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Madagaskar

Madagaskar

Madagaskar

Madagaskar wird manchmal die Große Rote Insel genannt. Sie ist der Ostküste Afrikas vorgelagert. Groß ist sie wirklich, diese viertgrößte Insel der Erde, und ihr Erdreich ist rötlich gefärbt.

Wegen der vielfältigen Tier- und Pflanzenwelt bezeichnete ein französischer Wissenschaftler Madagaskar als „ein Paradies für den Naturforscher“. Etwa 80 Prozent der 10 000 Blütenpflanzenarten findet man nirgends sonst. Es gibt fast 1 000 Orchideenarten. Eine davon liefert ein wichtiges Exportprodukt — die Vanille. Auf der Insel wimmelt es auch von faszinierenden Tieren wie zum Beispiel dem Katta oder den verschiedensten Chamäleons, die einen Greifschwanz haben und Füße, mit denen sie wie mit Händen greifen können. Die 400 Amphibien- und Reptilienarten der Insel sind bis auf ein Dutzend nirgendwo sonst vertreten.

Die größte Anziehungskraft auf Jehovas Diener üben allerdings die Menschen hier aus. Madagaskar hat über 14 000 000 Einwohner, die sich aus etwa 20 ethnischen Gruppen zusammensetzen. Die Bewohner des Hochlandes im Zentrum der Insel haben asiatische Züge. Sie sind hellhäutig und haben schwarzes, glattes Haar. Man sagt, daß sie ursprünglich aus dem Gebiet stammen, das dem heutigen Indonesien entspricht. Die Küstenbewohner hingegen sind afroarabischer Herkunft. Das Vermischen dieser verschiedenen charakteristischen Merkmale hat Menschen hervorgebracht, denen man ihr Alter nicht ansieht; häufig sehen die Eltern genauso jung aus wie ihre Kinder im Teenageralter.

Die Madagassen haben eine der höchsten Geburtenraten der Welt. 80 Prozent leben von der Landwirtschaft. Dadurch hat das „Paradies“ sehr gelitten. Über die Hälfte des einst so üppigen Waldes auf Madagaskar ist zerstört beziehungsweise schwer geschädigt.

Trotzdem ist Madagaskar nach wie vor ein „Paradies“. Inwiefern? Es ist reich an Menschen, in deren Herzen der Samen der Königreichswahrheit wachsen und gedeihen wird. Viele sind dankbar für die gute Botschaft, daß ‘Jehova selbst König geworden ist’. Sie freuen sich, weil seine Herrschaft für die Menschheit genau das erreichen wird, was keine menschliche Regierung je erreichen könnte (Ps. 97:1).

Wer hat den Bewohnern dieser großen Insel denn geholfen, zu erkennen, was es mit Jehovas Königtum auf sich hat? Zwar gehören etwa 40 Prozent der Bevölkerung den Kirchen der Christenheit an, aber ihre Missionare konnten nicht bewirken, daß die Madagassen die christliche Lebensweise in ihrem Herzen annahmen. Ein Einheimischer sagte: „Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Monsieur. Uns Madagassen ist das Christentum lediglich eingeimpft worden. Es gibt nicht einen Madagassen, nein, keinen einzigen — auch nicht unter den fortschrittlicheren [europäisierten] —, der nicht, bevor er ein Haus baut, einen Wahrsager befragen würde, um für den Baubeginn den Tag mit den günstigsten Vorzeichen zu erfahren. Der traditionelle Aberglaube lebt weiter.“ Auf Höhen und Berggipfeln werden nach wie vor Tieropfer dargebracht. Die Ahnenverehrung ist die Regel, und der Medizinmann übt einen großen Einfluß auf die Menschen aus. Das Alltagsleben eines Menschen scheint mehr von den Toten bestimmt zu werden als von den Lebenden.

Gottes Eigenname ist bekannt

Auch wenn die Missionare der Christenheit wenig erfolgreich darin waren, den Menschen zu helfen, einen christlichen Lebensweg einzuschlagen, haben sie doch in gewisser Weise den Namen Jehovas bekanntgemacht, und zwar durch ihre Bibelübersetzungen. Schon 1830 wurde das „Neue Testament“ herausgegeben. 1835 stand dann die gesamte Bibel in Malagassi zur Verfügung. Die madagassische Bibel ist also eine der ältesten Übersetzungen in eine afrikanische Landessprache. In der protestantischen Version wird der Name Jehova auch in den Christlichen Griechischen Schriften verwendet. Die katholische Version verwendet die Form Iaveh in den Hebräischen Schriften (Ps. 83:17, 19; Mat. 4:7, 10). Demzufolge stößt man im Alltagsleben häufig auf den Namen Jehova. Wenn man mit dem Taxi unterwegs ist, kann man irgendwo angebrachte Bibelverse in Malagassi sehen wie zum Beispiel „Jehova ist mein Hirte“ (Ps. 23:1). Auch kann man einen Bibelvers mit dem göttlichen Namen auf einem Tuch aufgedruckt sehen, genannt lamba, das die Frauen tragen.

Wer hat denn nun den Menschen hier geholfen, nicht nur Gottes Namen kennenzulernen, sondern Jehova auch als den Souverän in ihrem Leben anzuerkennen?

Die gute Botschaft erreicht die Große Rote Insel

Im Jahr 1925 steckten die Bemühungen der Bibelforscher, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden, den Madagassen zu einem Verständnis des Wortes Gottes zu verhelfen, erst in den Anfängen. Im September 1933 erhielt die Insel dann ein intensiveres Zeugnis. Zwei mutige Männer mit missionarischem Eifer, Robert Nisbet und Bert McLuckie, trafen, von Südafrika über Mauritius kommend, in dem Küstenort Toamasina ein. Sie predigten die gute Botschaft von Gottes Königreich. Da es damals nicht viele Zeugen Jehovas in Afrika gab, wollten sie vor allem in möglichst kurzer Zeit möglichst vielen Menschen die Königreichsbotschaft verkündigen. Robert Nisbet erinnert sich: „Unsere französische Literatur ging weg wie nichts. Wir gaben Zeugnis vom Königreich, ließen Literatur zurück und zogen danach weiter in ein anderes unbearbeitetes Gebiet.“

Nachdem sie Toamasina bearbeitet hatten, machten sich Bruder Nisbet und Bruder McLuckie zur Hauptstadt Tananarive auf, die im Inselinneren liegt. Tananarive ist der französische Name für Antananarivo, ein Name, der „Ort der Tausendschaft“ bedeutet. Er ist darauf zurückzuführen, daß König Andrianjaka, als er diese Stadt 1607 zur Hauptstadt seines Königreiches ausrief, ein tausend Mann starkes Lager zum Schutz der Stadt um sie herum aufschlagen ließ. Bert McLuckie erzählt, welchen Eindruck die Stadt auf ihn machte: „Tananarive war angelegt wie ein Hufeisen, wobei die Bahnstation am offenen Ende des Hügelbogens lag. Innerhalb des ,Hufeisens‘ lag das Geschäftszentrum, eingeschlossen von den Wohnhäusern. Die Einwohner gelangten auf der Hangseite über buchstäblich Hunderte von Stufen zu ihrer Wohnung.“

Wie war in der Hauptstadt die Reaktion der Menschen? Robert Nisbet bemerkt dazu: „Sie nahmen französische Literatur bereitwillig entgegen, und einige abonnierten auch Das Goldene Zeitalter (heute Erwachet!) in Französisch. Da viele Menschen Fragen hatten, besuchten wir eine Reihe von ihnen ein zweites Mal und unterhielten uns weiter mit ihnen.“ Zurückblickend auf diese Erlebnisse, sagt Bruder Nisbet: „Wir fühlten uns von den hochintelligenten Einheimischen sehr angezogen.“

Die beiden Brüder hatten allerdings ein Kommunikationsproblem, denn nur sehr wenige Menschen konnten Englisch verstehen. Trotzdem bemühten sie sich, so viele wie möglich zu erreichen — bis sie keine Literatur mehr hatten. Eine Gruppe oder Versammlung entstand während ihres einmonatigen Aufenthalts zwar nicht, aber sie verbrachten 185 Stunden damit, anderen von Jehova zu erzählen, gaben 214 Bücher und 828 Broschüren ab und nahmen 21 Abonnements auf. Wahrheitssamen war ausgesät worden, doch sollten noch 22 Jahre vergehen, bevor der Samen so viel Aufmerksamkeit erhielt, daß er wachsen und gedeihen konnte.

