrheit gefunden.“

„Die Antwort auf mein Gebet“

Um diese Zeit geschah es auch, daß Ramón Redín, einer der Gründer der Adventistenbewegung in Ecuador, von seiner Religion enttäuscht wurde. Spaltungen innerhalb der Kirche beunruhigten ihn. Eigentlich zweifelte Ramón an allen Religionen. Eines Tages betete er zu Gott: „Bitte, zeige mir die Wahrheit. Wenn du es tust, werde ich dir den Rest meines Lebens treu dienen.“

Kurz danach sagte ihm Luis Dávalos, einer seiner Freunde, er habe ihm etwas Wichtiges mitzuteilen. „Ramón, wußtest du, daß die Siebenten-Tags-Adventisten nicht die Wahrheit haben?“ Ramón antwortete: „Luis, ich schätze es, daß du dir Gedanken um mich machst, aber Tatsache ist, daß keine Religion die Wahrheit der Bibel lehrt, und aus diesem Grund interessiere ich mich für keine.“ Doch Ramón nahm eine Ausgabe der Zeitschrift Der Wachtturm entgegen und ließ sich die Adresse des Missionarheims geben. Auch versprach er, mit den Missionaren wenigstens zu sprechen, um festzustellen, ob sie seine Fragen beantworten könnten. Seine scheinbare Gleichgültigkeit spiegelte allerdings nicht seine wahren Gefühle wider; tief im Innern hatte er den Wunsch, herauszufinden, ob es so etwas wie wahres Christentum gab. Nachdem er also die Wohnung seines Freundes verlassen hatte, suchte er zwei Stunden lang nach dem Missionarheim.

Walter Pemberton, der immer noch seine Probleme mit der spanischen Sprache hatte, tat sein Bestes, um die Fragen, die Ramón stellte, zu beantworten, wie beispielsweise: „Gestehen Jehovas Zeugen anderen das Recht zu, anhand der Bibel zu argumentieren?“ Walter erwiderte: „Wir wünschen nicht, daß jemand gegen sein Gewissen handelt. Wir möchten, daß die Menschen anhand der Bibel argumentieren, da man auf diese Weise zu richtigen Schlußfolgerungen kommt.“

„Nun, halten die Zeugen den Sabbat?“ fragte Ramón. „Wir beachten das, was die Bibel über den Sabbat sagt“, antwortete Walter (Mat. 12:1-8; Kol. 2:16, 17).

Überraschenderweise nahm die Wahrheit trotz Ramóns holprigem Englisch und Walters begrenzter Spanischkenntnisse in Ramóns Sinn feste Formen an. Ramón erinnert sich: „Ich war von dieser ersten Stunde so beeindruckt, daß ich bei mir sagte: ‚Das muß die Antwort auf mein Gebet sein.‘ “

Tag für Tag setzten sie die Gespräche fort. Walter schlug die Texte in seiner englischen Bibel auf und Ramón in seiner spanischen. Fünfzehn Tage nach seinem ersten Besuch beteiligte sich Ramón Redín zusammen mit Luis Dávalos und drei anderen Ecuadorianern am ersten organisierten gruppenweisen Zeugnisgeben in Ecuador. Gott hatte Ramón Redíns Gebet, ihm die Wahrheit zu zeigen, beantwortet, und Bruder Redín hat sein Äußerstes getan, um das Versprechen zu halten, den Rest seines Lebens Gott treu zu dienen. Heute, im Alter von 87 Jahren, freut sich Bruder Redín, als Sonderpionier zu dienen.

Pedro findet die Antwort

Dieser kleinen, aber schnellwachsenden Gruppe schloß sich bald ein junger Mann an, der seit über 17 Jahren die Wahrheit suchte. Als Pedro Tules zehn Jahre alt war, hörte er, wie ein Pfarrer die Dreieinigkeit zu erklären versuchte. Da Pedro die Erklärung nicht verstand, fragte er ihn, wie drei Personen ein Gott sein könnten. Die Antwort des Pfarrers war ein Schlag mit dem Lineal auf Pedros Kopf, gefolgt von einigen beleidigenden Äußerungen. Pedro sagte zu sich: „Eines Tages werde ich erfahren, was es damit auf sich hat.“

Nachdem er sich einige Zeit mit den Adventisten versammelt hatte, fing er schließlich an, die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas zu besuchen. Das „Geheimnis“ der Dreieinigkeit wurde fast auf der Stelle gelüftet. Wie er erfuhr, war diese Lehre kein Geheimnis, sondern eine Lüge. Jesus Christus ist nicht, wie manche sagen, „Gott Sohn“, sondern „der Sohn Gottes“ (Joh. 20:31). Pedro war davon beeindruckt, daß alle Zeugen von Haus zu Haus gehen; denn einst hatte er versucht, die Adventisten zu überzeugen, dieses Werk zu tun. Er glaubte, daß man diese Art des Evangelisierens durchführen müsse, wenn man das Beispiel der Apostel nachahmen wolle (Apg. 5:42; 20:20). Dennoch war sich Pedro in bezug auf Religion noch nicht ganz schlüssig.

Vier oder fünf Monate lang besuchte er weiterhin die Zusammenkünfte der Adventisten, und gleichzeitig versammelte er sich mit den Zeugen. Schließlich sagte Walter Pemberton zu ihm: „Pedro, du mußt dich entscheiden. Wenn die Adventisten recht haben, dann geh mit ihnen. Aber wenn Jehovas Zeugen die Wahrheit haben, dann halte zu ihnen. Die Wahrheit sollte ausschlaggebend sein.“ (Vergleiche 1. Könige 18:21.)

„Das half mir, die beste Entscheidung meines Lebens zu treffen“, sagt Pedro, „und so ließ ich mich als Symbol meiner Hingabe an Gott am 10. August 1947 taufen.“ Im darauffolgenden Jahr nahm Pedro den Pionierdienst auf, und seitdem steht er treu im Vollzeitdienst. Er war der erste Ecuadorianer, der die Gileadschule besuchte. Danach kehrte er nach Ecuador zurück, um das Werk hier zu unterstützen.

Weitere Hilfe aus der Zentrale

Im Jahre 1948 erlebte das Predigtwerk einen Aufschwung, als 12 weitere Missionare Ecuador zugeteilt wurden. Sechs von ihnen gingen nach Quito und die anderen sechs in die größte Stadt des Landes, Guayaquil, wo sich der Haupthafen befindet. Albert und Zola Hoffman gehörten zu denen, die man nach Guayaquil sandte. Nie zuvor hatten sie so viele wißbegierige und interessierte Menschen gesehen. Albert Hoffman beschreibt es wie folgt:

„Am Sonntagnachmittag führten wir am Fluß, wo sich meistens Menschen aufhielten, unser erstes gruppenweises Zeugnisgeben durch. Wir verwendeten das Grammophon mit spanischen Schallplatten. Zuerst erklärten wir den Leuten, daß wir eine wunderbare und wichtige Botschaft hätten, und dann schalteten wir das Grammophon ein. Bald scharte sich eine große Menschenmenge um uns herum und hörte zu.“

Auch wenn die Missionare in den lebhaften Geschäftsvierteln standen und Straßendienst verrichteten, waren sie schnell von einer freundlichen Menge umringt. Einige Menschen hatten Fragen, andere wollten die Zeitschriften erwerben. Das war für die neuen Missionare ein begeisterndes Erlebnis, denn sie waren es nicht gewohnt, daß Menschen so viel Interesse zeigten.

Etwas, woran sich jene ersten Missionare besonders erinnern, ereignete sich im März 1949. Was geschah? N. H. Knorr, der Präsident der Watch Tower Society, und sein Sekretär, M. G. Henschel, besuchten auf einer Zonenreise zum erstenmal Ecuador. In Quito versammelten sich 82 Personen, um den Vortrag „Es ist später, als du denkst!“ zu hören. In Guayaquil war der gleiche Vortrag geplant. Als Bruder Knorr bemerkte, mit welcher Begeisterung die neuen Missionare den Vortrag ankündigten, sagte er: „Seid nicht entmutigt, wenn nicht so viele kommen.“ Schließlich waren sie dort erst zweieinhalb Monate tätig gewesen. Aber jeder war überrascht, als 280 Personen erschienen, und viele weitere hörten die Ansprache über Radio.

Missionarzuteilung wegen Erdbeben geändert

Im Jahre 1949 erschien es angebracht, einigen Städten in der Umgebung von Quito im Andenhochland Aufmerksamkeit zu schenken. Man wählte zunächst Ambato aus. Doch im August wurden die Stadt und ihre umliegenden Ortschaften von dem seit Menschengedenken stärksten Erdbeben in diesem Land erschüttert. Ganze Dörfer verschwanden. Schätzungsweise verloren mehr als 6 000 Menschen ihr Leben. Ambato lag in Trümmern.

Die Zerstörung war so groß, daß es im darauffolgenden Jahr immer noch keine geeignete Unterkunft für die neuen Missionare gab. Also beschloß man, sie nach Riobamba zu senden, der nächstgelegenen Stadt im Süden. Jack Hall und Joseph Sekerak hatten die Aufgabe, dieses jungfräuliche Gebiet zu erschließen. Aber in der abgelegenen und streng katholischen Stadt konnten nur langsam Fortschritte erzielt werden.

Das Gelernte anwenden

Als Jack eines Tages in Riobamba Zeugnis gab, ließ er bei César Santos, einem jungen verheirateten Mann, das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ zurück. Dieser war von dem, was er las, so fasziniert, daß er das Buch in jener Nacht ganz durchlas. Das Kapitel „Der Gebrauch von Bildern in der Anbetung“ löste bei ihm sofort eine Reaktion aus. Darin stand: „Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein geschnitztes Bild machen ... Du sollst dich nicht vor ihnen niederbeugen und ihnen nicht dienen“ (2. Mo. 20:3-5, EB). César verehrte besonders den heiligen Antonius, einen katholischen Heiligen, und hatte ein Bild von ihm in seinem Haus. Aber als César weiterlas, blickte er das Bild dieses einst bevorzugten Heiligen finster an und sagte: „Ich nehme dich gleich herunter.“ Er las das Kapitel zu Ende, stand auf, nahm das Bild, brachte es nach draußen und warf es weg.

Als er anfing, seinen Verwandten und Freunden zu erzählen, was er gelernt hatte, dachten sie, er sei verrückt geworden. Doch eine Woche später besuchte er seinen jüngeren Bruder Jorge und bat ihn, das Buch zu lesen. Jorge war von der darin zum Ausdruck kommenden Logik beeindruckt, und die Aussicht auf eine paradiesische Erde bewegte ihn tief. Einen Monat später beteiligte er sich zusammen mit den Missionaren am Predigtdienst.

Jorge mußte allerdings noch einiges lernen. Er war gerade beim Essen, als Jack Hall ihn besuchte. Jorges Mutter servierte gebratenes Blut, ein in diesem Landesteil übliches Gericht. Als man Jack etwas davon anbot, lehnte er höflich ab und ergriff die Gelegenheit, zu erklären, was die Bibel über das Blut sagt (1. Mo. 9:4; Apg. 15:28, 29). Jorge nahm sich das sofort zu Herzen. Sehr zum Erstaunen seiner Mutter weigerte er sich, seinen Teller leer zu essen.

Bald zogen noch weitere Familienangehörige aus der Wahrheit Nutzen.

Entschlossen, Gott zu dienen

Orffa, Césars 18jährige Schwägerin, hatte einmal einen katholischen Pfarrer gebeten, ihr zu erklären, wer Gott geschaffen habe. Er wußte es nicht, weshalb sie einen evangelischen Pastor fragte. Auch er konnte ihr die Frage nicht beantworten. Dann fragte sie César, der ihr aus der Bibel zeigte, daß Jehova weder einen Anfang noch ein Ende hat (Ps. 90:2). Diese einfache Wahrheit reichte aus, um Orffas Interesse und das ihrer beiden Schwestern zu entfachen. Trotz hartnäckigen Widerstandes seitens der Familienangehörigen fingen Orffa und ihre jüngere Schwester Yolanda an, die Bibel zu studieren und heimlich die Zusammenkünfte zu besuchen. Dafür erhielten sie jedesmal, wenn sie von den Zusammenkünften nach Hause kamen, Schläge von ihren Eltern.

