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Haiti

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Haiti

ALS Christoph Kolumbus 1492 seine Entdeckungsreise unternahm, lief sein Flaggschiff auf das Riff einer karibischen Insel auf, die sich heute Haiti mit der Dominikanischen Republik teilt. Dennoch wurde durch diese Reise die Grundlage für die Kolonisierung einer neuen Welt für Europa gelegt. Kolumbus traf auf friedliche Indianer, die Aruak. Ihrer Sprache entstammt der Name Haiti, der „Land der Berge“ bedeutet. Seit 1492 hat dieses „Land der Berge“ viele Veränderungen erlebt.

Kolumbus erhob im Namen Isabellas, der Königin von Spanien, Anspruch auf das Land und nannte es Española (Spanische Insel). Spanische Konquistadoren zwangen die Aruak zu harter Sklavenarbeit. Bald waren die Aruak so gut wie ausgerottet. Um sie zu ersetzen, führte man daher Afrikaner ein.

Später ließen sich französische Abenteurer im Westteil der Insel nieder, auf den Frankreich 1697 Anspruch erhob und den es Saint-Domingue nannte. Das Land war fruchtbar, und mit der Hilfe von Sklavenarbeit entstanden große Plantagen, so daß Saint-​Domingue ein reiches Land wurde.

Etwa 100 Jahre später errang Toussaint Louverture, ein Mann königlicher afrikanischer Abstammung, der allerdings als Sklave geboren worden war, militärische und diplomatische Siege zur Befreiung der Sklaven. Er wurde 1801 Herrscher von Saint-Domingue. Jean Jacques Dessalines, ebenfalls als Sklave geboren, vertrieb später die Franzosen und änderte den Namen des Landes wieder auf jenen Namen, den ihm schon die Aruak gegeben hatten. Auf diese Weise entstand 1804 der erste unabhängige schwarze Staat Amerikas: das damals reiche Land Haiti.

Nach Dessalines’ Tod im Jahr 1806 brachte Henri Christophe den Nordteil des Landes unter seine Herrschaft. Manche Leistung, die er vollbrachte, trug dazu bei, daß die Nation vorübergehend zu den stärksten der Neuen Welt gezählt wurde. Er baute den imposanten Palast von Sans-Souci und die berühmte Zitadelle La Ferrière — eine Festung auf einem Berggipfel. Doch innere Führungskämpfe, Revolutionen und der Mißbrauch öffentlicher Gelder ließen das Land im Lauf der Zeit verarmen.

Trotzdem besitzt Haiti noch einen einmaligen Charakter, was die Sprache, die Kultur und die Menschen betrifft. Viele sprechen Französisch, doch im allgemeinen wird dort Kreol gesprochen, ein ausdrucksstarkes Patois, das eine Kombination aus französischen Wörtern und der Grammatik westafrikanischer Sprachen ist. Die Bevölkerung bildet ein buntes Gemisch aus schönen Menschen, in deren Gesichtern sich afrikanische und europäische Gesichtszüge vereinigen. Malerische Berge beherrschen nach wie vor das Land. Doch die meisten sind heute kahl — abgeholzt —, und einst fruchtbare Ebenen sind ausgedörrt.

Haiti ist ein Land, das sich seiner Vergangenheit rühmt, die Gegenwart beklagt und auf eine bessere Zukunft hofft — auf eine neue Welt. Passenderweise wird den Menschen dort — selbst in den abgelegensten Dörfern hinter den Bergen — die gute Botschaft von einer wirklichen neuen Welt unter Gottes Königreich verkündet.

Die gute Botschaft erreicht Aquin

Es gibt nur verschwommene Erinnerungen daran, wie die gute Botschaft von Gottes Königreich erstmals Haiti erreicht hat. Schon im Februar 1887 wurde Hayti (oder Haiti) in Zion’s Watch Tower als eines der Länder aufgeführt, aus denen Briefe von interessierten Personen eintrafen. Doch erst Jahrzehnte später, im Winter 1929/30, verbrachte eine Zeugin dort mehrere Monate und verwendete als Pionierin ihre ganze Zeit darauf, anderen von Gottes Vorsatz zu erzählen. 1938 erhielt dann ein Rechtsanwalt namens Démosthène Lhérisson in Port-au-Prince auf nicht bekannte Weise die Bücher Schöpfung und Prophezeiung sowie die Broschüre Ursache des Todes. Er nahm sie mit nach Aquin an der Südküste, wo er wohnte. Was war das Ergebnis? Das, was er las, überzeugte ihn davon, daß diese Veröffentlichungen den Weg zum wahren Christentum wiesen. Er trennte sich von der katholischen Kirche und begann mit anderen über die biblische Wahrheit zu sprechen, unter anderem auch mit seinem Neffen.

Nach dem Tod des Rechtsanwalts lud dessen Neffe seine Freunde ein, diese Bücher mit ihm zusammen zu studieren, was sie auch regelmäßig taten. Einer von ihnen sagte: „Wir erkannten, daß wir in den letzten Tagen der heutigen Welt leben, daß das Königreich Jehovas 1914 im Himmel aufgerichtet wurde und daß die Religionen vernichtet werden, weil sie ein Teil der Welt sind.“ Von da an setzten sie ihre Hoffnung auf eine neue Welt.

Um das Jahr 1943 hatte ein von Kuba zurückgekehrter Reisender in Cayes, einer größeren Stadt westlich von Aquin, mehrere Wachtturm-Publikationen in seinem Besitz. Diese Publikationen gelangten in die Hände von Solomon Sévère, der in Vieux-bourg, etwa 10 Kilometer von Aquin entfernt, wohnte.

Zu gegebener Zeit kamen die Interessierten aus Aquin und aus Vieux-bourg zusammen. Einige von ihnen hielten sich jedoch an die Lehren einer kleinen Religionsgemeinschaft, deren Anhänger als Christianisten oder Solomoniten bekannt waren, und manche ihrer Praktiken, wie die Polygamie, waren auf keinen Fall christlich. Diejenigen, die aufrichtig nach der Wahrheit suchten, erkannten, daß sie die Verbindung zur Christenheit abbrechen mußten und deren Praktiken nicht länger mitmachen konnten.

Im Jahr 1944 beteiligten sich in Haiti sieben Personen am Predigen der guten Botschaft, die berichteten, daß sie im Lauf des Jahres insgesamt 1 500 Stunden für diese Tätigkeit eingesetzt hatten. Im darauffolgenden Jahr schlossen sich ihnen weitere fünf Personen im Predigtdienst an, und die Gesamtzahl der Stunden, die sie auf das öffentliche Predigen der Königreichsbotschaft verwandten, stieg auf 6 164. Gegen Ende des Dienstjahrs schlossen sich der Gruppe zwei gut geschulte Missionare an.

Die ersten Missionare der Watch Tower Society

Zwei junge Missionare der Watch Tower Society, Roland Fredette und Harold Wright aus Nordamerika, trafen im August 1945 in Port-au-Prince ein. Zwar hatten sie in der Wachtturm-Bibelschule Gilead Französisch gelernt, doch stellten sie schnell fest, daß sie nun Kreol lernen mußten. Sie zogen mit ihrem Grammophon umher, predigten mit Hilfe von Zeugniskarten und gehörten bald zum Stadtbild.

Am 19. März 1946 kamen der damalige Präsident der Watch Tower Society, N. H. Knorr, und der Vizepräsident, F. W. Franz, denen viel daran lag, daß das Predigen der guten Botschaft gut organisiert wurde, ebenfalls nach Port-au-Prince. An jenem Abend besuchten 11 Personen eine Zusammenkunft im Missionarheim, die nur für Zeugen gedacht war. Im Anschluß an einen Vortrag von Bruder Franz sprach Bruder Knorr darüber, wie das Predigtwerk in Haiti organisiert werden sollte. Er gab die Gründung eines Zweigbüros der Watch Tower Society in Haiti bekannt, in dem Bruder Fredette als Zweigaufseher dienen würde. Am nächsten Abend versammelten sich um 19 Uhr insgesamt 74 Personen im Missionarheim, um Bruder Knorr über das Thema „Seid fröhlich, ihr Nationen!“ sprechen zu hören.

Am 1. April 1946 wurde das Zweigbüro eröffnet. Bald darauf erlangte die Watch Tower Society die gesetzliche Anerkennung. Fünf neue Missionare trafen ein, und das Predigen der guten Botschaft dehnte sich auf die Städte in der Umgebung von Port-au-Prince bis hinauf nach Cap-Haïtien an der Nordküste aus.

Missionare in Vieux-bourg

Damals führten einige aus der Gruppe in Vieux-bourg des öfteren Gespräche mit einem Mann namens Cassindo. Als dieser Mann 1948 nach Port-au-Prince reiste, hörte er einem Missionar zu, der auf dem Place Jérémie einen Vortrag hielt; danach erzählte er dem Missionar, in Vieux-bourg gebe es Leute, die dasselbe sagten wie er. Cassindo kehrte mit der Neuigkeit nach Hause zurück: „Genyen moun kom sa yo nan Port-au-Prince“ (In Port-au-​Prince gibt es auch solche Leute). Das sorgte in der Gruppe in Vieux-bourg für einige Aufregung.

Sie nahmen Verbindung zu den Missionaren auf, die sie daraufhin besuchten. Welch eine Freude für die Gruppe in Vieux-bourg! Alle waren so glücklich, daß sie den ersten Tag mit ihren Besuchern von morgens bis abends im Predigtdienst verbrachten. Am Abend wurde auf dem öffentlichen Platz im Schein einer Öllampe ein öffentlicher Vortrag gehalten.

Als die Missionare das nächste Mal zu Besuch kamen, wurden alle, die die Voraussetzungen erfüllten, getauft, und die Gruppe wurde als eine der ersten in Haiti zu einer Versammlung organisiert. Allerdings gab es Probleme. Solomon Sévère herrschte gern über andere. Deshalb wurde ein demütigerer Bruder als Versammlungsaufseher ernannt. Daraufhin rebellierte Sévère und beeinflußte einige, sich mit ihm von der Versammlung zurückzuziehen (Apg. 20:29, 30).

Die 12, die übrigblieben, erkannten Jesus Christus als ihren Führer an und setzten den Dienst für Jehova loyal fort (Mat. 23:10). Das trug reichen Segen ein. 1949 berichteten in Vieux-bourg, einem Dorf mit circa 400 Einwohnern, 21 Verkündiger über ihren Predigtdienst — so viele gab es damals nicht einmal in Port-au-Prince.

Ein Prediger erfährt von der neuen Welt

In jener Zeit trug so mancher Geistliche der Christenheit ungewollt dazu bei, daß die Wahrheit zu seinen eigenen Kirchenmitgliedern gelangte. Lassen wir Diego Scotland, der von Dominica stammt, selbst erzählen, wie es bei ihm war:

„Während meiner Zeit als Prediger in einer Pfingstgemeinde brachte der Leiter der Gemeinde einmal zahlreiche Wachtturm-Publikationen aus den Vereinigten Staaten für den eigenen Gebrauch mit. Als ich mich damit beschäftigte, warnte er mich, ich würde den Verstand verlieren. Ich ignorierte das, weil ich erkannte, daß darin die Wahrheit stand. Die Spannungen zwischen uns wuchsen jedoch, als ich mich weigerte, Gottesdienste abzuhalten. Nach einer Debatte über die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele kam es schließlich zum endgültigen Bruch.“

Der unterlegene ältere Prediger erklärte, er werde nicht zulassen, daß sich Jehovas Zeugen in Haiti festsetzten. Doch Diego, ein schlanker Mann mit ruhigem Gemüt, zitierte Gamaliel und entgegnete, niemand könne Jehovas Zeugen aufhalten, wenn sie die wahre Religion hätten (Apg. 5:39). Er begann mit den Zeugen zu studieren, machte schnell Fortschritte und wurde bald ein getaufter Verkündiger.

Andere lernen und beteiligen sich bald am Predigen

Im Jahr 1948 kamen vier weitere Gileadabsolventen nach Haiti — im April Alexander Brodie und Harvey Drinkle und im Sommer Fred und Peter Lukuc. Alle waren Kanadier. Von ihrem Missionarheim in der Rue Capois 32 aus taten sie viel, um das Predigen der guten Botschaft in Port-au-Prince zu intensivieren.

Fred Lukuc war damals 23 Jahre alt und stand seit 1943 im Pionierdienst. Nach seiner Ankunft in Haiti gab er bei dem Besitzer eines Geschäfts, in dem Lederwaren hergestellt wurden, das Buch ab „Die Wahrheit wird euch frei machen“ und versprach, am darauffolgenden Sonntag wiederzukommen. Doch vor jenem Sonntag sollte viel geschehen. Maurice Sanon, der Schwiegersohn jenes Mannes, entdeckte das Buch und fing an, darin zu lesen. Dieser ehemalige Schulleiter setzte sich jeden Nachmittag hin und studierte die Bibel mit Hilfe des Buches von seinem Schwiegervater. Nach einigen Tagen machte er seine Freunde auf die falschen Lehren aufmerksam, die die katholische Kirche sie gelehrt hatte. Er brannte darauf, Fred Lukuc kennenzulernen.

„Maurice stellte viele Fragen“, berichtete Bruder Lukuc einige Jahre später, „und wir begannen ein Bibelstudium. Er machte rasch Fortschritte und sprach mit Verwandten und anderen über die neugefundene Wahrheit. Doch als ich ihn einlud, mit mir in den Dienst zu gehen, wandte er ein: ‚Ich weiß nicht genug.‘ Ich entgegnete: ‚Du kennst die Bibel besser als die Menschen da draußen. Allerdings kann ich ja das Reden übernehmen.‘ Er war einverstanden. Doch von der ersten Tür an redete dieser energiegeladene Mann zumeist selbst.“ Nach einiger Zeit nahmen auch seine Frau und seine vier Kinder am Studium teil, und seine gesamte Familie sowie einige Neffen und Nichten wurden getaufte Zeugen Jehovas.

