Venezuela
Venezuela
VENEZUELA kennenzulernen ist fast so, als würde man eine Weltreise machen. Was gibt es wohl zu sehen? Vielleicht einen Indianer, der im Dschungel mit einem Speer jagt. Oder eine gutgekleidete Señora beim Einkauf in einer luxuriösen Boutique. Besucher, die bei einer abendlichen Fiesta nach den Klängen afrikanischer Trommeln tanzen. Einen kleinen Jungen, der seine Schafe zusammentreibt und dabei seinen Poncho wegen des kalten Bergwindes fest um sich zieht. Und mehr als 71 000 Zeugen Jehovas — junge und alte Menschen unterschiedlichster Herkunft —, die unermüdlich mit anderen über den wahren Gott und sein Königreich sprechen.
Die meisten Venezolaner stammen von indianischen, spanischen oder afrikanischen Vorfahren ab. Seit dem Zweiten Weltkrieg bilden viele europäische Einwanderer aus Italien, Portugal und Spanien einen beachtlichen Teil der Bevölkerung. Und ein Beobachter muß einfach davon beeindruckt sein, wie viele junge Menschen man überall sieht.
Venezuela liegt an der Nordküste Südamerikas und ist in der Tat ein Land mit beachtlichen Gegensätzen. Die 2 800 Kilometer lange Karibikküste, an der eine tropische Brise weht, bildet einen Gegensatz zu den schneebedeckten
Bergen und dem üppigen Dschungel. Es gibt nicht nur die weiten Ebenen, Llanos genannt, sondern auch atemberaubend schöne Wasserfälle, wie den Cuqueánfall, ein einziger Fall aus 600 Meter Höhe, und den Salto Angel oder Angelfall, den höchsten Wasserfall der Welt, der 979 Meter in die Tiefe stürzt; es ist ein unterirdischer Fluß, der im hochgelegenen felsigen Tafelland entspringt. Caracas, die Hauptstadt mit etwa 4 000 000 Einwohnern, ist eine moderne Metropole mit exquisiten Einkaufszentren. Durch ein gut ausgebautes Straßennetz ist sie mit dem Landesinneren verbunden. Doch Hunderttausende von Menschen, die in illegalen Unterkünften an den Berghängen leben, schauen auf den Wohlstand von Caracas hinunter.Das religiöse Klima in Venezuela
Die Venezolaner sind überwiegend katholisch, doch die Kirche hat nicht mehr den Einfluß auf die Menschen, den sie einmal hatte. Die eingeborenen Indianer haben ihre eigenen Riten und abergläubischen Bräuche, obwohl sie häufig dem Namen nach katholisch sind; das trifft auch auf die Menschen afrikanischer Abstammung zu. Zauberei und Spiritismus sind ziemlich weit verbreitet. Viele Leute tragen Amulette, um sich vor dem „bösen Blick“ zu schützen. Der Kult der María Lionza, der dem Wodukult ähnelt, ist weit verbreitet. Außerdem nehmen evangelikale Gruppen an Zahl zu.
„Heilige“ und „Jungfrauen“ spielen im Leben der venezolanischen Katholiken eine große Rolle. Jedes Gebiet des Landes hat seinen speziellen „Heiligen“ oder seine besondere „Jungfrau“. In den meisten Wohnungen sind religiöse Bilder. In einigen Wohnungen befindet sich über der Eingangstür der Zweig einer Pflanze, um böse Geister abzuwehren, oder eine bei Psalm 91 geöffnete Bibel liegt auf dem Tisch, da man annimmt, dies sei ein sicherer Schutz für den Haushalt.
Häufig befindet sich neben dem Bild des bevorzugten „Heiligen“ auch ein Bild von Simón Bolívar, der für Venezuela und vier weitere südamerikanische Länder die Unabhängigkeit von
der spanischen Herrschaft errang. In Venezuela gibt es den internationalen Flughafen Simón Bolívar, die Simón-Bolívar-Universität, die Simón-Bolívar-Avenue, die Stadt Bolívar und den Bundesstaat Bolívar, was beweist, wie sehr man ihn verehrt. Auch die Währung heißt Bolívar. Jede Stadt in Venezuela hat einen zentralen Marktplatz, der fast immer Plaza Bolívar heißt. Häufig sind Aussprüche, die ihm zugeschrieben werden, sorgfältig auf öffentliche Wände gemalt.Außerdem zeichnen sich die Venezolaner durch tiefen Respekt vor Gott und den erklärten Glauben an die Bibel aus. Selten wird jemand verspottet, weil er über religiöse Themen sprechen möchte. Diese empfängliche Haltung ist ein fruchtbarer Boden für den Samen der Wahrheit über Jehova Gott und seine Vorsätze.
Frauen mit echtem Missionargeist
Als ein Großteil der Welt immer noch versuchte, mit den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges fertig zu werden, und Adolf Hitler in Europa Aufsehen verursachte, entschlossen sich zwei Zeugen Jehovas aus Texas (USA) — eine Frau namens Kate Goas und ihre Tochter Marion —, mehr zu tun, um die in der Bibel enthaltene Botschaft des Friedens zu verbreiten. Sie schrieben an das Hauptbüro der Watch Tower Bible and Tract Society in Brooklyn (New York) und fragten, wo sie am ehesten gebraucht würden; sie erklärten, daß sie Spanischkenntnisse hatten. Ihre Zuteilung? Venezuela.
Im Jahre 1936 trafen sie mit dem Schiff ein und mieteten in der Hauptstadt Caracas, die damals 200 000 Einwohner hatte, ein Zimmer. Bereits mehr als zehn Jahre zuvor hatten einige Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden, Venezuela besucht und in den größeren Städten Tausende von biblischen Traktaten verbreitet; doch sie hatten das Land wieder verlassen. Kate Goas und ihre Tochter jedoch waren nicht zu einem kurzen Besuch in Venezuela. Obwohl Kate eher vornehm wirkte und zart gebaut war, trug sie eine enorm große Literaturtasche
und ein Grammophon, wenn sie von Tür zu Tür ging. Sie und ihre Tochter arbeiteten systematisch ganz Caracas durch. Nachdem sie das getan hatten, zogen sie in das Landesinnere, wobei sie auf staubigen, ungepflasterten Straßen große Entfernungen mit dem Bus zurücklegten. Sie predigten in Orten wie Quiriquire, El Tigre, Ciudad Bolívar im Osten und in Maracaibo im Westen.Doch im Juli 1944 mußten sie in die Vereinigten Staaten zurückkehren, weil Marion an Malaria erkrankt war. Am 2. August 1944 schrieb Kate Goas in einem Brief an die Gesellschaft folgendes: „Wir haben eine Menge Literatur abgegeben ... Nachdem wir praktisch in der gesamten Republik Zeugnis gegeben haben, treffen wir weiterhin Menschen an, die unsere Literatur gern lesen und sie jedesmal nehmen, wenn wir vorsprechen ... Nachdem wir in Caracas zwei Jahre lang ständig Zeugnis gegeben haben, haben jetzt sieben Personen, sechs Schwestern und ein Bruder, für die Gerechtigkeit Stellung bezogen und sich taufen lassen ... Diese Geschwister sind als Christen mit einer Erkenntnis über Jehova und sein Königreich sehr glücklich ... In der Tat wurde in ganz Caracas immer wieder ein gutes Zeugnis gegeben, und der Inhalt unserer Literatur ist gut bekannt ... Mit Euch für die Theokratie, Kate Goas.“ Der hier erwähnte Bruder war der junge Rubén Araujo, über den später mehr gesagt wird. (Übrigens wurden die sieben Personen, die Schwester Goas getauft hatte, 1946 noch einmal von einem Bruder getauft, was mit dem biblischen Vorbild übereinstimmt, daß nur Männer, die ein anerkanntes Verhältnis zu Jehova haben, taufen sollten.)
Die Grundlage für ein ausgedehntes Zeugnis gelegt
Zu der Zeit, als Kate Goas ihren Brief an die Gesellschaft schrieb, plante man in Brooklyn gerade, Missionare nach Venezuela zu senden, die in der Wachtturm-Bibelschule Gilead geschult worden waren. Nathan Knorr und Fred Franz — der damalige Präsident und der Vizepräsident der Watch Tower
Society — waren wiederholt nach Lateinamerika gereist, um dort die Grundlage für eine ausgedehnte Missionartätigkeit zu legen. Für das Jahr 1946 planten sie einen Besuch in Venezuela. Drei Missionare, Absolventen der Gileadschule, sollten nach Venezuela gehen, doch sie hatten noch kein Visum erhalten. Wer würde alles für den Besuch des Präsidenten vom 9. bis 12. April 1946 organisieren?Einer der drei Missionare wurde mit einem Touristenvisum vorausgesandt. Er kam mit dem Flugzeug an und wohnte im Haus von Jeanette Atkins, einer gastfreundlichen Schwester, die durch Kate Goas die Wahrheit kennengelernt hatte. Doch drei Wochen nach seiner Ankunft verschwand der Missionar auf geheimnisvolle Weise. Seine Hauswirtin und Freunde fragten bei der Polizei und den Fluggesellschaften nach und fanden schließlich heraus, daß er wegen schrecklichen Heimwehs in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt war!
Bevor das geschah, hatten Bruder Knorr und Bruder Franz der Gruppe in Venezuela einen Besuch abgestattet, der sich als äußerst nützlich erwies. Rubén Araujo erinnert sich, daß noch am Tag ihrer Ankunft eine Zusammenkunft in dem Patio des Hauses von Jeanette Atkins stattfand, bei der 22 Anwesende die Vorträge von den Besuchern hörten.
Unter den Anwesenden befand sich Pedro Morales, der von der guten Botschaft hellauf begeistert war. Später sagte er: „Ende der 30er Jahre gaben mir Kate Goas und ihre Tochter auf dem großen Markt von Maracaibo das Buch Reichtum. Jahre später las ich es; es erschloß mir die Bibel. Als ich zu dem Abschnitt kam, in dem es darum ging, diejenigen an ihrer Stirn zu kennzeichnen, die es verdienten, fing ich Feuer (Hes. 9:4). Das veranlaßte mich, die Menschen zu suchen, die diese Literatur schon hatten. Ich fand vier Personen, die Bücher von jemandem aus Trinidad erhalten hatten. Wir trafen uns jeden Abend, um das Buch Reichtum zu studieren, und benutzten unsere Wohnungen abwechselnd als Zusammenkunftsstätte.“
Als Pedro eingeladen wurde, anläßlich des Besuches von Bruder Knorr eine Zusammenkunft in Caracas (etwa 700 Kilometer entfernt) zu besuchen, entschlossen sich er und ein Freund, dorthin zu reisen. Doch er mußte erst einige Probleme bewältigen. Pedro berichtete weiter: „Bei meiner schwangeren Frau setzten die Wehen ein, und ich mußte mich um das Geschäft kümmern. Was sollte ich tun? Ich holte eine Hebamme, die bei meiner Frau blieb, und überließ den Süßwarenladen meinen drei Kindern, die 14, 12 und 10 Jahre alt waren. Dann fuhren wir mit dem Bus nach Caracas; das war eine anstrengende Reise — zwei Tage über ungepflasterte Straßen.“ Wie er sich freute, die Zeugen in Caracas zu treffen! Dort erhielt er ein Telegramm aus Maracaibo: „Frau wohlauf. Kind geht’s noch besser. Kümmere mich ums Geschäft. Justo Morales.“ Unerwartet war sein Bruder aus Kolumbien gekommen und hatte sich um alles gekümmert.
Gleich am ersten Tag dieser besonderen Zusammenkunft in Caracas sprach Bruder Franz über das Thema: „Jehovas Zeugen im Feuerofen“. Dann fuhr Bruder Knorr mit dem Thema fort, und Fred Franz übersetzte. Vielen wurden durch diesen Vortrag die Augen geöffnet. Die Aufmerksamkeit wurde auf das gelenkt, was Christen gemäß der Bibel von der Welt zu erwarten haben, und es wurde Näheres über die heftige Verfolgung berichtet, die Jehovas Zeugen während des Zweiten Weltkrieges in Europa durchgemacht hatten.
Am nächsten Tag fand in Los Chorros eine Taufe statt, und zwar in einem Becken am Fuße eines Wasserfalles. 10 Personen ließen sich an diesem Tag taufen, darunter Winston Blackwood (den Schwester Goas in Quiriquire angesprochen hatte) und sein Sohn Eduardo, Horacio Mier y Terán sowie sein jüngerer Bruder Efraín, Pedro Morales, Gerardo Jessurun aus Suriname, Israel Francis und José Mateus.
Pedro Morales und zwei weitere Brüder aus dem Westen des Landes waren überglücklich, als Bruder Knorr sagte, die Gesellschaft würde Missionare nach Maracaibo senden, sobald die Regierung
es gestatte. Pedro selbst wurde allgemeiner Pionier und blieb es bis zu seinem Tod.Die Liebe zur biblischen Wahrheit trieb sie an
Vor der Ankunft der Missionare waren im Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn Berichte von der kleinen Gruppe eingegangen, die Schwester Goas gebildet hatte. Es gab nur eine Handvoll Verkündiger, die sehr wenig Literatur hatten. Bücher mußten oftmals an Interessierte ausgeliehen werden. Aus dem für März 1946 eingesandten Bericht ging hervor, daß es in Venezuela neun Verkündiger der guten Botschaft gab und daß sich Josefina López um die Gruppe kümmerte, da sie am aktivsten war.
Rubén Araujo erinnert sich an das ausgezeichnete Beispiel von Schwester López: „Ich war damals ein Teenager ... Josefina López war Mutter von vier Söhnen und zwei Töchtern, und sie war von dem, was sie bei Schwester Goas lernte, begeistert. Fast jeden Tag ging ich nach der Schule zu ihrem Haus und sprach mit ihr über das Neue, das sie über die Wahrheit kennenlernte. Obwohl Schwester López eine beschäftigte Hausfrau war, schaffte sie es, jeden Tag nach dem Mittagessen, wenn ihr Mann und die ältesten Jungen wieder zur Arbeit gegangen waren, von Haus zu Haus zu predigen und Bibelstudien zu leiten. Sie war für uns alle ein gutes Vorbild und hatte wirklich Pioniergeist; jeden Monat predigte sie als Verkündigerin durchschnittlich 60 bis 70 Stunden. In Caracas gibt es nach mehr als 40 Jahren immer noch lebende Empfehlungsbriefe von ihr.“
Domitila Mier y Terán, eine Witwe, war ein weiteres Mitglied der ursprünglichen Gruppe. Sie war stets geistig gesinnt. Ihr Vater hatte eine Bibel besessen, die sie liebend gern las, und als er starb, durchsuchte sie das ganze Haus danach. Seine Bibel war das einzige Erbstück, das sie haben wollte. Was sie fand, war nur ein Teil der Bibel; der Rest war völlig zerfleddert. Dennoch bewahrte sie sogar diesen Teil auf und gebrauchte ihn, bis sie sich später eine vollständige Bibel kaufen konnte. Eines Tages brachte ein Freund Domitila das von der Gesellschaft herausgegebene Buch
Versöhnung, das er erworben hatte, und sagte, sie als begeisterte Bibelleserin würde es mehr schätzen. Bei ihrer ernsthaften Suche nach den Herausgebern des Buches suchte Domitila die Adventisten und andere protestantische Gruppen auf. Schließlich wurde Domitila zu ihrer großen Freude von Kate Goas zu Hause besucht und willigte sofort in ein Bibelstudium ein. Zwei ihrer Söhne, die sich beim ersten Besuch von Bruder Knorr und Bruder Franz hatten taufen lassen, dienten später als Kreisaufseher, und ein dritter, Gonzalo, dient als Versammlungsältester. Doch Guillermo, ein weiterer Sohn, ließ sich erst 1986 taufen, obwohl er schon beim ersten Besuch von Kate Goas anwesend war.„Und wie lange bleibt ihr?“
Am 2. Juni 1946, kurz nach Bruder Knorrs Besuch, trafen die beiden anderen Missionare der Gruppe ein, die nach Venezuela gehen sollte. Es waren Donald Baxter und Walter Wan. Der junge Rubén Araujo empfing sie in Caracas. Er beobachtete sie mißtrauisch und hatte zweifellos die Erfahrung mit dem vorigen Missionar noch frisch im Sinn, als er in gebrochenem Englisch fragte: „Und wie lange bleibt ihr?“
Rubén hatte Vorbereitungen für ein Wachtturm-Studium getroffen, das genau an dem Tag durchgeführt wurde, an dem die Missionare eintrafen. Er versuchte, die Anweisungen von Bruder Franz in die Tat umzusetzen. Er tat es, so gut er konnte, doch es war ein Einmannstudium. Rubén las die Frage. Dann beantwortete er sie. Danach las er den Absatz. Er dachte daran, daß das Studium eine Stunde nicht überschreiten sollte; somit hörte er gehorsam pünktlich auf, obwohl er nur 17 Absätze behandelt hatte und nicht den ganzen Artikel! Mit der Zeit und mit Geduld würde er Erfahrung sammeln.