Bis dahin war Lucía, Césars Frau und Orffas Schwester, gegenüber der dringlichen Botschaft der Bibel gleichgültig gewesen. Dann wurde sie eines Tages von Orffa zurechtgewiesen. Sie sagte zu Lucía: „Sieh nur, was ich für die Wahrheit durchmache!“, wobei sie das Kleid hinten öffnete, so daß man Striemen und blaue Flecken sehen konnte. Von da an machte Lucía schnell Fortschritte.

In der Zwischenzeit hatte der Pfarrer Orffas Mutter angewiesen, sie aus dem Haus zu werfen, und die Mutter gehorchte. Doch das erwies sich als ein Segen. Auf sich allein gestellt, begann Orffa nun, sich auf die Taufe vorzubereiten, ebenso Lucía. Für ihre jüngste Schwester Yolanda war es ganz selbstverständlich, daß auch sie sich beim nächsten Kongreß den Taufanwärtern anschloß. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was sie bei ihrer Heimkehr erwarten könnte, war Yolanda über 160 km mit dem Bus gereist, um sich mit ihren Schwestern taufen zu lassen. Die drei hielten zusammen und brachten ihre Entschlossenheit zum Ausdruck, Jehova zu dienen, komme, was da wolle!

Widerstand der Geistlichkeit angeprangert

Nach der Ankunft weiterer Missionare Anfang der 50er Jahre begann sich die gute Botschaft rasch bis zu den entlegenen Ortschaften in der Küstenebene auszubreiten — Manta, La Libertad, Milagro, Machala und andere. Das schnelle Wachstum und die großen Verkündigergruppen, die sich am Predigtdienst beteiligten, erschreckten die katholische Kirche. Dieses Gebiet hatte sie mit Hilfe der Konquistadoren erobert, weshalb sie keinerlei Rivalität duldete. Demgegenüber haben wahre Christen die Unterstützung des überaus machtvollen Geistes Gottes, und keine Verfolgung, und sei sie noch so heftig, kann ihren brennenden Wunsch ersticken, die gute Botschaft von Gottes Königreich zu verkünden. Wie ging die Sache aus?

Pedro Tules erinnert sich: „In Magdalena, einem Vorort von Quito, kam ein Mann auf den Pfarrer zu, nachdem dieser eine Pöbelrotte gegen uns aufgehetzt hatte, und sagte: ‚Herr Pfarrer, was machen Sie hier?‘ Der Pfarrer antwortete: ‚Ich schütze meine Herde vor diesen Leuten. Ich bin der einzige, der das Recht hat, sie über Gott zu belehren.‘ Der Mann erwiderte: ‚Nein, Sie haben das Recht, in der Kirche zu lehren, aber hier draußen auf den Straßen und in den Parks besitzen die Zeugen die uneingeschränkte Freiheit, die Bibel zu lehren. Sie schaden keinem. Bis jetzt habe ich diese Leute nicht gekannt, aber jeder soll wissen, daß sie jederzeit in meinem Haus willkommen sind.‘ “

In einer anderen Gemeinde in der Nähe von Quito versuchte ein Pfarrer, die Zeugen aus der Stadt zu jagen. Als die Brüder eine Brücke überquerten, drohten er und seine Pöbelrotte, die Verkündiger in den Fluß zu werfen. Gerade in diesem Moment tauchte ein Mann auf, den Pedro mehrere Male besucht hatte. „Hallo Pedro!“ sagte er. „Was geht hier vor?“

Pedro antwortete: „Wir belehren die Menschen friedlich anhand der Bibel, aber dieser Mann hat die Leute gegen uns aufgehetzt und vertreibt uns aus der Stadt.“

Darauf zog der Mann einen Revolver, ging zum Pfarrer hinüber und rief: „He, was machen Sie da? Wissen Sie nicht, daß diese Leute die gleichen Rechte haben wie Sie? Was Sie da machen, verstößt gegen das Gesetz.“ Als der Pfarrer versuchte, seine Handlungsweise zu rechtfertigen, erwiderte der Mann: „Was hier vor sich gegangen ist, wird morgen im El Comercio erscheinen!“ Er arbeitete nämlich für diese Zeitung, und genau wie versprochen wurde das unchristliche Verhalten des Pfarrers am nächsten Tag in der Schlagzeile der führenden Zeitung von Quito erwähnt.

Die Regierung warnt Gegner

Alfred Slough erinnert sich an eine andere Begebenheit, die sich zutrug, als er Missionar war: „Ein ‚mutiger‘ Bursche, der vorgab, Interesse zu haben, riß einer Missionarschwester eine Ausgabe des Wachtturms aus der Hand und zerfetzte sie stolz. In diesem Augenblick kam der Priester mit fliegendem Talar auf seinem Fahrrad angefahren, um uns zu inspizieren.

Kurz nach seinem Eintreffen bildete sich, unterstützt von zwei Nonnen, eine Pöbelrotte, die von dem Mann angeführt wurde, der den Wachtturm zerrissen hatte. Die übrigen waren hauptsächlich Jugendliche, die gerade ihre Hosentaschen mit Steinen füllten. Als Gruppe gingen wir langsam mehrere Häuserblocks entlang zur Bushaltestelle. Der Pöbel folgte uns auf den Fersen. Trotz der gespannten Lage warf man nur kleine Steine auf unsere Gruppe. Glücklicherweise wurde niemand ernstlich verletzt. Als der Bus hielt, wurde der Pöbelhaufen dreister und ging zum Angriff über. Nun bewarf man uns mit großen Steinen. Als der Pöbel den Bus erreicht hatte, waren alle Schwestern und Kinder eingestiegen, worauf ich noch schnell hineinsprang. Unter einem Stein- und Schlammhagel fuhr der Bus los. Anwohner dieser Gegend, die sich ebenfalls im Bus befanden, schimpften wütend auf die Randalierer und bezeichneten sie als Wilde. Die Leute im Bus überließen uns freundlicherweise ihre Sitzplätze und halfen uns, den Schlamm von unserer Kleidung zu entfernen. Dadurch wollten sie uns zu verstehen geben, daß der Vorfall nur die Handlungsweise von ein paar Irregeleiteten war, die bedingungslos den Willen des Pfarrers ausgeführt hatten. Wir konnten den ganzen Weg nach Hause ausgezeichnet Zeugnis geben.“

Die Reaktion der Presse ließ nicht lange auf sich warten. In den Schlagzeilen war beispielsweise zu lesen: „PFARRER ZETTELT VERBRECHEN AN“, „IN MAGDALENA GREIFEN FANATIKER MITGLIEDER DER SEKTE DER ZEUGEN JEHOVAS AN“, „RELIGIÖSE INTOLERANZ“.

Natürlich stritt der Pfarrer jegliche Beteiligung an der Pöbelaktion ab, denn, wie er sagte, habe er sich in einem anderen Stadtteil aufgehalten. Einige katholische Gesellschaften und Komitees in diesem Gebiet unterzeichneten sogar eine Petition, in der sie ihre Unschuld beteuerten. Aber das Regierungsministerium wies den Polizeichef an, folgendes zu erklären: „Die Verfassung und die Gesetze der Republik gewähren Religionsfreiheit, und aus diesem Grund sind wir, die Behörden, verpflichtet, sorgfältig darauf zu achten, daß die Rechte der Bürger nicht bedroht werden. ... Es wäre sehr wünschenswert, wenn es von nun an keine Vorfälle ähnlich dem, der sich am sechsten dieses Monats ereignet hat, mehr geben würde. Ansonsten sehen wir uns gezwungen, die Verantwortlichen gemäß dem Gesetz zu bestrafen.“

Dennoch sollten weitere Schikanen folgen, denn die Kirche war nicht bereit, ihre Gefangenen freizulassen.

Schwierigkeiten in Cuenca

Cuenca, mit 152 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Ecuadors, war eine echte Hochburg der katholischen Kirche. Da die Bevölkerung noch kein Zeugnis erhalten hatte, wurden Pedro Tules und Carl Dochow, ein kurz zuvor eingetroffener Gileadabsolvent, im Oktober 1953 Cuenca zugeteilt. Es war eine äußerst schwierige Zuteilung, und oft waren sie entmutigt.

Carl erinnert sich an ein fanatisches Dienstmädchen, das ihm ganz aufgeregt vorwarf: „Sie glauben ja nicht an die Jungfrau.“ Als er die Bibel öffnete, um Matthäus 1:23 vorzulesen, fing sie an zu zittern und sagte: „Es ist uns verboten, in der Bibel zu lesen.“ Daraufhin ging sie schnurstracks ins Haus zurück und ließ Carl an der Tür stehen. Bei einer anderen Gelegenheit hörte eine Hausangestellte interessiert zu, aber als die Frau des Hauses heimkam und sah, was vor sich ging, stieß sie Carls Büchertasche die Treppe hinunter. Ein andermal jagte ihn ein wütender Wohnungsinhaber aus einem Innenhof, wobei er ihm mit einem Stück Brennholz drohte. Jedesmal, wenn die Missionare im Gebiet von San Blas predigten, läutete der Pfarrer die Kirchenglocken; und wenn die Kinder angerannt kamen, stachelte er sie dazu auf, die Missionare mit Steinen zu bewerfen.

Im Verlauf von drei Jahren hatte nicht eine einzige Person in Cuenca den Mut, für die Wahrheit Stellung zu beziehen. Des öfteren spazierte Carl traurig am Fluß entlang und betete, Jehova möge ihm ein fruchtbareres Gebiet zuteilen. Schließlich wurde er der Küstenstadt Machala zugeteilt, die von unbeschwerten, aufgeschlossenen Menschen bewohnt war. Doch das war nicht das letzte Mal, daß Cuenca von Jehovas Zeugen besucht wurde.

Pöbelaktion beim Kongreß

Riobamba, die Stadt, wohin man Jack Hall und Joseph Sekerak 1950 gesandt hatte, um das Gebiet zu erschließen, wurde 1954 in den Medien erwähnt. Im März fand im Iris-Theater ein Kreiskongreß statt. Alles ging gut, bis ein Jesuitenpriester Jehovas Zeugen im Radio verleumdete und sagte, sie hätten kein Recht, in „der katholischen Stadt Riobamba“ einen Kongreß abzuhalten. Er rief die Leute auf, die öffentliche Zusammenkunft zu verhindern, die für den nächsten Tag geplant war. Aber die Brüder machten die Polizei auf seine Drohungen aufmerksam.

Der öffentliche Vortrag „Praktische Liebe in einer selbstsüchtigen Welt“ begann wie vorgesehen. 130 Personen waren zugegen. Doch nach zehn Minuten konnte man aus einiger Entfernung Rufe hören wie „Lang lebe die katholische Kirche!“ und „Nieder mit den Protestanten!“ Während sich der Pöbel dem Theater näherte, wurde der Lärm immer lauter.

Acht Polizisten versperrten den Theatereingang. Als die rasende Menschenmenge ständig größer wurde, zogen die Polizisten ihre Schwerter und drängten die Widersacher zur Straßenkreuzung zurück; von dort aus warf die Menge Steine gegen den Eingang. Trotz dieses Zwischenfalls führte man das Programm bis zum Ende durch. Passenderweise trug die Schlußansprache das Thema: „Ausharren bis zum Ende“.

Als die Zuhörer den Saal verließen, waren etwa 40 Polizisten da, um sie zu beschützen. Aber sobald sich die Brüder auf den Heimweg machten und nicht mehr unter Polizeischutz standen, spitzte sich die Situation zu. Die Lage des Missionarheims und des Königreichssaals war gut bekannt. Dort hatte sich ein noch größerer Pöbelhaufen gebildet. Erneut war es erforderlich, um Polizeischutz zu bitten. Beamte begleiteten die Missionare zu ihrer Wohnung und bewachten die ganze Nacht das Haus. Da die Pöbelrotte der Zeugen nicht habhaft werden konnte, machte sie ihrem Zorn Luft, indem sie das Wohngebäude mit Steinen bewarf und praktisch alle Fensterscheiben an der Straßenseite zerschlug — sehr zum Ärger der anderen sechs Familien, die ebenfalls dort wohnten und keine Zeugen Jehovas waren.

