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Mexiko

Mexiko

Mexiko

BEI dem Namen Mexiko denken viele an buntgekleidete Tänzer, an Gitarristen, die romantische Serenaden spielen, und an verschlafene Dörfchen mit weißgetünchten Fassaden und roten Ziegeldächern. Anderen kommen die Verkehrsstaus in Megalopolen wie Mexiko-Stadt, Guadalajara oder Monterrey in den Sinn. Wieder andere sehen demütige, gastfreundliche Menschen vor sich, die stets ein gewinnendes Lächeln zeigen und jeden mit einem herzlichen Händedruck begrüßen. Das alles zeichnet Mexiko aus, aber noch vieles mehr.

Es ist ein Land, in dem geistige Wohlfahrt herrscht. Jehovas Zeugen sind zwar in über 230 Ländern und Inselgebieten tätig, aber seit 1987 werden mehr als 10 Prozent aller Heimbibelstudien in Mexiko durchgeführt. Dieses Programm zur biblischen Unterweisung führt zu guten Ergebnissen. In den vergangenen fünf Jahren haben sich in Mexiko 154 420 Personen taufen lassen, um ihre Hingabe an Jehova zu symbolisieren.

Damit in ganz Mexiko ein gründliches Zeugnis gegeben wird, muß allerdings noch viel getan werden. Die Bevölkerung zählt über 87 Millionen. Die Amtssprache ist Spanisch; es werden aber noch andere Sprachen und Dialekte gesprochen. Obwohl noch längst nicht jeder in Mexiko ein gründliches Zeugnis erhalten hat, sammelt doch Jehova für seinen Dienst Menschen aus all den verschiedenen Volksgruppen heraus, aus denen die Nation besteht. Wie geschieht das? Um diese Frage zu beantworten, laden wir unsere Leser zu einem Streifzug durch die Geschichte der Zeugen Jehovas in Mexiko ein.

Zunächst ist es jedoch angebracht, etwas über das mexikanische Volk an sich zu erfahren sowie über Geschehnisse, die seine Lebensanschauung geprägt haben.

Geschichte des mexikanischen Volkes

Woher stammen die Mexikaner? Die am weitesten verbreitete Theorie besagt, daß die ersten Volksstämme, die Mexiko besiedelten, asiatischer Herkunft waren und den amerikanischen Kontinent über die Beringstraße erreichten. Sie hatten sich schon lange vor unserer Zeitrechnung fest in Mexiko angesiedelt.

In der mexikanischen Geschichte tritt nicht nur ein einziger großer Indianerstamm hervor. Da gab es die Olmeken, die Mayas, die Zapoteken und die Tolteken. Als sich die Spanier um 1490 allmählich auf den Westindischen Inseln niederließen, hatten die Azteken im Süden des heutigen Zentralmexiko eine Vormachtstellung inne. Ihre Hauptstadt Tenochtitlán hatte einigen Schätzungen zufolge eine Einwohnerzahl von 250 000. Als sich jedoch der letzte Aztekenkaiser 1521 Hernán Cortés unterwarf, kam das Land unter spanische Herrschaft.

Die Azteken pflegten den Sonnenkult und beteten außerdem Naturkräfte wie Regen und Feuer an, denen sie die Erhaltung des Lebens zuschrieben. Mit der Ankunft der Spanier trafen zwei verschiedene Welten aufeinander. Unter spanischer Herrschaft wurde den Indianern die römisch-katholische Religion durch einen Staatserlaß aufgezwungen. Mit der Zeit ließen sie von den Menschenopfern, die zu ihrem früheren Kult gehörten, ab; andere Glaubensvorstellungen und Bräuche verschmolzen dagegen mit ihrer neuen Religion.

Abgesehen von der Ausbeutung durch europäische Machthaber, ging, gestützt auf die neue Religion, eine heimtückische Unterdrückung vor sich. Inwiefern? Das gesamte Bildungswesen stand unter der Macht der Kirche, und nur die wohlhabenden und einflußreichen Schichten profitierten davon, während das Volk ungebildet und unwissend bleiben sollte. Dadurch wurde es zu einer leichten Beute für religiösen Fanatismus.

Es vergingen fast dreihundert Jahre, in denen das Volk die Glaubenslehren und Bräuche der katholischen Kirche verinnerlichte. 1810 kam es dann zu einem Aufstand gegen die spanische Regierung. Angeführt von Miguel Hidalgo y Costilla, einem Priester, bildete dies den Anfang der Kriege, die zur Unabhängigkeit führten. Der neue Staat und die katholische Kirche blieben weiterhin eng verbündet, und das Volk bekannte sich weiterhin zum katholischen Glauben.

Doch mit der Zeit gelangte die Regierung zu der Überzeugung, die Religion würde mehr schaden als nützen, weshalb 1859 in den Leyes de Reforma, den Reformgesetzen, die Trennung von Kirche und Staat verfügt wurde. Auch die Enteignung des Kirchenbesitzes wurde in dieses Gesetz aufgenommen.

Ende 1910 wurde das Land erneut von einer Revolution erschüttert, die den Sturz des Diktators Porfirio Díaz zum Ziel hatte. Nachdem das geglückt war, versuchte man 1917 erneut, die Reformgesetze durchzusetzen. Diesmal wurde die Religionsfreiheit in Mexiko gesetzlich verankert, allerdings mit gewissen Einschränkungen, die vor allem den Einfluß der katholischen Kirche eindämmen sollten. Als die Aufstände abflauten, gewann etwas anderes, was noch größere Freiheit bringen sollte, an Boden: die Verbreitung der guten Botschaft von Gottes Vorsatz in Verbindung mit der Menschheit.

Eine theokratische Bildersammlung

Der Bericht über das Werk der Zeugen Jehovas in Mexiko ist wie eine Bildersammlung, wie ein wertvolles geschichtliches Album. Die erste Seite führt uns in das Jahr 1893 zurück. In jenem Jahr schrieb ein gewisser Herr Stephenson aus Mexiko einen Brief, aus dem hervorging, daß er nicht nur am Studium biblischer Wahrheiten interessiert war, sondern auch mit anderen Menschen in Mexiko darüber sprechen wollte. Der Brief war an das Büro der Watch Tower Society in Allegheny (Pennsylvanien, USA) gerichtet und lautete wie folgt: „Beiliegend finden Sie fünf Dollar. Senden Sie mir dafür bitte ein Jahr lang Zions Wacht-Turm und für den Restbetrag so viele Dreierserien von Millennium-Tages Anbruch wie möglich, denn ich möchte sie einigen Freunden hier und in Europa schicken. Ich hoffe, im Wacht-Turm Artikel zu finden, die in unserem Land viel Gutes bewirken könnten, wenn man sie ins Spanische übersetzte und hier veröffentlichte. Ich wäre sogar bereit, die Anbruch-Serie zu übersetzen, wenn ich das Geld hätte, sie zu veröffentlichen.“

Das geschah während des Regimes von Porfirio Díaz — zu einer Zeit, wo es in Mexiko einen sehr religiösen Adel und eine bitterarme Arbeiterklasse gab. Die Arbeiter waren ebenfalls tiefreligiös und wurden vom Klerus beherrscht. 1910/11 führten überhandnehmende Gewalttaten und Blutvergießen zu einem Regierungswechsel. Díaz wurde zum Rücktritt gezwungen.

Nachdem sich die Wogen der Revolution etwas geglättet hatten und das Land infrastrukturell und wirtschaftlich durch den Krieg völlig ruiniert war, begannen einige, nach Gott zu suchen. Viele, die nach Norden in die Vereinigten Staaten geflohen waren, kehrten zurück, und manch einer brachte in seinem Gepäck Kostbarkeiten in Form von bibelerklärenden Büchern mit. Auch unternahmen Bibelforscher aus den Vereinigten Staaten wiederholt Reisen nach Nordmexiko, um den Menschen dort die gute Botschaft zu überbringen. Dadurch lernte hier und da ein Mexikaner die Wahrheit kennen, der dann sein möglichstes tat, sie weiterzuverbreiten.

Die ersten organisatorischen Ansätze

Im Jahr 1917 reiste Abel Ortega, ein junger Mann, der Medizin studieren wollte, nach San Antonio (Texas). Dort sprach ein gewisser Bruder Moreyra mit ihm über Gottes Vorhaben mit der Menschheit. Abel änderte seine Pläne; zurück in Mexiko, verfügte er über einen besseren Plan: den Göttlichen Plan der Zeitalter. Das gefiel seinem Onkel, der ihm die medizinische Ausbildung vermittelt hatte, gar nicht, und von den neuen Glaubensansichten seines Neffen war er auch nicht angetan. Abel mußte sein Zuhause verlassen. Er zog nach Santa Julia, einer Siedlung am Stadtrand von Mexiko. Dort, unter einem großen, dichtbelaubten Baum, begann er Zusammenkünfte abzuhalten. Innerhalb von zwei Jahren wuchs die Gruppe auf etwa 30 Personen an.

Als die Gruppe immer größer wurde, war allen klar, daß ein geeigneter Saal beschafft werden mußte. Man fand einen im Zentrum der Hauptstadt. 1919 hielten die Bibelforscher übrigens auch viertägige kleine Kongresse in Mexiko ab.

Kurz danach ließ sich Abel Ortega jedoch von einer neuen Glaubensgemeinschaft in Frankreich in ihren Bann ziehen. Er trennte sich von seinen ehemaligen Glaubensbrüdern. Es kam zu Spaltungen, und nur noch wenige waren bemüht, den Willen Jehovas zu tun.

Das spanische Büro der Gesellschaft in Los Angeles

In der geschichtlichen Bildersammlung stoßen wir in dieser Zeit auf Roberto Montero, einen großen, schlanken Kolumbianer, der die Wahrheit in den Vereinigten Staaten kennenlernte und sich 1914 taufen ließ. In seiner ersten Liebe tat er sein möglichstes, um die gute Botschaft zu verbreiten. Eine Zeitlang arbeitete er im Bethelheim in Brooklyn, als C. T. Russell noch Präsident der Watch Tower Society war. „Allem Anschein nach“, so seine Tochter María Luisa Montero (de Bordier), „sandte Bruder Rutherford [der zweite Präsident der Watch Tower Society] meinen Vater 1917/18 nach Los Angeles, damit er die spanischsprachige Gruppe, die dort gegründet worden war, betreute und die Herstellung des Torre del Vigía, jetzt La Atalaya [Der Wachtturm], in die Wege leitete.“ Daraufhin richtete Roberto Montero in Los Angeles (Kalifornien) ein Büro ein und begann, die Publikationen der Gesellschaft ins Spanische zu übersetzen und sie dann auf Anfrage an spanischsprechende Personen zu versenden.

Von dort aus gelangte die Zeitschrift La Torre del Vigía nach Mexiko. Sie wurde monatlich oder alle zwei Monate versandt. Das Büro in Los Angeles verschickte auch die von Pastor Russell verfaßten Bücher. Der Göttliche Plan der Zeitalter und Das Photo-Drama der Schöpfung in Wort und Bild waren in Mexiko ziemlich bekannt.

Ein Zweigbüro in Mexiko

Obwohl die Gruppe, die früher mit Abel Ortega in Mexiko-Stadt verbunden war, eine schwere Zeit durchmachte, gab es aufrichtige Mexikaner, die nach der Wahrheit hungerten und weiterhin die Bibel mit Hilfe der Wachtturm-Publikationen studierten. Aus verschiedenen Gegenden der Republik gingen Briefe ein, in denen um Schriften gebeten wurde. So unternahm Roberto Montero Ende 1920 eine Reise durch Mexiko, um interessierte Personen zu besuchen. Er kam mit der Gruppe in Mexiko-Stadt zusammen — damals um die 13 Personen — sowie mit neugebildeten Gruppen in Monterrey, Guadalajara, Puebla und Veracruz.

Im Jahr 1925 gab es bereits einige Gruppen oder Versammlungen. In den nächsten paar Jahren stieg die Zahl dieser Versammlungen auf neun. Doch 1929 waren es nur noch vier.

Ende 1929 schenkte Bruder Rutherford Mexiko dann besondere Aufmerksamkeit und richtete in Mexiko-Stadt ein Zweigbüro ein. David Osorio Morales, ein junger Bruder aus den Vereinigten Staaten, wurde mit der Leitung des Werkes betraut. Da das Werk im Land nun besser organisiert war, machte die Verkündigung der guten Botschaft größere Fortschritte.

Damals herrschte zwischen der katholischen Kirche und der Regierung ein gespanntes Verhältnis. Einige katholische Kirchen waren geschlossen worden. Als sich der mexikanische Erzbischof Don José Mora y del Río 1926 gegen bestimmte Verordnungen der Verfassung aussprach, kam er ins Gefängnis. Daraufhin brach der Aufstand der Cristeros aus. Wieder einmal richteten Soldaten und oppositionelle Kräfte im Landesinnern die Waffen aufeinander. Nach etwa vier Jahren Krieg kam ein Abkommen zustande, und in den Kirchen wurde wieder Gottesdienst gehalten. Das Verhältnis zwischen Kirche und Staat beruhte jedoch lediglich auf gegenseitiger Toleranz. Die Verfassung von 1917, die den Einfluß der Religion begrenzte, blieb in Kraft. Es gab eine ganze Reihe Mexikaner, die nach Gerechtigkeit hungerten und dürsteten, doch nur wenige wußten, wo sie zu finden war.

Amtliche Eintragung

Am 23. Mai 1930 stellte das Zweigbüro der Gesellschaft beim Staatssekretariat einen Antrag auf Eintragung der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung. Als eines der Hauptziele wurde folgendes genannt:

„Daß die Internationale Bibelforscher-Vereinigung das Ziel verfolgt, durch jedes erdenkliche Mittel die Grundsätze und Wahrheiten zu verbreiten, die zur Kultivierung aller Gesellschaftsschichten, besonders aber der unteren Schicht, beitragen, in der Absicht, ihren Status zu heben, sowohl in wirtschaftlicher als auch in moralischer, psychischer und physischer Hinsicht.“

In dem Antrag wurde darauf hingewiesen, daß die Vereinigung zur Verwirklichung ihrer Ziele nicht nur Druckschriften verbreitet, sondern auch von anderen Kommunikationsmitteln Gebrauch macht und daß sie öffentliche Vorträge veranstaltet, in denen Themen im Licht der Bibel behandelt werden, und Studienklassen organisiert. Zu jener Zeit versuchte die mexikanische Regierung, dem religiösen Fanatismus mitsamt der Unwissenheit, die ihm Vorschub leistet, ein Ende zu machen. Darum wurden in dem Antrag besonders die erzieherischen Aspekte unseres Werkes betont. Was den Charakter der religiösen Tätigkeit der Vereinigung betrifft, lautete Teil „e“ von Paragraph zwei wie folgt:

„Daß ihre Mitglieder eine tiefe Ehrfurcht haben und durch Wort und Tat Jehova Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde, lobpreisen und daß sie ihre Empfindungen nicht durch Riten, Zeremonien etc. zum Ausdruck bringen, sondern nur durch Argumente und Schlußfolgerungen, die das Herz überzeugen und befriedigen, da sie eindeutig antiklerikal und gegen jeden Gewissenszwang und jede Vergewaltigung der Vernunft sind.“ Danach wurde unmißverständlich erklärt, daß wir „keine religiöse Sekte bilden“, was durch elf Punkte erhärtet wurde.

Am 2. Juni 1930 erhielten wir vom Staatssekretariat eine Antwort mit folgendem Inhalt: „Dieses Sekretariat genehmigt die für die Internationale Bibelforscher-Vereinigung beantragte Tätigkeit, solange besagte Vereinigung nicht gegen die Vorschriften in bezug auf Angelegenheiten der Religionsausübung und das öffentliche Verhalten verstößt ...“

Am 14. Dezember 1932 wurde dann ein neuer Antrag gestellt, und zwar auf Namensänderung von Internationale Bibelforscher-Vereinigung auf Sociedad de la Torre del Vigía (Wachtturm-Gesellschaft), ohne von den bereits festgelegten Anordnungen abzuweichen. Es wurden jedoch erläuternde Paragraphen hinzugefügt, wie zum Beispiel folgender:

„Wir beteiligen uns nicht an Politik. Wir glauben, daß Jehova der Schöpfer des Himmels und der Erde ist und daß die Bibel sein Wort ist, das zeigt, was er mit der Menschheit vorhat. Wir glauben, daß er verheißen hat, seine Regierung und seine Autorität unter der Leitung des Herrn Jesus Christus über die Erde auszuüben, und daß wir bereits in der Zeit der Aufrichtung dieser Regierung leben, unter der alle Nationen der Welt glücklich sein werden.“

Ein weiterer Paragraph legte die neutrale Haltung der Gesellschaft dar. Das Staatsministerium bestätigte, daß der Antrag am 20. Dezember 1932 eingegangen sei. Somit ist das Rechtsinstrument, dessen sich Jehovas Zeugen bedienen, schon vor über 60 Jahren in Mexiko amtlich eingetragen worden. In Übereinstimmung mit den damals dargelegten Zielen hat sich die Verkündigung der guten Botschaft über das ganze Land ausgedehnt.

Die gute Botschaft gelangt nach Chiapas

Schon vor der amtlichen Eintragung war die gute Botschaft nach Chiapas gelangt, einem südlichen Bundesstaat — allerdings nicht durch einen Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden. Ein wohlhabender Mann namens Del Pino reiste von Chiapas nach Europa, um Medizin zu studieren. Während seines Aufenthalts dort lernte er viel von den Bibelforschern. Zurück in Mexiko, richtete er einen Saal her, in den er seine Arbeiter von der Hazienda Montserrat sowie protestantische Prediger aus der Umgebung einlud. Er kannte sich in der Bibel gut aus, und es bereitete ihm Freude, den Versammelten grundlegende Wahrheiten erklären zu können.

José Maldonado, ein junger Mann, der 1924 auf der Hazienda arbeitete, hörte sich diese Erörterungen mit lebhaftem, aufrichtigem Interesse an. Es gibt keinen Hinweis, daß sich sein Arbeitgeber, Dr. Del Pino, Jehovas Zeugen je richtig anschloß, obwohl er die Wachtturm-Publikationen erhielt. Doch die biblischen Wahrheiten, die der junge José gehört hatte, weckten in ihm den Wunsch, sie anderen zu verkünden. 1927 ließ sich José in Tuxtla Gutiérrez nieder; er verkündigte von dort aus im ganzen Bundesstaat Chiapas die gute Botschaft und verbreitete biblische Schriften — und das ohne jede Schulung durch die Organisation. In Tapachula, einer Stadt nahe der Grenze zu Guatemala, begann damals Josefina Rodríguez ebenfalls, die biblische Botschaft zu predigen.

Ein paar Jahre später besuchte ein gewisser Bruder Carreón sowohl José Maldonado als auch Josefina Rodríguez. Er machte Bruder Maldonados Haus zum Ausgangspunkt seiner Tätigkeit, wo er alle vier bis fünf Tage seinen Literaturvorrat erneuerte, als er das gesamte Gebiet an der pazifischen Küste zwischen Arriaga und Tapachula durcharbeitete. Die Landschaft war herrlich, aber die Gebirgsstraßen ließen so zu wünschen übrig, daß man meistens zu Fuß gehen mußte. Abends hielt Bruder Carreón Vorträge und bot danach die Publikationen der Gesellschaft an. Auf diese Weise wurden viele Schriften abgegeben. Er verband seine Predigttätigkeit allerdings mit dem Verkauf von Handelsartikeln.

Im Jahr 1931 wurden die Kolporteure auf einem Kongreß in Mexiko-Stadt angewiesen, sich mehr auf die Verbreitung biblischer Schriften zu konzentrieren als auf den Verkauf von Waren. Bruder Carreón nahm daran Anstoß und verließ die Organisation. Dann tat er sich mit einem Herrn Pérez in Veracruz zusammen. Nach einiger Zeit gründeten sie eine Gruppe mit dem Namen Estudiantes Nacionales de la Biblia (Nationale Bibelforscher).

José Maldonado dagegen war von Anfang an davon beeindruckt, daß Jehovas Organisation international ist. Er war von dem, was er auf diesem Kongreß in Mexiko-Stadt hörte, tief bewegt. Das Programm hob den Namen Jehovas Zeugen hervor und betonte die Verantwortung, die es mit sich bringt, diesen Namen zu tragen. Noch ehe der Kongreß zu Ende war, hatte Bruder Maldonado beschlossen, seine ganze Zeit als Kolporteur dem Predigen zu widmen. Tatsächlich bestand ein großer Bedarf an Predigern der guten Botschaft. Damals gab es im ganzen Land nur 82 Zeugen Jehovas.