Rückblickend auf die plötzliche Abreise des ersten Missionars, sagt Rubén Araujo: „Kurz danach wurde die Leere, die er hinterließ, von den zwei neuen Gileadabsolventen ausgefüllt. Wie glücklich wir über die von Jehovas Organisation erhaltene Gabe in Form dieser Missionare waren, die uns in unserem venezolanischen Mazedonien helfen sollten!“ (Vergleiche Apostelgeschichte 16:9, 10.) Zuvor hatte Bruder Knorr zu Bruder Baxter gesagt: „Bleibe in dieser Zuteilung, selbst wenn es deinen Tod bedeutet!“ Nun, das bedeutete es nicht, und Bruder Baxter dient fast 50 Jahre später immer noch in Venezuela.
Sich an eine neue Umgebung angepaßt
Das erste Missionarheim in Caracas befand sich in der Bucares Avenue 32, in einem Bezirk, der El Cementerio genannt wurde. Dort wurde am 1. September 1946 auch ein Zweigbüro eröffnet, und Donald Baxter diente als Zweigdiener. Die Wohnbedingungen waren alles andere als ideal. Die Straße war ungepflastert, und es gab kein fließendes Wasser. Verständlicherweise atmeten die Missionare auf, als das Zweigbüro und das Missionarheim 1949 von El Cementerio (Friedhof) nach El Paraíso (Paradies) verlegt wurden, wo es fließendes Wasser gab.
Bruder Baxter erinnert sich an die Anfangsschwierigkeiten der Missionare in Verbindung mit der neuen Sprache und an ihre Gefühle der Enttäuschung. Sie brannten darauf, das in Gilead Gelernte anzuwenden, um anderen zu helfen, aber als sie ankamen,
konnten sie sich nicht verständlich machen. Dieses vorübergehende Problem wurde jedoch durch hervorragende Ergebnisse im Dienst mehr als wettgemacht. Bruder Baxter berichtet von ihrem ersten Straßendienst: „Wir entschieden uns für das Gebiet im Stadtzentrum, das als El Silencio bekannt war, und wollten sehen, was passieren würde. Mein Partner Walter Wan stand an einer Ecke und ich an einer anderen. Die Menschen waren sehr neugierig; so etwas hatten sie noch nie gesehen. Wir brauchten kaum etwas zu sagen. Die Leute stellten sich sogar in einer Reihe auf, um Zeitschriften zu bekommen, und nach 10 oder 15 Minuten hatten wir alle abgegeben. Welch ein Unterschied zu dem, was wir aus den Vereinigten Staaten gewohnt waren!“ Walter Wan erzählt: „Bei einer ‚Bestandsaufnahme‘ stellte ich zu meinem Erstaunen fest, daß ich in vier ereignisreichen Tagen, an denen ich wie Jesus und die Apostel Jehova auf den Straßen und Marktplätzen gepriesen hatte, 178 Bibeln und Bücher abgegeben hatte.“Aus dem ersten Bericht, den das Zweigbüro an das Hauptbüro in Brooklyn (New York) sandte, ging hervor, daß es insgesamt 19 Verkündiger gab, die zwei Missionare und vier allgemeinen Pioniere eingeschlossen. Diese Pioniere waren Eduardo Blackwood, Rubén Araujo, Efraín Mier y Terán und Gerardo Jessurun. Eduardo Blackwood hatte den Pionierdienst in dem Monat von Bruder Knorrs Besuch aufgenommen und die anderen kurz danach. Neun Brüder predigten im Landesinneren. Winston und Eduardo Blackwood, die in El Tigre wohnten, gaben im Süden bis nach Ciudad Bolívar Zeugnis und im Osten bis zu den Siedlungen der Ölfirmen in der Nähe von Punta de Mata und Maturín. Pedro Morales predigte mit anderen in Maracaibo. Gerardo Jessurun, Nathaniel Walcott und David Scott predigten in den Siedlungen der Ölfirmen von Cabimas und Lagunillas an der Ostseite des Maracaibosees. Hugo Taylor, der 1995 immer noch als Sonderpionier diente, schloß sich ihnen später an. Alle zusammen bearbeiteten sie einen großen Teil des Landes. Bruder Baxter und Bruder Wan sollten bald selbst feststellen, was das bedeutete.
Bemühungen, alle Gruppen zu besuchen
Im Oktober und November 1947 reisten die beiden Missionare in die entfernten westlichen und östlichen Landesteile, um zu sehen, wie man den kleinen Gruppen helfen konnte. Ihr Ziel war es, aus diesen Gruppen Versammlungen zu bilden. „Wir fuhren mit dem Bus, was in Venezuela wirklich ein Erlebnis war“, berichtet Bruder Baxter und lächelt, wenn er sich an die denkwürdige Reise erinnert. „In den Bussen waren die Sitze klein und dicht beieinander, da die meisten Venezolaner klein sind; somit hatten wir zwei Nordamerikaner kaum genug Platz für unsere Beine. Oben auf dem Bus sah man gewöhnlich Betten, Nähmaschinen, Tische, Hühner, Truthühner und Bananen sowie das Gepäck der Reisenden. Wer nur eine kurze Strecke reiste, plagte sich nicht damit ab, seine Hühner oder kleinen Gegenstände nach oben zu befördern, sondern brachte sie mit in den Bus und verstaute alles in dem Gang zwischen den Sitzen. Der Bus hatte eine Panne, und bis ein anderer Bus kam, blieben wir stundenlang in einer Wildnis liegen, wo es nur Kakteen und Ziegen gab. Danach ging uns der Treibstoff aus.“
In jeder der vier Ortschaften, die sie aufsuchten, trafen sie eine Gruppe von zirka 10 Personen an, die sich in jemandes Wohnzimmer versammelten. Die Missionare zeigten ihnen, wie man Zusammenkünfte durchführt, wie sie dem Zweigbüro regelmäßig über ihre Tätigkeit berichten sollten und wie sie Literatur für den Predigtdienst erhalten konnten.
In El Tigre stellte Bruder Baxter fest, daß Alejandro Mitchell, einer der neuen Brüder dort, die Ermahnung aus Matthäus 10:27, von den Hausdächern zu predigen, sehr wörtlich genommen hatte. Auf dem Dach seines Hauses hatte er einen Lautsprecher aufgestellt, und jeden Tag las er etwa eine halbe Stunde lang ausgewählte Abschnitte aus den Büchern Kinder, Die Neue Welt oder aus anderen Veröffentlichungen der Gesellschaft vor. Dabei hatte er die Lautstärke so hoch eingestellt, daß er noch etliche Blocks weiter gehört werden konnte! Es überrascht nicht, daß sich die Nachbarn aufregten. Ihm wurde nahegelegt, daß es doch besser sei, von Haus zu Haus zu predigen und auf den Lautsprecher zu verzichten.
Der Besuch der Brüder bei den verschiedenen kleinen Gruppen war sehr nützlich; in den zwei Monaten der Reise ließen sich 16 Personen taufen.
Missionare treffen in Maracaibo ein
Maracaibo liegt im Nordwesten des Landes und ist die zweitgrößte Stadt in Venezuela. Zwei ihrer herausragenden Merkmale sind die Hitze und die hohe Luftfeuchtigkeit. Sie ist auch das Zentrum für den Ölhandel in Venezuela. Der neuere Teil der Stadt hebt sich deutlich von der Altstadt am Hafen ab; der ältere Stadtteil mit seinen engen Straßen und den Häusern im Kolonialstil, die aus luftgetrockneten Lehmziegeln gebaut wurden, hat sich seit dem vorigen Jahrhundert kaum verändert.
Am 25. Dezember 1948 kamen sechs Missionare auf einem Frachter in Maracaibo an. Sie waren mit Winterkleidung schwer beladen, weil sie gerade aus dem kalten New York kamen. Zu der Gruppe gehörten Ragna Ingwaldsen, die sich 1918 taufen ließ und in Kalifornien immer noch im Pionierdienst steht, Bernice Greisen (jetzt „Bun“ Henschel, ein Mitglied der Bethelfamilie im Hauptbüro), Charles und Maye Vaile, Esther Rydell (Ragnas Halbschwester) und Joyce McCully. Sie wurden in der kleinen Wohnung eines Ehepaares willkommen geheißen, das seit kurzem mit den Zeugen verbunden war. Hier verstauten die schwitzenden Missionare ihre 15 Koffer und 40 Literaturkartons, so gut es ging. Vier schliefen in Hängematten und zwei in Betten, die sie aus den Bücherkartons machten, bis sie ein Haus als Missionarheim mieten konnten.
Ragna erinnert sich, daß sie in den Augen der Maracuchos, wie der Volksmund die Einwohner Maracaibos nennt, sehr fremdartig aussahen. Mehrere Missionare waren groß und blond. „Im Haus-zu-Haus-Dienst folgten uns oftmals bis zu zehn nackte kleine Kinder, für die ihre Muttersprache aus unserem Mund fremdartig klang“, sagte Ragna später. „Keiner von uns sechs
kannte mehr als ein Dutzend spanische Wörter. Doch wenn sie über uns lachten, lachten wir einfach mit.“ Als diese Missionare in Maracaibo eintrafen, gab es dort nur vier Verkündiger. Anfang 1995 waren es 51 Versammlungen mit insgesamt 4 271 Verkündigern.Sein Gebet wurde erhört
Bei dem Ehepaar, das die sechs Missionare in seiner Wohnung freundlich willkommen hieß, handelte es sich um Benito und Victoria Rivero. Benito hatte das Buch „Das Königreich ist herbeigekommen“ von Juan Maldonado erhalten, einem Pionier aus Caracas. Benito war begeistert, als Pedro Morales ihm später ein Studium anbot; er studierte nicht nur, sondern besuchte sofort die Zusammenkünfte der kleinen Gruppe. Er ermunterte
auch seine Frau, die Zusammenkünfte zu besuchen, und weil sie gern sang, erzählte er ihr, daß die Lieder der Zeugen sehr schön sind. Gewöhnlich begleitete sie ihn, aber sie verstand nicht alles, was gesagt wurde, und so schlief sie oft ein.Als Benito eines Abends zu Hause war und dachte, daß seine Frau schlafe, betete er laut zu Jehova und bat ihn, ihr Verständnis zu verleihen. Doch sie hörte das Gebet mit an und war davon tief bewegt. Nach Benitos Tod im Jahre 1955 wurde Victoria allgemeiner Pionier und dann Sonderpionier.
Die Landgebiete um Maracaibo erreicht
Zu denen, die im Gebiet von Maracaibo bereitwillig die Wahrheit annahmen, gehörte der Vater von Rebeca (jetzt Rebeca Barreto). Sie war erst fünf Jahre alt, als Gerardo Jessurun anfing, mit ihrem Vater die Bibel zu studieren; er machte so weit Fortschritte, daß er sich 1954 taufen lassen konnte. Freudig denkt sie an ihren Predigtdienst als Jugendliche zurück. Sie erinnert sich: „Wir mieteten einen Bus, und die ganze Versammlung fuhr ins Landgebiet. Die Menschen auf dem Land hatten kaum Geld, doch sie schätzten die Literatur. Das war vielleicht ein Anblick, als sich am Abend die Brüder und Schwestern mit Eiern, Kürbissen, Getreide und lebenden Hühnern, die ihnen im Tausch für Literatur gegeben worden waren, in den Bus drängten.“
Doch nicht jeder sah sie gern. Schwester Barreto erinnert sich an einen Vorfall in dem Dorf Mene de Mauroa und berichtet: „Als wir von Haus zu Haus gingen, folgte uns der katholische Pfarrer des Ortes, riß die Literatur, die die Menschen genommen hatten, in Stücke und sagte ihnen, sie sollten Jehovas Zeugen nicht zuhören. Er hetzte einen Pöbel auf, zu dem viele junge Leute gehörten, und es gelang ihm, sie so wütend zu machen, daß sie uns mit Steinen bewarfen. Verschiedene Brüder und Schwestern wurden getroffen.“ Die Gruppe von Zeugen suchte beim prefecto der Gemeinde Hilfe. Da er den Zeugen gegenüber günstig eingestellt war, sagte er dem Priester, er müsse ihn „zu seinem eigenen Schutz vor diesen Predigern“ für ein paar Stunden
in seinem Amtszimmer behalten. Die Menge, die jetzt keinen Anführer mehr hatte, zerstreute sich, und die Zeugen verbrachten die nächsten zwei Stunden in diesem Ort und gaben gründlich Zeugnis, ohne belästigt zu werden.Weitere Hilfe trifft ein
Das Gebiet war groß, und man brauchte zusätzliche Unterstützung, um es zu bearbeiten. Im September 1949 kamen weitere Arbeiter an, die kurz zuvor die Gileadschule absolviert hatten, um sich an dem geistigen Erntewerk zu beteiligen. Sie waren bereit, ja sogar erpicht darauf mitzuhelfen, was aber nicht heißt, daß es leicht für sie war. Als Rachel Burnham durch das Bullauge ihrer Kabine auf der Santa Rosa die Hafenlichter sehen konnte, fühlte sie sich so erleichtert wie nie zuvor in ihrem Leben. Seitdem das Schiff New York verlassen hatte, war sie seekrank. Obwohl es drei Uhr morgens war, weckte sie aufgeregt die anderen drei. Ihre Schwester Inez und die beiden anderen, Dixie Dodd und deren Schwester Ruby (jetzt Baxter), hatten die Reise genossen, freuten sich aber, jetzt in ihrer neuen Zuteilung anzukommen.
Zu der Gruppe, von der sie begrüßt wurden, gehörten Donald Baxter, Bill und Elsa Hanna (Missionare, die im Jahr zuvor angekommen waren) sowie Gonzalo Mier y Terán. Sie stiegen alle in einen Bus ein, der sie vom Hafen nach Caracas bringen sollte. Der Fahrer schien die Reise für die Neuankömmlinge zu einer Schreckensfahrt machen zu wollen, und zweifellos gelang ihm dies. Er durchfuhr eine Haarnadelkurve nach der anderen, oftmals am Rande eines Abgrundes und, wie es schien, viel zu schnell! Noch heute sprechen die Schwestern von dieser Fahrt.
Sie wurden dem Zweigbüro und Missionarheim in El Paraíso zugeteilt. Rachel diente treu in ihrem Missionargebiet bis zu ihrem Tod 1981; Inez starb 1991. Die anderen Mitglieder der Gruppe dienen Jehova immer noch loyal.
Wenn Dixie Dodd auf die ersten Monate des Dienstes in ihrem Gebiet zurückblickt, sagt sie: „Wir hatten solches Heimweh.
Aber wir hätten nicht einfach zum Flughafen fahren können, selbst wenn wir es gewollt hätten. Das Geld hätte nicht gereicht!“ Statt dessen konzentrierten sie sich darauf, daß Jehovas Organisation ihnen eine Aufgabe als Missionare in einem fremden Land anvertraut hatte. Schließlich träumten sie nicht mehr davon, in ihre Heimat zurückzukehren, und widmeten sich der Arbeit.Mißverständnisse
Für die meisten der neuen Missionare war die Sprache ein Problem — jedenfalls eine Zeitlang.
Dixie Dodd erinnert sich, daß sie zuerst unter anderem lernten, immer „Mucho gusto“ zu sagen, wenn sie jemandem vorgestellt wurden. Am gleichen Tag wurden sie zu einem Versammlungsbuchstudium mitgenommen. Während der Busfahrt wiederholten sie die Wörter immer wieder: „Mucho gusto. Mucho gusto.“ „Doch als wir dann vorgestellt wurden“, erzählt Dixie, „hatten wir’s vergessen.“ Mit der Zeit dachten sie aber daran.
Bill und Elsa Hanna, die von 1948 bis 1954 als Missionare dienten, erinnerten sich noch lange an manche ihrer Schnitzer. Als Bruder Hanna einmal ein Dutzend weiße Eier kaufen wollte, fragte er nach huesos blancos (weißen Knochen) statt nach huevos blancos. Ein anderes Mal wollte er einen Besen kaufen. Da er befürchtete, daß er nicht verstanden worden war, versuchte er, sich genauer auszudrücken: „Um ‚el cielo‘ (den Himmel) zu fegen“, sagte er, anstelle von el suelo (den Boden). Mit einem Anflug von Humor erwiderte der Ladeninhaber: „Da haben Sie sich aber viel vorgenommen, mein Herr.“
Als Elsa, Bills Frau, zur Botschaft ging, bat sie darum, daß ihr Paß remover (entfernt) werde, statt daß er renovar (erneuert) werde. Der Sekretär fragte: „Meine Dame, was haben Sie damit gemacht — ihn verschluckt?“
Genee Rogers, eine Missionarin, die 1967 eintraf, war anfangs etwas entmutigt, als nach jeder sorgfältig geprobten Darbietung
der Wohnungsinhaber sich an ihre Begleiterin wandte und fragte: „¿Qué dijo?“ (Was hat sie gesagt?) Doch Schwester Rogers versuchte es immer wieder, und in etwa 28 Jahren als Missionarin hat sie 40 Menschen geholfen, die Wahrheit kennenzulernen und so weit Fortschritte zu machen, daß sie sich taufen ließen.Willard Anderson, der mit seiner Frau Elaine im November 1965 von der Gileadschule dorthin kam, gibt offen zu, daß Sprachen nie seine Stärke waren. Er kann immer über seine Fehler lachen und sagt: „Sechs Monate hatte ich in der Schule Spanisch gelernt, bis ich meinem Lehrer versprechen mußte, nie wieder einen Kurs bei ihm zu belegen!“
Doch mit Jehovas Geist, Ausdauer und einem gesunden Sinn für Humor fühlten sich die Missionare in der neuen Sprache bald zu Hause.