Landesweiter Protest gegen Intoleranz

Am nächsten Tag wurden die Brüder auf der Straße wiederholt von Leuten angesprochen, die zwar wenig Interesse an dem Werk der Zeugen hatten, aber ihre Mißbilligung über das zum Ausdruck brachten, was am vorangegangenen Abend passiert war. Am zweiten Tag nach dem Vorfall protestierte das ganze Volk. Eine Woche lang überfluteten Zeitungsartikel das Land, in denen man sich zugunsten der Religionsfreiheit und dafür aussprach, die Rechte von Jehovas Zeugen zu verteidigen.

El Comercio, die angesehendste Zeitung der Landeshauptstadt, schilderte den Angriff auf die Zeugen und erinnerte dann an die Inquisition, Hitlers Judenverfolgung und andere Brutalitäten in der Geschichte.

Ein Kolumnist der wichtigsten Zeitung von Guayaquil, El Universo, schrieb über die „Früchte der Intoleranz“ und sagte:

„Ich beabsichtige mit diesem Artikel, dem Rektor der San-Felipe-Schule direkt eine Frage zu stellen. An dieser Schule werden die Schüler zur Intoleranz erzogen und derart aufgehetzt, daß sie mit Stöcken und Steinen friedliebende ... Zeugen Jehovas angreifen. Der Rektor Reverend Jesuitenpater sollte diese Frage beantworten, falls er ein Mann ist, der für die Folgen seiner Handlungsweise geradezustehen vermag. Die Frage lautet ganz einfach: Wie würde der Rektor empfinden, wenn man in Ländern, in denen Katholiken in der Minderheit sind, auf die gleiche Weise mit ihnen verfahren würde, wie er seine Schüler veranlaßt, mit den Protestanten zu verfahren? ... Angeführt vom Papst, bitten Katholiken in aller Welt um Toleranz. Sie fordern sie mit größtem Nachdruck — bei den Vereinten Nationen, bei der Berliner Konferenz und bei allen Kongressen und Zusammenkünften, wo sich Ost und West versammeln. Der Papst, das Oberhaupt des Katholizismus, bittet gemeinsam mit Churchill (Protestant) und Eisenhower (Protestant) die Sowjetunion und ihre Satellitenstaaten um Toleranz, um die Freiheit der inhaftierten Erzbischöfe und Kardinäle ...

Welcher Unterschied besteht zwischen einer Gruppe von Kommunisten in der Tschechoslowakei, die, mit Stöcken bewaffnet, in einem Gotteshaus betende Katholiken angreift, und den Schülern der San-Felipe-Schule, die, mit Stöcken bewaffnet, Jehovas Zeugen in Riobamba angreifen, während diese einer Predigt mit dem Thema ‚Praktische Liebe in einer selbstsüchtigen Welt‘ zuhören?“

Die Flüche des Jesuitenpriesters in Riobamba waren in einen Segen verwandelt worden, ebenso wie im Falle Bileams, denn Jehova war mit seinem Volk (4. Mo. 22:1 bis 24:25).

Größere Liebe zu Christus

Zu dieser Zeit nahm Carlos Salazar, ein junger Ecuadorianer, der die Wahrheit in den Vereinigten Staaten kennengelernt hatte, den Vollzeitdienst auf.

Carlos war erst 16 Jahre alt, als eine Pionierin in New York bei seiner Mutter eine Bibel und das Buch „Dies bedeutet ewiges Leben“ zurückließ. Von seiner Mutter erhielt er die Bücher zum Lesen. Da er jedoch an Religion nicht interessiert war, stellte er sie ins Regal. Eines Tages, als er im Central Park spielte, brach er sich das Bein, worauf er zu Hause im Bett liegen mußte. Da er nun reichlich Zeit hatte, nahm er zögernd das Angebot der Pionierin an, die Bibel zu studieren — allerdings nur unter der Bedingung, daß sie ihm ein wenig Englisch beibrachte. Er sagt: „Je mehr ich in dem Buch las, um so überzeugter war ich, daß es sich um die Wahrheit handelte.“

Bald besuchte Carlos die Zusammenkünfte und beteiligte sich am Predigtdienst, ja er bot sogar an Straßenecken die Zeitschriften an. Seine Mutter hatte ihm zwar selbst die Bücher gegeben, doch wenn sie ihn darin lesen sah, wurde sie so wütend, daß sie drohte, ihn nach Ecuador zurückzuschicken. Sie war der Meinung, in Ecuador gäbe es keine Zeugen. So kam es, daß Carlos 1953 unter der Obhut seiner streng katholischen Großtante Rosa nach Ecuador zurückkehrte.

„Jetzt, wo du in Ecuador bist, Carlos, mußt du wieder zur Messe gehen“, forderte die Großtante.

Aber Carlos war nicht bereit, etwas so Wertvolles wie die Hoffnung auf ewiges Leben aufzugeben (Joh. 3:36). Jesu Worte „Wer zum Vater oder zur Mutter größere Zuneigung hat als zu mir, ist meiner nicht würdig“ bedeuteten ihm wirklich etwas (Mat. 10:37). Er entgegnete: „Tante Rosa, du verstehst meine Handlungsweise noch nicht. Aber nun, wo ich hier in Ecuador bin, werde ich versuchen, ein Zeuge Jehovas zu sein, und du mußt meinen Wunsch respektieren.“

Nach seiner Taufe im Jahre 1954 begann Carlos mit dem Pionierdienst. Dann wurde er 1958 als zweiter Ecuadorianer zum Besuch der Gileadschule eingeladen. Man sandte ihn in sein Heimatland zurück, wo er bis heute im Vollzeitdienst steht. Nach zehn Jahren geduldigen Zeugnisgebens erlebte er die Freude, daß auch seine Großtante die Wahrheit annahm; und heute, im Alter von 84 Jahren, ist sie noch immer eine tätige Zeugin.

Mutige Schwestern verteidigen die gute Botschaft

Im Jahre 1958 wurden außerdem zwei Schwestern, die die Gileadschule besucht hatten, nach Ecuador gesandt. Unn Raunholm aus Norwegen und ihre Partnerin Julia Parsons aus Neufundland kamen nach Ibarra, einer wunderschönen Stadt, die nördlich von Quito in ein Tal eingebettet ist. Auch hier mußte die Religionsfreiheit mutig verteidigt werden. Unn erinnert sich lebhaft an folgende Begebenheiten:

„Als wir unser Gebiet in der Stadt Ibarra bearbeiteten, stellten wir fest, daß es in der Nähe kleine Ortschaften gab, in denen wir nicht predigen konnten, wie zum Beispiel in San Antonio, wo schöne Holzschnitzereien, darunter viele religiöse Figuren, angefertigt wurden. Sobald der Ortsgeistliche von unserer Anwesenheit erfuhr, kam er entweder geritten oder zu Fuß mit einer Menschenmenge herbei und verursachte einen solchen Aufruhr, daß wir gehen mußten. Daher beschlossen wir, unsere Tätigkeit auf einen anderen nahe gelegenen Ort namens Atuntaqui zu konzentrieren.

Als wir eines Tages in der Nähe der Kirche arbeiteten, fiel uns eine Gruppe von Menschen auf. Wir nahmen keine Notiz von ihnen, bis der Dorfpolizist auf uns zukam. Er war ein freundlicher Mann, bei dem ich bereits vorgesprochen hatte; er hatte sogar Literatur entgegengenommen. Ganz aufgeregt forderte er mich diesmal auf: ‚Verlassen Sie bitte sofort den Ort! Der Priester organisiert gerade eine Demonstration gegen Sie, und ich habe nicht genug Männer, um Sie zu schützen.‘ Wie sich herausstellte, war der Priester von San Antonio nach Atuntaqui versetzt worden, und auch hier trieb er das gleiche Spiel.

Da wir an jenem Tag zu viert predigten, dauerte es eine Weile, bis ich alle zum Aufbruch zusammengerufen hatte. Dann erfuhren wir, daß der Bus nach Ibarra erst in einer Stunde abfuhr. So eilten wir zu einem Hotel in der Hoffnung, dort bis zur Ankunft des Busses Schutz zu finden. Auf dem Weg dorthin hörten wir Rufe. Die Menge war hinter uns her! Die weiß-gelbe Fahne des Vatikans wehte vor der Gruppe her, und der Priester rief: ‚Es lebe die katholische Kirche!‘ ‚Nieder mit den Protestanten!‘ ‚Es lebe die Jungfräulichkeit der Jungfrau!‘ ‚Es lebe die Beichte!‘ Die Menge wiederholte jeden Spruch Wort für Wort.

Während wir noch unschlüssig waren, was wir tun sollten, kamen einige Männer auf uns zu und luden uns ein, ins Haus zu kommen. Es gehörte der Gewerkschaft, und man versicherte uns, daß uns dort nichts zustoßen werde. Der Pöbel stand draußen und schrie: ‚Nieder mit den Freimaurern!‘ ‚Nieder mit den Kommunisten!‘ Wir jedoch gaben eifrig all denen Zeugnis, die neugierig hereinkamen, um zu sehen, was vor sich ging. Wir verbreiteten unsere gesamte Literatur.

Angesichts des Interesses, das wir in Atuntaqui vorgefunden hatten, beschlossen wir, den Ort erneut aufzusuchen, aber diesmal begannen wir vorsichtig am Ortsrand zu arbeiten. Irgend jemand muß uns jedoch verraten haben, da die Kirchenglocken wild zu läuten anfingen und wir kurz darauf gewarnt wurden, der Priester sei mit einem Pöbel unterwegs. Der Geistliche kam auf mich zu und schrie: ‚Wie können Sie es wagen, wieder hier aufzutauchen, nach alldem, was letztes Mal geschah!‘ Ich versuchte, mit ihm zu argumentieren, und erklärte, daß die Verfassung des Landes Religionsfreiheit garantiere. ‚Aber das ist mein Ort!‘ sagte er. ‚Ja‘, erwiderte ich, ‚doch ich habe ein Recht darauf, mit diesen Menschen zu reden, und sie haben ein Recht darauf zuzuhören, wenn sie es wünschen. Warum sagen Sie Ihren Leuten nicht einfach, sie sollen die Tür nicht öffnen, wenn sie nichts wissen wollen. Dann gehen wir weiter.‘

Sich an die Menge wendend, drohte der Priester: ‚Wenn diese Leute noch einen Schritt vorwärts machen, werde ich den Ort verlassen!‘ Darauf forderten uns mehrere der Umstehenden auf, mit unserem Werk fortzufahren, und sie versicherten uns, sie würden uns vor dem Priester schützen. Doch weil wir keinen Bürgerkrieg entfesseln wollten, beschlossen wir, besser zu gehen und ein anderes Mal wiederzukommen.“

Wieder in San Antonio

„Da der wutschnaubende Priester nach Atuntaqui gezogen war, wollten wir San Antonio erneut besuchen“, fährt Schwester Raunholm fort. „Wir hatten noch nicht bei vielen vorgesprochen, als die Kirchenglocken zu läuten begannen und sich mehrere Frauen mit Stöcken und Besen in den Händen auf der Straße versammelten. Ein Wohnungsinhaber bat uns herein, und während wir uns unterhielten, polterte jemand gegen die Tür. Es war der Dorfpolizist. Er forderte uns auf, den Ort zu verlassen, und sagte: ‚Sie wissen doch, was sich in Atuntaqui zugetragen hat, und Sie wissen, daß Sie nicht hierher zu kommen brauchen, da wir bereits Christen sind.‘ Ich fragte ihn, ob seiner Ansicht nach wahre Christen mit Stöcken in der Hand gegen andere vorgingen. Darauf schlug ich ihm vor, hinauszugehen und die Leute nach Hause zu schicken. Er meinte, er werde es versuchen, kam aber sofort wieder zurück und sagte, sie würden nicht auf ihn hören.