„Wir haben eine Menge Gebiet in Mexiko“

Da Bruder Maldonado seinen Dienst ausdehnen wollte, äußerte er im Jahr darauf den Wunsch, in Guatemala zu predigen, das an den Bundesstaat Chiapas grenzt. Die Antwort des Zweigbüros in Mexiko lautete: „Lieber Bruder Maldonado! Wir haben eine Menge Gebiet in Mexiko. Man kann sagen, daß es noch jungfräuliches Gebiet ist. Mexiko hat rund 15 000 000 Einwohner. Wir müssen mindestens 7 000 000 Zeugnisse geben, und es wurden erst 200 000 gegeben ... Wir haben in den nächsten fünf Jahren noch genug Arbeit für etwa 100 Kolporteure. Gegenwärtig sind aber nur 33 tätig. Du kannst Dir also vorstellen, wieviel Arbeit es in unserem Land noch zu tun gibt.“ (Ein Zeugnis war eine kurze Predigt über Jehova und seine Vorsätze, verbunden mit einem Literaturangebot.)

Bruder Maldonado und seine Frau wurden in den Bundesstaat Morelos, südlich von Mexiko-Stadt, gesandt, später wieder nach Chiapas und darauf in Richtung Westen nach Guerrero. „Als wir nach Guerrero kamen, kauften wir uns einen Esel mit Namen Volcán, den meine Frau sehr liebgewann“, erzählte Bruder Maldonado. „Es gab in der Umgebung von Arcelia keine öffentlichen Verkehrsmittel. Wir beluden den Esel auf der einen Seite mit Literatur und auf der anderen Seite mit einem Koffer voll Kleidung.“

Ende 1933 hielt sich Bruder Maldonado in Veracruz an der Ostküste auf. Während er dort tätig war, wurde ihm von Mexiko-Stadt aus eine neue Ausrüstung für den Predigtdienst geschickt: ein elektrischer Plattenspieler. Wenn eine Schallplatte mit einem biblischen Vortrag über Lautsprecher abgespielt wurde, konnte der Vortrag von einer großen Menschenmenge gehört werden. Bruder Maldonado gebrauchte diese Ausrüstung bei Versammlungszusammenkünften und an anderen Orten, um öffentlich Zeugnis zu geben. Wenn er und seine Frau abgelegene Orte besuchten, transportierten sie das Gerät auf dem Rücken eines Esels — es war allerdings nicht Volcán, denn ihn hatten sie aus plötzlicher Geldnot verkauft.

Bruder Maldonado faßte seine Tätigkeit wie folgt zusammen: „Von 1931 bis 1941 war ich Pionier. Ich reiste viel, weil ein Pionier damals ganze Bundesstaaten und nicht nur eine Siedlung bearbeitete.“

Einige Jahre hatten sie auch ihr kleines Kind dabei. Manchmal wurden sie mit Pistolen oder Schrotflinten bedroht. Bruder Maldonado kam ins Gefängnis, und einmal wurde er sogar geschlagen. Als ihre Tochter sieben Jahre alt wurde, hielten sie es für vernünftig, sich in Mexiko-Stadt niederzulassen. Dort setzten sie ihren Dienst fort. Später verließ er die Organisation eine Zeitlang, doch er kehrte zurück und diente Jehova bis zu seinem Tod.

Die nördlichen Bundesstaaten erhalten ein Zeugnis

Mittlerweile waren verschiedene Personen unabhängig voneinander aus den Vereinigten Staaten über die Grenze gekommen, um in Nordmexiko die Königreichsbotschaft zu predigen.

Da war zum Beispiel Manuel Amaya Veliz, ein hochgewachsener, hagerer junger Mann, der 1922 in El Paso (Texas) durch einen Arbeitskollegen von der Wahrheit gehört hatte. Damals war er in einer Gruppe aktiv, die Reformen durchsetzen wollte. Er schilderte seine Situation wie folgt: „Ich hatte etwas verrückte Ideen. Mir sagte alles zu, was gegen die Geistlichkeit, den Kapitalismus und gegen die Politik war.“ Als sein Arbeitskollege ihn zu einem Vortrag von Roberto Montero einlud, ging er mit. Obwohl anfangs noch unentschlossen, begann Manuel 1928, als Königreichsverkündiger zu dienen. 1931 symbolisierte er seine Hingabe durch die Taufe und wurde in El Paso zum Dienstleiter ernannt. Er wollte sich jedoch noch stärker für die Verbreitung der Wahrheit einsetzen.

„Ich betete zu Jehova, er möge mir die Gelegenheit geben, nach Mexiko zu gehen, um dort für das Königreich tätig zu sein“, erzählte er später. Als in dem Betrieb, in dem er arbeitete, eine personelle Veränderung eintrat, konnte er mit seiner Abfindungssumme den Umzug bezahlen. Im selben Jahr, in dem er sich taufen ließ, beluden er und seine Frau einen Ford Modell T, Baujahr 1926, und einen kleinen Anhänger mit den Habseligkeiten, die sie nicht verkaufen konnten, und fuhren in Richtung Süden nach Ciudad Camargo, mitten im Bundesstaat Chihuahua.

Um sich etwas Geld zu verdienen, legte Manuel auf dem Marktplatz einige Waren aus, die er mitgebracht hatte. „Sobald ich ein paar Centavos zusammenhatte, ging ich nach Mexiko-Stadt und meldete mich im Zweigbüro“, berichtete er. Man half ihm bei den Vorbereitungen für einen Predigtfeldzug von Ciudad Camargo aus.

Bruder Amayas Predigtfeldzüge

„Ich arbeitete auf meine Art, aber immer in Übereinstimmung mit der Organisation“, sagte Bruder Amaya. Er hatte eine ansehnliche Kollektion von Büchern der Gesellschaft in Spanisch bei sich: Befreiung, Versöhnung, Schöpfung, Regierung, Prophezeiung, Leben und Licht. Er gab ein Zeugnis und ließ dann bei den Menschen soviel Literatur wie möglich zurück. Nach und nach zeigten einige Interesse.

Bruder Amaya ging immer wieder durch das Gebiet, bis er die Bundesstaaten Chihuahua und Durango — einen großen Teil des nördlichen Zentralmexikos — bearbeitet hatte. Um sich einen ausreichenden Literaturvorrat zu sichern, bat er die Gesellschaft, in verschiedene Städte auf seiner Route Publikationen zu senden, die er dann bei seiner Ankunft abholen konnte. Oft tauschte er Literatur gegen Nahrungsmittel ein, da viele Leute zu arm waren, um einen Betrag zu geben.

Im Bundesstaat Coahuila begegnete er in der Region La Laguna einem Mann, der sich als Zeuge Jehovas zu erkennen gab. Er hieß Florentino Banda und war 1933 von Texas in den Süden gezogen. Sie bearbeiteten zusammen das Gebiet, und als Bruder Amaya an seinen Wohnort Ciudad Camargo zurückkehrte, kümmerte sich Bruder Banda weiter um die Interessierten. Später diente er dann in Begleitung seiner Frau jahrelang als reisender Aufseher.

Durch Bruder Amaya gelangten sehr viele Menschen auf den Weg der Wahrheit und wurden eifrige Diener Jehovas. In Valle de Allende lernte Rodolfo Maynez mit Bruder Amayas Hilfe die Wahrheit kennen. Bruder Maynez verteidigte bei verschiedenen Gelegenheiten die Wahrheit vor Behörden, und einmal forderte er den Ortsgeistlichen zu einer Debatte heraus. In Valle de Allende besuchte Bruder Amaya auch die Familie Bordier. Gildardo Bordier diente später im Büro der Gesellschaft in Mexiko; dann heiratete er Roberto Monteros Tochter María Luisa. Die beiden sind ihrem Glauben bis heute treu geblieben.

Manuel Amaya diente Jehova treu bis zu seinem Tod im Jahr 1974. Seine Frau Angelita hatte sich ihm nach anfänglichem Zögern im Werk Jehovas angeschlossen. Als sie 1990 starb, lagen 50 Jahre treuer Dienst für Jehova hinter ihr.

Wie ging das Werk in Mexiko-Stadt voran?

Nach der Gründung des Zweigbüros in Mexiko-Stadt im Jahr 1929 machte das Predigen der guten Botschaft größere Fortschritte. Im Jahr darauf gab es in der Hauptstadt 3 Versammlungen und in den übrigen Landesteilen 19.

Unter den geistig Hungernden war ein junger Mann in Mexiko-Stadt, der der griechisch-orthodoxen Kirche angehörte. In seinem Geschäft forschte er zusammen mit einem griechischen Landsmann häufig in der Heiligen Schrift. 1929 kam sein Freund einmal mit dem Buch Der Göttliche Plan der Zeitalter in den Laden. Was sie darin lasen, begeisterte sie. Sie erwarben weitere Bücher und Broschüren. „Die Broschüren und das Buch Befreiung beeindruckten mich sehr“, sagte Hércules Dakos, als er seine ersten Eindrücke beschrieb.

Man lud ihn zu einer Zusammenkunft ein, und noch in derselben Woche erschien er zum Studium von La Torre del Vigía. An jenem Tag ging er mit einem Karton Bücher und Broschüren nach Hause — für ihn selbst und zum Verbreiten. Schon bald sprach er mit Freunden und Kunden über die gute Botschaft von Gottes Königreich. Noch im gleichen Jahr, 1929, ließ er sich taufen. Im Jahr darauf packte er seine Koffer und reiste nach Griechenland, weil er unbedingt mit seinen Angehörigen über die Wahrheit sprechen wollte.

Nach eineinhalb Jahren kehrte Hércules nach Mexiko zurück und hatte mehr Eifer denn je. Er stellte fest, daß die Versammlung, mit der er verbunden gewesen war, auf das Doppelte angewachsen war.

Er richtete seine Aufmerksamkeit hauptsächlich auf die Plaza Mayor, den großen Platz, in Mexiko-Stadt. In den Regierungsgebäuden fand er viele, die bereitwillig zuhörten. An den Präsidenten schrieb Hércules einen Brief, und im Antwortschreiben bat ihn der Sekretär des Präsidenten, ihm einige Schriften vorbeizubringen.

Ein paar Monate nach Bruder Dakos’ Rückkehr aus Griechenland erlebte das Werk in Mexiko einen weiteren Aufschwung.

Bruder Rutherford besucht Mexiko

Vom 26. bis zum 28. November 1932 fand in Mexiko-Stadt ein Landeskongreß statt. Bruder Rutherford und Eduardo (Edwin) Keller vom Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn (New York) waren auch anwesend. Bei diesem Besuch hielt Bruder Rutherford Vorträge, die von fünf Rundfunkstationen ausgestrahlt wurden. Die Programme konnten im ganzen Land empfangen werden und fanden bei den Zuhörern ein starkes Echo.

Während seines Aufenthalts in Mexiko sorgte Bruder Rutherford dafür, daß der Zweigaufseher ersetzt wurde, weil sich herausgestellt hatte, daß er einen Lebenswandel führte, der sich für einen Christen nicht schickte. Roberto Montero wurde eingeladen, nach Mexiko umzuziehen und die Verantwortung für den Zweig zu übernehmen. Da er aber nicht sofort kommen konnte, sollte Bruder Keller vorübergehend die Aufsicht führen.

Bruder Montero traf im April 1933 ein. Die Probleme in Verbindung mit der Beaufsichtigung des Werkes hatten sich nachteilig auf den Predigtdienst ausgewirkt, und die Brüder mußten im Glauben sehr gestärkt werden. In einem Bericht des Boletín (Bulletin, heute Unser Königreichsdienst) vom November 1933 hieß es: „Die Zahl der Erntearbeiter ist von einer Höchstzahl von 253 im Jahr 1932 auf eine Höchstzahl von 105 im Jahr 1933 zurückgegangen ... Im Februar waren es nur 48.“

Die Familie Montero bildet die Bethelfamilie

Wie wurde das Zweigbüro organisiert, nachdem die Familie Montero in Mexiko eingetroffen war? Ihr Sohn, Roberto jr., der jetzt in Los Angeles (Kalifornien) lebt, berichtet:

„Ich kam im Alter von fünf Jahren mit meinen Angehörigen nach Mexiko-Stadt. Wir wohnten in einem dreigeschossigen Haus (einschließlich Keller), das die Gesellschaft später kaufte, um darin das erste Zweigbüro von La Torre del Vigía einzurichten. ...

Kurz danach lud mein Vater Bruder Samuel Campos zur Mitarbeit in der Buchhaltung des Zweigbüros ein, und da er zwei Sprachen beherrschte, half er meinem Vater beim Übersetzen der Literatur ins Spanische. Meine Mutter kümmerte sich um die Predigtdienstberichte und die Karteien. Im Laufe der Jahre brachte unser Vater mir und meiner Schwester Maschineschreiben und Steno bei, so daß wir im Büro mithelfen konnten.

Nachdem wir darin geübt waren, durften wir nach der Schule unter anderem die Übersetzungsmanuskripte ins reine schreiben und bei der Erledigung der Korrespondenz mithelfen. Wir betrachteten das als großes Vorrecht. Mit der Zeit kamen noch andere Brüder zur Mitarbeit ins Zweigbüro: Mario Mar und seine Frau Conchita, José Quintanilla und seine Frau Severa, Carlos Villegas und für kurze Zeit Daniel Mendoza. ...

Zu den vielen Aufgaben, mit denen Bruder Mar betraut war, gehörte die Aufsicht über die Druckpresse, die gekauft worden war, um El Informador (Informator, heute Unser Königreichsdienst) zu drucken sowie verschiedene Handzettel, Einladungen und Formulare. Unter seiner Aufsicht arbeitete ich mit Bruder Alfonso García, einem anderen Bethelmitarbeiter, in der Handsetzerei und bediente sowohl die Druckpresse als auch die Papierschneidemaschine, mit der die Formulare auf Format geschnitten wurden. Wir waren etwa 13 oder 14 Jahre alt, als wir mit dieser Arbeit begannen. Wir lernten sehr viel, was wir im späteren Leben gebrauchen konnten, wie das auch bei den jungen Brüdern, die heute in den verschiedenen Bethelheimen dienen, der Fall ist.“

Die ganze Republik war sein Gebiet

Auch andere kamen aus den Vereinigten Staaten, weil sie gehört hatten, daß südlich der Grenze ein großer Bedarf an Verkündigern bestand. Einer von ihnen war Pedro De Anda, der sich 1925 hatte taufen lassen. Ein amerikanischer Bruder, der eine Zeitlang in Mexiko gelebt hatte, erzählte ihm, daß Mexiko ein sehr fruchtbares Gebiet für die Wahrheit sei. Ohne viel zu überlegen, zog Bruder De Anda nach Mexiko. „Ich ging nach [Nuevo] Laredo, um dort voller Eifer zu dienen“, berichtete er. Von dieser Grenzstadt aus arbeitete er in Richtung Süden bis nach Monterrey und weiter bis zum Bundesstaat Zacatecas.

Ausgerüstet mit einem Grammophon, kam er nach Concepción del Oro in Zacatecas. Dort begab er sich auf den großen Platz und spielte eine Schallplatte ab. Wie war die Reaktion? Er erzählte:

„Während des Vortrags erschien ein sehr reicher, fanatischer Mann und redete den Versammelten ein, wir seien Feinde der Jungfrau und der katholischen Kirche ... Die Leute suchten Stöcke und Steine zusammen in der Absicht, uns zu töten. Darauf sagte ich: ‚Moment mal, bitte! Wir sind keine Tiere, daß ihr uns so behandelt. Wir sind Menschen, und wir möchten euch eine Botschaft des Lebens bringen!‘ Ich fragte sie, ob ich etwa irgend jemand gezwungen hätte, meiner Botschaft zu glauben. Danach bedankte ich mich für ihre Aufmerksamkeit. Wir packten unsere Literatur und das Grammophon ein und gingen weg.“

Später versammelte sich vor dem Haus, in dem Bruder De Anda untergebracht war, eine schwerbewaffnete Gruppe. Was sollte das bedeuten? Es waren die ortsansässigen Baptisten. Sie hielten sich für Pedro De Andas „Brüder“ und waren gekommen, um ihn zu verteidigen. Er bedankte sich für diese Geste, erklärte ihnen aber, daß ihre Hilfe nicht nötig sei, da er Jehova als Beschützer habe.

Bruder De Anda dehnte sein Gebiet allmählich über die ganze Republik aus; er bearbeitete nicht nur den Norden, sondern war auch in den Bundesstaaten Durango, Puebla, Veracruz und Chiapas tätig.

Ein Verkündiger gesucht!

Mario Mar lernte 1934 die Wahrheit kennen, ohne je einem Zeugen Jehovas begegnet zu sein. Wie wurde er denn ein Verkündiger? Er sagte: „Als meine Angehörigen einmal krank waren, ging ich zu einer Nachbarsfamilie. Dort sah ich die Bücher Schöpfung und Versöhnung, und da ich so bedrückt war, fing ich an, darin zu lesen.“ Nachdem er dann von den Vereinigten Staaten nach San Miguel de Camargo im Bundesstaat Tamaulipas umgezogen war, schrieb er an die Gesellschaft. „Damals fanden wegen der Dürre in der Stadt viele Prozessionen statt“, erzählte er. „Darum bat ich sie, einen Verkündiger herzuschicken, um mit den Leuten zu sprechen, da sie sehr fanatisch waren. La Torre del Vigía antwortete, meine Bitte sei sehr angebracht und sie würden mich deshalb beauftragen, hier mit der Predigttätigkeit zu beginnen. Sie schickten mir 75 Broschüren in Spanisch, unter anderem Welt in Not — Warum? Das Heilmittel, Der gerechte Herrscher und Scheidung der Menschen.“

Mit Hilfe der Broschüren predigte Mario die gute Botschaft zuerst in San Miguel de Camargo und dann in den umliegenden Orten. Die Tätigkeit machte ihm Freude, und so teilte er der Gesellschaft in einem Brief mit, er würde gern auch noch in anderen Gegenden dienen. Man antwortete ihm unverzüglich, er könne den Norden des Bundesstaates Nuevo León bearbeiten. Mario machte sich ohne Zögern ans Werk. „Ich zog als Pionier umher, ohne getauft zu sein“, erwähnte er. Abgesehen davon hatte er keine Schulung erhalten, doch Jehova half ihm. Auch begann seine Frau, ihn zu begleiten.

Als sie später krank wurde, schrieb Mario erneut an die Gesellschaft und fragte an, wo seine Frau und er sich am besten eine Zeitlang niederlassen könnten. Die Gesellschaft gab ihm die Adresse von Román Moreno in der Stadt Monterrey. Endlich lernten sie andere Zeugen Jehovas kennen! Jetzt konnten Mario und seine Frau Zusammenkünfte besuchen, und schon bald ließen sie sich taufen.

Auf einem Kongreß, der 1935 in Monterrey stattfand, wurde Bruder Mar eingeladen, im Zweigbüro zu dienen. Später sandte man ihn oft als Zonendiener, das heißt Kreisaufseher, aus.

Viele Brüder im ganzen Land erinnern sich an Bruder Mar als einen der ersten, die ihnen die Wahrheit überbracht haben. Er diente Jehova treu bis zu seinem Tod im Jahr 1988. Seine Frau ist Jehova nach wie vor loyal ergeben.

Die biblische Wahrheit dringt in den Nordwesten vor

Wie auch anderswo kamen in den 30er Jahren im Norden und Westen Gruppen von Zeugen Jehovas zum Vorschein, und zwar in den Bundesstaaten Baja California, Sonora und Sinaloa.

Zu Beginn jenes Jahrzehnts begegnete Luciano Chaidez aus Culiacán (Sinaloa) einer Frau, die ständig gegen die Religionen wetterte und sagte, sie seien alle zum Untergang verurteilt. Manch einer hielt sie für verrückt, aber die Frau wiederholte lediglich das, was sie aus den Büchern erfahren hatte, die ihre Schwester ihr aus den Vereinigten Staaten zugeschickt hatte. Luciano erhielt von ihr die spanische Ausgabe des Buchs Die Harfe Gottes und las es dreimal durch. Ihm wurde klar, daß es sich um die Wahrheit handelte, und so schrieb er an die Gesellschaft. Daraufhin schickte man ihm Literatur, damit er in dieser Gegend mit dem Kolporteurdienst beginnen könnte. Beim Besuch eines Kongresses 1934 ließ er sich taufen.

Als Bruder Chaidez im Laufe seiner Tätigkeit in die Hafenstadt Mazatlán kam, lernte er Gilberto Covarrubias kennen, der dort regelmäßig mit einer kleinen Gruppe von Zeugen zusammenkam. Nachdem Gilberto Ansporn erhalten hatte, machte er gute Fortschritte. Er erinnert sich noch lebhaft an seine Taufe. Die Brüder begleiteten ihn ins Meer und sagten ihm, er solle die Luft anhalten und so lange unter Wasser bleiben, wie er könne. Als er wieder hochkam, erklärten sie ihn für getauft. Natürlich gehen wir heute nicht mehr so vor. Wie auch immer, Gilberto zeigte großen Eifer im Dienst für Jehova und trug zur Verbreitung der guten Botschaft in der gesamten Umgebung von Mazatlán bei, indem er den ortsansässigen Zeugen im Predigtdienst zur Seite stand.