Im folgenden Jahr, 1949, lernte Fred in Carrefour bei Port-au-Prince einen aufrichtigen 40jährigen Protestanten kennen. Auch dieser Mann dürstete nach der Wahrheit. „Dumoine Vallon hatte zu bestimmten Lehren viele Fragen“, erzählte Fred. „Wie vereinbart, fuhr ich in der folgenden Woche wieder hin, aber er war nicht zu Hause. Ich war enttäuscht, weil ich eine weite Strecke mit dem Fahrrad zurückgelegt hatte.“ Was war geschehen? Fred berichtete: „Kurz darauf kam er nach Hause und erklärte, er sei unterwegs gewesen, um den Menschen in der Nachbarschaft zu predigen. ‚Sie wissen nichts über Gott‘, sagte er.“ Als mit ihm ein Heimbibelstudium durchgeführt wurde, machte er schnell Fortschritte und ließ sich im Juni 1950 taufen. Seitdem ist er ein loyaler Prediger der guten Botschaft.

Unser erster Bezirkskongreß

Unser erster Bezirkskongreß fand 1950 statt. Bruder Knorr war ebenfalls anwesend und trug wie die übrigen Verkündiger Plakate, um den öffentlichen Vortrag anzukündigen. Es war ein ungewöhnlicher Anblick, und die Leute liefen auf der Straße zusammen und scharten sich um die Brüder; einige machten sich über sie lustig. Aber die Freude der Brüder war groß, als 474 Personen den Vortrag hörten, der in einem Freilichttheater neben dem Hafen gehalten wurde. Bereits zuvor an jenem Tag hatten sich am Strand von Club Thorland 13 Personen taufen lassen.

Bruder Knorr gab Anweisungen, wie man die Versammlungsorganisation verbessern, Verkündiger schulen und Personen zurechtbringen kann, die zwar die Zusammenkünfte besuchen, aber dabei falsche Beweggründe haben. Die Menschen mußten merken, daß Jehovas Zeugen nicht wie Protestanten waren, die der katholischen Kirche Anhänger abspenstig machten, indem sie ihnen materielle Vorteile boten.

Als Bruder Knorr feststellte, daß nach fünf Jahren Missionartätigkeit lediglich 86 Verkündiger einen Bericht abgaben, empfahl er, den Dienst dadurch produktiver zu gestalten, daß man die Zusammenkünfte und den Dienst statt in Französisch in Kreol durchführte. Diese Änderung brachte schnell gute Ergebnisse.

Wie Bruder Knorr außerdem ankündigte, würde die Broschüre Kannst du ewig in Glück auf Erden leben? in Kreol übersetzt. Allerdings verwandte der Übersetzer dabei ein phonetisches System, das von einem Deutschen namens Laubach entwickelt worden war. Durch dieses System konnten zwar englischsprachige Personen ohne Mühe Kreol lesen, aber es war nicht das, was die katholische Bevölkerung gewohnt war, daher fand die Broschüre nur geringe Verbreitung.

Mehr Erfolg im Süden

Die Versammlung Vieux-bourg dehnte ihr Predigtgebiet immer weiter in Richtung Süden aus bis nach Saint-Louis du Sud, der Heimat von Benoît Sterlin, einem bekannten Geschäftsmann, der mit den Zeugen seit 1946 studierte. Er predigte ebenfalls. Aus der Gruppe von sieben Verkündigern in Saint-Louis du Sud entstand 1950 die zweite Versammlung im Süden. Benoît ließ sich im darauffolgenden März taufen, und er und seine Frau wurden eifrige Verkündiger.

Bis dahin waren nur die Missionare dazu befugt gewesen, Trauungen vorzunehmen. Doch dann wurden haitianische Brüder als Standesbeamte eingesetzt, und Benoît war einer von denen, die von einem Richter in Port-au-Prince vereidigt wurden.

Die Wahrheit siegt

Im Jahr 1951 predigte Alex Brodie eines Tages in einem Geschäftsviertel der Hauptstadt auf der Rue des Miracles und ging in das Geschäft „Der elegante Schneider“. Dort traf er den 32jährigen Rodrigue Médor und gab ihm das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“. Dieser gutgekleidete Schneidermeister erklärte sich mit einem Bibelstudium einverstanden; aber Alex traf ihn bei seinen nachfolgenden Besuchen nur selten an. Rodrigue gibt selbst zu: „Ich nahm das Buch nur, um ihn wieder loszuwerden. Meine Frau und ich waren eifrige Katholiken. Als Alex ein Studium anbot, sagte ich ja. Dann drückte ich mich allerdings jedesmal davor.“

Aber die Wahrheit siegte schließlich. Er erzählt: „Ich versuchte, ihn mit einer Frage über die Jungfrau außer Gefecht zu setzen; er konnte sie mir jedoch zu meiner Zufriedenheit beantworten; von da an studierte ich ernsthaft. Meine Frau war dagegen und ließ sogar einen Priester neun Tage lang Gebete sprechen, damit ich mit dem Studium aufhörte. Aus diesem Grund studierten wir dann woanders weiter.“

Sowie Rodrigue erfuhr, was die Bibel über die Verwendung von Bildern sagt, holte er entschlossen die Marienstatue aus dem Wohnzimmer und zerschmetterte sie. Seine Frau tobte. Doch mit der Zeit war sie davon beeindruckt, daß sich seine Interessen geändert hatten. Zum Beispiel las Rodrigue nun nächtelang biblische Literatur, statt mit seinen Freunden unterwegs zu sein. Als seine Frau das beobachtete, fing sie ebenfalls an zu studieren. Er ließ sich im Februar 1952 taufen und sie drei Jahre später.

David Homer, ein weiterer Missionar, besuchte Albert Jérome in seinem kleinen Lebensmittelgeschäft. Anfangs machte sich dieser Mann gern lustig über die Wahrheit. Aber da David das Gefühl hatte, daß der Mann irgendwie aufrichtig war, ging er weiter hin. Schließlich fing Albert an zu studieren und machte schnell Fortschritte. Nach seiner Taufe studierten sie zusammen die Bücher „Ausgerüstet für jedes gute Werk“ und Zum Predigtdienst befähigt. All das trug dazu bei, daß Albert ein wertvoller Diener in der Versammlung wurde.

Verbreitung der guten Botschaft in Kreol

Heimbibelstudien stellten für die Missionare eine ungeahnte Herausforderung dar. Die Bücher waren in Französisch geschrieben, aber die Erklärungen mußten zumeist in Kreol gegeben werden. In manchen Gegenden stammte das einzige verfügbare Licht von einer kleinen, zur Öllampe umfunktionierten Milchdose. „Wir hatten nur gedämpftes Licht“, erinnert sich Alex Brodie, „aber die Lernbegierde des Studierenden machte alles wieder wett.“

Öffentliche Vorträge in Kreol, die in einem Park am Stadtrand von Port-au-Prince oder manchmal am Strand gehalten wurden, waren immer gut besucht. Die Missionare transportierten ihre tragbare Lautsprecheranlage auf dem Fahrrad dorthin und befestigten die Lautsprecher in den Palmen. Die Leute brachten ihren eigenen Stuhl mit oder setzten sich ins Gras.

Viel Interesse wurde in der Gegend von Carrefour vorgefunden, wo Dumoine Vallon wohnte. Daher wurde bei ihm zu Hause ein Versammlungsbuchstudium eingerichtet. Und wie sah es unterdessen in Vieux-bourg aus? Die Verkündiger predigten eifrig in den umliegenden Landgebieten und hielten überall öffentliche Vorträge. Sie reisten zu Pferd, mit dem Esel oder mit dem Maultier und schliefen unter freiem Himmel, wenn sie vom Einbruch der Nacht überrascht wurden. Doch mit einem Mal traten in Haiti Schwierigkeiten auf.

Überraschendes Verbot

In einem Brief vom 19. April 1951 setzte das Ministerium für religiöse Angelegenheiten das Zweigbüro davon in Kenntnis, daß die Tätigkeit der Zeugen Jehovas auf Haiti eingestellt werden müsse. In dem Brief beschuldigte man die Zeugen, „Landesfeinde“ zu sein und durch das Erwachet! kommunistische Propaganda zu verbreiten. Warum diese veränderte Haltung?

Schuld daran war die Geistlichkeit. Sie hatte die Regierung über Monate hinweg immer wieder auf die Streitfrage über den Fahnengruß hingewiesen. Katholiken denunzierten die Brüder als Kommunisten. „Nieder mit den Kommunisten!“ schrien sie oftmals, wenn sie irgendwo Zeugen sahen.

Viele Briefe mußten geschrieben werden, um die Behörden davon zu überzeugen, daß man ihnen falsche Informationen zugespielt hatte und Jehovas Zeugen nichts mit Politik zu tun haben; alles in allem dauerte es drei Monate. Schließlich wurde das Verbot im August aufgehoben.

Wie hatte sich all das auf das Werk ausgewirkt? Die Polizei hatte die Königreichssäle geschlossen. Aber die Zusammenkünfte wurden in den Wohnungen abgehalten, wo die Buchstudiengruppen der Versammlung zusammenkamen. Im Juli wurde in Carrefour noch unter Verbot aus einer Gruppe von zehn Verkündigern eine Versammlung gebildet; ihr Aufseher war Peter Lukuc. Außerdem trafen fünf weitere Gileadabsolventen ein. Sie erhielten ihre Aufenthaltsgenehmigung, unmittelbar nachdem das Verbot wiederaufgehoben worden war. In einer Stadt im Süden gingen die Brüder zur Polizei und baten um die Rückgabe der Einrichtung ihres Königreichssaals, die man ihnen weggenommen hatte; der Polizeichef gab sie ihnen zurück und sagte: „Geht, dient Jehova bis zum Ende!“

Begegnung mit dem Wodukult

Einer der neu eingetroffenen Missionare war Victor Winterburn. Er war Kanadier, 23 Jahre alt, wurde 1940 als Zwölfjähriger getauft und stand seit 1946 im Pionierdienst. Kurz nachdem Victor im September 1951 Zweigaufseher geworden war, geriet einer der Zeugen, Frank Paul, durch abergläubische Wodupraktiken in Lebensgefahr. Victor Winterburn und Alex Brodie eilten Frank zu Hilfe. Lassen wir sie erzählen, was passierte:

„Wir gingen Berichten von Brüdern nach und fanden Frank 1952 halb bewußtlos auf einer Tragbahre in einem Wodutempel liegen. Seine Hände hatte man an einen Pfosten hinter ihm gebunden. Seine Füße waren ebenfalls gefesselt. Ein Knebel hinderte ihn daran, seinen Mund zu schließen. Seine Lippen waren aufgeplatzt. Sein hager gewordenes Gesicht war voller Blasen. Wir versuchten, mit der ‚mambo‘ (Priesterin) zu reden, aber sie ignorierte uns. Auch mit Frank konnten wir nicht sprechen. Und wir konnten ihn nicht von dort wegholen. Sogar die Polizei sagte, sie könne nichts für ihn tun, weil er von seinen Eltern dorthin gebracht worden sei.

Wir besuchten seine Eltern und bemühten uns, die ganze Geschichte zu rekonstruieren. Seine Frau hatte ihn verlassen; weil er sein Kind ganz allein aufziehen mußte, arbeitete er zu Hause als Schneider. Dann wurde er krank und lag im Delirium; daher kam er ins Krankenhaus. Da seine Eltern glaubten, er sei von einem bösen Geist besessen, brachten sie ihn in den Tempel. Wie man uns später sagte, werden Kranke geschlagen, und man streut ihnen Cayennepfeffer in die Augen, um die bösen Geister auszutreiben.

Als sich sein Zustand verschlechterte, bekamen es seine Eltern mit der Angst zu tun und riefen einen Bruder herbei, der versuchen sollte, ihn zurück ins Krankenhaus zu bringen. Das Krankenhaus wollte Frank jedoch nicht aufnehmen, weil man dort wußte, wo er zuvor gewesen war. Erst nachdem sich eine in Krankenpflege erfahrene Schwester anbot, die nötige Medizin zu kaufen und sich um ihn zu kümmern, nahm man ihn auf. Die Versammlung sorgte für seine Mahlzeiten — was normalerweise die Aufgabe seiner Familie gewesen wäre.

Die Ärzte sagten, Frank habe Typhus und Malaria. Wir fragten uns, ob er jemals gesund werden würde. Aber er wurde gesund, nahm seinen Dienst wieder auf und heiratete später noch einmal. Er war den Brüdern in seiner Versammlung für ihre Hilfe und ihre liebevolle Unterstützung sehr dankbar.“

Ereignisreiche Reisen im Kreisdienst

Der Zweigaufseher besuchte — zumeist in Begleitung eines Missionars — gewöhnlich die Versammlungen als Kreisaufseher und predigte, wo er ging und stand. Auf einer solchen Reise im November 1951 fuhren Victor Winterburn und sein Begleiter 520 Kilometer mit dem Fahrrad bis nach Les Anglais im Süden. Während dieser Reise gingen sie im Durchschnitt knapp zehn Stunden täglich in den Dienst und gaben über 500 Publikationen ab.

Als Fred Lukuc diese Versammlungen im Frühjahr 1952 besuchte, erkrankte er an Malaria und mußte deshalb seinen Besuch abbrechen. Er schrieb später: „Von Cavaillon aus machte ich mich auf den 174 Kilometer langen Heimweg; mein Fahrrad war voll beladen mit persönlichen Sachen und Literatur. Die erste Nacht verbrachte ich in Vieux-bourg-d’Aquin, wo ich den letzten Rest meiner Medizin einnahm. Am nächsten Tag radelte ich über die Hügel nach Grand-Goâve; danach war ich völlig erschöpft. Dort übernachtete ich bei einem älteren interessierten Mann. Ich schlief nur wenig. Durch das Fieber und die Schweißausbrüche war ich völlig geschwächt. Der demütige alte Mann sorgte dafür, daß ich mit einem Lkw nach Port-au-Prince fahren konnte. Zu Hause im Bethel wurde mein Zustand so kritisch, daß mein Arzt mir empfahl, nach Kanada zurückzukehren, um wieder zu Kräften zu kommen.“

Aus diesem Grund verließ Fred Lukuc 1952 Haiti. Sein Missionargeist war jedoch ungebrochen, und drei Jahre später kehrte er zurück, um seine gute Arbeit fortzusetzen. Peter Lukuc mußte ebenfalls nach Kanada zurückkehren, weil er an einer Amöbenruhr schwer erkrankt war und behandelt werden mußte. Aber auch er kam nach Haiti zurück, um seinen Dienst mit unverminderter Begeisterung weiter auszuüben.