In diesem Augenblick lud uns ein Nachbar zu einem Gespräch mit seiner Familie in sein Haus ein und gab uns sogar Geleitschutz bis dorthin. Als wir drinnen waren, klopfte es wieder. Es war die Polizei, diesmal mit Gewehren bewaffnet. Der Dorfpolizist hatte sie von Ibarra herbeigerufen. Die Männer sagten: ‚Wir haben von Ihren Schwierigkeiten gehört. Sie können ruhig weiter von Haus zu Haus gehen. Wir werden hinter Ihnen hergehen.‘ Wir dankten ihnen für ihre Freundlichkeit und baten sie, den Priester aufzusuchen, da er der Anstifter war.“

Das tat die Polizei auch. Von dieser Zeit an hatten die Schwestern keine Probleme mehr mit dem Zeugnisgeben in San Antonio.

Küstengebiete

Zwei weitere Missionare, Ray und Alice Knoch, erhielten die Aufgabe, die Königreichsbotschaft in den Orten an der Pazifikküste zu verbreiten. Um nach Manta, einem Fischerdorf mit rund 10 000 Einwohnern, zu gelangen, mußten sie von Guayaquil aus 16 Stunden lang mit dem Bus fahren. Auf dem Weg dorthin mußten sie Flüsse überqueren, über die keine Brücke führte. Mitunter war die von Gras überwachsene Straße so rutschig, daß die Fahrgäste aussteigen und den Bus anschieben mußten, damit er die große Steigung schaffte.

Der Haus-zu-Haus-Dienst war anders als alles, was sie bisher erlebt hatten. Dutzende von neugierigen Kindern, die noch nie einen Ausländer gesehen hatten, folgten ihnen an die Haustüren. Da die Menschen für die biblische Botschaft empfänglich waren, wurde innerhalb von kurzer Zeit eine Versammlung gegründet.

Als nächstes zogen Ray und Alice nach La Libertad, einem anderen Fischerdorf an der Küste. Dorthin fuhren sie mit einem Schiff, das Vieh beförderte. Bei ihrer Ankunft rochen Kleidung, Möbel und alles andere, was sie hatten, nach Stall. In La Libertad lernten sie Francisco Angus kennen, der jamaikanischer Herkunft war und der Botschaft aufmerksam zuhörte. Er willigte in ein Bibelstudium ein. Nach etwa sechs Monaten waren er und seine Frau Olga soweit, sich am Predigtdienst zu beteiligen. Alice sagt: „An Francisco beeindruckte mich, daß er, nachdem er die ganze Nacht gearbeitet hatte und erst morgens nach Hause kam, sich sogleich für den Predigtdienst fertigmachte.“ Später nahm er mit seiner Frau den Pionierdienst auf, wurde dann Kreisaufseher, und heute dient er als Glied des Zweigkomitees.

Machala trägt Früchte

Auch Carl Dochow und Nicolas Wesley, ebenfalls Missionare, fanden hörende Ohren in Machala, der Bananenstadt Ecuadors. Joaquín Palas, ein stämmiger Barbesitzer, hörte gespannt zu, als Carl ihm von der Hoffnung erzählte, einmal auf einer paradiesischen Erde zu leben. Joaquín fing bereitwillig ein Bibelstudium an. Seine Wertschätzung war so groß, daß er seine Bar während des Studiums schloß. Als er erfuhr, daß es keine Feuerhölle gibt, war er so freudig erregt, daß er einige Nachbarn besuchte, um ihnen das Neugelernte mitzuteilen. Allerdings war er etwas schockiert, als ein Nachbar sagte: „Joaquín, ehe du hierherkommst, um über die Bibel zu sprechen, solltest du bei dir zu Hause für Ordnung sorgen. Du lebst ja mit einer Frau zusammen, ohne verheiratet zu sein.“

Als Joaquín Carl um Rat fragte, sagte dieser, er solle sich um eine Eheschließung bemühen. Gleich am darauffolgenden Tag gingen er und seine Lebensgefährtin zum Standesamt. Als nächstes beschloß er, sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Er verkaufte die Bar und bestritt seinen Lebensunterhalt dann mit der Herstellung von Holzkohle. Später nahmen er und seine Frau den Pionierdienst auf.

Der Königreichssaal in Machala war ein bescheidenes Gebäude mit Wänden aus gespaltenem Bambus, durch die Tageslicht und frische Luft kam. Ohne das Wissen der Brüder hatte eine neugierige Nachbarin eine kleine Öffnung in die Wand gemacht, um beobachten zu können, was dort vor sich ging. Zwei Monate lang sah sie zu, wie sich die Brüder begrüßten, und sie sah, wie sie sich gern vor und nach den Zusammenkünften miteinander unterhielten. Eine solch freundliche, liebevolle Atmosphäre hatte sie in den Religionsgemeinschaften, denen sie angehört hatte, noch nie erlebt. Sie wollte dazugehören. So begann Floricelda Reasco, die Zusammenkünfte zu besuchen. Sie wurde bald eine Glaubensschwester und dann eine eifrige Pionierin.

Erbitterte Gegnerschaft in Portovelo

Ein paar Kilometer von Machala entfernt schmiegt sich der Goldgräberort Portovelo in die Ausläufer der Anden. Dort lebte Vicenta Granda, eine fromme Katholikin und eine der eifrigsten Kirchgängerinnen. In der Karwoche hielt sie sich streng an ein Ritual, rezar viacruzes genannt. Sieben Tage hintereinander betete sie vor 12 Gemälden, die die Leiden Jesu von seiner Festnahme bis zu seinem Tod darstellten. Die Gläubigen wurden gelehrt, durch dieses Ritual würden ihnen alle Sünden vergeben, die sie im Laufe des Jahres begangen hätten.

Vicenta Granda wollte mehr über Gott wissen und legte sich zwei Bibeln zu — die Übersetzungen Valera und Torres Amat. Nachdem sie sie zweimal durchgelesen hatte, gingen ihr viele Fragen durch den Sinn. Als Alice Knoch bei ihr vorsprach und ihr das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ anbot, nahm sie es sofort entgegen und vertiefte sich gleich dermaßen ins Lesen, daß sie Alices Gegenwart überhaupt nicht mehr bemerkte. Bei Alices nächstem Besuch konnte es Vicenta kaum abwarten, ihre Fragen loszuwerden. „Hatte die ‚Jungfrau‘ Maria noch weitere Kinder?“ „Welchen Namen hat der Vater? Ich wollte das schon immer wissen, aber unser Priester sagt, sein Name sei nicht Jehova.“ Einige wenige Verse in ihrer eigenen Bibel beantworteten ihre Fragen. Sie war zufriedengestellt (Mat. 13:53-56; Ps. 83:18). Gelegentliche Besuche des Kreisaufsehers und seiner Frau boten ihr weitere persönliche Hilfe.

Als der Priester merkte, daß sie den katholischen Glauben aufgegeben hatte, verkündete er öffentlich ihre Exkommunikation. Eines Tages auf dem Markt wurde sie von einer Gruppe ehemaliger Freundinnen umringt, die sie verprügeln wollten, weil sie ihrer Kirche den Rücken gekehrt hatte. Doch ein Beobachter hatte den Mut, die Polizei zu rufen. Es war in diesem Ort so gut wie unmöglich, von Haus zu Haus Zeugnis zu geben, ohne mit Steinen beworfen zu werden. Doch Vicenta Granda erklärte: „Ich werde nie aufhören, die Bibel zu studieren, auch wenn es mich das Leben kosten sollte!“

Später zog sie nach Machala, wo es für sie leichter war, im Glauben Fortschritte zu machen. Sie ließ sich 1961 taufen, und noch im selben Jahr wurde sie Pionierin; bis heute steht sie im Vollzeitdienst.

Nach einiger Zeit wurden Joaquín Palas und seine Frau als Sonderpioniere nach Portovelo gesandt. Auch vor ihnen machte die erbitterte Verfolgung des Priesters nicht halt, der meinte, er habe über den Ort zu bestimmen. Einmal sagte der Priester zu Joaquín, wenn er bis zu einem bestimmten Datum den Ort nicht verlassen habe, werde er die Leute dazu aufstacheln, sein Haus niederzubrennen. Doch ehe der Priester seine Drohung wahr machen konnte, geriet sein eigenes Haus in Brand.

Trotz der Bemühungen, das Königreichswerk in diesem Ort zum Stillstand zu bringen, wurde dort Anfang der 70er Jahre eine Versammlung gegründet, und heute können sich unsere Brüder ungehindert versammeln und ihr lebensrettendes Werk durchführen.

Nicht alle reagieren günstig auf die Wahrheit

In einer atemberaubend schönen Landschaft an den Westhängen der Anden liegt das Dorf Pallatanga. Hier kam Maruja Granizo vor 24 Jahren zum erstenmal mit der Wahrheit in Berührung, und zwar als ihre Schwester sie besuchte. Sie war von dem Aufschluß über das „Ende der Welt“ beeindruckt. Allerdings war sie etwas skeptisch, als sie erfuhr, daß Gottes Name Jehova ist. Dennoch wollte sie mehr über geistige Dinge erfahren. So befragte sie den Ortsgeistlichen über den Zustand der Toten und die Auferstehung. Der Priester erwiderte verächtlich, an eine Auferstehung glaubten nur Leute, die vor lauter Völlerei Alpträume hätten. Diese sarkastische Bemerkung dämpfte ihr Interesse jedoch nicht.

Ihre Schwester besuchte sie später erneut zusammen mit Nancy Dávila, einer jungen Schwester aus Machala. Nancy hatte eine so nette, liebenswerte Art, daß sich Maruja dachte: „Eine solche Freundin wünsche ich mir für meine Kinder.“ Als erstes fragte Maruja: „Wo sind die Toten? Gibt es eine Auferstehung?“ Wie sich Maruja erinnert, war sie bei der Antwort, daß die Toten ohne Bewußtsein im Grab sind und daß sie eine Auferstehung erwartet, so überglücklich, daß sie diese neugefundene Wahrheit jedem mitteilen wollte (Pred. 9:5; Joh. 5:28, 29). Daher bat sie Nancy, sie zu ihren Bekannten in den Bergen zu begleiten.

Doch wie in anderen Gegenden war auch dort der Geistliche König. Während sie sich also auf dem Weg in das Heimatdorf Marujas weit in den Bergen befanden, gingen ihnen offensichtlich die Anordnungen des Priesters voraus. An einem Haus trafen sie auf ein Schild, das mit obszönen Schimpfwörtern bekritzelt war.

In einem anderen Haus meinte ein Mann, der ein Verwandter war: „Der Priester sagt, daß alle, die umhergehen und predigen, mit Stöcken und Steinen getötet werden sollen.“ Maruja erwiderte: „Wer kommt ins Gefängnis, wenn ihr uns tötet — ihr oder der Priester?“

„Wir“, antwortete der Verwandte.

„Aber denke an deine Kinder“, argumentierte Maruja. „Wer wird für sie sorgen, wenn du ins Gefängnis kommst? Der Priester macht sich keine Sorgen über die Leute, die er zum Töten auffordert, da er sich nicht dafür verantworten muß. Wir sind keine Hunde. Wenn wir getötet werden, wird jemand Anklage erheben, und ihr werdet euch verantworten müssen.“

Ein Beispiel des Ausharrens

Nach zweimonatigem Aufenthalt in Pallatanga mußte Nancy nach Machala zurückkehren, und Maruja war mit ihren vier Kindern und ihrer betagten Mutter wieder allein. Sie hatte das dringende Bedürfnis, sich mit dem Volk Jehovas zu verbinden. Daher ging sie nach Riobamba, um die Zeugen zu suchen. Dort konnte sie einen Kreiskongreß besuchen und sich taufen lassen.

Eine Zeitlang fuhr sie, wann immer sie Geld hatte, nach Riobamba, um mit den Brüdern zusammenzukommen. Trotz der Drohungen der Nachbarn, die Zeugen anzugreifen oder sogar zu töten, begannen die Brüder aus Riobamba später, Maruja beim Zeugnisgeben in Pallatanga zu unterstützen.