Madagassen nehmen die Wahrheit an

Im Anschluß an den Kongreß „Triumphierendes Königreich“ in Paris reisten im Oktober 1955 zwei Sonderpioniere aus Frankreich über den Küstenort Toamasina nach Tananarive. Nachdem sie aus dem Zug gestiegen waren, blieben sie eine Weile vor dem Bahnhof stehen. Sie schauten sich um und erblickten das „Hufeisen“ mit seinen Tausenden von Häusern hoch oben am Hang; die Häuser wirkten, als stünden sie auf Regalen an einer Wand. Adam Lisiak, ein ehemaliger Bergarbeiter polnischer Abstammung, sagte zu seinem Partner Edouard Marlot: „Schau mal, Edouard, das ist alles unser Gebiet.“ Und Edouard erwiderte: „Adam, was suchen wir hier? Die Leute sind gebildet, wir nicht. Was können wir schon ausrichten?“ Doch sie bewirkten viel Gutes auf der Insel.

Damals war Madagaskar eine französische Kolonie. Da Der Wachtturm in Frankreich und in den französischen Territorien verboten war, boten sie das Erwachet! in Französisch an, das man nur im Abonnement beziehen konnte. In den ersten 6 Monaten schlossen sie 1 047 Abonnements ab. Bruder Lisiak erzählte immer gern davon, wie das eine Erwachet!, das sie stets als Musterexemplar benutzten, schließlich nur noch aus losen Blättern bestand, die unlesbar geworden waren. Trotzdem wurden Abonnements abgeschlossen; es reichte schon, einfach das Papierbündel zu zeigen.

Bruder Lisiak und Bruder Marlot vergeudeten keine Zeit. Sie bearbeiteten das Gebiet und führten Heimbibelstudien durch. Schon bald stellte ihnen eine Grundschule kostenlos den Klassenraum für Zusammenkünfte zur Verfügung. Die Bänke waren aus Holz, und alles war für Kinder ausgerichtet — für Erwachsene nicht gerade sehr bequem. Aber es beschwerte sich niemand.

Nach 6 Monaten berichtete Rabehasy Noël, der erste madagassische Verkündiger, über seinen Predigtdienst. Später schlossen sich ihm weitere Verkündiger an. Gegen Ende des Dienstjahres 1956 bat eine 8köpfige Gruppe darum, die Versammlung Tananarive gründen zu dürfen. An dieser Stelle sollte man vielleicht noch erwähnen, daß im madagassischen Sprachgebrauch der Vorname als letztes genannt wird.

Zu den ersten Madagassen, die Interesse zeigten, gehörte eine junge Frau, Razanaboahangy Narcisse. 1956 bemerkte Narcisse 2 Männer, die immer mal wieder an dem Laden vorbeigingen, in dem sie arbeitete. Eines Tages kam einer der beiden in den Laden und kaufte ein paar Scheiben Schinken. Nachdem er wieder gegangen war, hatten alle, die dort arbeiteten, ein kleines Traktat in Malagassi in der Hand: Leben in einer neuen Welt. „Ich war an der Botschaft nicht interessiert“, sagt Narcisse. „Aber meine Mutter, die wußte, daß ich eine Leseratte war, abonnierte für mich die Zeitschrift Erwachet! in Französisch und vereinbarte ein Bibelstudium für mich, ohne daß ich etwas davon wußte.“ Narcisse fing also an, mit den Zeugen zu studieren, aber sie hoffte, daß diese sie in Ruhe lassen würden, sobald sie herausfänden, daß sie eigentlich gar nicht richtig interessiert war. Narcisses Interesse wuchs jedoch zusehends, und zwar mehr, als sie zuerst gedacht hatte. Als sie erfuhr, was die Bibel über die Seele sagt und daß die Ahnenverehrung verkehrt ist, wurde ihr klar, daß das, was sie studierte, die Wahrheit war.

Razanaboahangy Narcisse war 1959 so weit, ihre Hingabe an Jehova durch die Wassertaufe zu symbolisieren. Danach nahm sie den Vollzeitdienst auf. Später heiratete sie Edouard Marlot. Als Vollzeitdienerin gab sie ein gutes Beispiel für Beharrlichkeit im Dienst.

Bruder Lisiak hatte in seiner Zeit als Sonderpionier auf Madagaskar Antananarivo als Gebiet. Er machte dort etliche Rückbesuche und führte Studien durch. Viele kannten ihn als den vazaha („weißer Mann“), der keine Haare hat. Nicht selten faßten sich die Wohnungsinhaber einfach an den Kopf, und man wußte: Aha, Adam ist dagewesen. Rasaona Gervais, ein Bruder aus einer französischsprachigen Versammlung in Antananarivo, erinnert sich: „Bruder Adam war überaus geduldig, aber beharrlich. Als ich noch studierte, bat ich immer andere, ihm zu sagen, ich sei nicht da — aber Adam kam stets wieder. Von Anfang an lud er mich ein, die Zusammenkünfte zu besuchen, was ich auch tat. Er hielt treu zu Jehovas Organisation und lehrte mich, dieselbe Geisteshaltung einzunehmen.“

Bruder Lisiak und Bruder Marlot erhielten 1970 die nahe gelegene französische Insel Réunion als neues Gebiet. Bruder Lisiak kehrte später nach Frankreich zurück, wo er im Januar 1988 in Marseille starb. Edouard Marlot lebt mit seiner Familie auf Réunion.

Weitere Pioniere helfen im Werk mit

Vieles wurde unternommen, um den Menschen auf Madagaskar die Königreichsbotschaft nahezubringen. Ein Ehepaar aus Frankreich, Antoine und Gilberte Branca, traf 1957 ein und diente danach in Antananarivo. Gilberte war eine Absolventin der 24. Klasse der Wachtturm-Bibelschule Gilead; ihr Mann besuchte diese später ebenfalls. Als 1961 ihre Tochter Anna geboren wurde, blieben sie in ihrer Zuteilung. Simone Berclaz, mit der Gilberte in der Schweiz studiert hatte, zog ebenfalls nach Madagaskar, um in dem Werk mitzuhelfen.

Zwei weitere Sonderpioniere, Florent und Henriette Chabot, kamen 1960 aus Frankreich nach Madagaskar und begannen ihren Dienst in Diégo-Suarez (das heutige Antsiranana) im Norden Madagaskars. „Wenn damals Pioniere ihre Heimat und ihre Angehörigen verließen, um in ferne Länder zu gehen“, erinnert sich Bruder Chabot, „dachten viele von ihnen, sie würden vor Harmagedon nicht mehr zurückkehren, und verabschiedeten sich daher von ihren Angehörigen, als ob es für immer wäre. Genauso empfanden auch wir.“

Ein Mann, mit dem Bruder Chabot studierte, bekam den ersten Kontakt zur Wahrheit, als er Zucker kaufte. Ein chinesischer Geschäftsmann, der das Erwachet! abonniert hatte, benutzte die Blätter nämlich zum Einwickeln seiner Ware. War das eine Vergeudung der Zeitschriften? Nun, Ratsimbazafy Charles kaufte bei dem Mann Zucker. Der Zucker war in eine Tüte abgefüllt, die aus dem letzten Blatt einer Zeitschrift gedreht war. Charles las die Anzeige für das Buch „Dies bedeutet ewiges Leben“ und schrieb an das französische Zweigbüro, da er das Buch gern haben wollte. Fast gleichzeitig lernte er Bruder Chabot kennen. Dieser gab ihm das Buch und begann ein Bibelstudium mit ihm. Er machte schnell Fortschritte und besuchte die Zusammenkünfte.

Charles mußte allerdings noch seine familiären Verhältnisse in Ordnung bringen. Er hatte sich von seiner Frau getrennt und lebte mit einer anderen Frau zusammen, mit der er auch Kinder hatte. Um für die christliche Taufe in Frage zu kommen, mußte er rechtmäßig verheiratet sein (Heb. 13:4). Zwar begann er bereits 1960, sich darum zu bemühen, aber erst 1967 hatte er alle Papiere zusammen. Gerade zu dem Zeitpunkt brannte jedoch das Rathaus von Diégo-Suarez ab, und Charles’ persönliche Dokumente wurden vernichtet (Pred. 9:11). Der ganze Papierkrieg ging von vorn los, aber diesmal benötigte er nur ein Jahr dafür. Die Behörden waren ausgesprochen beeindruckt von seiner Entschlossenheit, sich nach göttlichen Grundsätzen auszurichten. Schließlich und endlich konnte er ein Königreichsverkündiger werden und sich taufen lassen. Seine Frau ließ sich ebenfalls taufen. Charles diente als Ältester in Diégo-Suarez und in Antananarivo.