In derselben Gegend war Pedro Saldívar wegen eines Verbrechens inhaftiert worden, das er gar nicht begangen hatte. Damit für ihn die gut drei Monate, die er verbüßen mußte, schneller vergingen, brachte ihm seine Tochter Bücher und Zeitschriften. Eines Tages steckte zwischen ihren Mitbringseln eine Broschüre von J. F. Rutherford. Die darin enthaltene Botschaft über Gottes Vorsatz, eine gerechte neue Welt zu schaffen, war für Pedro ein großer Trost. Innerhalb kurzer Zeit fand man den wahren Täter und ließ Pedro frei. Sofort machte er sich auf die Suche nach ähnlichen Schriften wie der Broschüre, die er gelesen hatte. Er bekam auch einiges. Bald darauf nahm ihn eine Nachbarin, die eine Zeugin Jehovas war, mit zu den Zusammenkünften, die von Gilberto Covarrubias geleitet wurden. Wie Gilberto unternahm auch er einen Predigtfeldzug. Er bearbeitete Sinaloa in Richtung Norden und kam bis zum nördlichen Teil des Bundesstaates Sonora. Dort hat man ihn noch als einen der ersten Kolporteure in Erinnerung, die in dieser Region die Königreichsbotschaft verbreiteten.

Manche Predigtfeldzüge führten weit in die Ferne, aber es gab nun mal wenige Zeugen, und das Gebiet war riesig. Der Versammlung Mazatlán (Sinaloa) wurde bei ihrer offiziellen Gründung im Jahr 1938 der gesamte Bundesstaat Sinaloa als Predigtgebiet zugeteilt.

Ein Schatz und ein toter Esel

Westlich vom Bundesstaat Sonora liegt Baja California, eine Halbinsel, die parallel zur Nordwestküste des mexikanischen Festlands verläuft. In einem Gebiet im unteren Drittel der Halbinsel sprach 1934 ein junger Zeuge Jehovas mit den Leuten über die Bibel. Er hatte bei seiner Tätigkeit gute Ergebnisse erzielt, aber was geschah mit ihm?

Esther Pérez berichtete: „1934 kam ein junger Mann nach La Purísima im Bundesstaat Baja California, um mit den Menschen über die Bibel zu sprechen. ... Mein Vater arbeitete ... für die Regierung, und er erzählte uns, die Gesellschaft habe sich brieflich nach dem Verbleib des jungen Mannes erkundigt, doch man wußte nichts über ihn.“ Er war verschwunden. „Die Behörden nahmen die Suche auf, um wenigstens die Leiche zu finden, aber man fand nichts, außer dem Gerippe eines Esels, der angebunden gewesen war ... Die Leute, die auf den Kadaver stießen, entdeckten auch einen Koffer voll Bücher mit bunten Einbänden. ... Sie nahmen den Koffer mit in die Stadt und fingen an, die Bücher zu lesen. Zwar verstanden sie den Inhalt nicht, doch sie bemerkten, daß in den Büchern wiederum ein anderes Buch zitiert wurde — die Bibel.“

Es ist bis heute ungewiß, was mit dem jungen Zeugen geschah. Doch die Leute lasen die Bücher, die er mitgebracht hatte, und einige von ihnen waren sehr daran interessiert, die Bibel zu verstehen.

Ein Protestant in der Stadt nahm die Gelegenheit wahr, Anhänger um sich zu scharen. Er gründete eine Gruppe von Leuten, die gern in diesen Büchern lasen. Später abonnierten sie La Atalaya und fingen an, die Zeitschrift zu studieren. Schwester Pérez schilderte, wie es weiterging:

„Da sich der Protestant zum Anführer der Gruppe gemacht hatte, wollte er nicht, daß sich jemand mit der Gesellschaft in Verbindung setzte. Doch dann erkundigte sich die Gesellschaft in einem Brief nach den Verkehrsmitteln in der Gegend, damit ein Vertreter gesandt werden könne. Juan Arce, der Protestant, wies meinen Vater an, der Gesellschaft nicht zu antworten ... Mein Vater und Francisco, ein anderer Mann, schrieben jedoch heimlich an die Gesellschaft, daß Verkehrsmittel zur Verfügung stünden und der Vertreter der Gesellschaft kommen könne. ... Ich war zufällig in der Stadt, als der Bruder ankam — ein junger Mann mit Namen Terán Pardo. ...

Am nächsten Morgen war der Bruder noch nicht aufgestanden, da wartete bereits die ganze Gruppe auf ihn, um ihn zu begrüßen und ihm Fragen zu stellen. Er vereinbarte eine Zusammenkunft für den Nachmittag, und wir waren alle da — insgesamt etwa 25 Personen. Nach seiner Ansprache fragte der Bruder: ‚Wer möchte losziehen und Jehova dienen?‘ Alle hoben die Hand, worauf er sagte: ‚Kommt morgen vormittag um 9 Uhr, dann gebe ich euch Anweisungen, wie ihr vorgehen könnt.‘ Am nächsten Morgen waren wir alle zeitig da. Der Bruder gab uns eine Karte und sagte uns, wir sollten sie den Leuten zeigen und danach Broschüren anbieten. Ich erinnere mich, daß ich zusammen mit meiner Mutter eingeteilt wurde. Auf dem Nachhauseweg waren wir überglücklich, weil wir den Menschen Broschüren überreicht hatten.“ Wie zu erwarten, zog sich der Protestant zurück und tauchte nie wieder bei den Zusammenkünften auf.

Hindernisse im Südosten überwunden

Unterdessen gestaltete sich das Predigtwerk im Südosten ziemlich schwierig. In den Bundesstaaten Chiapas und Tabasco herrschte große Armut, vor allem in den entlegenen Bergdörfern. Wie sollte die Königreichsbotschaft zu diesen Menschen gelangen?

Als Daniel Ortiz 1932 die Wahrheit kennenlernte, lebte er in Tuxtla Gutiérrez (Chiapas). Die Botschaft fand bei ihm und seiner Familie sofort Anklang. Ohne jegliche Anweisungen, wie man Zusammenkünfte abhält, studierte seine Familie zusammen mit anderen — alles in allem 12 Personen — die Veröffentlichungen der Gesellschaft. Als Bruder Ortiz später einmal nach Mexiko-Stadt zum Zweigbüro reiste, erhielt er Literatur zum Verbreiten. Wieder zu Hause angelangt (er wohnte mittlerweile in Cintalapa), sprudelte er über vor Begeisterung. Im Predigtdienst trugen einige aus der Gruppe die Literatur in Rucksäcken, andere wickelten sie in Papier ein; Bruder Ortiz hingegen hatte einen ganzen Karton dabei, mit Kordeln an einer Stange festgebunden, die zwei Verkündiger auf ihren Schultern trugen. Er rechnete damit, viel Literatur abzugeben, und das gelang ihm auch.

Die Familie Ortiz wurde 1934 auf einem Kongreß eingeladen, sich den Reihen der Pioniere anzuschließen. Ihr Predigtgebiet sollte der Bundesstaat Tabasco sein. Bruder Ortiz erzählte: „Ich kaufte zwei Pferde — eins für das Gepäck und eins für meine 12jährige Tochter Estela. Wir waren zu fünft. Meine 15jährige Tochter, meine verheiratete Tochter und ein 15jähriger Glaubensbruder begleiteten uns.“

Sie bearbeiteten viele Ortschaften in Tabasco und gaben eine Menge Literatur ab. In Tapijalapa wurden sie allerdings verhaftet und zum Militärhauptquartier gebracht. „Der Bürgermeister war ein Oberst“, berichtete Bruder Ortiz. „Er fragte mich barsch, ob ich nicht wüßte, daß solche Literatur in diesem Bundesstaat verboten sei. Ich antwortete, daß ich dachte, wir seien in der mexikanischen Republik, und teilte ihm mit, daß ich ein Empfehlungsschreiben vom Staatssekretariat hätte. Darauf erwiderte er, es sei nicht mehr wert als das Papier, auf das es geschrieben sei. Man nahm uns alle Wertsachen und die gesamte Literatur in unseren Taschen weg.“

Mehr Sorgen machte sich Bruder Ortiz allerdings darüber, wie es zwei Schwestern aus der Gruppe ging, die sich in einer anderen Ortschaft aufhielten. Eine seiner Töchter war dort zusammen mit einer anderen Schwester im Predigtdienst. Die Polizei wußte, daß zwei aus der Gruppe fehlten, und schickte deshalb Männer auf die Suche nach ihnen. „Das war gegen 6 Uhr abends“, sagte Bruder Ortiz, „und der Ort lag 20 Kilometer entfernt. Der Weg dorthin führte durch eine gebirgige Gegend, und es regnete noch dazu in Strömen. Ich rechnete mir aus, daß sie gegen Mitternacht dort wären. Nicht auszudenken, was den beiden Schwestern von 16 und 20 Jahren in den Händen dieser Männer zustoßen könnte! Eine von ihnen war meine Tochter. Man kann sich leicht vorstellen, was für Gedanken mir durch den Sinn jagten.“ Er betete inbrünstig, bis ihn schließlich der Schlaf übermannte. Am nächsten Morgen fiel ihm ein Stein vom Herzen, als sich herausstellte, daß die beiden nicht belästigt worden waren und Jehova somit sein Gebet erhört hatte.

Nachdem man die Gruppe bei karger Kost und unzureichenden sanitären Anlagen mehrere Tage festgehalten hatte, wurde eine Eskorte von Soldaten beauftragt, sie aus dem Bundesstaat hinauszubringen. Nach ihrer Freilassung besorgten sie sich als erstes Seife, suchten einen Fluß, badeten sich und wuschen ihre Kleider. Jetzt, wo sie wieder frei waren, machten sie sich sofort auf, um die gute Botschaft zu predigen, aber diesmal im Bundesstaat Chiapas. Trotz Hindernissen wurden sie es nie müde, das Land nach den kostbaren Schafen Jehovas auszukundschaften. Sie waren echte Pioniere.

Damals kümmerte sich der mexikanische Zweig auch um Guatemala. Bruder Ortiz wurde öfter von der Gesellschaft gebeten, in dieses Land zu gehen, um schafähnliche Menschen ausfindig zu machen und sich ihrer anzunehmen.

Im Jahr 1972 diente er mit seinen 80 Lenzen immer noch als Pionier. Er hatte viele herzerwärmende Erinnerungen an den Dienst, den er über einen Zeitraum von 40 Jahren verrichtet hatte, aber er war auch lebhaft daran interessiert, weiterhin für Jehova sein möglichstes zu tun. Er sagte:

„Wenn auch das Alter an mir zehrt, gibt mir doch Jehova stets aufs neue Kraft, und es macht mich glücklich, zu sehen, daß immer mehr Menschen seinen Namen tragen. Das erfüllt mich mit großer Freude und drängt mich zu vermehrter Tätigkeit ... Ich bin voller Dankbarkeit, aber mir fehlen die Worte, es auszudrücken. Diese Dankbarkeit veranlaßt mich, mit dem bißchen Energie, das ich noch habe, meinen Weg weiterzuverfolgen.“

Das waren nur einige wenige Erfahrungen der Diener Jehovas aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Es ist nicht möglich, alles in diesen Bericht aufzunehmen. Die meisten, die in den 20er und 30er Jahren so eifrig die Königreichsbotschaft in Mexiko verbreitet haben, sind inzwischen gestorben. Doch alle, die Jehova unentwegt treu gedient haben, ob auf herausragende Weise oder so, daß es nur in einer bestimmten Gegend bekannt ist, haben ein nachahmenswertes Beispiel hinterlassen.

Erst mal ein Walzer, dann eine kraftvolle Predigt

Lautsprecherwagen waren von 1938 bis 1943 ein sehr wirkungsvolles Mittel, mit dem man biblische Wahrheiten in Mexiko verbreitete. Sieben dieser Fahrzeuge, die auf dem Dach mit Lautsprechern und innen mit einem Plattenspieler ausgerüstet waren, wurden im Land eingesetzt. Sie ließen dynamische biblische Vorträge erschallen, die ursprünglich Bruder Rutherford gehalten hatte und die danach mit Eduardo Keller als Sprecher in Spanisch aufgezeichnet wurden.

Zu den Brüdern, die sich am Dienst mit Lautsprecherwagen beteiligten, gehörten José Quintanilla (den man im Zweigbüro später liebevoll „Opa“ nannte), Daniel Mendoza und Víctor Ruiz. Ungefähr ein Jahr nachdem José Quintanilla und seine Frau zum ersten Mal Wachtturm-Publikationen erhalten hatten, dienten sie im Bethel. „Ich verstand nicht viel von dem Werk, da ich zuwenig Zeit hatte, um mich damit vertraut zu machen, auch habe ich nicht viel weltliche Bildung aufzuweisen“, erzählte Bruder Quintanilla. Trotzdem nahm er sofort die Einladung an, Autos zu reparieren, die zur Verbreitung der biblischen Wahrheit eingesetzt werden sollten. Nachdem er diese Arbeit einige Monate verrichtet hatte, merkten die Brüder, daß er noch nicht getauft war. Man sagte ihm, er müsse sich taufen lassen, wenn er den Betheldienst fortsetzen wolle. Prompt kam er diesem biblischen Erfordernis nach; das war im August 1938.

Wie sah der Dienst mit den Lautsprecherwagen aus? Grundsätzlich reisten fünf Brüder zusammen. Wenn sie eine Siedlung erreichten, spielten sie einen informativen biblischen Vortrag ab, der in der ganzen Umgebung zu hören war. Danach predigten zwei Brüder auf der einen Straßenseite von Haus zu Haus und zwei auf der anderen Seite. Der Fahrer blieb beim Wagen, um die Fragen neugieriger Leute zu beantworten. Bruder Quintanilla sagte in seiner Bescheidenheit: „Ich tat nichts weiter, als mit denen zu reden, die kamen, und ihnen Literatur anzubieten.“

Gelegentlich ließ man vor einem Vortrag einen Walzer abspielen, um die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen. Man kann sich gut vorstellen, wie überrascht die Leute waren, denn nach der Musik hörten sie plötzlich einen kraftvollen Vortrag, der die falsche Religion bloßstellte!

Daniel Mendoza, der sich an diesem Dienst beteiligte, erzählte: „Zunächst waren die Leute ganz begeistert ..., doch dann schlichen sie davon, um den Priester zu benachrichtigen. Bald war der ganze Ort in Aufruhr, und einige wollten uns mit Stöcken und Steinen wegjagen.“

In einem Ort versuchte ein großer, kräftiger Mann, Bruder Quintanillas Lautsprecherwagen umzukippen. Er hatte gerade eine Seite hochgehoben, als er wie von einem Schlag getroffen zu Boden fiel. Vor lauter Schreck rannte er weg und rief: „Geht da bloß nicht dran, da steckt der Teufel drin!“ Was war passiert? Er hatte einen elektrischen Schlag bekommen. Dazu muß man anmerken, daß Bruder Quintanilla den Stromanschluß mit dem Fahrgestell des Wagens verbunden hatte. Obwohl wir so etwas heutzutage nicht empfehlen, hat er es gemacht, um sich und die Ausrüstung vor sehr gewalttätigen Personen zu schützen.

Als man mit der Zeit keine Lautsprecherwagen mehr einsetzte, gebrauchten die einzelnen Zeugen tragbare Grammophone. Im Zweigbüro wurden etwa 300 dieser Grammophone hergestellt. Wiederum machte sich „Opa“ Quintanilla als findiger Bastler nützlich. Er konnte sich noch gut daran erinnern, wie er die Grammophonkästen baute und dann die Lautsprecher und Motoren einpaßte. Er berichtete: „Sie wurden geprüft, um festzustellen, ob sie gut und lange funktionieren würden, und dann schickte man sie den Brüdern zur Verwendung im Haus-zu-Haus-Dienst.“

Natürlich lernten die Verkündiger mit der Zeit durch die Darbietungen und Predigten im Informador (Informator, heute Unser Königreichsdienst) und durch die Unterweisung in der Theokratischen Predigtdienstschule, wie man mit den Menschen Gespräche führt und ihre Fragen anhand der Bibel beantwortet.

Gileadabsolventen treffen ein

Anfang der 40er Jahre wurde unter Jehovas Zeugen ein vielseitiges Bildungsprogramm eingeführt, das eine weitreichende Wirkung auf das weltweite Königreichspredigtwerk hatte. Zu dem Programm gehörte die Schulung von Mitarbeitern der Zweigbüros, damit sie ihre Arbeit genauso ausführen konnten, wie sie im Hauptbüro in Brooklyn (New York) getan wurde. Nathan H. Knorr, der 1942 Präsident der Watch Tower Society geworden war, übernahm darin die Führung. Der mexikanische Zweig profitierte direkt davon, als Bruder Knorr hier im Februar 1943 seinen ersten Besuch machte. Bei einer besonderen Zusammenkunft mit Verkündigern aus dem ganzen Land ermunterte er die Anwesenden, das Analphabetentum zu bekämpfen, das den Lateinamerikanern, die schon lange unter katholischem Einfluß standen, hinderlich war. Er arbeitete eng mit den Mitarbeitern des Zweigbüros zusammen, und als er abreiste, war das Bethel gut ausgerüstet und viel besser organisiert.

In Mexiko gab es noch allerhand zu tun. Seit dem Ersten Weltkrieg war hier eine etwas schleppende Mehrung der Lobpreiser Jehovas zu verzeichnen. 1943 zählte man 1 565 Verkündiger, die jeden Monat über ihre Tätigkeit berichteten, und sie waren sehr fleißig. Die Verkündiger gaben monatlich im Durchschnitt 28 Stunden Zeugnis. Die allgemeinen Pioniere erreichten einen Monatsdurchschnitt von 137 Stunden.

Im selben Jahr eröffnete die Gesellschaft eine Schule, die einen gewaltigen Einfluß auf das Werk des Predigens und Jüngermachens ausgeübt hat. Das Watchtower Bible College of Gilead wurde gegründet. (Später änderte man den Namen auf Watchtower Bible School of Gilead [Wachtturm-Bibelschule Gilead].) Dort sollten erfahrene Pionierverkündiger auf den Dienst in irgendeinem Gebiet der Erde vorbereitet werden, wo Hilfe benötigt würde. Am 1. Februar begannen die ersten Klassen mit dem Unterricht. Man plante, einige der Absolventen nach Mexiko zu schicken.

Zunächst stießen die Brüder auf rechtliche Hindernisse, als sie für die Gileadabsolventen Visa beantragten. Der Zweite Weltkrieg war noch im Gange. Obendrein war in Nuevo Laredo im Bundesstaat Tamaulipas (an der Grenze zu den Vereinigten Staaten) eine Verfolgung der Zeugen Jehovas ausgebrochen, und einige saßen im Gefängnis. Durch die Situation verzögerte sich die Erledigung der Formalitäten in Verbindung mit den Visa. Juan Bourgeois, der damalige Zweigaufseher, schrieb in seinem Bericht für 1945:

„Als die ersten Bekanntmachungen über die Wachtturm-Schule Gilead und ihren Zweck erfolgten, erwarteten wir hier in Mexiko sehnlich den Abschluß des ersten Schulungskurses; denn wir hatten die Zuversicht, daß eine schöne Anzahl Absolventen, für den theokratischen Dienst im Ausland besonders geschult, zur Arbeit nach Mexiko, das so gut wie Neuland ist, gesandt werden würden. Es war auch zu erwarten, daß der Widersacher rasend werden und bis zum Äußersten gehen würde, um die Einreise unserer Brüder zu verhindern. Im August 1943 teilte uns die Gesellschaft mit, daß, wenn wir die nötigen Einreisebewilligungen beschaffen könnten, etwa 30 solche Unterweiser [Gileadabsolventen] dem Werk in Mexiko zugeteilt würden.

Wir taten alles, um diese Bewilligungen zu bekommen, doch zeigten sich eine unglaubliche Menge Hindernisse, die der Einreise dieser Unterweiser in Mexiko entgegenstanden. Wir hatten es fast aufgegeben in der Meinung, Jehova wolle es anders, als Bruder Knorr im Februar dieses Jahres hier ankam. Er ließ ein ‚Nein‘ als Antwort nicht gelten und traf einige besondere Anordnungen, und siehe da, das ‚Unmögliche‘ geschah! Im März fielen die Schranken, und Bruder und Schwester Anderson wurden hereingelassen; kurz darauf, im April, durften sieben weitere theokratische Unterweiser, Absolventen der ersten Gileadklasse, in unser Land.“

Fred und Blanche Anderson

Fred und Blanche Anderson, die zum gesalbten Überrest gehörten und allseits beliebt waren, brachten den größten Teil ihres Lebens im Vollzeitdienst in Mexiko zu. Wegen eines Unfalls, der sich in Bruder Andersons jungen Jahren ereignete, mußte ihm in Mexiko ein Bein amputiert werden. Dennoch bearbeitete er an Krücken das Gebiet von Mexiko-Stadt. Fred Anderson war ein gutmütiger und freundlicher Mensch. Die Anwesenheit von Bruder Anderson und seiner charmanten Frau (die von ihren christlichen Schwestern liebevoll Blanquita genannt wurde) erfüllte das Herz vieler Mexikaner mit Liebe und Wertschätzung.