Neue Gebiete erreichen

Inzwischen waren von Port-au-Prince bis hinunter im Süden in Cayes Versammlungen entstanden. Man bemühte sich auch, in anderen Gegenden Gruppen zu gründen. Alex Brodie und Harvey Drinkle reisten durch die Sümpfe und Reisfelder der Artibonite-Ebenen in Richtung Norden nach Saint-Marc und dann durch kakteenreiches Land weiter nach Gonaïves. Harvey war ein unauffälliger, aber mutiger Mann. Viele Jahre später mußte ihm in Kanada wegen einer Krebserkrankung das rechte Auge operativ entfernt werden. Danach kehrte er jedoch in seine Zuteilung nach Haiti zurück.

Er und Alex fuhren auf ihren mit Literatur beladenen Fahrrädern über ungepflasterte Wege und besuchten unterwegs alle Häuser und Dörfer. Die Leute auf dem Land gehören in Haiti zu den Frühaufstehern. Also machten die Missionare ihren ersten Besuch gegen 6 Uhr morgens und predigten bis nach Einbruch der Dunkelheit. Übernachten durften sie in den kleinen strohgedeckten Häusern der gastfreundlichen Landbewohner. In Saint-Marc und in Gonaïves konnten sie in Hotels wohnen. Mit warmer Stimme sagte Alex später: „Es hat uns viel Freude gemacht, diese lebenslustigen Menschen aufzusuchen.“

Andere Missionare arbeiteten sich in Richtung Südwesten vor. Marigo Lolos, die später Alex’ Frau wurde, erzählte von ihrer Reise nach Jérémie mit drei anderen ledigen Missionarinnen — Naomi Adams, Virnette Curry und Frances Bailey:

„Im Januar 1952 gingen wir an Bord der Clarion — ein Segelboot mit Hilfsmotor. Die See war so stürmisch und das Boot schaukelte und schlingerte dermaßen, daß wir alle seekrank wurden; aber wir kamen in Jérémie an, wo wir beim Predigen viel Freude hatten und einiges an Literatur abgeben konnten.

Anschließend fuhren wir mit dem camion (ein als Bus umfunktionierter Lastwagen) bis nach Anse-d’Hainault. Der Lastwagen war mit Ware beladen, auf der die Männer saßen. Auf dem Rückweg kollidierten wir mit einem anderen Lastwagen; dabei wurde Frances verletzt. Naomi hatte eine Erste-Hilfe-Ausrüstung mit und konnte die Wunde versorgen; aber wir saßen in den Bergen fest. Wir wickelten Frances in eine Decke, legten sie auf ein Feldbett, setzten uns an den Straßenrand und beteten.

Ein Junge hatte den Zusammenprall unten im Tal gehört und kam mit einem Eisenkessel, Maniok und Kochbananen zu uns. Er machte Feuer und kochte uns etwas — ein Akt der Güte, der unser Herz rührte.

Die Nacht brach herein, und es wurde kalt und dunkel. Um 22 Uhr hörten wir ein Fahrzeug kommen; wir wußten, daß es nicht an uns vorbeifahren konnte. Die Straße war schmal, und an einer Seite ging es steil bergab. Naomi lief daher mit einer Taschenlampe in Richtung Fahrzeug und signalisierte dem Fahrer anzuhalten. Zu unserer Überraschung konnte er seinen Lastwagen wenden; und zu unserer Erleichterung nahm er uns nach Jérémie mit. Am nächsten Tag kehrten wir nach Port-au-Prince zurück, glücklich darüber, in diesem abgelegenen Gebiet die gute Botschaft verbreitet zu haben.“

Viele Menschen erinnern sich noch an diese mutigen Missionarinnen und sprechen heute noch von ihnen. Eine haitianische Schwester, die sich 1990 im Alter von 72 Jahren taufen ließ, erinnerte sich daran, daß sie den ersten Kontakt zur Wahrheit vor über 30 Jahren durch eine dieser Schwestern hatte. Sie sagte: „Heute wünschte ich mir, ich hätte damals mit ihr studiert und wäre eine Zeugin geworden. Dann hätte ich nicht all die Jahre vergeudet, in denen ich Jehova nicht gedient habe.“

Ein Pfarrer zeigt eine schwache Leistung

Die Brüder predigten freimütig und im Vertrauen auf Gottes Wort, wenn sie Geistlichen Zeugnis gaben. 1954 hatte ein Verkündiger eine Diskussion mit einem protestantischen Pfarrer und drei seiner Kirchenmitglieder. Es ging um die Unsterblichkeit der Seele. Als man dem Pfarrer in seiner eigenen Bibel (La Sainte Bible, nach einer Übersetzung von L. Segond) zeigte, daß es in Hesekiel 18:4 heißt: „L’âme qui pèche est celle qui mourra“ („Die Seele, die sündigt, sie selbst wird sterben“), sagte er glattweg, er könne das nicht glauben. Der Bruder erzählte, wie das Gespräch weiterging:

„Ich fragte ihn: ‚Was wird mit den Bösen und was mit den Gerechten geschehen?‘ Er erwiderte, die Bösen würden das ewige Feuer erleiden, wohingegen die Seelen der Gerechten, zu denen auch Adam gehöre, auferweckt würden, um sich mit Gott in seinem Königreich zu freuen. Er sagte, Gott habe Adam seine Sünde vergeben, als er ihn mit Tierfellen bedeckte. Er konnte nicht erklären, wie eine Seele, die nicht stirbt, auferweckt werden kann. Anhand verschiedener Bibeltexte zeigte ich ihm, daß Adam willentlich gesündigt hatte und wußte, was er tat; und wenn Gott ihm vergeben hätte, wären seine Nachkommen nicht als verurteilte Sünder, sondern vollkommen geboren worden.

Einige Tage später sagte eines der Kirchenmitglieder zu mir, sein Pfarrer wolle wissen, wieso Jehovas Zeugen so viel aus der Bibel wüßten. Sowohl mit ihm als auch mit anderen Kirchenmitgliedern begannen wir ein Studium; einer von ihnen begleitete uns bald darauf im Predigtdienst.“

Jehovas Zeugen in den Medien

Bis Anfang der 50er Jahre war in den Lokalzeitungen kaum etwas über Jehovas Zeugen zu lesen. Aber das änderte sich mit dem Kongreß „Neue-Welt-Gesellschaft“ im Yankee-Stadion (New York) im Juli 1953. Sechs Zeitungen brachten einen kostenlosen Bericht über die Delegierten aus Haiti. Die Zeitung Le National veröffentlichte ein Bild vom ersten Kongreßtag im Stadion und berichtete später, daß für Haiti ein ähnlicher Kongreß geplant sei.

Außerdem gewährten uns Rundfunkstationen in zwei Städten freie Sendezeit. Nachdem der Leiter einer Rundfunkstation den Text des gottesdienstlichen Programms der Watch Tower Society für die Öffentlichkeit mit dem Titel „Worüber man sich Gedanken macht“ gelesen hatte, änderte er sein Rundfunkprogramm und nahm die Sendung mit auf. Eine andere Rundfunkstation wollte die Sendung auf 30 Minuten verlängern.

Haitianische Brüder übernehmen mehr Verantwortung

Im Jahr 1954 kamen zwei Vorstandsmitglieder der Watch Tower Society nach Haiti. Der Besuch Milton Henschels in Verbindung mit einem Kongreß fiel mit dem Gedächtnismahl am 17. April zusammen, und die Brüder freuten sich, als er die Gedächtnismahlansprache hielt. Während seines Besuchs empfahl Bruder Henschel, den einheimischen Brüdern mehr Verantwortung zu übertragen. Es wurden daher Änderungen vorgenommen, so daß sich die Versammlungsdienstkomitees bald nur noch aus Haitianern zusammensetzten. Dadurch konnten sich die Missionare besser auf den Predigtdienst konzentrieren. Bruder Henschel hatte außerdem einen Satz Filme mit dem Titel „Die Neue-Welt-Gesellschaft in Tätigkeit“ dagelassen. Dieser Film wurde im ganzen Land vor großem Publikum vorgeführt.

Bei seinem Besuch in Haiti im August empfahl Fred Franz, das Zweigbüro und die Königreichssäle in bessere Gegenden der Stadt zu verlegen. Der Mietvertrag für das Gebäude, in dem das Zweigbüro, das Missionarheim und ein Königreichssaal untergebracht waren, lief aus. Um die Brüder zur Suche zu animieren, sagte der Versammlungsaufseher, Maurice Sanon, wiederholt: „Wenn wir keinen eigenen Saal finden, müssen wir die Zusammenkünfte unter freiem Himmel abhalten.“

Auf dem großen gepflasterten Hof des neuen Zweigbüros in der Rue Lafleur Duchène 39 gab es tatsächlich vorübergehend einen „Saal unter freiem Himmel“. Dort fanden einige Monate lang die Zusammenkünfte statt, bis die Brüder 1955 einen Bungalow in der Grande Rue mieteten. Mit Erlaubnis des Vermieters rissen sie die Innenwände des Hauses ein, wodurch sie einen Raum erhielten, der doppelt so groß war wie der Königreichssaal in der Rue Capois.

Da Bruder und Schwester Brodie damals wußten, daß sie demnächst Eltern werden würden, gingen sie noch vor dem Umzug in die Rue Lafleur Duchène zurück nach Kanada. Heute leben sie in Toronto, wo Alex als Ältester dient.

Fred Lukuc kommt zurück

Auf dem Bezirkskongreß in Dallas (Texas) im Jahr 1955 traf Fred Lukuc, der sich immer noch auskurieren mußte, zufällig Roland Fredette, der ihn bat: „Fred, komm wieder zurück nach Haiti. Es wird dir dort bessergehen.“ Fred diente damals auf der Watchtower Farm in Norval (Kanada). Aber seine Gesundheit war sehr angegriffen, und hin und wieder erlitt er einen Rückfall. Was sollte er tun?

„Im September 1955 ging ich mit Roland Fredette nach Cap-Haïtien; ich wog damals nur noch 54 Kilogramm“, schrieb Fred später. „Die Gesellschaft und die Brüder waren sehr liebenswürdig. Nach ein paar Monaten bat mich die Gesellschaft, im Norden Haitis als Kreisaufseher zu dienen. Was für ein Vorrecht! Aber wie sollte ich das schaffen? Ich fühlte mich nicht kräftig genug. Ich betete. Dann schrieb ich an die Gesellschaft: ‚Ich werde es versuchen.‘ Also nahm ich im Juni 1956 den Kreisdienst wieder auf. In den folgenden sechs Jahren wurde ich von Jehova reich gesegnet. Ich nahm sogar 18 Kilogramm zu und wurde wieder vollkommen gesund.“

Ein Mann darf es tun!

Im Jahr 1956 kamen weitere Gileadabsolventen nach Haiti. Zu ihnen gehörte Max Danyleyko, der Missionar in Quebec gewesen war und daher schon Französisch sprach. Er kam im Februar an und sollte der Partner von Grady Rains werden, der seit 1952 in Haiti war. Bruder Danyleyko erzählte über seine Anfangserlebnisse:

„In unserer Mietwohnung in Petit-Goâve gab es kein fließendes Wasser. Also machten wir uns mit einem Eimer auf den Weg zum öffentlichen Brunnen; plötzlich kamen Frauen angerannt, schnappten uns den Eimer weg und trugen ihn für uns. Sie sagten: ‚Yon nonm pa kapab fè sa!‘ (Das darf ein Mann nicht tun!) Das war Sache der Frauen. Dasselbe erlebten wir auf dem Markt. Es dauerte eine Weile, bis wir ihnen klarmachen konnten, daß ein Mann das sehr wohl tun darf. Später beobachteten wir, daß andere Männer unserem Beispiel folgten.“

Die Märkte finden zum Teil in riesigen Schuppen, zum Teil aber auch im Freien statt. Die zahllosen Waren liegen entweder auf langen überdachten Tischen oder werden draußen auf der gepflasterten Straße ausgelegt. Schauen wir uns einen solchen Markt einmal an.

Wir drängen uns durch die Mengen und laufen vorsichtig um die Händler und ihre Ware herum. Dann entdecken wir einige schöne Limetten und gehen auf die Frauen zu, die daneben sitzen; das anschließende Gespräch hört sich wie folgt an: „Wieviel kosten vier solche Limettenstapel?“ „Achtzig Centime.“ „Ich gebe Ihnen 50 Centime.“ „Nein, 70 Centime, mein letztes Angebot.“ Wir sagen: „Sechzig Centime“ und gehen weg. Sie ruft uns zurück. Wir zahlen 60 Centime, packen die Limetten ein und fragen: „Wa ban m’ degi?“ (Wie wär’s mit einem Geschenk?) Sie lächelt und gibt uns noch eine Limette dazu. Alle sind zufrieden.

Missionare in Saint-Marc

Als die Missionare George und Thelma Corwin im April 1956 in Haiti ankamen, wurde George sofort in den Dienst mitgenommen. Er sagte: „Vom Flughafen aus gingen wir ins Bethel und aßen zu Mittag; danach lud mich Peter Lukuc ein, ihn in den Dienst zu begleiten. Wir machten ein paar Besuche zusammen, dann bat er mich, in das eine Haus zu gehen, während er in das nächste ging. Und das an meinem ersten Tag in Haiti! Zudem in einer fremden Sprache! Die Haitianer sind jedoch sehr rücksichtsvoll, so daß ich es irgendwie schaffte.“

Das Ehepaar Corwin wurde zusammen mit Peter Lukuc nach Saint-Marc geschickt. Fürs erste drückte man ihnen einige abgelaufene Abonnementszettel in die Hand. Auf der Suche nach einer Frau, deren Name auf einem der Zettel stand, traf das Ehepaar Corwin deren Schwester Adèle Canel an, eine pensionierte Schullehrerin. Sie studierten zusammen das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ — die Frau in Französisch, die Corwins in Englisch. Schließlich machte auch ihr Mann beim Studium mit. Nach kurzer Zeit teilte dieses Ehepaar sein Zimmer ab und richtete den größeren Teil als Versammlungsstätte ein. Beide wurden Zeugen, und so nahm die Versammlung in Saint-Marc 1956 ihren Anfang.