Der Kampf mit der Sprache

Im Jahr 1961 kamen Laval und Irene Carbonneau, die im französischsprachigen Teil Kanadas im Kreisdienst gewesen waren, als Missionare nach Madagaskar. Sie zogen in eine Wohnung im Parterre eines typisch madagassischen Hauses. Sie bestand aus einem kleinen Schlafzimmer, einem kleinen Eßzimmer, einer kleinen Küche, einem kleinen Bad ohne Warmwasser und einer kleinen von Gitterwerk umgebenen Veranda. „Ratten, Mäuse und Kakerlaken wurden frei Haus mitgeliefert“, weiß Bruder Carbonneau zu berichten. „Meine Frau war irgendwann soweit, daß sie eine der Ratten an ihrem halb abgebissenen Schwanz wiedererkannte. Immer wenn sie auf diese Ratte traf, sagte sie: „Verehrter Herr Prinz, hätten Sie wohl die Güte, mich vorbeizulassen?“

Laval sprach bereits Französisch, und seine Frau lernte es; sie konnten sich also mit den Leuten unterhalten. Bei Raimo und Veera Kuokkanen verhielt es sich jedoch anders. Sie waren Ende Januar 1962 aus Finnland gekommen. Man konnte sie gleich erkennen, als sie aus dem Flugzeug stiegen. Sie hatten Finnland nämlich in der kalten Winterzeit verlassen und trugen eine Pelzmütze und andere dicke, warme Kleidung. In der tropischen Hitze würden sie wohl etwas anderes anziehen müssen. Raimo konnte zwar Englisch, aber kein Französisch. Veera sprach beides nicht. Irene Carbonneau brachte ihnen an Hand der englischen Sprache Französisch bei, so daß Raimo seiner Frau alles aus dem Englischen ins Finnische übersetzen mußte. Da Veera jedoch ihre gesamte Schulbildung in Schwedisch erhalten hatte, mußten die Grammatikregeln in Schwedisch erklärt werden. Glücklicherweise sprach Raimo auch ein bißchen Schwedisch. Klingt das irgendwie kompliziert? Das war es auch! Aber nach etwa 2 Monaten ging es aufwärts. Nun konnten sie sich an einige französische Wörter erinnern. Als sie dann Französisch beherrschten, mußten sie allerdings noch Malagassi lernen.

Ein paar Jahre später, als Bruder Kuokkanens Sprachlehrerin nicht mehr zur Verfügung stand, übersetzte er für Malcolm Vigo, einen Zonenaufseher, der zu Besuch war, ins Französische. Bruder Kuokkanen kann sich noch gut daran erinnern, daß er, als Lukas 9:62 zitiert wurde, nicht auf das französische Wort für Pflug kam. Beim Versuch, das Wort zu umschreiben, machten die Zuhörer vor Staunen ganz große Augen, denn seine Beschreibung paßte überhaupt nicht zu dem Pflügen, wie man es auf Madagaskar kennt, wo Zebubullen dafür genommen werden. Ein anderes Mal wollte er sagen, die Brüder in Malawi würden ihre Zusammenkunft unter einem Mangobaum abhalten, verlegte aber die gesamte Versammlung prompt auf den Baum. Er mußte lernen, mit denen, die sich das Lachen einfach nicht verkneifen konnten, mitzulachen.

Ein weiteres Missionarehepaar, Samuel und Thelma Gilman, reiste im April 1962 aus den Vereinigten Staaten an. Sam weiß noch genau, was für Schwierigkeiten es mit der Kommunikation gab. Er erzählt: „Damit wir unser neues Heim einrichten konnten, benötigten wir ein langes Rohr als Stange für die Kleiderschränke. Also gingen Bruder Kuokkanen und ich zu dem Haushaltswarengeschäft um die Ecke und wollten nach einem 6 Meter langen Rohr fragen. Das Wort für Rohr entnahmen wir einem kleinen Wörterbuch, das wir bei uns hatten [das englische Wort „pipe“ kann sowohl Rohr als auch Pfeife bedeuten]. Man kann sich vorstellen, was für ein Gesicht die Verkäufer machten, als wir fragten, ob sie eine Pfeife hätten — eine Tabakspfeife, 6 (!) Meter lang.“

Besuch aus der Zentrale

Mit der Hilfe von Predigern aus Übersee mehrte sich die Zahl derer, die auf Madagaskar verkündigten, daß ‘Jehova selbst König geworden ist’. Im Dienstjahr 1959 gab es eine Höchstzahl von 41 Verkündigern. In jenem Jahr besuchte N. H. Knorr, der damalige Präsident der Watch Tower Bible and Tract Society, Madagaskar, um die Brüder zu ermuntern.

Als Bruder Knorrs Sekretär, Milton Henschel, 4 Jahre später verschiedene Länder Afrikas bereiste, lag Madagaskar erneut auf der Route. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er den Missionaren und den Sonderpionieren. Alle, die dabei waren, fühlten sich sehr ermuntert. Bruder Henschel erzählte ihnen Erlebnisse aus seiner eigenen Pionierzeit. Noch vor Ende des Dienstjahres gab es auf Madagaskar über 100 Verkündiger.

Nach Bruder Henschels Besuch lud man einheimische Brüder und Schwestern ein, den Sonderpionierdienst aufzunehmen. Da sie mit dem Land vertraut waren, konnten sie beim Erschließen neuer Gebiete äußerst wirkungsvoll vorgehen. Andriamoara Félix gehörte zu dieser Truppe. Er begann mit dem Sonderpionierdienst im Jahr 1965. Seitdem hat er als reisender Aufseher und auch viele Jahre als Glied der Bethelfamilie gedient. Selbst nachdem er und seine Frau Honorine eine eigene Familie hatten, blieb er im Vollzeitdienst. Seine Frau arbeitet stundenweise in der Übersetzungsabteilung des Zweigbüros.

Ist ihr Eifer im Dienst für Jehova den Kindern zugute gekommen? Ihre Tochter Miora verrichtet jetzt mit ihrem Mann zusammen den Sonderpionierdienst. Ihr Sohn Timoty, der noch zu Hause wohnt, ist von Zeit zu Zeit Hilfspionier.

Ein Zweigbüro auf Madagaskar

Ab 1955 wurde die gute Botschaft auf Madagaskar allmählich regelmäßiger gepredigt, darum übernahm das mauritische Zweigbüro die Aufsicht über das Werk. Von 1959 bis 1962 unterstand es dem französischen Zweig. Im Jahr 1963 bekam Madagaskar dann jedoch ein eigenes Zweigbüro. Raimo Kuokkanen wurde als Zweigdiener eingesetzt. Anfangs konnte er die meisten anfallenden Arbeiten selbst erledigen.

Zuerst befand sich das Büro einfach in einem gemieteten Haus, das gleichzeitig als Missionarheim diente. Das Haus war allerdings nicht ganz geheuer. Nachdem die Missionare eingezogen waren, wurden sie von einigen Einheimischen gefragt, ob sie keine Angst hätten, in einem Haus zu wohnen, in dem es spukt. Tatsächlich passierten seltsame Dinge. Ein Missionarehepaar sah zum Beispiel, wie sich der Türgriff bewegte; sie öffneten die Tür, um nachzusehen, wer dort war, aber es schien niemand im Flur zu sein. Die Missionare erfuhren, daß in dem Zimmer ein Geistermedium gewohnt hatte. Sie suchten sorgfältig nach irgend etwas Zurückgelassenem, das die Geister als Kontaktmittel benutzten. Eine Münze war fest auf die Türschwelle genagelt. Mit großen Anstrengungen konnte der Bruder sie entfernen. Danach hörten die eigenartigen Vorkommnisse auf.

Als man den Hausbesitzer deswegen befragte, räumte er ein: „Ja, in dem Haus spukt es, aber ich dachte, ihr würdet schon nichts zu befürchten haben, denn ihr seid ja Missionare und Gottesleute.“

Herstellung von Literatur in Malagassi

Da das Predigtwerk gut voranging, wurde weitere Literatur in Malagassi benötigt. Bis 1963 hatte man nur ein paar Traktate wie zum Beispiel Leben in einer neuen Welt und Höllenfeuer — Biblische Wahrheit oder heidnisches Schreckmittel? Es gab außerdem die Broschüre „Diese gute Botschaft vom Königreich“ (1959 veröffentlicht). Die gebildeteren Menschen sprachen und lasen Französisch, daher verwendeten die Verkündiger Literatur in dieser Sprache. Viele lasen jedoch lieber etwas in ihrer Muttersprache.