Die Dinge spitzten sich zu, als die Brüder aus Riobamba eines Tages auf dem öffentlichen Platz in Pallatanga einen Film der Gesellschaft vorführen wollten. Es herrschte Ruhe, bis der Name Jehovas zum erstenmal erwähnt wurde. Plötzlich schrien die Leute: „Maruja Granizo sollte lieber von hier verschwinden, sonst können wir nicht für ihr Leben garantieren!“ Jemand riß das Laken herunter, das als Leinwand aufgehängt worden war. Die Kirchenglocken läuteten wild, und die Leute kamen mit Stöcken und Steinen in den Händen aus ihren Häusern. Die Brüder packten rasch ihre Ausrüstung zusammen und bestiegen den Bus, um den Ort zu verlassen. Als der Bus losfuhr, zählte man die Insassen und stellte fest, daß Julio Santos, einer der Zeugen, fehlte. Hatte der Pöbel ihn gefaßt?

Plötzlich sahen die Brüder einen großen Mann, der den Pöbel anführte, auf den Bus zurennen. Er warf mit Steinen und schrie: „Gebt es ihnen mit Stöcken und Steinen!“ Es war Julio! Der Pöbel war irgendwie zwischen ihn und den Bus geraten, und so gab er sich in dem verzweifelten Versuch, sein Leben zu retten, als einer von ihnen aus. Als er den Bus eingeholt hatte, sprang er auf das Trittbrett, und weiter ging es nach Riobamba.

Maruja und ihre Familie waren um ihrer Sicherheit willen auch in den Bus gestiegen. Doch außerhalb des Ortes stiegen sie aus und machten sich auf den Weg nach Hause. Wie würde es ihnen ergehen? Der Pöbel suchte sie. Sie mußten sich mehrmals verstecken, während die Verfolger vorbeirannten. Schließlich kamen sie spätabends unversehrt zu Hause an.

Wie sieht die Lage nach 24 Jahren des Ausharrens in diesem abgelegenen Gebiet aus? Der Priester, der in Pallatanga so viele Schwierigkeiten verursacht hatte, wurde nach 20 Jahren von den Dorfbewohnern hinausgeworfen, da sie ihn der Unsittlichkeit und des Diebstahls beschuldigten. Nach und nach wurden die Leute für die biblische Botschaft immer empfänglicher. Zwar gibt es dort noch immer nur eine kleine Gruppe, doch Maruja hat nun 11 Bibelstudien. Im Jahre 1987 wurde ein großes Restaurant für die Gedächtnismahlfeier zur Verfügung gestellt, und 150 Personen waren anwesend. Ja, das von malerischen Bergen umgebene Pallatanga ist ein neuzeitliches Mazedonien, und es bittet darum, daß jemand herüberkommt und der kleinen Gruppe hilft, die gute Botschaft in diesem großen Gebiet zu predigen.

Die einzige Religion, die die Wahrheit hat

Manch einer suchte sogar nach Jehovas Zeugen — zum Beispiel Jorge Salas aus Ibarra. Er las zufällig das Buch La Gran Obra (Das große Werk) von Dr. Berrocochea, der damals in Uruguay lebte. Unter anderem hieß es in dem Buch, die einzige Religion, die die Wahrheit habe, sei die der Zeugen Jehovas. Genau danach suchte Jorge. So beschloß er, nach Quito zu gehen, um die Zeugen ausfindig zu machen, und wenn er sie dort nicht fände, würde er nach Guayaquil oder notfalls sogar nach Uruguay reisen.

In Quito begann er um halb sechs Uhr morgens die Suche nach den Zeugen. Als er vom Laufen müde war, nahm er sich ein Taxi. Als der Fahrer müde wurde, nahm er sich ein anderes Taxi. Um die Mittagszeit hatte der zweite Fahrer Hunger und wollte gehen. Doch Jorge bestand darauf, daß er weiterfuhr.

Schließlich zeigte ihm jemand, wo ein Zeuge wohnte, und von dort aus wurde er bis zum Eingang des Missionarheims begleitet. Arthur Bonno, der an diesem Tag Küchendienst hatte, kam mit der Schürze an die Tür und bat ihn herein. Jorge dachte sich: „Wenn der Koch ein Gringo ist und so gut gekleidet ist, wie wird dann erst der Missionar aussehen, der mich empfängt?“ Kurz darauf kam ein Missionar mit ausgeprägten indianischen Gesichtszügen herein, um sich seiner anzunehmen. Es war Pedro Tules. Wieder wunderte er sich: „Was für eine Religion ist das nur, in der die Indios von Menschen mit hellerer Hautfarbe bedient werden?“ Er sollte noch feststellen, daß dies nicht der einzige Punkt ist, in dem Jehovas Zeugen anders sind. Bald gab er sein unsittliches Leben auf, heiratete seine von ihm geschiedene Frau wieder, und er konnte ihr und den meisten ihrer gemeinsamen Kinder helfen, die Wahrheit anzunehmen.

Im Unterschied zu Jorge gab es andere, die die Zeugen zunächst wegwünschten.

Ein polnischer Geschäftsmann

In Guayaquil hatten John und Dora Furgala, die aus Polen ausgewandert waren, eine Eisenwarenhandlung, die allen Bauleuten, Tischlern und Klempnern wohlbekannt war. Zola Hoffman hatte Dora ein Traktat gegeben und wollte sie am Wochenende wieder besuchen. John, Doras Mann, war allerdings nicht erfreut, an seinem Ruhetag gestört zu werden. Daher nahm er alle Bücher entgegen, die Zola in ihrer Predigtdiensttasche hatte, in der Meinung, er werde nun nicht mehr besucht, da sie nichts mehr anzubieten habe. Zola sandte jedoch eine polnisch sprechende Missionarin dorthin, und mit Dora wurde ein Bibelstudium begonnen.

Als man die Furgalas später zu den Versammlungszusammenkünften einlud, sagte John: „Dora kann hingehen und mir dann erzählen, was sie gelernt hat.“ John konnte sich nicht für die Bibel begeistern, so lange nicht, bis er einen leichten Herzanfall erlitt und ihm der Arzt 15 Tage Bettruhe verordnete. Um seinen Sinn zu beschäftigen, las er in der Bibel und in den biblischen Publikationen. Plötzlich hatte er das Gefühl, ihm gingen zum erstenmal die Augen auf. Jeden Tag rief er seine Frau herbei und sagte: „Schau mal, ich habe etwas Neues entdeckt!“ Bald ließen sich beide taufen. Würde aber John, da er die Eisenwarenhandlung hatte, dem Dienst für Jehova wirklich den ersten Platz einräumen?

Ein bekannter Geschäftsmann zu sein war für John Furgala kein Hindernis, denn er schämte sich der guten Botschaft nicht (Mat. 10:32, 33). Zwischen den Eisenwaren stellte er einen attraktiven Stand mit Wachtturm-Publikationen auf. Während sein Gehilfe eine Bestellung für einen Kunden ausfüllte, gab John ihm Zeugnis. Damals war es üblich, einem Kunden, der eine bestimmte Menge Eisenwaren erwarb, eine Provision zu geben. John bot dem Betreffenden statt dessen ein kostenloses Abonnement auf unsere Zeitschriften an. Es war nicht ungewöhnlich, daß er in einem Monat über 60 Abonnements aufnahm.

Ein Politiker erfaßt die wahre Gerechtigkeit

Menschen in allen Lebenslagen — Arme und Reiche, Inhaftierte und Prominente — müssen die Gelegenheit erhalten, von der Wahrheit zu hören. Rafael Coello war von Jugend an auf der Suche nach sozialer Gerechtigkeit. Dies führte dazu, daß er 1936 ein Mitglied der kommunistischen Partei wurde. Sieben Jahre lang nahm er an Krawallen und Protestaktionen teil. Dann kündigte er enttäuscht seine Mitgliedschaft und schloß sich verschiedenen anderen Parteien an. Er war bekannt und berüchtigt. Einmal wurde er vom Präsidenten von Ecuador zum Abgesandten für eine besondere von den Vereinten Nationen anberaumte Konferenz bestimmt. Doch ein andermal, als die Opposition an der Macht war, wurde er inhaftiert. Im Gefängnis besuchte ihn Albert Hoffman und ließ ihm das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ zurück.

Sieben Jahre später sprach ein liebenswürdiger Mann bei Rafael Coello vor. Rafael erzählt: „Ich erkannte sofort, daß es jemand war, auf den ich insgeheim gewartet hatte. Albert Hoffman besuchte mich erneut.“ Sie begannen ein Bibelstudium anhand des Buches „Dies bedeutet ewiges Leben“. Rafael brauchte nicht lange, um das zu finden, wonach er die ganzen Jahre gesucht hatte — das Verständnis, daß wahre Gerechtigkeit nur durch Gottes Königreich kommt. Seine Taufe im Jahre 1959 sorgte für einige Aufregung, denn er war 20 Jahre lang als Politiker bekannt gewesen.

Ebenso, wie er ein energischer Kämpfer für die menschliche Gerechtigkeit gewesen war, wurde er nun ein entschiedener Verteidiger der göttlichen Gerechtigkeit. Rückblickend sagt Bruder Coello: „Ich durfte mit Menschen aller gesellschaftlichen Stellungen über Jehovas Gerechtigkeit sprechen, von Expräsidenten bis zu einfachen Arbeitern.“ Da er den Palacio de Justicia (Justizpalast) in Guayaquil gut kannte — er hatte am Berufungsgericht als Richter geamtet —, ging er dorthin, um jedem der vielen Richter und Anwälte Zeugnis zu geben. Als Ergebnis konnte er eine ausgedehnte Zeitschriftenroute bei ehemaligen Kollegen einrichten.

Eine internationale Bruderschaft

Da die Brüder den Samen der Königreichswahrheit reichlich gepflanzt und begossen haben, haben Menschen aller Arten von der guten Botschaft gehört. Aber es ist Jehova, der die Mehrung gibt (1. Kor. 3:6). Sein Geist, der in seiner gesamten sichtbaren Organisation wirkt, hat dies ermöglicht.

Viele Brüder wurden durch den internationalen Kongreß „Göttlicher Wille“, der 1958 in New York stattfand, ermuntert, nach Ecuador zu gehen, um dort zu dienen, wo Hilfe not tat. Als der Präsident der Watch Tower Society 1959 Ecuador besuchte, sprach er unter anderem zu 120 Personen, die aus fremden Ländern gekommen waren. Als Ergebnis ihrer Bemühungen erhielten viele Neue eine Erkenntnis der Wahrheit. Einige waren dabei behilflich, neue Versammlungen zu gründen und einheimische Brüder wirkungsvoll für verantwortungsvolle Aufgaben in der Versammlung zu schulen.

Im Jahre 1967 erfuhren die ecuadorianischen Zeugen auf noch andere Weise, daß wir wirklich eine internationale Bruderschaft sind. Der Anlaß? Der internationale Kongreß „Gottes Söhne der Freiheit“, der in Guayaquil abgehalten wurde. Auf diesem Kongreß waren Direktoren der Gesellschaft sowie rund 400 Brüder aus verschiedenen Ländern anwesend. Welch freudige Gemeinschaft sie mit den über 2 700 ecuadorianischen Brüdern und Interessierten hatten! Von den einheimischen Brüdern und den Besuchern aus dem Ausland hörte man viele dankbare Äußerungen.

Ein anderer Geist in Cuenca

Im Jahre 1967 schien es angebracht, einen erneuten Versuch zu machen, die gute Botschaft in Cuenca, der drittgrößten Stadt Ecuadors, zu verankern. Wie würde man vorgehen? Zunächst wurde Carlos Salazar als Sonderpionier dorthin gesandt. Kurz darauf kamen vier Absolventen der Gileadschule an — Ana Rodriguez und Delia Sánchez von Puerto Rico sowie Harley und Cloris Harris aus den Vereinigten Staaten.