Auch die Häuser haben Namen
Für die Missionare war nicht nur die Sprache neu. Sie mußten sich auch umstellen, wenn es darum ging, zu notieren, wo sie wieder vorsprechen wollten. Damals hatten viele Häuser in Caracas keine Nummern. Jeder Hausbesitzer gab seinem Haus einen Namen. Die Häuser der oberen Gesellschaftsschicht sind als quintas bekannt und werden häufig nach der Dame des Hauses benannt. Beispielsweise kann Quinta Clara eine Adresse sein. Oft ist es eine Kombination aus den Namen der Kinder: Quinta Carosi (Carmen, Rosa, Simon). Der Eigentümer des ersten Zweigbüros und Missionarheimes, das die Gesellschaft gemietet hatte, hatte sein Haus bereits Quinta Savtepaul (Sankt Vinzenz von Paul) genannt, und da es an einer Hauptstraße lag, wurde es schnell als Zusammenkunftsstätte von Jehovas Zeugen bekannt.
Als 1954 ein ganz neues Gebäude gekauft wurde, das als Zweigbüro und Missionarheim dienen sollte, war es an den Brüdern, ihre Phantasie zu gebrauchen und einen passenden Namen zu finden. Sie dachten an Jesu ernste Ermahnung: „Laßt euer Licht vor den Menschen leuchten“ und nannten das Haus Luz (Licht) (Mat. 5:16). Zwar wurde das Zweigbüro später auf ein größeres Gelände verlegt, doch Anfang 1995 wohnten in Quinta Luz immer noch 11 Missionare.
Das Zentrum von Caracas hat ein einzigartiges Adreßsystem. Wenn man nach der Adresse eines Geschäftes oder Apartmenthauses fragt, kann man zum Beispiel hören „La Fe a Esperanza“. „ ‚Von Glauben bis Hoffnung‘? Das hört sich aber nicht wie eine Adresse an!“ könnte man sagen. Doch in Caracas hat jede Straßenkreuzung einen Namen. Somit ist die gesuchte Adresse in dem Block zwischen den Straßenkreuzungen Glauben und Hoffnung zu finden.
Von Venezuela nach Gilead und zurück
Im Laufe der Jahre kamen 136 in Gilead geschulte Missionare aus anderen Ländern nach Venezuela, darunter 7 von der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung. Sie kamen aus den Vereinigten Staaten, aus Kanada, Deutschland, Schweden, Neuseeland, England, von Puerto Rico, aus Dänemark, Uruguay und Italien. Zwischen 1969 und 1984 kamen von Gilead keine neuen Missionare mehr nach Venezuela, da es unmöglich war, Visa zu erhalten. Jedoch gelang es 1984 mit vereinten Kräften, eine Einreiseerlaubnis für zwei Ehepaare zu erhalten, und 1988 kamen zwei weitere Missionare an. Auch sechs venezolanische Zeugen haben aus der Schulung in Gilead Nutzen gezogen.
Als Bruder Knorr 1946 zu Besuch kam, fragte der junge Rubén Araujo ihn, ob er sich eines Tages für den Besuch der Gileadschule eignen würde. „Wenn du dein Englisch verbesserst, ja“ war die Antwort. „Es ist überflüssig zu sagen, daß ich sehr glücklich war“, erzählt Rubén. „Im Oktober 1949, drei Jahre danach, bekam ich von Bruder Knorr ein Einladungsschreiben für die 15. Klasse, die im Winter, Anfang 1950, beginnen sollte.“
Die fünf anderen Brüder aus Venezuela, die nach Gilead eingeladen wurden, sind Eduardo Blackwood und Horacio Mier y Terán (beide ließen sich 1946 bei Bruder Knorrs erstem Besuch taufen), Teodoro Griesinger (über den noch mehr berichtet wird), Casimiro Zyto (er war aus Frankreich ausgewandert und
durch Einbürgerung Venezolaner geworden) und vor kurzem Rafael Longa (der als Kreisaufseher dient).Einige suchten, andere nicht
Bereits 1948 dachte Víctor Mejías aus Caracas über eine bessere Welt nach. Er glaubte aufrichtig, das sei durch menschliche Anstrengungen zu erreichen, und war bereit, seinen Teil zu tun. Doch er hatte auch Zweifel.
In jenem Jahr ließ Josefina López, eine sehr liebenswürdige Zeugin, das Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ bei Dilia, Víctors Frau, zurück. Der Titel interessierte Víctor, und so las er es. Er erkannte, warum Menschen allein niemals eine Welt wirklicher Freiheit aufbauen können. Bald besuchten er und seine Frau die Zusammenkünfte der Zeugen. Später sagte er: „Obwohl ich die Anwesenden nicht kannte, war ich davon überzeugt, daß sie anders waren, weil sie so freundliche Gesichter hatten. Ich
vergesse auch nicht, daß ich tief beeindruckt war, als ich Bruder Knorr, den Präsidenten der Gesellschaft, auf einem Kongreß in Caracas im Club Las Fuentes sah. Er war ganz anders als die religiösen Führer, die Helden und berühmten Künstler, die alle von den Menschen gesehen werden wollen. Seine Demut und sein einfaches Auftreten beeindruckten mich.“ Bald sprach auch Víctor mit anderen über die Wahrheit, die Menschen frei machen kann — ja sogar frei von Sünde und Tod. Vor ein paar Jahren, als Bruder Mejías auf die Jahrzehnte zurückblickte, in denen er mit anderen über die biblische Wahrheit sprach, sagte er: „Diese Jahre waren die glücklichsten meines ganzen Lebens.“Im Jahre 1950, dem Jahr, in dem sich Víctor Mejías taufen ließ, bat Teodoro Griesinger, ein anderer junger Mann in Caracas, Ronald Pierce, der kurz zuvor den Missionardienst aufgenommen hatte: „Erklären Sie mir doch die Bedeutung der Zahl 666 in der Offenbarung!“ Teodoros Vater hatte ihm eine große deutsche Bibel hinterlassen, und von Zeit zu Zeit las er darin. „Mich interessierte nicht so sehr die Vergangenheit, sondern die Zukunft, das, was noch geschehen sollte und in der Offenbarung erwähnt wird“, erläutert Teodoro. Mit der Erklärung von Bruder Pierce zufrieden, nahm er die Einladung an, das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ zu studieren. Das Buch war in Spanisch geschrieben, Teodoros Bibel in Deutsch, und der Lehrer sowie der Studierende sprachen Englisch. Er machte schnell Fortschritte. 1951 wurde Teodoro Pionier, im folgenden Jahr nahm er eine Zuteilung als Sonderpionier in Puerto La Cruz an, 1954 absolvierte er die Gileadschule, und dann begann er in Venezuela mit dem Kreisdienst.
Um die Zeit, als Ronald Pierce anfing, mit Teodoro Griesinger zu studieren, wohnte Nemecio Lozano, ein korpulenter Mann, in einem Indianerdorf außerhalb von El Tigre, um der Polizei auszuweichen. Er war ein Raufbold und mit dem Messer geschickt. Der Indianerhäuptling hatte Angst vor ihm und tat, was er sagte; somit war Lozano im Grunde genommen der Häuptling. Die Zeugen wurden vor ihm gewarnt, aber sie gaben ihm trotzdem Zeugnis. Er unterbrach sie und sagte barsch: „Hören Sie, ich lasse mir von Ihnen nichts erklären. Ich will es selbst lesen.“ Doch sie hatten keine Literatur mehr bei sich. So bestand er darauf, daß ein Bruder ihm sein persönliches Exemplar des Buches „Die Wahrheit wird euch frei machen“ gab — nahm es aber erst, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß keine Seite fehlte! Würde jemand wie er daraus wirklich Nutzen ziehen?
Innerhalb einer Woche hatte er das Buch gelesen, hatte sich einige Broschüren zum Verbreiten beschafft und von sich aus angefangen zu predigen. Als die Zeugen ihn wieder besuchten, fragten sie ihn besorgt, was er den Menschen denn erzähle. Er antwortete: „Sie können diese Broschüre für einen lächerlichen medio [eine Münze] haben.“ Ihm wurde taktvoll erklärt, wie er sich besser ausdrücken könnte.
Um die Zusammenkünfte im 30 Kilometer entfernten El Tigre zu besuchen, setzte er sich aufs Pferd oder aufs Fahrrad, und manchmal ging er auch zu Fuß. Nach und nach wichen seine früheren Eigenarten den christlichen Eigenschaften. Bald verbrachte er so viel Zeit im Predigtdienst, daß der Kreisaufseher ihn dazu ermunterte, den Pionierdienst aufzunehmen. 1955 wurde er als Sonderpionier ausgesandt, und diesen Dienst führt er mit Omaira, seiner Frau, immer noch durch.
Die geistige Reinheit bewahrt
In der Anfangszeit wurde das Licht des Wortes Gottes nicht überall in voller Helligkeit wahrgenommen. Manche, die mit der Studiengruppe in El Tigre verbunden waren, hatten noch Vorstellungen, die sie aus der Welt mitgebracht hatten. Rafael Hernández und seine Frau, die bereits 1947 mit der Wahrheit in Berührung kamen, denken an einen Bruder in der dortigen Gruppe, der seinen Träumen eine besondere Bedeutung zuschrieb. Und eine Zeitlang dachten manche, solange ein Paar sich treu bleibe, müsse die Ehe nicht gesetzlich registriert werden. Doch durch gesunde biblische Unterweisung wurden diese Vorstellungen nach und nach korrigiert.
Gegen Ende der vierziger Jahre begann jedoch einer von den zehn, die sich 1946 bei Bruder Knorrs erstem Besuch in Venezuela taufen ließen, eigene Lehren zu vertreten, und er versuchte, eigene Anhänger um sich zu scharen. Leopoldo Farreras, der heute in Ciudad Guayana Ältester ist, erinnert sich an das, was geschah. Er war in der katholischen Kirche erster Meßdiener (monaguillo) gewesen und im Alter von 20 Jahren wegen der offenkundigen
Unmoral der Geistlichkeit aus der Kirche ausgetreten. Jetzt sah er wieder jemanden, der Autorität mißbrauchte. Trotz mangelnder Erfahrung und obwohl er noch so jung war, blieb er in dieser schwierigen Zeit in El Tigre standhaft und erwies sich als loyal gegenüber Jehova und seiner Organisation.Ein paar Jahre später begann die Frau von Leonard Cumberbatch, der jetzt ein Ältester in El Tigre ist, mit Jehovas Zeugen zu studieren. Leonard gibt zu: „Meine Reaktion war völlig widersinnig. Wir hatten immer friedlich und in Liebe zusammengelebt, aber sobald sie anfing, die Bibel zu studieren, wurde ich sarkastisch. Einmal schimpfte sie mit mir, weil ich gefährlich schnell fuhr. Ich sagte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen, denn Jehova, ihr Gott, würde sie retten — schließlich würde sie sowieso ewig leben. Ich fuhr nicht langsamer.
Ich sagte ihr, die Zeugen würden sie nur ausnutzen, ich wisse mehr über die Bibel als die Zeugen und ich wolle mit ihnen reden. Sie nahmen meine Herausforderung an. Es wurde eine angenehme Unterhaltung. Ich konnte nicht beweisen, daß sie die Unwahrheit lehrten, und so stimmte ich einem Bibelstudium mit ihnen zu. Fünf Monate nachdem wir angefangen hatten, die Bibel zu studieren, ließ ich mich taufen. Ich wurde Buchstudienleiter einer Gruppe in Anaco, da ich ein Auto hatte. Dieser Gruppe zu dienen bedeutete jedesmal eine Hin- und Rückfahrt von insgesamt 160 Kilometern. Später wurde ich gebeten, mich um eine andere Gruppe zu kümmern, die 30 Kilometer entfernt war. Heute sind in diesen Städten Versammlungen.“
El Tigre selbst ist ein bedeutendes Handelszentrum im Osten Venezuelas. Es ist auch ein wichtiges Zentrum der wahren Anbetung geworden. Anfang 1995 gab es in El Tigre sieben Versammlungen der Zeugen Jehovas, zu denen mehr als 730 Verkündiger der guten Botschaft gehörten.
Eine Juwelierin stellt keine Bildnisse mehr her
Südöstlich von El Tigre liegt Ciudad Bolívar, und zwar am Südufer des Orinoko. Dort herrscht viel Betrieb und reger
Schiffsverkehr. 1947 sprach in dieser Stadt ein Zeuge Jehovas bei María Charles vor. Sie erzählt: „Von Beruf bin ich Juwelierin, und eines Tages, als ich in meinem Geschäft arbeitete, kam Alejandro Mitchell mit einer Stofftasche über der Schulter vorbei. Ich fragte: ‚Was haben Sie da?‘ Seine Antwort: ‚Oh, einen besonderen Schatz.‘ ‚Gut, wenn es Gold ist, kaufe ich es — schließlich ist das mein Geschäft‘, sagte ich. Er erklärte, er habe etwas Wertvolleres als Gold. ‚Das einzige, was wertvoller ist als Gold, ist die Bibel‘, sagte ich. Alejandro stimmte dem zu und zog eine Bibel sowie andere Literatur heraus.Ich las gern, doch die Bibel hatte ich nie verstehen können. Daher sagte ich: ‚Ich kaufe alles.‘ An dem Tag nahm ich 11 Zeitschriften, die Bücher ‚Das Königreich ist herbeigekommen‘, Die Rettung und eine neue Bibel. Von dem, was ich las, war ich so fasziniert, daß ich eine Woche nicht in meinem Juweliergeschäft arbeitete, um mich ganz dem Lesen widmen zu können. Als ich das Buch ‚Das Königreich ist herbeigekommen‘ las, war ich von dem Beispiel Johannes’ des Täufers so beeindruckt, daß ich zu mir sagte: ‚Ich möchte auch so ein furchtloser Prediger sein wie er.‘ “
María fragte alle Leute nach der Zusammenkunftsstätte der Zeugen, doch man sagte ihr, in Ciudad Bolívar gebe es keine. Die nächste sei im 120 Kilometer entfernten El Tigre. Zuversichtlich machte sie sich auf den Weg, fand die Adresse, besuchte eine Zusammenkunft und ließ für Alejandro Mitchell eine Notiz zurück, womit sie ihn bat, sie in Ciudad Bolívar zu besuchen.
In der Zwischenzeit fand sie heraus, daß ein Schneider in der Nähe ebenfalls das Buch „Das Königreich ist herbeigekommen“ besaß. Er wußte, wo sich eine kleine Gruppe versammelte und den Wachtturm las. Dort ging María hin und traf Leopoldo Farreras, seine Mutter, seine Schwester und einige andere. Sie freute sich über die Zusammenkunft und war von dem Stoff so begeistert, daß sie bei jeder Frage die Hand hob!
Nach dem Studium fragte Leopoldo Farreras sie: „Und woher kommen Sie?“ María erwiderte: „Von meinem Juweliergeschäft; Psalm 115:4-8“, antwortete sie.
aber ich werde keine Bildnisse mehr machen.“ Bruder Farreras schmunzelte über ihre Offenheit und fragte: „Warum nicht?“ „Wegen der Worte inDie Gruppe war noch nicht für das öffentliche Zeugnisgeben organisiert. Der Vorschlag, dem biblischen Gebot zu predigen zu gehorchen, kam eigentlich von María Charles, die als letzte zu der Gruppe hinzugekommen war. Sie rüsteten sich mit Zeugniskarten und Literatur aus und begannen, den Einwohnern von Ciudad Bolívar auf organisierte Weise die gute Botschaft zu predigen. Die ersten paar Jahre waren sehr schwierig, weil die Menschen die Geistlichkeit fürchteten. Doch die Anstrengungen der eifrigen, treuen Gruppe trugen Frucht. Seit 1995 gibt es in Ciudad Bolívar neun Versammlungen mit insgesamt 869 Verkündigern.
Weitere Missionare treffen ein
Im Jahre 1950 gab es aufregende Neuigkeiten im Zweigbüro in Caracas. Vierzehn weitere Missionare sollten nach Venezuela gesandt werden, und drei zusätzliche Missionarheime sollten eröffnet werden — in Barquisimeto, Valencia und Maracay. Doch würden die Missionare ins Land kommen können? Der Präsident war gerade einem Attentat zum Opfer gefallen; ab 18 Uhr war Ausgangssperre; und auch der Fernmeldeverkehr war gestört.