Bruder Andersons eigene Äußerungen sagen viel über ihn aus. Er berichtete: „Froh und gebetsvoll begannen wir, unser Leben auf den Auslandsdienst abzustimmen und uns dafür zu schulen. Die Schulung in Gilead war uns dabei eine mächtige Hilfe. Fünfeinhalb Monate arbeiteten und schwitzten wir und strengten uns an, soviel wie möglich in unser Hirn zu stopfen, aber diese Monate flogen nur so an uns vorbei! Und ehe wir uns versahen, kam der Tag der Abschlußfeier. Wir hatten das Empfinden, daß unsere Freude in Gilead vollkommen sei und daß wir nicht mehr glücklicher oder Gott nicht näher sein könnten. Aber wir hatten noch viel zu lernen, und dies geschah in unserem Auslandsgebiet.“

Nachdem er eine Anzahl von Jahren in dem Gebiet gedient hatte, sagte er: „Wir wissen nicht, wie vielen von diesen demütigen Menschen wir geholfen haben, in Jehovas herrliches Licht der Wahrheit zu kommen. Wir wissen jedoch, wie groß unsere Freude gewesen ist, sie über Jehovas Güte zu unterrichten.“ Die Andersons waren viele Jahre in Mexiko im Kreisdienst und danach im mexikanischen Bethel tätig, wo sie ihren irdischen Lauf beendeten — er 1973 und sie 1987.

Gefährten für ein halbes Jahrhundert

Nach ihren ersten 10 Jahren in Mexiko schrieb Rosa May Dreyer, eine andere Gileadabsolventin, daß von den 21, die ursprünglich nach Mexiko gesandt worden waren, 11 bleiben konnten. Sie fügte hinzu: „Diese elf werden bestimmt mit mir sagen: ‚Ich würde mir nicht wünschen, anderswo zu sein.‘ “

Wegen der Hindernisse bei der Einreise dienten Rosa May Dreyer und Shirley Hendrickson zwei Jahre lang nahe der texanisch-mexikanischen Grenze. In dieser Zeit lernten sie etwas Spanisch. Obwohl Shirley ein fröhliches Naturell hatte, fand sie das Gebiet dort schwierig. Um so mehr freute sie sich über das, was sie in Mexiko-Stadt vorfand. Anfangs wurden ihnen entgegen ihren Erwartungen keine einheimischen Verkündiger als Begleiter zugeteilt. Statt dessen brachte jemand sie an eine Straßenecke und sagte: „Hier ist euer Gebiet“ — ohne jede Schulung vor Ort. Noch dazu waren ihre Spanischkenntnisse begrenzt. Statt jedoch entmutigt zu sein, setzten sie ihre Tätigkeit, so gut sie konnten, fort. Shirley erzählte über diese Zeit: „Ich erinnere mich an das erste Gebäude, in das ich leicht zitternd ging, und daß ich an den ersten vier Türen die vier Bücher abgab, die ich bei mir hatte, worauf ich zu Hause Nachschub holen mußte. Dadurch faßte ich Mut und hatte nie mehr Probleme.“ Vor ein paar Jahren war Shirley zur Hochzeit der Enkeltochter einer Frau eingeladen, mit der sie in ihren ersten Jahren in Mexiko die Bibel studiert hatte. Was für eine Freude, dort 50 Nachkommen dieser Familie zu begegnen, die Jehova dienen! Einer von ihnen hatte als reisender Aufseher gedient, und eine andere Verwandte gehörte zur Bethelfamilie.

Shirley und Rosa May waren von 1937 (bevor sie zusammen die Gileadschule besuchten) bis 1991 Dienstpartnerinnen. Dann starb „Rosita“ in ihrem zugeteilten Gebiet in Mexiko. 54 Jahre des Dienstes — und fast immer zusammen!

Es kamen noch andere

Insgesamt sind 56 Gileadabsolventen aus anderen Ländern nach Mexiko gekommen, um sich dort an dem großartigen Werk zu beteiligen, durch das von Gott ausgehende Belehrung vermittelt wird. Außer denen, die bereits erwähnt wurden, kamen noch andere aus der ersten Klasse der Gileadschule: Rubén Aguirre, Charlotte Bowin, Maxine Bradshaw, Geraldine Church, Julia Clogston, Betty Coons, Russell Cornelius, Dorothea Gardner, Verle Garfein, Frances Gooch, Elva Greaves, Thurston und Marie Hilldring, Fern Miller, Maxine Miller und Pablo Pérez. Auch 1988 trafen noch Absolventen ein. Der Predigtdienst hat ihnen allen selbst Freude bereitet und auch andere glücklich gemacht. Im Leben der Missionare trat manch unerwartete, aber nicht unerfreuliche Wende ein.

Charlotte Bowin beispielsweise wurde nach zwei Jahren des Dienstes in Mexiko nach El Salvador gesandt. 1956 wurde sie dann die Frau von Albert Schroeder, einem ihrer früheren Gileadunterweiser, der später in die leitende Körperschaft berufen wurde.

Im Jahr 1949 heiratete Maxine Miller den aus Mexiko stammenden Gileadabsolventen Samuel García, der damals im mexikanischen Zweig als Rechtsvertreter der Gesellschaft diente. Als sie 1946 in Mexiko-Stadt ankam, gab es dort nur vier compañías („Kompanien“, heute Versammlungen). 1961 waren es siebzig. Und Anfang 1994 betrug die Zahl der Versammlungen in Mexiko-Stadt und den Vororten 1 514. Was für eine wunderbare Mehrung sie doch miterlebte! War ihr Vollzeitdienst eitel Sonnenschein? „Nein, das ist nicht der Fall!“ sagte sie einmal. „Es gibt prüfungsreiche Momente und auch schwere Erfahrungen, aber die Freuden überwiegen den Kummer bei weitem, und an diese Freuden muß ich nun denken, wenn ich den Weg überblicke, den ich im Verfolgen meines Lebenszieles als Dienerin Gottes, Jehovas, zurückgelegt habe.“ Sie diente treu in ihrem zugeteilten Gebiet, bis sie 1992 starb.

Nachdem Esther Vartanian etwa acht Jahre in Mexiko gedient hatte, heiratete sie 1955 den Gileadabsolventen Rodolfo Lozano, der noch nicht sehr lange in Mexiko war. Solange sie im Zweigbüro wohnte, gab sie in der Stadt Zeugnis und half vielen Menschen, Jehova kennenzulernen. Sie war sehr erfolgreich darin, ganzen Familien zu helfen. Selbst dann, wenn der Ehemann dem Bibelstudium zunächst ablehnend gegenüberstand, brachte sie es immer fertig, daß er schließlich doch teilnahm. Ihre besonders freundliche Art, mit Menschen zu sprechen, bewirkte, daß viele günstig auf die Botschaft reagierten. Sie ging auf die Leute zu und sagte mit ihrem amerikanischen Akzent: “Honey, quiero hablarte de algo muy importante” (Herzchen, ich möchte mit dir über etwas ganz Wichtiges reden). Man hörte ihr zu. Schwester Lozano und ihr Mann dienen jetzt in der mexikanischen Bethelfamilie.

Liebevolle christliche Aufseher im Zweigbüro

Natürlich sollten einige der nach Mexiko gesandten Gileadabsolventen verantwortungsvolle Aufgaben im Zweigbüro übernehmen, und sie leisteten ausgezeichnete Arbeit. Juan Bourgeois folgte Roberto Montero als Zweigaufseher und nahm diese Aufgabe von 1943 bis 1947 wahr. Dann mußte er in die Vereinigten Staaten zurückkehren. Darauf war Pablo Pérez, ein Absolvent der ersten Gileadklasse, dreieinhalb Jahre Zweigaufseher.

Seitdem haben verschiedene andere die Last der Verantwortung getragen und liebevoll die Aufsicht geführt. Rodolfo Lozano tat das viereinhalb Jahre, George Papadem zwei Jahre und Samuel Friend siebeneinhalb Jahre lang. 1965 wurde William Simpkins mit der Aufsicht über den Zweig betraut, und nachdem 1976 die Zweigkomitees eingeführt worden waren, gehörte er bis 1986 dem mexikanischen Zweigkomitee an. Jeder von ihnen leistete einen wertvollen Beitrag zum Königreichswerk hier in Mexiko. Robert Tracy kam 1982, nachdem er viele Jahre in Kolumbien gedient hatte, nach Mexiko und ist seither Koordinator des Zweigkomitees.

Den Kontakt zu den compañías aufrechterhalten

Bezirks- und Zonendiener (Kreisdiener) waren im Dienstjahr 1940 bestrebt, Zeugen Jehovas in ganz Mexiko zu besuchen und zu erbauen. Nach einer zeitweiligen Unterbrechung wurde dann der Reisedienst wiederaufgenommen. Diesmal erhielten die reisenden Aufseher eine besondere Schulung, bevor sie ausgesandt wurden.

Um die compañías zu besuchen, war es nicht damit getan, eine Bus- oder Bahnfahrkarte zu kaufen und sich dann auf die Reise zu begeben. Die meisten compañías waren klein und lagen weit ab von Hauptstraßen oder Eisenbahnstrecken. Bevor die Brüder ausgesandt wurden, fragte das Zweigbüro brieflich bei jeder compañía an, wie sie zu erreichen sei. Eine compañía antwortete: „Die einzige Verbindung zur Außenwelt ist die Telegrafenleitung.“ Der Zweig berichtete nach Brooklyn: „Um bestimmte compañías zu erreichen, muß der Diener auf einem Maultier reiten oder zu Fuß gehen, und das manchmal mehrere Tage lang. Die Verkündiger sind über den Besuch außer sich vor Freude, und bei seiner Ankunft werden alle Menschen guten Willens aus einem Umkreis von einigen Kilometern zusammengerufen.“

Mitte der 40er Jahre boten sich Bethelmitarbeiter an, in ihrem Urlaub compañías, die das Büro benannte, zu besuchen, um die Brüder zu stärken. Samuel und Alfonso García wurden nach Silacayoápan im Bundesstaat Oaxaca gesandt. Nachdem sie einen Tag mit dem Bus gereist waren, brauchten sie zwei Tage, um sich Pferde zu besorgen, und ritten dann noch zwei weitere Tage, bis sie an ihrem Ziel ankamen. Sie verbrachten fünf glückliche Tage mit den Brüdern im Predigtdienst, nahmen in dieser Zeit Taufen vor und machten sich dann für die Rückreise nach Mexiko-Stadt fertig. Doch der katholische Ortspriester war durch ihre Arbeit verärgert worden und hatte El Presidente, den Bürgermeister des Ortes, aufgehetzt. In jener Nacht brach eine Meute von etwa 25 Männern in die Wohnung ein, in der die Brüder untergebracht waren. Samuel García erinnert sich lebhaft daran.

Die Randalierer waren mit Macheten, Schwertern, Messern, Knüppeln und Pistolen bewaffnet. Sie packten die Brüder, stießen sie ins Freie und schlugen unbarmherzig auf sie ein. Als die christliche Schwester, in deren Wohnung sie sich aufhielten, versuchte einzugreifen, wurden sie und einer ihrer Söhne geschlagen. Ein Bruder erlitt am linken Arm und an mehreren Fingern tiefe Schnittwunden — bis auf die Knochen. Unter weiteren Schlägen und Drohungen wurden sie aus dem Ort hinausgetrieben. Aber wohin wollte man sie bringen? Samuel García erzählte: „Sie versuchten, uns an einen Baum zu hängen, doch da wir keine Furcht zeigten und unser ganzes Vertrauen auf Jehova setzten, ließen sie uns gehen. Wir mußten zwei Tage durch die Berge wandern, bis wir an eine Hauptstraße kamen.“

In der Zwischenzeit erfuhr das Zweigbüro von den Schwierigkeiten. Die Gesellschaft richtete einen dringenden Appell an den Gouverneur des Bundesstaates Oaxaca. Als die beiden Brüder endlich das Bethel erreicht hatten, wollte der wachhabende Bruder die Tür nicht öffnen, weil er sie nicht erkannte — so übel waren sie zugerichtet worden. Doch wenn Bruder García auf den Vorfall zurückblickt, denkt er jedesmal: „Jehova ließ uns nicht im Stich.“ Und was ist über die Schwester zu sagen, in deren Wohnung sie untergebracht waren? Sie schrieb an das Büro und bat um weitere Literatur, damit sie mit dem Zeugnisgeben fortfahren konnte.

Von einem Kongreß zum nächsten

Einige Jahre vor diesen Ereignissen besuchte Adulfo Modesto Salinas, ein lebhafter junger Mann, seinen ersten Landeskongreß. Dieser wurde 1941 im Volkstheater von Mexiko-Stadt abgehalten. Damals wäre er nie auf die Idee gekommen, daß er eines Tages reisender Aufseher sein würde.

Gonzalo Rodríguez, ein Diener für die Brüder (wie Kreisaufseher damals genannt wurden), ermunterte Adulfo, den Betheldienst aufzunehmen. Daraufhin bewarb Adulfo sich im Dezember 1947 um den Betheldienst in Mexiko-Stadt. Im selben Jahr begann man in Mexiko, Kreiskongresse durchzuführen. Zunächst wurden sie von Bethelmitarbeitern organisiert, die auch das Programm gestalteten. 1951 wurde Adulfo Salinas zum ersten Bezirksaufseher im Land ernannt, um den Kreisaufsehern zu helfen und auf Kreiskongressen zu dienen. Bei seinen ersten Kongressen standen ihm Rodolfo Lozano und Samuel García hilfreich zur Seite. Dann ließen sie ihn seine Route allein fortsetzen. In jenem Jahr wurden im ganzen Land 18 Kreiskongresse abgehalten.

Anfangs waren weder die Organisation der Kongresse noch die Aufgaben des Bezirksaufsehers genau festgelegt. Bei manchen Kongressen gab es keinen Kreisaufseher, und so taten die Brüder am Ort ihr möglichstes, um alles zu organisieren. Der Bezirksaufseher mußte ein „Hansdampf in allen Gassen“ sein. Wenn er auf dem Kongreßgelände ankam, half er den Brüdern, die Abteilungen einzurichten. Er brachte die Lautsprecheranlage mit, ebenso Herde und die übrige Küchenausrüstung für die Cafeteria. Leonor Salinas unterstützte ihren Mann bei vielen Vorbereitungsarbeiten für die Kongresse. Den ganzen Tag über waren die beiden im Predigtdienst tätig, und abends halfen sie bei den Kongreßvorbereitungen mit.

Bruder Salinas erinnert sich, daß es für die ersten Kreiskongresse kein genaues Programm gab, an das man sich halten konnte. Man gab den Brüdern Gelegenheit, Fragen zu stellen, und er bemühte sich, sie zu beantworten. Sie stellten Fragen wie „Ist es erlaubt, Ringe und Armreife zu tragen?“, „Ist das Töten von Tieren ein Verbrechen?“ und „Was bedeutet die Zahl 666?“ Um fundierte Antworten geben zu können, mußte er viele Veröffentlichungen der Gesellschaft bei sich haben.

Nach und nach wurde der genaue Ablauf der Kreiskongresse festgelegt, und alles verlief reibungsloser.

Nachdem Bruder Salinas etwa 13 Jahre lang als Bezirksaufseher gedient hatte, wurde er 1964 eingeladen, die Gileadschule zu besuchen. Zur Vorbereitung darauf mußte er Englisch lernen. Das bereitete ihm zwar Mühe, doch er profitierte sehr von dem Kurs. Anschließend wurde er dann nach Mexiko zurückgesandt, um den Bezirksdienst fortzusetzen. Er ist trotz gesundheitlicher Probleme immer noch im Vollzeitdienst. Seine Frau Leonor, mit der er seit 1955 verheiratet ist, hat ihn gut unterstützt. Bruder Salinas sagte vor einigen Jahren: „Wenn ich an das Jahr 1941 zurückdenke, als ich die Wahrheit kennenlernte, wird mir bewußt, daß seitdem schon fast 50 Jahre verstrichen sind und daß ich in all den Jahren Wunderbares aus Gottes Wort gelernt habe. 1941 war ich noch keine 20 Jahre alt. Ich bin Jehova und seiner Organisation dankbar, daß aus einem Leben ohne Zukunft ein sinnvolles Leben geworden ist.“

Besuch von Kongressen mit großen Anstrengungen verbunden

Jahr für Jahr wurden in Mexiko-Stadt Landeskongresse abgehalten, und die Mehrheit der mexikanischen Brüder besuchte sie. Doch für einige brachte dies beträchtliche Härten mit sich, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlten. Als die Kongresse noch nicht so groß waren, wurden alle, die nicht aus der Hauptstadt kamen, im Bethel untergebracht. Zu Beginn der 40er Jahre wurden dann in den Wohnungen verschiedener Brüder Unterkünfte bereitgestellt. Die Armut vieler unserer Brüder war für uns erschütternd, und ihre Anstrengungen, aus den Provinzen nach Mexiko-Stadt zu kommen, um sich der geistigen Speise zu erfreuen, haben uns tief berührt.

Wie froh waren wir doch, als man Kongresse in geringerer Entfernung von ihrem Wohnort abhalten konnte. Jetzt brauchten sie nicht mehr so weit zu reisen. Dennoch mußten einige Brüder nach wie vor große Opfer bringen, um anwesend zu sein. 1949 beispielsweise legten 20 Delegierte, 18 Männer und 2 Frauen, aus dem Bundesstaat Tabasco weit über 300 Kilometer zu Fuß zurück, um einen Kongreß im Bundesstaat Veracruz zu besuchen. Sie brauchten für die Hinreise 15 Tage. Alles in allem waren sie etwa 35 Tage unterwegs.

La Torre del Vigía de México — eine kulturelle Vereinigung

Wie erwähnt, wurde La Torre del Vigía de México bereits 1932 von der Regierung als Vereinigung anerkannt. Wegen der Einschränkungen, die das Gesetz allen Religionsgemeinschaften auferlegte, gab es jedoch Hindernisse. Gegen den Haus-zu-Haus-Dienst der Zeugen wurden Einwände erhoben, da das Gesetz festlegte, daß „jeder religiöse Akt öffentlichen Gottesdienstes innerhalb eines Gotteshauses stattfinden muß“. Aus dem gleichen Grund wurden Einwände gegen unsere Kongresse in der Öffentlichkeit erhoben. Das war ein Problem, da diese Kongresse ständig größer wurden. Auch der Erwerb von Eigentum war problematisch, weil das Gesetz verlangte, daß jedes Gebäude, das für religiöse Zwecke genutzt wurde, in Bundeseigentum überging.

Aus diesen und anderen Gründen hielt es die Gesellschaft für ratsam, sich zu reorganisieren und dabei den allgemeinbildenden Charakter unseres Werkes stärker zu betonen. So beantragte man am 10. Juni 1943 beim Außenministerium, La Torre del Vigía als eine nichtreligiöse Vereinigung einzutragen, und dem wurde am 15. Juni 1943 entsprochen.

Mit dieser Neuorganisation wurde das Singen bei den Zusammenkünften eingestellt, und die Zusammenkunftsstätten wurden „Säle für kulturelle Studien“ genannt. Obgleich man bei den Zusammenkünften nicht laut betete, konnte doch niemand daran gehindert werden, im stillen ein inniges Gebet zu sprechen. Man vermied jeden Anschein eines Gottesdienstes, und es ist ja auch tatsächlich so, daß unsere Zusammenkünfte der Bildung dienen. Als die Zeugen in anderen Ländern anfingen, ihre örtlichen Gruppen „Versammlungen“ zu nennen, blieb man in Mexiko bei dem Ausdruck compañías. Die Zeugen gingen weiterhin von Haus zu Haus, sogar mit noch größerem Eifer; sie vermieden jedoch die direkte Verwendung der Bibel an den Türen. Statt dessen lernten die Verkündiger Texte auswendig, damit sie sie zitieren konnten. Sie machten auch guten Gebrauch von dem Buch „Vergewissert euch über alle Dinge“, das eine Zusammenstellung von Bibelstellen zu verschiedenen Themen enthält. Die Bibel selbst benutzte man nur bei Rückbesuchen und Studien (die „kulturelle Studien“ statt „Bibelstudien“ genannt wurden).