Die Corwins studierten unter anderem mit Marc-Aurel Jean, dem Inhaber einer Schneiderei. Obwohl sein Vater Emmanuel nicht lesen konnte, hörte er zu und lernte mit. Kurz darauf besuchten beide die Zusammenkünfte und beteiligten sich am Predigtdienst — wobei der Vater seine Predigt auswendig vortrug. Nach einer Weile fing er mit einem Fischer ein Bibelstudium an. Vor dem Studium betrachtete er erst einige Abschnitte mit seinem Sohn und prägte sich die Gedanken fest ein; dann machte er sich, mit Bibel, Broschüre und Liederbuch ausgerüstet, auf den Weg zu seinem Studium, das er mit Lied und Gebet einleitete und abschloß — wie bei den Zusammenkünften.

Mit dem Film der Gesellschaft auf Reisen

Als Kreisaufseher reiste Fred Lukuc durch viele Landesteile. Von 1956 an zeigte er in allen Städten, die er besuchte, den Film Die Neue-Welt-Gesellschaft in Tätigkeit. In der Binnenstadt Hinche wählte er dafür einen Park gegenüber der katholischen Kirche aus. Sowie der Gottesdienst beendet war, ließ er ein paar Anfangsszenen der ersten Filmspule laufen, um die Aufmerksamkeit der Kirchgänger zu erwecken. Dann spulte er den Film an den Anfang zurück, sagte ein paar einleitende Worte und führte den gesamten Film vor. Obwohl es in Hinche damals lediglich zwei Sonderpioniere und zwei Verkündiger gab, sahen etwa 1 000 Personen den Film an.

In Mirebalais, südlich von Hinche, gab es keine Elektrizität. Wie konnte der Film dort gezeigt werden? Fred predigte einem Feldwebel und erwähnte sein Problem. Der Feldwebel sorgte dafür, daß der Film in der Kaserne gezeigt wurde, wo ein Generator stand. Zwar konnte die Stadtbevölkerung zu der Vorführung nicht eingeladen werden, aber er gestattete den wenigen Brüdern am Ort, anwesend zu sein. Unter den 75 Zuschauern waren auch die Frauen und Freunde der Soldaten.

Viele Jahre später, im Jahr 1988, hielt Fred Lukuc in der französischsprachigen Versammlung in Delray Beach (Florida) einen Vortrag; anschließend stellte sich der vorsitzführende Aufseher, Bruder Fabien, bei ihm vor und sagte: „Du hast mich 1957 während meiner Feldwebelzeit in Mirebalais besucht. Ich bin 1971 aus der Armee gegangen. Heute bin ich dein Bruder. Meine Tochter ist allgemeiner Pionier.“ Welch ein freudiges Wiedersehen nach 30 Jahren!

Ebenfalls in Mirebalais zeigte ein Zwanzigjähriger den Brüdern, was es heißt, tapfer zu sein. Obwohl er an beiden Beinen gelähmt war, ritt er zum Besuch des Kreisaufsehers auf seinem Esel in die Stadt. Für die Zusammenkünfte mußte er in den Königreichssaal huckepack hinein- und wieder hinausgetragen werden. Er predigte auch, auf seinem Esel sitzend, in seinem Dorf, das etwa 18 Kilometer entfernt von der Stadt liegt. Beim Bezirkskongreß in Port-au-Prince 1957 gehörte er zu den 54 Personen, die sich taufen ließen.

Fred kann sich auch noch deutlich an einige Verkündiger erinnern, die er vor über 30 Jahren in der Versammlung Ouanaminthe an der Grenze zur Dominikanischen Republik kennengelernt hat. Drei dieser ergebenen Zeugen liefen beispielsweise am Sonntag morgen von ihrer Wohnung zum Königreichssaal 19 Kilometer zu Fuß, um am Predigtdienst teilzunehmen. Sie gingen den ganzen Tag in den Dienst, besuchten die Zusammenkunft am Abend und liefen dann im Mondlicht wieder 19 Kilometer nach Hause zurück.

Produktive Pioniere

Auf seinen Reisen sah Fred malerische Landschaften. Noch schöner allerdings war die Tatsache, daß die Brüder wahrheitssuchende Menschen fanden.

In Petite-Rivière-de-l’Artibonite besuchte Fred zwei Sonderpioniere. Wie erging es ihnen im Dienst? Nach nur 14 Monaten wurden sie bereits von mehreren Personen, mit denen sie die Bibel studierten, im Dienst begleitet, unter anderem von Gaston Antoine (ein Apotheker), seiner Frau, seiner Schwester und deren Mann, einem ehemaligen Geistlichen der sogenannten Gemeinde Gottes. In jener Woche beteiligten sich elf Personen am Predigtdienst, sechs davon zum ersten Mal. Und viele weitere zeigten Interesse. Über 800 kamen zur Filmvorführung in einem Park, und auch die anderen Zusammenkünfte waren gut besucht.

Trotz Unwetter und Überschwemmungen

Im Jahr 1957 machte Peter Lukuc seine Runde als Kreisaufseher im Süden. Von Anse-à-Veau aus fuhr er mit dem Motorboot nach Baradères, einer Stadt, in der es des öfteren Überschwemmungen gibt. Nachdem er vor 30 Zuhörern einen öffentlichen Vortrag gehalten hatte, sah er, wie sich am Himmel riesige Wolken zusammenbrauten. Als er am nächsten Morgen mit dem Boot weiterfuhr, brach plötzlich ein gewaltiges Unwetter los; die Passagiere wurden im strömenden Regen klatschnaß. Das Boot legte daher in Petit-Trou de Nippes an.

Peter ließ sich vom Wetter nicht beirren. Noch am selben Nachmittag ging er im Regen predigen, weil er sich dachte, diese Stadt würde vielleicht zum ersten Mal ein Zeugnis erhalten. In der Stadt befand sich jedoch bereits ein Verkündiger, den er in Miragoâne kennengelernt hatte. Dieser Bruder war begeistert, Peter wiederzusehen. Auf der Rückfahrt am nächsten Morgen mit dem Boot nach Anse-à-Veau gab es erneut ein Unwetter. Allerdings kam das Boot in der inzwischen bereits überschwemmten Stadt sicher an.

Von Anse-à-Veau aus reiste Peter weiter und mußte den Grande-Rivière (den Großen Fluß) überqueren. Schon auf drei Kilometer Entfernung konnte er hören, wie der Fluß den Berg herunterstürzte. Der Fluß war unpassierbar. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang warteten Menschen an beiden Ufern. In der Zwischenzeit watete Peter barfuß durch den Schlamm, predigte in einigen Häusern und ließ eine Anzahl Zeitschriften zurück. Bis zum nächsten Morgen war der Fluß bis knapp unter die Schulterhöhe gesunken, so daß Peter ihn durchqueren konnte.

Auch in Miragoâne, einem malerischen Hafenort nordöstlich von Vieux-bourg, predigten die Brüder, und schafähnliche Menschen sprachen darauf an. Einmal machte der Sohn eines Baptistenpredigers bei einem Bibelstudium mit, bei dem es um die künftige neue Welt ging. Er war von der biblischen Erklärung angetan, daß die Erde ein Paradies wird, in dem es kein Leid, keinen Tod und nichts Böses mehr gibt. Ihm leuchtete ein, daß nicht alle guten Menschen in den Himmel kommen (2. Pet. 3:13; Offb. 7:9; 21:4, 5). Nach diesem Gespräch ging er schnurstracks in sein Dorf in den Bergen zurück, versammelte die Mitglieder der Kirche mitsamt seinem Vater und zeigte ihnen, was die Bibel wirklich über die Zukunft der Erde zu sagen hat. Am nächsten Tag sandten sie eine Delegation nach Miragoâne, die die Zeugen bat, zu ihnen zu kommen und mit ihnen die Bibel zu studieren. Der Prediger und die meisten Angehörigen dieser Kirchengemeinde begannen ein Studium, so daß etwa 30 Personen Zeugen wurden.

Ehemalige Stützen der Kirche

Auch im Norden nahmen die Menschen die biblische Wahrheit dankbar auf, obwohl sie dort stark in der Kirche engagiert waren. François Doccy und Jean Sénat fanden beispielsweise nach nur sieben Monaten in Port-de-Paix an der Nordküste zu ihrer Freude eine ganze Anzahl Personen, die Jehova dienen wollten. Während des Besuchs des Kreisaufsehers beteiligten sich neun Personen am Predigtdienst. Aus welchen Kreisen sie kamen, läßt ein Gespräch zwischen Fred Lukuc und einem katholischen Mädchen erkennen. Soweit sich Fred erinnern kann, lief das Gespräch wie folgt ab:

„Sie fragte: ‚Sind Sie heute allein predigen gegangen?‘ Ich erwiderte: ‚Nein, mit Rock St.-Gérard.‘ ‚Rock St.-Gérard?‘ fragte sie verblüfft. ‚Er ist jetzt ein Zeuge Jehovas‘, sagte ich. ‚Aber er war doch Vorsitzender der Vereinigung Légionnaires! Eine Stütze der katholischen Kirche!‘ rief sie. Ich fügte hinzu: ‚Seine Frau ist auch eine Zeugin.‘ Daraufhin erkundigte sie sich: ‚Stimmt es, daß Irlande Sarette mit euch Zeugen studiert?‘ Ich antwortete: ‚Ja, sie besucht unsere Zusammenkünfte und geht mit uns predigen.‘ Ihre Reaktion: ‚Ach, du grüne Neune! Sie war Vorsitzende der Organisation Croisée!‘ Ich sagte: ‚Da wäre dann noch Lucianne Lublin ...‘ Sie unterbrach mich: ‚Das sind ja schon vier Stützen der Kirche!‘ ‚Nun‘, meinte ich, ‚Sie sollten ebenfalls studieren.‘ ‚Das werde ich auch‘, war ihre Antwort.“

All diese Personen und viele andere ließen sich auf dem Bezirkskongreß im Dezember 1957 taufen. Don Adams von der Weltzentrale in Brooklyn war damals als Zonenaufseher zugegen.

Fortschritt trotz Widerstand

Mit dem Vordringen der guten Botschaft in neue Gebiete kamen auch falsche Anschuldigungen von seiten der Kirchenführer. Als Roland Fredette, Fred Lukuc und Hiram Rupp, ein Missionar von der vierten Gileadklasse, im Jahr 1957 nach Mont-Organisé gingen, das 35 Kilometer südlich von Ouanaminthe liegt, wurden die Bewohner dort von den Geistlichen gewarnt. „Die falschen Propheten sind da!“ sagten sie. „Amerikanische Spione sind im Dorf.“ „Hütet euch vor den Kommunisten!“

Taktvoll widerlegten die Brüder die Anschuldigungen. François Codio, ein prominenter Mann im Ort, diskutierte drei Stunden lang mit den Brüdern. Er war von ihren Erklärungen beeindruckt und nahm deshalb von jeder Publikation, die sie bei sich hatten, ein Exemplar entgegen. Andere Leute hörten zu, statt zu diskutieren, und viele nahmen Literatur.

Das Werk dehnte sich auch in Port-au-Prince aus; darum war ein größeres Zweigbüro erforderlich. Außerdem wurde die Umgebung des Zweiggebäudes in der Rue Lafleur Duchène während der politischen Unruhen im Jahr 1957 zu einer Brutstätte der Gewalt. Als daher der Mietvertrag für das Gebäude auslief, wurde das gesamte Bethelheim in die Pont-Pradel 3 in Bois-Verna verlegt, einer besseren Gegend der Stadt. Eine neue Versammlung wurde gegründet, die in diesem Haus die Zusammenkünfte in Französisch abhalten konnte.

Die politischen Unruhen gingen bis ins Jahr 1958 hinein, wobei innerhalb von zehn Monaten sechs Regierungswechsel stattfanden. Doch die Brüder predigten weiterhin Gottes Königreich als die einzige Lösung für Regierungsprobleme und verhielten sich nach wie vor neutral.

Früchte der guten Arbeit

Aus der kleinen Verkündigergruppe in Saint-Marc war bis zum Jahr 1958 eine gestandene Versammlung geworden. Das zeigte sich im August, als die Brüder ganz auf sich gestellt waren, weil die Missionare den internationalen Kongreß in New York besuchten. Die einheimischen Verkündiger predigten in jenem Monat mehr als die Monate zuvor, und zwei Neue nahmen den Dienst auf. Ein vortreffliches Beispiel für geistiges Stehvermögen und Eifer im Dienst!

George Corwin und seine Frau sind glücklich darüber, beim Aufbau dieser Versammlung mitgeholfen zu haben. Doch aufgrund familiärer Verpflichtungen mußten sie Saint-Marc im Mai 1960 verlassen und nach Kanada zurückkehren.

Weitere Missionare zur Unterstützung

Im Jahr 1958 kamen vier weitere Missionare an — Roland Sicard, Stanley Boggus, Steve Simmons und Maceo Davis. Nachdem Daniel Eyssallenne sie vom Flughafen abgeholt hatte, wurden sie bereits von Peter Lukuc erwartet, der ihnen Französischunterricht geben wollte. Einen Monat später versuchten sie sich in der Umgebung vom Missionarheim in der neuen Sprache. „Wir waren überrascht, daß uns die Leute nach besten Kräften halfen, die richtigen Worte zu finden“, erzählte Stanley Boggus.