Zu dieser Zeit war der einzige Zeuge in dieser Stadt mit über 100 000 Einwohnern Carlos Sánchez, ein junger Mann, der von der Hüfte abwärts gelähmt war. Er war, einige Jahre bevor er die Wahrheit kennenlernte, in einen Autounfall verwickelt gewesen. Jedesmal, wenn eine Zusammenkunft stattfand, trugen ihn die Missionare von seiner Wohnung die Treppe hinunter, setzten ihn auf den Rücksitz eines Motorrollers und trugen ihn dann die Treppe hoch zum Königreichssaal. Sein Lächeln und seine optimistische Einstellung waren für diese kleine Gruppe ein echter Ansporn.

Man erinnere sich, daß Cuenca als die katholischste Stadt in ganz Ecuador bekannt war. Was den Missionaren mit als erstes auffiel, waren die erstaunlich vielen Kirchen. Es schien, als gäbe es in jedem vierten oder fünften Häuserblock eine; und die riesige Kathedrale am Hauptplatz überragte sie alle. Jeden Morgen wurden die Missionare lange vor der Dämmerung von den Kirchenglocken geweckt, die die Menschen an die frühmorgendliche Messe erinnern sollten. Während der Karwoche wurden die Heiligenbilder aus den verschiedenen Kirchen ins Freie getragen, und man veranstaltete Umzüge auf den Straßen von Cuenca. Diese Prozessionen dauerten einen ganzen Tag lang.

So begann die kleine Gruppe von Zeugen mit großer Vorsicht, von Haus zu Haus zu predigen. Man hatte Geschichten gehört, daß in bestimmten Stadtteilen Menschenmengen mit Steinen warfen. Doch zur Überraschung der Missionare ereignete sich nun nichts dergleichen. Im Gegenteil, die Menschen luden sie bei ihrem ersten Besuch in ihre Häuser ein und nahmen viel Literatur entgegen. Sie hungerten in geistiger Hinsicht.

Von einem der bekanntesten Priester in Cuenca berichtet Harley Harris: „Man sprach ständig von einem Priester aus Spanien mit Namen Juan Fernández. Er war sich mit dem Bischof von Cuenca uneinig, weil er sich weigerte, für die verschiedenen Arten der Messe unterschiedliche Preise zu verlangen. In seinen Augen gab es bei der Messe keine Unterschiede. Das Problem bestand darin, daß er nicht genug Geld einbrachte, um den Bischof zufriedenzustellen. Außerdem entfernte er in seiner Kirche fast alle Heiligenbilder. Dies wurde von den liberalen Katholiken begrüßt, während die konservativeren empört waren.

Dann erzählte uns eines Tages eine Frau von einer Nachbarin, die uns nicht zuhören wollte und danach dem Priester Fernández Bericht erstattete. Sie und andere waren erstaunt, als er sie bei der Messe öffentlich dafür kritisierte und den Anwesenden sagte, daß sie zuhören sollten, wenn jemand an ihre Tür komme und über die Bibel spreche, da die Bibel die Wahrheit enthalte.

Ich beschloß, den Priester kennenzulernen, und nach einigen Anstrengungen gelang es mir, seine private Adresse zu erhalten. Ich lud ihn in unsere Wohnung ein. Er blieb für zwei Stunden. Überraschenderweise hatte er eine beachtliche Erkenntnis über grundlegende biblische Lehren. Als ich ihn fragte, welche Haltung ein Christ seiner Ansicht nach einnehmen sollte, wenn sich zwei Länder in einem politischen Konflikt befinden, erwiderte er sofort: ‚Es gibt nur eine Haltung, die ein Christ einnehmen kann, und zwar eine neutrale, weil man nicht Jesu Gebot zu lieben gehorchen und gleichzeitig töten kann.‘ Das Gespräch verlief herzlich und freundschaftlich, und er bat um eine Anzahl unserer Publikationen.“

Wegen seines Streites mit dem Bischof wurde er jedoch von seinem Priesteramt suspendiert und in derselben Woche nach Spanien zurückgesandt. Durch seine Äußerungen waren viele Einwohner von ihren inneren Schranken befreit worden, so daß sie der biblischen Botschaft nachher Gehör schenkten.

Aber immer noch gab es etwas, was Menschen davon zurückhielt, entschieden für die Wahrheit Stellung zu beziehen. Viele studierten die Bibel und besuchten die Zusammenkünfte; doch wenn es um den Predigtdienst ging, verließ sie der Mut. Wir kamen zu dem Schluß, daß Angst vor den Nachbarn dahintersteckte. Was könnte ihnen helfen, dieses Hindernis zu überwinden?

„Mutti, ich will noch nicht sterben“

Bob und Joan Isensee, ehemalige Missionare, beschlossen, als Familie in Cuenca zu bleiben. Als Mimi, ihre zehnjährige Tochter, eines Tages auf dem Schulhof spielte, wurde sie von einem vollbeladenen Lastwagen überfahren. Man brachte sie auf schnellstem Wege ins Krankenhaus, wo man verzweifelt versuchte, ihr Leben zu retten. Als ihre besorgte Mutter eintraf, war Mimi noch bei Bewußtsein und flüsterte: „Mutti, ich will noch nicht sterben. Ich hab’ noch mit niemand die Bibel studiert.“ Und aus eigener Initiative sagte das Kind zu den Krankenschwestern, daß es auf keinen Fall eine Bluttransfusion wolle. Das war die erste Erfahrung, die das Krankenhauspersonal mit Jehovas Zeugen machte, und sie sollte unvergeßlich bleiben.

Dann kam der Arzt. Er sagte, daß zur Feststellung eventueller innerer Verletzungen eine Operation nötig sei. Der Vater erklärte sich einverstanden, fügte aber hinzu: „Bitte kein Blut, denn die Bibel verbietet die Verwendung von Blut in irgendeiner Form!“ (Apg. 15:28, 29). Der Arzt war schockiert. Es war noch nie vorgekommen, daß er eine so schwierige Operation durchführen mußte, ohne dabei Blut zu verwenden! Der Vater sagte, daß er als Vater die Verantwortung trage und nicht der Arzt. Wie die Sache auch immer ausgehen werde, er übernehme die volle Verantwortung. Er wolle den Arzt nur bitten, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um das Leben des Kindes zu retten, jedoch ohne dabei Gottes Gesetz hinsichtlich des Blutes zu übertreten.

Der Arzt erwiderte demütig: „Ich habe auch meine religiöse Überzeugung, und ich möchte, daß sie respektiert wird. Deshalb will ich auch Ihren Glauben respektieren und tun, was ich kann.“

Kurz bevor Mimi in den Operationssaal gefahren wurde, sagte sie zu ihrem Vater: „Mach dir keine Sorgen, Vati. Ich habe schon zu Jehova gebetet.“

Es vergingen mehr als fünf lange Stunden. Während dieser Zeit kamen viele Leute, die die Familie kannten oder die von dem Unfall gehört hatten, zum Krankenhaus und warteten auf den Ausgang der Operation. Inzwischen erklärten ihnen die Eltern, daß sie die Zuversicht hätten, ihr Kind in der Auferstehung wiederzusehen, falls es sterben würde. Welche Wirkung hatten diese Worte auf die Leute?

Man hörte Bemerkungen wie diese: „Ich bin auch ein Vater, und ich weiß, was es bedeutet, ein Kind zu verlieren. Aber ich könnte nicht alles so ruhig und gelassen ertragen wie Sie.“ Ein anderer sagte: „Könnte ich nur einen Glauben haben wie diese Leute, dann wäre ich der glücklichste Mensch!“ Eine Nachbarin, deren Mann einige Zeit zuvor gestorben war, kam, um Mimis Eltern zu trösten, doch statt dessen wurde sie selbst getröstet. Sie sagte: „Seit dem Tod meines Mannes — das sind nun zwei Jahre her — bin ich niedergedrückt; aber jetzt, wo ich Sie sehe, wie sehr Sie an Gott glauben und was für eine sichere Hoffnung Sie haben, kann ich zum ersten Mal wieder glücklich sein.“

Doch wie erging es dem Kind? Endlich war die lange Operation überstanden, und die besorgten Eltern gingen zu dem Arzt, um seinen Bericht zu hören. Die inneren Organe waren sehr zu Schaden gekommen. Die Arterie zum Zwerchfell war beschädigt worden, und das Mädchen hatte über die Hälfte seines Blutes verloren. Außerdem war die Leber an mehreren Stellen aufgerissen worden. Der gewaltige Druck hatte den Magen durch das Zwerchfell getrieben. Gerade noch kurz vor dem Bersten des Herzens hatte der Lastwagen gehalten.

Der Arzt brachte seine Wertschätzung für die Gelassenheit der Eltern zum Ausdruck, denn auf diese Weise war er in der Lage gewesen, ruhiger und sicherer an die Operation heranzugehen. Mimi war zur großen Freude aller bald wieder gesund. Durch das, was in Verbindung mit dem Unfall geschehen war, wurde ein großes Zeugnis gegeben, denn die Nachrichtenmedien machten es in ganz Cuenca bekannt. Im Radio wurden der ungewöhnliche Glaube und die Gelassenheit der Familie Isensee erwähnt. Ein bekannter Arzt sagte zu dem Vater: „Ich möchte Sie wissen lassen, daß dieser Fall in medizinischen Kreisen als ein wahres Wunder bezeichnet wird.“

Ein Radrennfahrer startet bei einem andersartigen Rennen

Mario Polo hatte sein Leben lang in Cuenca gewohnt und war wegen der Siege, die er über mehrere Jahre hinweg im nationalen Radrennen davongetragen hatte, bekannt geworden. Inzwischen hatte er sich — allerdings unbesiegt — vom Radsport zurückgezogen. Mit gutem Grund war die Stadt Cuenca recht stolz auf ihn.

Als Marios Frau mit Jehovas Zeugen ein Bibelstudium begann, wollte er einmal daran teilnehmen, um zu sehen, ob einige seiner Fragen beantwortet werden könnten. Seine erste Frage lautete: „Wer ist die Hure, die in der Offenbarung erwähnt wird?“ (Offb. 17:3-5). Der Missionar entgegnete, daß er gewöhnlich mit einfacheren Gedanken aus der Bibel anfange. Da aber Mario die Frage nun einmal aufgeworfen hatte, erklärte der Missionar, daß in der Bibel eine unmoralische Frau namens Babylon die Große als Symbol für das weltweite Religionssystem verwandt werde, das sich von der Welt nicht getrennt halte (Jak. 4:4; Offb. 18:2, 9, 10).

Von diesem Zeitpunkt an interessierte sich Mario sehr für das Bibelstudium und setzte alles daran, um dabei zu sein, obwohl sein Arbeitsplatz ziemlich weit entfernt, und zwar außerhalb der Stadt, lag. Eines Tages kam er ins Missionarheim, und er sah sehr besorgt aus. Er hatte von Angehörigen einer protestantischen Sekte Schriften erhalten, in denen Jehovas Zeugen scharf angegriffen wurden. Der Missionar sagte dazu: „Wenn Sie wegen der Anschuldigungen, die gegen uns vorgebracht werden, beunruhigt sind, ist es wohl das beste, wir laden einen Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft ein, und dann werden wir sehen, ob er die Anklagen aufrechterhalten kann oder nicht.“ Mario war damit einverstanden. Er und der Bruder besuchten also den protestantischen Pastor, der die Schriften verbreitet hatte.

Mario lud den Pastor zu sich nach Hause ein, damit er das, was er gegen Jehovas Zeugen vorgebracht hatte, begründete. Dieser mußte natürlich die Einladung annehmen, denn sonst hätte er indirekt zugegeben, daß die Anklagen falsch waren.

Als der Pastor in Begleitung von einem Prediger seiner Glaubensgemeinschaft kam, warteten zehn Personen auf ihn, darunter auch Marios Freunde und Verwandte. Man diskutierte über die Dreieinigkeit. Jedesmal, wenn der Pastor einen Bibeltext zitierte, um die Lehre zu stützen, zeigten ihm Mario, seine Frau oder einer ihrer Freunde, warum der betreffende Vers nicht zutraf. Der Missionar brauchte kaum etwas zu sagen.