Das grundlegende Werk der Zeugen Jehovas blieb jedoch dasselbe, nämlich das Predigen der guten Botschaft von Gottes Königreich.

Lese- und Schreibkurse

Getreu den Statuten von La Torre del Vigía, gaben wir — zusätzlich zur Schulung der Menschen in den biblischen Lehren — Lese- und Schreibunterricht. So meldete La Torre del Vigía am 17. Mai 1946 bei der Regierung ein Zentrum für Lese- und Schreibkurse in Mexiko-Stadt an. Diese Kurse wurden von José Maldonado geleitet.

Da die Regierung an der Bekämpfung des Analphabetentums interessiert war, stellte sie für den Unterricht Lehrbücher für Anfänger zur Verfügung. Als die Watch Tower Society später die Broschüre Aprender a leer y escribir (Lerne lesen und schreiben) druckte, wurde diese verwendet. Die Regierung schätzte diesen Einsatz. In einem Brief vom 25. Januar 1966 hieß es: „Im Einvernehmen mit dem Generaldirektor möchte ich Sie ... zu der guten Zusammenarbeit zwischen Ihrer Einrichtung und dem Staat beglückwünschen, die Ihr Bemühen um die Analphabeten der Republik erkennen läßt. ... Ich hoffe, daß Ihr Eifer in der Fortsetzung des zähen Kampfes gegen das Analphabetentum, an dem sich alle guten mexikanischen Bürger beteiligen, nicht nachlassen wird.“

Vom Beginn der Kurse bis 1966 wurde 33 842 Menschen das Lesen und Schreiben beigebracht. Und 1993 belief sich die Gesamtzahl auf 127 766. Zusätzlich wurde 37 201 Personen geholfen, ihre Lese- und Schreibfähigkeiten zu verbessern. Beim Erlernen des Lesens und Schreibens lernten sie auch, glaubensstärkende Vorkehrungen zu schätzen — die Literatur für das Bibelstudium, die von der Gesellschaft hergestellt wird, und auch die Zusammenkünfte der compañías.

Moralische Reinheit der Organisation Jehovas

Als die Kreiskongresse anliefen, begann auch eine Zeit intensiver Läuterung in der Organisation Jehovas. Ein Brauch, der damals in Mexiko tief verwurzelt war, bestand darin, daß ein junger Mann eine junge Frau „stahl“ und mit ihr ohne Trauschein zusammenlebte. An die alten Sitten gewöhnt, die in der falschen Religion erlaubt waren, heirateten Paare gewöhnlich nicht. Sie lebten einfach in einer Ehe nach Übereinkunft zusammen. Das war bei vielen der Fall, die mit Jehovas Zeugen Verbindung aufnahmen.

Bruder Salinas schätzte die biblischen Sittengesetze hoch ein und half den Brüdern, sie zu verstehen (Mat. 19:3-9; Heb. 13:4). Wohin er auch kam, ermunterte er sie, ihre Ehe zu legalisieren.

Das war für Jehovas Zeugen nicht neu. Schon in der Ausgabe für September/Oktober 1924 von La Torre del Vigía wurde die Frage behandelt: „Ist es angebracht, einen Bruder, der mit seiner Partnerin nicht gesetzlich verheiratet ist, zum Ältesten einer Bibelklasse zu wählen?“ Die Antwort lautete: „Es wäre ganz und gar unpassend.“ Dafür wurden biblische Gründe angegeben. Auch wurde empfohlen, Personen, die ihre Eheangelegenheiten noch nicht in Ordnung gebracht hatten, nicht zu taufen. Dennoch gab es in verschiedenen compañías Brüder, die die Aufsicht führten, aber nicht gesetzlich verheiratet waren.

Im Jahr 1952 wurden dann zum Nutzen der Zeugen Jehovas weltweit präzise Anweisungen gegeben, daß man sein Leben in Ordnung bringen mußte, wenn man ein Teil der Organisation Jehovas bleiben wollte. Es gab verheiratete Männer, die sich von ihrer Frau getrennt hatten und dann mit einer anderen Frau zusammenlebten — dabei waren sie weder von der ersten geschieden noch mit der zweiten verheiratet. Andere hatten wieder geheiratet, ohne von der vorherigen Frau geschieden zu sein. Somit kostete es die Brüder große Anstrengungen, ihr Leben in Ordnung zu bringen, um Jehova dienen zu können.

Es war eine wahre Freude, zu sehen, wie sie die notwendigen Schritte unternahmen, um ihre Ehe zu legalisieren. In einigen compañías wurden 20 und mehr Paare gleichzeitig getraut. Allerdings gab es auch einige, die trotz der gerechten Normen Jehovas ihren Lebenswandel nicht ändern wollten. Manche von ihnen verließen die Organisation, andere wurden ausgeschlossen.

Ein Bruder erinnert sich, wie er in Begleitung seiner Kinder mit seiner Partnerin getreu den Anweisungen der Organisation zur Trauung ging. Der Richter fragte: „Ist es dein Wille, mit dieser Frau vereint zu sein, sie anzunehmen und zur Ehefrau zu haben, bis der Tod euch scheidet?“ Als er mit der Antwort zögerte, ermutigte ihn sein Töchterchen mit besorgter Miene: “¡Dí que sí, papacito!” (Papi, sag doch ja!), worauf er dem Richter sofort eine zustimmende Antwort gab.

Zeit und Geduld erforderlich

Einige brauchten Zeit, um sich den hohen sittlichen Grundsätzen der Organisation Jehovas anzupassen, besonders was die Ehe und den Alkoholgenuß betraf, doch nach und nach wurde den Brüdern bewußt, wie wichtig es ist, sich nach den Wegen Jehovas zu richten (1. Pet. 4:3).

In seinem Bericht über das Dienstjahr 1953 schrieb das Zweigbüro: „Wir führten zu Ende, was wir im vorigen Jahr begonnen hatten, nämlich die Säuberung der Organisation von Personen, die es nicht verdienen, ein Teil davon zu sein. Das verursachte einen beträchtlichen Rückgang der Verkündigerzahl in den ersten fünf Monaten des Dienstjahres. Die Zahl lag um 7 Prozent unter dem Durchschnitt des Dienstjahres zuvor, stieg jedoch ab Februar so weit an, daß wir zum Ende des Dienstjahres ein 9prozentiges Wachstum gegenüber dem Durchschnitt des vergangenen Jahres erreicht hatten.“ Schließlich konnte für die von Grund auf gereinigte Organisation Jehovas in Mexiko eine Periode geistiger Wohlfahrt beginnen, die bis heute andauert.

Unvergeßliche Kongresse

Es gab einige Kongresse, die den Anwesenden unvergeßlich geblieben sind. Einer davon wurde vom 13. bis 15. April 1945 in Mexiko-Stadt abgehalten. Kein Delegierter reiste mit einem Privatwagen an. Über 200 kamen von Monterrey mit dem Zug. Ein Schild an der Außenseite eines Waggons kündigte an, wohin sie reisten, und an allen Bahnstationen gaben die Delegierten den Verkäufern und neugierigen Passanten Zeugnis. Um zum Kongreß zu kommen, ging eine Großfamilie, zu der auch ein Baby gehörte, von ihrer Wohnung in Chihuahua aus sieben Tage lang zu Fuß und nahm dann den Zug. N. H. Knorr und F. W. Franz vom Hauptbüro in New York waren ebenfalls zugegen. Am ersten Kongreßtag waren 717 der 1 107 Anwesenden im Predigtdienst unterwegs, um den öffentlichen Vortrag „Eine Welt, eine Regierung“ anzukündigen, den Bruder Knorr in der Arena México halten sollte. Und er hielt den Vortrag zu Ende, obwohl Katholiken durch Zwischenrufe versuchten, die Versammlung aufzulösen.

Einige der denkwürdigsten Kongresse haben bewirkt, daß die Zeugen in Mexiko ihren christlichen Brüdern in anderen Ländern näherkamen. Herausragend war der internationale Kongreß „Göttlicher Wille“, der 1958 in New York stattfand. Es waren Delegierte aus 123 Ländern anwesend — allein 503 aus Mexiko. Sie hatten die Möglichkeit, Mitgläubige aus allen Erdteilen zu hören, kennenzulernen und mit ihnen Gemeinschaft zu pflegen. Ein weiterer bewegender Kongreß wurde 1966 in Mexiko-Stadt abgehalten. Hunderte von Delegierten aus etwa einem Dutzend Ländern reisten nach Mexiko, um mit ihren Brüdern dort dem größten Kongreß, den La Torre del Vigía bis dahin veranstaltet hatte, beizuwohnen. Bei dieser Gelegenheit waren mehr als 30mal so viele anwesend wie bei dem Kongreß im Jahr 1945 in Mexiko-Stadt.

Die Filme der Gesellschaft

Mitte der 50er Jahre nahm die Gesellschaft etwas Neues in ihr Bildungsprogramm auf. Bruder Salinas berichtete: „Die 16-mm-Filme der Gesellschaft Die Neue-Welt-Gesellschaft in Tätigkeit, Die glückliche Neue-Welt-Gesellschaft, Internationaler Kongreß der Zeugen Jehovas ‚Göttlicher Wille‘, Eine ‚ewige gute Botschaft‘ geht rund um die Welt und Gott kann nicht lügen trugen sehr zur Förderung des Werkes bei. Man konnte beobachten, wie diese Filme auf Menschen wirkten, die mit unserem Werk nicht gut vertraut waren.“ Im ersten Film wurden die Tätigkeiten in den Zweigbüros der Gesellschaft vorgestellt. Die nächsten drei Filme zeigten Kongresse, die in verschiedenen Ländern stattfanden. Der letzte half den Zuschauern, sich wichtige biblische Ereignisse besser vorzustellen und ihre Bedeutung für unsere Zeit zu erkennen.

Diese Filme wurden oft in einem Innenhof oder in einem gemieteten Saal vorgeführt. Man verteilte Einladungen, und so waren die Vorführungen gut besucht. Am Schluß wurden die Namen derer notiert, die weitere Informationen wünschten.

In Tenexpa im Bundesstaat Guerrero planten Jehovas Zeugen 1958, den aktuellen Film der Gesellschaft auf einem Grundstück neben der Zusammenkunftsstätte vorzuführen. Die Brüder waren gerade dabei, den Platz zu reinigen, als das unerwartete Auftauchen eines Polizeibeamten Zweifel aufsteigen ließ, ob die Aufführung überhaupt stattfinden würde. Der Polizeibeamte zitierte den verantwortlichen Bruder nämlich zum Bürgermeister. Dieser fragte den Bruder: „Wo wollt ihr den Film zeigen?“ Als er die Antwort gehört hatte, sagte er: „Warum führt ihr ihn nicht im Musikpavillon auf dem öffentlichen Platz vor?“ „Gut, wenn niemand etwas dagegen hat ...“ Der Bürgermeister kümmerte sich um die Stromversorgung. Man trug Sitzbänke aus einem Kino heraus, und einige Leute brachten sogar ihre eigenen Stühle mit, da es nur 900 Sitzplätze gab. Rund 2 000 Besucher kamen, und aus dem Ereignis wurde ein Fest, bei dem alle mit Speisen versorgt wurden. Jedesmal, wenn Bruder Salinas die Filme der Gesellschaft in den nördlichen Staaten der Republik vorführte, kamen 500, 800, ja bis zu 1 000 Besucher.

Zweigeinrichtungen, um mit dem Werk Schritt zu halten

Als die Bethelfamilie in Mexiko nur aus Roberto Montero und seiner Familie bestand, bot die Wohnung in der Calle Melchor Ocampo 71 in Mexiko-Stadt genügend Platz für Unterkünfte und das Zweigbüro. Es gab damals nur ungefähr 100 Königreichsverkündiger in Mexiko. Doch bis zum Jahr 1946 war die Zahl der aktiven Zeugen auf 3 732 angewachsen, die in 223 compañías organisiert waren. Für das ausgedehnte Bildungswerk, das die Zeugen im ganzen Land durchführten, wurden größere Einrichtungen benötigt. Deshalb wurde in jenem Jahr ein neues Wohn- und Bürogebäude direkt neben dem bereits bestehenden Gebäude fertiggestellt und in Gebrauch genommen.

Im Jahr 1962 war die Kapazität dieser Einrichtungen voll ausgelastet, daher wurde ein weiterer fünfgeschossiger Anbau hinzugefügt. Dort befand sich eine kleine Druckerei, in der der spanische Informator (heute Unser Königreichsdienst) und Formulare gedruckt wurden — für das Zweigbüro und die 27 000 Verkündiger, die damals im theokratischen Bildungswerk in Mexiko tätig waren. Unter der Leitung des Büros wurden in der Königreichsdienstschule die Aufseher der compañías und Sonderpioniere aus dem ganzen Land unterwiesen.

Anhaltender religiöser Fanatismus

Die Regierung hatte zwar seit Jahrzehnten versucht, dem religiösen Fanatismus ein Ende zu machen, und das Werk der Zeugen Jehovas war im ganzen Land bekannt, doch die Geistlichkeit reagierte wütend auf die Fortschritte, die die Zeugen mit ihrem Bildungswerk erzielten. In den 60er Jahren wurde die Gegnerschaft an einigen Orten heftiger als je zuvor.

In der Stadt Los Reyes de la Paz im Bundesstaat Mexiko war beispielsweise für den 4. und 5. August 1963 ein Kreiskongreß geplant. Als der Kongreß begann, setzte der Priester Lautsprecher ein, die an den Mauern der Kirche befestigt und direkt auf das Kongreßgelände gerichtet waren, um das Programm zu übertönen. Gefühlsbetonte Reden und Beschimpfungen, die gegen die Zeugen gerichtet waren, sollten die Kirchenbesucher zur Raserei bringen. Hunderte von Katholiken, die sonst ruhige und friedliche Bürger waren, wurden zur Gewaltanwendung provoziert. Sie stürmten aus der Kirche und suchten sich Stöcke, Knüppel und Steine zusammen. Außer Rand und Band geraten, stürzte sich der Pöbel auf die versammelten Zeugen Jehovas. Mehr als 30 Zeugen wurden verletzt. Die Leute bewarfen auch zwei Wohnungen von Brüdern mit Steinen und rissen Wände ein.

Dank des rechtzeitigen Eingreifens der Bundesverkehrspolizei konnten sich die Brüder, die von außerhalb gekommen waren, unbehelligt auf den Heimweg machen. Am Montag wurde die wütende Menge von der Armee zerstreut.

Die Tageszeitung Excelsior vom 6. August 1963 berichtete darüber: „Jesús Meza, der Geistliche von Los Reyes, den das Gericht als den Urheber der Tumulte bezeichnet hat, floh in einem Auto aus dem Ort, begleitet von Hunderten seiner Gemeindeglieder, die mit Steinen, Stöcken und Macheten bewaffnet waren.“

Doch diese Pöbelaktion öffnete einigen aufrichtigen Menschen die Augen. Als die Zeugen nach einer Weile wieder in der Stadt predigten, erzielten sie sehr gute Ergebnisse. Die Leute zeigten sich über ihr Verhalten beschämt, und nach und nach fingen sie an zuzuhören. Als es zu der Pöbelaktion kam, gab es in dem Gebiet zwei compañías. Daraus sind nun rund 50 weitere Versammlungen hervorgegangen.

Religiöse Intoleranz in Sahuayo

Im August 1964 brach in Sahuayo im Bundesstaat Michoacán eine empörende Verfolgung aus. Dort predigten eifrige Sonderpioniere. Es fanden bereits Zusammenkünfte mit einer kleinen Gruppe interessierter Personen statt. Allerdings wurden sie immer wieder von einer aufgebrachten Menge, die der Pfarrer zusammentrommelte, bedroht und beschimpft. Sowohl Einwohner aus Sahuayo als auch aus dem nahe gelegenen Jiquilpán beteiligten sich an den Attacken. Mehr als einmal mußten die Brüder einer wütenden Menschenmenge von 200 bis 300 Leuten gegenübertreten.

Am 13. August spitzte sich die Lage zu, als sich über 5 000 Leute vor der Wohnung eines Pioniers zusammenrotteten. Sie hatten Benzin mitgebracht, um das Haus anzuzünden und es samt seinen Bewohnern niederzubrennen. Ein Bruder, fünf Schwestern und ein sechsjähriges Mädchen waren in dem Haus. Einige Polizisten versuchten, den wutentbrannten Pöbel zurückzuhalten, aber sie konnten nicht viel ausrichten. Im entscheidenden Augenblick tauchten jedoch unerwartet drei Lastwagen voller Soldaten auf. Sie brachten die Zeugen in Sicherheit und zerstreuten den Pöbel. In Kommentaren zu dem Vorfall bedauerten die Zeitungen zutiefst das intolerante Verhalten der Geistlichkeit, die den Zwischenfall verursacht hatte.

Die Lage war so gefährlich, daß man es für das vernünftigste hielt, die Sonderpioniere aus dem Gebiet zu holen. Im Laufe der Zeit sandte die Gesellschaft jedoch Pioniere in benachbarte Orte, und sie arbeiteten sich vorsichtig an Sahuayo und Jiquilpán heran. Sie waren so erfolgreich, daß 1974, zehn Jahre nach der Verfolgung, eine compañía in Jiquilpán gegründet wurde und 1990 eine weitere in Sahuayo.

Der Mann zog etwas aus seiner Hosentasche

Kann man es den Zeugen bei der brutalen Verfolgung verdenken, wenn sie manchmal etwas ängstlich waren? José Mora erinnert sich an ein bestimmtes Erlebnis, das er im Bundesstaat Jalisco hatte. Heute lacht er darüber, aber damals war ihm etwas unbehaglich zumute.

Er sprach mit einem Mann und hatte gerade die Bibelstelle aus Psalm 115:16 zitiert: „Was die Himmel betrifft, Jehova gehören die Himmel, aber die Erde hat er den Menschensöhnen gegeben.“ Der Mann griff blitzartig nach hinten in seine Hosentasche. Bruder Mora dachte, er würde eine Waffe ziehen. Was für eine Erleichterung, als er ein Neues Testament, das auch die Psalmen enthielt, hervorholte! Der Mann prüfte die Bibelstelle in seiner eigenen Bibel nach und nahm die Botschaft an. Er und seine ganze Familie wurden sehr schnell Zeugen Jehovas. „Er hatte bemerkt, daß ich etwas nervös wurde“, erzählt Bruder Mora, „und wenn wir uns hin und wieder sehen, erinnern wir uns an den Vorfall und lachen darüber.“

Eine erfreuliche Reaktion in den letzten Jahren

Trotz der Verfolgung nahm die Zahl der Lobpreiser Jehovas im ganzen Land stetig zu. Das Predigen der guten Botschaft wurde noch wirkungsvoller, als die Brüder biblische und organisatorische Angelegenheiten besser verstanden. Nach und nach wurden sich die Verkündiger immer mehr der Notwendigkeit bewußt, dem Interesse nachzugehen und sich um die Schafe zu kümmern. Als Folge davon stieg die Zahl der Bibelstudien an. 1970 wurden monatlich im Durchschnitt 43 961 Studien durchgeführt; zehn Jahre später war die Zahl auf 90 508 angestiegen. Einige machten sehr schnell Fortschritte.

