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Argentinien

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Argentinien

Argentinien erstreckt sich über eine Länge von mehr als 4 000 Kilometern an der Südostküste Südamerikas und ist ein Land von bemerkenswerter Vielfalt. Innerhalb seiner Grenzen liegen die zerklüfteten Anden mit ihren Gipfeln, die über 6 000 Meter hoch aufragen. In den tropischen Wäldern im Norden streifen Jaguare und Flachlandtapire umher. Und im Süden bei Feuerland tummeln sich im eisigen Wasser Wale und Pinguine. Die Wellen erreichen dort manchmal eine Höhe von 30 Metern. Über die Ebenen reiten Gauchos, die ausgedehnte Rinderfarmen beaufsichtigen.

Wohin man auch geht in diesem Land — Jehovas Zeugen trifft man überall. Sie sind in jeder größeren und kleineren Stadt zu finden. Ihre Zahl beläuft sich auf über 120 000. Sie predigen in den Bergen, in den tropischen Wäldern, in den Ebenen und entlang der Küste. Man trifft sie in Hochhäusern der Hauptstadt und in den entlegensten Dörfern. Die landschaftlichen Gegensätze haben das Predigen der guten Botschaft nicht aufhalten können, noch haben sich kulturelle und sprachliche Barrieren oder wirtschaftliche Schwierigkeiten als Hindernis erwiesen. Die gute Botschaft wird gepredigt, genauso wie Jesus es vorhersagte (Mar. 13:10).

Hierbei wurde allerdings nichts dem Zufall überlassen. Gottergebene Männer und Frauen haben ihre Entschlossenheit demonstriert und ungeachtet ihrer Lebensumstände voller Eifer und Glauben die biblische Botschaft bekanntgemacht. Sie haben sich folgenden Rat des Apostels Paulus an Timotheus zu Herzen genommen: „Predige das Wort, halte dringend darauf in günstiger Zeit, in unruhvoller Zeit“ (2. Tim. 4:2). Die Ehre für das, was erreicht worden ist, nehmen sie jedoch nicht für sich in Anspruch. Sie anerkennen, daß dies nur durch Gottes Geist möglich gewesen ist (Sach. 4:6).

Eine Grundlage wird gelegt

Die Grundlage für das Werk wurde schon vor vielen Jahren gelegt. Der Bericht darüber, wie die Wahrheit in die abgelegensten Winkel des Landes gelangte, ist wirklich glaubensstärkend. 1923 kam George Young aus Kanada nach Südamerika. Nachdem er in Brasilien umfassend Zeugnis abgelegt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit Argentinien zu. Innerhalb weniger Monate wurden in 25 bedeutenden Klein- und Großstädten Argentiniens 1 480 Bücher und 300 000 andere biblische Veröffentlichungen verbreitet. Bevor Bruder Young seine Missionstätigkeit in anderen Ländern Südamerikas fortsetzte, bemerkte er: „Das Lächeln von Gottes Wohlgefallen an der Bemühung, die Botschaft des Königreiches zu verbreiten, ist sehr offenbar gewesen.“

Im Jahr 1924 beauftrage J. F. Rutherford, der damalige Präsident der Watch Tower Society, Juan Muñiz, einen Spanier, in Argentinien seinen Dienst zu verrichten. Zwei Jahre später richtete Bruder Muñiz in Buenos Aires ein Zweigbüro der Watch Tower Society ein, das sich um das Werk in Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay kümmern sollte.

Bruder Muñiz stellte fest, daß es in Argentinien recht viele deutschsprachige Bewohner gab, weshalb er um Hilfe bat, damit sie ebenfalls die gute Botschaft hören konnten. Bruder Rutherford entsprach der Bitte und sandte Carlos Ott, einen deutschen Vollzeitdiener, um diese Sprachgruppe zu unterstützen.

Es gab auch viele Griechen im Land. 1930 lernte der Grieche Nicolás Argyrós die biblische Botschaft kennen und fing an, den Hunderten von griechischsprachigen Bewohnern im Großraum Buenos Aires zu predigen. Später, als sein Spanisch sich verbessert hatte, verbreitete er Samen des Wortes Gottes in 14 der 22 Provinzen Argentiniens, wobei er sich auf die nördliche Hälfte des Landes konzentrierte.

Etwa um dieselbe Zeit wurde der Pole Juan Rebacz ein Zeuge Jehovas, und zusammen mit einem anderen polnischen Zeugen nahm er den Vollzeitdienst auf. Ihnen schlossen sich zwei weitere Vollzeitdiener an, und gemeinsam bearbeiteten sie das Gebiet im Süden Argentiniens.

Der Bericht für das Jahr 1930 zeigt, daß Hunderttausende von Exemplaren an Literatur verbreitet wurden — nicht nur in Deutsch, Griechisch und Spanisch, sondern auch in Arabisch, Armenisch, Englisch, Französisch, Italienisch, Jiddisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Ukrainisch und Ungarisch.

So kam es, daß in nur sieben Jahren das Predigen des Königreiches und das Werk des Jüngermachens unter der spanischsprachigen Bevölkerung sowie unter den anderen Sprachgruppen Fuß gefaßt hatte. Die Zeit für weiteres Wachstum war ausgesprochen günstig.

Ein ausgedehntes Gebiet ist kein Hindernis

Das zu bearbeitende Gebiet war riesengroß, es entsprach ungefähr einem Drittel der Fläche der Vereinigten Staaten von Amerika. Dennoch — für die Zeugen war die unermeßliche Weite kein Hindernis, um die Königreichsbotschaft zu verbreiten. Sie waren zu Fuß, mit dem Fahrrad, mit dem Zug oder mit Pferd und Wagen unterwegs.

Anfang der 30er Jahre war Armando Menazzi aus Córdoba, einer Provinz im Zentrum Argentiniens, überzeugt davon, die Wahrheit gefunden zu haben. Er verkaufte seine Autowerkstatt, um als Vollzeitdiener tätig zu sein. Später schaffte er sich einen alten Bus an und machte daraus ein Wohnmobil, so daß zehn oder mehr Verkündiger gemeinsam auf Reisen gehen konnten, um die gute Botschaft zu verkündigen. Mindestens 10 der nördlichen Provinzen Argentiniens bereisten sie auf diese Weise.

Um das Jahr 1930 verfügte Argentinien über das beste Eisenbahnnetz Lateinamerikas — es hatte eine Länge von mehr als 40 000 Kilometern. Das war von entscheidender Bedeutung für die Ausdehnung des Predigtwerks. Einige Pioniere wurden beauftragt, in Siedlungen an bestimmten Streckenabschnitten der Eisenbahnlinie zu predigen. Das Gebiet von José Reindl erstreckte sich beispielsweise über die gesamte westliche Eisenbahnstrecke, und zwar von der Provinz Buenos Aires an der Atlantikküste bis zur Provinz Mendoza an der chilenischen Grenze — über 1 000 Kilometer.

Zeugen Jehovas, die bei der Eisenbahn beschäftigt waren, nutzten die Gelegenheit, die biblische Botschaft in abgelegene Gebiete Argentiniens zu bringen. Epifanio Aguiar, der die Wahrheit in der nordöstlichen Provinz Santa Fe kennengelernt hatte, wurde von der Eisenbahngesellschaft in ein Gebiet nördlich von Chaco versetzt. Dort begann er sofort mit dem Predigen. Als er, bedingt durch seine Arbeit, 2 000 Kilometer in den Süden nach Chubut und später zurück in den Norden nach Santiago del Estero reisen mußte, predigte er auch in diesen Provinzen die Königreichsbotschaft.

Schwester Rina de Midolini, eine eifrige Pionierin, gab in Médanos Zeugnis, etwa 50 Kilometer von der Stadt Bahía Blanca entfernt. Sie nahm ihr Fahrrad mit in den Zug und machte am Zielort guten Gebrauch davon. Die Leute nannten sie „die Dame mit der Bibel und dem Fahrrad“. Wie bekannt sie war, ließ folgender Vorfall erkennen: Als der Lokomotivführer eines Tages bemerkte, daß sie noch nicht da war, um mit zurückzufahren, wartete er auf sie.

Missionare der Gileadschule treffen ein

Die Zeugen der Anfangszeit kamen weit herum, verbreiteten viel Literatur und wiesen die Menschen auf die Hoffnung von Gottes Königreich hin. Doch schließlich zeigte es sich, daß eine systematische biblische Unterweisung und eine verbesserte Organisation nötig waren. 1945 besuchte Nathan H. Knorr, der damalige Präsident der Watch Tower Society, Argentinien und wies die Versammlungen an, mit dem Kurs im theokratischen Dienstamt (Theokratische Predigtdienstschule) in Spanisch zu beginnen. Außerdem ermunterte er die argentinischen Brüder zum Pionierdienst und auch dazu, das Ziel anzustreben, die Wachtturm-Bibelschule Gilead zu besuchen.

Bald danach besuchten zwei Argentinier die Gileadschule und kehrten 1946 nach Argentinien zurück. Ihnen schlossen sich 1948 mehrere Missionare an, die zuvor in anderen Ländern tätig waren. Zu ihnen gehörten Charles und Lorene Eisenhower, Viola Eisenhower, Helen Nichols und Helen Wilson aus der ersten Klasse der Gileadschule sowie Roberta Miller aus der vierten Klasse. Später kamen Sophie Soviak, Edith Morgan, Ethel Tischhauser, Mary Helmbrecht und viele andere. Im Lauf der Jahre waren es 78 Missionare, die nach Argentinien gesandt wurden. Durch ihren Eifer für das Verkündigungswerk wurden die einheimischen Zeugen angespornt, es ihnen gleichzutun. 1940 gab es im ganzen Land nur 20 Pioniere, aber um das Jahr 1960 war die Zahl auf 382 angestiegen. Gegenwärtig sind in Argentinien über 15 000 Pioniere tätig.

Mit schwierigen Zeiten fertig werden

Die Zeit für das Predigen in Argentinien war viele Jahre günstig. Wie Jesus aber vorhersagte, würden nicht alle die Tätigkeit seiner Nachfolger gutheißen (Joh. 15:20). Als Bruder Knorr 1949 Argentinien einen Besuch abstattete, zog die Polizei plötzlich die bereits erteilte Erlaubnis zurück, in einem ansprechenden Saal in Buenos Aires einen Kongreß durchzuführen. Statt dessen fand der Kongreß in einem Königreichssaal statt, was allerdings nicht ohne Störungen verlief. Am Sonntag gegen 16.40 Uhr unterbrach die Polizei Bruder Knorrs Vortrag und nahm ihn und die übrigen Anwesenden fest. Einen Grund für die Festnahme gab die Polizei nicht an. Die Beamten zwangen die Brüder, stundenlang — bis zum nächsten Morgen — in einem großen Hof zu stehen. Dann ließ man sie frei.

Keine Frage, den Anbetern Jehovas schlug jetzt in Argentinien ein gegnerischer Wind entgegen. In demselben Jahr (1949) wurde auf Betreiben der katholischen Kirche ein Gesetz verabschiedet, wonach alle Religionsgemeinschaften beim Amt für Kultus, das dem Außenministerium unterstand, eingetragen werden mußten. Im Jahr darauf verbot die Regierung Argentiniens unter Juan Domingo Perón offiziell das Werk der Zeugen Jehovas. Gemäß dem Erlaß waren sowohl öffentliche Zusammenkünfte als auch die Predigttätigkeit der Zeugen verboten. Das Zweigbüro der Watch Tower Society wurde allerdings nicht geschlossen.

Im allgemeinen gestatteten die Behörden den Zeugen, ihre Tätigkeit ohne nennenswerte Schwierigkeiten fortzusetzen. Dennoch setzten die Behördenvertreter das Verbot oft durch, indem sie Kongresse verhinderten oder Königreichssäle schlossen. Manchmal mußten sich die Zeugen auch auf Verhaftungen einstellen und Schikanen hinnehmen, wenn sie ihre Zusammenkünfte in Privaträumen abhielten oder sich am öffentlichen Predigtdienst beteiligten.

Deshalb waren die Zeugen bemüht, ‘sich vorsichtig wie Schlangen zu erweisen’ (Mat. 10:16). Beim Zeugnisgeben verwendeten sie nur die Bibel. Die Versammlungen waren in kleine Gruppen von 8 bis 12 Verkündigern aufgeteilt. In den ersten Jahren des Verbots wechselten die Versammlungsorte regelmäßig. Die Brüder suchten nach unauffälligen Versammlungsorten; es konnte ein Melkschuppen, ein strohgedeckter Unterstand, eine Küche in einem Bauernhaus oder auch ein Baum sein. Die Hauptsache war, sie kamen zusammen (Heb. 10:24, 25).

Im Jahr 1953 besuchte Bruder Knorr zusammen mit Milton Henschel die Brüder in Argentinien erneut, um sie zu ermuntern. Wegen des Verbots fand kein großer Kongreß statt, denn das hätte zuviel Aufsehen erregt. Dennoch wurde dafür gesorgt, daß sogenannte Landeskongresse stattfinden konnten. Bruder Knorr flog von Chile nach Mendoza, und Bruder Henschel kam über Paraguay ins Land. Da sie getrennt reisten, sprachen sie auf „Kongressen“ an 56 verschiedenen Orten. Einige dieser Zusammenkünfte fanden im Stil eines Picknicks auf Farmen einheimischer Zeugen statt. In Buenos Aires besuchten beide Brüder die anwesenden Zeugen und führten mit jeder Gruppe eine zweistündige Zusammenkunft durch. An einem Tag fanden einmal neun dieser Zusammenkünfte statt. Insgesamt besuchten 2 505 Personen diese ganz andere Art von Kongressen.

Die Lage entspannt sich

Nachdem die Militärregierung unter Juan Perón 1955 gestürzt worden war, wurden größere Gruppen gebildet. Wo Versammlungen über Königreichssäle verfügten, ermunterte man die Brüder, sich dort zu versammeln, ohne diese jedoch als Königreichssäle zu kennzeichnen. Auf Grund des Segens Jehovas wurden die Versammlungen immer größer und nahmen trotz gelegentlicher Schikanen von seiten der Behörden an Zahl zu.

Im Jahr 1956 entschied sich das Zweigbüro für etliche kleine Kongresse in verschiedenen Landesteilen. Der erste fand in der Stadt La Plata statt, etwa 60 Kilometer von Buenos Aires entfernt. Beim Singen des ersten Liedes, das mit den Worten begann: „Freut euch mit Gottes Volk, Nationen!“, versagte den 300 Anwesenden vor Rührung fast die Stimme. Es war das erstemal nach sechs Jahren, daß sie mit so vielen Glaubensbrüdern zusammenkommen und miteinander singen konnten.

Das Verbot bestand nach wie vor. Als man im Dezember 1957 versuchte, im Saal Les Ambassadeurs in Buenos Aires einen Landeskongreß abzuhalten, wurde der Saal beim Eintreffen der Delegierten von der Polizei geschlossen. Vier Brüder wurden festgenommen und beschuldigt, die Versammlung ohne polizeiliche Erlaubnis abhalten zu wollen.

Da die Verfassung Argentiniens Religions- und Versammlungsfreiheit garantiert, gingen die Brüder vor Gericht. Am 14. März 1958 wurde zugunsten der Zeugen entschieden. Das war der erste Rechtssieg für Jehovas Zeugen in Argentinien.

Noch im selben Jahr trat ein weiterer Regierungswechsel ein. Nun bestand die Aussicht, die rechtliche Anerkennung des Werkes der Zeugen Jehovas in Argentinien zu erlangen. Allen Gesetzgebern, Redakteuren, Abgeordneten und Richtern wurde ein spezieller Brief zugesandt, der die Tätigkeit der Zeugen Jehovas sowie ihre Situation in Argentinien beschrieb. Trotz des ausgezeichneten Zeugnisses blieb die rechtliche Anerkennung aus.

Die Zeugen gaben nicht auf. Im darauffolgenden Jahr wurde in einem Gesuch an die betreffende staatliche Behörde um Gewährung der Religionsfreiheit gebeten. Es war mit 322 636 Unterschriften versehen. Charles Eisenhower besuchte als Beauftragter des Zweigbüros die Behördenvertreter. Aus Übersee waren über 7 000 Briefe eingetroffen, die die dringende Bitte um rechtliche Anerkennung enthielten. Dennoch wurde den Zeugen kein rechtlicher Status zuerkannt. Die Einstellung der Behörden gegenüber den Zeugen hatte sich jedoch beträchtlich verbessert. Infolgedessen nutzten die Brüder die günstigen Gelegenheiten, die Versammlungen geistig zu stärken.