Drei Monate später wurden Stanley und Steve nach Cayes geschickt; sie fanden schnell heraus, daß es mit Französisch allein nicht getan war. Stanley unterhielt sich nämlich einmal in Begleitung des Kreisaufsehers Max Danyleyko mit einer Frau, die immer wieder sagte: „M’pa sou sa.“ Da Stanley dachte, sie hätte gesagt: „Das wußte ich nicht“, erklärte er ihr, daß er aus ebendiesem Grund gekommen sei. Später erfuhr er von Max, daß sie gesagt hatte: „Ich bin daran nicht interessiert.“ Von da an lernte Stanley Kreol.

Ein Ehemann ändert seine Meinung

Im Oktober 1960 heiratete Stanley Boggus eine haitianische Pionierin namens Bertha Jean; beide blieben als Sonderpioniere in Cayes. Zwei Monate später lernten sie Edèle Antoine kennen, die sagte: „Ich glaube, daß Gott mit Ihnen ist. Würden Sie mir beibringen, wie man ihn anbetet?“ Trotz heftiger Gegnerschaft von ihrem Mann und den Nachbarn machte sie gute Fortschritte und ließ sich beim nächsten Kreiskongreß taufen. Als sie vom Kongreß wieder nach Hause kam, küßte ihr Mann sie und die drei Kinder zu ihrer großen Überraschung und sagte: „Willkommen zu Hause. Ich habe gehört, du hast dich taufen lassen.“ Von da an besuchte er alle Zusammenkünfte, wurde ein Zeuge und blieb treu bis zu seinem Tod viele Jahre später.

Etwa 25 Jahre nachdem Stanley Boggus Haiti verlassen hatte, ergänzte er diese Erfahrung noch mit folgender Anmerkung: „1987 wurde ich gebeten, als Unterweiser der Pionierdienstschule im französischen Kreis in New York zu dienen. Beim Durchsehen der Klassenliste stieß ich auf den Namen Edèle Antoine. Ja, sie war genau die Edèle, der ich vor 27 Jahren geholfen hatte, in die Wahrheit zu kommen. Es war eine Freude, sie unter den Pionieren zu sehen.“

Nicht mit der falschen Religion „draußen“ sein

Im Mai 1960 zog Sénèque Raphaël nach Mont-Organisé, um dort beim Gesundheitsamt zu arbeiten; kurz nach seiner Ankunft wurde er von François Codio zu den Zusammenkünften in dessen Haus eingeladen. Sénèque — ein lebhafter junger Mann im Alter von 24 Jahren — äußerte den Wunsch, mehr über die Bibel zu lernen. François lieh ihm daher das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“, das Sénèque von vorn bis hinten durchstudierte. Bevor Sénèque im August nach Ouanaminthe fuhr, um seine Eltern zu besuchen und sich von den Baptisten taufen zu lassen, ermunterte François ihn, dort in den Königreichssaal zu gehen und sich mit einem Pionier namens Mercius Vincent in Verbindung zu setzen.

Mercius fragte Sénèque nach seinen Glaubensansichten; wie er sehen konnte, war sich Sénèque darüber im klaren, daß sich die Kirchenlehren von dem, was die Bibel sagt, deutlich unterscheiden. Mercius schaute diesen kräftigen, dunkelhäutigen jungen Mann eindringlich an und sagte: „Also Monsieur, in der Bibel heißt es in Offenbarung 22:15, daß jeder, der eine Lüge liebt und sie verübt, ‚draußen‘ ist. Dazu gehören auch diejenigen, die Unwahrheiten lehren. Wenn Sie zu einer solchen Religion gehören, werden Sie ebenfalls ‚draußen‘ sein.“

Nach einer Pause fragte Sénèque: „Was soll ich tun?“ Mercius gab ihm die Broschüre „Diese gute Botschaft vom Königreich“ und versprach ihm, sie am nächsten Vormittag mit ihm zu studieren. Sénèque las die Broschüre durch und lernte einen Großteil davon auswendig. Nach seinem ersten Studium ging er noch am selben Abend in die Zusammenkunft; am nächsten Morgen schloß er sich den Brüdern im Predigtdienst an. Im Januar 1961 ließ er sich taufen. François Codio, der ihn mit der Wahrheit bekannt gemacht hatte, wurde nie ein Zeuge, aber seine Frau.

Auf mehr Wachstum eingestellt

Die Versammlung in Carrefour war inzwischen auf 54 Verkündiger angewachsen, daher begann sie mit dem Bau eines geräumigen Saals. Als das Dach aus Beton gegossen wurde, arbeiteten 67 freiwillige Helfer fleißig den ganzen Tag lang auf der Baustelle; die Schwestern machten ihnen währenddessen etwas zu essen. Am 17. Dezember 1960 hielt Fred Lukuc in dem neuen Saal vor einer großen, dankbaren Zuhörerschaft die Ansprache zur Bestimmungsübergabe. Dumoine Vallon diente hier viele Jahre lang als vorsitzführender Aufseher. Er kam 1978 in den Sonderpionierdienst und diente 1993 im Alter von 84 Jahren immer noch als Sonderpionier in der Versammlung Thorland-​Carrefour.

Mitte der 60er Jahre gab es in Haiti über 800 Verkündiger in 23 Versammlungen. Als Vergleich dazu: Im Jahr 1950 gab es 99 Verkündiger. Max Danyleyko wurde damals als Zweigaufseher ins Bethel geholt. Victor Winterburn beabsichtigte zu heiraten und ging etwa ein Jahr später mit seiner Frau nach Kanada zurück, weil sie Nachwuchs erwarteten.

Im Jahr 1961 wurde Fred Lukuc zur Mitarbeit und als Unterweiser der Königreichsdienstschule, die von Mai bis August stattfand, ins Zweigbüro geholt. Die Schulung, die insgesamt 40 Aufseher und Sonderpioniere durch diesen zweiwöchigen Kurs erhielten, kam gerade rechtzeitig, da er sie für die vor ihnen liegenden Prüfungen ausrüstete und stärkte.

Der Bezirkskongreß im Januar 1962 bereitete die einheimischen Brüder auch darauf vor, ihren Predigtdienst auszudehnen. Der Zweigaufseher spornte in seinen Ansprachen über den Pionierdienst alle Brüder, die die Voraussetzungen erfüllten und keine familiären Verpflichtungen hatten, dazu an, sich um den Sonderpionierdienst zu bewerben. Sénèque Raphaël, der sich damals ebenfalls bewarb, bemerkte dazu:

„Ich diente zusammen mit Emile Cinéus in Artibonite als allgemeiner Pionier und wollte unbedingt Sonderpionier werden. Daher gab ich meine Stellung beim Gesundheitsamt auf. Ich besaß 40 Dollar, eine Friseurschere und eine normale Schere und hoffte, damit für meinen Lebensunterhalt sorgen zu können, was mit Jehovas Hilfe auch immer möglich war.“ Sénèque hatte keine Ahnung, daß die Regierung, schon ein paar Tage nachdem er seine Bewerbung abgegeben hatte, gegen Jehovas Zeugen vorgehen würde.

Verhaftet!

Am 23. Januar 1962 wurden Max Danyleyko und Andrew D’Amico im Zweigbüro verhaftet, und der gesamte Vorrat der Erwachet!-Ausgabe vom 8. Januar 1962 (in Französisch) wurde beschlagnahmt. Andrew und Helen D’Amico, Missionare aus Kanada, wohnten im Bethel. Helen konnte der Verhaftung knapp entgehen, weil Andrew ihr gesagt hatte, sie solle sich im Badezimmer verstecken, in der Hoffnung, daß sie frei blieb, um den anderen berichten zu können, was passiert war.

Sie sagte: „Ich stand hinter der verschlossenen Tür und betete.“ Sie hörte, wie die Männer das Zimmer durchsuchten. Dann kamen sie an die Badezimmertür. Doch irgend jemand erwähnte etwas von einer anderen Tür, und so durchsuchten sie den Rest des Hauses. Als sie gingen, ließen sie jemand bis zum Einbruch der Dunkelheit draußen Wache stehen. Dieser ging, kurz bevor Donald Rachwal, ein anderer Missionar, der im Bethelheim wohnte, vom Dienst nach Hause kam. Nachdem Helen ihm erzählt hatte, was geschehen war, schickte er sie zu den Schwestern im anderen Missionarheim und setzte sich dann mit anderen befähigten Brüdern in Verbindung.

Inzwischen wurden die beiden festgenommenen Brüder mit 17 anderen Männern in eine kleine Zelle auf der Polizeiwache gesteckt. Sie versuchten, so gut es ging, auf dem Boden sitzend oder im Stehen zu schlafen, denn der Platz reichte nicht aus, um sich hinzulegen. Man verhörte sie den ganzen Mittwoch, sagte ihnen aber nicht, weswegen sie angeklagt wurden. Am nächsten Morgen brachte man sie vor einen hochgestellten Beamten, der auf einen Beitrag im Erwachet! vom 8. Januar über Haiti Bezug nahm und sie über die Gleichheit der Rassen belehrte. (Dieser Nachrichtenbeitrag war aus Zeitungsartikeln in Le Monde und Le Soir zitiert, in denen es um den Wodukult ging.) Er schickte sie hinaus, ohne ihnen Gelegenheit zu geben, sich zu verteidigen, und ließ sie frei.

Drei Wochen später, am 14. Februar, erklärte der Minister für auswärtige und religiöse Angelegenheiten: „Wir müssen die Kinder von Jehovas Zeugen von unseren staatlichen Schulen weisen.“ Das stand in Zusammenhang mit einer jungen Schwester, die von der Schule gewiesen wurde, nachdem sie ihrer Schulleiterin brieflich erklärt hatte, warum sie die Fahne nicht grüßen könne. Die Schulleiterin — eine katholische Nonne — hatte den Brief an die Behörden weitergeleitet. Zur selben Zeit wurde noch eine Schwester von der Schule gewiesen. Beide Mädchen standen in ihrem letzten Schuljahr und waren hervorragende Verkündigerinnen.

Abgeschoben!

Vier Wochen später, am 17. März, wurden Max, Donald, Andrew und Helen vom Polizeichef persönlich davon unterrichtet, daß alle Missionare das Land binnen 24 Stunden verlassen müßten. Der Grund wurde nicht genannt. Danach brachte man sie nach Hause, damit sie ihre Pässe holen konnten. Dort trafen sie Albert Jérome, der inzwischen Stadtaufseher war, und erzählten ihm kurz, was los war.

Wieder auf der Polizeiwache, wurden sie bewacht. Rodrigue Médor studierte jedoch mit dem wachhabenden Polizisten; Max schickte diesen mit einer Notiz zu den Brüdern, daß sie mit der kanadischen Botschaft Kontakt aufnehmen sollten. Mit der Hilfe des Polizisten konnte Rodrigue die inhaftierten Missionare nachts besuchen und von ihnen den Schlüssel für das Postfach der Gesellschaft holen. Dieser Beamte erledigte auch allerlei Gänge für die Brüder, indem er für sie Lebensmittel einkaufte, Verbindung zu den Brüdern aufnahm und nach ihrer Post schaute.

Am Sonntag, den 18. März wurden die drei Kanadier unter Bewachung zum Flughafen gebracht, von wo aus sie nach Kingston (Jamaika) abfliegen sollten. Da sie jedoch keine Tickets zum Weiterflug nach Kanada hatten, nahm sie die Fluggesellschaft nicht an Bord. Auf dem Flughafen befand sich eine Reihe Brüder; so konnte Max Danyleyko mit Albert Jérome und einigen anderen ein paar Worte wechseln. Am nächsten Tag wurden sie unter Bewachung direkt ins Flugzeug gebracht und nach Kingston geflogen, wo sie ein paar Wochen blieben, bevor sie nach Kanada weiterflogen. Nur Donald Rachwal, der aus den Vereinigten Staaten stammte, flog mit einer anderen Maschine.

Am 3. April wurde der im Kreisdienst stehende Stanley Boggus zusammen mit den übrigen Missionaren ausgewiesen. Er kam später nach Zaire. 1971 kehrte er in die Vereinigten Staaten zurück, wo er den französischsprachigen Versammlungen in New York diente. Max Danyleyko kam nach ein paar Monaten Aufenthalt in Kanada zuerst nach Brazzaville (Kongo), dann in die Zentralafrikanische Republik, danach in den Tschad, anschließend nach Nigeria und schließlich in die Côte d’Ivoire, wo er heute noch ist. Fred Lukuc diente in Brazzaville (Kongo) und in der Côte d’Ivoire. Er und seine Frau wurden 1985 nach Kanada ins Bethel geholt, weil es ihnen gesundheitlich nicht gutging. Peter dient gegenwärtig einigen spanischsprachigen Versammlungen in den Vereinigten Staaten. Die übrigen Missionare dienen Jehova nach wie vor ebenfalls loyal oder sind in Treue gestorben.

Hämische Freude bei den religiösen Führern

Die religiösen Führer erzählten den Regierungsbeamten immer wieder, Jehovas Zeugen seien Kommunisten, die die Regierung nicht unterstützten. Die Geistlichen ließen die Zeugen außerdem wissen, sie würden nur auf eine Anordnung der Regierung warten, um sie loszuwerden.

Die Ausweisung der Missionare wurde von ihnen daher freudig begrüßt. Eine evangelikale Rundfunkstation an der Südküste gab die Nachricht mit hämischer Freude folgendermaßen wieder: „Christus und der Staat haben die falschen Propheten aus dem Land geworfen.“ Die Geistlichkeit hoffte, daß das Königreichswerk damit am Ende wäre. Bemerkenswert an der ganzen Sache war allerdings, daß Jehovas Zeugen nicht verboten wurden.

Haitianer setzen das Werk fort

André René, einer der ersten Haitianer, die in Gilead geschult worden waren, wurde Zweigaufseher, und die einheimischen Brüder setzten das Werk nach besten Kräften fort. Renan Sanon (der kurze Zeit als Kreisaufseher gedient hatte), Emile Cinéus und Don Delva wurden mit der Betreuung der drei Kreise betraut. Zum Leidwesen der Gegner wuchs das Werk weiterhin auf beachtliche Weise.