Das erste Flugzeug, das nach dem Attentat aus dem Ausland kam, landete auf dem Flughafen bei Caracas. Die vierzehn neuen Missionare stiegen aus. Doch niemand war da, um sie zu empfangen. Unter diesen Umständen hatte man einfach nicht mit ihnen gerechnet. Ralphine (Penny) Gavette, die zu den vierzehn gehörte, erinnert sich: „Wir nahmen drei Taxis und hatten lediglich die Adresse des Zweigbüros. Die Avenida Páez in Caracas zu finden war kein Problem; doch die Straße war sehr lang, und wir fanden das Haus nicht. Es war dunkel, es war Ausgangssperre, und die Taxifahrer wurden langsam nervös. Schließlich bat Vin Chapman, einer der Missionare, den Fahrer, anzuhalten; er stieg aus, um an irgendeine Tür zu klopfen und nach der Richtung zu
fragen, obwohl er nur sehr wenig Spanisch konnte. Als er klopfte, öffnete Donald Baxter, der Zweigaufseher, die Tür. Welch eine Erleichterung!“Die Missionare, die nach Barquisimeto gesandt wurden, das zirka 270 Kilometer südwestlich von Caracas liegt, stellten fest, daß die Menschen in der Stadt ausgesprochen religiös waren. In den fünfziger Jahren waren sie dort sehr traditionsgebunden und lehnten Veränderungen ab.
Doch die Reaktionen waren unterschiedlich und hingen davon ab, was getan wurde und von wem. Über den ersten Samstag, an dem die Missionare Straßendienst durchführten, berichtet Bruder Chapman: „Wir fünf standen an den belebtesten Ecken im Geschäftsviertel in der Innenstadt und erregten einiges Aufsehen. Damals gab es in Barquisimeto kaum Amerikaner und schon gar keine jungen Amerikanerinnen. Es schien so, als könnte ich keine Zeitschriften abgeben, aber die Schwestern gaben sie ab wie warme Semmeln!“ Als die jungen Schwestern aber an einem anderen Tag auf dem Markt Lebensmittel einkaufen wollten, trugen sie Bluejeans. Binnen weniger Minuten hatten etwa hundert Frauen einen Kreis um sie gebildet und schrien: „¡Mira! ¡Mira!“ (Seht mal! Seht mal!) Sie waren es nicht gewohnt, Frauen in solcher Kleidung auf der Straße zu sehen. Natürlich gingen die Schwestern schnurstracks nach Hause und zogen sich um.
In diesem Gebiet hatten die meisten Menschen nie eine Bibel gesehen. Selbst wenn eine katholische Bibel verwendet wurde, wollten sie nicht akzeptieren, was darin stand. Manche wollten noch nicht einmal einen Vers daraus lesen, da sie befürchteten, dadurch zu sündigen. Im ersten Jahr wurden in Barquisimeto kaum Fortschritte erzielt.
Endlich die wahre Religion
In Barquisimeto war allerdings nicht jeder von der katholischen Tradition geblendet. Ein herausragendes Beispiel dafür war Luna de Alvarado, eine hochbetagte Dame, die jahrelang katholisch
gewesen war. Als Schwester Gavette zum ersten Mal bei ihr vorsprach, sagte die Frau: „Señorita, schon als junges Mädchen habe ich darauf gewartet, daß jemand an meine Tür kommt und mir das erklärt, was Sie mir gerade gesagt haben. Wissen Sie, als Mädchen habe ich das Haus des Priesters saubergemacht, und er hatte in seiner Bibliothek eine Bibel. Ich wußte zwar, daß wir sie nicht lesen durften, aber ich war so neugierig, den Grund dafür zu erfahren, daß ich sie eines Tages unbeobachtet mit nach Hause nahm und heimlich las. Was ich da las, machte mir bewußt, daß die katholische Kirche uns nicht die Wahrheit beigebracht hatte und deshalb nicht die wahre Religion sein konnte. Ich hatte Angst, mit jemandem darüber zu sprechen, aber ich war mir sicher, daß irgendwann Leute, die die wahre Religion lehrten, in unsere Stadt kommen würden. Als die Protestanten kamen, dachte ich zuerst, sie seien es, aber bald entdeckte ich bei ihnen viele der falschen Lehren, die die katholische Kirche auch vertrat. Aber was Sie mir gerade gesagt haben, ist genau das, was ich vor so vielen Jahren in der Bibel gelesen habe.“ Sofort wurde ein Studium vereinbart, und es dauerte nicht lange, bis Luna ihre Hingabe an Jehova symbolisierte. Obwohl sie bei ihrer Familie auf heftigen Widerstand stieß, diente sie Jehova treu bis zu ihrem Tod.Auch Eufrosina Manzanares wurde von ihrem Herzen gedrängt, auf Gottes Wort günstig zu reagieren. Bis Ragna Ingwaldsen zum ersten Mal bei ihr vorsprach, hatte sie nie eine Bibel gesehen. Trotzdem stimmte Eufrosina einem Bibelstudium mit Ragna zu. Ragna erinnert sich: „Sie war pro forma religiös, besuchte jeden Sonntag die Messe, und stets hing eine brennende Lampe vor der Statue eines ‚Heiligen‘, die in einer Nische stand. Damit das Licht niemals erlosch, hatte sie immer einige Gallonen Öl dafür zur Hand.“ Doch Eufrosina wandte das an, was sie aus der Bibel lernte. Als sie erkannte, daß Jehova einiges nicht gefiel, nahm sie Änderungen in ihrem Leben vor. Aus diesem Grund trennte sie sich von ihren Bildnissen, hörte mit dem Rauchen auf und ließ ihre Ehe gesetzlich eintragen. Später schloß sich ihre Mutter dem Studium an. Für Eufrosina war es nicht
leicht, von ihren dicken Zigarren loszukommen. Schon im Alter von nur zwei Jahren steckte ihre Mutter ihr gewöhnlich eine Zigarette in den Mund, um sie ruhig zu halten, und seitdem hatte sie geraucht. Doch um Jehova zu gefallen, gab sie das Rauchen auf, ließ sich taufen und wurde eine sehr eifrige Verkündigerin.Sechs Jahre nachdem die ersten Missionare nach Barquisimeto gesandt worden waren, gab es dort nur etwa 50 Verkündiger. Aber Jehova hat die beharrlichen Anstrengungen bei der Suche nach schafähnlichen Menschen gesegnet. 1995 berichteten in den 28 Versammlungen von Barquisimeto insgesamt 2 443 Verkündiger.
Valencia — ein fruchtbares Gebiet
Ungefähr auf halber Strecke zwischen Barquisimeto und Caracas liegt Valencia, die viertgrößte Stadt in der Republik. Die Atmosphäre in den älteren und engeren Straßen gleicht der des alten Spanien, und wie die gleichnamige spanische Stadt ist Valencia für seine Orangen berühmt.
Von der Missionargruppe, die 1950 in Venezuela eintraf, wurden acht nach Valencia gesandt. Evelyn Siebert (jetzt Ward) denkt daran, wie sie in Valencia mit einer auswendig gelernten Darbietung begannen. „Trotz unserer begrenzten Spanischkenntnisse richteten wir viele Bibelstudien ein“, erinnert sie sich. Das Studium mit Paula Lewis war eines davon. Paula war katholisch und Bildnissen sehr ergeben, besonders dem „Heiligen Herzen Jesu“, von dem sie regelmäßig etwas erbat. Sie ging jede Woche zur Kirche, spendete drei Bolívar und bat das Bildnis inständig darum, daß ihr Mann nach Hause zurückkehren und bei der Familie bleiben möge. Da er weiterhin getrennt von der Familie lebte, beschloß sie, etwas eindringlicher mit dem Bild zu reden. „Herr, wenn es diesmal nichts nützt, ist das meine letzte Spende gewesen!“ Sie ließ ihre drei Bolívar zurück und ging nie wieder hin.
Im darauffolgenden Monat sprach Evelyn Siebert bei ihr vor. Paula hörte gern zu, nahm das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“
(obwohl sie nicht lesen konnte) und begann mit Evelyns Hilfe, die Bibel zu studieren. Paula und eine ihrer Töchter gehörten in Valencia zu den ersten, die sich taufen ließen. Stephen, Paulas Mann, überlegte es sich noch einmal, kehrte zu seiner Familie zurück und wurde — nicht als Folge der Verehrung eines Bildnisses, das als „Das Heilige Herz Jesu“ bekannt war, sondern auf Grund seines Bibelstudiums — auch ein Diener Jehovas, obwohl er zuerst nichts mit „diesem Unsinn“ zu tun haben wollte, wie er sich ausdrückte.Zwei Jahre nachdem die Missionare in Valencia angekommen waren, schloß sich ihnen Lester Baxter (Donalds älterer Bruder) mit seiner Frau Nancy an. Lester mußte sich besonders anstrengen, Spanisch zu lernen. Er brauchte es nicht nur im Predigtdienst, sondern er mußte auch alle Zusammenkünfte leiten, da er der einzige Bruder in der Missionargruppe war. Die intensive Schulung zeitigte gute Ergebnisse. Als in Venezuela zwei Jahre später der erste Bezirk gebildet wurde, wurde Lester zum Bezirksaufseher ernannt. Danach war er 30 Jahre im Reisedienst tätig.
Zu den Missionaren, die in Valencia dienten, gehörte Lothar Kaemmer aus Deutschland, blond und klein von Gestalt, und Herbert Hudson aus Großbritannien mit seinen blauen Augen und roten Wangen. Eine Zeitlang waren sie als Zimmerpartner ein lebendiger Beweis dafür, daß die biblische Wahrheit Menschen verändert. Dazu muß man wissen, daß Lothar als Jugendlicher in der Hitler-Jugend gewesen war, und Herbert hatte in der britischen Royal Air Force (Luftwaffe) gedient — im Krieg waren sie also Feinde gewesen! Doch Gottes Wort hatte ihre Auffassung vom Leben verändert. Als Missionare arbeiteten sie zusammen und lehrten Menschen, in Frieden zu leben — zunächst mit Gott, aber auch miteinander.
Davonlaufen oder Stellung beziehen?
Alice Palusky, eine der Missionarinnen in Valencia, sprach 1953 bei der 18jährigen Gladys Castillo vor. Gladys gefiel das, was sie hörte, aber irgendwie war sie mißtrauisch, weil Alice
keine katholische Bibel benutzte. Also ging Gladys zur Kathedrale von Valencia und sprach mit dem Bischof. Sie erklärte ihm, sie studiere mit den „Protestanten“, für die sie die Zeugen hielt, wolle aber eine katholische Bibel haben, um alle Bibelverse nachzuprüfen. Damals gab es in Valencia verhältnismäßig wenige Zeugen, und sie waren nicht allzu bekannt. Was Gladys im Sinn hatte, erschien dem Bischof vernünftig, und er gab ihr eine Bibel. Über das, was Gladys in der Bibel las, war sie erstaunt, und ihr wurde bewußt, daß die Katholiken nicht das taten, was die Bibel lehrt. Sie trat aus der Kirche aus.Als sie sich 1955 auf die Taufe vorbereitete, kam es zu einer Glaubensprüfung. Sie studierte und wollte Lehrerin werden; bis zum Abschluß hatte sie nur noch ein Jahr. An ihrem Lehrinstitut wurde eine Feier zu Ehren der Jungfrau Maria geplant. Von jedem wurde erwartet, eine besondere Messe zu besuchen. Gladys berichtet: „Das war zur Zeit des Diktators Pérez Jiménez, und wer nicht gehorchte, wurde gewöhnlich von der Schule gewiesen. Es wurde bekanntgegeben, daß jemand, der nicht zur Messe gehen würde, sich seinen schriftlichen Verweis abzuholen hätte, was ihm auch jede Möglichkeit nahm, woanders zu studieren. Für mich war das eine echte Prüfung. Die Zeit, zur Messe zu gehen, rückte näher, und ich überlegte, ob ich mich in der Toilette verstecken oder über den Zaun springen und nach Hause gehen sollte. Schließlich entschloß ich mich, Stellung zu beziehen. Ich erklärte dem Institutsleiter, daß ich nicht zur Messe gehen würde, weil ich mich nicht mehr als Katholikin betrachtete, sondern mit Jehovas Zeugen studierte. Obwohl er sehr wütend über mich war, ließ er mich nach Hause gehen. Ich erhielt keinen Verweis. Ich war glücklich, daß ich völlig auf Jehova vertraut hatte.“
Als Geistliche Zeugnis erhielten
Auch Geistlichen wurde Zeugnis gegeben. Marina Silva, die in Valencia zu den ersten Personen gehörte, die Zeugen wurden, erinnert sich an den Tag, an dem der Priester der Kirche, die sie
besuchte, bevor sie eine Zeugin wurde, zu ihr kam. Sie konnte ein langes Gespräch mit ihm führen. Am deutlichsten kann sie sich daran erinnern, daß er die Bibelverse, die sie ihn bat aufzuschlagen, nicht fand und zugab: „Auf dem Seminar haben wir alles mögliche studiert — nur nicht die Bibel.“ In vielen Punkten stimmte er mit ihr überein; doch als sie ihn ermunterte, den Priesterstand aufzugeben und Jehova zu dienen, sagte er: „Und wer gibt mir mein arepa?“ (arepa ist dort ein Maisbrot).Obwohl Marina früher eine glühende Verehrerin des „Heiligen Herzens Jesu“ war und jeden Freitag diesem Bildnis widmete, wurde ihr Leben durch die biblische Wahrheit verändert. 1953 ließ sie sich taufen, und seit 1968 ist sie Sonderpionierin. Seit Marina sich am Predigen der guten Botschaft beteiligt, hat sie das Vorrecht gehabt, beim Aufbau des Werkes in San Carlos, Temerla, Bejuma, Chirgua, Taborda, Nirgua und Tinaquillo mitzuhelfen.
Als Tinaquillo, das südwestlich von Valencia liegt, zum ersten Mal mit der Botschaft der Wahrheit erreicht wurde, reagierten die Menschen feindselig. Marina erinnert sich daran, daß „Monsignore“ Granadillo, der Ortsgeistliche, Lautsprecher aufstellte, um die Leute zu warnen, als die kleine Gruppe anfing, die Stadt zu bearbeiten. „In Tinaquillo ist das Gelbfieber ausgebrochen!“ schrie er. „Hört nicht auf diese Leute! Verteidigt die Stadt und eure Religion! Verteidigt das Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit!“ Marina entschloß sich, den Geistlichen zu besuchen. Sie ging zu seinem Haus und wartete, bis er nach Hause kam.
Sie begrüßte ihn mit den Worten: „Ich gehöre zu dem ‚Gelbfieber‘, über das Sie sich heute morgen beklagt haben. Ich möchte gern klarstellen, daß wir Zeugen Jehovas sind. Wir verkündigen eine wichtige Botschaft, die von Gottes Königreich handelt, eine Botschaft, die die Kirche verkündigen sollte, es aber nicht tut.“ Mutig fragte sie ihn nach seiner Bibel und zeigte ihm Apostelgeschichte 15:14, wo vorausgesagt worden ist, daß Jehova aus den Nationen „ein Volk für seinen Namen“ herausnehmen wird. Er änderte seine Einstellung. Er sagte, es tue ihm leid, sich nicht darüber im klaren gewesen zu sein, was für Menschen wir seien. Zur Überraschung aller besuchte er den öffentlichen Vortrag, zu dem die Schwester ihn eingeladen hatte. Danach nahm er auf dem Marktplatz verschiedentlich Zeitschriften. Andere, die das beobachteten, wurden ermuntert, sie auch zu nehmen. 1995 gab es in Tinaquillo vier Versammlungen mit insgesamt 385 Verkündigern.
Der Same der biblischen Wahrheit gedeiht in Maracay
Wir erinnern uns sicher daran, daß ein Teil der Missionare, die 1950 ankamen, nach Barquisimeto und Valencia gesandt worden war, doch einige sollten Maracay Aufmerksamkeit schenken. Das ist Venezuelas fünftgrößte Stadt, etwa 120 Kilometer südwestlich von Caracas. Sie liegt an der Ostseite des Lago de Valencia und ist von Hügeln umgeben.
Nachdem die Missionare in Maracay angekommen waren, konnten auch in dieser Stadt Zusammenkünfte durchgeführt werden. Damals bestand die Missionargruppe aus ledigen Brüdern. Als jedoch 1958 Leila Proctor, eine aus Australien gebürtige Missionarin, eintraf, gab es in Maracay nur e i n e n getauften Bruder, obwohl zwischen 12 und 20 Personen die Zusammenkünfte besuchten. Das war Keith Glessing, der 1955 zusammen mit seiner Frau Joyce die Gileadschule absolviert hatte. Die Schwestern mußten in verschiedener Hinsicht aushelfen, weil Brüder fehlten. Schwester Proctor berichtet: „Wir Schwestern hatten Programmpunkte in den Dienstzusammenkünften und halfen bei der Kontenführung, der Literatur und den Zeitschriften. Nachdem ich fünf Monate in dieser Zuteilung gewesen war, wurde ich gebeten, ein Buchstudium zu leiten. Anfangs bestand es nur aus einem untätigen Verkündiger und mir. Die Zusammenkunft wurde bei Kerzenlicht in einer Wohnung durchgeführt, deren Fußboden aus Erde bestand. Mit der Zeit stieg die Zahl der Besucher, so daß das Wohnzimmer, die Küche und der
Patio voll besetzt waren — und das trotz meines entsetzlichen Spanisch. Das konnte nur mit der Hilfe des heiligen Geistes Jehovas geschehen.In Maracay haben so viele den aufrichtigen Wunsch bekundet, Jehova kennenzulernen und ihm zu dienen, daß es Anfang 1995 dort 30 Versammlungen mit insgesamt 2 839 Verkündigern gab.