Im Jahr 1961 wurde die Königreichsdienstschule eingerichtet, in der sowohl reisende Aufseher als auch Versammlungsälteste geschult wurden. Anfangs fand der monatliche Kurs in einem der Königreichssäle im Zentrum von Buenos Aires statt. Später verlegte man den Unterricht ins Zweigbüro. Da es nun mehr befähigte Aufseher gab, die sich um die Herde Gottes kümmern konnten, nahm die Zahl der Verkündiger und Pioniere in den 60er Jahren ständig zu. 1970 wurde eine Höchstzahl von 18 763 Verkündigern und 1 299 Pionieren erreicht.

Vergrößerung des Zweigbüros

Die Zunahme der Königreichsverkündiger in Argentinien machte eine Vergrößerung des Zweigbüros erforderlich. Von 1940 an hatte das Zweigbüro der Watch Tower Society seinen Sitz in der Calle Honduras 5646 in Buenos Aires. Das Gebäude wurde abgerissen, und im Oktober 1962 war ein neues, größeres Gebäude auf demselben Grundstück erstellt und bezugsfertig geworden.

Gegen Ende der 60er Jahre war auch dieses Gebäude zu klein geworden und konnte nicht mehr mit dem Wachstum Schritt halten. Man erwarb ein Stück Land hinter dem Zweiggebäude, und die einheimischen Zeugen bauten ein neues Wohn- und Bürogebäude. Außerdem wurde in der Calle Fitz Roy ein Haus gekauft, das an das alte und an das neue Zweiggebäude grenzte. Mit dem Abriß des alten Gebäudes wurde im Oktober 1970 begonnen. Die Arbeit wurde hauptsächlich von einheimischen Zeugen getan, die auf dem Bausektor Erfahrung hatten. Nach der regulären Arbeitszeit packten auch Bethelmitarbeiter mit an. Und an Wochenenden schlossen sich ihnen Zeugen Jehovas aus nahe gelegenen Versammlungen an.

Schließlich wurden alle drei Gebäude miteinander verbunden, wodurch ein einziger Gebäudekomplex entstand. Im Oktober 1974 hielt F. W. Franz, der damalige Vizepräsident der Watch Tower Society, die Ansprache zur Bestimmungsübergabe. Die Brüder in Argentinien dachten, der fertiggestellte Gebäudekomplex werde sicherlich den Anforderungen des Predigtwerks bis Harmagedon genügen. Ihnen war nicht bewußt, daß dies erst der Anfang war.

Im selben Jahr, als die Zweiggebäude der Bestimmung übergeben wurden (1974), entschied die leitende Körperschaft der Zeugen Jehovas, daß die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! im Land gedruckt werden sollten. Da Jehovas Zeugen damals als Religionsgemeinschaft in Argentinien noch nicht rechtlich anerkannt waren, wurde im Dezember 1974 die Asociación Cultural Rioplatense gegründet, um ein Rechtsinstrument zu haben und die Druckereiausrüstung einführen zu können. Eine Druckpresse kam aus Frankreich, ein Dreischneider aus Deutschland und eine Heftmaschine aus den Vereinigten Staaten. Alles waren Geschenke.

Die Mitarbeiter in der Druckerei freuten sich zwar über die Maschinen, aber sie hätten auch gern gewußt, wie man sie bedient. Es mußten zwar viele Schwierigkeiten überwunden werden, doch alle waren froh, als die Wachtturm-Ausgabe vom 15. April 1975 gedruckt werden konnte — auf der ersten Rollenoffsetpresse, die die Watch Tower Society überhaupt einsetzte. Das war ein Meilenstein in der Geschichte der Drucktätigkeit der Zeugen Jehovas.

Internationale Kongresse „Göttlicher Sieg“

Zu Beginn des Jahres 1974 freuten sich Jehovas Zeugen in Argentinien über internationale Kongresse, die unter dem Motto „Göttlicher Sieg“ in Río Ceballos und in Buenos Aires stattfanden. Etwa 15 000 Delegierte waren anwesend.

Schon Monate im voraus bereitete man sich darauf vor, die zahlreichen Besucher unterzubringen. Viele Außenstehende nahmen Delegierte auf, die ihrerseits durch Wort und Tat ein gutes Zeugnis gaben (1. Joh. 3:18). Die Behörden genehmigten die Errichtung einer Zeltstadt auf einem großen Feld — dort wurden dann Wohnwagen und Zelte ordentlich in Reih und Glied aufgestellt. Den Straßen gab man biblische Namen. All das wirkte sich günstig auf die dort lebenden Menschen aus.

Drohende Gefahr am Horizont

Die zunehmende religiöse Freiheit war für die Brüder ein Grund zur Freude, aber es standen ihnen noch schwere Zeiten bevor. Im Juni 1973 kehrte Juan Perón aus dem mehr als 17 Jahre dauernden Exil zurück und übernahm wieder das Amt des Präsidenten. Guerillakämpfe zwischen Peronisten und antiperonistischen Splittergruppen wirkten sich verheerend auf das Land aus. Politische Gewaltakte nahmen zu, und am 24. März 1976 übernahm das Militär die Regierung.

Die Militärjunta löste das Parlament auf und begann gegen die Anhänger der Linken vorzugehen, um sie auszurotten. „Bei diesem Vorgehen“, so bemerkt The World Book Encyclopedia, „wurden die Bürgerrechte vieler Menschen verletzt. Tausende wurden ohne Gerichtsverhandlung eingesperrt, gefoltert und umgebracht. Viele dieser Opfer wurden nie mehr gesehen. Man nennt sie los desaparecidos (die Verschwundenen).“ Die Polizei überwachte verstärkt die Aktivitäten der Bürger. Obwohl sich Jehovas Zeugen inmitten der politischen Unruhen neutral verhielten, erschien in der Zeitschrift Gente im Juli 1976 ein Artikel, in dem Kinder — angeblich von Jehovas Zeugen — abgebildet waren, die der Fahne den Rücken kehrten. Das war eine grobe Verdrehung der Wahrheit. Die vier Kinder von Zeugen Jehovas, die in der Gegend wohnten, waren an dem Tag, als das Foto angeblich gemacht wurde, gar nicht in der Schule gewesen. Überdies verhalten sich Jehovas Zeugen gegenüber Staatssymbolen nicht respektlos. Dennoch bewirkte diese Art Propaganda, daß viele nun den Zeugen gegenüber feindlich gesinnt waren.

Offenbar wurde die Regierung wegen der sozialen Unruhen schon bei den geringsten Anzeichen von Unstimmigkeiten nervös. In dieser Zeit besuchte Carlos Ferencia, ein reisender Aufseher, eine Versammlung in einer sehr gefährlichen Gegend. Er hatte gerade einen Brief vom Zweigbüro erhalten, der ihn darüber informierte, daß ein Verbot des Werkes der Zeugen Jehovas in Argentinien unmittelbar bevorstehe. Als Carlos die Straße entlangging und über den Brief nachdachte, überholte ihn ein Auto, kehrte um und fuhr genau auf ihn zu. Drei Männer stiegen aus und richteten ihr Gewehr auf Carlos. Einer der Männer forderte ihn schroff auf, sich auszuweisen. Carlos erklärte, er sei ein Zeuge Jehovas. Trotzdem nahmen sie ihn mit auf die Polizeistation. Er betete zu Jehova, dieser möge verhindern, daß sie den Brief fänden.

Die Polizisten brachten Carlos in einen schlecht beleuchteten Raum und richteten eine helle Lampe auf ihn. Einer von ihnen schrie ihn an: „Was haben Sie da in Ihrer Tasche?“ Der Inhalt seiner Büchertasche landete auf dem Tisch — eine Bibel, einige Zeitschriften und der Brief.

Einer der Polizisten rief aus: „Der Wachtturm! Der Wachtturm! Staatsgefährdend, staatsgefährdend!“

Aber der diensthabende Beamte wies ihn zurecht: „Halt den Mund! Hast du noch nie einen Wachtturm gesehen, du Dummkopf?“

Unterdessen bemühte sich Carlos, ruhig zu bleiben und Respekt zu zeigen. Nachdem die Polizisten die Veröffentlichungen untersucht hatten, forderten sie ihn auf, alles wieder einzupacken. Ein Beamter fiel jedoch dem anderen ins Wort und sagte: „Was ist in dem Briefumschlag?“

Carlos reichte dem Beamten den Umschlag mit dem Brief der Gesellschaft, wartete einige Sekunden und fragte dann: „Entschuldigen Sie bitte, darf ich etwas sagen?“

„Aber natürlich“, erwiderte der Beamte und schaute von dem Brief auf.

Carlos fuhr fort: „Mir ist bewußt, daß Sie sich um die Sicherheit am Ort kümmern.“ Das ließ den Beamten aufhorchen. Dann zeigte ihm Carlos aus der Bibel, daß sich durch die zu jener Zeit herrschende Gewalt biblische Prophezeiungen erfüllten.

Als er fertig war, sagte der Beamte: „Ich bin auf Ihrer Seite, mein Freund.“ Damit gab er den Brief zurück, ohne ihn gelesen zu haben.

Das verbotene Werk nochmals verboten

Woher wußte das Zweigbüro von dem bevorstehenden Verbot? Ende August 1976 war die Bundespolizei in das Zweigbüro der Gesellschaft eingedrungen. Der Polizeiinspektor sagte, ihm sei berichtet worden, im Zweigbüro wären Schußwaffen gelagert. Bruder Humberto Cairo, der damals zum Zweigkomitee gehörte, begleitete die Beamten zum Literaturlager. Natürlich gab es dort keine Waffen, mit Ausnahme der Waffen, die die Polizisten auf Humberto gerichtet hielten. Die Beamten führten ihn dann in den zweiten Stock zu Bruder Eisenhower, dem Koordinator des Zweigkomitees. Dort verfaßte der Inspektor einen Bericht über das Ergebnis der Untersuchung und ließ ihn von den Brüdern unterschreiben. Er teilte ihnen mit, es sei eine amtliche Verordnung, Jehovas Zeugen betreffend, in Vorbereitung. Unmittelbar danach schrieb das Zweigkomitee einen Brief an alle reisenden Aufseher, um sie auf ein staatliches Verbot vorzubereiten.

Aber das Werk der Zeugen Jehovas in Argentinien stand bereits seit 1950 unter Verbot. Sollte das bereits verbotene Werk nochmals verboten werden? Die Antwort kam unverzüglich. Tomás Kardos, der dem Zweigkomitee angehört, erinnert sich, was am 7. September 1976, dem Tag, als das neue Verbot wirksam wurde, geschah: „Um 5 Uhr morgens wurden wir von Lärm auf der Straße geweckt. Rotes Licht blitzte auf und drang durch die Fensterläden. Meine Frau erhob sich schnell, schaute aus dem Fenster, drehte sich zu mir um und sagte nur: ‚Sie sind da.‘ “

Vier schwerbewaffnete Polizisten sprangen aus dem Polizeifahrzeug. Sofort wurden vor den Büros und vor der Druckerei Wachtposten aufgestellt. Bruder Kardos fährt fort: „Wir wollten wissen, ob wir wie gewohnt unseren Tagestext betrachten und frühstücken könnten. Die Beamten hatten nichts dagegen. Also besprachen wir an jenem Morgen einen Bibeltext, während ein bewaffneter Polizist die Tür bewachte und ein anderer respektvoll am Tisch saß. Wir waren gespannt, was als nächstes passieren würde.“

Mit der Verordnung vom 31. August 1976 wurde das Werk der Zeugen Jehovas im gesamten Land verboten — im Grunde genommen wurden Tätigkeiten untersagt, die bereits seit 1950 unter Verbot standen. Die Polizisten versiegelten den Bürobereich und die Druckerei des Zweiges. Kurze Zeit später wurden alle Königreichssäle im Land geschlossen.

Trotzdem waren die Brüder entschlossen, dem Beispiel der Apostel Jesu zu folgen und Gott, dem Herrscher, mehr zu gehorchen als den Menschen (Apg. 5:29). Die argentinischen Zeugen fuhren fort, die Botschaft der Bibel auch „in unruhvoller Zeit“ zu predigen (2. Tim. 4:2).

Schwierigkeiten überwinden

Da das Zweigbüro offiziell geschlossen worden war, entschied das Zweigkomitee, für die Büros und die Druckerei neue Standorte zu suchen. Humberto Cairo mußte sein „Büro“ fast jeden Monat an einen neuen Standort verlegen. Entweder war es ein Apartment, ein Geschäftsraum, eine Wohnung oder das Büro eines seiner Glaubensbrüder. Charles Eisenhower verrichtete seine Arbeit sogar einmal von einer Weinhandlung aus, die einem Bruder gehörte. Besprechungen des Zweigkomitees fanden in Garagen im Stadtzentrum von Buenos Aires statt.

Der Wohnbereich der Bethelfamilie war nicht geschlossen worden, so daß die Mitarbeiter im Bethelheim schlafen, essen und den Tagestext als Familie zusammen betrachten konnten. Danach begaben sie sich an ihren jeweiligen Arbeitsplatz. Wer sein Büro in der Nähe hatte, kehrte mittags ins Bethel zurück und aß zusammen mit denen, die sich um das Haus kümmerten.

Die Polizei betrachtete die Tätigkeit der Bethelmitarbeiter mit Argwohn. Mehrmals wurde die gesamte Bethelfamilie — etwa 10 Personen — zur Vernehmung ins Polizeipräsidium geladen. Die Polizei wollte alles über das Werk der Zeugen Jehovas in Argentinien wissen. Wer waren die Verantwortlichen in den Ortsversammlungen, und wo wohnten sie? Bruder Eisenhower erinnert sich noch genau an solche Verhöre. Er erzählt: „Wir mußten die Wahrheit sagen, durften aber weder das Werk noch die Brüder gefährden. Es war ziemlich schwierig, denn die Beamten waren beim Verhör sehr hartnäckig.“

„Teetrinken absagen“

Kurz bevor das Verbot 1976 verhängt wurde, hatte die Gesellschaft Vorbereitungen für die weltweite Verbreitung einer Sonderausgabe der Königreichsnachrichten getroffen. Wie sollten wir uns verhalten, wenn der Staat die Tätigkeit der Zeugen Jehovas weiter einschränken würde? Pablo Giusti, der damals im Reisedienst tätig war, erinnert sich: „Da wir es nicht wußten, mußten wir im Zweigbüro nachfragen. Sollten die Brüder im Zweigbüro es für angebracht halten, den Feldzug zu verschieben, würden die Ältesten ein Telegramm folgenden Inhalts erhalten: ‚Teetrinken absagen‘. Wir ahnten nicht, welch ein Mißverständnis sich aus dieser Anweisung ergeben würde.“

Kurz nachdem der staatliche Erlaß wirksam geworden war, besuchten Bruder und Schwester Giusti zum erstenmal die Versammlung Malargüe. Das war im Süden von Mendoza, wo die Grenzpolizei ihren Hauptsitz hatte. Die Giustis besaßen nur die Adresse eines Ältesten, der in einem Gebäude der staatlichen Autobahnmeisterei außerhalb der Stadt arbeitete und wohnte. Der Älteste war gerade nicht da, aber ein Arbeiter meinte, er sei wahrscheinlich im nahe gelegenen Wald, wo er oft Freiübungen mache. Während sich Bruder Giusti mit seiner Frau auf den Weg machte, fiel ihm auf, wie einsam und verlassen die Gegend war. Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß dies ein idealer Ort sei, um sich zu versammeln, ohne Mißtrauen zu erregen. Da gerade Sonntag war, fragte er sich, ob die Versammlung sich hier wohl zu einer Zusammenkunft eingefunden habe. Doch sie trafen nur den Bruder bei seinen Freiübungen. Die Giustis sollten eine Überraschung erleben!

Nachdem sie sich vorgestellt hatten, erkundigte sich Pablo nach der Versammlung. Der Bruder sagte: „Oh, hier in Malargüe haben wir alles abgesagt.“

Pablo entgegnete: „Was meinst du mit alles?“

Die Antwort war kurz und bündig: „Wir erhielten ein Telegramm mit dem Wortlaut: ‚Teetrinken absagen‘. Also sagten wir die Zusammenkünfte, die Predigttätigkeit ... und alles andere ab.“ Glücklicherweise war es die einzige Versammlung, die so vorging.