Als die Genehmigung gegeben wurde, den Wachtturm in Malagassi zu produzieren, bat der Zweig um zusätzliche Hilfe. Rasoamalala Louise, eine madagassische Schwester, übersetzte aus dem Französischen. Diese Arbeit verrichtete sie bei sich zu Hause, und sie schrieb sogar alles mit der Hand. Im Zweigbüro tippte Veera Kuokkanen den übersetzten Text auf Matrizen, und Brüder bedienten die Vervielfältigungsmaschine.

Der erste Wachtturm in Malagassi wurde im September 1963 veröffentlicht; er hatte eine Auflage von ungefähr 600 Exemplaren. Zu jener Zeit erschien er monatlich und enthielt nur die Studienartikel. Die Verkündiger waren überglücklich. Sie schlossen während des ersten Abonnementsfeldzugs mit der Ausgabe in Malagassi Hunderte von Abonnements ab. Innerhalb von wenigen Monaten wurden monatlich 3 000 Exemplare hergestellt. 3 Brüder wechselten sich an der Vervielfältigungsmaschine ab, die nahezu Tag und Nacht in Betrieb war.

Einer von ihnen erinnert sich: „Wir brauchten für jede Ausgabe des Wachtturms mindestens 16 Wachsmatrizen. Für eine Zeitschrift trugen wir 8 Papierbogen zusammen, die auf beiden Seiten bedruckt waren. Das heißt, wir mußten für 3 000 Zeitschriften über 24 000 Bogen bedrucken. Danach legten wir 8 Stapel bedruckter Bogen auf einen Tisch und gingen 3 000mal um ihn herum, um Blatt für Blatt zusammenzutragen. Dann wurden die Bogen geheftet. Ja, alles per Hand!“

Nach einiger Zeit arrangierte die Gesellschaft es so, daß der schweizerische Zweig das Drucken des Wachtturms in Malagassi übernahm. Heute wird er in Großbritannien gedruckt, und er erscheint halbmonatlich mit einer Auflage von 26 000. Die madagassischen Zeugen Jehovas können simultan die gleiche geistige Speise zu sich nehmen wie ihre Mitchristen in der ganzen Welt.

Stück für Stück ging es mit den Übersetzungsarbeiten voran. Ein Vierteljahr nach der Herausgabe des ersten Wachtturms in Malagassi stand den madagassischen Zeugen auch das Bibelstudienhilfsmittel „Gott bleibt wahrhaftig“ in ihrer Muttersprache zur Verfügung. Als Rakotomaro Justin — ein Sonderpionier, der viel tat, um anderen zu helfen, die Wahrheit kennenzulernen — das Buch bekam, hielt er es lange in der Hand und sagte kein Wort. Dann rief er aus: „Oh, wie gut Jehova doch ist! Er hat uns dieses Buch gegeben.“ Kartonweise nahmen die Pioniere das Buch entgegen, um es in die Hände von geistig hungrigen Personen zu legen.

Mit Kreisaufsehern unterwegs

Anfangs gab es auf der ganzen Insel nur eine Versammlung. Als jedoch neue Missionarheime eingerichtet und Sonderpioniere in verschiedene Orte gesandt wurden, entstanden weitere Versammlungen. Im Dienstjahr 1964 wurden 2 neue Versammlungen gegründet. Um die 3 bestehenden Versammlungen zu unterstützen, sorgte das Zweigbüro dafür, daß sie von Laval Carbonneau, einem Kreisaufseher, und seiner Frau Irene besucht wurden. Sie reisten mit dem Zug. Es war ein Abenteuer — eins, das Spaß machte. Einmal merkten sie zum Beispiel, daß etwas an ihren Beinen pickte. Eine Gans, die unter der Bank mitreiste, wollte ein bißchen beachtet werden.

Als die Carbonneaus wegen familiärer Verpflichtungen Madagaskar verlassen mußten, übernahm Raimo Kuokkanen den Kreisdienst. Wenn irgend machbar, fuhren er und seine Frau Veera mit dem Zug. Zwischen den Küstenorten wurden Passagierschiffe eingesetzt. Manchmal mußten sie taxi-brousses oder Buschtaxis nehmen, die Platz für 15 Personen hatten, aber ständig überfüllt waren. Solche Reisen dauerten vom frühen Morgen bis spät in den Abend hinein. Während der Regenzeit, wenn die Buschtaxis nicht durchkamen, reisten die Kuokkanens mit dem Flugzeug. Das war allerdings nichts Exklusives. Die Fluggesellschaft vor Ort hatte alte DC-3-Maschinen, und die Start- und Landebahnen waren einfach Wiesen. Die Besuche bei den verschiedenen Gruppen boten die gute Gelegenheit für einen herzlichen Austausch geistiger Ermunterung.

Eine Zeitlang war Bruder Kuokkanen nicht nur Kreis-, sondern auch Bezirksaufseher. Notwendigerweise erledigte er außerdem im Zweigbüro die Korrespondenz. Er arbeitete allerdings hart, um die einheimischen Brüder zu schulen. Nach einiger Zeit erfüllte ein Sonderpionier, Rajaobelina Célestin, die Voraussetzungen und wurde der erste madagassische Kreisaufseher.

Hindus wenden sich der Anbetung Jehovas zu

Während es mit dem Werk voranging, wurden alle Arten von Menschen erreicht (1. Tim. 2:4). Missionare gaben viele Bücher und Zeitschriften bei Asiaten ab, die in der Hauptstadt ein Geschäft hatten. Dirajlal Bagvandjee, ein junger Hindu, Dirou genannt, war einer von ihnen. Als ein Missionar ihm in seinem Laden Zeitschriften anbot, nahm er diese gern entgegen. 1963 starb dann Dirous Onkel, und er kam ins Grübeln, warum der Mensch stirbt und in welchem Zustand sich die Toten befinden. Er fragte sich, warum Gott es zugelassen hatte, daß ein so guter Mensch sterben mußte. Außerdem dachte er darüber nach, ob wohl Hoffnung bestehe, die Toten einmal wiederzusehen.

Kurz danach traf Simone Berclaz ihn an, als sie von Haus zu Haus predigte. Bei einem Rückbesuch beantwortete sie ihm an Hand der Bibel seine Fragen über den Zustand der Toten und erklärte ihm die wunderbare Auferstehungshoffnung (Pred. 9:5; Apg. 24:15). Zunächst war er verwirrt, denn er versuchte, das Ganze mit seinem hinduistischen Glauben an die Seelenwanderung in Übereinstimmung zu bringen. Diese Anschauung bietet keine Hoffnung, verstorbene Angehörige wiederzusehen. Nachdem Dirou jedoch alles einzuordnen wußte, konnte er erkennen, wie wunderbar die biblische Hoffnung der Auferstehung ist (Joh. 5:28, 29).

Nach wenigen Wochen Bibelstudium besuchte Dirou sämtliche Zusammenkünfte. Dann gab es Widerstand, besonders von seiten seines Vaters und seiner Freunde. Trotzdem kam Dirou schließlich zu dem Schluß, daß „die Bibel logisch und wirklich Gottes Wort ist“. Im darauffolgenden Jahr gab er sich Jehova hin und ließ sich taufen.

Dirous Vater leistete allerdings nach wie vor Widerstand und schickte 2 evangelische Pfarrer zu Dirou, die ihn dazu bringen sollten, zur Religion seiner Eltern zurückzukehren. Als er sie fragte, warum sie seinem Vater nicht die Wahrheit über die Sünde, den Tod und das Lösegeld sagen würden, führten die Pfarrer ins Feld, das fünfte Gebot fordere einen Mann auf, seinen Vater und seine Mutter zu ehren. Dirou fragte sie, ob es richtig sei, zwar das fünfte Gebot zu halten — nämlich dem Wunsch seines Vaters zu entsprechen —, aber gleichzeitig Gottes erstes Gebot — keine anderen Götter anzubeten — zu brechen. Da die Pfarrer darauf nichts erwidern konnten, gingen sie wieder. Danach wandten sie sich an das Zweigbüro und baten die Brüder dort, Dirou davon zu überzeugen, zur Religion seines Vaters zurückzukehren. Er sagt: „Diese Heuchelei zu sehen bestärkte mich nur noch in meinem Glauben.“

Nachdem sein Vater sich an Zauberer und an Politiker um Hilfe gewandt hatte, ließ er einen Artikel mit falschen Anschuldigungen gegen Jehovas Zeugen in die Lokalzeitung setzen. Auch redete er nicht mehr mit Dirou. Dirous Eltern hatten 5 Söhne und 3 Töchter, und die gesamte Familie glaubte, es läge an Dirous Religion, daß der familiäre Zusammenhalt gestört war. Trotz alledem war Dirou überzeugt, daß es seine dringlichste Verpflichtung war, Gott zu gehorchen (Mar. 12:28-31).