Sogar einige Geistliche nahmen die Wahrheit an. Sénèque Raphaël hatte beispielsweise mit Augustin Josémond, einem protestantischen Pfarrer in Liancourt, ein langes Gespräch über die neue Welt. Dieser Mann willigte in ein Bibelstudium ein, trat aus der Kirche aus und ließ sich taufen. Er und seine Familie — er hat zehn Kinder — sind sehr eifrige Zeugen.

Immer mehr Verkündiger nahmen den Pionierdienst auf. Darunter waren auch einige, die den Lese- und Schreibunterricht der Versammlung besucht hatten. Die Brüder spornten diese Pioniere an und unterstützten sie. Wer ein Geschäft hatte, machte ihnen sogar einen „Pionierpreis“ — einen verbilligten Preis für Waren und Dienstleistungen.

Die Versammlungen hatten eine solch gute Mehrung, daß es 1963 erstmals über 1 000 Verkündiger gab, nämlich 1 036. In jenem Jahr wurde ein neuer Kreis gegründet, und Sénèque Raphaël, der inzwischen ein begeisternder Redner geworden war, wurde als Kreisaufseher in den Norden geschickt. Sein kleiner Kreis konnte in vier Monaten bereist werden. Daher verwandte er die „freien Monate“ dazu, in Städte zu gehen, wo es keine Zeugen gab.

Zwei weitere vielversprechende junge Männer

Einige von denen, die damals Zeugen wurden, trugen später eifrig zur Förderung der wahren Anbetung bei.

Fulgens Gaspard hatte 1961 als 22jähriger miterlebt, wie ein Adventist eine Seite aus seiner Bibel herausriß, weil er die Bibeltexte, die ihm ein Zeuge zeigte, nicht widerlegen konnte. Obwohl Fulgens ein loyaler Katholik war, gab er zu, daß Jehovas Zeugen sich gut in der Bibel auskennen. Er stellte fest, daß er das, was er in einer geliehenen Bibel las, nicht verstehen konnte, deshalb bat er den zuvor erwähnten Zeugen, ihm zu helfen. Sie studierten jeden Sonntag. Bald kam er zu den Zusammenkünften, ging nicht mehr zur Kirche und beteiligte sich am Predigtdienst. Nach seiner Taufe im März 1965 setzte er sich als nächstes den Pionierdienst zum Ziel.

Im Jahr 1962 beschäftigte sich der 15jährige Wilner Emmanuel zusammen mit anderen Jugendlichen mit dem Marxismus. Er glaubte allerdings, daß es einen Gott gibt, der für die Ordnung im Universum verantwortlich sei. Ein Mitschüler, der Sohn von Diego Scotland, lieh ihm regelmäßig den Wachtturm, das Erwachet! und andere Publikationen aus. Sein 35jähriger Nachbar, Alphonse Hector, der damals noch kein Zeuge war, gab ihm das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ und empfahl ihm ein Bibelstudium.

Wilner erzählte später: „Noch am gleichen Abend las ich das ganze Buch durch und glaubte, von nun an Jehova hingegeben zu sein. Einige Tage später sorgte Alphonse dafür, daß Schwester Derenoncourt mit mir studierte. Sie war überrascht, wie gut ich das, was ich gelesen hatte, verstand.“ Wilner machte schnell Fortschritte und ließ sich im August 1965 taufen. Er setzte sich ebenfalls voll für Jehovas Königreich und die neue Welt ein.

Inzwischen hatte sich der damalige Zweigaufseher in Verbindung mit dem ihm anvertrauten christlichen Gut als untreu erwiesen und wurde 1966 ausgeschlossen. Prophète Painson, ein sanfter, zurückhaltender Mann im Alter von 29 Jahren, diente in den folgenden sechs Jahren als Zweigaufseher. Er hatte sich 1960 taufen lassen und stand seit 1962 im Pionierdienst. Das Zweigbüro befand sich mittlerweile in der Ruelle Waag, Ecke Avenue Christophe in Port-au-Prince.

Der seit zwei Jahren getaufte Fulgens Gaspard arbeitete 1967 als Schullehrer. Da er vorhatte, Pionier zu werden, bewarb er sich um eine Teilzeitstelle als Lehrer. Die Bitte wurde abgelehnt, deshalb kündigte er seine Stellung in der Hoffnung, sich seinen Lebensunterhalt als Kunstmaler zu verdienen, da die Malerei sein Hobby war. Bevor er sich jedoch für den allgemeinen Pionierdienst bewerben konnte, wurde er als Sonderpionier ernannt. Drei Monate später rief man ihn zur Arbeit ins Bethel, und im Januar 1969 nahm er den Kreisdienst auf. Dieser Mann mit seinem ruhigen Gemüt war ein gewandter öffentlicher Redner geworden, dem man gern zuhörte.

Widerstand begegnen

Im Jahr 1969 setzte die Geistlichkeit erneut das Gerücht in Umlauf, Jehovas Zeugen seien Kommunisten. Die Regierung startete eine Suchaktion nach subversiver Literatur, die angeblich von den Zeugen verwandt wurde. Dadurch entstand das Gerücht, daß die Zeugen in Port-au-Prince verhaftet würden. Viele Menschen vernichteten schleunigst die Zeitschriften, die sie erhalten hatten, und nahmen die Brüder nicht mehr freundlich auf.

In Einzelfällen gingen einheimische Beamte gegen unsere Brüder vor, obwohl sie von der Regierung keinerlei Anweisungen dahin gehend hatten. Zwei Sonderpionierinnen, Furcina Charles und Yolande Fièvre, erhielten eine Nachricht vom Präfekten von Limbé, in der es hieß: „Die Öffentlichkeit hat durch heftige Proteste kundgetan, daß Sie in Limbé unerwünscht sind. Hiermit teile ich Ihnen mit, daß wir Sie hier nicht länger sehen möchten.“ Der Bürgermeister sagte ihnen, er könne ihnen nicht gestatten, zu predigen und Zusammenkünfte abzuhalten, außer wenn sie eine Genehmigung von den Behörden in Port-au-Prince vorweisen könnten. Er ließ den Königreichssaal schließen. Aber diese Schwestern und die übrigen Verkündiger predigten weiter und hielten die Zusammenkünfte in Privatwohnungen ab, wobei sie Ort und Zeit für die Zusammenkünfte ständig wechselten.

Wenige Monate später heiratete Furcina den Sonderpionier Jacques François. Sie war 39 Jahre alt, seit 1959 getauft und seit 1961 im Pionierdienst. Jacques war 29 Jahre alt. Als er nach Limbé kam, verlegte er die Zusammenkünfte wieder in den Königreichssaal. Er sagte: „Jehovas Zeugen sind eine anerkannte Religionsgemeinschaft, und mir ist kein Verbot bekannt.“

Er und Furcina wurden festgenommen und zum Präfekten gebracht. Der Präfekt sagte ihnen, daß von ihm aus nichts gegen sie vorliege und die ganze Aktion vom Bürgermeister ausgehe. Am nächsten Tag sagte ihnen der Bürgermeister, der Chef der Miliz sei dafür verantwortlich. Der Chef der Miliz hingegen meinte, er habe nichts gegen sie. So konnten sie ohne weitere Schwierigkeiten die Zusammenkünfte abhalten. Jacques diente bis zu seinem Tod im Jahr 1993 treu als Ältester in Port-au-Prince.

Die Töchter eines Bürgermeisters erweisen sich als schafähnliche Personen

In Bassin-Bleu fing ein Sonderpionier im Jahr 1970 an, mit einem Priester die Bibel zu studieren; der Priester besuchte das Gedächtnismahl. Der Bürgermeister der Stadt wollte ihn jedoch davon abhalten und sagte: „Herr Pfarrer, Sie haben doch studiert. Es schickt sich nicht, daß Sie sich mit diesem ungebildeten Zeugen Jehovas hinsetzen und sich belehren lassen.“ Schließlich stellte der Priester das Studium ein.

Doch dann begann Josette, die älteste Tochter des Bürgermeisters, zu studieren. Obwohl ihr Vater Schwierigkeiten machte, bezog sie entschieden Stellung für die Wahrheit und ließ sich taufen. Später folgten ihre Schwestern ihrem Beispiel. Der Bürgermeister tat dies zwar nicht, wurde aber den Zeugen gegenüber immer freundlicher. Josette ist heute allgemeine Pionierin und mit einem Ältesten verheiratet.

Aufgrund der Gerüchte war es für unsere Brüder schwierig, Säle für Kongresse zu mieten. Deshalb bauten sie selbst einen einfachen Saal in Mariani (Port-au-Prince). Dieser Saal wurde von 1970 an benutzt und ständig erweitert, weil die Anwesendenzahl jedes Jahr stieg. Unter dem Wellblechdach war es zwar immer recht heiß, aber für die 2 049 Verkündiger im Jahr 1970 war der Saal besser als gar keiner.

Ein Haitianer kehrt zur Unterstützung nach Haiti zurück

Zu jener Zeit emigrierten immer mehr Haitianer nach Nordamerika. Wanderten in den 60er Jahren nur einige wenige aus, waren es Ende der 70er Jahre Unmengen von Menschen, die das Land in nicht sehr stabilen Booten verließen. Anfang der 60er Jahre gab es bereits so viel Haitianer in New York, daß man von einem französischsprachigen Missionargebiet sprechen konnte. 1969 wurde die erste französischsprachige Versammlung gegründet; aus dieser Versammlung kam Michel Mentor.

Dieser Haitianer, wohnhaft in den Vereinigten Staaten, begann 1966, mit den Zeugen zu studieren. Er machte schnell Fortschritte und ließ sich 1967 taufen. 1971 kam er zur Gileadschule, von wo aus er als Zweigaufseher nach Haiti geschickt wurde. Der damals stämmige, unverheiratete 34jährige hatte ein freundliches Wesen und bewies gute Führungseigenschaften. Sein Kommen wurde auch besonders deswegen begrüßt, weil Bemühungen, Missionare ins Land zu holen, vergeblich gewesen waren.

Andere Zeugen kamen von sich aus, weil sie als Pioniere dienen wollten, wo Hilfe dringender benötigt wurde. Dann beschloß die Gesellschaft im Jahr 1972, die Situation noch einmal abzuchecken und vier neue Gileadabsolventen als Missionare ins Land zu senden. Wie sie über den Minister für innere Angelegenheiten von einem höheren Beamten erfuhren, würden die Missionare jedoch strafrechtlich verfolgt, wenn sie nach Ablauf ihres Touristenvisums noch im Land blieben. Folglich gingen die Missionare nach Puerto Rico, wo sie auf ihre neue Zuteilung warteten. Kurz nach ihrer Abreise starb der höhere Beamte. Drei Monate später fiel der Minister in Ungnade, wurde aus seinem Büro entlassen und ging ins Exil.

Ein unerwarteter Verteidiger

Zumeist kam der Widerstand von Beamten, die durch die Propaganda von Geistlichen aufgestachelt worden waren oder in Zugzwang gerieten. Einige hatten selbst Vorurteile. Ihre Handlungen entsprachen nicht der offiziellen Haltung der Regierung. Der damals gerade verstorbene Präsident von Haiti hatte als Jugendlicher mit den Zeugen studiert. Er wählte zwar einen anderen Lebensweg, hatte aber stets Achtung vor den Brüdern. Außerdem wurden die Zeugen von hochgestellten Personen immer wegen ihrer Ehrlichkeit, ihrer politischen Neutralität und ihrer Achtung vor dem Gesetz bewundert. Ein Pionier erzählte in dieser Verbindung folgende Erfahrung:

„Als ich einmal zwei Männern in Port-au-Prince Zeitschriften anbot, meinte der eine: ‚Wenn ich könnte, würde ich euch Zeugen Jehovas alle ins Gefängnis stecken.‘ Bevor ich etwas erwidern konnte, schaltete sich der andere ein, der Minister war. Er sagte ihm, er habe auf seinen Reisen und bei religiösen Zeremonien beobachtet, daß Jehovas Zeugen die einzige Religionsgemeinschaft seien, deren Anbetung nicht mit Spiritismus durchsetzt sei. Dann meinte er: ‚Jehovas Zeugen praktizieren das wahre Christentum.‘ “

Auf der Suche nach besseren Zweigeinrichtungen

Manche betrachteten das Werk der Zeugen Jehovas in Haiti mit Geringschätzung und meinten, es fehle das nötige Profil, weil die Gesellschaft dort kein eigenes Zweigbüro besaß. Im Jahr 1971 hatte die Gesellschaft von einem Rechtsanwalt ein Haus in der Rue St.-Gérard gemietet. Sobald dieser jedoch erfuhr, daß das Haus von Jehovas Zeugen benutzt wurde, weigerte er sich, den Mietvertrag zu erneuern.

Nach vielem Suchen fand man ein Haus in der Rue Chérièz in Canapé-Vert, das dann vier Jahre lang als Zweigbüro diente, bis man 1975 nach Delmas umzog; das Haus dort war jedoch viel zu klein. Michel Mentor erinnerte sich: „Wir mußten die Literaturvorräte in den Schlafzimmern, im Empfang und auf den Treppen stapeln. Der Zonenaufseher riet uns daher, uns nach einem anderen Haus umzusehen; so entstand die Idee, Bauland zu suchen.“

Von einigen Geistlichen gelobt, von anderen verurteilt

Im Jahr 1968 erhielten die Brüder das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt. Sie machten begeistert davon Gebrauch. Diese Veröffentlichung trug dazu bei, junge Menschen für die Bibel zu gewinnen. Manche Geistliche verwandten das Buch in ihren Predigten, ließen dabei jedoch den Namen Jehova weg.

Ein katholischer Priester zeigte es im Jahr 1972 sogar in der Kathedrale von Port-au-Prince und sagte: „Wenn Jehovas Zeugen Ihnen dieses kleine blaue Buch anbieten, nehmen Sie es. Es enthält die Wahrheit.“ Eine Frau starrte ihn verblüfft an. Ihr Sohn war ein Zeuge, und sie hatte ihm bisher Widerstand geleistet. Sie ging heim und fragte ihn, ob Jehovas Zeugen ein kleines blaues Buch hätten. Er bejahte es. Daraufhin erzählte sie ihm, was der Priester gesagt hatte, und als ihr Sohn ihr ein Studium anbot, willigte sie ein. Später ließ sie sich taufen und wurde eine Zeugin.