Besuche im Eiltempo

Nachdem das Zweigbüro geschlossen worden war, kamen die Mitglieder des Zweigkomitees mit den Kreisaufsehern zusammen, um ihnen Anweisungen zu geben, wie sie ihre Tätigkeit fortsetzen konnten. Es wurde ihnen der Rat gegeben, sich nach einer Teilzeitbeschäftigung umzusehen und sich eine ständige Adresse zuzulegen, damit möglichst niemand wegen ihrer Tätigkeit Verdacht schöpfte. Die meisten von ihnen betätigten sich in den Vormittagsstunden als fliegende Händler, und nachmittags dienten sie den Versammlungen.

Mit den Anweisungen vom Zweigbüro machten die Kreisaufseher in ihrem Kreis eine Runde im Eiltempo. In nur einer Woche besuchten sie jeweils die Ältesten von etwa 20 Versammlungen. Die Kreisaufseher erklärten ihnen, wie die Zusammenkünfte und die Zeugnistätigkeit angesichts der veränderten Umstände durchgeführt werden sollten. Außerdem wurden die Ältesten davon unterrichtet, daß die Besuche der Kreisaufseher nicht unbedingt eine ganze Woche dauern würden; ausschlaggebend wäre die Zahl der Buchstudien in der Versammlung. Die Zusammenkünfte sollten in Privatwohnungen stattfinden, und jeden Tag würde eine andere Gruppe besucht werden.

Die Kreisaufseher waren während des Verbots maßgeblich daran beteiligt, die Verbindung zwischen den Verkündigern im Land und dem Zweigkomitee aufrechtzuerhalten. Mario Menna, der damals als Kreisaufseher tätig war, erinnert sich: „Es war wirklich ein Vorrecht, den Versammlungen zu dienen und die Brüder in jenen Jahren zu ermuntern. Wir bemühten uns, sie mit Tonbandaufnahmen von Kongreßprogrammen, neuen Veröffentlichungen, die wir aus Nachbarländern erhielten, oder erbauenden Erfahrungen zu stärken.“

Was würden die Missionare tun?

Die sozialen Unruhen nahmen zu. Da Ausländer nicht gut angesehen waren, wurde Missionaren die Möglichkeit eingeräumt, eine andere Zuteilung anzutreten. Einige machten davon Gebrauch und dienten treu in ihrem neuen Gebiet.

Andere blieben in Argentinien. Mary Helmbrecht aus der 13. Klasse der Gileadschule war in Rosario (Santa Fe) tätig. An dem Morgen, als das Verbot rechtskräftig wurde, ging sie zu einem Haus und klingelte. Es war ein warmer Sommermorgen, und die Tür stand offen. Ein Radio spielte. Plötzlich hörte Mary die Meldung, daß das Werk der Zeugen Jehovas in ganz Argentinien verboten sei. „Als die Dame des Hauses zur Tür kam, blieb ich gelassen“, berichtet Mary, „und gab wie gewohnt Zeugnis. Den ganzen Morgen setzten wir unseren Dienst wie geplant fort. Wir hatten den Eindruck, daß es dort, wo wir uns befanden, keine größeren Schwierigkeiten geben würde, und so beschlossen wir zu bleiben. Wir waren froh, daß wir uns so entschieden hatten. Als die etwas ‚Ängstlichen‘ in den Versammlungen sahen, daß uns beim Predigen nichts passierte, schlossen sie sich uns bald an“ (1. Thes. 5:11).

Verborgene Schätze

Die einheimischen Zeugen bewiesen in dieser ungünstigen Zeit Mut und Einfallsreichtum. Robert Nieto berichtet: „Einem mitfühlenden Friedensrichter hatten wir den Hinweis zu verdanken, daß die Königreichssäle geschlossen und die Literatur beschlagnahmt werden sollte. Sofort fuhren wir mit zwei Autos zum Königreichssaal und holten die große Menge der dort gelagerten Literatur. Beim Wegfahren sahen wir, daß von der anderen Seite die Polizei und das Militär kamen, um den Befehl auszuführen, den Königreichssaal zu schließen und die Literatur zu beschlagnahmen. Allerdings konnten sie nur den ersten Teil ihres Auftrags erfüllen, denn die einzigen noch vorhandenen Bücher waren die in der Bibliothek.“

An einem anderen Ort gingen die Versammlungsältesten nachts heimlich in den Königreichssaal und holten unbemerkt die Literatur heraus. Später verpackten sie sie in Päckchen und verteilten sie unter den Brüdern.

In Tucumán versteckte Nérida de Luna Literatur in ihrer Wohnung. Sie erzählt: „Wir verstauten die Bücher in riesigen Blumentöpfen und Urnen und setzten obendrauf künstliche Pflanzen. Außerdem versteckten wir Literaturkartons in der Waschküche. Eines Morgens kamen zwei Soldaten und durchsuchten das ganze Haus — einschließlich der Waschküche —, währenddessen standen wir einfach nur da und beteten flehentlich. Sie fanden absolut nichts.“

Versorgung mit geistiger Speise

Der Literaturvorrat, den die einheimischen Brüder retten und verstecken konnten, war natürlich bald erschöpft. Doch Jehova versorgte die Brüder weiterhin mit geistiger Speise. Die Druckerei in der Calle Fitz Roy war zwar geschlossen, aber das Drucken ging an anderen Orten in Buenos Aires weiter. Die Zeitschriften wurden auch in den Provinzen Santa Fe und Córdoba gedruckt. Gesammelt wurden die Druckbogen woanders. Anfangs erhielten die Versammlungen nur eine Zeitschrift pro Studiengruppe, aber später bekam jeder Verkündiger ein Exemplar. Eine der Druckereien befand sich auf dem Dachboden eines Hauses, das nur zwei Blocks vom Amtssitz des Präsidenten entfernt war.

Rubén Carlucci hatte während des Verbots mit dem Drucken und dem Versenden der Literatur zu tun. Wie er sich erinnert, wurden die Brüder einmal von der Besitzerin eines Hauses, in dem gedruckt wurde, darüber informiert, daß die Militärpolizei in der Gegend jedes Haus durchsuchte. Sofort hörten die Brüder mit dem Drucken auf und luden in Windeseile alles — mit Ausnahme der Druckpresse — auf einen Lkw. Rubén berichtet: „Die Suche war umfassend und gründlich; wir waren umstellt und konnten das Gebiet nicht verlassen. In der Nähe entdeckten wir ein Restaurant; wir gingen hinein und warteten so lange, bis die Aktion vorbei war. Es vergingen vier Stunden. Doch es lohnte sich, denn die Brüder erhielten schließlich die wertvolle Literatur.“

„Pepita, die Revolverheldin“

Die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! wurden eine Zeitlang heimlich in einem halbfertigen Gebäude in der Hauptstadt gesammelt und geheftet. Das Gebäude sollte ursprünglich ein Königreichssaal werden. Luisa Fernández, eine langjährige Bethelmitarbeiterin, war dort tätig. Eines Morgens, als Luisa und die anderen Mitarbeiter gerade mit der Arbeit angefangen hatten, klopfte es. Es war ein Polizeiinspektor. Er unterrichtete sie davon, daß sich die Nachbarn wegen des Maschinenlärms beschwert hätten. „Das war nur allzu verständlich, denn die Heftmaschine war so laut, daß wir sie scherzhaft Pepita la Pistolera (Pepita, die Revolverheldin) nannten“, erzählt Luisa.

Genau in diesem Augenblick kam ein Mitglied des Zweigkomitees dazu und erklärte, womit wir beschäftigt waren. Der Inspektor sagte: „Wenn ich heute nachmittag zurückkomme und niemanden antreffe, habe ich nichts gesehen.“ Sofort fingen die Brüder an, alles auf Lkws zu laden. Nach zwei Stunden war keine Spur mehr davon zu sehen, daß dort einmal Zeitschriften geheftet worden waren.

Wohin brachten sie die Maschinen? Die Druckerei im Zweigbüro hatte man zwar geschlossen, aber es war möglich, durch die Hintertür in das Gebäude zu gelangen. Luisa und andere schafften alles in die alte Betheldruckerei und sammelten dort die Zeitschriften, ohne daß es jemand bemerkte.

Besser als eine Keksfabrik

Damit Zeitschriften hergestellt und in ganz Argentinien verteilt werden konnten, mußten sie auch in anderen Teilen des Landes gesammelt werden. Leonilda Martineli, die seit 1957 Sonderpionierin ist, half in Rosario dabei mit. Wenn die Druckbogen, die gesammelt werden sollten, eintrafen, stellten die für diese Arbeit eingeteilten Brüder und Schwestern einen langen Tisch auf und stapelten darauf die Druckbogen in numerierter Reihenfolge. Jeder Mitarbeiter ging von einem Ende des Tisches bis zum anderen Ende und sammelte dabei die betreffenden Seiten ein. War ein Stoß Zeitschriften fertig, wurden sie gestapelt. Dann mußte die Luft herausgepreßt werden, damit mehr Zeitschriften in einen Karton paßten. Da es keine hydraulische Presse gab, übernahm eine vollschlanke Schwester die Aufgabe. War ein ansehnlicher Stapel zusammengekommen, setzte sie sich so lange darauf, bis er schön flach war. Dann wurden die Zeitschriften von einem anderen Mitarbeiter fein säuberlich in Kartons gepackt. Diese Methode funktionierte so gut, daß die Mitarbeiter die Schwester baten, ja keine Schlankheitskur zu machen.

In der Stadt Santa Fe bot Familie Gaitán ihre Wohnung für das besagte Zeitschriftensammeln an. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bemerkten Nachbarn, daß Kartons sowohl ins Haus als auch aus dem Haus getragen wurden. Sie dachten, die Familie stelle Kekse her. Nach einiger Zeit — im Jahr 1979 — verlegte das Zweigbüro die Tätigkeit an einen anderen Ort. Die Nachbarn wunderten sich und fragten später, ob die Keksfabrik ihren Betrieb eingestellt habe. Schwester Gaitán sagt rückblickend: „Die ‚Kekse‘, die wir herstellten, waren köstlich und viel nahrhafter, als die Nachbarn ahnten.“

Die Verteilung der Literatur

Zeitschriften und Literatur an die Brüder zu verteilen war mit Schwierigkeiten ganz anderer Art verbunden. Im Großraum Buenos Aires legte man eine Route fest und brachte die Zeitschriften zu günstig gelegenen Literaturdepots. Als Rubén Carlucci einmal Zeitschriften auslieferte und nur noch eine Abladestelle übrig war, gab ihm ein Polizist ein Zeichen, daß er hinter seinem Streifenwagen anhalten solle. Etwas nervös gehorchte Rubén, während er ständig zu Jehova um Hilfe betete. Als er an den Straßenrand fuhr und anhielt, kam der Beamte zu ihm und sagte: „Würden Sie bitte so freundlich sein und mich anschieben? Mein Fahrzeug springt nicht an.“ Rubén atmete erleichtert auf und kam der Bitte nur zu gern nach. Frohen Herzens lieferte er dann die letzten Zeitschriften aus.

Dante Doboletta, der als Kreisaufseher in Rosario (Santa Fe) tätig war, holte die Zeitschriften von der Sammelstelle und brachte sie zu allen Versammlungen in seinem Kreis. Insgesamt legte er mindestens zweimal im Monat ungefähr 200 Kilometer zurück. Um nicht gesehen zu werden, machte er seine Runden in der Nacht. Wenn er mit seiner regulären Tätigkeit in einer Versammlung fertig war, fuhr er los und kam manchmal erst im Morgengrauen zurück. Einmal sah er an einem Kontrollpunkt eine lange Reihe Fahrzeuge stehen. Über 30 schwerbewaffnete Soldaten überprüften sorgfältig Ausweispapiere und Gepäck. Ein Soldat fragte Dante: „Was haben Sie in Ihrem Wagen?“

„Meine Sachen“, entgegnete Dante.

Der Soldat sagte: „Beeilen Sie sich, öffnen Sie den Kofferraum!“

Daraufhin sagte Dante: „Wir sind Zeugen Jehovas. Was könnten wir wohl bei uns haben?“

Ein Soldat in der Nähe bekam den Wortwechsel mit und sagte: „Laß sie laufen. Zeugen Jehovas haben niemals Waffen oder Schmuggelware bei sich.“ Zwei Jahre lang war es Dante möglich, die Literatur zu verteilen, ohne kontrolliert zu werden.

Das Zusammenkommen nicht aufgegeben

Jehovas Zeugen in Argentinien gaben während der ganzen Verbotszeit ‘das Zusammenkommen nicht auf’, nicht einmal in der Woche, in der das Verbot verhängt wurde (Heb. 10:25). Sie versammelten sich in kleinen Gruppen und änderten auch häufig Ort und Zeit der Zusammenkünfte. Das bedeutete mehr Arbeit für die Ältesten, denn häufig mußten sie die gleiche Zusammenkunft in mehreren Wohnungen leiten.

In der Kleinstadt Totoras lag das einzige Haus, das sich für Zusammenkünfte eignete, im Zentrum der Stadt. Die einheimischen Zeugen trafen daher zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen. Bruder Reverberi, der Hauseigentümer, stellte einen ganz normal aussehenden Tisch mit einer Schublade her, in der allerlei Krimskrams Platz hatte. Die Tischplatte konnte man jedoch hochheben, und darunter war Platz, um Bücher und Zeitschriften zu verstecken. Wenn es an der Tür klopfte, verschwand die ganze Literatur schnell im Tisch.

Bei den Zusammenkünften waren die Verkündiger leger gekleidet. Die Schwestern hatten manchmal Lockenwickler im Haar, trugen lange Hosen und waren mit Einkaufstaschen ausgerüstet. Die Zusammenkünfte nannte man liebevoll mateadas. Maté ist ein Tee, der häufig zusammen mit Gebäck oder Kuchen serviert wird. Zusammenzukommen, um Maté zu trinken, ist in Argentinien ein sehr beliebter Brauch. Dieser Rahmen war also eine ideale Tarnung für eine christliche Zusammenkunft.

Dennoch gab es spannungsgeladene Momente. Teresa Spadini war eine treue, gastfreundliche Schwester, die einen ausgezeichneten Ruf in der Nachbarschaft genoß. Anläßlich eines Kreisaufseherbesuchs hatten sich 35 Personen bei ihr eingefunden. Plötzlich hielt ein Streifenwagen vor dem Haus, und ein Polizeibeamter klopfte an die Tür. Augenblicklich setzte sich der Bruder, der den Vortrag hielt, zu den anderen. Als Teresa die Tür öffnete, fragte der Beamte: „Teresa, darf ich das Telefon benutzen?“

Als sein Blick auf die versammelte Gruppe fiel, erklärte Teresa: „Wir haben ein Familientreffen.“ Während der Beamte die Polizeistation anrief, hielten die Anwesenden den Atem an, weil sie dachten, er würde ein Polizeifahrzeug herbeirufen, um sie alle abholen zu lassen. Doch zu ihrer Erleichterung hatte der Anruf einen anderen Grund. Als er fertig war, bedankte er sich bei Teresa, und zu den Versammelten gewandt, sagte er: „Entschuldigen Sie bitte die Störung, und viel Spaß noch.“

Verhalten bei Razzien

Als eine Gruppe anläßlich einer Taufe versammelt war, informierte eine Nachbarin die Polizei. Da die Brüder ohnehin schon ein asado (Grillfest) als Vorwand für ihre Zusammenkunft geplant hatten, ließen sie sich bei ihren Vorbereitungen nicht stören. Gebratenes Fleisch gilt in Argentinien als ein Lieblingsgericht, und niemand hatte etwas gegen eine solch köstliche Tarnung einzuwenden. Als die ungeladenen „Gäste“ in einem Militärlastwagen auftauchten, wurden sie von den Brüdern und Schwestern zu diesem netten Beisammensein herzlich eingeladen. Die Soldaten lehnten ab, ohne herauszufinden, was es als „Nachtisch“ gegeben hätte.