Im Februar 1967 wurde Dirou Sonderpionier, und im folgenden Jahr heiratete er Simone. Nachdem sie gezwungen worden waren, Madagaskar im Juni 1970 zu verlassen, waren sie 3 Jahre lang in Kenia und danach fast 20 Jahre in Indien tätig. In Indien diente Dirou im Zweigkomitee.

Aber was war mit seinen Angehörigen? Im Lauf der Zeit begann sein Vater, die Bibel und bibelerklärende Veröffentlichungen zu lesen. Seine Mutter wurde sehr empfänglich für die biblische Wahrheit, und sowohl seine Geschwister als auch seine Neffen und Nichten ließen sich als Zeugen Jehovas taufen. Insgesamt wurden 16 seiner Angehörigen Anbeter Jehovas. Einige sind im Zweigbüro tätig, andere helfen bei internationalen Bauprojekten mit. Die Familie Bagvandjee ist ein gutes Beispiel für die vortreffliche Frucht auf der in geistiger Hinsicht so fruchtbaren Großen Roten Insel.

Missionare legen ein Fundament

Die Watch Tower Society entsandte nach wie vor Missionare nach Madagaskar, die dort beim Predigen der guten Botschaft helfen sollten. Zu diesen gehörten die beiden deutschen Schwestern Margarita Königer und Gisela Hoffmann, die im März 1966 eintrafen. Schwester Hoffmann erzählt von ihren Eindrücken: „Auf Madagaskar geht alles ruhig zu, ganz anders als im hektischen Europa oder Amerika. Die riesigen Aloepflanzen gehörten zu den ersten Dingen, die mich staunen ließen. Bei mir zu Hause hatte ich sie im Blumentopf gezogen und war stolz, wenn sie 15 Zentimeter hoch wurden. Aber hier wuchsen sie haushoch! Und als ich am Abend von der ersten Zusammenkunft heimging, sah ich die Sterne so nah wie noch nie zuvor. Hier begann für uns ein unkompliziertes Leben.“

Die beiden merkten schnell, daß die Einheimischen ausgesprochen herzlich und gastfreundlich waren. Schwester Königer sagt: „Die Leute waren recht gebildet. Selbst die Omas in den Dörfern lasen gern in der Bibel und in biblischer Literatur. Sie tauschten bereitwilligst etwas gegen die Bücher ein. Kinder kamen hinter uns hergerannt und wollten Reis gegen den Wachtturm oder das Erwachet! eintauschen.“ Diese Schwestern erschlossen gemeinsam mit den Brancas das Predigtwerk in Fianarantsoa und stärkten eine kleine Gruppe in Ambositra. Beide Städte liegen südlich von Antananarivo.

Es gab noch mehr mutige Missionare, die neue Gebiete erschlossen. Hugh Haisley und Thomas Baynes dienten in Toliary, einer Küstenstadt im südlichen Teil Madagaskars. Mary Dolinski aus Kanada diente zusammen mit Edouard und Narcisse Marlot in Taolanaro.

Als die ersten Missionare 1961 nach Madagaskar geschickt wurden, berichteten nur 75 Verkündiger. Nach fast einem Jahrzehnt des Jüngermachens freuten sich die Missionare im Jahr 1970 über eine Höchstzahl von 469 Verkündigern — eine Zunahme um 525 (!) Prozent. Doch tauchten dunkle Wolken am Horizont auf. Schon seit 1967 durften keine Missionare mehr nach Madagaskar einreisen.

Am 5. Juni 1970 um 16 Uhr brach der Sturm los. Sicherheitspolizisten kamen zum Zweigbüro und sagten zu Samuel Gilman, alle Missionare hätten sich am nächsten Tag zur Sicherheitspolizei zu begeben. Die Missionare, die zu der Zeit in der Hauptstadt waren — die Brüder Gilman, Kuokkanen und Lisiak —, erschienen vor dem Leiter der Sicherheitspolizei. Kurz und knapp teilte man ihnen mit, daß alle Missionare der Zeugen Jehovas das Land verlassen müßten, und zwar mit dem Flugzeug, das noch am selben Abend gehe. „Fragen Sie nicht nach dem Grund, denn Sie werden ihn niemals herausfinden; verschwinden Sie einfach!“ so sagte man ihnen. Einige hatten gerade erst vor ein paar Tagen neue Visa erhalten, die 3 Jahre gültig waren. Als sie darauf hinwiesen, daß ihre Visa noch gültig seien, bat der Leiter sie, ihm ihre Pässe zu zeigen. Dann stempelte er Annulé (ungültig) hinein, und den Brüdern wurde mitgeteilt, daß sie sich nun illegal im Land aufhielten.

Die Missionare waren nicht in der Lage, noch am gleichen Abend abzureisen. Montag früh wandten sie sich an das Konsulat beziehungsweise an die Botschaft ihres jeweiligen Heimatlandes um Hilfe. Trotzdem mußten alle 20 Missionare am Samstag, den 20. Juni 1970 das Land verlassen. Die meisten gingen nach Kenia. Die Missionare mit französischer Staatsbürgerschaft gingen nach Réunion, einem französischen Territorium. Brüder und Schwestern von ganz Madagaskar kamen, um sie zu verabschieden. Alle waren am Weinen, die einheimischen Zeugen und auch die Missionare. Einige von ihnen hatten viele Jahre auf Madagaskar verbracht, und die Insel war zu ihrer Heimat geworden.

Während ihres Aufenthalts auf Madagaskar waren die Missionare bemüht gewesen, Menschen zu lehren, ihren Glauben auf Gottes Wort zu gründen, ihr Vertrauen in Jehova zu setzen und die Rolle Jesu Christi in Gottes Vorsatz anzuerkennen (1. Kor. 3:5-14). Passenderweise sagte daher Florent Chabot bei seiner letzten Zusammenkunft, bevor er das Land verließ: „Wenn ihr Nachfolger der Missionare geworden seid, werdet ihr nach ihrem Weggang nicht in der Lage sein, als Zeugen Jehovas weiterzumachen. Wenn ihr aber Zeugen für Jehova geworden seid, dann werdet ihr, auch wenn die Missionare abgereist sind, als solche weitermachen.“

Das Verbot

Am 8. August 1970 wurde im Official Journal of the Malagasy Republic bekanntgegeben, daß Jehovas Zeugen verboten waren. Was würde den madagassischen Zeugen widerfahren? Als man dem Innenminister diese Frage stellte, sagte er: „Keine Sorge, sobald die Missionare weg sind, werden wir uns um sie kümmern.“ Dann machte er eine Geste, als ob er etwas zerquetschen würde.

Glücklicherweise erlebten die einheimischen Brüder jedoch keine schwere Verfolgung. Wie fühlten sie sich aber, als die Missionare ausgewiesen wurden? Ravelojaona Rahantamalala, die die Missionare seit ihrer Jugend kennt, sagt: „Als die Missionare ausreisen mußten, waren viele der einheimischen Brüder mutlos. Einige wollten nicht länger als Zeugen Jehovas gelten.“

Der Jahresbericht für das Dienstjahr 1971 ließ einen 12prozentigen Rückgang der Verkündigerzahl erkennen. Offenbar erlagen einige der Menschenfurcht und hörten auf, die gute Botschaft zu verkündigen (Spr. 29:25). Die meisten bewiesen jedoch einen starken Glauben. Und im dritten Jahr war erneut Wachstum zu beobachten.

Anfangs hielten die Brüder die Zusammenkünfte an verschiedenen Orten bei Brüdern zu Hause ab, wobei 3 bis 4 Familien anwesend waren. Die Zahl der Anwesenden stieg nach und nach. In Manakambahiny, einem Stadtteil von Antananarivo, stellte Schwester Ravelojaona ihr Heim als Zusammenkunftsstätte zur Verfügung. Jehova sei Dank, daß sich selbst in Zeiten von Unruhen kein schwerer Zwischenfall ereignete. „Mindestens 10 Versammlungen gingen aus der kleinen Gruppe in Manakambahiny hervor“, sagt Schwester Ravelojaona. „Jehova segnete unsere Anstrengungen beim Predigen und Jüngermachen während der gesamten Verbotszeit.“

Geschult, die Aufsicht zu übernehmen

Ein Komitee wurde eingesetzt, um die Tätigkeit der Brüder vor Ort zu unterstützen und mit der leitenden Körperschaft in Kontakt zu bleiben. Einheimische Brüder übernahmen die Verantwortung für das Königreichspredigtwerk auf Madagaskar. Während der Verbotszeit gebrauchten die Brüder, wenn sie von der Gesellschaft sprachen, den Decknamen Ineny, was „Mama“ bedeutet. Unmittelbar nachdem das Verbot verhängt worden war, leistete Ineny die nötige Hilfe. Wie?