„Wenn ’s stimmt, erschieß’ ich dich!“
María, die Frau von Alfredo Cortez, gehörte in Maracay zu denen, die Interesse zeigten. Sechs Monate hatte Joyce Glessing mit ihr die Bibel studiert. Dann kam eines Tages ihr Mann heim und fand diese Gringa vor, wie Amerikanerinnen hier genannt werden. Er fragte seine Frau, worum es gehe. Sie gab ihm statt einer Erklärung eine Zeitschrift, die Joyce mitgebracht hatte. Die Zeitschrift enthielt einen Artikel über den Spiritismus und brachte ihn mit dem Rosenkreuzertum in Verbindung. Interessiert las er ihn, da er sich mit diesem Glauben befaßte.
Als seine Frau Schwester Glessing von seinem Interesse an der Zeitschrift berichtete, wurde mit Keith, dem Mann der Missionarin, vereinbart, daß er Herrn Cortez besuchen sollte. Er tat es, und ein Bibelstudium wurde eingerichtet. Nach nur drei Wochen lud der Missionar Herrn Cortez ein, ihn im Dienst von Tür zu Tür zu begleiten — irgendwie ein bißchen zu früh. Herr Cortez ging mit, hatte sehr viel Freude dabei und gab 16 Zeitschriften ab. Überglücklich ging er an jenem Abend mit Freunden aus, die keine Zeugen waren, feierte seinen Erfolg, betrank sich und kam um drei Uhr morgens nach Hause!
Am nächsten Tag fühlte er sich deswegen elend und dachte: „Entweder diene ich Jehova richtig, oder ich kehre zu meinem früheren Lebenswandel zurück.“ Es kostete einige Anstrengung, ihn davon zu überzeugen, sein Bibelstudium fortzusetzen. Nach und nach gab er seinen früheren Lebenswandel auf und machte so weit Fortschritte, daß er sich 1959 taufen lassen konnte.
Zwei Wochen später besuchte ihn ein wütender Oberst, der Patenonkel einer seiner Töchter, hielt ihm einen Revolver vor die Brust und schrie: „Stimmt das, was ich gehört habe — du bist ein Zeuge Jehovas geworden? Wenn ’s stimmt, erschieß’ ich dich!“ Alfredo blieb ruhig, bestätigte, daß es stimmte, und erklärte den Grund dafür. Entrüstet steckte der Oberst seinen Revolver weg, und mit der Bemerkung, er betrachte sich nicht mehr als Patenonkel des Mädchens, stampfte er davon. Dem Geist Jehovas und Alfredos Eifer, wirklich überall Zeugnis zu geben, ist es zu verdanken, daß er 89 Personen helfen konnte, die Wahrheit kennenzulernen und sich Jehova hinzugeben. Zur Zeit dient er in Cabudare (in der Nähe von Barquisimeto) als Ältester; einer seiner Söhne ist Sonderpionier, und seine Tochter Carolina dient gemeinsam mit ihrem Mann im Zweigbüro.
Vorsicht, Karnevalszeit!
In Venezuela ist die Karnevalszeit eine Zeit für Partys und phantasievolle Kleidung — und eine Zeit zum Wasserwerfen! Besonders Kinder finden große Freude daran, nichtsahnende Passanten völlig zu durchnässen. Es ist im allgemeinen nicht ratsam, in der Karnevalswoche am Montag und Dienstag auf die Straße zu gehen.
„Ich hörte nicht auf die Warnungen“, gibt Leila Proctor zu. „Im ersten Jahr in Maracay beschloß ich, meine Bibelstudien durchzuführen, ganz gleich, was geschieht. Nun ja, ich tat es auch, doch beim ersten Studium kam ich durchnäßt an, da ich das Ziel von einem Eimer Wasser geworden war, der über mich ausgeschüttet wurde. Wieder halbwegs trocken, ging ich zu meinem zweiten Studium, nur um unterwegs das Ziel von zwei Eimern Wasser zu werden. Dort kam ich bis auf die Haut durchnäßt an.“ Andere Missionare können ähnliche Geschichten erzählen.
Leila, die im Missionarheim Quinta Luz in Caracas lebt, gestaltet jetzt ihren Zeitplan zur Karnevalszeit etwas anders.
„Er erhörte mein aufrichtiges Gebet“
Als Alfredo Amador klein war, zeigte sein Vater ihm den Sternenhimmel und nannte die Namen einiger Sternbilder. „Gott hat all dies gemacht“, sagte er gewöhnlich. Aber bevor Alfredo zehn Jahre alt war, starb sein Vater. Alfredo, der damals in Turmero (Bundesstaat Aragua) wohnte, begann an seiner Religion zu zweifeln. Es erschien ihm unrecht, daß der Priester Geld dafür verlangte, für die Toten zu beten, oder daß Reiche ihre Angehörigen eher aus dem Fegefeuer herausbekämen als arme Leute. Er war voller Zweifel, trank, handelte unsittlich, wurde gewalttätig und nahm Drogen. Als er das ernten mußte, was er gesät hatte, suchte er einen Ausweg. Dann dachte er an die Nächte, in denen er mit seinem Vater den Himmel betrachtet hatte.
Er berichtet: „Eines Nachmittags war ich völlig verzweifelt und betete unter Tränen zu Gott, er möge mir erlauben, ihn kennenzulernen. Es scheint, daß er mein aufrichtiges Gebet erhörte, denn am nächsten Morgen klopften zwei Zeugen Jehovas an meine Tür. Es ergaben sich interessante Gespräche, doch mit einem Bibelstudium war ich nicht einverstanden. Ich wollte die Bibel für mich allein lesen, aber ich ging in den Königreichssaal. Der Bruder, der mich besuchte, nahm mich auch zu einem Kongreß im nahe gelegenen Cagua mit. Ich hörte den verschiedenen Ansprachen zu, und mir wurde klar, daß dies die Wahrheit war. Als die Taufbewerber aufstanden, um die Fragen zu beantworten, stand ich auch auf.“
Alfredo war überrascht, daß alle anderen, die aufstanden, in einem anderen Teil des Zuhörerraumes waren als er. Doch er stellte sich mit ihnen zur Taufe an. Darauf fragte ihn jemand, aus welcher Versammlung er komme. Er wußte noch nicht einmal, daß die Versammlungen Namen haben! Bald stellte er fest, daß er sich wirklich noch nicht taufen lassen konnte.
Kurz danach heiratete er die Frau, mit der er zusammenlebte, und nach einem systematischen Bibelstudium eignete er sich
dafür, mit den Brüdern von Tür zu Tür Zeugnis zu geben. 1975 ließ er sich zusammen mit seiner Frau taufen. Heute dient er in Maracay als christlicher Ältester. Er erwartet sehnsüchtig den Tag in Gottes neuer Welt, an dem sein Vater auferweckt wird. Dann kann er seinem Vater sagen, daß der Name des Schöpfers, über den er vor vielen Jahren gesprochen hatte, Jehova ist, und er kann ihn ermuntern, Jehova gut kennenzulernen.Katastrophe in Maracay
Wer am 6. September 1987 in der Umgebung von Maracay wohnte, wird sich lange an dieses Datum erinnern. Sintflutartige Regenfälle führten zu einer Überflutung und lösten Schlammlawinen aus, die zahllose Häuser mitrissen oder völlig überschwemmten.
Als sich die Katastrophe ereignete, besuchten viele der ungefähr 2 000 Verkündiger aus Maracay einen Bezirkskongreß. Bei ihrer Rückkehr stellten sie fest, daß sie ihre Wohnung und ihr Eigentum verloren hatten. Mindestens 160 Menschen waren ums Leben gekommen; von Hunderten weiteren fehlt jede Spur; 30 000 waren obdachlos. Zwar verlor kein Zeuge Jehovas das Leben oder wurde ernstlich verletzt, aber unter den Obdachlosen waren insgesamt 114 Zeugen und Personen, mit denen die Bibel studiert wurde; sie besaßen nur noch das, was sie auf dem Leib trugen.
Die Brüder setzten sofort ein leistungsfähiges Hilfskomitee ein und sorgten für reichlich Nahrungsmittel, Medikamente, Kleidung und Bettzeug. Mit Lastzügen kamen Hilfsgüter von besorgten Mitbrüdern aus anderen Städten, bis nichts mehr benötigt wurde. Als die verantwortlichen Brüder feststellten, daß für die Zeugen und für diejenigen, mit denen studiert wurde, mehr als genug da war, stellten sie auch Nachbarn, die sich in einer üblen Notlage befanden, Nahrung und einige Kleidungsstücke zur Verfügung. Die überwältigende Großzügigkeit der Brüder und ihre Hilfsbereitschaft waren in der Tat glaubensstärkend.
Der sehnliche Wunsch, sich zu versammeln
Zweifellos sind Venezolaner von Natur aus gesellig. Zu gern kommen sie in großer Zahl zusammen — zum Essen, zu einer Feier, zu einem Ausflug an den Strand oder ins Grüne. Wenn sie sich der Organisation Jehovas anschließen, prägt sich diese Facette ihrer Persönlichkeit noch stärker aus. Sie lieben kleinere und größere Kongresse. Für viele von ihnen spielen Zeit, Entfernung, Kosten und Unbequemlichkeiten keine Rolle, solange sie nur zusammensein können.
Als sich die Brüder im Januar 1950 auf einen zweitägigen Kongreß in Maracaibo vorbereiteten, waren sie sehr aufgeregt. Aus dem Hauptbüro sollten Bruder Knorr und Robert Morgan anwesend sein. Pedro Morales war darüber enttäuscht, daß der Kongreß wegen des Widerstandes von seiten der Kirche nicht in der Lokalpresse bekanntgemacht werden konnte. Als die Zeit herankam, wo das Flugzeug mit den Brüdern landen sollte, entschied er sich daher für eine andere Methode. Später sagte er: „Ich sorgte dafür, daß alle Kinder aus der Versammlung draußen am Flughafen waren und jedes einen Strauß frischer Blumen hatte. Natürlich wurde das Interesse der anwesenden Reporter geweckt, und sie fragten, ob wir jemand Besonderes erwarteten. Die Kinder waren genau unterrichtet worden und antworteten: ‚Jawohl, und er wird in der Masonic Hall, Urdanetastraße 6, neben der Polizeistation, eine Ansprache halten.‘ Als die Brüder ankamen, machten die Reporter Fotos, und die Nachricht stand mit Bildern in den Zeitungen. Wir hatten unsere Publicity.“
Zwei Tage vor dem öffentlichen Vortrag gab auch Ondas del Lago (Seewelle), ein örtlicher Radiosender, jede halbe Stunde bekannt, daß diese Ansprache gehalten und im Rundfunk übertragen wird. Die Ergebnisse waren hervorragend. Außer den 132 Anwesenden beim Kongreß hörten viele am Radio zu. In jenem Jahr wurde die zahlenmäßig größte Zunahme an Verkündigern erreicht, die Venezuela jemals berichtete: 146 Prozent.
Ein anderer Bezirkskongreß, den viele nicht vergessen, fand vom 23. bis 27. Januar 1967 in der Nuevo-Circo-Stierkampfarena in Caracas statt. Es war unser erster internationaler Kongreß in Venezuela. Unter den Zuhörern waren 515 ausländische Delegierte, wozu auch Vorstandsmitglieder der Watch Tower Society gehörten. Damals war es neu, daß biblische Dramen zum Programm gehörten. Dyah Yazbek, der ein Drama leitete, erinnert sich: „Die Dramen waren sehr beeindruckend, nicht nur als etwas Neues und wegen ihres Inhalts, sondern auch wegen der 500 unentwegt klickenden Kameras, mit denen die Delegierten das Ereignis festhielten!“ So ein internationaler Kongreß zog die Aufmerksamkeit auf sich. Obwohl es in Venezuela damals weniger als 5 000 Verkündiger gab, kamen 10 463 Besucher. In den darauffolgenden drei Jahren betrug das zahlenmäßige Wachstum tätiger Verkündiger 13, 14 und 19 Prozent.
Es ist nicht ungewöhnlich, daß ein Interessierter einen Kreis- oder Bezirkskongreß besucht, noch bevor die Bibel mit ihm studiert wird oder bevor er in den Königreichssaal kommt. Der Wunsch, sich zu versammeln, wurde im Januar 1988 auf herausragende Weise bewiesen. Aus dem Hauptbüro in Brooklyn kam Don Adams als Zonenaufseher zu Besuch. In Valencia hatte man eine Stierkampfarena gemietet, und ein zweistündiges Programm war vorbereitet worden. Damals gab es in ganz Venezuela nur 40 001 Verkündiger. Dennoch waren 74 600 Besucher anwesend; sie kamen aus den entlegensten Winkeln des Landes. Manche reisten zwölf Stunden oder länger mit dem Bus, um anwesend zu sein; und als das Programm zu Ende war, stiegen sie zur zwölfstündigen Rückreise wieder in ihre Busse. Doch den lächelnden, munteren venezolanischen Zeugen, die sich nicht beklagten, war es das wert — einfach um mit so vielen ihrer Glaubensbrüder und -schwestern einen halben Tag lang zusammenzusein.
Die Botschaft gelangt in die Anden
Die Anden reichen bis in den Norden Venezuelas. Im Gebiet der Anden gibt es drei bedeutende Städte: Mérida, San Cristóbal
und Valera. Die Lebensweise und die Einstellung der Menschen ist ganz anders als die von denjenigen, die in den Küsten- und Großstädten wohnen.Rodney Proctor, ein Bezirksaufseher, der in den Anden diente, beobachtete folgendes bei den dort lebenden Menschen: „Oftmals wird ein Fremder wie ein Ausländer behandelt, obwohl er in seinem eigenen Land ist. Die Kirche übt immer noch einen starken Einfluß aus, und im allgemeinen wird die Königreichsbotschaft nicht ohne weiteres angenommen. Einige Sonderpioniere machten die Erfahrung, daß es ein ganzes Jahr dauerte, bevor ihr Gruß auf der Straße erwidert wurde. Nach dem zweiten Jahr fingen einige vielleicht an, die Bibel zu studieren. Anders als in anderen Landesteilen scheint hier die Frage ‚Was werden meine Nachbarn denken?‘ vom Zuhören abzuschrecken, wenn die Zeugen vorsprechen.“
Anfang der fünfziger Jahre besuchte Juan Maldonado, ein Pionier aus Caracas, verschiedene Städte in den Anden und hielt
sich in jeder ein paar Wochen auf, wobei er predigte. Der Empfang in San Cristóbal war nicht ermunternd. Bruder Maldonado wurde wegen seines freimütigen Predigens verschiedene Male verhaftet.Allerdings gab es eine Familie, die Interesse an der Wahrheit zeigte, und er studierte während seines Aufenthaltes mehrmals in der Woche mit ihr die Bibel. Doch die Verfolgung durch Verwandte und den Ortspfarrer ging so weit, daß Angelina Vanegas, die Mutter, keine passende Arbeitsstelle fand, um die Familie zu unterhalten.
Nachdem Vin und Pearl Chapman in Barquisimeto als Missionare gedient hatten, wurden sie im Dezember 1953 nach San Cristóbal gesandt. Angelina Vanegas und ihre Familie begrüßten sie als wunderbares Geschenk von Jehova und begannen unverzüglich, mit den Missionaren in den Dienst zu gehen. Wenige Monate später wollte sich die Mutter taufen lassen. Die Badewanne im Missionarheim war sehr groß und Angelina sehr klein — so hatte man keine Probleme, eine geeignete Taufstätte zu finden.
Siesta oder Rettung?
Die Chapmans begannen mit Misael und Edelmira Salas, einem sehr armen Ehepaar, ein Bibelstudium. Edelmira war streng katholisch. Sie erklärt: „Ich war so fromm, daß ich während einer Schwangerschaft barfuß von einem Dorf zu einem anderen Dorf pilgerte und dann auf den Knien von der Kirchentür zum Altar rutschte, um zu erfüllen, was ich Gott einmal gelobt hatte. Dann ging ich barfuß den ganzen Weg zurück; ich wurde krank davon und verlor das Baby.“
Um die Zeit, als ihr nächstes Kind geboren wurde, hatten Chapmans gerade angefangen, mit Misael und Edelmira die Bibel zu studieren. Als das Baby eines Tages sehr krank war, wollte Edelmira mit ihm ins Krankenhaus. Bevor sie ging, setzten die Nachbarn sie unter Druck, das Baby sofort taufen zu lassen, und behaupteten, daß es nicht bestattet werde und in den Limbus komme, wenn es sterben würde. Edelmira entschloß sich, sicherheitshalber
bei der Kirche anzuhalten und den Pfarrer zu bitten, ihr Baby zu taufen.„Ich kam gegen Mittag an, und der Pfarrer war nicht begeistert, daß seine Siesta gestört wurde“, erinnert sie sich. „Er sagte zu mir, ich solle gehen und ein anderes Mal wiederkommen. Ich sagte zu ihm: ‚Mein Baby liegt im Sterben. Ist es wichtiger, daß ein Baby vor dem Limbus gerettet wird oder daß Sie Ihre Siesta zu Ende halten können?‘ Widerwillig erklärte er sich mit der Kindtaufe einverstanden, sandte jedoch seinen Gehilfen, einen Küster, der die Taufe vornehmen sollte.“
Das Baby überlebte, aber der Vorfall war für Edelmira der Wendepunkt. Jetzt gab sie sich keinen Illusionen über die Kirche mehr hin und begann, ihr Bibelstudium mit den Zeugen ernst zu nehmen. Dann zogen sie und ihr Mann in eine Stadt namens Colón, wo es keine Zeugen gab. Als Casimiro Zyto San Cristóbal als Kreisaufseher besuchte, baten die Missionare ihn, nach Edelmira zu sehen. Wie dankbar sie für diesen Besuch war! Bei dieser Gelegenheit ließ sie sich taufen.