Manchmal sind Ausdrücke, die Jehovas Zeugen intern benutzen, ein Schutz. Einmal informierten Nachbarn die Behörden über eine Zusammenkunft in einer Privatwohnung. Die Beamten trafen ein, als alle schon gegangen waren — mit Ausnahme der Ältesten. Die Polizisten klopften, und die Schwester, die dort wohnte, sagte: „Außer den Dienern ist keiner mehr da.“

Die Beamten erwiderten: „Wir sind nicht an den Dienern interessiert, wir wollen die Verantwortlichen.“ So gingen sie unverrichteter Dinge wieder.

Predigen unter Verbot

Trotz der Einschränkungen wurde die Predigttätigkeit fortgesetzt. Natürlich waren die Brüder angesichts der schwierigen Verhältnisse vorsichtig. Gewöhnlich waren nicht mehr als zwei Zeugen gleichzeitig im Gebiet tätig. Sara Schellenberg erinnert sich noch, wie sie die Menschen in Buenos Aires besuchte. Sie erzählt: „Wir fertigten Miniatur-Gebietskarten an, nicht größer als unsere Handfläche. Auf der Rückseite waren auf einem ziehharmonikaartig gefalteten Stück Papier alle Hausnummern vermerkt. Wir sprachen jeweils nur in einem Haus auf jeder Seite eines Blocks vor und strichen danach die Hausnummer durch — der nächste Verkündiger, der das Gebiet bearbeitete, ging dann in ein anderes Haus. Anschließend wandten wir uns einem weiteren Block zu und sprachen in einer anderen Wohnung vor.“

Nicht lange nachdem diese Methode eingeführt worden war, ging Cecilia Mastronardi allein in den Predigtdienst. Gerade als sie an einer Tür klopfte, tauchte unvermittelt ein Polizist auf einem Motorrad auf. „Er fragte, was ich hier tue“, berichtet Cecilia. „Das einzige, was mir in den Sinn kam, war, ihm Zeugnis zu geben und das Buch Hat sich der Mensch entwickelt oder ist er erschaffen worden? anzubieten. Er nahm es entgegen, gab mir den Betrag dafür und verabschiedete sich freundlich. Erst dann wurde mir klar, daß er nicht angehalten hatte, um mich festzunehmen. Er wohnte in dem Haus, wo ich geklopft hatte.“

Um die Predigttätigkeit zu tarnen, wurden die verschiedensten Methoden angewandt. Eine Schwester nahm beispielsweise nur deshalb eine Beschäftigung bei einer Kosmetikfirma an, weil sie dadurch von Haus zu Haus gehen und mit den Kunden sprechen konnte. María Bruno, die jetzt 86 Jahre alt ist und 29 Jahre als allgemeine Pionierin tätig war, hatte gewöhnlich eine Tasche mit Zierpflanzen bei sich, die über den Rand hinausragten. Dadurch wurden Hausfrauen angeregt, mit ihr über Gartenarbeit zu reden. Dann lenkte Maria das Gespräch so, daß Samen der Wahrheit ausgesät werden konnte.

Auch Juan Víctor Buccheri, ein Ladenbesitzer, der kurz nach dem Verbot getauft worden war, wollte mit anderen über die gute Botschaft sprechen. Die Wände seines Ladens waren voller religiöser Bilder und Poster von Prominenten aus der Welt des Sports und der Unterhaltung gewesen. Nun brachte er Landschaftsbilder mit Bibeltexten darunter an. Das überraschte seine Kunden! Wer sich nach den Bildern oder den Texten erkundigte, erhielt von Bruder Buccheri Zeugnis. Auf diese Weise konnte er über zehn Bibelstudien einrichten. Einige der Studierenden kamen in die Wahrheit und sind bis heute treue Glaubensbrüder.

Die Leute mit der grünen Bibel

Die Schwierigkeiten während des Verbots hatten zur Folge, daß die argentinischen Verkündiger befähigtere Diener Gottes wurden. Da sie bei den ersten Besuchen nur die Bibel gebrauchten, wurden sie beim Aufschlagen der Bibelstellen immer geschickter, so daß sie Einwände überwinden und die Menschen trösten konnten.

Um keinen Verdacht zu erregen, verwendeten sie nicht nur die Neue-Welt-Übersetzung, sondern auch andere Bibeln. Als ein Bruder einmal die katholische Übersetzung Torres Amat, eine Bibel in altertümlichem Spanisch, verwendete, erlebte er eine Überraschung. Nachdem die Wohnungsinhaberin die vorgelesenen Texte mitverfolgt hatte, sie aber nicht verstand, schlug sie vor, eine Bibel zu holen, die viel verständlicher sei. Zu seiner großen Überraschung erschien sie mit der Neuen-Welt-Übersetzung.

In jenen Jahren war die Neue-Welt-Übersetzung mit einem grünen Einband versehen. Folglich war die Bevölkerung vor den Leuten mit der grünen Bibel gewarnt worden. Da jedoch nur wenige mit den staatlichen Anordnungen einverstanden waren, machte ein solches Verbot die Menschen nur neugierig. Eine Wohnungsinhaberin fragte eine Schwester einmal, welche Farbe ihre Bibel habe. Als die Schwester wahrheitsgetreu sagte, sie sei grün, meinte die Dame: „Gut, ich möchte wissen, was die Leute mit der grünen Bibel zu sagen haben.“ Sie bat die Schwester herein und unterhielt sich angeregt mit ihr.

Wer erhält die Bücher?

Eine Zeitlang setzten die Zeugen in Argentinien das Predigtwerk mit der Literatur fort, die sie zuvor versteckt hatten. Aber mit der Zeit war der Vorrat aufgebraucht, und es war unmöglich, neue Literatur einzuführen. Doch versiegelt in den Lagerräumen des Zweigbüros lagen 225 000 Bücher, die beschlagnahmt worden waren.

Die Bundespolizei hatte entschieden, die beschlagnahmten Bücher an eine Papier-Recyclingfirma zu verkaufen. Ein Transportdienst sollte die Bücher vom Bethel abholen und sie zur Recyclingfirma bringen. Es stellte sich heraus, daß der Fahrer mit einem Nachbarn, einem Zeugen Jehovas, einmal die Bibel studiert hatte. Als er sah, was er abgeholt hatte, fragte er seinen früheren Nachbarn, ob Jehovas Zeugen ihm die Bücher abkaufen wollten. Man traf entsprechende Regelungen, und mit polizeilicher Genehmigung wurden die Bücher an einen vom Zweigbüro bezeichneten Ort gebracht. Trotz des Verbots standen die 225 000 Bücher somit auf eine Weise zur Wiederverwertung bereit, wie es die Behörden ganz bestimmt nicht beabsichtigt hatten.

Außerdem sorgte Jehova durch mutige Brüder für sein Volk. Diese waren bereit, von der Gesellschaft veröffentlichte Bücher aus anderen Ländern zu holen. Norberto González, ein allgemeiner Pionier, berichtet: „Einmal vertraute uns ein Mitglied des Zweigkomitees in Uruguay 100 Lehrbücher für die Königreichsdienstschule an, die wir den verantwortlichen Brüdern in Argentinien aushändigen sollten. Es gelang uns, diese wichtigen Informationen ins Land zu bringen. Wir alle sprangen vor Freude in die Luft, als wir den Zoll sicher passiert hatten.“ Einem Bruder war es wahrscheinlich nicht möglich, sehr hoch zu springen, denn er hatte Schriften in seinem Holzbein versteckt.

Wie nie zuvor lernten die argentinischen Zeugen die Veröffentlichungen der Watch Tower Society schätzen. Zu Beginn des Verbots erhielt jede Studiengruppe nur ein Exemplar des Wachtturms. Dieses eine Exemplar kursierte unter allen Verkündigern. Die Fragen und Antworten für das Studium schrieben sie ab, damit sie sich am Antwortgeben beteiligen konnten (Phil. 4:12). Das Deckblatt des Wachtturms war unbeschriftet, um den Inhalt zu verheimlichen, doch die geistige Speise auf den Innenseiten war köstlich. Diese besonderen Vorkehrungen trugen zur Einheit und zur Stärkung der Brüder bei.

Wie man einen Kongreß geheimhält

Die argentinischen Brüder wurden durch Zusammenkünfte in kleinen Gruppen geistig ernährt, wobei sie die vorhandene Literatur verwendeten. Doch wie konnten sie Nutzen aus den Kongressen ziehen, an denen sich Jehovas Zeugen in anderen Teilen der Welt dreimal jährlich erfreuten? Die ersten Kongresse nach dem Verbot wurden Pilotkongresse genannt. Nur die Ältesten mit ihren Familien waren anwesend. Später wiederholten die Ältesten das Programm in ihren eigenen Versammlungen. Héctor Chap, der seit vielen Jahren unermüdlich als reisender Aufseher dient, berichtet: „Manchmal fanden Kongresse auf einer Wiese statt. Draußen auf dem Lande waren wir von Nutztieren umgeben. Wir bemerkten sie kaum, denn wir konzentrierten uns völlig auf das, was gesagt wurde. Viele Brüder nahmen das Programm für diejenigen auf, die nicht anwesend sein konnten. Später gab es beim Abhören viel zu lachen, weil außer den Vorträgen brüllende Kühe, krähende Hähne und die Schreie der Esel zu hören waren.“

Die Brüder nannten die Kongresse liebevoll „Picknicks“, denn sie fanden häufig auf dem Lande statt. Eine beliebte Stelle in der Provinz Buenos Aires hieß Strago Murd; sie befand sich in einer ländlichen Gegend unweit der Grenze bei Santa Fe. Der Platz war ideal, weil er von Bäumen umgeben war, die eine gute Tarnung darstellten. Doch eines Tages mußten die Besucher des „Picknicks“ entsetzt feststellen, daß die wunderschönen Bäume gefällt worden waren. Obwohl die Tarnung nicht mehr bestand, ließen sie sich bei ihrem „Picknick“ nicht stören. Ein Baumstumpf diente dem Redner als Podium, und die anderen Baumstümpfe wurden zu Sitzplätzen für die Zuhörer.

Eine weitere Räumlichkeit, die die Brüder für ihre Kongresse nutzten, war eine Fabrik, die einem Zeugen Jehovas gehörte. Der Fabrikbesitzer hatte einen großen Lieferwagen, den er dazu benutzte, diejenigen abzuholen, die den Kongreß besuchen wollten. Der Fahrer machte seine Runde und ließ jeweils 10 bis 15 Brüder auf den Wagen steigen, fuhr dann zur Fabrik und ließ sie hinter der geschlossenen Garagentür aussteigen. Auf diese Weise versammelten sich ungefähr 100 Personen — unbemerkt von den Nachbarn und der Polizei. Andere argentinische Zeugen reisten in jenen Jahren nach Brasilien und Uruguay, um dort auf den Kongressen von den Vorkehrungen für das geistige Wohl zu profitieren.

Zusammenkünfte im Gefängnis

Schon vor dem Verbot im Jahr 1976 kam es für junge Brüder zu Prüfungen ihrer christlichen Lauterkeit, weil sie sich an den biblischen Grundsatz aus Jesaja 2:4 hielten, ‘den Krieg nicht mehr zu lernen’. Viele wurden zu Gefängnisstrafen zwischen drei und sechs Jahren verurteilt.

Sie suchten aber selbst im Gefängnis nach Möglichkeiten, die Bibel zu studieren und Zusammenkünfte abzuhalten. Sogar in den Strafanstalten sprachen sie eifrig über die Königreichsbotschaft. Älteste aus nahe gelegenen Versammlungen besuchten diese ergebenen jungen Männer, um sie zu ermuntern und sie mit lebenswichtiger geistiger Speise zu versorgen.

Omar Tschieder, der seit 1982 im Bethel tätig ist, saß von 1978 bis 1981 im Militärgefängnis Magdalena in der Provinz Buenos Aires, weil er es abgelehnt hatte, eine Militäruniform zu tragen. Das Gefängnis bestand aus mehreren Gebäuden mit jeweils 20 Zellen, die alle an einem Gang lagen und 6 Quadratmeter groß waren. Die 3 Zellen am Ende des Gangs nutzten die inhaftierten Zeugen für ihre Zusammenkünfte. In der Zelle hatten immer nur 10 bis 12 Personen Platz, daher fanden wöchentlich oft 8 bis 14 Zusammenkünfte statt.

Einer der Brüder mußte am Guckloch Wache halten und die Gruppe alarmieren, wenn sich jemand näherte. Sie dachten sich dafür verschiedene Warnsignale aus. Manchmal klopfte der Wächter nur an die Wand. Ein andermal zog er bei Gefahr an einer Schnur, deren anderes Ende jemand von den Zuhörern in der Hand hielt, wodurch die Gruppe alarmiert wurde. Eine weitere Methode war eine Äußerung mit einem Kennwort. Rief der Wächter beispielsweise: „Hat jemand einen Umschlag?“, dann wußten die Brüder, „Umschlag“ bedeutete, sich zu verstecken. Jeder kannte sein Versteck. Entweder war es unter dem Bett, hinter der Tür oder wo immer jemand von dem Gefängniswärter nicht gesehen werden konnte, falls dieser durch das Guckloch spähte. Das alles ging lautlos und blitzschnell über die Bühne. Sie mußten gut zusammenarbeiten.

Als einmal während einer Zusammenkunft Gefahr drohte, weil sich ein Fremder dem Gebäude näherte, versteckten sich die Brüder im Handumdrehen. Da öffnete ein Mitgefangener, der kein Zeuge Jehovas war, die Tür und legte etwas auf den Tisch. Beim Hinausgehen drehte er sich um und fragte: „Warum versteckt ihr euch alle?“ Genau in dem Moment ertönte die Trillerpfeife des Wachtpostens, der nach Freiwilligen für Reinigungsarbeiten suchte. Daher sagten die Brüder, sie würden sich vor dem Wachtposten verstecken. Der Besucher hatte Verständnis und ging schnell wieder. Die Brüder beendeten ihre Zusammenkunft ohne eine weitere Störung.

Eine geheime Gefängnisbibliothek

Wegen guter Führung wurden die Zeugen mit zusätzlichen Aufgaben betraut. Die Brüder arbeiteten an den Druckpressen des Gefängnisses und waren für das Theater, die Krankenstation und die Friseurstube zuständig. Um die Königreichsinteressen zu fördern, machten sie reichlich Gebrauch von ihren wohlverdienten Vorrechten. Aus den Bauzeichnungen des Magdalena-Gefängnisses ging hervor, daß das Theater eine rechteckige Form hatte, die Ecken jedoch abgerundet waren. Dadurch ergab sich hinter den Wänden ein Zwischenraum von 2,4 Meter Höhe, 1,8 Meter Breite und 1,2 Meter Tiefe. Dieser Raum eignete sich wunderbar für eine Bibliothek, in der Bibeln und andere Veröffentlichungen der Watch Tower Society verstaut werden konnten.

Héctor Varela, der drei Jahre in dem Gefängnis zubrachte, beschreibt, wie die Brüder in diesen Raum gelangten. Sie nahmen eine Wandverkleidung im Vorführraum weg und kletterten dann über eine Werkbank. Außerdem wurden Bücher in den Schränken der Speisesäle versteckt.

Manchmal wurde den Brüdern erlaubt, das Gefängnis für kurze Zeit zu verlassen, um ihre Familien zu besuchen. Bei dieser Gelegenheit brachten sie häufig die neusten Ausgaben des Wachtturms und des Erwachet! mit. Rodolfo Domínguez, gegenwärtig im Reisedienst, berichtet, was in diesem Zusammenhang einmal geschah. Er sagt: „Wir hatten die Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! unter der Kleidung versteckt. Als wir beim Gefängnis ankamen, sahen wir eine lange Schlange, denn die Wachleute durchsuchten die Zurückkehrenden gründlich. Wir kamen dem Kontrollpunkt immer näher. Doch gerade als wir an die Reihe kamen, wurden die Wachen abgelöst, und die Durchsuchung wurde eingestellt.“

Weiter berichtet Bruder Domínguez: „Im Gefängnis führten wir alle Versammlungszusammenkünfte durch. Ich hielt dort sogar meinen ersten öffentlichen Vortrag.“ Inhaftierte Zeugen konnten sogar biblische Dramen in Kostümen aufführen, was nur möglich war, weil sie von zu Hause einige persönliche Kleidungsstücke mitgebracht hatten. Die Wachen hatten keine Ahnung, wofür Sandalen, Togen und ähnliches Zubehör benötigt wurden.