Milton Henschel von der Weltzentrale besuchte Madagaskar als Zonenaufseher. Er traf besondere Vereinbarungen, um sich der geistigen Bedürfnisse der madagassischen Brüder anzunehmen. Zwei verantwortliche Brüder wurden zu einer Schulung in die Weltzentrale der sichtbaren Organisation Jehovas eingeladen. Trotz gewisser Sprachprobleme profitierten sie sehr davon und waren danach besser in der Lage, sich des vor ihnen liegenden Werkes anzunehmen.

Bruder Henschel empfahl auch den Besuch der Gileadschule für einen madagassischen Sonderpionier. Das würde ihn ausrüsten, besser die Führung in der Königreichspredigttätigkeit zu übernehmen. Die Wahl fiel auf Andriamasy Théodore, einen jungen Mann, der Englisch sprach und bei der Übersetzung der Korrespondenz mitgeholfen hatte. Über die Schulung, die er erhielt, sagt er: „Durch das intensive 5monatige Schulungsprogramm eignete ich mir gute Studiengewohnheiten an. Dadurch, daß ich halbtags in verschiedenen Abteilungen des Bethels mithalf, boten sich mir viele Gelegenheiten, zu sehen, wie Jehovas Organisation funktioniert. Der Umgang mit gesalbten Brüdern und Schwestern gehörte mit zu den lohnendsten Erlebnissen, die ich während dieser Zeit hatte. Ich lernte viel von ihrer Großzügigkeit, Gastfreundschaft und Demut.“

Nachdem Bruder Andriamasy die Gileadschule beendet hatte, konnte er in seinem Gebiet das Gelernte umsetzen. Die Schulung, die er erhalten hatte, stärkte seinen Glauben und versetzte ihn in die Lage, seine Glaubensbrüder während der schwierigen Jahre zu ermuntern. Stundenweise dient er immer noch in verschiedenen Zuteilungen im Zweigbüro. Seit kurzem gibt er neuen Missionaren Unterricht in Malagassi.

Trotz Verbot Jehova weiter gedient

Während des Verbots gingen Jehovas Zeugen zwar vorsichtig vor, aber sie setzten sich weiterhin für die wahre Anbetung ein. Jede Ausgabe des Wachtturms wurde übersetzt, es fiel keine aus (Jes. 65:13). Man kam in Privatwohnungen zusammen, um sich gegenseitig zu ermuntern (Heb. 10:23-25). Kreisaufseher besuchten die Versammlungen; Kreis- und Bezirkskongresse wurden organisiert, und es fanden sogar Zusammenkünfte in großem Rahmen im Wald statt. Dort — außerhalb der Stadt — waren manchmal bis zu 1 500 Personen anwesend. 1972 richtete man in einem gemieteten Appartement ein Büro und ein Literaturlager ein. In jeder der 11 damals bestehenden Versammlungen gab es einen verantwortlichen Bruder, der die Literatur abholte. Bruder Andriamoara, der sich eine Zeitlang um das Lager kümmerte, kann sich noch gut erinnern, daß die Brüder die Literaturkartons direkt vor den Augen der Nachbarn wegtrugen.

Während der allerersten Verbotsjahre verhielten sich die Zeugen überaus vorsichtig. Manchmal hatten sie das Gefühl, unter Polizeiüberwachung zu stehen und beschattet zu werden. Deshalb gaben sie hauptsächlich informell Zeugnis. Wenn sie von Haus zu Haus predigten, bearbeiteten sie in einem Häuserblock immer nur e i n Haus zur Zeit. Für die Literatur nahmen sie keine Tasche, sondern einen Beutel oder einen Korb, damit es so aussah, als ob sie gerade zum Markt gingen. In der Regel konnten sie aber mit anderen die Bibel studieren, ohne dabei gestört zu werden. Bruder Rakotojaona, der heute mit seiner Frau Lea im Zweigbüro dient, erinnert sich daran, daß er sein 1972 begonnenes Bibelstudium nicht besonders geheimhalten mußte.

War man zu vorsichtig?

Ineny sorgte nach wie vor für Besuche von Zonenaufsehern. Durch diese liebevolle Vorkehrung wurden die Brüder und Schwestern erbaut, was ihnen half, mit ihrer Situation positiv umzugehen. Als zum Beispiel André Ramseyer 1973 Madagaskar besuchte, merkte er, daß die Brüder es mit der Vorsicht übertrieben. Bruder Andriamoara erinnert sich, daß Bruder Ramseyer folgendermaßen argumentierte: „Ist irgend jemand ins Gefängnis gekommen, weil er ein Zeuge Jehovas ist? Nein. Habt ihr andere Schwierigkeiten gehabt? Nein. Womöglich seid ihr dann zu vorsichtig. Übertreibt ihr es vielleicht etwas mit der Vorsicht? Wir dürfen nicht furchtsam sein.“ Wie hilfreich dieser Besuch doch war! Von da an predigten die einheimischen Zeugen viel offener und freimütiger. Die Folge war, daß während des Dienstjahres 1974 eine neue Höchstzahl von 613 Verkündigern erreicht wurde — eine 30prozentige Zunahme gegenüber dem absoluten Rekord vor dem Verbot.

Rechtliche Anerkennung wiedererlangt

Gegen Ende 1983 beantragten die Brüder — unter dem Namen einer lokalen kulturellen Gesellschaft — die rechtliche Anerkennung ihrer Tätigkeit. Am 24. Februar 1984 wurde diese Anerkennung zwar gewährt, was aber nicht eine Aufhebung des Verbots bedeutete. Trotzdem waren die Brüder sehr froh über diese neue Entwicklung. Sie gingen mehr in den Predigtdienst, und im April gab es 2 herausragende Höchstzahlen: 1 708 Verkündiger berichteten über ihren Dienst, und beim Gedächtnismahl waren 8 977 Personen anwesend. So war die Zahl der Verkündiger um 264 Prozent und die Zahl der Gedächtnismahlbesucher um 606 Prozent gestiegen.

Obwohl sie bereits als kulturelle Organisation anerkannt waren, stellten die Brüder 1993 einen Antrag auf Anerkennung der Zeugen Jehovas als Religionsgemeinschaft. Wenige Monate später, am 4. Oktober 1994, wurde die rechtliche Anerkennung gewährt. Der Jubel war groß! Nun konnten sie sich wieder ganz offen als Zeugen Jehovas zu erkennen geben.

Mehr Hilfe aus dem Ausland

Doch schon früher, nämlich 1987, war es für Missionare möglich geworden, nach Madagaskar zurückzukehren. Im September 1991 trafen die Kuokkanens, die in Helsinki (Finnland) im Sonderdienst gewesen waren, wieder auf Madagaskar ein. Bruder Kuokkanen wurde als Koordinator des Zweigkomitees eingesetzt. „Madagaskar hatte sich verändert“, sagt Bruder Kuokkanen. „Ein paar der Brüder und Schwestern, die wir von früher kannten, sahen wir wieder, doch die meisten waren gestorben. Der größte Teil der Verkündiger war jung in der Wahrheit.“ Es gab eine Menge Büroarbeit zu bewältigen. Doch die Freude war riesengroß, im August 1991 eine neue Höchstzahl von 4 005 Verkündigern zu erleben!

Dirajlal Bagvandjee und seine Frau Simone, die 1970 mit den anderen zusammen des Landes verwiesen worden waren, wurden ebenfalls gebeten, nach Madagaskar zurückzukehren. Da Bruder Bagvandjee sehr gut vermitteln kann, hilft er dem Zweig, wenn es darum geht, Genehmigungen, Zollpapiere oder andere Dokumente zu bekommen. Seit 1992 gehört er zum madagassischen Zweigkomitee. Nicht selten sind Beamte erstaunt, wenn ein Inder und ehemaliger Hindu über Jehova, Jesus Christus und Gottes Königreich spricht.

Der neue Zweigkomplex

Nachdem das Zweigbüro im September 1963 eingerichtet worden war, wurde es mehrmals verlegt. Von 1972 bis 1987 reichte ein Appartement aus, um darin ein Büro und ein Literaturlager einzurichten. Dann wurde ein größeres Haus gemietet. Während jener Jahre verrichteten die Mitglieder des Zweigkomitees, da sie Familie hatten, die meisten der anfallenden Arbeiten bei sich zu Hause.