Das traf auf Lino Morales und seine Frau zu. Lino war mit einem Freund nach Guatemala zu einer Marienstatue gepilgert. (Er wohnte im Bundesstaat Chiapas in Mexiko.) Sie vereinbarten, getrennt in die Kapelle hineinzugehen, um vor der Statue zu beten. Lino berichtet: „Als er lange Zeit nicht herauskam, spähte ich vorsichtig durch die Tür. Was für eine Gotteslästerung! Mein Freund hob gerade den Rock der Jungfrau hoch! Als ich ihn anfuhr: ‚Was machst du da?‘, tat er schnell so, als würde er beten. Ich forderte ihn in drohendem Ton auf herauszukommen und empfing ihn mit geballten Fäusten. Er redete eine ganze Weile beschwichtigend auf mich ein. Nachdem ich mich beruhigt hatte, erklärte er mir, er sei tief enttäuscht von der Statue, denn als er niederkniete, um ihre Füße zu küssen, habe er entdeckt, daß lediglich das Gesicht und die Füße glattpoliert waren und sich unter der Kleidung nur kleine Holzscheite befanden.“

Dieser Vorfall und der Tod seines kleinen Sohnes wirkten sich tiefgreifend auf Linos Weltanschauung aus. Was geschah daraufhin? Seine Frau erinnert sich: „Zwei Frauen kamen an meine Tür, sprachen mit mir über die Bibel und überzeugten mich bald davon, daß sie die Wahrheit sagten. Sie ließen ein Buch zurück und versprachen, später wiederzukommen. Kaum waren sie gegangen, fing es an zu regnen. Da der Regen anhielt, kamen die beiden Frauen wieder, doch diesmal mit ihren Männern, um Unterschlupf zu finden. Es schüttete den ganzen Nachmittag und Abend, und so mußten sie in unserem Haus übernachten. Wir nutzten die Gunst der Stunde — sie zum Erklären biblischer Wahrheiten und ich zum Lernen. Am nächsten Tag gingen sie früh weg, versprachen aber wiederzukommen. Ein allgemeiner Pionier hatte bei dem Gespräch die Führung übernommen. Er und seine Frau kamen aus dem Süden des Bundesstaates; ihr Partner hieß Caralampio und kam aus dem Ort La Trinitaria. Überraschenderweise kam mein Mann an diesem Tag nachmittags nach Hause. (Lino arbeitete weit weg an einer Dorfschule.) Nach dem Abendessen erzählte ich ihm, daß Prediger mich aufgesucht und ein Buch zurückgelassen hatten. Wir betrachteten es zusammen und unterhielten uns über die Erklärungen, die sie mir gegeben hatten. Wir konnten das Buch nicht mehr weglegen. Ehe wir es gewahr wurden, war die Nacht vorüber, und der Morgen dämmerte schon. Wir hatten überhaupt nicht geschlafen.“

Während Lino das Pferd sattelte, bereitete seine Frau das Frühstück zu. An dem Morgen ritt er 20 Kilometer bis nach La Trinitaria, um Caralampio zu suchen. Er fand das Haus, aber es war niemand da, weil Caralampio predigen gegangen war. Deshalb hinterließ Lino beim Nachbarn eine Nachricht. „Ich kam etwas entmutigt zurück“, erinnert Lino sich, „doch — was für eine Überraschung! — schon früh am nächsten Morgen hörte ich jemanden an die Tür klopfen. Als ich hinausging, standen die Prediger da. Gegen 7 Uhr abends hatten sie die Nachricht erhalten, daß wir sie suchten. Sie machten sich sofort fertig, gingen die ganze Nacht zu Fuß und erreichten unser Haus, als es hell wurde. Somit machten diese Prediger innerhalb von weniger als 48 Stunden, nachdem sie das Buch zurückgelassen hatten, trotz der Entfernung und der späten Stunde einen Rückbesuch.“

Der Rückbesuch dauerte drei Tage. In dieser Zeit vermittelten sie Lino und seiner Frau die grundlegenden Wahrheiten aus Gottes Wort. Am vierten Tag begleiteten die beiden sie im Predigtdienst. Als Ergebnis davon begann eine große Familie, Jehova zu dienen.

„Gebt mir meinen Sohn wieder, oder ich werfe euch raus!“

Auch Edilberto Juárez aus dem Bundesstaat Oaxaca nahm die Wahrheit schnell an. „Ich trauerte um meinen Bruder und meinen Sohn, die am gleichen Tag Selbstmord begangen hatten“, erzählte er. „Dieses tragische Ereignis veranlaßte mich dazu, mich sofort an meine Götter (die Heiligenbilder) zu wenden, die eine ganze Seitenwand meines Hauses einnahmen. Ich sagte ihnen, daß sie mir meinen Sohn wiedergeben müßten, sonst würde mir nichts anderes übrigbleiben, als sie hinauszuwerfen. Nachdem ich acht Tage gewartet hatte und diese Götter keinerlei Macht gezeigt hatten, säuberte ich mein Haus von ihnen. Ich vergoß bittere Tränen über den Verlust meiner lieben Angehörigen.

Ein Lehrer kam zu mir und versuchte, mich zu trösten. Er gab mir ein Neues Testament und ermunterte mich, es zu lesen; doch da ich nie eine Bibel gesehen hatte, interessierte es mich nicht, und ich legte es weg. Etwa um dieselbe Zeit besuchte mich auch ein Angehöriger der Pfingstgemeinde. Während wir uns unterhielten, fiel mein Blick auf einen Mann mit einer Aktentasche. Der Pfingstler erkannte ihn als einen Zeugen Jehovas und schlug vor, ihn hereinzubitten, da er mehr über die Bibel wüßte. Der Zeuge kam herein, und als er erfuhr, daß ich trauerte, sprach er mit mir über die Auferstehung. Das interessierte mich brennend.“

Dieser Zeuge besuchte Edilberto von da an regelmäßig, obwohl das einen langen Fußmarsch erforderte. „Bald begann ich, anderen von meinem neuen Glauben zu erzählen“, sagte Edilberto. „Drei von ihnen interessierten sich für die Wahrheit, und wir trafen uns in meiner Wohnung; so studierten wir vier mit dem Verkündiger zusammen die Bibel, wenn er uns besuchte.“

„Kulturelle“ Studien als Schnellkurse

Das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt, auch „blaue Bombe“ genannt, erschien 1968, und es wurde angeregt, das Buch mit den Menschen innerhalb von sechs Monaten durchzustudieren. Doch nicht jeder brauchte so lange. In einem Fall dauerte das Studium nicht einmal zwei Wochen. Das Zweigbüro berichtete darüber:

„Eine Frau erfuhr durch ein Geschenkabonnement des Wachtturms von der Wahrheit. Als sich der Bezirksdiener und seine Frau in einer Nachbarstadt aufhielten, besuchte sie einen Kreiskongreß. Der Bruder und seine Frau unterhielten sich mit ihr und erkannten ihren aufrichtigen Wunsch, Jehova zu dienen und den Bewohnern in dem Ort, wo sie wohnte, zu helfen. Daher wurde vereinbart, das Wahrheits-Buch mit ihr zu studieren. Das Problem bestand nur darin, daß nicht genügend Zeit zur Verfügung stand, um das Studium, wie von der Gesellschaft vorgesehen, durchzuführen, da sie nur zwei Wochen in der Kongreßstadt bleiben und dann mit einem kleinen Flugzeug nach Hause in die Berge zurückkehren würde. Deshalb studierte die Frau des Bezirksdieners zwei Wochen lang intensiv mit ihr die Bibel. Tatsächlich studierten sie von einem Freitag bis zum nächsten insgesamt dreißig Stunden und nahmen in dieser Zeit das ganze Wahrheits-Buch durch. Diese Frau wollte die verfügbare Zeit ausnutzen, und so brachten der Bezirksdiener und seine Frau an einigen Nachmittagen und Abenden zwei bis drei Stunden damit zu, ihre vielen Fragen zu beantworten. Am Ende der zwei Wochen hatte sie alle Antworten in ihrem Buch unterstrichen und fieberte danach, in ihren abgelegenen Heimatort zurückzukehren und anderen zu helfen.“

Bevor sie am Ende der zweiten Woche abreiste, wurde sie getauft. Nicht lange nach ihrer Rückkehr studierte sie bereits mit acht Personen die Bibel. Zum Wachtturm-Studium kamen fünfzehn Leute, und so wurde eine Verkündigergruppe gegründet. Heute gibt es dort eine Versammlung.

Ältestenschaften — ein Segen für die compañías

In Übereinstimmung mit dem biblisch begründeten Rat des treuen und verständigen Sklaven wurde 1972 eine Änderung vorgenommen, die die Aufsicht über die compañías betraf. An die Stelle des Dieners einer compañía, der als einziger die Aufsicht hatte, sollte eine Ältestenschaft treten. Dieser Rat wurde soweit wie möglich befolgt. Doch so wie heute gab es auch damals compañías, deren Verkündiger schon dankbar waren, wenn nur ein oder zwei Brüder die nötigen Voraussetzungen für das Amt eines Ältesten mitbrachten. Als die neue Vorkehrung in Kraft trat, wurden zwar viele der Diener von compañías Älteste, doch manche entsprachen nicht voll und ganz den biblischen Erfordernissen. Wer die Herde mit Härte behandelte, was einige in der Vergangenheit getan hatten, erfüllte nicht die Voraussetzungen (1. Pet. 5:2, 3). Durch Ältestenschaften, bestehend aus mindestens zwei Männern, die den biblischen Erfordernissen entsprachen, zeigte die Organisation nun mehr Mitgefühl bei der Betreuung der Herde und hielt sich so enger an das Beispiel Jesu, des vortrefflichen Hirten.

Auch heute noch besteht ein Bedarf an befähigten Männern, die als Älteste dienen können. Das schnelle Wachstum unter den Zeugen ist der Grund dafür, daß viele Versammlungen — bis 1989 compañías genannt — von nur einem Ältesten und mehreren Dienstamtgehilfen betreut werden; in einigen Fällen kümmern sich Dienstamtgehilfen um alle Verpflichtungen. In Tantoyuca im Bundesstaat Veracruz gab es zwei Versammlungen, aber nur einen Ältesten. Daher zog Enrique Hernández Montes (ein Ältester und Pionier) mit seiner Familie dorthin. In der Versammlung, der er zugeteilt wurde, gab es so viele interessierte Personen, daß nicht alle in den Königreichssaal hineinpaßten. Die Versammlung mußte deswegen in zwei Gruppen aufgeteilt werden, und für die zweite Gruppe wurden die Zusammenkünfte wiederholt. In Palmillas im Bundesstaat Sinaloa stellte vor ein paar Jahren der einzige Älteste am Ort fest, daß sich 21 Interessierte aus seiner Versammlung auf dem nächsten Kongreß taufen lassen wollten. Er tat sein möglichstes, um mit jedem die Fragen für Taufbewerber zu besprechen.

Die Aufteilung der Verantwortung führt selbst dort, wo es nur sehr wenige geeignete Brüder gibt, zu einer besseren Betreuung der Schafe.

Eine Zeit des Sichtens

Das Jahr 1975 wurde mit Spannung erwartet, und man fragte sich, welche Rolle es wohl in der Verwirklichung des Vorsatzes Jehovas spielen würde. Einige klammerten sich an dieses Jahr als Zeitpunkt, zu dem das alte System vernichtet und Gottes neue Welt Wirklichkeit werden würde. Als sich ihre Erwartungen nicht erfüllten, hörten sie auf, Gott zu dienen. Eine Anzahl wurde abtrünnig. Die allermeisten Zeugen Jehovas dienten Jehova jedoch aus Liebe. Sie wußten, daß Gottes Wort sich auf jeden Fall bewahrheiten wird.

In vollem Vertrauen auf Jehova bereitete sich die Organisation in den Jahren 1975/76 weltweit auf weiteres Wachstum vor. Dieses Vertrauen wurde nicht enttäuscht. Mexiko hat einen bemerkenswerten Anteil an der Mehrung. Was hat dazu beigetragen?

Große Familien dienen Jehova gemeinsam

Mexikanische Familien sind in der Regel kinderreich. Wenn ein Bibelstudium eingerichtet wird, nehmen daran nicht selten drei, vier oder noch mehr Familienmitglieder teil. Im allgemeinen halten die Familien zusammen, und die Kinder haben großen Respekt vor ihren Eltern. Eine Folge davon ist, daß die Kinder das Beispiel ihrer Eltern nachahmen, wenn diese die Wahrheit annehmen. Wenden die Familien dann biblischen Rat an, wird der Zusammenhalt noch fester, und so dienen häufig ganze Familien Jehova gemeinsam.

In den Versammlungen wird alles getan, damit sich die Jugendlichen dazugehörig fühlen. Bei den Zusammenkünften wird jeder mit einem herzlichen Händedruck begrüßt, auch Kinder und Jugendliche. Kaum ein Kind zeigt bei den Zusammenkünften Lustlosigkeit. Alle möchten sich beteiligen, und sie helfen auch gern bei anfallenden Arbeiten am Saal.

Oft sieht man ganze Familien gemeinsam im Predigtdienst. Einige unternehmen Anstrengungen, damit die meisten aus der Familie im Pionierdienst stehen können. Guilebaldo Hernández und seine Frau aus der Versammlung Oriente in Zapata im Bundesstaat Morelos haben drei Töchter, die Sonderpionierinnen sind, und weitere drei Töchter dienen in einem abgelegenen Gebiet als allgemeine Pioniere. Ihre beiden Söhne sind Verkündiger und zugleich Dienstamtgehilfen, und die zwei jüngsten Töchter (11 und 12 Jahre alt) sind ungetaufte Verkündigerinnen. Es gibt in dieser 12köpfigen Familie also 6 Versammlungsverkündiger und 6 Pioniere.

Sabino Martínez Durán dient in der Versammlung Estrella in der Stadt Aguascalientes im gleichnamigen Bundesstaat als Ältester und Pionier. Seine Frau und seine Tochter stehen ebenfalls im allgemeinen Pionierdienst. Ein Sohn ist in der gleichen Versammlung allgemeiner Pionier und Dienstamtgehilfe. Ein anderer Sohn dient als Bethelmitarbeiter im mexikanischen Zweigbüro, und ein weiterer Sohn hilft dort bei den Bauarbeiten mit.

Respekt vor der Mutter brachte gute Resultate

Ohne Zweifel trägt der gegenseitige Respekt, der in mexikanischen Familien herrscht, zur Verbreitung der Königreichsbotschaft bei. Das macht auch eine Begebenheit deutlich, die sich im Bundesstaat Chihuahua zutrug.

Die Ältesten in Navojoa (Bundesstaat Sonora) erfuhren, daß in El Trigo de Russo, einem Dorf in den Bergen des Bundesstaates Chihuahua, mehrere Leute anhand von Veröffentlichungen der Gesellschaft wie dem Wahrheits-Buch die Bibel studierten. Also unternahmen ein Ältester und ein Dienstamtgehilfe eine anstrengende Reise, die einen ganzen Tag dauerte, um dem Bericht nachzugehen und den Neuinteressierten Unterstützung zu bieten. Sie stellten fest, daß ein Lehrer und seine Frau, damals beide keine Zeugen Jehovas, mit den Bewohnern die Bibel studierten. Man traf sich zweimal die Woche, und immer waren zwischen 25 und 30 Personen anwesend. Wie war es dazu gekommen?

Die Mutter des Lehrers, eine Zeugin Jehovas, war bei ihrem Sohn zu Besuch gewesen. Während ihres Aufenthalts hatte sie einigen Leuten in der Umgebung gepredigt und ihnen Wahrheits-Bücher gegeben. Da diese Menschen großes Interesse hatten, bat die Mutter ihren Sohn und ihre Schwiegertochter inständig, ihnen zu helfen. Die beiden waren, wie gesagt, keine Zeugen Jehovas, doch war der Mann als Kind von seiner Mutter in den Wegen Jehovas unterwiesen worden. Aus Liebe zu seiner Mutter und aus Respekt vor ihr erklärte ihr Sohn sich bereit, mit den interessierten Personen zu studieren, und selbstverständlich war auch die Schwiegertochter damit einverstanden. Als die beiden mit der Gruppe studierten, wurde ihr eigenes Interesse geweckt. Innerhalb von vier Monaten hatten sie das Wahrheits-Buch durchgenommen. Die beiden Brüder aus Navojoa sorgten nun dafür, daß Älteste und andere Verkündiger das Dorf regelmäßig besuchten. Die ersten aus der Gruppe, die Verkündiger wurden, waren der Lehrer und seine Frau. Sie wurden 1989 auf dem Bezirkskongreß getauft. Im Juni 1990 wurde in El Trigo de Russo eine Versammlung mit zehn Verkündigern gegründet, und mit fast jedem, der dort in der Gegend wohnt, wird die Bibel studiert.

Die Gilead-Kulturschule füllt eine Lücke

Viele junge Pioniere in Mexiko wollten gern in Ländern dienen, wo ein größerer Bedarf an Verkündigern herrschte. Da aber in Mexiko selbst Hilfe benötigt wurde, ermunterte man die Pioniere nicht, ins Ausland zu gehen, und nur wenige wurden zum Besuch der Gileadschule eingeladen. Außerdem mußte man, wenn man diese Schule besuchen wollte, Englisch lernen, und damit hatten einige Schwierigkeiten. In den Jahren 1980/81 erhielten jedoch 72 junge mexikanische Pioniere in der Gilead-Kulturschule von Mexiko eine besondere Schulung, damit sie irgendwo in Lateinamerika dienen konnten, wo sie gebraucht wurden.

Die Gileadabsolventen konnten sich in den Ländern, in die sie gesandt wurden, schnell anpassen; sie hatten keine Verständigungsprobleme, und die Kultur dieser Länder war der mexikanischen ziemlich ähnlich.

Neue Zweiggebäude der Bestimmung übergeben

Da die Organisation immer größer wurde, waren die Büros in der Calle Melchor Ocampo 71 für die Arbeit, die zu bewältigen war, bald zu klein. 1973 kaufte La Torre del Vigía in der Siedlung El Tejocote außerhalb von Mexiko-Stadt ein Stück Land, und dort wurde ein neues, geräumiges Bethelheim für mehr als hundert Mitarbeiter errichtet. Die Bethelfamilie zog ein, und im April 1974 wurde das Gebäude seiner Bestimmung übergeben. Man war der Meinung, damit wäre die Betreuung des Werkes in Mexiko für viele Jahre gewährleistet. Doch weit gefehlt! Als die Zahl der Zeugen immer rascher anstieg, mußte erweitert werden; 1985 und 1989 wurden zusätzliche Gebäude ihrer Bestimmung übergeben.

Nicht nur Bürogebäude und Wohnraum für die Bethelfamilie wurden benötigt, sondern es mußten auch große Mengen an biblischer Literatur für das mexikanische Gebiet produziert werden. Es wurde nämlich zusehends schwieriger, Zeitschriftenlieferungen aus dem Ausland zu erhalten. Wir wollten die Zeitschriften selbst drucken, was einer zivilrechtlichen Gesellschaft nach dem Gesetz jedoch nicht erlaubt war. Wir stellten uns darauf ein und beauftragten 1983 eine Druckerei am Ort, die Zeitschriften La Atalaya und ¡Despertad! herzustellen. Probeweise ließen wir auch unsere Bücher von Verlagshäusern drucken und binden. Das qualitativ Beste, was zu erschwinglichen Preisen erhältlich war, waren allerdings Taschenbuchausgaben. Ständig gab es Probleme wegen der schlechten Qualität und wegen verspäteter Lieferungen.

Also entschied man, für die Veröffentlichung von Literatur eine weitere Gesellschaft zu gründen. Sie entsprach völlig den gesetzlichen Bestimmungen des Landes. Eine etwa fünfzehn Minuten vom Bethel entfernt gelegene Fabrik wurde erworben und zu einer Druckerei umgebaut. Mit großer Freude wurde die Bekanntmachung aufgenommen, daß die Watchtower Society in Brooklyn zwei M.A.N.-Rotationsmaschinen nach Mexiko verschifft hatte. Doch wie enttäuscht waren wir, als wir erfuhren, daß das Schiff in einen schweren Sturm geraten war und die Maschinen so gut wie unbrauchbar waren. Roberto Gama vom Zweigkomitee reiste nach Veracruz, um im dortigen Hafen die Rotationspressen — oder vielmehr das, was davon übriggeblieben war — in Empfang zu nehmen. Als er sie sah, mußte er weinen.

Würde es jemals gelingen, die Maschinen wiederherzustellen? Zu einem anderen Zeitpunkt und unter anderen Umständen hätte man sie vielleicht verschrottet. Doch in diesem Fall mußten sie zum Laufen gebracht werden, was für die Brüder kein Ding der Unmöglichkeit war, denn sie hatten gelernt, zu improvisieren, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, und aus allem etwas zu machen. Die Gesellschaft schickte zwei Brüder aus Brooklyn zur Unterstützung, und mit viel Geduld, Ausdauer und unter großen Anstrengungen wurden die schadhaften Teile repariert oder ersetzt, und die erste Rotationspresse wurde aufgestellt. Dank der Hilfe Jehovas lief sie. Später wurde auch die zweite Maschine zum Laufen gebracht.

Es herrschte große Freude, als La Atalaya vom 1. Oktober 1984 vom Band lief. ¡Despertad! folgte mit der Ausgabe vom 22. Mai 1985. Wir waren sehr erleichtert, daß wir nun dafür keine weltlichen Druckereien mehr beauftragen mußten.

Da 1987 zwei neue Hantscho-Offsetrotationsmaschinen für Vierfarbendruck geliefert werden sollten, wurde die Druckerei vergrößert. Im September 1988 lief die farbige Broschüre “¡Mira! Estoy haciendo nuevas todas las cosas” („Siehe! Ich mache alle Dinge neu“) vom Band. Von da an sind alle in Mexiko und in vielen mittelamerikanischen Ländern benötigten Bücher und Zeitschriften hier gedruckt worden. Die beiden Vierfarbendruckmaschinen produzieren monatlich vier Millionen Zeitschriften.

Versammlungen der Zeugen Jehovas in Mexiko

Die Organisation der Zeugen Jehovas ist in Mexiko immer nach den gleichen Grundprinzipien vorgegangen wie überall auf der Welt. Auch in Mexiko nennen wir uns seit 1931 Jehovas Zeugen. Viele Jahre lang mußte die Organisation hier jedoch, wie bereits erklärt, als zivilrechtliche Gesellschaft auftreten, die die Bildung fördert.