Hinter Gittern Jünger gemacht

Das Werk des Predigens und Jüngermachens gedieh selbst hinter Gittern. Einer, dem der Eifer und das vortreffliche Benehmen der inhaftierten Brüder zugute kam, war Norberto Hein. Er diente in den bewaffneten Streitkräften Argentiniens, als er wegen eines Drogendelikts angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. In mehreren Gefängnissen lernte er junge Zeugen kennen, die eingesperrt waren, weil sie aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert hatten. Ihre Einstellung beeindruckte ihn, und während er in Puerto Belgrano einsaß, bat er um ein Bibelstudium. Innerhalb eines Monats hatte er das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt durchstudiert. Später wurde er in das Magdalena-Gefängnis verlegt, und 1979 ließ er sich im Gefängnis taufen.

„Die Taufansprache wurde an einem Sonntagabend um 21 Uhr gehalten“, erinnert sich Norberto. „Wir waren etwa 10 Anwesende, aber außerhalb der Zelle hielten weitere Brüder Wache. Nach der Ansprache ging ich mit zwei Brüdern in den Speisesaal, wo eine riesige Wanne zum Spülen von Töpfen und Pfannen stand.“ Norberto erinnert sich noch lebhaft an das kalte Wasser in der „Taufwanne“, denn es war Winter.

Obwohl er verfolgt wurde, weil er sich mit Jehovas Zeugen verband, blieb er standhaft im Dienst Jehovas (Heb. 11:27). Norberto und seine Frau María Esther haben über 15 Jahre treu im Bethel gedient.

„Bitten Sie Gott nicht, auch mich zu strafen“

Viele Gefängnisbeamte waren gegenüber den Zeugen tolerant, aber es gab auch einige, auf die das nicht zutraf. Ein Oberwärter in einem Militärgefängnis verweigerte den Brüdern jedesmal, wenn er Dienst hatte, Nahrung und Decken. Dieser Wärter war boshaft. Hugo Coronel berichtet: „Eines Morgens vor Sonnenaufgang stieß er meine Zellentür auf, zerrte mich heraus, deutete auf fünf bewaffnete Soldaten und sagte, meine Stunde sei gekommen. Er wollte mich zwingen, ein Schriftstück zu unterzeichnen, wodurch ich meinem Glauben abgeschworen hätte. Als ich mich weigerte, forderte er mich auf, meiner Mutter einen Brief zu schreiben, weil ich jetzt sterben würde. Zornentbrannt ließ er mich vor eine Ziegelwand treten und gab dem Exekutionskommando den Schießbefehl. Ich hörte nur die Schlagbolzen klicken, denn die Gewehre waren nicht geladen. Es war lediglich ein Trick, durch den man meine Lauterkeit brechen wollte. Der Wärter war davon überzeugt, daß ich vor Angst weinen würde, und kam zu mir herüber. Als er sah, wie ruhig ich war, verlor er die Beherrschung und fing an zu schreien. Ich wurde in meine Zelle zurückgebracht, leicht mitgenommen, aber glücklich, daß Jehova meine Bitten, standhaft zu bleiben, erhört hatte.“

Einige Tage bevor Hugo in ein anderes Gefängnis verlegt werden sollte, verkündete der Oberwärter im gesamten Kasernenkomplex, er werde Hugo am folgenden Tag zwingen, eine Uniform anzuziehen. Der Wärter sagte, selbst Jehova werde das nicht verhindern können. Was geschah? „Am nächsten Tag“, so berichtet Hugo, „erfuhren wir, daß der Wärter bei einem schrecklichen Autounfall regelrecht geköpft worden war. Das hatte eine nachhaltige Wirkung auf alle Gefängnisinsassen und das Personal. Die meisten glaubten, Gott habe den Soldaten für seine Prahlerei und seine Drohungen bestraft. Der Wärter, der mich an jenem Abend in die Zelle zurückbrachte, bat mich sogar flehentlich: ,Bitten Sie Gott nicht, auch mich zu strafen.‘ “ Hugo dient derzeit als Ältester in Villa Urquiza (Misiones).

Eines steht fest, diese jungen Männer, die den Militärdienst verweigerten, bewahrten unter äußerst schwierigen Umständen ihre Lauterkeit. Einigen drohten Gefängnisbeamte, sie umzubringen. Andere wurden geschlagen, man entzog ihnen die Nahrung oder steckte sie in Einzelhaft. Trotz der Behandlung, die diese Brüder zu ertragen hatten, gaben sie durch ihren Glauben und ihre Lauterkeit dem Militärpersonal und den Häftlingen ein eindrucksvolles Zeugnis.

Aus einem regelmäßigen Familienstudium Nutzen ziehen

Auch Kinder wurden aufgefordert ‘zu einer Verteidigung vor jedermann, der von ihnen einen Grund für die Hoffnung verlangte’ (1. Pet. 3:15). Die Söhne von Juan Carlos Barros waren damals sieben und acht Jahre alt und besuchten eine öffentliche Schule. Die Rektorin forderte den älteren der beiden vor der gesamten Klasse auf, die Fahne zu grüßen. Als er sich weigerte, schrie sie ihn an, schlug ihn und schubste ihn in Richtung Fahne. Trotzdem blieb er bei seiner Weigerung, die Fahne zu grüßen. Danach nahm sie die beiden Jungen mit in ihr Büro und versuchte eine Stunde lang, sie zu zwingen, patriotische Lieder zu singen. Als ihr dies nicht gelang, beschloß sie, die Kinder vom Schulunterricht auszuschließen.

Dieser Fall ging bis vor ein Verwaltungsgericht. Während der Anhörung nahm der Richter die Jungen zur Seite und befragte sie. Ihre prompten Antworten regten den Richter derart auf, daß er zu zittern anfing, mit der Faust auf den Tisch schlug und den Raum verließ. Nach 15 Minuten kam er zurück, noch immer sichtbar erregt. Doch die Entscheidung fiel zugunsten der Zeugen aus. Nach Verkündung des positiven Urteils wandte sich der Richter an Bruder Barros: „Sie haben wirklich eine nette Familie. Wenn alle Familien solche hohen Grundsätze hätten, wäre das Land in einem besseren Zustand.“ Bruder Barros bemerkt: „Diese Erfahrung führte mir klar vor Augen, wie nützlich ein regelmäßiges Familienstudium ist, damit unsere Kinder geschult werden, standhaft zu sein.“ Im Jahr 1979 bestätigte der Oberste Gerichtshof in Argentinien schließlich das Recht der Kinder auf Schulbildung.

Wieder günstigere Zeiten

Ab 1950 beantragte das Zweigbüro bei jeder neuen Regierung, Jehovas Zeugen als Religionsgemeinschaft rechtlich anzuerkennen. Für die rechtliche Anerkennung waren mehrere Schritte erforderlich. Zunächst mußte eine Rechtskörperschaft mit einer bestimmten Anzahl von Mitgliedern gegründet werden. Diese Körperschaft mußte soziale und religiöse Ziele verfolgen, zum Beispiel biblische Unterweisung vermitteln. Danach war sie einzutragen. Ihre Ziele mußten von Seiten des Staates für gesetzlich zulässig erklärt werden. War dies geschehen, so wurde eine Registriernummer vergeben. Unter dieser Nummer konnte die rechtliche Anerkennung als Religionsgemeinschaft beantragt werden. Bis 1981 wurde den Zeugen dies mit dem Vorwand verweigert, ihre sozialen und religiösen Ziele seien illegal, weil das Werk verboten war.

Im November 1976, nur zwei Monate nachdem das Werk der Zeugen Jehovas erneut verboten worden war, stellte das Zweigbüro beim argentinischen Staatsgerichtshof den Antrag, das Verbot aufzuheben. Außerdem legte das Zweigbüro in einigen Fällen Rechtsmittel ein. Dabei ging es beispielsweise um Kinder von Zeugen Jehovas, die von der Schule verwiesen worden waren, weil sie sich nicht an patriotischen Zeremonien beteiligt hatten, oder um Brüder, die Gefängnisstrafen verbüßen mußten, weil sie aus Gewissensgründen den Wehrdienst abgelehnt hatten. Auch gegen die Beschlagnahme der Veröffentlichungen der Watch Tower Society wurde Einspruch erhoben.

Am 10. Oktober 1978 wurden diese Beschwerden der für die amerikanischen Länder zuständigen Menschenrechtskommission vorgelegt. Die Kommission entschied, daß der Staat die Menschenrechte der Zeugen Jehovas verletzt habe und empfahl, das Verbot aufzuheben.

Am 12. Dezember 1980 entsprach die De-facto-Militärregierung der Empfehlung der Menschenrechtskommission und hob das Verbot auf. Dadurch war es dem Volk Jehovas in Argentinien erlaubt, sich frei zu versammeln. Wie sich die Brüder darüber freuten! Die Aktivitäten der Zeugen Jehovas waren nun zwar nicht mehr verboten, aber als Religionsgemeinschaft mußten sie erst noch rechtlich anerkannt werden.

Am 9. März 1984 anerkannte der Staat Jehovas Zeugen schließlich als Religionsgemeinschaft. Mit dem jahrelangen Kampf um die rechtliche Anerkennung war es nun vorbei. Endlich konnten unsere Königreichssäle durch Schilder kenntlich gemacht werden. Welch einen Jubel das unter den argentinischen Brüdern auslöste! Alle stimmten den folgenden Worten des Psalmisten zu: „Jehova hat Großes getan durch das, was er mit uns getan hat“ (Ps. 126:3).

Aber die rechtliche Anerkennung bedeutete viel mehr als ein Schild an einem Königreichssaal. Ciríaco Spina, ein christlicher Ältester in Buenos Aires, sagte: „Als das Verbot nicht mehr bestand und wir wieder große Kongresse abhalten konnten, wollten wir zur Ehre unseres Gottes, Jehova, die besten verfügbaren Räumlichkeiten benutzen. Wir hatten wiederholt versucht, das neue Stadion von Mar del Plata zu mieten, aber weil wir nicht rechtlich anerkannt waren, erhielten wir es nie. 1984 — Jehova sei Dank! — erlangten die Zeugen endlich die rechtliche Anerkennung. Seit einigen Jahren dürfen wir nun sowohl im Stadion als auch im neuen Sportzentrum Kongresse abhalten.“

Etliche Jahre waren vergangen, seit die Brüder die begeisternde Atmosphäre einer großen Zusammenkunft erlebt hatten. Daher entschied das Zweigbüro, den bevorstehenden Besuch des Zonenaufsehers Fred Wilson voll zu nutzen. In weniger als zwei Wochen wurden Vorbereitungen dafür getroffen, daß sich Brüder aus dem Großraum Buenos Aires zu der ersten großen Zusammenkunft nach dem Verbot im Vélez-Sarsfield-Stadion versammeln konnten. Trotz der kurzfristigen Ankündigung kamen am 15. Februar 1984 zu diesem freudigen geistigen Festmahl 30 000 Besucher (Ps. 42:4).

Nach dem Verbot

Unter der Militärjunta waren Tausende von Personen verschwunden und umgebracht worden. Überraschenderweise war — trotz der unnachgiebigen Haltung des Staates gegenüber Jehovas Zeugen — kein einziger Zeuge unter den Verschwundenen.

Keiner der Zeugen verlor sein Leben, aber durch das Verbot wurden sie bekannter. Wenn die Zeugen vor dem Verbot nach ihrer Religion gefragt wurden, waren viele über die Antwort „Jehovas Zeugen“ erstaunt. Das war nach dem Verbot nicht mehr der Fall. Susana de Puchetti, die seit 37 Jahren im Vollzeitdienst tätig ist, sagte: „Als das Verbot aufgehoben worden war, nannte man uns nicht mehr ‚Söhne Jehovas‘ oder ‚die Jehovas‘; auch verwechselte man uns nicht mehr mit evangelischen Gruppen. Während des Verbots wurde unser Name häufig im Radio und in der Presse richtig wiedergegeben. Das war ein positives Ergebnis — die Menschen akzeptierten schließlich den Namen ‚Jehovas Zeugen‘.“

Gesetzliche Freistellung vom Militärdienst

Etwa um die gleiche Zeit arrangierte Dr. María T. de Morini, Unterstaatssekretärin im Amt für Kultus, — die maßgeblich daran beteiligt war, daß Jehovas Zeugen als Religionsgemeinschaft anerkannt wurden — ein bedeutendes Treffen mit Vertretern der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas, dem Kultusminister und dem Verteidigungsminister. Es handelte sich um die Befreiung der Zeugen Jehovas vom Militärdienst. Das Zweigkomitee hatte gehofft, für allgemeine Pioniere eine Befreiung zu erwirken, doch der Staat war sogar zu mehr bereit.

Die Behörden waren gewillt, jeden freizustellen, der als Student galt, und alle, die in der Theokratischen Predigtdienstschule eingetragen waren, betrachtete man als Theologiestudenten. Wenn ein getaufter Bruder das 18. Lebensjahr erreicht und sich dem Musterungsbefehl zu stellen hatte, unterzeichneten die Ältesten seiner Versammlung ein Schriftstück, das seinen einwandfreien Lebenswandel bezeugte. Dieses Schreiben wurde dem Zweigbüro zur Unterzeichnung zugesandt und dann an die Registrierstelle für religiöse Angelegenheiten weitergeleitet. Dort stellte man ein Zeugnis aus, das der betreffende Bruder den Militärbehörden zwecks Befreiung vorlegte. Diese wirksame Methode wurde bis in die 90er Jahre beibehalten, als die Wehrpflicht abgeschafft wurde.

Überall erstaunliches Wachstum

Zwischen 1950 und 1980 war das Werk der Zeugen Jehovas vom Staat verboten. In dieser schwierigen Zeit hörten die Brüder nicht auf, eifrig zu predigen. Die Folge war, daß Jehova sie mit Wachstum segnete. 1950 gab es in Argentinien 1 416 Verkündiger, und 1980 waren es 36 050.

Nach der rechtlichen Anerkennung gab es weiteres Wachstum, und zwar im Einklang mit Jesaja 60:22, wo es heißt: „Der Kleine selbst wird zu einem Tausend werden und der Geringe zu einer mächtigen Nation. Ich selbst, Jehova, werde es beschleunigen zu seiner eigenen Zeit.“ Schon ein flüchtiger Blick auf die Berichte aus dem ganzen Land beweist, daß diese Worte zutreffen. Seitdem das Verbot aufgehoben wurde, sind beispielsweise aus den 70 Verkündigern der Versammlung Francisco Solano im Großraum Buenos Aires 700 geworden, die sich auf 7 Versammlungen verteilen.

Alberto Pardo, der als Ältester in Cinco Saltos (Río Negro) dient, erinnert sich an die Zeit, als es dort nur 15 Verkündiger gab. Gegenwärtig gibt es in Cinco Saltos drei Versammlungen mit insgesamt 272 Verkündigern, das heißt auf 100 Einwohner kommt ein Zeuge Jehovas. Marta Toloza aus der Versammlung Carmen de Patagones in Buenos Aires sagt: „Es ist einfach wunderbar, die kleine Gruppe, die sich damals — im Jahr 1964 — in dem winzigen Raum versammelte, mit den 250 Brüdern und Schwestern zu vergleichen, die heute in drei Königreichssälen zusammenkommen.“

Wegen der raschen Zunahme in Palmira und den umliegenden Städten mußten die Zusammenkunft für die Öffentlichkeit und das Wachtturm-Studium an jedem Wochenende zweimal durchgeführt werden, damit es für die Brüder und Schwestern im Königreichssaal angenehmer war. Für das Gedächtnismahl wurde ein größerer Saal gemietet, denn die Anwesendenzahl lag durchweg bei über 250. Seit 1986 sind Versammlungen in vier verschiedenen Städten gegründet worden, die ursprünglich zur Versammlung Palmira gehörten.

Aus der ersten Versammlung im Großraum Buenos Aires — José León Suárez mit 33 Verkündigern — sind fünf Versammlungen hervorgegangen. Juan Schellenberg, ein Ältester vor Ort, sagt: „Jedesmal, wenn wir eine neue Versammlung gründeten, schrumpfte unser Gebiet. Dieses Gebiet umfaßt jetzt nur noch 16 Häuserblocks in der Länge und 8 in der Breite. Das uns zugeteilte Gebiet bearbeiten wir ein- bis zweimal wöchentlich. Viele, denen wir predigen, sind gleichgültig, doch wir machen auch nette Erfahrungen, und wir können Bibelstudien einrichten. Der Königreichssaal liegt zentral, so daß er für die meisten der 100 Verkündiger zu Fuß erreichbar ist.“

Der Pioniergeist gedeiht

Mit dem Ende des Verbots tat sich ein weites Betätigungsfeld auf. Es gab viele Gebiete, wo ein großer Bedarf an Königreichsverkündigern bestand.