Nach etwa einer halben Stunde sah der Pastor auf die Uhr und sagte, er habe eine andere Verabredung. „Aber, Herr Pastor, Sie haben überhaupt noch nichts bewiesen“, protestierte einer der Anwesenden. „Sagen Sie bloß, Sie verlassen uns jetzt und geben uns diesen Wölfen — wie Sie sie nennen — preis!“ Der Pastor erwiderte, daß er sich später nochmals um eine Zusammenkunft bemühen werde. Auf ein genaues Datum wollte er sich jedoch nicht festlegen. Dann ging er.

Eines Tages kam er tatsächlich wieder und erklärte Norma Polo, er werde zurückkehren, aber zu einem Zeitpunkt, wenn keine Zeugen Jehovas anwesend seien. Mario fand das nicht richtig; so ging er zu dem Pastor und erklärte ihm, daß er zwar willkommen sei, jedoch nur dann, wenn Jehovas Zeugen zu ihrer Verteidigung zugegen sein könnten. Für Mario war es nun klar, wer die Wahrheit vertrat und den Mut hatte, für sie einzutreten.

Von jenem Zeitpunkt an machte er ständig Fortschritte. Es dauerte nicht lange, bis er sich am Predigtdienst beteiligte, und zwar genau dort, wo er wohnte. Später folgten seine Frau und seine Tochter dem Beispiel Marios.

Mehrere Einheimische schlossen sich nun Jehovas Zeugen an, und das hatte auf andere eine nachhaltige Wirkung. Ärzte, Rechtsanwälte, Juweliere, Landwirte — Leute aus Cuenca in verschiedenen beruflichen Stellungen — haben inzwischen zu Hunderten die Wahrheit angenommen. Vor 20 Jahren gab es dort noch keine Versammlung. Jetzt sind in dieser Gegend elf Versammlungen tätig. Die Prozessionen, die in der sogenannten „Heiligen Woche“ durch die Straßen ziehen, dauerten früher einen ganzen Tag, doch heute braucht man nur ein paar Minuten, um zu sehen, was vorbeigetragen wird: die Reliquien einer vergangenen Epoche. Jehovas Name dagegen ist jetzt in der ganzen Provinz bekannt.

Ermunterung nötig

Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre dehnte sich das Königreichswerk in Ecuador auf friedliche Weise aus. Die Leute ließen sich von anderen Religionsorganisationen nicht mehr so sehr beeinflussen und aufhetzen. Die Verkündiger arbeiteten hart, um die gute Botschaft vom Königreich bis in die entferntesten Landesteile zu bringen.

Im Jahre 1963 waren 1 000 Personen im Predigtdienst tätig. Nach fünf Jahren hatte sich die Zahl auf 2 000 und bis 1971 auf 3 000 erhöht. Zwei Jahre später berichteten 4 000 Königreichsverkündiger, im darauffolgenden Jahr 5 000, und 1975 wurde eine Verkündigerhöchstzahl von 5 995 erreicht.

Dann war das erste Mal nach vielen Jahren ein Rückschritt zu verzeichnen. Bis zum Jahre 1979 war die Gesamtzahl der Verkündiger auf etwas mehr als 5 000 zurückgegangen. Was war geschehen? Anscheinend hatten sich einige der Neuen durch die Begeisterung für ein Datum mitreißen lassen, statt echte Wertschätzung für Jehova und seine Wege zu entwickeln. Was auch immer der Fall gewesen sein mag, im Jahre 1980 und ebenfalls im Jahre 1981 war wieder ein kleiner Fortschritt zu verzeichnen, doch es ging nur langsam voran.

Wodurch wurde der Fortschritt behindert, während in vielen anderen Ländern Wachstum zu verzeichnen war? In Ecuador hatte kein Abfall eingesetzt. Es hatte auch nicht den Anschein, daß Jehova aufgrund von Unreinheit seinen Geist zurückhielt. Man überdachte die Angelegenheit gebetsvoll. Es bestanden gute Wachstumsmöglichkeiten, denn beim Gedächtnismahl 1981 wurden 26 576 Anwesende gezählt; auf jeden Königreichsverkündiger kamen also fünf interessierte Personen.

Man schlußfolgerte, daß die Brüder in Wirklichkeit nur Ermunterung benötigten. Die Ältesten und die Dienstamtgehilfen mußten an ihre Pflicht erinnert werden, im Predigtdienst die Führung zu übernehmen. Mit denen, die untätig geworden waren, mußte ein Bibelstudium durchgeführt werden, damit sie wieder Wertschätzung für geistige Dinge entwickelten.

Nach der Zusammenstellung des Berichts für das Dienstjahr 1981 traf das Zweigkomitee Vorkehrungen, alle Ältesten und Dienstamtgehilfen im ganzen Land zu kurzen Zusammenkünften in Schlüsselstädte einzuladen. Die Brüder waren von der Unterweisung begeistert. Jeder machte sich geistig erfrischt und mit neuem Eifer für das Werk auf den Heimweg. Das Ergebnis war eine 14prozentige Zunahme an Verkündigern und eine 19prozentige Zunahme an Heimbibelstudien im Dienstjahr 1982. Die Zahl der Gedächtnismahlbesucher schnellte um 28 Prozent in die Höhe, sie stieg auf 34 024 an. Ja, die Felder waren weiß zur Ernte.

Sintflutartige Regenfälle

Nun stellte sich uns ein anderes Hindernis entgegen. Zehn Monate hintereinander, vom Oktober 1982 bis zum Juli 1983, regnete es in Strömen, und große Teile des Landes wurden überflutet. Es waren die schlimmsten Regenfälle seit 100 Jahren. In Guayaquil und den umliegenden Gebieten betrug die Niederschlagsmenge nach einigen Monaten über 2 500 mm. Dadurch, daß Brücken fortgerissen wurden, waren mehrere Städte völlig isoliert. Die Nachrichtenübermittlung war stark behindert. Mehrere Königreichssäle und Wohnungen von Brüdern waren beschädigt worden.

Doch die Brüder waren entschlossen, weiterhin die Zusammenkünfte durchzuführen. In Babahoyo mußten einige durch hüfttiefes Wasser waten, um zu den Zusammenkünften zu kommen. Weiter im Süden, in Milagro, stand sogar im Königreichssaal das Wasser bis zu den Knien. Die Brüder krempelten jedoch ihre Hosenbeine hoch und freuten sich trotz der Überflutungen an den Zusammenkünften.

Man bemühte sich sehr, die Verbindung mit den Brüdern aufrechtzuerhalten, auch mit denen, die in isolierten Gebieten wohnten. Wenn in Erfahrung gebracht wurde, daß es jemandem an Nahrungsmitteln oder anderen lebensnotwendigen Dingen mangelte, informierte das Zweigbüro die Versammlungen, und die Brüder leisteten großzügig Hilfe. Aus dem ganzen Land spendeten sie liebevollerweise das nötige Geld, Nahrungsmittel, Kleidung und Medikamente. Während dieser ununterbrochenen Regenfälle berief das Zweigbüro eine weitere Zusammenkunft mit den Ältesten und den Dienstamtgehilfen ein. Es wurden ermunternde Erfahrungen erzählt und Vorschläge unterbreitet, wie das Predigtwerk trotz der Unbilden der Witterung fortgesetzt werden konnte. Die Worte des Apostels Paulus schienen sehr passend zu sein; er sagte: „Predige das Wort, halte dringend darauf in günstiger Zeit, in unruhvoller Zeit“ (2. Tim. 4:2).

Was war das Ergebnis? Die Berichte von vielen Versammlungen, die durch das Wetter großen Schaden erlitten hatten, ließen eine erstaunliche Mehrung erkennen. Am Ende des Dienstjahres 1983 war die Zahl der Verkündiger trotz des Regens um 17 Prozent, auf 7 504, gestiegen. In demselben Zeitraum waren die Heimbibelstudien um 28 Prozent angestiegen. Je öfter die Brüder die Gebiete bearbeiteten, desto bessere Ergebnisse wurden erzielt.

Erweiterung des Zweigbüros notwendig

Im Vergleich zu anderen Ländern ist das Königreichswerk in Ecuador noch im Anfangsstadium. Erst seit etwas mehr als 40 Jahren wird ohne Unterbrechung gepredigt. So, wie ein Kind, das heranwächst, ab und zu neue Kleidung benötigt, so waren wegen der Ausdehnung des Königreichswerkes auch größere Zweiggebäude notwendig.

Anfänglich verrichteten die Brüder des Zweigbüros ihre Arbeiten in einem Missionarheim. Im Jahre 1957 wurde ein neues Zweigbüro in Guayaquil gebaut. Später wurde dieses Gebäude erweitert. Bruder Grant Suiter machte 1977 auf seiner Zonenreise den Vorschlag, nach einem größeren Grundstück außerhalb von Guayaquil Ausschau zu halten. Eines Tages kam ein Bruder ins Zweigbüro und fragte, ob die Brüder an einem Grundstück Interesse hätten, das er gern der Gesellschaft schenken würde. Es lag wie gewünscht außerhalb von Guayaquil. Dieses Angebot wurde begeistert angenommen.

Außerdem wurde dringend eine Stätte benötigt, wo Bezirkskongresse abgehalten werden konnten — auch wenn dies unter freiem Himmel geschehen müßte. Nach einigen Vorarbeiten auf dem neu erworbenen Grundstück führte man dort den ersten Kongreß durch. Der Hang bildete ein natürliches Amphitheater. Die Brüder breiteten auf dem Erdboden Decken aus, die als Sitzgelegenheiten dienten. Mehrere Jahre lang versammelten sich dort die an der Küste wohnenden Brüder zu Bezirks- und Kreiskongressen.

Ende 1984 fing man schließlich an, auf diesem Grundstück eine schöne Kongreßstätte zu bauen. Sie sollte 3 000 Personen Platz bieten. Ein über 30 ha großes Stück Land stand dafür zur Verfügung. Es war jedoch nicht nur eine Kongreßstätte erforderlich. Mit der Genehmigung der leitenden Körperschaft wurde Anfang 1985 auf einem anderen Teil des zur Verfügung gestellten Grundstücks mit dem Bau eines neuen Zweiggebäudes begonnen. Es war eine Zeit großer Freude, denn die Brüder spürten, wie Jehova ihre Bemühungen, die Arbeiten zum Abschluß zu bringen, segnete. Mit dem Bau war begonnen worden, kurz bevor die Gesellschaft ein internationales Bauprogramm entwickelt hatte, aber er wurde dann in Verbindung damit zu Ende gebracht. Die Brüder freuten sich sehr, von freiwilligen Bauarbeitern aus 14 Ländern Hilfe zu erhalten. Diese Unterstützung erwies sich als ein großer Segen. Wir bedanken uns ganz herzlich bei allen Helfern.

Änderungen in der Leitung des Werkes

Albert Hoffman wurde 1949 der erste Zweigaufseher, und er tat viel, um das Werk in Ecuador zu organisieren, als es noch in seinen Kinderschuhen steckte. Im Jahre 1950 wurde das Aufsichtsamt dann John McClenahan übertragen, der auch die Gileadschule besucht hatte. Wiederum waren 1970 einige Änderungen in der Leitung des Werkes erforderlich. Ein anderer Absolvent der Gileadschule, Harley Harris, wurde zum Zweigaufseher ernannt und hat seitdem im Zweigbüro gearbeitet. Der Zweig wird gegenwärtig von einem aus fünf Gliedern bestehenden Komitee verwaltet: Francisco Angus, Arthur Bonno, Harley Harris, Vern McDaniel und Laureano Sánchez.