In den 80er Jahren begann sich die Lage zu ändern. Wiederholt besuchten Regierungsvertreter einige unserer Zusammenkunftsstätten und bestanden darauf, daß diese bei der Regierung als Stätten für religiöse Zusammenkünfte eingetragen werden und so in Bundeseigentum übergehen. Es wurde auch immer schwieriger, öffentliche Einrichtungen für kleine und große Kongresse zu mieten, weil die Behörden auf das Gesetz pochten, das religiöse Zusammenkünfte in der Öffentlichkeit verbot.

Deshalb fanden 1988 Treffen mit Regierungsvertretern statt. Wir erfuhren, daß die Behörden, obgleich sie sich nicht über das Verhalten unserer Organisation beschwerten, dennoch ziemliches Mißtrauen hegten aufgrund dessen, was andere über uns und unsere Haltung zu Hoheitszeichen erzählten. Außerdem dachten sie, wir würden im geheimen operieren, da die Zusammenkunftsstätten nur schwer ausfindig zu machen waren. Bei den Treffen erhielten die Behörden ein ausführliches Zeugnis über die Glaubensansichten der Zeugen Jehovas. Wir erklärten unseren Standpunkt zur christlichen Neutralität und wiesen darauf hin, daß wir Respekt vor der Staatsgewalt hätten, uns aber strikt von allem fernhielten, was unserer Ansicht nach Götzendienst sei. Als Ergebnis dieser Gespräche wurde beschlossen, daß die Organisation der Zeugen Jehovas ungehindert als Religion wirken sollte, selbst wenn das bedeutete, daß alle Zusammenkunftsstätten in Staatseigentum übergingen. Dies würde den Behörden ermöglichen, mit unserem Werk besser vertraut zu werden, was wahrscheinlich positive Resultate bringen würde. Dennoch fand man keine Lösung für das Abhalten großer Kongresse.

Mit Genehmigung der leitenden Körperschaft ging 1989 an alle compañías ein Brief, in dem es hieß, daß Jehovas Zeugen vom 1. April an in Mexiko als eine religiöse Organisation tätig sein würden. In der Juni-Ausgabe von Nuestro Ministerio del Reino (Unser Königreichsdienst), der nun nicht mehr Informador de la Torre del Vigía hieß, wurden weitere Einzelheiten bekanntgegeben. Von dieser Zeit an wurde im Haus-zu-Haus-Dienst die Bibel verwendet, und bei den Zusammenkünften sprach man Gebete. Später sangen wir dann in den Zusammenkünften auch Lieder.

Man kann sich gut vorstellen, welche Freude darüber in den Versammlungen herrschte. In den Sälen für kulturelle Studien oder Studiensälen (aus denen jetzt Königreichssäle wurden) und auf Kreis- und Bezirkskongressen liefen den Brüdern beim gemeinsamen Singen und Beten Freudentränen übers Gesicht. Der direkte Gebrauch der Bibel beim Zeugnisgeben von Haus zu Haus steigerte den Eifer der Brüder noch, machte ihren Dienst wirkungsvoller und erfüllte sie mit großer Zufriedenheit. Wir waren uns damals nicht völlig bewußt, daß wir gleichzeitig eine Grundlage geschaffen hatten, um unsere christliche Lebensweise mit gesetzlichen Mitteln verteidigen zu können.

Kinder von Zeugen Jehovas stark unter Druck gesetzt

Schon immer wurden Kinder von Zeugen Jehovas stark unter Druck gesetzt, weil sie den Fahnengruß verweigerten, ganz gleich, um welche Fahne es sich handelte. Die Kinder erklärten den Lehrern ihre Haltung entweder selbst oder zusammen mit ihren Eltern. Manchmal wurde die Erklärung akzeptiert, doch meistens verwies man die Kinder von der Schule. Damit die Kinder ihre Schulausbildung fortsetzen konnten, sahen sich die Eltern in einem solchen Fall nach einer Schule um, deren Lehrer toleranter waren. Auf dem Rechtsweg ließ sich jedoch kaum etwas ausrichten, weil es keine gesetzliche Grundlage gab, um die Rechte der Kinder vor den Behörden verteidigen zu können.

In dem Maße, wie die Zahl der Verkündiger stieg, nahm der Druck auf Kinder von Zeugen Jehovas zu. In Zeitungsartikeln wurde unser Standpunkt kritisiert. Da wir in Mexiko nun als eine religiöse Organisation tätig waren, war die Zeit für eine Kampagne reif, um die Haltung der Kinder, die ihrem christlich geschulten Gewissen folgten, zu verteidigen.

Kampf für Gewissensfreiheit an Schulen

Im Jahr 1989 wurde verstärkt an die Bundesbehörden appelliert, den Kindern ihr Recht auf Schulbildung, das in der mexikanischen Verfassung garantiert wird, zu gewähren. Zeugen Jehovas, die Rechtsanwälte sind, arbeiteten im ganzen Land mit den Komitees zusammen, die gebildet worden waren, um sich unter der Leitung der Rechtsabteilung des Zweigbüros solcher Fälle anzunehmen. Viele Lehrer machten einen Rückzieher, als sie sich mit einem Gerichtsverfahren konfrontiert sahen. Bisher sind über 100 Fälle vor Gericht gekommen. 49 sind zugunsten von Jehovas Zeugen entschieden worden, 28 sind noch in der Schwebe. In 28 Fällen hat man bei den Magistrados de los Colegiados de Circuito (den Bundesrichtern übergeordnete Gerichte) Rechtsmittel eingelegt; davon wurden 14 Prozesse gewonnen und so für untergeordnete Gerichte Präzedenzfälle geschaffen. Die Kinder wurden nicht grundsätzlich von der Teilnahme an Zeremonien befreit, doch die Richter haben auf der Grundlage des Gesetzes entschieden, daß keinem Kind aus irgendeinem Grund die Schulausbildung vorenthalten werden darf. Bei eigenmächtigem Vorgehen von Schulaufsichtsbeamten sind wiederholt die Bundesbehörden eingeschritten. Einige Schulaufsichtsbeamte sind einsichtiger geworden und haben entgegenkommende Vorschriften erlassen.

Es wurde arrangiert, daß Zeugen im ganzen Land Schulaufsichtsbehörden besuchten, um sie aus erster Hand über die Einstellung der Zeugen Jehovas zu staatlichen Zeremonien zu informieren. Die Behörden wurden mit biblischen und rechtlichen Informationen versorgt. Viele wußten sehr wenig über Jehovas Zeugen. Ganz allmählich ist ihnen klargeworden, daß sich die Kinder von Zeugen Jehovas aus Gewissensgründen, denen religiöse Prinzipien zugrunde liegen, an bestimmten Zeremonien nicht beteiligen, daß sie sich aber dennoch gegenüber Hoheitszeichen und der Obrigkeit respektvoll verhalten (2. Mo. 20:4; Röm. 13:1). Zwar sind die Probleme nicht völlig gelöst worden, doch vor Richtern, Schulaufsichtsbeamten und Lehrern wurde ein gutes Zeugnis abgelegt, und manch einer hat daraufhin Interesse an der Wahrheit gezeigt (Mat. 10:18-20).

Ein Bundesrichter in Ciudad Juárez im Bundesstaat Chihuahua, der ein Urteil zu unseren Gunsten gefällt hat, wird heute von den Brüdern besucht. Unlängst sagte er ihnen, er habe das Buch Das Leben — Wie ist es entstanden? Durch Evolution oder durch Schöpfung? fast durchgelesen. Dann öffnete er seine Schreibtischschublade und meinte: „Hier habe ich die Bibel, die Sie mir gegeben haben. Diese Bücher sind mein liebster Zeitvertreib.“

Eine Bundesrichterin in Chilpancingo (Bundesstaat Guerrero), die ebenfalls zu unseren Gunsten entschieden hatte, bat die Brüder, ihr die christliche Neutralität der Zeugen Jehovas genau darzulegen. Sie war für diese Erklärungen dankbar und sagte, sie habe unseren Standpunkt vorher zwar nicht richtig verstanden, sei aber froh, daß sie uns dennoch, gestützt auf das Gesetz, zum Sieg verholfen habe. Sie nahm übrigens auch biblische Literatur entgegen.

Kongresse — ein großartiges Zeugnis

Wie hat sich der Umstand, daß unsere Organisation nicht mehr lediglich als kulturelle Gesellschaft, sondern als Religion der Zeugen Jehovas anerkannt wird, auf das Abhalten von Kongressen ausgewirkt? Als wir uns 1988 zum erstenmal deswegen an die Behörden wandten, sagte man uns schlichtweg, im Gesetz sei es nicht vorgesehen, daß Religionsgemeinschaften außerhalb ihrer regulären Zusammenkunftsstätten öffentliche Tagungen veranstalten. Damals legte man uns nahe, für eigene große Kongreßstätten zu sorgen, statt auf öffentliche Einrichtungen zurückzugreifen. Wir gaben aber nicht so schnell auf und baten um eine Sondergenehmigung für das Abhalten großer Kongresse in öffentlichen Anlagen. Man teilte uns mit, wir könnten einen Antrag einreichen und man werde ihn prüfen. Man verbot uns nicht, große Zusammenkünfte zu veranstalten, denn das hatten wir ja von jeher getan, und andere Kirchen organisierten auch öffentliche religiöse Veranstaltungen. Ein Bruder in verantwortlicher Stellung erinnert sich noch, wie das Treffen endete. „Als wir uns zum Weggehen bereitmachten, sagte ich: ‚Also, ich gehe davon aus, daß wir so fortfahren können wie bisher, bis eine andere Regelung getroffen wird.‘ Das wurde bejaht, und wir verabschiedeten uns freundlich voneinander.“

Die Gesellschaft organisierte weiterhin Kongresse, und wir gingen dazu über, Plaketten zu tragen, so wie es Jehovas Zeugen überall auf der Welt tun. Wir begannen auch, bei unseren Kongressen zu singen und zu beten. Statt Publizität zu vermeiden, hießen wir Reporter herzlich willkommen. Von der Regierung beauftragte Inspektoren, die den Kongressen beiwohnten, waren beeindruckt. Jehova gab seinen Segen, und so wurde durch die Kongresse ein großes Zeugnis für seinen Namen abgelegt.

In den letzten Monaten des Jahres 1993 fanden 161 Bezirkskongresse unter dem Motto „Göttliche Belehrung“ in 74 Städten statt, bei denen 830 040 Besucher und 15 662 Täuflinge gezählt wurden. Was für ein Kontrast zu den Anfängen des Werkes!

„Ein Weckruf für die katholische Kirche“

Etliche mexikanische Zeitungen haben sich anerkennend über einige unserer letzten Kongresse geäußert, und schon allein dadurch wurde ein Zeugnis gegeben, das ein gutes Licht auf den Namen Jehovas wirft. Die in Monterrey erscheinende Zeitung El Norte schrieb in der Ausgabe vom 27. Oktober 1991: „Obwohl 25 000 Zeugen Jehovas im Baseball-Stadion von Monterrey versammelt waren, lag dort kein Abfall herum, es wurde nicht gedrängelt, nicht herumgeschrien, und Polizeistreifen erübrigten sich ... Die Menschenmenge, die aus Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen bestand, kam in gepflegter Kleidung zu der Veranstaltung; die Männer fielen dadurch auf, daß sie Krawatten trugen, und die Frauen durch ihre langen Röcke in dezenten Farben. Fast alle hatten eine Bibel zur Hand, und zwar die Übersetzung der Zeugen Jehovas, die Neue-Welt-Übersetzung, die sie jedesmal aufschlugen, wenn sich der Redner auf bestimmte Kapitel bezog.“ In derselben Stadt wurden in einem anderen Zeitungsbericht folgende Worte eines Monsignore wiedergegeben: „Die Botschaft, die von der Hauptversammlung der Zeugen Jehovas nachhallt, ist ein Weckruf für die katholische Kirche, ihren Glauben neu zu beleben.“

Eine Journalistin, die bei einem Kongreß der Zeugen Jehovas in der Arena México zugegen war, schilderte zunächst, was sie dort sah und hörte, und schrieb dann: „Ich für meinen Teil gehe nachdenklich von hier weg. Ich lasse meine Blicke über unsere Gemeinden streifen, horche in mich hinein und schäme mich für das Armutszeugnis, das ich meinem Glauben ausgestellt habe, dem Glauben, zu dem ich mich bekenne und von dem ich fest überzeugt zu sein behaupte. ... Und so verabschiede ich mich von den Zeugen Jehovas, erforsche mein Gewissen und bitte um die Kraft, ein wahrer Zeuge für den wahren Glauben zu werden.“ Im Norden Mexikos, in der Stadt Monclova im Bundesstaat Coahuila, schrieb die Zeitung La Voz: „Wir müssen zugeben, daß sie wahrhaftig etwas zustande bringen ... Es ist noch nicht lange her, da hatten die Katholiken an demselben Ort eine Tagung, der sogar das Landesoberhaupt der katholischen Kirche beiwohnte, doch das Stadion sah noch nie so sauber aus wie jetzt ..., und das nach drei Tagen Kongreß; und bevor sie das Stadion wieder übergeben, werden sie es reinigen ... Wir können ruhig die Behauptung wagen, daß diese Anlagen nur dann schön und brauchbar aussehen, wenn Jehovas Zeugen hier ihre Tagungen abhalten.“

Die Frage der Verwendung von Blut

Unser gegenwärtiger Status in Mexiko als Zeugen Jehovas ermöglicht es uns auch, unseren biblisch begründeten Standpunkt zur Verwendung von Blut besser zu verteidigen. Es ist für die Brüder schon immer schwierig gewesen, in einem Krankenhaus behandelt zu werden. Die Ärzte in Mexiko sind es nicht gewohnt, daß man ihre Kenntnisse und ihre Autorität in Frage stellt, was die Versorgung von Krankenhauspatienten angeht. Brüder, die sich operieren lassen mußten, erklärten den Ärzten ihren religiösen Standpunkt, aber in nur sehr wenigen Fällen respektierte man ihr Gewissen. Sie mußten auf der Suche nach Ärzten, die bereit waren, sie ohne Bluttransfusionen zu behandeln, von einem Krankenhaus zum anderen gehen.

Vom 25. bis 27. Januar 1991 wurde in Mexiko ein Seminar abgehalten, um die Situation zu verbessern. Es wurde von Brüdern aus Brooklyn geleitet. Danach richtete man im Zweigbüro die Abteilung Krankenhausinformation ein und bildete im ganzen Land Krankenhaus-Verbindungskomitees. Seither sind die medizinischen Einrichtungen des Landes mit Informationsmaterial über den Standpunkt der Zeugen Jehovas zum Blut überhäuft worden.

Im April 1991 wurden eine Reihe Brüder, die den Verbindungskomitees angehörten, zum „Ersten lateinamerikanischen Kongreß über Transfusionsmedizin und Blutbanken“ in Acapulco eingeladen. Es waren Vertreter aus 12 mittel- und südamerikanischen Ländern zugegen. In dem Vortrag „Organisation, Standardisierung und gesetzlicher Rahmen“ wurde erwähnt, daß „Jehovas Zeugen eine Gruppe sind, die aus religiöser Überzeugung Einwände gegen die Verwendung von Blut erhebt, was die Suche nach Alternativen unumgänglich macht“. Der Arzt, der diese Information vermittelte, sprach auch kurz über die Krankenhaus-Verbindungskomitees. Zuvor hatten wir mit ihm ein Gespräch geführt, und so wußte er, wie wir organisiert sind. Es gab eine Fragestunde, bei der einige darauf beharrten, daß ungeachtet der religiösen Überzeugung Leben gerettet werden müsse, worauf dieser Arzt lediglich einwandte: „Wenn Sie sich keine rechtlichen Probleme einhandeln wollen, sollten Sie diese religiöse Gruppe lieber mit Respekt behandeln.“ Er führte weiter aus, daß nach dem „Allgemeinen Gesundheitsgesetz“ vor dem Verabreichen von Blut die Einwilligung des Patienten eingeholt werden muß.

Auch im Zuschauerraum des Obersten Gerichtshofs wurden eine Reihe von Vorträgen gehalten. Dabei warf ein Anwalt zwei Fragen auf, die Jehovas Zeugen betreffen: „Ist es rechtlich vertretbar, Zeugen Jehovas gesundheitserhaltende Maßnahmen zu verweigern, nur weil sie kein Blut spenden?“ und „Ist es korrekt und rechtlich vertretbar, einem Patienten, der ein Zeuge Jehovas ist, gegen seinen Willen Blut zu verabreichen?“ Der juristische Leiter der Gesundheitsbehörde erklärte, daß kein Gesetz von einem Patienten verlangt, im Austausch für eine medizinische Behandlung Blut zu spenden. Er sagte: „Die medizinische Versorgung ist eine Pflicht, die die Verfassung der Republik allen Institutionen auferlegt und die ohne Einschränkung erfüllt werden sollte. Medizinische Versorgung zu verweigern ist ein Verbrechen.“ Die Vorträge ebneten den Weg zu einigen sehr positiven Gesprächen mit Vertretern der Gesundheitsbehörde.

In einem Bericht der Abteilung Krankenhausinformation heißt es: „Wir führten ein Gespräch mit dem juristischen Leiter der Gesundheitsbehörde von Mexiko. Er wurde gründlich über die Arbeit der Krankenhaus-Verbindungskomitees informiert und fand diese Vorkehrung höchst bemerkenswert. Dann bat er uns, direkt anhand der Bibel die Grundlage für unseren religiösen Standpunkt zu erklären. Es schien ihm alles einzuleuchten, und er sagte, er werde uns noch mit anderen führenden Medizinern bekannt machen, damit sie ebenfalls von unserem Standpunkt und unseren Vorkehrungen erfahren. Daraufhin führten wir unter anderem ein Gespräch mit einem Arzt, der für die Transplantationsregistrierung verantwortlich ist und mit großem Erfolg Nierentransplantationen an Zeugen Jehovas vorgenommen hat. Die Gespräche waren äußerst interessant, zumal die Ärzte davon beeindruckt sind, wie wir weltweit organisiert sind, um auf ein besseres Einvernehmen zwischen Patienten, die Zeugen Jehovas sind, und medizinischem Personal hinzuarbeiten.“

Die Zahlen sprechen für sich

Unterdessen waren die Verkündiger eifrig mit dem Predigen der guten Botschaft beschäftigt. Seit 1931, als 82 Verkündiger über ihre Predigttätigkeit berichteten, ist ein hervorragendes Wachstum zu verzeichnen. 1961 hatten wir eine Höchstzahl von 25 171 Verkündigern. Mit den Bibelstudien ging es aufwärts, doch gab es noch nicht viele Brüder, die darin geübt waren, Studien zu leiten. Die Verkündiger wurden schrittweise geschult, was dazu führte, daß sie mehr Erfolg bei der Tätigkeit von Haus zu Haus, bei Rückbesuchen und im Leiten von Bibelstudien hatten.

So gab es 1971 eine neue Höchstzahl von über 50 000 Verkündigern. In 7 von 8 Jahren hatten wir jeweils eine Zunahme von über 10 Prozent; zeitweise lag sie sogar bei 14 Prozent. Darüber hinaus ließen sich in den 70er Jahren fast jedes Jahr mehr als 5 000 Personen taufen. Innerhalb von nur 10 Jahren nach 1971 gesellten sich nahezu 50 000 weitere Verkündiger unseren Reihen hinzu. 1981 betrug die Höchstzahl 101 171. Damals lag die Zahl der Bibelstudien fast so hoch wie die Verkündigerhöchstzahl, und seitdem hatten wir im Durchschnitt mehr als 1 Heimbibelstudium pro Verkündiger.

Der Eifer im Predigtdienst ist unvermindert. Gegen Ende des Dienstjahres 1994 war eine Höchstzahl von 404 593 Verkündigern zu verzeichnen. Zur Zeit werden über 535 000 Bibelstudien geleitet. Zur Gedächtnismahlfeier im Jahr 1994 kamen 1 379 160 Besucher, das heißt, jeder 63. Einwohner des Landes war zugegen. Die untenstehende Tabelle zeigt, wie die Tätigkeit der Diener Jehovas in Mexiko seit 1931 zugenommen hat.

Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, ist die Zahl der Heimbibelstudien in den 10 Jahren von 1981 bis 1991 von durchschnittlich 100 636 auf 472 389 angestiegen — eine Zunahme von 369 Prozent, und die steigende Tendenz hält an!

In Mexiko ist es ganz einfach, Bibelstudien einzurichten. Ein Verkündiger in Monterrey zum Beispiel bot einer Frau beim ersten Vorsprechen an ihrer Haustür ein Bibelstudium an. Sie willigte sofort ein. Später fragte er sie einmal, warum sie so bereitwillig einem Bibelstudium in ihrer Wohnung zugestimmt habe. Sie entgegnete: „Sie waren der erste, der mir je angeboten hat, mit mir die Bibel zu studieren.“

Die Verkündiger sprudeln über vor Begeisterung

Schon viele haben gefragt, worin das Geheimnis der außergewöhnlichen Mehrung besteht, die sich in Mexiko während der vergangenen zehn Jahre eingestellt hat.