Um das Predigtwerk in Gang zu bringen, wurden im Dezember 1983 zehn Sonderpionierehepaare auf Zeit für drei Monate in Gebiete geschickt, wo Jehovas Zeugen bis zu der Zeit kaum gepredigt hatten. Die ausgewählten Ehepaare waren allgemeine Pioniere oder Hilfspioniere, und sie waren vom Kreisaufseher empfohlen worden. Das Ziel war, überall Zeugnis zu geben, indem man Literatur verbreitete und sich bemühte, Heimbibelstudien einzurichten. Wer Interesse zeigte, wurde von Verkündigern in nahe gelegenen Versammlungen oder brieflich betreut. Dieser Feldzug führte zu ausgezeichneten Ergebnissen. Heute gibt es in neun der zehn Städte, in denen diese Pioniere tätig waren, Versammlungen.

Eine der Sonderpionierinnen auf Zeit war Argentina de González. Zusammen mit ihrem Mann war Argentina in Esquina tätig. Sie kamen mit ihren vier Kindern dorthin. Dreimal in der Woche wurde eines ihrer Schlafzimmer in eine Versammlungsstätte umfunktioniert. Bei ihrer Haus-zu-Haus-Tätigkeit bat fast jeder sie herein. Als erstes wollten die Wohnungsinhaber in der Regel wissen, woher sie kamen, wie viele Kinder sie hatten und wo sie wohnten. „Nachdem wir ihre Wißbegierde befriedigt hatten“, sagt Argentina, „waren sie gern bereit, der Botschaft Gehör zu schenken. Es gelang mir, sieben Bibelstudien einzurichten; darunter war eines mit einer Frau und ihren vier Kindern. Sie kamen sofort zu den Zusammenkünften und haben nie eine versäumt. Schon nach wenigen Monaten ließen sich die Mutter und ihre Tochter taufen. Später nahm die Tochter den Pionierdienst auf. Ich bin sehr glücklich darüber, daß sie alle weiterhin Jehova treu dienen.“

Selbstgenügsam — egal unter welchen Umständen

Wer Pioniergeist hatte, war bereit, sich harten Wetterbedingungen, geographischer Isolation und primitiven Wohnverhältnissen anzupassen. José und Estela Forte kamen als Sonderpioniere nach Río Turbio in die Provinz Santa Cruz, wo es weder andere Zeugen noch Interessierte gab. Was die Situation außerdem erschwerte, war, daß Río Turbio im äußersten Süden von Argentinien liegt, wo die Temperaturen häufig weit unter minus 20 Grad Celsius sinken können.

Die Fortes wohnten in einem kleinen Raum, der Verwandten von Zeugen Jehovas gehörte. Um die nächstgelegene Versammlung in Río Gallegos zu erreichen, mußten sie 300 Kilometer zurücklegen. Einmal — auf dem Rückweg von der Versammlung — war der Motor des Wagens auf einer verlassenen Straße heißgelaufen, weil der Kühler Wasser verloren hatte. Die Temperaturen waren gefährlich niedrig, denn die Fortes erlebten das, was die Einheimischen den sueño blanco nennen, eine überwältigende Schläfrigkeit, die zum Tod führen kann. Sie beteten zu Jehova, um nicht einzuschlafen. Wie dankbar waren sie doch, als sie ein nahe gelegenes Gehöft erreichten, wo sie sich aufwärmen und den Kühler auffüllen konnten!

Bei ihrer Predigttätigkeit konzentrierten sich die Fortes zunächst auf die am dichtesten bevölkerte Gegend, und schon bald leiteten sie mehr als 30 erfolgversprechende Bibelstudien. Innerhalb kurzer Zeit entstand in der Stadt eine Gruppe. Als nächstes bemühten sie sich, die Menschen in den Bergen und in ländlichen Gegenden aufzusuchen. Jedes Jahr unternahm José eine sechs- bis siebentägige Predigtreise zu Pferd. Einmal kam er mit seinem Gefährten zu einer Farm, wo sie eine Frau mit einem bösartigen Wachhund antrafen. Als sie sich als Zeugen Jehovas zu erkennen gaben, schaute die Frau sie an und lachte schallend. „Nein, sogar hier!“ rief sie aus. Auf die Frage, warum sie so reagiert habe, erklärte sie, sie habe in Buenos Aires in unmittelbarer Nähe des Bethels gewohnt. Sie bemerkte noch: „Ich hätte nie geglaubt, daß Jehovas Zeugen in einem so abgelegenen Winkel auftauchen würden, und noch dazu im Gaucho-Outfit.“ Die Frau bot ihnen etwas zu essen an, und sie unterhielten sich angeregt über die Bibel. Die unermüdlichen Bemühungen der Fortes zeitigten Ergebnisse: In Río Turbio gibt es jetzt eine blühende Versammlung mit 31 Verkündigern.

Ein schwimmender Königreichssaal

Entschlossen, die günstige Zeit zu nutzen, nahmen einige die Herausforderung an und predigten den Inselbewohnern in der Delta-Region des Paraná, unweit von Buenos Aires. In dieser Region Zeugnis zu geben war allein schon wegen der Entfernung zwischen den Inseln, wegen der verfügbaren Transportmittel und wegen des launischen Wetters kein kleines Unterfangen. Die Fahrt in einem Privatboot war teuer und nicht ungefährlich. Dennoch — Beharrlichkeit führte zu Ergebnissen. 1982 wurde eine alleinstehende Verkündigergruppe gebildet, die der Versammlung Tigre angeschlossen wurde.

Um Kosten zu sparen, baute Alejandro Gastaldini, ein Bruder aus der Versammlung Tigre, ein 7 Meter langes, leichtes Boot (El Carpincho) aus Kunststoff mit einem Propangas-Motor. Etwa um die gleiche Zeit boten Ramón Antúnez und seine Familie aus Buenos Aires ihr Segelboot zur Förderung der Königreichsinteressen im Delta an. Diese eifrigen Brüder gingen begeistert voran und luden Verkündiger anderer Versammlungen ein, sie an Wochenenden im Dienst zu unterstützen. Erfolgreiche Bibelstudien brachten Frucht hervor; ganze Familien nahmen die Wahrheit an.

Da nur wenige der Inselbewohner Boote besaßen und es kaum öffentliche Verkehrsmittel gab, war es für die meisten Studierenden schwierig, Zusammenkünfte zu besuchen. Die Brüder halfen einander dadurch, daß sie sich trafen, um sich gegenseitig geistig zu stärken. Ein Beispiel: Damit alle beim Gedächtnismahl anwesend sein konnten, holte ein Boot sowohl getaufte Zeugen als auch Interessierte ab, so daß alle der Gedächtnismahlfeier „an Bord“ beiwohnen konnten.

Später wurden Carlos Bustos, seine Frau Ana und ihre Tochter Mariana als Pioniere in die Delta-Region gesandt. Das Zweigbüro half bei der Beschaffung eines Motorbootes, Precursor I genannt, das mit einer Küche, einem Bad und drei Kojen ausgestattet war. Marianas Bett im Heck nannten sie el sarcófago, denn es war so schmal, daß es einem Sarg ähnelte.

Derzeit gibt es in der Delta-Region 20 Verkündiger, die Jehova dienen; sie gehören zur Versammlung Tigre. Die meisten Brüder haben inzwischen ein eigenes Boot und sind somit für ihre theokratischen Verpflichtungen besser ausgerüstet. Allerdings schien die Verwirklichung des Traums, einen eigenen Königreichssaal zu errichten, unerreichbar. Warum?

Der Grund sind die ständigen Überschwemmungen in der Gegend, und geeignetes Bauland ist sehr teuer. Für eine kleine Gruppe mit begrenzten Mitteln schien dies ein unüberwindbares Hindernis zu sein. Land war zwar rar, aber Wasser gab es genug. Was sprach dagegen, einen schwimmenden Königreichssaal zu bauen? Das Zweigbüro übernahm die Leitung beim Bau solch eines Königreichssaales, der dann im Juni 1999 fertiggestellt war. Heute leiten Älteste der Versammlung Tigre abwechselnd die wöchentlichen Zusammenkünfte der Gruppe im Königreichssaal.

Die koreanische Bevölkerung erreichen

Jehovas Zeugen in Argentinien bemühen sich nicht nur, die Menschen in allen Landesteilen zu erreichen, sondern sie strengen sich auch an, Menschen unterschiedlicher Herkunft zu predigen. 1971 — vor Verhängung des zweiten Verbots — kam Hwang Yong Keun, ein koreanischer Bruder, mit seiner Familie nach Argentinien und schloß sich einer spanischsprachigen Versammlung an. Das Werk des Jüngermachens unter den Koreanern trug Früchte, und dadurch, daß immer mehr Zeugen aus Korea einwanderten, war es möglich, eine koreanische Gruppe zu bilden, und zwar in Morón, in der Provinz Buenos Aires. Schon bald fanden jede Woche alle fünf Versammlungszusammenkünfte statt, so daß 1975 die erste koreanische Versammlung in Argentinien gegründet werden konnte. Ein Jahr später übergaben sie Jehova ihren ersten Königreichssaal.

Während des Verbots teilte man die Versammlung in kleine Gruppen auf. Da sich die koreanischen Brüder aber danach sehnten, als Versammlung zusammenzukommen, wurde dafür gesorgt, daß sie sich einmal monatlich in einem Park zu einem öffentlichen Vortrag und zum Wachtturm-Studium treffen konnten. Die Polizisten verstanden kein Wort Koreanisch, daher blieb ihnen auch verborgen, daß es sich um religiöse Zusammenkünfte handelte.

Nachdem das Verbot aufgehoben worden war, gab es unter der koreanischsprachigen Bevölkerung eine ständige Mehrung. Da die Koreaner überall im Land verstreut leben, ist es oft erforderlich, Hunderte von Kilometern zu reisen, um würdige Menschen zu finden. Zwei- oder dreimal im Jahr fuhren koreanische Zeugen in weit entfernte Provinzen, um koreanische Geschäftsleute ausfindig zu machen. Jehova hat ihren fleißigen Einsatz gesegnet. Derzeit sind durchschnittlich 288 koreanische Verkündiger in vier Versammlungen eifrig damit beschäftigt, das Wort Gottes zu verkündigen.

Bis vor kurzem besuchte ein spanischsprachiger Kreisaufseher die koreanischen Versammlungen, und er benötigte für die Zusammenkünfte, für den Predigtdienst und für die Hirtenbesuche einen Dolmetscher. 1997 wurden jedoch Steven und June Lee (Yi Sung Ho und Kim Yun Kyeong) aus der 102. Klasse der Gileadschule beauftragt, den koreanischen Versammlungen in Argentinien, Brasilien und Paraguay zu dienen. Da die Lees koreanischer Herkunft sind und die Sprache beherrschen, ziehen die Brüder großen Nutzen aus ihren Besuchen. Alle sind für diese liebevolle Vorkehrung unseres unparteiischen Gottes, Jehova, sehr dankbar (Apg. 10:34, 35).

Die Lees müssen sich ständig auf das Klima, das Wasser und die Nahrung in den drei Ländern einstellen. In einem Zeitraum von sechs Monaten verbringen sie drei Monate in Argentinien, zwei in Brasilien und einen in Paraguay. Wenngleich sie den koreanischen Versammlungen dienen, müssen sie sich auch in der Sprache der Einheimischen verständigen können. Außer Portugiesisch, das in Brasilien gesprochen wird, müssen sie sich noch an zwei verschiedene spanische Dialekte gewöhnen. Trotzdem gefällt ihnen die internationale Atmosphäre des Kreises sehr. Nach zwei Jahren war die Zahl der Pioniere im Kreis von 10 auf 60 gestiegen.

Gehörlose preisen Jehova

In den 70er Jahren wurden die besonderen Bedürfnisse einer anderen Gruppe offenkundig, als einige Gehörlose zu den Zusammenkünften kamen. Damit sie daraus Nutzen ziehen konnten, wurden Übersetzer, die die Gebärdensprache beherrschten, benötigt. Im Jahr 1979 traf sich eine Gruppe in der Wohnung von Coco und Coca Yanzon, einem gehörlosen Ehepaar, in Villa Devoto (Buenos Aires). Es war jedoch erst der Anfang.

Die Anzahl der Gehörlosen, die die Wahrheit annahmen, stieg ständig — sowohl während des Verbots als auch in den 80er und 90er Jahren. In den 80er Jahren wurden gehörlose Brüder und Schwestern mit ihren Übersetzern ausgewählten Versammlungen im Großraum Buenos Aires zugeteilt. Das gesamte Programm wurde für die Gehörlosen übersetzt, damit sie Nutzen aus den Zusammenkünften ziehen konnten.

Allerdings sehnten sich die Gehörlosen danach, mehr in die Versammlungsaktivitäten einbezogen zu werden. Daher beschloß das Zweigbüro, für sie und ihre Übersetzer eine gebärdensprachige Versammlung zu gründen. Auf diese Weise hatten die gehörlosen Verkündiger einen aktiven Anteil am Lehren, am Kommentargeben und am Verkündigen in ihrer eigenen Sprache.

„Die gebärdensprachige Versammlung war die Antwort auf meine Gebete“, sagt Silvia Mori, eine alleinerziehende gehörlose Schwester. „Ich bin so froh, daß ich jetzt mehr Kontakt zu den gehörlosen Brüdern und Schwestern habe. Früher, als wir verschiedenen Versammlungen zugeteilt waren, sahen wir uns nur einmal in der Woche.“

Elba Basani, eine andere gehörlose Schwester, berichtet: „Als es noch keine gebärdensprachige Versammlung gab, war ich manchmal entmutigt, aber jetzt bin ich überglücklich, denn ich kann den Hilfspionierdienst durchführen und bin auch sonst im Dienst Jehovas eifrig beschäftigt und habe mehr Kontakt zu meinen Glaubensbrüdern. Ich bin Jehova sehr dankbar.“

Da die Gebärdensprache ein visuelles Kommunikationsmittel darstellt, sind die Videos der Gesellschaft besonders wirksam. Das Video Jehovas Zeugen — Die Organisation, die hinter dem Namen steht gibt es bereits in Argentinischer Gebärdensprache. Außerdem sind verschiedene Videoversionen von der Broschüre Was erwartet Gott von uns? und von weiteren Veröffentlichungen in Vorbereitung. Gegenwärtig gibt es in ganz Argentinien vier gebärdensprachige Versammlungen mit insgesamt 200 Verkündigern — einschließlich 38 gehörloser Brüder, die als Älteste und Dienstamtgehilfen tätig sind.

Hilfe für die englischsprechende Bevölkerung

Gegen Ende des Jahres 1993 nahmen ausländische Firmen in Argentinien ihre Arbeit auf. Einige der Angestellten, die nach Argentinien geschickt wurden, waren getaufte Zeugen, die nur wenig Spanisch sprachen, dafür aber Englisch verstanden. Um für ihre geistigen Bedürfnisse zu sorgen und auch all jene zu erreichen, die zu der wachsenden englischsprechenden Bevölkerung gehörten, wurde die erste englischsprachige Versammlung Argentiniens in Buenos Aires gegründet. Einige Argentinier, die Englisch gelernt hatten, stellten sich zur Verfügung, um die neue Versammlung zu unterstützen.

Seit Gründung der Versammlung im Juni 1994 haben sich zehn Personen taufen lassen und viele andere, die sich vorübergehend in Argentinien aufhalten, freuen sich über die Zusammenkünfte und ziehen Nutzen daraus, weil sie in einer Sprache dargeboten werden, die sie verstehen.