Im allgemeinen war die Geistlichkeit jedoch aufgebracht, weil ihre Schäfchen die Kirche verließen. Sie machten das Wahrheits-Buch von der Kanzel herab schlecht. Protestantische Pfarrer wie Evane Antoine und Louis Désiré begannen, im Rundfunk gegen die Zeugen zu wettern. Antoine ergötzte sich geradezu daran, das Buch in einer Rundfunksendung des MBC jeden Sonntagnachmittag Satz für Satz auseinanderzupflücken und gehässige Bemerkungen über die Lehren von Jehovas Zeugen zu machen. Auf diese Weise wollte er die Leute gegen das Wahrheits-Buch aufhetzen.

Doch das Gegenteil war der Fall. Die Leute wurden neugierig, und das Buch fand von 1972 bis 1975 reißenden Absatz. Die Menschen hielten die Verkündiger oft auf der Straße an und fragten nach „ti liv po ble a“ (dem kleinen blauen Buch). Viele von ihnen wurden Zeugen.

Die Rundfunksendungen weckten auch das Interesse hoher Regierungsbeamter an Jehovas Zeugen. In dieser Verbindung erzählt Rodrigue Médor:

„Michel Mentor und ich wurden wegen der Fahnengrußfrage zum Minister für religiöse Angelegenheiten zitiert. Er erkannte mich als seinen Schneider wieder und meinte: ‚Sie machen uns so viel Ärger?‘ Dann sprach er über den Pfarrer in der Radiosendung. ‚Warum verteidigt ihr euch nicht?‘ fragte er. Ich erklärte, wir hätten kein Interesse an öffentlichen Diskussionen, die der Würde unserer Botschaft nur schadeten.“

Jehovas Zeugen im Rundfunk

Im April 1973 begann die Gesellschaft jedoch mit einer eigenen 30minütigen Sendung, die den Titel trug: „Dein Wort ist Wahrheit“ und jeden Mittwochabend von Radio Haiti ausgestrahlt wurde. Das Ziel dieser Sendung war, über Jehovas Zeugen besser zu informieren und Vorurteile abzubauen, die durch die Hetzkampagnen im Rundfunk gegen Jehovas Zeugen entstanden waren. In der Sendung ließ man sich nicht auf Kontroversen über die Behauptungen der Pfarrer ein, sondern beschäftigte sich mit Themen wie der Zukunft der Erde, dem Vorsatz Gottes und dem Familienleben. Das Material dafür entnahm man den Publikationen der Gesellschaft, beispielsweise dem Buch Ist die Bibel wirklich das Wort Gottes? und der Zeitschrift Erwachet! Dadurch hatte diese Sendung ein höheres Niveau als die Sendungen der Pfarrer, und die Leute bewunderten und achteten das.

Als das Ziel der Sendung erreicht war, wurde sie, unter anderem aus Kostengründen, im November 1974 abgesetzt. Inzwischen hatten die Leute gesehen, daß sich Jehovas Zeugen sehr wohl verteidigen können. Und die Brüder konnten nach wie vor sehr viele Wahrheits-Bücher verbreiten.

Religiöse Führer und Personen, auf die sie großen Einfluß hatten, starteten jedoch einen neuen Angriff, indem sie die Fahnengrußfrage in den Schulen wieder aufbrachten. In einigen Zeitungsartikeln wurde gegen die Zeugen gehetzt. Deshalb mußten sich die Behörden erneut mit dieser Frage beschäftigen. Die Minister der Regierung bestellten Rodrigue Médor zu sich und teilten ihm mit, daß ihnen die ganze Sache im Grunde peinlich sei. Sie kannten ihn gut und achteten ihn; und so ließen sie die Sache auf sich beruhen.

Das Problem, passende Säle zu finden

Manche Beamte, die zum Teil von Kirchentreuen beeinflußt waren, erlegten Jehovas Zeugen Einschränkungen auf. Sie nutzten es aus, daß die Zeugen in Haiti keine gesetzlich eingetragene Körperschaft waren, und hielten Baugenehmigungen für Königreichssäle zurück. Das Problem mit den Sälen war jedoch hauptsächlich finanzieller Natur. Die meisten Versammlungen konnten sich den Bau eines Königreichssaals nicht leisten und mieteten deshalb kleine Gebäude, die oft nicht einmal mit dem Nötigsten ausgestattet waren. Einige Personen schreckten davor zurück, die Zusammenkünfte in solchen einfachen Gebäuden zu besuchen. Bei bestimmten Anlässen schnellte die Besucherzahl allerdings nach oben. In einer Versammlung mit 100 Verkündigern waren im Jahr 1975 beim Gedächtnismahl über 400 Anwesende. Vor dem Saal befanden sich mehr Personen als im Saal. Es mußte irgendein Weg gefunden werden, um Königreichssäle bauen zu können.

Einige Versammlungen schafften es, indem sie von finanzkräftigen Brüdern Darlehen erhielten; später sorgte die leitende Körperschaft für eine Vorkehrung zur Finanzierung von Königreichssaalbauten. Seitdem diese Vorkehrung besteht — sie wurde 1978 eingeführt —, sind viele schöne Säle gebaut worden.

Zweigkomitee

Im Jahr 1976 wurde die Vorkehrung des Zweigkomitees eingeführt. Die ersten Mitglieder des Zweigkomitees waren Michel Mentor, Sénèque Raphaël und Défense Joseph, der 11 Monate nach seiner Taufe im Jahr 1962 bereits den Sonderpionierdienst aufgenommen hatte. Rodrigue Médor wurde 1977 ein Mitglied des Komitees. 1980 zog Défense Joseph in die Vereinigten Staaten, um sich familiärer Verpflichtungen anzunehmen.

Als 1978 die Broschüre Blut, Medizin und das Gesetz Gottes (in Französisch) veröffentlicht wurde, bat das Zweigkomitee Wilner Emmanuel, sich mit der Medizinischen Fakultät der Universität von Haiti in Verbindung zu setzen. Der Dekan rief die Medizinstudenten zusammen und bat Wilner, den Standpunkt der Zeugen Jehovas in puncto Blut zu erklären. Nach dem Vortrag nahmen alle gern Gratisexemplare der Broschüre entgegen. Viele dieser Studenten, inzwischen praktizierende Ärzte, haben seitdem den Standpunkt der Zeugen Jehovas in Verbindung mit Bluttransfusionen respektiert.

Endlich neue Missionare!

Im Mai 1981 konnte endlich wieder ein Missionarehepaar ins Land einreisen und eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. John und Inez Norman waren in Kanada im Kreisdienst gewesen, wo sie gute Arbeit geleistet hatten. Ein Bezirksaufseher sagte einmal über Johns Art zu predigen: „Es ist interessant, mit ihm predigen zu gehen, weil man nie weiß, was er an der nächsten Tür sagen wird. Er ist ein richtiges Original.“

John wurde 1940 in Montserrat (Westindien) geboren und wuchs in Kanada auf. Seine Eltern dienten in Liberia, wo mehr Verkündiger gebraucht wurden. John ließ sich 1954 taufen und begann 1958 mit dem Pionierdienst. Seine Frau, eine Kanadierin, war seit 1968 Pionierin.

Nach ihrer Ankunft in Haiti schickte man die beiden eine Weile in den Pionierdienst. Im Januar 1983 wurden sie schließlich ins Bethel geholt, und John wurde zum Zweigkoordinator ernannt. Michel Mentor hatte dem Zweig elf Jahre lang auf ausgezeichnete Weise vorgestanden. Nun kam er in den Reisedienst als Bezirksaufseher und diente während der Monate, in denen keine Kongresse stattfanden, als Sonderpionier.

Weitere Missionare aus Kanada, den Vereinigten Staaten, Belgien, Frankreich, Nigeria und aus der Karibik tragen bis heute ebenfalls ihren Teil zur Förderung des Königreichswerks in Haiti bei. Sie lieben die Menschen. Es macht ihnen Freude zu predigen — den vielen Armen in dichtgedrängten Hütten entlang den Wasserrinnen genauso wie den Reichen in ihren Luxushäusern. Arme und reiche Menschen — Richter, Ärzte, Ingenieure, Geschäftsleute, Händler, Kaufleute und einfache Arbeiter — predigen mit ihnen von der kommenden neuen Welt.

Dort dienen, wo mehr Hilfe benötigt wird

Zusätzlich zu den Missionaren kamen viele auf eigene Initiative nach Haiti, um dort zu dienen, wo mehr Hilfe benötigt wird. Dazu gehörten unter anderem Maxine Stump und Betty Wooten, die in Pétion-ville und Thomassin gute Arbeit leisteten. Maxine ging nach Thomassin, einem Ort, von dem viele nie gedacht hätten, daß es dort einmal Zeugen geben würde.

Mit 55 Jahren spürte Maxine allmählich ihr Alter. Ihr Ehemann hatte sie und die Organisation Jehovas verlassen. Dennoch harrte sie in diesem bergigen Gebiet trotz Widerstands der Einheimischen 23 Jahre aus. Ihr begrenztes Französisch oder Kreol klang eher wie Englisch. Vielleicht mußten ihr die Leute aufmerksamer zuhören, um sie zu verstehen; aber ihr herzliches Interesse und ihre Aufrichtigkeit zog die Menschen an. Sie studierte mit vielen Menschen, die daraufhin Zeugen wurden. Bis 1992 war sie als Pionierin in Thomassin, dann — im Alter von 75 Jahren — wurden ihr die Berge zu beschwerlich. Sie kehrte in die Vereinigten Staaten zurück, wo sie medizinisch behandelt wurde, und führt heute ihren Pionierdienst in Florida durch.

Betty Wooten fing am Tag ihrer Taufe im Jahr 1962 mit dem „Pionierdienst“ an. Ihr war nicht klar, daß sie sich dafür erst bewerben mußte. Richtig ernannt wurde sie 1967. Seit ihrer Ankunft in Haiti dient sie als Sonderpionierin in Pétion-ville. Sie ist eine temperamentvolle Schwarze und sieht viel jünger aus, als sie mit ihren 57 Jahren ist. Mitunter schwenkt sie im Eifer des Gefechts beim Erklären einer Bibelstelle von ihrem gebrochenen Kreol auf Englisch um. Aber aufgrund ihrer aufrichtigen Darbietung der Wahrheit und ihrer zwingenden Beweisführung hören ihr die Leute zu und sprechen darauf an.

Als John und Inez Norman 1982 im kanadischen Zweigbüro zu Besuch waren, fragte sie jemand aus der Abonnementsabteilung: „Wer ist Betty Wooten?“ Diese Abteilung bearbeitete Dutzende von Zeitschriftenabonnements, die Betty aufgenommen hatte. Warum hatte sie solchen Erfolg? Weil sie predigte, wo sie ging und stand. Ihr formeller Predigtdienst ergänzte ihr informelles Zeugnisgeben. In Geschäften, Restaurants oder an Tankstellen — überall und jederzeit ergriff sie die Gelegenheit, Zeitschriften, Bücher, Abonnements und Bibelstudien anzubieten. Sie kann zufrieden auf 22 Jahre des Dienstes in Haiti zurückblicken, in denen sie über 70 Personen helfen konnte, Jehova zu dienen.

Heute gibt es vier Versammlungen in Pétion-ville, zwei in Thomassin und eine weitere in Kenscoff — alles in allem waren 1993 also in einem Gebiet, wo es früher nur eine Versammlung gab, sieben Versammlungen mit nahezu 700 Verkündigern.

Ein houngan lernt die Wahrheit kennen

Unter den Haitianern, die Zeugen Jehovas wurden, ist auch ein ehemaliger Wodupriester — ein houngan — aus Labiche. Irilien Désir machte sich Gedanken über Gott und wollte den Wodukult aufgeben. Er teilte seinen Wunsch einem katholischen Priester offen mit und überreichte ihm sein Zubehör für die Woduzeremonien. Da man ihm jedoch keinerlei geistige Hilfe leistete, wandte er sich wieder dem Wodukult zu.

Dann schrieben ihm seine Söhne aus Port-au-Prince und aus Übersee, sie würden mit Jehovas Zeugen studieren und könnten ihm nur raten, dasselbe zu tun. Infolgedessen ritt er mit seinem Pferd 50 Kilometer bis nach L’Azile, um die Zeugen zu finden. Von da an kam er zweimal in der Woche zum Studium und zu den Zusammenkünften in L’Azile. Die Geister oder loas, denen er gedient hatte, fingen an, ihn zu belästigen, und kündigten ihm an, er werde bald sterben. Er ließ einen Sarg anfertigen, erklärte jedoch: „Ich habe keine Angst mehr vor dem Tod. Ich weiß, daß es eine Auferstehung geben wird.“ Da er aber nicht starb, benutzte er den Sarg als Vorratskammer für seine Nahrungsmittel.

Er schloß sich den Pionieren, die mittlerweile nach Labiche gesandt worden waren, im Predigtdienst an und ließ sich taufen. Später spendete er ein Stück Land, auf dem ein Königreichssaal gebaut werden konnte. Bis zu seinem Tod im Jahr 1989 blieb er Jehova treu ergeben.

Eine Revolution, aber keine neue Welt

Auf den engen Straßen von Port-au-Prince herrscht in der Regel großer Betrieb — ein kunterbuntes Durcheinander von überfüllten Fahrzeugen. Aber vom 5. bis 8. Dezember 1985 waren die Fahrzeuge und Straßen voller als sonst. Haiti war Gastgeber für Hunderte von Zeugen aus anderen Ländern. Sie besuchten den Kongreß „Bewahrer der Lauterkeit“ im Centre Sportif in Carrefour. Die 4 048 Verkündiger staunten nicht schlecht, als beim öffentlichen Vortrag mit dem Thema „Die von Gott festgesetzten Zeiten und Zeitabschnitte — Worauf deuten sie hin?“ 16 260 Personen anwesend waren.