Da das biblische Bildungswerk auf Madagaskar intensiviert wurde, benötigte man jedoch Einrichtungen, die dem Werk besser gerecht wurden. Man kaufte ein Grundstück, das etwa 5 Kilometer vom internationalen Flughafen Ivato entfernt liegt. Im April 1993, also 3 Jahre später, kamen die Bauarbeiten mit der Hilfe von Brüdern aus Übersee in Gang. Walter Elkow, ein Kanadier mit viel Erfahrung auf diesem Gebiet, wurde mit der Aufsicht des 30monatigen Projekts betraut. Weitere International Servants kamen nach, und viele International Volunteers reisten auf eigene Kosten an, um bei dem Bau für ein Vierteljahr oder auch länger mitzuhelfen. Die feste Baumannschaft bestand in ihrer Spitzenzeit aus 110 ausländischen und einheimischen Helfern. An den Wochenenden vergrößerte sich die Zahl der Helfer noch, denn dann packten die Brüder und Schwestern aus den Versammlungen kräftig mit an.

Man ermunterte sich dabei gegenseitig. Obwohl viele der Helfer aus anderen Ländern die Landessprache nicht beherrschten, waren diese reifen Brüder und Schwestern ein ausgezeichnetes Vorbild im Predigtdienst. David Smith, der rund 2 Jahre als Baumaschinenschlosser mitarbeitete, konnte beispielsweise kein Malagassi, aber er wußte, daß der Wachtturm und das Erwachet! in Malagassi ein gutes Zeugnis geben konnten. Also stellte er sich auf die Straße, lächelte, hielt die Zeitschriften in der einen Hand und einen Zettel mit dem Preis in der anderen. Er gab bis zu 80 Zeitschriften an einem Tag ab.

Die schönen neuen Zweigeinrichtungen sind ein echtes Geschenk Jehovas. Als das Zweigbüro am 7. Dezember 1996 seiner Bestimmung übergeben wurde, hatte man 668 langjährige Zeugen Jehovas dazu eingeladen. Das war vielleicht ein freudiger Anlaß! Am darauffolgenden Tag hörten 7 785 Anwesende auf einem freien Feld, Gileada genannt, einer besonderen Ansprache zu. Warum gerade dort? Man hatte dieses Land, das etwa 6 Kilometer vom Zweigbüro entfernt liegt, nämlich erworben, um dort einen Kongreßsaal zu bauen. Was für ein Anblick! Ein Hang voller Brüder und Schwestern in ihren besten Kleidern und mit bunten Schirmen als Sonnenschutz.

Die Reihen der Vollzeitdiener werden verstärkt

Seit den 60er Jahren, als die ersten madagassischen Pioniere ihren Vollzeitdienst begannen, wurden die Reihen dieser fleißigen Arbeiter Jahr für Jahr verstärkt. Heute steht auf Madagaskar etwa jeder sechste Königreichsverkündiger im Pionierdienst. Viele junge Brüder und Schwestern haben diesen Dienst zu ihrer Laufbahn gemacht. Zur Stärkung der Pioniere wurde 1979 auf Madagaskar — wie in anderen Ländern auch — eine Pionierdienstschule eingerichtet. Andriamasy Théodore und Andriamoara Félix, die schon viele Jahre im Vollzeitdienst gestanden hatten, wurden die Unterweiser. Seitdem ist Hunderten von Pionieren dieser instruktive Kursus zugute gekommen.

Eins der Themen, die in der Schule ausführlich besprochen werden, hat mit dem persönlichen Interesse an anderen zu tun. Viele der Pioniere haben sich das wirklich zu Herzen genommen. Als zum Beispiel Randriamampianina Niaina und seine Frau Veroniaina 1998 einen kleinen Ort namens Soanierana-Ivongo an der Ostküste als Gebiet erhielten, merkten sie, daß solch ein persönliches Interesse notwendig war. Die Besitzerin des Hauses, in dem sie wohnten, hatte einen Sohn, der zufolge von Polio behindert war. Die Sonderpioniere nahmen sich die Zeit, dem Jungen von der kostbaren biblischen Verheißung auf ein Leben in Gottes neuer Welt zu erzählen. Der junge Mann studierte gern die Bibel mit Niaina und Veroniaina. Seinen Angehörigen hingegen gefiel das gar nicht. Die Mutter bat die Sonderpioniere sogar, ihrem Sohn mitzuteilen, daß sie keine Zeit mehr hätten, mit ihm zu studieren. Das ging natürlich nicht. Die Liebe des jungen Mannes zu Jehova und zu seinen Wegen wuchs schnell. Innerhalb von 8 Monaten ließ er sich taufen. Daraufhin mußten die Pioniere aus dem Haus ausziehen.

Erschöpfte sich damit das persönliche Interesse an dem jungen Mann? Ganz und gar nicht. Sein Rollstuhl war in einem miserablen Zustand und ist nun sogar völlig unbrauchbar. Zwar ist ein neuer Rollstuhl für ihn eingetroffen, aber seine frühere Kirche will ihn nicht hergeben, weil der junge Mann seine Religion gewechselt hat. Also helfen die Brüder aus der Versammlung dem behinderten Bruder, damit er die Zusammenkünfte besuchen kann.

In den letzten Jahren hat die Gesellschaft Sonderpioniere auf Zeit in nichtzugeteilte Gebiete geschickt, um noch mehr Menschen die Gelegenheit zu geben, aus der Königreichsbotschaft Nutzen zu ziehen. Im November 1997 wurden 2 Brüder nach Mahaditra gesandt, einer Ortschaft, in der nur ein einziger Verkündiger wohnte. Erstaunlicherweise wurde im Oktober des darauffolgenden Jahres eine Versammlung mit 14 Verkündigern gegründet. Die beiden Brüder sind nun nicht länger Sonderpioniere auf Zeit, sondern sind in der Ortschaft als reguläre Sonderpioniere eingesetzt.

Im Juni 1996 gingen 2 andere Sonderpioniere auf Zeit nach Mahasoabe, einem kleinen Ort, der noch unberührtes Gebiet war. Sie konnten das Gebiet nicht, wie vorgesehen, nach 3 Monaten wieder verlassen, denn die Leute baten sie eindringlich, doch zu bleiben. Nach 6 Monaten wurde eine alleinstehende Verkündigergruppe gebildet, und 3 Monate später wurde aus der Gruppe eine Versammlung mit 5 Verkündigern und 2 allgemeinen Pionieren. Die beiden Sonderpioniere (ursprünglich nur auf Zeit) sind noch immer mit der Versammlung verbunden und betreuen sie gut. In Dutzenden von nichtzugeteilten Gebieten sind ähnliche Ergebnisse erzielt worden.

Viele neue Missionare treffen ein

Madagaskar ist ein fruchtbares Gebiet. Es werden über 20 000 Heimbibelstudien durchgeführt — das sind 2 Studien pro Verkündiger und mehr. 1993 wurden von der Außenstelle der Gileadschule in Deutschland 6 Missionare nach Madagaskar gesandt, um das Werk zu unterstützen. In Toamasina richteten sie ein Missionarheim ein. Toamasina ist die zweitgrößte Stadt Madagaskars und liegt an der Ostküste. Daniel und Hélène Kmita, erfahrene Missionare auf den Seychellen, wurden ebenfalls der Großen Roten Insel zugeteilt. 5 Ehepaare aus französischsprachigen Versammlungen Kanadas — allgemeine Pioniere — wollten ihre Tätigkeit ebenfalls gern auf Madagaskar fortsetzen. Ivan Teyssier, ein französischer Missionar, der viele Jahre in Paraguay gewesen war, kam, um bei der Arbeit im Zweigbüro zu helfen. Dante und Christina Bonetti, die während der Bauzeit als International Servants an den Zweigeinrichtungen auf Madagaskar mitgearbeitet hatten, wurden eingeladen, als Missionare zurückzukehren. Die Neuankömmlinge haben viel getan, um den Pioniergeist unter den einheimischen Verkündigern zu fördern. Einige Brüder sprechen jetzt so gut Malagassi, daß sie malagassisprachigen Versammlungen als Kreisaufseher dienen können.

Unterwegs, um Versammlungen zu ermuntern

Als 1963 auf Madagaskar der Kreisdienst eingeführt wurde, besuchte der Kreisaufseher 3 Versammlungen — mehr gab es nicht. Heute besuchen 17 reisende Aufseher 253 Versammlungen und Gruppen. In den ländlichen Gegenden unterwegs zu sein ist noch immer nicht einfach. Während der Regenzeit sind an vielen Orten die unbefestigten Straßen unpassierbar, und die Kreisaufseher müssen weite Strecken zu Fuß zurücklegen. Um bestimmte Versammlungen besuchen zu können, müssen sie tagelang verschlammte Pfade entlanglaufen — und das ist nur für den Hinweg berechnet. (Vergleiche 2. Korinther 11:23-27.) Manchmal begleiten Brüder aus einer Versammlung den Kreisaufseher und helfen ihm, sein Gepäck zur nächsten Versammlung zu tragen. Wenn sie Flüsse überqueren — nicht selten ohne jegliche Brücke —, wickeln sie alles in Plastiktüten ein, damit es trocken bleibt, und tragen es auf dem Kopf. In der Regenzeit reicht ihnen das Wasser dabei schon mal bis zu den Achseln.