Eine junge Mapuche-Indianerin macht den Anfang

‘Allen Arten von Menschen’ zu helfen, „zu einer genauen Erkenntnis der Wahrheit zu kommen“, schließt auch die einheimischen Indianer in den Reservaten ein (1. Tim. 2:4). In der südwestlichen Provinz Neuquén gibt es ein Reservat der Mapuche-Indianer. Der Häuptling gewährte den Zeugen keinen Zutritt, was auf das Verhalten anderer religiöser Gruppen in der Vergangenheit zurückzuführen war. Patricia Sabina Guayquimil, eine junge Mapuche-Indianerin, bekam von ihrer Mutter einige Veröffentlichungen, als diese außerhalb des Reservats arbeitete. Patricia schrieb an das Zweigbüro und bat um mehr Aufschluß. Mónica López, die die Post bearbeitete, sandte Patricia das Buch Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben und erklärte ihr, wie ein Bibelstudium durchgeführt wird. Patricia war damit einverstanden, und sie studierten ein Jahr lang brieflich miteinander, ohne sich jemals zu treffen.

Eines Tages klopfte es an Mónicas Tür. Sie war außer sich vor Freude, Patricia zu sehen, die mit ihrer Schwester zusammen in einem Krankenwagen in die Stadt gekommen war, weil diese kurz vor der Entbindung stand. In der kurzen Zeit, die sie zusammen verbringen konnten, zeigte Mónica ihr den Königreichssaal, erklärte ihr, wie die Zusammenkünfte durchgeführt werden, und lud sie zum bevorstehenden Besuch des Kreisaufsehers ein.

Nach Hause zurückgekehrt, machte Patricia weiter gute Fortschritte. Eines Morgens sattelte sie doch wahrhaftig ihre Stute und gab von 7 Uhr morgens bis in die frühen Abendstunden ihren Mitmenschen Zeugnis, weil im Tagestext die Wichtigkeit der Predigttätigkeit hervorgehoben wurde. Durch ihre Zeugnistätigkeit wurde den Zeugen Jehovas von außerhalb die Möglichkeit erschlossen, in diesem Reservat zu predigen. 1996 ließ sich Patricia taufen, und sie verkündigt weiterhin ‘die gute Botschaft der Rettung’ unter der indianischen Bevölkerung (Ps. 96:2). Auch andere Indianerreservate werden regelmäßig von den Zeugen besucht.

Mangel an Königreichssälen

Während Jehovas Zeugen in Argentinien die Predigttätigkeit in der günstigen Zeit nach dem Verbot ausdehnten, entstand ein Bedarf an geeigneten Königreichssälen. Einige Säle waren schlecht gebaut. Zum Beispiel waren die Wände eines Saals in der nördlichen Provinz Santiago del Estero aus Kunststoff. Luis Benitez, der schon viele Jahre mit dem Bau von Königreichssälen zu tun hat, berichtet: „Auf dem Weg nach Formosa sahen Bruder Eisenhower und ich Brüder in einer Art Gebäude mit 1,2 Meter hohen Wänden zusammenkommen, das kein Dach, keine Türen und keine Fenster hatte. Bretter, die auf Ziegelsteinen lagen, dienten den Brüdern als Sitzplätze. Auf die Frage, was sie tun, wenn es regnet, sagten sie: ‚Einige bringen Schirme mit, und die anderen werden naß.‘ “

Im Jahr 1980, nachdem das Verbot aufgehoben worden war, stellten die Ältesten der Versammlung Trelew (in der Provinz Chubut) schnell fest, daß kein ausreichend großer Raum vorhanden war, um die vielen Menschen, die an geistiger Belehrung interessiert waren, unterzubringen. Eine Schwester bat die Familie, für die sie arbeitete, um die Erlaubnis, deren Versammlungslokal für Zusammenkünfte zu benutzen. Die Bitte wurde gewährt, und die Versammlung durfte sieben bis acht Monate lang kostenlos in dem Saal zusammenkommen. Danach fanden die Zusammenkünfte eine Weile in der Polsterwerkstatt eines Bruders statt. Allerdings konnte die Versammlung dort nicht ständig zusammenkommen, so daß sich die Verkündiger in kleineren Gruppen in Wohnungen von Brüdern treffen mußten. Es war klar, daß sie eine feste Versammlungsstätte benötigten. Alle, die zur Versammlung gehörten, waren entschlossen, gemeinsam ihren ersten Königreichssaal zu bauen. Nachdem Jehovas Zeugen in Trelew fünf Jahre nach einer Versammlungsstätte gesucht hatten, konnten sie endlich ihren Königreichssaal Jehova übergeben. Doch schon bald erforderte die Zunahme der Verkündiger den Bau eines weiteren Königreichssaales.

Überall im Land benötigten die Versammlungen Königreichssäle. Es mußte etwas geschehen, um geeignete Gebäude für die wahre Anbetung zu errichten.

Das Zweigbüro kommt zu Hilfe

Um dem Bedarf zu entsprechen, entwickelte das Zweigbüro ein Königreichssaal-Bauprogramm. Es schloß die Finanzierung des Baus durch Darlehen ein sowie die Erstellung professioneller Bauzeichnungen für behagliche, praktische und einfache Säle. Außerdem wurden in organisatorischer Hinsicht Anregungen gegeben. Technisch befähigte Brüder wurden beauftragt, Hilfe zu leisten. Dank dieses Programms betrug die Bauzeit von Königreichssälen etwa zwei Monate; später benötigte man nur noch 30 Tage.

Der Versammlung Trelew, die einen neuen Königreichssaal benötigte, kam dieses vereinfachte Bauprogramm zugute. Schon 60 Tage nach Baubeginn konnten sie sich voller Freude in ihrem neuen Saal versammeln. Es war ein großartiges Zeugnis für die Anwohner, die auf einem ehemals leeren Grundstück — nicht viel mehr als ein Schuttabladeplatz — plötzlich einen ansprechenden Königreichssaal stehen sahen. Die Bauunternehmer in der Region waren derart beeindruckt, daß sie die Brüder einstellen wollten.

Kongreßsäle für größere Zusammenkünfte

Unterdessen erkannten die argentinischen Brüder die Notwendigkeit von Kongreßsälen für größere Zusammenkünfte. In Oberá, in der nördlichen Provinz Misiones, spendete eine Familie ein Stück Land, auf dem die einheimischen Brüder eine überdachte Konstruktion ohne Wände errichteten. 1981 fand dort ein Kongreß statt, den 300 Personen besuchten. Auf demselben Grundstück steht jetzt ein stabilerer Bau, der 2 200 Besuchern Platz bietet.

Nachdem die Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas 1984 registriert worden war, sind Jehova im Großraum Buenos Aires zwei Kongreßsäle übergeben worden — einer in Moreno (1986) und der andere in Lomas de Zamora (1988). Der Saal in Lomas de Zamora war ursprünglich eine verlassene Fabrik mit einem Lagerhaus. Am 9. Juli 1985 erschienen etwa 1 500 Freiwillige und arbeiteten 18 Tage ununterbrochen an diesem Projekt. Sie reinigten das Gebäude und verwandelten einen Teil der Fabrik in einen Vortragssaal, der 1 500 Personen bequem Platz bietet. Einige arbeiteten die ganze Nacht hindurch, damit am 27. Juli 1985 der erste Kongreß in dem Saal stattfinden konnte. Heute gibt es vier Kongreßsäle — eingeschlossen ist derjenige, der 1993 in Córdoba der Bestimmung übergeben wurde.

Wo können Bezirkskongresse durchgeführt werden?

Wegen der ständigen Mehrung wurde es immer schwieriger, passende Räumlichkeiten für Bezirkskongresse zu finden. Die Mieten für Kongreßstätten waren hoch, und die Verwaltung hielt sich häufig nicht an die Vertragsbedingungen. Es war unpraktisch und äußerst aufwendig, die Lautsprecheranlage und andere notwendige Ausrüstungsgegenstände zu transportieren und zu installieren. Außerdem waren die Zuhörer in den großen offenen Stadien den Witterungseinflüssen ausgesetzt, wodurch es ihnen erschwert wurde, aus dem Programm vollen Nutzen zu ziehen.

Um diesen Problemen zu begegnen, kaufte man Land in Cañuelas, einer ländlichen Gegend südwestlich der Hauptstadt. Ein Kongreßsaal sollte entstehen, der sich sowohl für Bezirkskongresse als auch für kleinere Kongresse eignen würde. Dieser Saal sollte eine Ergänzung zu den vier Kongreßsälen bilden, die im Land bereits genutzt wurden.

Im Oktober 1995 — weniger als sechs Monate nach Baubeginn — konnte in diesem geräumigen Kongreßsaal mit 9 400 Sitzplätzen der erste Bezirkskongreß stattfinden (Joel 2:26, 27). Im März 1997 wurde das Gebäude Jehova übergeben. Carey Barber von der leitenden Körperschaft hielt die begeisternde Ansprache zur Bestimmungsübergabe; am nächsten Tag hatte er ebenfalls einen Anteil an dem besonderen Programm, das im riesigen River-Plate-Stadion dargeboten wurde. Das Stadion war mit 71 800 Brüdern, die aus dem ganzen Land angereist waren, bis auf den letzten Platz besetzt. Unter ihnen befand sich auch eine Gruppe aus Patagonien, die 3 000 Kilometer zurückgelegt hatte.

Neue Zweiggebäude

Im Dezember 1984 wurde eine neue Höchstzahl von 51 962 Königreichsverkündigern erreicht. Dieses Wachstum bedeutete, daß mehr Literatur benötigt wurde, und das wiederum erforderte eine größere Druckerei. Um diesem Bedarf zu entsprechen, wurde in Buenos Aires in der Calle Caldas 1551 ein Gebäudekomplex gekauft und renoviert, um mehr Platz für die Druckerei und die Büros zu schaffen. Außerdem erwarb man in der Avenida Elcano 3850 (ebenfalls in Buenos Aires) eine verlassene Keramikfabrik; diese riß man ab und errichtete auf dem Grundstück ein wunderschönes neues Wohngebäude.

Insgesamt beteiligten sich 640 Vollzeitarbeiter an dem Bauprojekt, einschließlich der 259 Mitarbeiter vom internationalen Bauprogramm. An Wochenenden kamen außerdem Hunderte weiterer Helfer. Da es auf der Baustelle über 200 Freiwillige aus dem Ausland gab, kam es zu interessanten Situationen. Ein Bruder forderte auf einem Formular einmal 12 weiße palomos (männliche Tauben) an. Der für den Einkauf zuständige Bruder wunderte sich, wofür Vögel angefordert wurden. Wie sich herausstellte, brauchte der betreffende Bruder 12 pomos (Tuben) mit weißer Farbe.

Zur Zeit des Projekts herrschte in Argentinien galoppierende Inflation. Die Preise für Baumaterialien stiegen mitunter täglich dreimal, was für die Brüder vom Einkauf eine große Herausforderung war. In dieser Zeit vergaßen die Brüder vom Bau niemals die wichtigste Tätigkeit: das Predigen des Wortes Gottes. Ein Lieferant schickte des öfteren Vertreter auf die Baustelle, die nicht nur Materialbestellungen entgegennahmen, sondern auch ein gründliches Zeugnis erhielten. Insgesamt nahmen Mitarbeiter dieser Firmen 20 Zeitschriften und 5 Bücher entgegen, und im Büro des Inhabers lagen Zeitschriften aus.

Der Bau selbst erwies sich als ein Zeugnis. Die Brüder setzten die Tilt-up-Methode ein, bei der bewehrte Wandelemente auf der Baustelle betoniert und später mit einem Kran aufgestellt wurden. Es handelte sich um eine ungewöhnliche Bauweise, die bei einheimischen Bauunternehmern Aufsehen erregte. An Samstagen kamen gewöhnlich vormittags Schüler einer Hochschule für Architektur zur Besichtigung der Baustelle, und man lud sie zu einer Führung ein.

Im Oktober 1990 wurde dieser ansprechende Gebäudekomplex Jehova übergeben. Theodore Jaracz von der leitenden Körperschaft hielt die begeisternde Ansprache zur Bestimmungsübergabe, die sich auf Jesaja 2:2-4 stützte. Viele, die schon in der Anfangszeit mitgeholfen hatten, den Wahrheitssamen in Argentinien auszusäen, freuten sich, mit Gästen aus anderen Zweigen bei diesem freudigen Anlaß zugegen zu sein.

Zusätzliche Erweiterung

Kaum waren die neuen Zweiggebäude der Bestimmung übergeben worden, da begann man schon mit einer Erweiterung des Druckereigebäudes in der Calle Caldas. Auf einem angrenzenden Grundstück entstand ein dreistöckiger unterkellerter Bau, um Lagerraum für Literatur zu schaffen. Eine Gruppe von 25 Freiwilligen stellte das Projekt in acht Monaten fertig.

Genau zu der Zeit, als mehr Büroraum gebraucht wurde, stand ein Gebäude zum Verkauf, das nur einen Häuserblock vom Bethel entfernt war. Da die Stadt die Vergabe von Baugenehmigungen zunehmend strenger handhabte, war der Kauf eines Grundstücks mit einem Gebäude eine vernünftige Alternative. Das Haus war zwar schon über 30 Jahre alt, aber es war mit hochwertigen Materialien erbaut worden; das Innere bestand aus Hartholz, und außen war es mit Marmor verkleidet. Das erworbene Gebäude wurde renoviert und beherbergt jetzt die Verwaltungsbüros sowie die Einkaufs- und Dienstabteilung, das Baubüro und die Buchhaltung. Es wurde 1997 — gleichzeitig mit dem Kongreßsaal in Cañuelas — der Bestimmung übergeben.

Unterstützung eines Nachbarlandes

In der Verbotszeit halfen Zeugen Jehovas in benachbarten Ländern wie Brasilien und Uruguay den argentinischen Brüdern, geistige Speise zu erhalten. Jetzt deckt der argentinische Zweig den Bedarf des benachbarten Chile. Seit Januar 1987 sind Zeitschriften nach Chile gesandt worden, zuerst mit einer Spedition und ab 1992 mit eigenen Lkws der Gesellschaft.

Die Fahrt nach Chile erfordert, die Anden in einer Höhe von 3 100 Metern zu überqueren. Einen Sattelschlepper auf einer kurvenreichen Straße über schneebedeckte Berge zu manövrieren verlangt vom Fahrer großes Geschick. Ein Straßenabschnitt hat zum Beispiel 31 tückische Haarnadelkurven. Doch die lange Reise lohnt sich, denn die chilenischen Brüder erhalten auf diese Weise ihre Zeitschriften rechtzeitig.

Zeitschriften im Vierfarbendruck sind ansprechender

Als Bilder immer beliebter wurden, beschloß die Gesellschaft, den Wachtturm und das Erwachet! vierfarbig zu drucken. Unsere Zeitschriften sollten so ansprechend wie möglich und dennoch kostengünstig hergestellt werden. Die Watch Tower Society in den Vereinigten Staaten verschiffte eine instand gesetzte Harris-Vierfarbenrollenoffsetpresse an den argentinischen Zweig. Die Druckmaschine mußte abgebaut, verpackt und von Wallkill (New York) aus verschifft werden. Als die kostbare Fracht am 10. Oktober 1989 in Buenos Aires eintraf, mußte sie wieder aufgebaut werden. Erfahrene Brüder aus der Weltzentrale reisten nach Argentinien, um den Aufbau zu beaufsichtigen und die Bedienungsmannschaft zu schulen.

Der Vierfarbendruck bewirkte eine erheblich höhere Zeitschriftenabgabe. Das war daran zu erkennen, daß 1991, ein Jahr nachdem mit dem Vierfarbendruck begonnen worden war, die Anzahl der verbreiteten Zeitschriften um fast eine Million stieg — von 6 284 504 auf 7 248 955.

Internationale Kongresse dienen der gegenseitigen Ermunterung

Nach so vielen Jahren unter Verbot sehnten sich die argentinischen Zeugen danach, wieder Gastgeber bei einem internationalen Kongreß zu sein. Im Dezember 1990 konnten sie schließlich nahezu 6 000 Delegierte aus über 20 Ländern zu dem internationalen Kongreß „Reine Sprache“ in Buenos Aires willkommen heißen. John Barr und Lyman Swingle von der leitenden Körperschaft waren anwesend und hielten ermunternde Ansprachen. Das viertägige Programm, das sowohl im River-Plate-Stadion als auch im Vélez-Sarsfield-Stadion dargeboten wurde, besuchten über 67 000 Personen.