Dank ihrer Anstrengungen befindet sich in Colón jetzt eine Versammlung. Es gibt auch drei Versammlungen in El Vigía, wo sie half, das Werk in Gang zu bringen, als die Familie dorthin zog. Nach einigen Jahren ließen sich ihr Mann und ihre drei Töchter ebenfalls taufen.
Priester ermuntert zur Gewalttätigkeit
In einem anderen kleinen Dorf in den Anden diente Luis Angulo als Pionier. 1985 schreckte ihn eines Tages der Lärm außerhalb seines Hauses auf; er sah hinaus und war verblüfft darüber, daß draußen neben der Haustür ein Tisch mit dem Bild eines „Heiligen“ stand. Eine zornige Menschenmenge verlangte lautstark, daß die Zeugen die Stadt verlassen sollten, und drohte damit, das Haus abzubrennen. „Wir geben euch eine Woche, um die Stadt zu verlassen!“ schrie die Menge.
Bruder Angulo erinnert sich: „Ich hielt es für das beste, zum prefecto der Stadt zu gehen und um Hilfe zu bitten. Der prefecto
war mitfühlend und beauftragte die Polizei, die Rädelsführer festzunehmen. ‚Wer hat euch dazu angestiftet?‘ fragte er sie. Schließlich gaben sie zu, daß es der Priester war. Während der Messe hatte er seine Gemeinde aufgefordert, uns aus dem Ort zu treiben, da wir, wie er sagte, das geistige Wohl des Dorfes gefährden würden. ‚Dieser Pfarrer ist verrückt!‘ rief der prefecto aus. ‚Geht jetzt nach Hause, und laßt die Zeugen in Frieden, oder ihr kommt alle ins Gefängnis!‘ “Kurz darauf fand man heraus, daß der Priester in Betrügereien verwickelt war, und wie so oft in solchen Fällen, wurde er einfach in eine andere Gegend versetzt.
Ein anderer Mensch
Alfonso Zerpa war in Pueblo Llano, dem nächsten Dorf, sehr gut bekannt. Er war politisch aktiv, war ein Trunkenbold, nahm Drogen, rauchte, lief den Frauen hinterher und versetzte die Bevölkerung in Angst und Schrecken, indem er mit seinem Motorrad auf den beiden Hauptstraßen auf und ab raste. Nachdem 1984 der Same der Wahrheit jedoch in sein Herz gesät worden war, ging dieser schnell auf. Alfonso verstand, daß er große Änderungen vornehmen und die neue Persönlichkeit anziehen mußte (Eph. 4:22-24).
Als er zum ersten Mal die Zusammenkunft für die Öffentlichkeit besuchte, war er außer den Sonderpionieren der einzige Anwesende. „Wo bleiben die anderen?“ fragte er. Vielleicht war es besser, daß er der einzige war. Er hatte so viele Fragen, daß die Pioniere bis Mitternacht damit beschäftigt waren, sie mit der Bibel zu beantworten. Danach versäumte er nie eine Zusammenkunft, und Paula, seine Frau, begleitete ihn. Er änderte sich und erfüllte schließlich die Voraussetzungen für einen Verkündiger. Das erste Gebiet, das er bearbeitete, waren ausgerechnet die beiden Hauptstraßen in Pueblo Llano! Jetzt — höflich und adrett in Anzug und Krawatte — konnte er ausgezeichnet Zeugnis geben. Er und Alcides Paredes, den er zu den Zusammenkünften mitgebracht und als seinen besten Freund vorgestellt hatte, dienen
jetzt als Älteste und gehören mit ihren Familien zur Versammlung Pueblo Llano. Mehr als 20 Verwandten von Paula konnte ebenfalls geholfen werden, die Wahrheit kennenzulernen.Letztendlich wurden die scheinbar unüberwindbaren Hindernisse für den Fortschritt überwunden, und 1995 gab es in San Cristóbal zehn Versammlungen, in Mérida sieben und in Valera vier. Im gesamten Gebiet der Anden gibt es auch noch viele kleinere Gruppen und Versammlungen.
Männer für Cumaná gesucht
Cumaná, die Hauptstadt des Bundesstaates Sucre, ist die älteste spanische Stadt in Südamerika. Als 1954 dort Sonderpioniere ankamen, wurde den Einwohnern von Cumaná die Wahrheit auf organisierte Weise bekanntgemacht. Später kamen die Missionare Rodolfo Vitez und seine Frau Bessie, um mitzuhelfen. Nach einiger Zeit wurde Rodolfo in den Kreisdienst gesandt, doch erst nachdem die Brüder einen kleinen Saal gemietet hatten, den sie reinigten und frisch strichen und in den sie einige alte, ausrangierte, aus einem Baseballstadion gerettete Bänke hineinstellten. Da sie nun einen Ort für ihre Zusammenkünfte hatten, wuchs die Zahl der Anwesenden schnell. Aber es waren fast nur Frauen und Kinder.
Penny Gavette und Goldie Romocean waren der Missionargruppe in Cumaná zugeteilt worden, und sie erinnern sich noch daran, daß es keine Männer gab, die die Führung übernahmen, nachdem Bruder Vitez in den Kreisdienst gegangen war. Die Männer wollten einfach nicht. Penny berichtet: „Sie sagten uns: ‚Diesen Glauben mögen wir nicht. Wir dürfen uns nicht betrinken und keine anderen Frauen haben. Unsere Religion läßt uns dagegen machen, was wir wollen.‘ Selbst wenn 70 oder 80 Besucher da waren, waren nur fünf oder sechs Männer darunter, und von Zeit zu Zeit mußten wir Schwestern die Zusammenkünfte leiten.“
Aber nach und nach besuchten Männer die Zusammenkünfte und machten so weit Fortschritte, daß sie mit Verantwortung
in der Versammlung betraut werden konnten. Bald war der kleine Königreichssaal zum Bersten voll. Die mangelhafte Belüftung und die Enge hielt die Menschen nicht davon ab, zu den Zusammenkünften zu kommen. Obwohl die Missionare meinten, daß der Königreichssaal bei den Zusammenkünften einem türkischen Bad glich, veranlaßte die Liebe zur Wahrheit die Besucher, zwei Stunden sitzen zu bleiben und zuzuhören. Im Laufe der Zeit ebnete Jehova den Weg für den Bau eines neuen Königreichssaales.In Cumaná geht das Werk ununterbrochen voran. 1995 gab es dort 17 blühende Versammlungen mit insgesamt 1 032 Verkündigern der guten Botschaft.
In den Fußstapfen ihrer Schwester
Als Penny Gavette 1949 ihr Zuhause in Kalifornien verließ und die Gileadschule besuchte, war ihre Schwester Eloise erst fünf Jahre alt. Was Penny tat, machte großen Eindruck auf Eloise. Sie dachte: „Wenn ich groß bin, werde ich auch Missionarin.“ Beide waren überglücklich, als Eloise 1971 — nun selbst Gileadabsolventin — Penny als Missionarpartnerin in Cumaná zugeteilt wurde.
Eloise, die jetzt mit dem Bezirksaufseher Rodney Proctor verheiratet ist, erinnert sich an das weitläufige Gebiet, das sie und Penny bearbeiteten. „Nachdem wir zwei Jahre in Cumaná tätig gewesen waren, wollten meine Schwester und ich einigen kleineren Städten Aufmerksamkeit schenken“, berichtet sie. „Der Zweig erlaubte uns, die Städte Cumanacoa und Marigüitar zu bearbeiten und dort ganze Tage oder Wochenenden zu verbringen. Es war sehr heiß, und wir mußten überallhin zu Fuß gehen. In beiden Orten wurden Gruppen gebildet.“
Die gute Botschaft gelangt in Grenzstädte
Im östlichen Teil des Landes gehen die sanften bewaldeten Hügel südlich des Orinoko in die Hochebenen nördlich der brasilianischen Grenze über. Es sind beeindruckende Tafelberge aus Sandstein — bis zu 2 700 Meter hoch. In diesem spärlich besiedelten Hag. 2:7).
Gebiet finden sich Venezuelas reichste Vorkommen von Gold und Diamanten. In den kleinen Städten dieses Gebietes werden allerdings andere Schätze gesucht — Schätze in geistiger Hinsicht, „die begehrenswerten Dinge aller Nationen“ (Im Jahre 1958 kam eine Gruppe von fünf Zeugen mit einem kleinen Flugzeug in dieses Gebiet. Sie gaben bei der indianischen Bevölkerung Hunderte von Zeitschriften ab. Als sich der reisende Aufseher Alberto González etwa 20 Jahre danach mit einer Gruppe von Brüdern von Puerto Ordaz nach Santa Elena begab, wurden dort 1 000 Zeitschriften verbreitet. Damals gab es in der Stadt keinen elektrischen Strom, doch jemand lieh ihnen einen Generator, so daß sie Dias zeigen konnten, an denen sich 500 Personen erfreuten. 1987 kamen dann zwei Sonderpioniere, Rodrigo und Adriana Anaya, aus Caracas.
Religiöse Gruppen, die zuvor in dieses Gebiet gegangen waren, legten eine Grundlage, auf der die Zeugen dann aufbauten. Katholiken und Adventisten lehrten die Indianer, Spanisch zu sprechen und zu lesen. Sie brachten auch die Valera-Bibelübersetzung mit, die den göttlichen Namen Jehová durchgehend verwendet.
Doch einigen Indianern wurde klar, daß die katholische Kirche nicht ehrlich und offen das lehrt, was in der Bibel steht. Als beispielsweise eine indianische Dame Gottes Ansicht über Bilder kennenlernte, rief sie aus: „Wenn ich daran denke, daß sie uns gesagt haben, es sei verkehrt, die Sonne anzubeten, und die indianischen Bildnisse seien falsch, und in Wirklichkeit mißfallen die Bilder der katholischen Kirche Gott genauso, dann möchte ich am liebsten zur Kirche hinuntergehen und es dem Pfarrer mit dem Stock geben, weil er mich so lange getäuscht hat!“ Sie wurde dazu überredet, das nicht zu tun, doch sie brachte die Gefühle vieler Bewohner in dieser Gegend zum Ausdruck.
Die Indianer im südlichen Teil des Bundesstaates Bolívar mögen unsere Veröffentlichungen. Sie sind sehr naturverbunden, und die bunten Bilder von Gottes Schöpfung sprechen sie
besonders an. Es ist interessant, zu beobachten, wie eine Publikation abgegeben wird. Ein Indianer nimmt das Buch in die Hand, befühlt es, riecht daran, öffnet es, gibt bei jedem bunten Bild Laute der Verzückung von sich und murmelt etwas Zustimmendes in Pemon. Manchmal sind sie so versessen darauf, daß sie dem Pionier die Literatur aus der Tasche nehmen und sie an ihre Familienmitglieder verteilen. Die Einheimischen sind sehr gastfreundlich und bieten den Überbringern der Königreichsbotschaft oft eine Mahlzeit an.Beim ersten Gedächtnismahl nach der Ankunft der Sonderpioniere waren 80 Personen anwesend. Heute gibt es dort eine Versammlung. Tief wurzelnde indianische Traditionen verlangsamen den Fortschritt.
Positives Echo im Amazonasgebiet
In der Mitte des südlichen Landesteiles liegt das Amazonasgebiet Venezuelas. An der kolumbianischen Grenze befindet sich die kleine Stadt Puerto Ayacucho. Sie ist von unberührtem Dschungel mit faszinierenden wilden Tieren und zahlreichen Wasserfällen umgeben.
In den siebziger Jahren besuchte Willard Anderson, ein Kreisaufseher, Puerto Ayacucho, als es dort nur sieben Verkündiger gab. Die Reaktion in dem Gebiet war außergewöhnlich gut; an einem Vormittag gab er 42 Bücher ab. Optimistisch stellte die Gruppe etwa 20 Stühle für einen Diavortrag auf; doch man stelle sich ihre Überraschung und Freude vor, als 222 Personen erschienen! Heute gibt es in Puerto Ayacucho eine blühende Versammlung mit über 80 Königreichsverkündigern.
Die Goajiro in Zulia
Der Bundesstaat Zulia liegt im äußersten Westen Venezuelas. Die Ureinwohner dieses Gebietes sind die Goajiro. In einigen Orten wie in La Boquita wohnen sie in Häusern, die auf Pfählen gebaut sind und aus gewebten Schilfmatten bestehen. Sie haben vielfältige Bräuche und tragen farbenfrohe Kleidung. Die Männer
reiten barfuß auf Pferden. Die Frauen tragen lange, bunte Kleider, die irgendwie an ein Zelt erinnern, und an ihren Sandalen große wollene Pompons.Unter den Goajiro findet man Menschen mit einer schafähnlichen Einstellung. Sie reagieren am Anfang häufig zurückhaltend auf die biblische Botschaft, weil religiöse Gruppen der Christenheit sie ausgenutzt haben. Doch einige sind empfänglich dafür.
Frank Larson, ein Missionar, nahm einen Film der Gesellschaft mit in das Gebiet der Goajiro. Der Film sollte um 19 Uhr vorgeführt werden, doch niemand kam. Nachdem jedoch eine beschädigte Platte mit populärer Salsamusik gespielt worden war, erschienen 260 Personen; sie freuten sich über den Film. Bei einer anderen Gelegenheit versammelten sich mehr als 600 Personen zu einem Vortrag, den Mario Iaizzo, ein Kreisaufseher, hielt.
Einwanderer, die eifrig über die biblische Wahrheit sprechen
In Venezuela ist jeder sechste ein Einwanderer. Besonders in den fünfziger Jahren kamen viele Einwanderer aus Portugal, Italien, Spanien und den arabischen Ländern. Oftmals besaßen sie keinen Pfennig, doch im Laufe der Jahre haben viele von ihnen florierende Geschäfte aufgebaut. Es sind hart arbeitende Menschen; in ihrem Leben dreht sich alles um materielle Interessen. Als Folge davon ist es im allgemeinen schwer, sie mit der Königreichsbotschaft zu erreichen. Natürlich gibt es auch Einwanderer aus südamerikanischen Ländern, vor allem aus Kolumbien.
Ein Zeuge, der in Venezuela besonders lange im theokratischen Dienst stand, war Vilius Tumas, der sich 1923 in Litauen taufen ließ. Nachdem er die düstere Zeit des Hitlerregimes in Europa überlebt hatte, wanderte er nach dem Zweiten Weltkrieg nach Venezuela aus. Bis zu seinem Tod im Jahre 1993 war er für die Brüder in der Stadt La Victoria, wo er als Versammlungsältester diente, ein vorzügliches Vorbild für treuen Dienst.
Remigio Afonso, ein gebürtiger Kanarier, dient in Venezuela als Kreisaufseher. Er hat andere Einwanderer angesprochen und festgestellt, daß in einer Familie manche kein Interesse haben, wohingegen andere in derselben Familie bereitwillig auf die Wahrheit hören. So wollte in Cumaná ein Arabisch sprechendes Ehepaar, das ein Geschäft betrieb, nicht zuhören, dafür aber die Tochter. Remigio berichtet: „Sie bat mich, ihr eine Bibel zu bringen. Ich versprach es ihr, doch sie war gespannt, ob ich mein Wort halten würde. Wir vereinbarten Tag und Stunde, und ich achtete besonders darauf, pünktlich zu sein, was sie sehr beeindruckte. Sie nahm die Bibel und das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt entgegen, und es wurde vereinbart, daß eine Schwester das Studium fortsetzte, das ich begonnen hatte.