Tausende, die Opfer brachten

Die Geschichte des Königreichswerkes in Ecuador berichtet von Hunderttausenden Opfern, die die Brüder gebracht haben. Einige der Opfer waren so klein, daß sie zwar von Menschen unbemerkt blieben, aber niemals von Jehova. All diesen Treuen gilt die Zusicherung aus Hebräer 6:10: „Gott ist nicht ungerecht, daß er eure Arbeit und die Liebe vergessen würde, die ihr seinem Namen gegenüber erzeigt habt.“

Diejenigen, die aus anderen Ländern gekommen sind, um in Ecuador zu dienen, werden sich noch lange daran erinnern, wie entmutigend es war, als sie versuchten, sich in einer Sprache auszudrücken, die sie gerade erst zu lernen begonnen hatten. Die Sprache der Einheimischen hörte sich für sie wie ein über sie hereinbrechender Wortschwall an. Ein Missionar sagte: „Ich kam mir wie ein Baby vor, das sprechen lernt.“

Wie war es den Missionaren denn damals ergangen, als sie dachten, daß sie die Sprache langsam beherrschten, dann aber etwas ganz anderes sagten, als sie in Wirklichkeit wollten? Ein Bruder ging beispielsweise in einen Eisenwarenladen, und nachdem er in einem Wörterbuch nachgeschlagen hatte, sagte er: „Quiero una libra de uñas“ („Ich möchte ein Pfund Fingernägel“). Er hatte eine falsche Sorte von Nägeln verlangt. Eine Schwester stand in einem Bus, und als dieser abrupt anfuhr, fiel sie einem Mann auf den Schoß. Sie dachte, daß sie sich entschuldigen würde, als sie sagte: „Con su permiso“ („Erlauben Sie bitte“). Die Fahrgäste mußten herzlich lachen, als der Mann gutmütig erwiderte: „Nur zu, junge Frau.“

Schwester Zola Hoffman, die bis zum Ende ihres irdischen Laufs in ihrer Missionarzuteilung blieb, ist allen wegen ihrer Furchtlosigkeit beim Zeugnisgeben noch gut in Erinnerung. Hatte sie vor irgend jemand Angst, wenn es darum ging, über die gute Botschaft zu sprechen? Wohl kaum, denn am liebsten bearbeitete sie das Geschäftsviertel von Guayaquil. Dort kannte sie fast jeder: Geschäftsführer, Rechtsanwälte, Richter und viele andere. Zahlreiche Einwohner der Stadt, mit denen sie über die Wahrheit gesprochen hatte, kamen zu ihrer Beerdigung. Der Königreichssaal war überfüllt, und eine ganze Anzahl mußte draußen bleiben, ja die Leute standen bis zur gegenüberliegenden Straßenseite. Unter den Anwesenden befanden sich auch einige der 94 Personen, denen sie persönlich geholfen hatte, sich Jehova hinzugeben.

Bruder Albert Hoffman hatte einst eine kräftige Stimme; jetzt kann er nur noch flüstern. Wie kam es dazu? Eines Abends hielt er auf dem Heimweg von einer Zusammenkunft an einer Ampel an. Ein Fremder näherte sich ihm, hielt eine Pistole an seinen Hals und sagte etwas; wahrscheinlich verlangte er Geld. Da Albert schlecht hörte, reagierte er nicht sogleich. Der Mann drückte zornig ab. Die Kugel drang durch Alberts Hals und blieb in der rechten Schulter stecken. Die Stimmbänder waren durchtrennt worden. Trotz des Schadens, den Alberts Stimme genommen hat, spricht er weiterhin zum Lobpreis Jehovas, wenn auch nur im Flüsterton. Er kann auf 60 Jahre Vollzeitdienst zurückblicken.

Herman Gau ist für seine Entschlossenheit bekannt. Mit seiner Frau kam er aus Deutschland, um dort zu dienen, wo Hilfe not tut. Er erledigt Arbeiten gern schnell, auch wenn Schwierigkeiten auftauchen. Da die kleine Versammlung im Dschungeldorf Puyo einen Königreichssaal benötigte, sagte Bruder Gau: „Wir wollen in den Dschungel gehen und einige Bäume fällen, damit wir Bauholz haben.“ Er sah einen, wie er dachte, schönen, geraden Baum; doch der einheimische Bruder, der ihn begleitete, mahnte ihn zur Vorsicht: „Ich an deiner Stelle würde diesen Baum nicht fällen. Es sind nämlich Ameisen drin.“

„Ich laß mich doch nicht von Ameisen daran hindern, diesen schönen Baum für den Königreichssaal zu nehmen!“ sagte Herman. Und so gingen sie mit ihren Macheten ans Werk. Als der innen fast hohle Baum zu Boden stürzte, fielen Tausende zornige Ameisen über die beiden Brüder her und verteidigten sich. Aus Verzweiflung rannten diese zum Fluß und sprangen samt ihrer Kleidung hinein. Von da an hörte Herman auf Einheimische, wenn sie ihm etwas über Bäume sagten. „Aber“, sagte er und lachte dabei herzlich, „wir haben es trotzdem geschafft, den Königreichssaal zu bauen.“

Jugendliche nehmen die Wahrheit an

Es gibt noch eine größere Herausforderung, als einen Königreichssaal zu bauen: nämlich Kinder in der Wahrheit zu erziehen. Jorge und Orffa Santos stehen seit fast 30 Jahren im Vollzeitdienst. In dieser Zeit zogen sie außerdem fünf Kinder groß. Alle Kinder sind nun ebenfalls im Vollzeitdienst tätig und ahmen das gute Vorbild ihrer Eltern nach. Dieser Fall ist nur einer von vielen, der zeigt, wie wichtig es ist, daß Eltern ihren Kindern ein gutes Vorbild sind, besonders wenn sie sie so erziehen wollen, daß sie den richtigen Weg gehen (Spr. 22:6).

Carlos Salazar wurde jedoch nicht in der Wahrheit erzogen. Ganz im Gegenteil, als er sich entschloß, Jehova zu dienen, warf ihn seine Mutter aus dem Haus, und seine Geschwister mieden ihn. Aber in den 34 Jahren, in denen er im Vollzeitdienst tätig gewesen ist, hat er in seinem eigenen Land mehr als 12 000 geistige Brüder und Schwestern bekommen, ganz zu schweigen von den über 3 000 000, aus denen die internationale Bruderschaft besteht. Wie sehr hat er doch die liebende Fürsorge schätzengelernt, die Jehova denen zuteil werden läßt, die um der guten Botschaft willen „Waisen“ werden!

Jim und Frances Woodburn haben als Ehepaar und Missionare in einem großen Gebiet eifrig Königreichssamen ausgestreut. Sie sprachen in vielen Schulen vor und boten das Buch Mache deine Jugend zu einem Erfolg an. Endlich kann Jugendlichen in der Schule geholfen werden, sittliche Grundsätze anzuwenden, ihre Lehrer zu respektieren und die Drogengefahr zu erkennen. Auch das Buch Das Leben — Wie ist es entstanden? Durch Evolution oder durch Schöpfung? wurde angeboten, und zwar als etwas ganz Besonderes, das einzigartig darin ist, wie es beide Seiten — die Evolution und die Schöpfung — behandelt. Die Lehrer und die Schulbehörde erlaubten Bruder und Schwester Woodburn, in die Klassenzimmer zu gehen und den Schülern diese Bücher anzubieten. Sogar Konfessionsschulen, die unter der Leitung von Geistlichen standen, reagierten günstig. Ein Geistlicher ließ die Schüler der ganzen Schule zur Aula kommen und sagte zu ihnen: „Dieses Buch ist genau das, was ihr braucht, und ich empfehle einem jeden von euch dringend, es zu kaufen.“ In keiner einzigen der 65 Schulen, in denen die Woodburns vorsprachen, wurde ihnen die Erlaubnis verweigert, den Schülern diesen wichtigen Lesestoff anzubieten. Manchmal verbreiteten sie im Monat über 1 000 Bücher.

Weitere Aussichten für die Zukunft

Wenn man heute durch die Straßen von Quito, Cuenca, Riobamba und San Antonio geht, kann man sich kaum vorstellen, daß hier vor nicht allzu langer Zeit schwere Kämpfe um das Recht, die gute Botschaft zu predigen, ausgefochten wurden. Statt schreiender Pöbelrotten findet man heute dort friedliche Menschen, die respektvoll auf die biblische Botschaft hören. Die Königreichssäle, die man jetzt an vielen Orten sieht und wo 188 Versammlungen zusammenkommen, um aus Gottes Wort belehrt zu werden, erinnern an den von Jehova herbeigeführten Sieg.

Im letzten Jahr stieg die Zahl der Verkündiger ein weiteres Mal sprunghaft an, auf 13 352. Es wurden fast doppelt so viele Heimbibelstudien durchgeführt, wie es Verkündiger gibt, und bei der Feier zum Gedenken an den Tod Christi waren 66 519 Personen anwesend. All das läßt erkennen, daß es noch viel zu tun gibt in dem Werk, das durchgeführt wird, um anderen zu helfen, ebenfalls die Wahrheit anzunehmen.

Wie erfrischend war es doch, daß aufrichtig gesinnte Ecuadorianer in der Hitze der Verfolgung den Brüdern und Schwestern zu Hilfe kamen und ihnen „einen Becher kaltes Wasser“ reichten! Den Worten Jesu gemäß werden diese Menschen ihren Lohn keinesfalls einbüßen (Mat. 10:42). Tausende von Personen, die entlang des Äquators wohnen — von den bewaldeten tropischen Ebenen bis zu den schneebedeckten Bergen —, sind schon mit den erfrischenden Wassern der Wahrheit erquickt worden. Es ist unser innigster Wunsch, daß sich noch weitere Tausende diese Wasser zunutze machen, ehe das gegenwärtige System zu seinem Ende kommt.

[Kasten/Karte auf Seite 201]

Grunddaten: Ecuador

Hauptstadt: Quito

Amtssprache: Spanisch

Hauptreligion: römisch-katholisch

Bevölkerung: 10 054 000

Verkündiger: 13 352

Pioniere: 1 978

Versammlungen: 188

Gedächtnismahl: 66 519

Zweigbüro: Guayaquil

[Karte]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

PAZIFISCHER OZEAN

KOLUMBIEN

ECUADOR

Ibara

Atuntaqui

San Antonio

ÄQUATOR

Quito

Manta

Ambato

Riobamba

Babahoyo

Guayaquil

Milagro

La Libertad

Anden

Cuenca

Machala

PERU

[Ganzseitiges Bild auf Seite 199]

[Bild auf Seite 202]

Thomas und Mary Klingensmith (links) sowie Willmetta und Walter Pemberton waren die ersten Gileadabsolventen, die 1946 in Ecuador eintrafen

[Bild auf Seite 207]

Pedro Tules, der erste Ecuadorianer, der die Gileadschule besuchte

[Bild auf Seite 209]

N. H. Knorr (links), der dritte Präsident der Watch Tower Society, neben ihm M. G. Henschel, ebenfalls aus der Weltzentrale, bei einem Besuch in Ecuador im März 1949. Albert Hoffman (rechts) war Ecuadors erster Zweigaufseher. Er erlitt später eine Schußverletzung.

[Bild auf Seite 210]

César Santos gab den Götzendienst auf, um ein Zeuge zu werden

[Bild auf Seite 215]

Carl Dochow, ein Missionar, der die Gileadschule besucht hatte, stieß in der Stadt Cuenca auf Widerstand

[Bild auf Seite 218]

Carlos Salazar, der zweite Ecuadorianer, der die Gileadschule besuchte

[Bild auf Seite 220]

Unn Raunholm wurde 1958 als Missionarin nach Ecuador gesandt

[Bild auf Seite 223]

Ray und Alice Knoch, Missionare, die in die Orte an der Pazifikküste gesandt wurden

[Bild auf Seite 227]

Maruja Granizo (links) mit ihren Enkeln und ihrer Schwiegertochter

[Bild auf Seite 230]

John Furgala (links) vor seiner Eisenwarenhandlung

[Bild auf Seite 233]

Rafael Coello, einst Richter am Berufungsgericht, gibt ehemaligen Kollegen im Justizpalast von Guayaquil Zeugnis

[Bild auf Seite 238]

Bob und Joan Isensee, ehemalige Missionare, und ihre Kinder. Sie wurden mit der Blutfrage konfrontiert.

[Bilder auf Seite 241]

Mario Polo nach einem Sieg bei einem nationalen Radrennen. Mario und seine Frau Norma treten jetzt für die biblische Wahrheit ein.

[Bilder auf Seite 245]

Das neue Bethel in Ecuador und der Empfangsbereich

[Bild auf Seite 246]

Die neue Kongreßstätte, im Hintergrund das neue Zweigbüro