Zwei Monate danach, am 7. Februar 1986, wurde die 28jährige Herrschaft Duvaliers durch eine Revolution beendet. Die Nation jubelte, weil sie sich nun bessere Zeiten versprach. Aufgrund der instabilen politischen Lage — bis 1992 gab es innerhalb von sechs Jahren sechs Regierungswechsel — verschlechterte sich jedoch die ohnehin schon ruinierte Wirtschaftslage und die Lebensqualität immer mehr.

Bau eines neuen Bethels

Inzwischen stand Jehovas Zeugen ein anderes historisches Ereignis bevor. Seit November 1984 hatten fachkundige internationale freiwillige Helfer aus Nordamerika und anderen Ländern beim Bau eines neuen Zweigbüros auf einem 4,5 Hektar großen Grundstück in Santo in der Nähe von Port-au-Prince mitgeholfen. Haitianische Zeugen mit Bauerfahrung wurden eingestellt, und Hunderte von Helfern arbeiteten freiwillig mit. In dem U-förmigen Gebäudekomplex befinden sich Büros, das Literaturlager und zweistöckige Wohnhäuser. Zur selben Zeit wurde ein Kongreßsaal gebaut.

Diese Gebäude wurden am 25. Januar 1987 eingeweiht. Charles Molohan von der Weltzentrale in Brooklyn hielt die Ansprache zur Bestimmungsübergabe. Das war ein freudiger und anspornender Anlaß. Die Brüder sind stolz auf ihr Zweigbüro. Und was halten sie von ihrem Kongreßsaal? Betty Wooten beschrieb die Empfindungen der Brüder folgendermaßen: „Das Grundstück ist wunderschön angelegt und mit Bäumen und Blumen geschmackvoll gestaltet. Der Saal mit all seinen modernen Annehmlichkeiten ist ganz auf das tropische Klima in Haiti zugeschnitten. Er macht dem Volk Jehovas Ehre.“ Fulgens Gaspard, der im Jahr 1987 ein Mitglied des Zweigkomitees wurde, weiß vor allem „die gute Entlüftung“ zu schätzen, „die es angenehm macht, dem Programm zu lauschen“.

Wertschätzung für die Literatur

Im Jahr 1987 wurde die Broschüre Für immer auf der Erde leben! in Kreol herausgegeben. Die Brüder freuten sich über dieses ausgezeichnete Hilfsmittel, durch das sie Menschen helfen können, sich die neue Welt bildlich vorzustellen, und sie gaben Unmengen von Broschüren ab. Die Broschüre ist auch als Lehrbuch für den Lese- und Schreibunterricht der Versammlungen sehr hilfreich; diese Kurse haben dazu beigetragen, daß die Analphabetenquote bei Jehovas Zeugen sehr niedrig ist. Zwischen 1987 und 1992 lernten 1 343 Menschen durch diese Kurse, an denen auch Personen teilnehmen können, die keine Zeugen sind, Lesen und Schreiben.

Durch das Buch Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben (in Französisch) konnte Tausenden von Menschen geholfen werden, die Bibel zu verstehen, und dieses Buch ist nach wie vor sehr gefragt. Doch 1989 kam die Broschüre „Diese gute Botschaft vom Königreich“ in Kreol heraus, die sich in Haiti natürlich ganz besonders gut verwenden läßt.

Seit 1989 hat das Buch Fragen junger Leute — Praktische Antworten das Interesse junger Leute innerhalb und außerhalb der Versammlung geweckt. Jugendliche halten des öfteren Zeugen auf der Straße an, um nach dem Buch zu fragen. Viele Bücher werden von Schülern oder Lehrern in Schulen abgegeben.

In Canapé-Vert gab Nelly Saladin, eine lebhafte junge Lehrerin, bei Schülern ihrer Schule in einem Monat über hundert Exemplare des Junge-Leute-Buchs ab. In Jacmel bestellte ein Lehrer mehrere Kartons dieser Bücher, um sie als Preise an seine Schüler zu vergeben. An einer ganzen Reihe von Schulen wird dieses Buch als Lehrbuch für den Sozialkundeunterricht verwendet.

Die Leiterin einer Berufsschule für Mädchen in Port-au-​Prince fragte ihre Nichte im Jahr 1990, ob sie irgendeine Idee habe, was man den Mädchen als Preis geben könne. Die Nichte studierte damals mit Jehovas Zeugen und schlug daher die Bücher Fragen junger Leute — Praktische Antworten, Das Familienleben glücklich gestalten und Mache deine Jugend zu einem Erfolg vor. Die Leiterin war begeistert und bestellte umgehend 40 Bücher und später noch mehr, so daß es insgesamt 301 waren. Einige Schüler, die diese Bücher damals erhielten, wurden Zeugen, andere sind heute ungetaufte Verkündiger.

Offizielle und gesetzliche Anerkennung

Im Jahr 1989 ist die Vereinigung, durch die Jehovas Zeugen vertreten werden, erneut gesetzlich anerkannt worden. Seit 1962 galt die Watch Tower Society in Haiti nicht als anerkannt. Aber Jehovas Zeugen blieben eine anerkannte Religionsgemeinschaft, weil die Verfassung Religionsfreiheit garantiert. Im Lauf der Jahre kam Rodrigue Médor wiederholt mit Ministern der Regierung zusammen und versuchte die rechtliche Anerkennung der Vereinigung von Jehovas Zeugen zu erlangen. Erst durch den Regierungswechsel im Jahr 1986 wurden die Voraussetzungen für den Erfolg günstiger. Daher beantragte die Rechtsabteilung des Zweigbüros bei der neuen Regierung die gesetzliche Anerkennung. Sie wurde gewährt, so daß L’Association Chrétienne les Témoins de Jéhovah d’Haiti (Christliche Vereinigung der Zeugen Jehovas von Haiti) einige Monate später eine gesetzliche Körperschaft wurde.

Darüber schrieb das offizielle Organ Haitis am 20. Februar 1989: „Da die Association Chrétienne ‚LES TÉMOINS DE JÉHOVAH D’HAITI‘ durch ihre Lese- und Schreibkurse seit vielen Jahren einen Beitrag zur Bildung der breiten Masse in den städtischen und ländlichen Gegenden des Landes leistet“, wird sie als „Organisation“ anerkannt, die „dem Wohl der Öffentlichkeit dient“ und der „die Rechte und Privilegien einer juristischen Person“ zustehen.

Dies ist bedeutsam, denn eine solche Organisation kann Besitz erwerben. Früher mußte Besitz für Königreichssäle und das Zweigbüro unter dem Namen der Brüder erworben werden. Das konnte nun im Namen der Vereinigung geschehen.

Als ehrbare Bürger geachtet

Jehovas Zeugen möchten Menschen verstehen helfen, warum Jesus seine Jünger beten lehrte: „Dein Königreich komme. Dein Wille geschehe ... auf der Erde“ (Mat. 6:10). Sie erklären ihren freundlichen und geduldigen Landsleuten in Haiti, daß es nicht der Wille Gottes ist, wenn Menschen hungern, krank werden, unter Gewalttaten leiden oder alt werden und sterben. Wie sie zeigen, besteht Gottes Wille vielmehr darin, hier auf der Erde eine neue Welt zu schaffen — ein Paradies, zu dem auch Haiti gehören wird. Und sie lehren die Menschen, gesetzestreu zu sein und ein rechtschaffenes, ehrliches Leben zu führen, damit sie in dieser neuen Welt ewig leben dürfen.

Viele anerkennen, daß die Zeugen durch diese Tätigkeit dem Wohl der Nation dienen. Nachdem im Jahr 1984 in Saint-Georges ein Mord begangen worden war, versteckten sich die Leute, weil die Polizei jeden festnahm und verhörte. Jehovas Zeugen predigten jedoch weiter, und die Polizei erlaubte ihnen, sich frei zu bewegen. Ein Polizist sagte: „Jehovas Zeugen predigen die Vernichtung der Bösen. Sie haben dieses Verbrechen nicht begangen.“

Während der Unruhen und Demonstrationen im Jahr 1991 wurde in Cité Soleil (Port-au-Prince) alles ausgeplündert; zur selben Zeit waren dort zwei junge Schwestern im Predigtdienst unterwegs. Zwei Soldaten kamen und stellten sich an die beiden Enden einer schmalen Gasse, so daß die Plünderer gezwungen waren, an ihnen vorbeizulaufen, und Peitschenhiebe erhielten. Wie erging es den Schwestern? Beide gingen mit dem Wachtturm in der Hand auf einen der Soldaten zu. Als er sah, daß sie Zeugen waren, ließ er sie unbehelligt passieren; alle anderen erhielten weiter Peitschenhiebe. Ein Offizier in Thomassique erklärte im Jahr 1991: „Ich weiß, daß die Jugend der Zeugen Jehovas sich an derartigen Aufständen, Demonstrationen und Plündereien nicht beteiligt.“

Der erste Saal in Schnellbauweise

Eine Versammlung in dem südlich gelegenen Ort Bidouze mit 14 Verkündigern hat als erste einen Königreichssaal in Schnellbauweise errichtet. Der Saal wurde in vier Tagen gebaut. Nach umfangreichen Vorbereitungsarbeiten fing man am Donnerstag, den 1. November 1990 bei strömendem Regen an zu bauen. 18 Brüder aus Port-au-Prince und ortsansässige Brüder arbeiteten jeden Tag hart, einige bis lange nach Sonnenuntergang im Mondlicht und im Schein einer Gaslampe. Das Gebäude wurde nicht aus vorgefertigten Teilen errichtet; daher mußten dort 1 500 Betonsteine einer nach dem anderen vermauert werden. Am Sonntag um 13 Uhr war der Saal jedoch gestrichen, und die erste Zusammenkunft konnte dort abgehalten werden — sie bestand aus einem verkürzten Wachtturm-Studium und der Ansprache zur Bestimmungsübergabe, bei der 81 Personen anwesend waren.

Das Baukomitee des Zweigbüros hatte damit bewiesen, daß es möglich ist, mit Hilfe der Schnellbauweise für Versammlungen auf dem Land bei einem Kostenaufwand von weniger als 5 000 US-Dollar bescheidene Königreichssäle zu bauen. Das ist ein wichtiger Faktor, wenn man bedenkt, daß die finanziellen Mittel der Brüder dort sehr begrenzt sind.

Immer mehr Königreichssäle werden benötigt. Zwischen 1990 und 1993 stieg die Zahl der Zeugen um über 1 900. Im Juni 1993 gab es eine neue Höchstzahl von 8 392 Verkündigern in 174 Versammlungen. Zu den sechs Bezirkskongressen „Göttliche Belehrung“ (1993) kamen insgesamt 19 433 Personen. Das Gedächtnismahl im April 1993 wurde von 44 476 besucht. In Carrefour, wo die erste Versammlung von Port-au-Prince gegründet wurde, sind Jehovas Zeugen heute die größte Religionsgemeinschaft.

Ein Blick in die neue Welt

Ja, immer mehr Menschen erkennen, daß nur Gottes Königreich den Leiden der Menschheit ein Ende machen kann und daß alle Bemühungen, diese alte Welt zusammenzuflicken, auf Dauer nichts bringen. Sie begrüßen deshalb die „gute Botschaft vom Königreich“ — die gute Botschaft von einer besseren Welt (Mat. 24:14).

Jehovas Zeugen in Haiti freuen sich, solchen Menschen zu helfen, heute schon ein besseres Leben zu führen, indem sie sie lehren, Gottes Wort anzuwenden, und indem sie ihnen die sichere Hoffnung auf ewiges Leben in Jehovas gerechter neuer Welt vermitteln.

[Übersicht auf Seite 168]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Verkündiger

10 000

8 000

6 000

4 000

2 000

0

1950 1960 1970 1980 1993

Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl

50 000

40 000

30 000

20 000

10 000

0

1950 1960 1970 1980 1993

[Karte auf Seite 116]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Port-au-Prince

Saint-Marc

Cavaillon

Cap-Haïtien

Port-de-Paix

Gonaïves

Vieux-bourg-d’Aquin

Hinche

Cayes

[Bild auf Seite 120]

Roland Fredette kam 1945 als Missionar nach Haiti und wurde dort der erste Zweigaufseher

[Bild auf Seite 122]

Versammlung in Vieux-bourg-d’Aquin, Mitte der 50er Jahre

[Bilder auf Seite 124]

Einige der ersten Missionare in Haiti: (1) David und Celia Homer, (2) Alex und Marigo Brodie, (3) Victor und Sandra Winterburn, (4) Peter Lukuc, (5) Fred Lukuc

[Bilder auf Seite 126]

Einige Brüder, die bereits Anfang der 50er Jahre eifrige Zeugen in Haiti waren: (1) Rodrigue Médor, (2) Albert Jérome, (3) Dumoine Vallon, (4) Benoît Sterlin, (5) Diego Scotland

[Bild auf Seite 132]

Gloria Hill, Naomi Adams, Helen D’Amico und Frances Bailey leisteten einen wertvollen Beitrag zur Predigttätigkeit in Haiti

[Bild auf Seite 139]

George und Thelma Corwin waren in ihrem Gebiet in Haiti wie manche andere der ersten Missionare mit dem Motorrad unterwegs

[Bild auf Seite 143]

Einige der ersten Königreichsverkündiger in Port-de-Paix: im Hintergrund die Sonderpioniere François Doccy und Jean Sénat; im Vordergrund Rock St.-Gérard, seine Frau und Lucianne Lublin

[Bilder auf Seite 147]

Max Danyleyko (oben) und Andrew D’Amico (links) wurden 1962 verhaftet und abgeschoben

[Bilder auf Seite 161]

Maxine Stump und Betty Wooten haben beide über 20 Jahre dort gedient, wo mehr Verkündiger gebraucht wurden

[Bild auf Seite 162]

Diesen Kongreßsaal in Santo benutzen die meisten Kreise in Haiti

[Bild auf Seite 167]

Freudige Missionare, die den Königreichsinteressen in Haiti dienen

[Bild auf Seite 169]

Zweigkomitee (von links nach rechts): Fulgens Gaspard, John Norman, Rodrigue Médor, Sénèque Raphaël