Als ich kurz danach eine Versammlung in Güiria besuchte, sah ich in einem Ladeneingang gegenüber dem Königreichssaal einen Mann sitzen, der in einem Buch mit einem grünen Einband las. Er rief mich herüber. Er sprach Arabisch und fragte mich, ob das Buch, das er las, von uns sei. Zwar war es in Arabisch, doch ich konnte ihm sagen, daß es das Buch ‚Gott bleibt wahrhaftig‘ sei. Er erzählte mir, er habe das Buch in seinem Heimatland geschenkt bekommen und würde es an niemanden verleihen oder verkaufen. Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß er auch Spanisch lesen konnte, bot ich ihm das Wahrheits-Buch an, das er bereitwillig nahm, und wir begannen ein Studium. Er kam in jener Woche zu drei Zusammenkünften und gab beim Wachtturm-Studium sogar Kommentare.“
Zwei Jahre später begrüßte ein Mann mit einer Aktentasche Bruder Afonso auf einem Bezirkskongreß in Maracay und fragte ihn, ob er ihn wiedererkenne. „Ich bin der Mann aus Güiria“,
erklärte er. „Ich habe mich inzwischen taufen lassen und leite jetzt selbst drei Bibelstudien.“ Auf einem Bezirkskongreß in Colombia im darauffolgenden Jahr hatte Bruder Afonso einen Programmpunkt; anschließend eilte eine junge Dame mit Freudentränen in den Augen zu ihm und stellte sich als die junge Frau aus Cumaná vor, der er Zeugnis gegeben hatte. Sie erklärte, daß sie jetzt auch eine getaufte Zeugin ist. Welche Freude solche Erfahrungen machen!Dyah Yazbek ist ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Ausländer Venezuela zu seiner Heimat gemacht und den Fortschritt des Werkes miterlebt hat. Er vergißt nicht, daß er zusammen mit seinen Eltern, seinem Bruder und seinen Schwestern in den Dörfern und Städten im Libanon predigte, wo sein Vater in den dreißiger Jahren die Wahrheit angenommen hatte. Für die Familie Yazbek war es ein harter Schlag, als Michel, der Vater, zwei Monate nach ihrer Ankunft in Venezuela starb; doch Dyah erinnert sich: „Mutter und wir Kinder hielten an der Wahrheit fest und besuchten die Zusammenkünfte der Versammlung Caracas-Nord. Mit 16 Jahren ließ ich mich taufen und nahm den Pionierdienst auf.“ Finanzielle Rückschläge zu Hause machten es erforderlich, daß er nach nur drei Jahren den Pionierdienst unterbrach. Doch nachdem er 28 Jahre im Bankwesen gearbeitet hatte, meinte er, daß seine Situation es ihm erlauben würde, seine Berufstätigkeit aufzugeben, ohne daß seine Frau, die drei Kinder und seine Mutter, die bei ihnen wohnte, davon Nachteile hätten. Er nahm wieder den Pionierdienst auf. Heute dient Bruder Yazbek im Zweigkomitee. Rückblickend auf die vergangenen fast 40 Jahre, erinnert er sich an den Bezirkskongreß in Venezuela im Jahre 1956. Damals kamen zum ersten Mal mehr als tausend Besucher. „Jetzt“, berichtet er, „übersteigt die Besucherzahl bei den Bezirkskongressen hunderttausend.“
Hilfe durch reisende Aufseher
Gegen Ende der vierziger Jahre gab es im ganzen Land nur sechs oder sieben Versammlungen, und Donald Baxter, der damals
als einziger im Zweigbüro tätig war, besuchte sie, so oft es ihm möglich war.Doch nachdem der 21jährige Rubén Araujo 1951 von der Gileadschule zurückgekehrt war, wurde ihm die Aufgabe übertragen, die Versammlungen und die abgelegenen Gruppen im ganzen Land zu besuchen. In jenem Jahr stieg die Zahl der Versammlungen auf 12. Da Rubén kein Auto hatte, reiste er mit dem Bus oder dem Taxi, manchmal auch mit dem Flugzeug oder einem kleinen Boot (chalanas), wenn er abgelegene Orte besuchte.
Er denkt immer noch zurück an einen Besuch bei einem Wachtturm-Abonnenten in der Nähe von Rubio (Bundesstaat Táchira), dicht an der kolumbianischen Grenze. Der Eigentümer des Bauernhofes sagte, er sei Schweizer und könne kein Spanisch lesen. „Aber Sie können mit meiner Frau sprechen, denn sie liebt die Bibel“, sagte er. „Nachdem ich mit seiner Frau gesprochen hatte“, erinnert sich Rubén, „rief sie ihre Mutter, eine 81jährige Dame. Als diese meine Bücher sah, fragte sie, ob unsere Tätigkeit mit dem Buch Der Göttliche Plan der Zeitalter zusammenhänge. Ihre Augen leuchteten, und sie war auf einmal ganz aufgeregt. Sie fragte: ‚Wollen Sie sagen, Sie wissen etwas über Herrn Rutherford?‘ Ihre Tochter übersetzte ihre Worte ins Spanische, da die ältere Dame nur Deutsch sprach. Diese sagte dann, seit sie das Buch 1920 erhalten habe, habe sie es immer wieder gelesen. Sie habe auch das ‚Photo-Drama der Schöpfung‘ gesehen und den Vortrag ‚Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben‘ gehört. Als sie vor zwölf Jahren aus der Schweiz nach Venezuela gekommen sei, habe sie den Kontakt zu den Zeugen verloren. ‚Ich habe euch sehr, sehr vermißt‘, sagte sie. Sie zeigte ihre Freude dadurch, daß sie ein Königreichslied in Deutsch sang, und prompt stimmte ich in Spanisch in dasselbe Lied mit ein. Wir sangen mit Freudentränen in den Augen.“
Keith und Lois West, Absolventen der 19. Klasse der Gileadschule, waren 15 Jahre lang im Kreisdienst tätig. Die Bedingungen, die sie vorfanden, waren nicht immer einfach. Der Besuch
in Monte Oscuro im Bundesstaat Portuguesa dient als ein treffendes Beispiel. Keith erzählt: „Da es in der Nacht zuvor in Strömen geregnet hatte, kamen wir mit dem Auto nicht so voran, wie wir es geplant hatten. So ließen wir das Auto stehen und gingen zu Fuß bis zum Fluß. Wir zogen die Schuhe aus und wateten flußaufwärts; dann mußten wir einen Berg hinaufklettern, um zu dem kleinen Königreichssaal zu gelangen. Dort war kein Mensch zu sehen. Doch ein Bruder, der uns begleitet hatte, sagte: ‚Macht euch keine Sorgen. Sie werden schon kommen.‘ Umgehend benutzte er eine Metallfelge als Gong, und daraufhin kamen etwa 40 Personen. Völlig durchgeschwitzt und mit nassen Hosen hielt ich meine Ansprache. Daß ich danach eine schmerzhafte Muskelerkrankung bekam, lag wohl daran, daß das Wasser im Fluß so kalt gewesen war, der Aufstieg so strapaziös und ich die Ansprache in nassen Hosen gehalten hatte. Danach benötigte ich eine Zeitlang Hilfe, wenn ich im Königreichssaal die Bühne hinauf- oder hinunterging, und im Predigtdienst mußte ich regelmäßig Pausen machen.“Für die reisenden Aufseher sind die verschiedenen Unterkünfte oftmals eine Herausforderung. Vielfach gibt es kein fließendes Wasser. Unter den Wellblechdächern steigen die Temperaturen in den Räumen auf 30 bis 40 Grad Celsius an. Fliegengitter an Türen und Fenstern sind so gut wie unbekannt, und so teilt man das Zimmer — manchmal auch das Bett — mit der örtlichen Fauna. Auch die entspannte, offene und gesellige Lebensweise venezolanischer Familien erfordert manchmal, daß sich Fremde, die mehr Privatsphäre gewohnt sind, anpassen. Allerdings sind die Freundlichkeit und die Gastfreundschaft der Venezolaner hervorragend, und der Ausspruch „Usted está en su casa“ (fühl dich wie zu Hause) gehört zu der Begrüßung, mit der ein Kreisaufseher bei seiner Ankunft empfangen wird.
In ganz Venezuela haben die reisenden Aufseher die Filme und Dias der Gesellschaft gezeigt. Die Venezolaner gehen zu gern ins Kino. Daher muß ein Kreisaufseher immer mit sehr vielen Zuschauern rechnen. Die Menschen sitzen auf dem Fußboden,
stehen im Saal oder schauen von außen durch die Fenster zu. Ein Mann strich eine Wand seines Hauses zuvorkommenderweise weiß an, so daß sie als Projektionsfläche dienen konnte. In einer Bergsiedlung nahe bei Carúpano stellte ein freundlicher Ladenbesitzer Strom von seinem Betrieb zur Verfügung (die einzige Stromquelle weit und breit) und auch den Raum für die Zuhörer — seine Hahnenkampfarena. Dann brannte er ein Feuerwerk ab, damit die Menschen, die auf den Hügeln wohnten, herunterkämen. 85 Personen kamen, viele davon auf Eseln. Es war eine etwas andere Art von Autokino.Gladys Guerrero aus Maracaibo hat reisende Aufseher und deren Frauen besonders gern. Als Nancy Baxter, die Frau eines reisenden Aufsehers, eines Tages in Punto Fijo mit der jungen Frau im Predigtdienst war, bemerkte sie, daß Gladys einen Sprachfehler hatte. Gladys erklärte, sie habe ihn von väterlicher Seite geerbt. Obwohl sie deswegen viel Spott erdulden mußte, konnte sie es nicht ändern. Doch sie war tief berührt, als sich Schwester Baxter die Zeit nahm und ihr beibrachte, bestimmte Wörter richtig auszusprechen und zu gebrauchen. „Ihre Geduld zahlte sich aus“, sagt Gladys. „Jetzt kann ich richtig sprechen.“ Auch andere trugen dazu bei, daß Gladys Fortschritte in geistiger Hinsicht machte.
Sie vertrauen auf Jehova und führen den Pionierdienst durch
Gegenwärtig gibt es in Venezuela mehr als 11 000 Pioniere. Viele von ihnen nahmen auf Grund der liebevollen Ermunterung anderer Vollzeitdiener den Pionierdienst auf.
Pedro Barreto wurde auf diese Weise ermuntert. 1954 lud der Zweigaufseher ihn und drei weitere junge Brüder ein, den Sonderpionierdienst aufzunehmen. Pedro war mit 18 Jahren der Älteste. Was sollte er machen? „Ich war jung und unerfahren und wußte nicht, wie man Kleidung wäscht oder bügelt. Eigentlich wußte ich kaum, wie ich mich baden sollte!“ sagt Pedro lachend. Er hatte sich gerade im Jahr zuvor taufen lassen. Nachdem er sich
etwa eine Stunde lang mit dem Zweigaufseher unterhalten hatte, traf er seine Entscheidung. Die vier jungen Brüder wurden nach Trujillo gesandt, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates. Dort war die Bevölkerung zu der Zeit noch traditionsgebunden und sehr fromm. Diese vier Pioniere taten eine Menge, um das Werk dort in Gang zu bringen. Sie predigten auch einigen prominenteren Bürgern, darunter dem Leiter des Postamtes und dem Richter des Gerichtes von Trujillo.Eines Tages standen die vier Pioniere auf dem Marktplatz direkt dem Geistlichen gegenüber, der in Venezuela für seine verletzenden, verleumderischen und ungenauen Artikel über Jehovas Zeugen in der Landespresse gut bekannt war. Als eine Menschenmenge zusammenkam, sagte der Geistliche den Leuten, sie sollten nicht auf das hören, was die jungen Männer zu sagen hätten, weil, so behauptete er, sie den Frieden der Stadt stören und alle Leute durcheinanderbringen würden. Er ermahnte die Menge, daran zu denken, daß das Volk der katholischen Kirche glauben müsse. „In der Aufregung und dem Tumult“, so berichtet Pedro, „bedrohte der Geistliche mich wiederholt leise und gebrauchte eine schmutzige Sprache. Daher sagte ich jedesmal laut zu der Volksmenge: ‚Habt ihr gehört, was er gerade gesagt hat? ... und das ist ein Pfarrer!‘, und ich wiederholte dann einiges von dem, was er gesagt hatte. Dann zischte er durch die zusammengepreßten Zähne: ‚Verschwindet hier, oder ihr kriegt einen Tritt.‘ Daher sagte ich zu ihm, er brauche seine Füße nicht zu benutzen. Wir gingen.“
Dieser Vorfall kam dem bereits erwähnten Richter zu Ohren. Er lobte die Pioniere und sagte, er bewundere ihre Tätigkeit sehr. Die Botschaft der Wahrheit, die diese vier tapferen Jugendlichen predigten, schlug in Trujillo Wurzeln, und 1995 gab es außer den Versammlungen und Gruppen in den umliegenden Städten und Dörfern auch zwei Versammlungen in der Stadt.
Arminda López, Pedros Schwester, erinnert sich daran, daß Ende der fünfziger Jahre, als sie zusammen mit drei anderen Schwestern in San Fernando de Apure den Pionierdienst durchführte, Mat. 6:33). In einem Monat traf ihre Sonderpionierzuwendung nicht zur erwarteten Zeit ein, und ihnen war das Geld ausgegangen. Ihr Speiseschrank war vollständig leer. Sie gingen früh ins Bett, um ihren knurrenden Magen zu vergessen. Um 10 Uhr abends klopfte jemand an die Haustür. Als sie aus dem Fenster schauten, sahen sie einen Mann, mit dem sie die Bibel studierten. Er entschuldigte sich wegen der späten Stunde und sagte, er sei gerade von einer Reise zurückgekommen und habe etwas mitgebracht, wovon er meine, daß sie es brauchen könnten: einen Karton mit Obst, Gemüse und anderen Lebensmitteln. An Schlaf war nicht mehr zu denken, und in der Küche ging es plötzlich zu wie in einem Bienenstock! „Jehova muß bewirkt haben, daß der Mann noch so spät am Abend kam“, meint Arminda, „denn für den nächsten Tag waren wir zum Studium mit ihm verabredet, und er hätte einfach bis dahin warten können.“ Arminda dient jetzt noch in Cabimas als allgemeiner Pionier.
Jehova sie immer mit dem zum Leben Notwendigen versorgt hat, so wie er es denen verheißen hat, die zuerst das Königreich suchen (Den eifrigen Pionieren scheint fast kein Problem zu groß zu sein. Alter, schlechte Gesundheit oder ein gegnerisches Familienmitglied — das alles müssen keine unüberwindbaren Hindernisse sein. Obwohl wirklich viele der Pioniere Jugendliche sind — Anfang 1995 waren 55 allgemeine Pioniere zwischen 12 und 15 Jahre alt —, sind sie nicht als einzige in diesem Dienstzweig tätig. Viele Schwestern, deren Mann kein Zeuge ist, stehen jeden Morgen früh auf, um Mahlzeiten vorzubereiten und sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern, damit sie tagsüber am gruppenweisen Zeugnisgeben teilnehmen und Bibelstudien leiten können, ohne ihre Verpflichtungen als Ehefrau zu vernachlässigen.
Auch Brüder mit Familie planen ihre Tätigkeit besser und halten den Zeitplan eines Pioniers ein. 1968 begann David González seine Pionierlaufbahn als junger, lediger Mann. Später diente er zusammen mit Blanca, seiner Frau, als Sonderpionier, bis sie
Kinder bekamen. Heute sind er, seine Frau und eine Tochter allgemeine Pioniere. Außer daß er der Verantwortung für seine drei Kinder nachkommt, ist er ein Ältester und dient regelmäßig als stellvertretender Kreisaufseher. Wie ist ihm das möglich? Er sagt, daß er dazu in der Lage ist, weil er auf unnötige materielle Extras verzichtet und einen guten Zeitplan hat. Außerdem wird er von seiner Frau uneingeschränkt unterstützt.Auch diejenigen, deren Lebensumstände sich geändert haben und die jetzt im Ruhestand sind, können an den Pionierdienst denken. Dazu gehören Personen, deren Kinder erwachsen sind oder die sich aus dem Berufsleben zurückgezogen haben. Dann gibt es Menschen wie Elisabeth Fassbender. Elisabeth wurde 1914 geboren und ließ sich zur Nachkriegszeit in Deutschland taufen, bevor sie 1953 mit ihrem ungläubigen Mann nach Venezuela auswanderte. Sie erduldete 32 Jahre lang, bis zu seinem Tod im Jahre 1982, erbitterten Widerstand. Der Weg, Jehova vermehrt zu dienen, war jetzt frei, und im Alter von 72 Jahren erfüllte sich Elisabeth ihren langgehegten Wunsch und nahm den allgemeinen Pionierdienst auf.
Zweifellos beruht der zunehmende Pioniergeist darauf, daß die meisten Brüder in Venezuela nicht materialistisch eingestellt sind. Nur wenige bemühen sich ständig, ihre Wohnung mit neuen Luxusgegenständen auszustatten oder Geld für kostspielige Urlaubsreisen zu verdienen. Viele Zeugen Jehovas haben festgestellt, daß ohne solche zusätzlichen finanziellen Belastungen das Vorrecht des Pionierdienstes im Bereich des Möglichen liegt.