Die einheimischen Brüder haben zwar selbst nicht viel, aber sie sind überaus gastfreundlich und tun alles, damit der reisende Aufseher und seine Frau sich bei ihnen wohl fühlen. Die Ermunterung beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Wie befriedigend ist es doch, mit Brüdern und Schwestern zusammenzusein, die ihr Bestes tun, um Jehova zu gefallen! (Röm. 1:11, 12). Und es ist wirklich ein Vorrecht, den Glauben dieser Treuen zu stärken, die für Jehova so kostbar sind!

Wenn ein Wirbelsturm wütet

Zum Leben in diesem Teil der Erde gehört auch der Umgang mit Wirbelstürmen. Jedes Jahr gibt es eine Zeit, in der die Inseln des Indischen Ozeans von Zyklonen heimgesucht werden. Das Zweigbüro verfolgt dann aufmerksam den Wetterbericht und trifft Vorbereitungen, um den Brüdern in den betroffenen Gebieten zu helfen. 1997 wüteten mehrere Wirbelstürme auf Madagaskar; einer davon war der berüchtigte Wirbelsturm Gretelle, der über die Südostküste hinwegfegte. 2 größere Orte und viele Dörfer wurden zerstört. In der betroffenen Gegend wohnten rund 100 Zeugen Jehovas.

Das Zweigbüro schickte sofort einen kleinen Lkw und einen Geländewagen dorthin, die mit Hilfsgütern, Werkzeug und einigen Baumaterialien beladen waren. Auch ein Arzt begleitete den Hilfstrupp. Zu manchen Orten, die mit Motorfahrzeugen unerreichbar waren, gelangten sie nur mit kleinen Booten.

Sie benötigten 2 Tage, um zu ihrem Zielort Vangaindrano zu kommen. Unverzüglich begannen sie mit der Hilfsaktion. Sie sorgten dafür, daß die Brüder Obdach und Nahrungsmittel erhielten. Der Arzt untersuchte jeden Zeugen Jehovas und versorgte ihn mit den nötigen Medikamenten. Auch Familien, die keine Zeugen Jehovas waren, profitierten von dieser Versorgung. Als die meisten von dem Hilfstrupp wieder heimfuhren, blieben 2 Brüder des Trupps noch etwa einen Monat da, um die Häuser der Brüder wieder aufzubauen. Das Zweigbüro erhielt viele Briefe, in denen Wertschätzung für die Hilfe der Gesellschaft ausgedrückt wurde. Sogar einige Außenstehende erklärten: „Eure Religion ist wirklich christlich!“

Jehova läßt es fortwährend wachsen

Die Missionare und diejenigen, die durch sie zu Jüngern wurden, säten und bewässerten den Samen der Königreichswahrheit auf Madagaskar. Der allererste Bericht von der Insel wurde 1933 von Robert Nisbet und Bert McLuckie eingesandt. 22 Jahre danach wurde die Tätigkeit wieder aufgenommen, und im Dienstjahr 1956 gab es eine Höchstzahl von 8 Verkündigern. Als die Missionare 1970 ausgewiesen wurden, waren 469 Königreichsverkündiger in dem Land tätig. Die Missionare waren nicht mehr in der Lage, ihnen zu helfen, wie sie es zuvor getan hatten. „Gott aber hat es fortwährend wachsen lassen“ (1. Kor. 3:6).

Die Brüder, die früher schon einmal auf Madagaskar tätig gewesen waren und später die Gelegenheit hatten, dorthin zurückzukehren, erlebten, daß jene, mit denen sie die biblische Wahrheit studiert hatten, nun selbst Frucht trugen. Zum Beispiel hatte sich Ramanitra Hélène, die als 15jährige mit Irene Carbonneau studiert hatte, Polio zugezogen und konnte nicht richtig laufen. Trotz dieser Einschränkung und trotz des Widerstands ihrer Angehörigen beharrte sie darauf, eine Verkündigerin der guten Botschaft zu werden. Auch nachdem die Carbonneaus nach Kanada zurückgegangen waren, machte sie weitere Fortschritte. Als Irene 1995 zu einem Kurzbesuch nach Madagaskar kam, rief Hélène aus: „Außer meinem Vater haben all meine Angehörigen die Wahrheit angenommen!“

Mit Jehovas Segen war der Kleine auf Madagaskar im Jahr 1980 zu einem Tausend geworden; damals gab es 1 021 Verkündiger des Königreiches Gottes (Jes. 60:22). 1993 verzeichnete man eine Höchstzahl von über 5 000; und 1999 gab es dann die noch nie zuvor erreichte Höchstzahl von über 10 300 Verkündigern.

Was wird die Zukunft bringen?

Das Königreichspredigtwerk auf Madagaskar sieht einer vielversprechenden Zukunft entgegen. 1956 waren bei dem allerersten Gedächtnismahl auf der Insel 7 Personen anwesend. Die Zahl wuchs beständig und erreichte 1999 eine noch nie dagewesene Höchstzahl von 46 392 Anwesenden. Im gleichen Monat gab es 10 346 Verkündiger auf der Insel. Jeder Verkündiger brachte also im Durchschnitt 3 Personen zu diesem wichtigen Ereignis mit.

Die Große Rote Insel ist nach wie vor ein Paradies für alle, die, motiviert von der Liebe zu Jehova und zu ihren Mitmenschen, anderen von der biblischen Wahrheit erzählen möchten. Es gibt hier Zehntausende von demütigen Menschen, die mehr über Jehova kennenlernen wollen. Sie gehören weder zu den Reichen noch zu den Prominenten der Welt. Ihre Kost besteht in der Regel einfach aus Reis, etwas Fleisch und ein paar Kräutern. In vielen Städten und Dörfern gibt es weder Strom noch fließend Wasser. In den Dörfern ist nicht immer Brot zu bekommen, ganz zu schweigen von Butter oder Käse. Dennoch danken unsere lieben Brüder und Schwestern Jehova für ihre tägliche Nahrung, und ihr einfaches Leben schmälert ihre Lebensfreude nicht. Anstatt ‘sich Sorgen zu machen über das, was sie essen oder trinken, oder über das, was sie anziehen sollen’, bemühen sie sich nach wie vor, zuerst das Königreich und Gottes Gerechtigkeit zu suchen (Mat. 6:31-33). Sie sind für das Vorrecht dankbar, Jehova, dem universellen Souverän, zu dienen. Und sie stimmen in die Worte des Psalmisten ein, der ausrief: „Jehova selbst ist König geworden! Es frohlocke die Erde. Mögen die vielen Inseln sich freuen“ (Ps. 97:1).

Ein madagassisches Sprichwort lautet: „Sei wie ein Chamäleon — blicke mit einem Auge zurück und mit dem anderen vorwärts.“ Es ist gut, ein Auge auf die Vergangenheit gerichtet zu halten, um aus den Erfahrungen zu lernen. In der Vergangenheit leben zu wollen ist allerdings nutzlos. Was zählt, ist die Zukunft. Die beste aller Zeiten liegt vor uns! Jehova stellt uns Leben — ewiges Leben — in einem globalen Paradies in Aussicht, das mit Menschen gefüllt sein wird, die einander wirklich lieben. Jehovas Zeugen auf Madagaskar sind entschlossen, ihre Augen fest auf dieses Ziel gerichtet zu halten.

[Ganzseitiges Bild auf Seite 224]

[Bilder auf Seite 230]

(1) Rabehasy Noël, (2) Robert Nisbet, (3) Bert McLuckie, (4) Adam Lisiak, (5) Edouard Marlot, (6) Narcisse Marlot

[Bild auf Seite 233]

Raimo und Veera Kuokkanen

[Bild auf Seite 235]

Andriamoara Félix, einer der ersten einheimischen Sonderpioniere

[Bild auf Seite 236]

Alles wurde per Hand erledigt

[Bild auf Seite 237]

Rasoamalala Louise, eine langjährige Übersetzerin

[Bild auf Seite 245]

Andriamasy Théodore beim Malagassi-Unterricht für neue Missionare

[Bilder auf Seite 251]

Der fertiggestellte Zweigkomplex mit dem Zweigkomitee im Vordergrund (von links nach rechts): Eleha, Raimo Kuokkanen, Dirajlal Bagvandjee