Ein Bruder vom Zweigkomitee meint dazu: „Wohin man auch geht, die Verkündiger sprudeln geradezu über vor Begeisterung, ja das ganze Land scheint für die Wahrheit Feuer gefangen zu haben. Die Brüder haben jede Menge Predigtdiensterfahrungen zu erzählen und hören auch gern den Erlebnissen anderer zu. Sie sind von der Wahrheit durchdrungen, ihr ganzes Leben dreht sich um die Wahrheit. Voller Eifer predigen die Verkündiger die gute Botschaft vom Königreich, wo sie gehen und stehen, und Jehova segnet ihre Bemühungen. In Sprüche 10:22 heißt es treffend: ‚Der Segen Jehovas — er macht reich.‘ Es ist auch üblich, daß Leute, mit denen die Bibel studiert wird, gleich von Anfang an die Zusammenkünfte besuchen. Wenn sie sich zu einem Studium bereit erklären, haben sie schon den Gedanken im Hinterkopf, ein Zeuge Jehovas zu werden. Das hilft ihnen, rasch Fortschritte in der Wahrheit zu machen.“

Die Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung

Nun gibt es eine zusätzliche Hilfe für die Brüder in Mexiko, damit sie gut ausgerüstet sind, das produktive Feld zu bearbeiten — die Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung. Im November 1991 begann die erste Klasse in Mexiko. Seitdem haben 12 Kurse stattgefunden. Es handelt sich um einen achtwöchigen Kurs, der vom Lehrkomitee der leitenden Körperschaft ausgearbeitet worden ist. Der Stoff ist speziell darauf ausgerichtet, Älteste und Dienstamtgehilfen dafür auszurüsten, in der theokratischen Organisation einen dringenden Bedarf zu decken. Unter der Regie des Dienstkomitees werden qualifizierte ledige Brüder zur Teilnahme eingeladen und geschult, in Gebieten, wo größerer Bedarf besteht, mehr Verantwortung zu übernehmen. Manchmal bedeutet das, in einem anderen Land zu dienen.

Die Brüder haben begeistert reagiert. Als diese Schule angekündigt wurde, gingen 600 vorläufige Bewerbungen ein. Da sich nach wie vor viele junge Brüder zur Verfügung stellen, werden mehrmals jährlich zwei Kurse gleichzeitig abgehalten. Das hat zur Folge, daß für die Herde Gottes in diesem Land noch besser gesorgt werden kann.

Pioniere erschließen weiterhin entlegene Gebiete

Bei den über 9 800 Versammlungen im ganzen Land sind nun alle Städte einer Versammlung als Predigtgebiet zugeteilt. Es gibt jedoch eine ganze Anzahl entlegene Gebiete. Viele Pioniere erklären sich bereit, dort zu predigen. Sie suchen sich eine Teilzeitarbeit, oder ihre Angehörigen unterstützen sie in verschiedener Hinsicht, so daß sie in solchen Gegenden dienen können.

Es gibt gegenwärtig 671 Sonderpioniere, die überwiegend in kleinen Versammlungen und an abgelegenen Orten dienen, wo die gute Botschaft zuvor noch nicht gepredigt wurde. Sie leisten ausgezeichnete Arbeit.

Etliche Sonderpioniere könnte man als Wanderpioniere bezeichnen. Sie ziehen innerhalb einer bestimmten Region von Ort zu Ort, um Menschen in schwer zugänglichen Gebieten zu erreichen. Die Brüder benutzen einen kleinen Pritschenwagen mit Aufbau, der einen beachtlichen Literaturvorrat befördert. Er ist so ausgerüstet, daß sie darin schlafen können, wenn sie vom Einbruch der Nacht überrascht werden. In den Bergen müssen sie den Wagen allerdings oft am Ende einer Straße stehenlassen, ihre Vorräte in Rucksäcke packen und zu Fuß losziehen. In den vergangenen fünf Jahren hat die Gesellschaft mehrere Gruppen von Brüdern für diese Tätigkeit ausgesandt, und es wurden hervorragende Ergebnisse erzielt.

Hier folgt eines der vielen interessanten Erlebnisse, die diese eifrigen Brüder hatten: „In dem Ort Altamirano im Bundesstaat Guerrero fanden wir viele Leute vor, die sich für die Wahrheit aus Gottes Wort interessierten. In nur einem Monat richteten wir 40 Heimbibelstudien ein. Bei einem Mann handelte es sich um einen Katholiken, der das Haus voller Heiligenbilder hatte. Als wir ihm erklärten, wie verkehrt der Götzendienst in den Augen Jehovas ist, und er außerdem im Paradies-Buch etwas darüber las, zertrümmerte er alle seine Heiligenbilder. Wir luden ihn zum Bezirkskongreß 1991 ein, und er kam mit noch sechs anderen Leuten. Er begann alle Zusammenkünfte zu besuchen, obwohl er bis dorthin 45 Kilometer zurücklegen mußte. Jetzt erfüllt er die Voraussetzungen für einen guten Verkündiger.“

Durch die harte Arbeit dieser Pioniere ist viel biblische Literatur verbreitet worden, und in Gebieten, wo es bis dahin noch keine Zeugen Jehovas gab, sind kleine Versammlungen entstanden. Ein Pionier schrieb über seine Empfindungen bei dieser Tätigkeit: „Wir lernten wunderschöne Gegenden und liebenswerte Menschen kennen, die uns gern zuhörten. Viele baten uns sogar unter Tränen, länger bei ihnen zu bleiben, und das hätten wir auch von Herzen gern getan, weil dort dringend Hilfe benötigt wird ... Uns wurde bewußt, wie liebevoll Jehova ist, daß er seine Diener gebraucht, um diesen armen, demütigen Leuten, die so abgelegen wohnen, die gute Botschaft zu überbringen.“

Mehr Säle und schönere

Oft sieht es so aus, als wäre die Zeit zu knapp, um in Mexiko alles zu tun, was nötig wäre. Die Bauprogramme schließen nun auch Königreichssäle und Kongreßsäle ein. Unser Motto lautet jetzt: „Schönere, größere und mehr Königreichssäle“, und so bauen die Brüder im ganzen Land mit großer Begeisterung schönere Zusammenkunftsstätten. Bei über 800 000 Personen, die die Bezirkskongresse besuchen, ist es schwierig geworden, geeignete Anlagen zu mieten. Wir bemühen uns, Kongreßsäle zu bauen, in denen nicht nur Kreiskongresse, sondern auch kleine Bezirkskongresse abgehalten werden können. Unter den gegenwärtigen Gesetzen und wenn Jehova seinen Segen gibt, bestehen in dieser Hinsicht sehr gute Aussichten.

In der Grenzstadt Reynosa im Bundesstaat Tamaulipas wurde ein großes Projekt vollendet. Dort spendete jemand großzügig ungefähr vier Hektar Land für den Bau eines Kongreßsaals. Brüder aus acht umliegenden Kreisen arbeiteten voller Enthusiasmus auf der Baustelle und brachten große Opfer, um den Kongreßsaal zu errichten, in dem 3 600 Besucher Platz haben. Wir haben damit ein Muster, wonach wir uns, so hoffen wir, in anderen Landesteilen richten können. Im November 1992 übergab Albert D. Schroeder von der leitenden Körperschaft diesen Kongreßsaal in Reynosa seiner Bestimmung.

Seit mehreren Jahren haben wir zwei kleine Kongreßsäle in Mexiko-Stadt. Sie verfügen jeweils über rund tausend Sitzplätze. Doch am 9. Mai 1993 übergab John E. Barr von der leitenden Körperschaft in der Vorstadt Tultitlán einen schönen Saal mit 3 000 Sitzplätzen seiner Bestimmung. Emsige Brüder aus Mexiko-Stadt hatten ihn in nur einem Jahr errichtet. Dieser ansprechend gestaltete Kongreßsaal macht Jehova wirklich Ehre.

In größerem Ausmaß bauen als je zuvor

Das Werk der Zeugen Jehovas in Mexiko hat sich bis heute explosionsartig ausgedehnt. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Zeugen Jehovas von rund 150 000 auf über 400 000 angestiegen. Auch die Zahl der Einzelpersonen und Familien, mit denen die Bibel studiert wird, ist in die Höhe geschnellt — von 180 000 auf 535 000. Es werden große Mengen von Literatur für das Bibelstudium benötigt. Im letzten Jahr haben Jehovas Zeugen in Mexiko über 30 000 000 bibelerklärende Bücher, Broschüren und Zeitschriften sowie Millionen von Traktaten verbreitet. Zur Zeit läuft ein Bauprojekt für die Errichtung neuer Zweiggebäude — größere als je zuvor. Dort werden dann über 800 weitere Bethelmitarbeiter untergebracht. Die Druckerei wird viermal so groß wie bisher. Dieses Projekt wird ungefähr fünf Jahre in Anspruch nehmen und internationale Zusammenarbeit erfordern.

Wir freuen uns auf eine Druckerei, die in der Lage sein wird, ausreichende Mengen an Bibeln, Büchern, Broschüren, Zeitschriften und anderen Veröffentlichungen zu produzieren, damit nicht nur in Mexiko, sondern auch in anderen lateinamerikanischen Ländern der geistige Hunger aufrichtiger Menschen gestillt werden kann.

Geistige Hirten der Herde Gottes

Die Brüder des Zweigkomitees überwachen verschiedene Tätigkeitsbereiche innerhalb und außerhalb des Zweigbüros, und sie reisen regelmäßig zu Kreis- und Bezirkskongressen, um dort zu dienen. Dadurch sind sie mit allem gut vertraut, was das Werk in Mexiko einschließt. Ihre Frauen stehen ihnen bei ihrer großen Verantwortung loyal zur Seite. Diese Brüder sind im Durchschnitt 41 Jahre getauft und seit 37 Jahren im Vollzeitdienst. Sie gehören alle zur Bethelfamilie.

Im ganzen Land sind 34 Bezirksaufseher und 446 Kreisaufseher eingesetzt. Es gibt 9 810 Versammlungen, und jeden Monat werden durchschnittlich 20 neue Versammlungen gegründet. Folglich sind die reisenden Aufseher zusammen mit den Ältesten und Dienstamtgehilfen der Versammlungen vollauf mit der Sorge für die Herde beschäftigt. Wir haben im Durchschnitt 1,7 Älteste und 2,8 Dienstamtgehilfen pro Versammlung. Viele Versammlungen brauchen daher dringend weitere befähigte Brüder. Die stetige Zunahme an Verkündigern führt dazu, daß ständig neue Versammlungen gebildet werden, die alle qualifizierte Älteste und Dienstamtgehilfen benötigen. Die wenigen, die derzeit in jeder Versammlung dienen, leisten hervorragende Arbeit beim Hüten der „Schäflein“ Jehovas (Joh. 21:15-17).

Neues Gesetz über religiöse Vereinigungen und öffentlichen Gottesdienst

In den vergangenen 135 Jahren hat Mexiko eine Politik der Trennung von Kirche und Staat betrieben. 1865 war die Lage derart gespannt, daß die Verbindungen zwischen Mexiko und dem Vatikan abrissen. Wegen ihrer früheren Erfahrungen mit der Religion verfügte die Regierung Einschränkungen, die alle Religionsgemeinschaften betrafen. Als jedoch Carlos Salinas de Gortari im Dezember 1988 sein Amt als Präsident der Republik antrat, war eine Veränderung in der Religionspolitik und eine Wiederannäherung an den Vatikan abzusehen. Bei der Antrittsrede des Präsidenten waren hochrangige Vertreter der katholischen Kirche anwesend.

Natürlich erhob sich die Frage, wie das Werk der Zeugen Jehovas davon berührt würde. Nach den Gunstbezeigungen des Staates gegenüber der katholischen Kirche drängte die katholische Geistlichkeit auf Verfassungsänderungen, durch die Religionsorganisationen mehr Freiheit erhalten sollten. Dieses Thema wurde zwei Jahre lang ununterbrochen in der Presse diskutiert, wodurch für Religionsorganisationen der Weg zur rechtlichen Anerkennung geebnet wurde. Bis dahin hatten Religionsgemeinschaften weder Rechte noch einen rechtlichen Status, sondern existierten lediglich de facto. Es zeigte sich, daß die Geistlichkeit nicht nur die gesetzliche Anerkennung anstrebte, sondern auch Privilegien in den Bereichen Politik und Erziehung. Davon abgesehen deuteten einige katholische Priester in ihren Erklärungen an, Jehovas Zeugen sollten Einschränkungen unterliegen und keinen rechtlichen Status erhalten. Im Januar 1992 nahm der Kongreß schließlich einige Änderungen an den Aussagen der Verfassung über Religion vor. Im Juli wurde dann ein Verfassungszusatz ausgearbeitet, um den Änderungen Geltung zu verleihen. Er war wie folgt überschrieben: „Gesetz über religiöse Vereinigungen und öffentlichen Gottesdienst“.

Durch dieses Gesetz sollte religiösen Vereinigungen mehr Freiheit eingeräumt werden. Es erlaubt Religionsorganisationen nun den Erwerb von Grundbesitz. Sie dürfen jetzt auch außerhalb ihrer Gotteshäuser religiöse Zusammenkünfte und Kundgebungen veranstalten. In einem der Artikel werden Hoheitszeichen erwähnt, und man könnte vermuten, daß dabei an Jehovas Zeugen gedacht wurde. Wie auch immer, am 7. Mai 1993 gewährte das Staatssekretariat La Torre del Vigía und Los Testigos de Jehová en México die gesetzliche Anerkennung. Wir sind zuversichtlich, daß das Werk der Zeugen Jehovas durch das neue Gesetz Auftrieb erhalten wird und daß wir es in völliger Freiheit fortsetzen dürfen, da wir uns nun gesetzliche Rechte und Privilegien zunutze machen können, die wir vorher nicht hatten. Ohne daß es ihnen bewußt war, hatten sich Jehovas Zeugen auf diese Freiheit vorbereitet, schon ehe das Gesetz verabschiedet wurde.

Es gäbe noch viel über Mexiko zu erzählen

Es ist unmöglich, an dieser Stelle alles zu berichten, was sich in der Geschichte der Zeugen Jehovas in Mexiko zugetragen hat. Dies war nur ein kurzer Einblick in unseren historischen Bilderbogen. Einige Begebenheiten von den Anfängen könnte man mit vergilbten Schwarzweißfotos vergleichen. Die jüngeren Ereignisse dagegen sind derart von Bewegung und Leben erfüllt, daß man sie auf einem Videoband hätte festhalten mögen.

Wer noch nicht lange mit Jehovas Zeugen verbunden ist, wird überrascht sein, welche Prüfungen diejenigen durchmachten, die dabei mitwirkten, das Werk in Mexiko in Gang zu bringen. Die neuen Verkündiger sind an ein geistiges Paradies gewöhnt, wo es geistige Speise in Hülle und Fülle gibt, wo sie mit Hunderttausenden von gottesfürchtigen Gefährten verbunden sind und wo der Dienst für Gott auf gut organisierte Weise verrichtet wird. Allerdings müssen in vielen Gegenden Mexikos Zeugen Jehovas immer noch große Mühen auf sich nehmen, um die Zusammenkünfte zu besuchen. Nach wie vor brauchen einige Personen Unterstützung beim Lesenlernen, damit sie aus dem, was zur Stärkung des Glaubens geboten wird, vollen Nutzen ziehen können. Auch kommt es noch vor, daß reisende Aufseher Flüsse durchwaten und Berge hinaufsteigen müssen, um die Versammlungen, denen sie dienen möchten, zu erreichen. Den Stadtbewohnern scheint das Leben in materieller Hinsicht mehr zu bieten als der Landbevölkerung, aber es gibt auch mehr Versuchungen. Doch trotz der Belastungen, denen sie ausgesetzt sind, sind Jehovas Zeugen in Mexiko froh, vereint mit ihren christlichen Brüdern und Schwestern weltweit Jehova zu dienen — ein Werk, das ihnen wahre Freude und Zufriedenheit bringt.

Wir haben nun zwar eine Menge über die Geschichte der Zeugen Jehovas in Mexiko berichtet, aber es ist natürlich völlig unmöglich, alle Brüder und Schwestern aus dem Land vorzustellen. Dabei hätten sie alle interessante Erlebnisse zu erzählen. Außerdem gibt es noch viele Menschen, bei denen die Hoffnung besteht, daß die gute Botschaft ihr Herz erreicht. Es ist unser Herzenswunsch, daß auch sie sich der zusehends größer werdenden Familie anschließen, die zu Jehova als ihrem Gott und Vater aufblickt. Und wenn wir von der Mehrung der letzten Jahre beeindruckt sind, was werden wir dann erst nach Harmagedon sagen, wenn Jesus Christus Millionen von Mexikanern aus den Gräbern auferweckt und ihnen die Gelegenheit gibt, Jehova und seine gerechte Handlungsweise kennenzulernen? Dieser Bericht enthält also bei weitem nicht alles Wissenswerte über Mexiko. Einige der begeisterndsten Ereignisse liegen sogar noch vor uns. Wenn Jehova will, wird es in Zukunft noch viel mehr zu erzählen geben.

[Übersicht auf Seite 242]

VERKÜNDIGER- VERKÜNDIGER- BIBEL-

JAHR HÖCHSTZAHL DURCHSCHNITT STUDIEN

1931 82

1941 859

1951 10 335 8 366 5 409

1961 25 171 22 235 18 198

1971 54 384 51 256 50 270

1981 101 171 98 610 100 636

1991 335 965 319 634 472 389

1994 404 593 388 623 535 912

[Karte auf Seite 168]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

MEXIKO

Monterrey

Guadalajara

Mexiko-Stadt

Veracruz

[Bild auf Seite 170]

Einige Elemente der Aztekenreligion wurden mit dem katholischen Glauben verschmolzen

[Bild auf Seite 175]

Gruppe von Bibelforschern in Mexiko-Stadt (um 1920)

[Bilder auf Seite 177]

„Bulletin“, in dem die amtliche Eintragung der Gesellschaft in Mexiko bekanntgegeben wurde, und ein Verkündigerausweis

[Bild auf Seite 178]

José Maldonado, einer der ersten Pioniere in Mexiko

[Bilder auf Seite 184]

Manuel Amaya und das Transportmittel, das er als Pionier benutzte

[Bild auf Seite 188]

Pedro De Anda predigte im ganzen Land

[Bild auf Seite 191]

Nachdem Mario Mar Veröffentlichungen der Gesellschaft gelesen hatte, nahm er, ohne je einem Zeugen Jehovas begegnet zu sein, einen Predigtauftrag an

[Bild auf Seite 192]

Ein Kongreß der Zeugen (Testigos) in Mexiko-Stadt (1934)

[Bilder auf Seite 198]

Einige der ersten Pioniere im Bundesstaat Veracruz mit ihren Transportmitteln

[Bild auf Seite 200]

Fred und Blanche Anderson, Gileadabsolventen, die den größten Teil ihres Lebens in Mexiko dienten

[Bilder auf Seite 202]

Shirley Hendrickson (links) und Rosa May Dreyer — über 50 Jahre Dienstpartnerinnen

[Bilder auf Seite 207]

Weitere Gileadabsolventen, die im mexikanischen Gebiet dienten: (1) Elizabeth Tracy, (2) Jean Friend, (3) Esther Lopez, (4) Rubén Aguirre, (5) Russell Cornelius, (6) Esther Vartanian (Lozano), (7) Mildred Simpkins, (8) Maxine Miller (García)

[Bilder auf Seite 209]

Brüder, die im Zweigbüro die Aufsicht innehatten:

(1) Rodolfo Lozano, (2) George Papadem, (3) Samuel Friend, (4) William Simpkins, (5) Robert Tracy

[Bild auf Seite 210]

Adulfo und Leonor Salinas; wegen seiner Tätigkeit als Bezirksaufseher reisten sie viele Jahre durchs Land

[Bilder auf Seite 223]

Die seit 1985 benutzten Zweigeinrichtungen in Mexiko

[Bilder auf Seite 236, 237]

Glückliche Königreichsverkündiger in Mexiko

[Bilder auf Seite 244, 245]

Links: Die mexikanische Bethelfamilie 1993 — und sie wächst ständig! Unten: Neue Zweiggebäude, die errichtet werden, um den Bedürfnissen der ständig wachsenden Versammlungen in Mexiko gerecht zu werden

[Bild auf Seite 252]

Das Zweigkomitee in Mexiko (von links nach rechts): Robert Tracy, Roberto Gama, Carlos Cázares, Santos Estrada, Juan Angel Hernandez und Rodolfo Lozano