Ein fruchtbares Feld wird bebaut
Insgesamt gesehen sind die Venezolaner tolerant und respektieren die Bibel; bis auf sehr wenige Ausnahmen bekennen sie,
an Gott zu glauben. Der Würgegriff der katholischen Kirche in der Vergangenheit hat sich gelockert, und viele aufrichtige, doch unzufriedene Gemeindemitglieder suchen ihre geistigen Bedürfnisse woanders zu befriedigen. Die Verstrickung der Kirche in die Politik und Verfehlungen von Geistlichen, die gelegentlich ans Licht kommen, stärken nicht gerade das Vertrauen in die Kirche.Zweifellos trägt all das dazu bei, daß man relativ leicht Bibelstudien einrichten kann. Seit August 1995 führen die 71 709 Zeugen Jehovas in Venezuela über 110 000 Heimbibelstudien durch. Für einen regelmäßigen Verkündiger, der dem Interesse gewissenhaft nachgeht, ist es nicht schwer, Bibelstudien einzurichten. Im allgemeinen besuchen die Studierenden die Zusammenkünfte und sind schnell bereit, in ihrem Leben Änderungen vorzunehmen, um Jehovas gerechten Anforderungen zu entsprechen.
Im Jahre 1936 gab es in Venezuela nur zwei Verkündiger der guten Botschaft, die über ihre Tätigkeit berichteten. 1980 waren es 15 025 Verkündiger. Fünfzehn Jahre später gab es mehr als 71 000 Verkündiger. 1980 gab es im ganzen Land nur 186 Versammlungen. Jetzt sind es 937. Und die Zahl derer, die Jehova lieben und ihm dienen, wächst weiterhin.
Eine Zeit zum Bauen
Wegen der beachtlichen Zunahme an Verkündigern in den letzten Jahren gibt es in vielen Königreichssälen nicht genügend Platz für alle Anwesenden. Die Grundstückspreise sind besonders innerhalb der Städte unerschwinglich. In Caracas, wo es zur Zeit 140 Versammlungen gibt und Grundstücke sehr gefragt sind, ist es nicht ungewöhnlich, daß sich fünf große Versammlungen, die aus den Nähten platzen, einen Saal teilen. Sonntags, wenn die Verkündiger einer Versammlung nach der Zusammenkunft nach Hause gehen und die nächsten kommen, ist das endlose Händeschütteln und Küssen bei der Begrüßung der Brüder und Schwestern ein interessanter Anblick für die Nachbarn. Viele müssen während der Zusammenkunft stehen, und häufig ist die Belüftung unzureichend. Dringend werden weitere Königreichssäle benötigt,
und mit einem allgemeinen Königreichssaalbaufonds in Venezuela können Anstrengungen unternommen werden, diesem Bedarf gerecht zu werden.Durch die Großzügigkeit der Brüder wurde es möglich, trotz begrenzter Mittel unseren ersten Kongreßsaal in Venezuela zu bauen, und zwar in Cúa (Bundesstaat Miranda). Dyah Yazbek, der im Baukomitee diente, erzählt Näheres: „Beim Bau des Saales in Cúa traten nach einem Jahr, nachdem die Rahmenkonstruktion errichtet worden war und weitere Arbeiten anstanden, Probleme auf, da keine Mittel mehr verfügbar waren. Am 12. Oktober 1982 kamen wir mit den Ältesten und Dienstamtgehilfen aus der Gegend zusammen, erklärten ihnen die Lage und baten sie, festzustellen, wieviel die Versammlungen spenden konnten. Das Ergebnis war, daß innerhalb von drei Monaten zu unserer Überraschung 1,5 Millionen Bolívar gespendet wurden — damals eine beachtliche Summe. Dadurch konnten wir das Projekt vollenden und den Saal mit einer Klimaanlage und bequemen Stühlen ausstatten. Der Saal hat sich für die 11 Kreise, die ihn zur Zeit benutzen, als echter Segen erwiesen.“ Heute gibt es in Venezuela zwei Kongreßsäle; der andere befindet sich in Campo Elías (Bundesstaat Yaracuy).
Bessere Zweiggebäude
Ein Komitee aus sechs reifen Brüdern koordiniert jetzt die Arbeit, die im Zweigbüro anfällt. Es sind Teodoro Griesinger, Keith West, Stefan Johansson (der gegenwärtige Koordinator des Zweigkomitees), Eduardo Blackwood (der auch als einer von vier Bezirksaufsehern dient), Dyah Yazbek (ein allgemeiner Pionier und Familienvater) und Rafael Pérez (ein Kreisaufseher).
Da die Arbeit im Gebiet zunahm, wurde es auch notwendig, die Zweiggebäude zu vergrößern. Als Bruder Knorr und Bruder Henschel im November 1953 Venezuela besuchten, wies Bruder Knorr darauf hin, daß es für die Gesellschaft günstig wäre, Eigentum für ein Missionarheim und das Zweigbüro zu erwerben. Man fand in der ruhigen Wohngegend Las Acacias in Caracas ein
großes, neues zweigeschossiges Gebäude. Die Bethel- und die Missionarfamilie zog im September 1954 in Quinta Luz ein, und der Zweig arbeitete 22 Jahre dort.Nachdem die Zahl der Königreichsverkündiger auf über 13 000 angestiegen war, zog das Zweigbüro wieder in neue Gebäude — diesmal in der nahe gelegenen Stadt La Victoria (Bundesstaat Aragua). Dieser schöne neue Gebäudekomplex schien im Vergleich zum alten Zweigbüro überaus groß zu sein, und einigen fiel es schwer, sich vorzustellen, daß der gesamte Platz einmal benötigt werden würde. Doch bereits im Jahre 1985 wurde ein neuer Trakt fertiggestellt und der Bestimmung übergeben, weil der bestehende Teil zu klein geworden war.
In wenigen Jahren waren die Zweiggebäude erneut zu klein, und 1989 wurden 14 Hektar bestes Bauland gekauft, um darauf neue Zweiggebäude zu errichten. Die Vorarbeiten sind bereits erledigt, und wir hoffen, daß die neuen Gebäude demnächst vollendet werden.
„Jeder, den dürstet, komme“
Kurz bevor der Apostel Johannes die Niederschrift der Offenbarung beendete, achtete Jesus Christus darauf, daß er noch folgendes festhielt: „Der Geist und die Braut sagen fortwährend: ‚Komm!‘ Und jeder, der es hört, sage: ‚Komm!‘ Und jeder, den dürstet, komme; jeder, der wünscht, nehme Wasser des Lebens kostenfrei“ (Offb. 22:17). Diese großzügige Einladung ergeht seit etwa 70 Jahren auch an die Bevölkerung von Venezuela. Überall im Land erschallt sie lauter als je zuvor — und das mit guter Resonanz.
Das Werk ist durch die zunehmende Kriminalität nicht behindert worden. Fast ausnahmslos sind schmiedeeiserne Gitter vor den Eingangstüren der Häuser und Wohnungen — manchmal mit einer starken Kette oder einem großen Vorhängeschloß. Selbst am hellen Tag ist man vor Straßenräubern nicht sicher. Besonders Caraqueños (die Einwohner von Caracas) achten sorgfältig darauf, auf der Straße keinen goldenen Schmuck und keine
wertvollen Uhren zu tragen. Häufig sind unachtsame Touristen das Ziel von Straßenräubern. Wenn unsere Brüder in den Stadtvierteln der ärmeren Schicht Zeugnis geben, müssen sie sehr umsichtig sein. Im allgemeinen werden Zeugen Jehovas respektiert. Jedoch sind ganze Verkündigergruppen schon mit vorgehaltener Waffe gezwungen worden, Uhren, Geld und Schmuck herauszugeben. Doch das berührt den Eifer unserer Brüder in diesen gefährlichen Gegenden nicht, und es wird ein gründliches Zeugnis gegeben.Das geduldige und beständige Predigen der guten Botschaft ist für Menschen aller Art von Nutzen gewesen. Ein Ingenieur und seine Familie lehnten die wiederholten Angebote ihrer freundlichen Nachbarn — Zeugen Jehovas —, mit ihnen die Bibel zu besprechen, stets ab, und 14 Jahre lang ging die Unterhaltung zwischen den beiden Familien nicht über einen höflichen Gruß hinaus. Dann sprach 1986 der fünfjährige Sohn der Zeugen einmal am Zaun mit der kleinen Tochter der Nachbarn. Am Ende der Unterhaltung sagte der Junge: „Wenn mein Papa deinem Papa ein Schöpfungs-Buch gibt, könnte er verstehen, daß Jehova uns gemacht hat.“ Am nächsten Tag hatte der Vater das Gefühl, Jehova wünschte vielleicht, daß er wieder versuchte, seinen Nachbarn zu erreichen; er ging zum Nachbarn und bezog sich auf das Gespräch der Kinder. „Im Namen meines Sohnes“, sagte er, „bitte ich Sie, das Schöpfungs-Buch als Geschenk anzunehmen.“ Zur Überraschung des Bruders besuchte dieses Ehepaar die Zeugen zwei Tage später, entschuldigte sich für das bisherige unnachgiebige Verhalten und äußerte sich anerkennend über das schöne Buch. Ein Bibelstudium wurde eingerichtet, und jetzt sind das Ehepaar sowie ihre zwei älteren Kinder Gott hingegebene, getaufte Zeugen Jehovas.
Ana aus Barquisimeto wies die Zeugen stets ab, wenn sie an ihre Tür kamen. Sie war der María Lionza ergeben und beteiligte sich bei diesem Kult an spiritistischen Bräuchen. Doch sie sehnte sich nach Freiheit von dieser Sklaverei. Sie bat Gott darum, ihr zu helfen, ihre Lebensweise zu ändern. Bald darauf sprach
Esther Germanos, eine Zeugin Jehovas, bei ihr vor. Ana fragte sich unwillkürlich, ob es einen Zusammenhang zwischen ihrem Gebet und dem Besuch der Zeugin gebe. Sie war mit einem regelmäßigen Bibelstudium einverstanden, besuchte die Zusammenkünfte, kündigte bald darauf ihren unmoralischen Mietern, entfernte alle Gegenstände, die mit Spiritismus zu tun hatten, aus ihrer Wohnung, gab sich 1986 Jehova hin und lernte endlich die Freiheit kennen, die nur die Wahrheit bringen kann!Hernán gehörte zu einer Gruppe, die spiritistische Riten vollzog, sexuelle Unmoral für akzeptabel hielt und beachtliche Mengen Alkohol bei religiösen Riten gebrauchte, die „den Geist beleben“ sollten, wie die Gruppe es nannte. Als Hernán zum ersten Mal in einen Königreichssaal ging, hörte er gut zu; dann ging er direkt in seine Kirche und hielt eine ähnliche Ansprache. Doch nachdem er einen Kongreß besucht hatte, begann er das Gelernte etwas ernster zu nehmen. Als er an einem Sonntag im Jahre 1981 in der Kirche ankam, stellte er fest, daß eine Frau, die man als „die geistige Mutter“ bezeichnete, Schaum vor dem Mund hatte. Einige sagten ihm, sie wäre von Satan, dem Teufel, besessen. Er ging nie wieder dorthin. Im darauffolgenden Jahr ließ er sich als Zeuge Jehovas taufen. Er, seine Frau und der älteste Sohn sind jetzt allgemeine Pioniere.
Die Familie Martínez war kurz vor dem Auseinanderbrechen. Dauernd wurde mit Scheidung gedroht. Die Kinder nutzten diese Situation aus. Voller Verzweiflung suchte die Frau Trost bei einer Zeugin Jehovas, die vorher schon mit ihr über die Bibel gesprochen hatte, und ohne Wissen ihres Mannes wurde ein Studium eingerichtet. In der Zwischenzeit gab die Sekretärin des Mannes ihm auf der Arbeit Zeugnis, und es wurde vereinbart, daß ein Ältester mit ihm studierte. Bald darauf wollte er mit seiner Frau das besprechen, was er aus seinem Bibelstudium gelernt hatte. Welch eine Überraschung war es für ihn, zu erfahren, daß auch sie mit Jehovas Zeugen die Bibel studierte und die Zusammenkünfte in einem anderen Königreichssaal besuchte! Von diesem Augenblick an studierten sie die Bibel gemeinsam und besuchten
die Zusammenkünfte als Familie. Glücklich dient diese Familie, die auseinanderzubrechen drohte, jetzt vereint Jehova.Ihr Leben lang sehnte Beatriz sich danach, die Bibel zu verstehen. Sie heiratete und zog mit ihrem Mann nach Caracas, wo sie zur High-Society gehörten. In der Hauptstadt schloß sie mit einem älteren Herrn Freundschaft, der den Priesterstand aufgegeben hatte, weil er den Grundlehren der Kirche nicht zustimmen konnte. Bei einer Gelegenheit sagte er zu ihr: „Die einzig gültige Taufe ist das völlige Untertauchen im Wasser, wie es Jehovas Zeugen praktizieren.“ Jahre später — nach ihrer Scheidung — hatte sie ein schwieriges persönliches Problem. In ihrer Verzweiflung betete sie zu Gott. Besonders an einem Abend, am 26. Dezember 1984, betete sie stundenlang. Am nächsten Tag klingelte es an ihrer Tür. Verärgert sah sie durch den Spion in ihrer Wohnungstür, und davor standen zwei Personen mit Taschen. Wegen der Störung ungehalten, rief sie wie ein Dienstmädchen durch die Tür: „Die Dame ist nicht zu Hause, und ich darf nicht aufmachen.“ Bevor die Brüder gingen, schoben sie einen Handzettel unter der Tür durch. Beatriz hob ihn auf. „Lernen Sie Ihre Bibel kennen“ stand darauf. Die Worte des alten ausgeschiedenen Priesters kamen ihr wieder in den Sinn. Könnten diese Besucher die Leute gewesen sein, von denen er gesprochen hatte — Zeugen Jehovas? Könnte der Besuch mit ihren Gebeten am Abend zuvor zusammenhängen? Sie machte die Tür auf, aber die beiden waren bereits gegangen. Sie rief ihnen im Treppenhaus nach, daß sie zurückkommen sollten, entschuldigte sich für ihre erste Reaktion und bat sie herein. Sofort wurde ein Bibelstudium begonnen, und einige Zeit später ließ sich Beatriz als christliche Zeugin für Jehova taufen. Sie verbringt jetzt viel Zeit damit, anderen zu helfen, die Bibel kennenzulernen, und ist glücklich darüber, daß der Wunsch, den sie ihr Leben lang hegte, endlich in Erfüllung gegangen ist.
Mit dem Segen Jehovas wachsen die Versammlungen schnell. Die Königreichssäle sind überfüllt. Es werden neue Versammlungen gegründet. Die Zahl der Königreichsverkündiger nimmt
ebenso zu wie die der Vollzeitdiener. Die Tatsache, daß zum Gedächtnismahl und zu den Kongressen viele Besucher kommen, deutet darauf hin, daß sich uns vor dem Ende dieses Systems der Dinge noch viel mehr Menschen in der Anbetung Jehovas anschließen werden.Während Jehovas Zeugen ihre Zeugnistätigkeit in den Städten und Dörfern, den Ebenen und Bergen von Venezuela verstärken und die hervorragenden Ergebnisse sehen, werden sie an die Worte des Apostels Paulus erinnert: „Weder der Pflanzende [ist] etwas ... noch der Begießende, sondern Gott, der es wachsen läßt“ (1. Kor. 3:7).
[Ganzseitiges Bild auf Seite 186]
[Bild auf Seite 194]
Rubén Araujo gehörte zu den ersten Venezolanern, die getaufte Zeugen wurden
[Bild auf Seite 199]
Inez Burnham, Ruby Dodd (jetzt Baxter), Dixie Dodd und Rachel Burnham verlassen 1949 New York. Bevor das Schiff ablegte, waren alle in guter Verfassung!
[Bilder auf Seite 200, 201]
Einige Missionare, die seit vielen Jahren im venezolanischen Gebiet dienen:
(1) Donald und Ruby Baxter, (2) Dixie Dodd, (3) Penny Gavette, (4) Leila Proctor, (5) Ragna Ingwaldsen, (6) Mervyn und Evelyn Ward, (7) Vin und Pearl Chapman[Bild auf Seite 207]
Quinta Luz
[Bilder auf Seite 208]
Oben: Milton Henschel spricht 1958 auf einem Kongreß im Club Las Fuentes
Unten: Nathan Knorr (links) mit Teodoro Griesinger als Dolmetscher im Jahre 1962
[Bild auf Seite 227]
1988 kamen mehr als 74 600 Personen in der Stierkampfarena von Valencia zu einem besonderen Programm zusammen
[Bilder auf Seite 236]
Einige, die zum Teil noch als Kreis- oder Bezirksaufseher dienen (mit ihren Frauen):
(1) Keith und Lois West, (2) Alberto und Zulay González, (3) Casimiro Zyto, (4) Lester und Nancy Baxter, (5) Rodney und Eloise Proctor, (6) Remigio Afonso[Bilder auf Seite 244]
Einige derer, die seit langem im Pionierdienst stehen: (1) Dilia de Gonzáles, (2) Emilio und Esther Germanos, (3) Rita Payne, (4) Ángel Maria Granadillo, (5) Nayibe de Linares, (6) Irma Fernández, (7) José Ramon Gomez
[Bilder auf Seite 252]
Oben: Zweigbüro in La Victoria
Zweigkomitee (von links nach rechts): Dyah Yazbek, Teodoro Griesinger, Stefan Johansson, Keith West, Eduardo Blackwood und Rafael Pérez