In der Anbetung zwar vereint, zeichneten sich die Delegierten doch auf farbenfreudige Weise durch die kulturelle Vielfalt aus. Man sah Spanierinnen in ihrer hübschen Landestracht, Japanerinnen in ihren traditionellen Kimonos und mexikanische Delegierte in ihren schwarzen Anzügen und den breitkrempigen Sombreros.

Als der Kongreß zu Ende war, wollte keiner nach Hause gehen. Die verschiedenen ausländischen Gruppen fingen spontan an, Königreichslieder in ihrer Sprache zu singen und einander mit ihren Taschentüchern zuzuwinken. Das ging fast eine Stunde so weiter, bevor sich die Kongreßbesucher schließlich auf den Heimweg machten. Ein Pressefotograf sagte: „Das hat es in Argentinien noch nie gegeben ... So viel Gefühl und so viel Herzlichkeit!“

Man stelle sich die freudige Aufregung der Argentinier vor, als sie eingeladen wurden, im Ausland einen internationalen Kongreß zu besuchen! Das war 1993. Wo? In Santiago de Chile. Über tausend Argentinier machten sich auf die Reise, um dabeizusein. 14 Charterbusse legten die 1 400 Kilometer von Buenos Aires nach Santiago zurück. Die Fahrt dauerte 26 Stunden. Die atemberaubende Landschaft, an der sich die Delegierten unter anderem erfreuten, während sie über die Anden fuhren, war nichts im Vergleich zu der Freude, mit 80 000 Glaubensbrüdern aus 24 Ländern bei dem viertägigen Bezirkskongreß „Göttliche Belehrung“ zusammenzusein.

Später — im Jahr 1998 — wurde dem argentinischen Zweig die Möglichkeit geboten, Delegierte zu den internationalen Kongressen „Gottes Weg des Lebens“ nach São Paulo (Brasilien) und nach San Diego (Kalifornien) zu entsenden. Sara Bujdud, eine langjährige Sonderpionierin, war überglücklich, mit mehr als 400 Delegierten aus Argentinien den Kongreß in San Diego zu besuchen. Sie bemerkt: „Die Vorkehrung der leitenden Körperschaft, uns in Wohnungen von Brüdern unterzubringen, war sehr liebevoll. Wir erhielten eine Vorschau vom Leben in der neuen Welt, wo es keine Sprach- und Rassenschranken mehr geben wird.“

„Die Zunge der Belehrten“

Auf Grund der eifrigen Predigttätigkeit der Brüder und der biblischen Belehrung, die auch auf den internationalen Kongressen erteilt wird, reagierten viele günstig auf die Wahrheit und schlossen sich der steigenden Verkündigerzahl an. 1992 wurde eine Höchstzahl von 96 780 Verkündigern erreicht. Die Zahl der Zeugen hatte sich verdoppelt, seit sie 1984 rechtlich eingetragen worden waren.

Unverkennbar war der Bedarf an mehr Hirten, die sich um die wachsende Herde der Schafe Jehovas kümmern konnten (Jes. 32:1, 2; Joh. 21:16). Daher sorgte Jehova für einen Schulkurs, der unverheiratete Älteste und Dienstamtgehilfen ausrüstet, sich der Bedürfnisse der Versammlung anzunehmen — die Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung. Der erste Kurs fand 1987 in den Vereinigten Staaten statt, und im November 1992 wurde der Kurs in Argentinien eingeführt. Der alte Bethelkomplex eignete sich ausgezeichnet für diese Schule.

Die 375 Schüler, einschließlich 91 aus benachbarten Ländern, haben außergewöhnliche Wertschätzung für dieses Vorrecht gezeigt. Um die Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung besuchen zu können, mußten sich die Betreffenden für zwei Monate von ihrer weltlichen Tätigkeit beurlauben lassen, und das war schwierig. Einige kündigten oder verloren ihre Arbeit. Doch Jehova sorgt für diejenigen, die die Königreichsinteressen in ihrem Leben an die erste Stelle setzen. Viele wurden mit besser bezahlten Beschäftigungen gesegnet und erlangten günstigere Arbeitsbedingungen als vorher (Mat. 6:33).

Hugo Careño war bei einer Bank beschäftigt, als er die Einladung für die erste Klasse erhielt. Die Bezahlung war gut, und seine Arbeitszeit erlaubte es ihm, den Pionierdienst durchzuführen. Er betete inständig zu Jehova, bevor er sich an seinen Chef wandte. Dort wurde ihm gesagt, es sei unmöglich, für die Schule Urlaub zu bekommen. Daraufhin sagte Hugo: „Ich möchte auf jeden Fall den Kurs besuchen, wäre aber sehr dankbar, wenn ich danach weiter hier arbeiten könnte.“

Nachdem die Angelegenheit im Vorstand besprochen worden war, bekam er den Urlaub. Bei der Abschlußfeier erfuhr Hugo jedoch von der Ernennung zum Sonderpionier, was bedeutete, 140 Stunden im Predigtdienst zu verbringen. Er betete inbrünstig, bevor er seinem Chef mitteilte, daß er kündigen möchte. Wie reagierte sein Chef? „Wir bedauern sehr, daß Sie uns verlassen“, sagte er, „aber wir wünschen Ihnen alles Gute auf Ihrem neuen Lebensweg.“ Hugo, der jetzt als Kreisaufseher dient, bemerkt: „Ich habe wiederholt erlebt, daß Jehova für uns sorgt, wenn der Dienst für ihn in unserem Leben den ersten Platz einnimmt.“

Diese Absolventen erbauen die Versammlungen, denen sie zugeteilt worden sind, und bezeugen die Wahrhaftigkeit der Worte Jesu: ‘Weisheit erweist sich durch ihre Werke als gerecht’ (Mat. 11:19). Das Niveau der Zusammenkünfte ist gestiegen und hat zu einer höheren Anwesendenzahl geführt. Beim Hüten der Herde Gottes wenden die Brüder die empfangene Schulung an und bemühen sich, „dem Müden mit einem Wort zu antworten“ (Jes. 50:4). Einige der Absolventen dienen gegenwärtig als Kreisaufseher und viele andere als stellvertretende Kreisaufseher.

Eine Hilfe, ‘sich des Blutes zu enthalten’

Mit der Zunahme der Verkündiger stieg auch die Zahl der Zeugen, die medizinisch versorgt werden mußten. Weil sie bestrebt sind, ‘sich des Blutes zu enthalten’, wie die Bibel es gebietet, erwies es sich als wertvoll, einen Hilfsdienst ins Leben zu rufen, um ihnen beizustehen (Apg. 15:29).

Die Ärzte verzichteten nur ungern auf Bluttransfusionen, wenn sie sie für notwendig hielten. Außerdem erteilten die meisten Richter den Ärzten bereitwillig die Genehmigung, den Zeugen gegen ihren Willen Bluttransfusionen zu geben. In einem Fall ordnete ein Richter eine Bluttransfusion an, obwohl der Patient ein rechtsgültiges Dokument bei sich trug, aus dem hervorging, daß er Blut unter allen Umständen ablehnt.

Mit einem internationalen Seminar, das im Februar 1991 in Buenos Aires stattfand, wurde die Einrichtung der Krankenhaus-Verbindungskomitees in Argentinien ins Leben gerufen. Drei Brüder vom Krankenhausinformationsdienst in Brooklyn dienten als Unterweiser der 230 Brüder aus Argentinien, Bolivien, Chile, Paraguay und Uruguay. Die Seminarteilnehmer lernten, wie man die Bedürfnisse der Patienten, die Zeugen Jehovas sind, erkennt und wie man Ärzte mit Informationen über eine Behandlung ohne Blut versorgt.

Gegenwärtig sind 17 Krankenhaus-Verbindungskomitees, denen 98 Älteste angehören, in allen größeren Städten Argentiniens tätig. Sie geben lebenswichtige Informationen an die Ärzteschaft weiter und sorgen dafür, daß Zeugen Jehovas liebevollen Beistand erhalten. Ihre Tätigkeit wird von Hunderten aufopferungsvollen Ältesten unterstützt, die Krankenbesuchsgruppen bilden und Patienten, die Zeugen Jehovas sind, besuchen, um ihnen zu helfen und sie zu ermuntern. Zur Zeit sind in Argentinien etwa 3 600 Ärzte bereit, mit uns zusammenzuarbeiten und Zeugen Jehovas ohne Blut zu behandeln.

Von Liebe motivierte Hilfsmaßnahmen

Argentinien ist natürlich von Naturkatastrophen nicht verschont geblieben. Wie werden Jehovas Zeugen mit solchen Unglücksschlägen fertig? Am 23. November 1977 verursachte ein Erdbeben der Stärke 7,4 auf der Richterskala beträchtliche Schäden im gesamten mittleren Westen Argentiniens. Obwohl das Werk der Zeugen Jehovas damals verboten war, leiteten die Brüder sofort Hilfsmaßnahmen ein. Von Liebe angetrieben, beteiligten sich Zeugen aus der Umgebung an der Aktion, obwohl Schwierigkeiten damit verbunden waren (1. Thes. 4:9).

Am Tag des Unglücks fuhren Zeugen aus den Nachbarprovinzen Mendoza und San Luis mit allen Arten von verfügbaren Fahrzeugen in die betroffene Region. Wegen der enormen Risse, die durch das Erdbeben entstanden waren, sperrten die Behörden fast alle Straßen ab, die zu der zerstörten Stadt Caucete führten. Auf Umwegen durch benachbarte Städte brachten die Zeugen daher Nahrungsmittel, Kleidung und Erste-Hilfe-Ausrüstung zu den Betroffenen. Als sie sich der Stadt näherten, bemerkten sie etwas, was wie Rauch aussah, der vom Erdboden aufstieg, aber in Wirklichkeit war es Staub, der von dem Erdbeben herrührte. Innerhalb von wenigen Sekunden hatten die Menschen ihre Wohnungen und ihre materielle Habe verloren, und einige waren sogar umgekommen. Die Umgebung war von Wehgeschrei erfüllt. In Caucete waren mehr als tausend Häuser völlig zerstört — auch alle Häuser der Brüder. Rasch errichteten die Zeugen Behelfsunterkünfte. Etwa 100 Zeugen beteiligten sich an den Hilfsmaßnahmen.

María de Heredia, eine allgemeine Pionierin in der Versammlung Caucete, berichtet: „Die Tochter meiner Nachbarin stand kurz vor der Entbindung und hatte Wehen. Die Brüder errichteten auf ihrem Grundstück ein großes Zelt. In derselben Nacht kam ein schwerer Sturm auf. Dankbar rief meine Nachbarin aus: ‚Man sollte es nicht für möglich halten: Aus unserer Kirche ließ sich niemand blicken, um zu sehen, ob wir am Leben sind oder nicht — aber Jehovas Zeugen waren zur Stelle, als wir Schutz brauchten!‘ “

Im April 1998 rüsteten sich die Zeugen erneut für eine Hilfsaktion. Wolkenbruchartige Regenfälle hatten im Norden Argentiniens verheerende Überschwemmungen verursacht, besonders in den Provinzen Corrientes, Formosa, Chaco und Santa Fe. In einem Zeitraum von 72 Stunden war in der Stadt Goya (Corrientes) 60 Zentimeter Regen gefallen. Der Regen überschwemmte Häuser und verwüstete das Hab und Gut von 80 Prozent der Zeugen Jehovas in der Region. Ernteerträge und Tiere wurden vom Wasser fortgerissen, ebenso Brücken und Straßen, so daß die Verbindung zur Stadt abgeschnitten war. Bruder Heriberto Dip, der Kreisaufseher in der betroffenen Gegend, arbeitete mit den dortigen Ältesten zusammen. Sie teilten das Gebiet in kleinere Bereiche auf und machten sich dann auf die Suche nach den Brüdern und vergewisserten sich über den Zustand ihrer Häuser. Einige Brüder brachte man in einem Paddelboot zum Königreichssaal. Für alle wurden Nahrungsmittel, Kleidung und Medikamente bereitgestellt.

Als Zeugen Jehovas in der nahe gelegenen Provinz Entre Ríos von der Notlage ihrer Glaubensbrüder in Goya erfuhren, handelten sie unverzüglich. In nur zwei Tagen sammelten 12 Versammlungen in Paraná (Entre Ríos) fast vier Tonnen haltbare Lebensmittel und Kleidung und luden alles auf einen Lkw, den sie vom Straßenbauamt ausgeliehen hatten.

Die Hilfslieferungen an Ort und Stelle zu bringen war alles andere als problemlos. Zwei Brücken waren weggespült worden. An der ersten Stelle, wo eine Brücke gewesen war, hielten die Brüder an und halfen den Arbeitern vom Straßenbau, Hunderte von Sandsäcken zu stapeln. Dann luden sie die Hilfsgüter aus, brachten alles über den Fluß und beluden die Lkws, die dort auf sie warteten.

Auf der zweiten Wegstrecke mußten sie eine so stark überflutete Straße befahren, daß es schwierig war, die Gewalt über die Lkws nicht zu verlieren. Bei Einbruch der Dunkelheit erreichten sie die zweite Stelle. Armeeangehörige mit einem großen Boot erklärten sich bereit, mehrere Fahrten zu machen und die Hilfsgüter auf die andere Seite zu bringen.

Dort traf die Hilfsmannschaft auf die Brüder aus Goya, und mit ihnen setzte sie die Reise fort. Die Brüder aus Goya waren von der Liebe und der Entschlossenheit ihrer Glaubensbrüder sehr berührt, während die Brüder aus Paraná durch das entschlossene Ausharren der Überschwemmungsopfer ermuntert wurden.

Auch die Versammlungen in dem Überschwemmungsgebiet legten durch die ständigen Beweise der Liebe Zeugnis ab. In einem Fall war der andersgläubige Mann einer Schwester wegen der schwierigen Wirtschaftslage, die der Regen ausgelöst hatte, sehr besorgt und deprimiert. Die Schwester versicherte ihm, daß die Versammlung ihnen helfen würde. Schon am nächsten Tag machte freudiges Staunen seiner Traurigkeit Platz, als die Ältesten mit einer ansehnlichen Menge Lebensmittel zu ihnen nach Hause kamen. Als schließlich von der Regierung Hilfslieferungen eintrafen, war den Zeugen bereits vier- oder fünfmal Hilfe geleistet worden.

Der Pioniergeist ist ungebrochen

Obwohl die betroffenen Brüder durch die Überschwemmung vieles von ihrem Hab und Gut verloren hatten, waren sie doch entschlossen, Gottes Wort zu predigen. Einige Verkündiger in dem Überschwemmungsgebiet steigerten ihren Einsatz im Predigtdienst. In einer Versammlung meldeten sich etliche für den Hilfspionierdienst, obwohl 80 Prozent ihres Gebiets unter Wasser stand.

Die Versammlungen trafen Vorkehrungen, in den Geschäftsvierteln der Stadt, in Krankenhäusern, auf Busbahnhöfen und in Hochhäusern zu predigen. Es regnete zwar weiter, aber die Pioniere konnten in solchen Bereichen weiter tätig sein und wurden kaum naß. Hilfspioniere lernten, als Gruppe zusammenzuarbeiten und die Zusammenkünfte für den Predigtdienst zu unterstützen sowie einen positiven Geist zu bekunden. Weil sie Jehovas liebevolle Fürsorge in der schwierigen Zeit verspürten, dienen jetzt viele von ihnen als allgemeine Pioniere.

Die Szene dieser Welt wechselt

Angesichts dessen, daß „die Szene dieser Welt wechselt“, ermunterte der argentinische Zweig die Kreisaufseher, ihren Dienstplan umzustellen, damit sie mehr Personen besuchen können (1. Kor. 7:31). In manchen Gegenden ist es schwierig, die Menschen während des Tages zu Hause anzutreffen, denn es arbeiten mehr Leute ganztags. Daher wurde empfohlen, mit dem Straßendienst und dem Predigen in Geschäftsvierteln frühmorgens zu beginnen und die Haus-zu-Haus-Tätigkeit auf die Abendstunden zu verlegen. Informelles sowie telefonisches Zeugnisgeben wurden ebenfalls betont. Die Verkündiger werden ermuntert, jede Gelegenheit zu nutzen, um mit anderen zu sprechen.

Als eine Schwester einmal von Haus zu Haus predigte, bemerkte sie einen Mann, der mit seinen Kindern in einem Park auf der anderen Straßenseite spielte. Zuerst zögerte sie zwar, ging dann aber doch mit ihrer Dienstpartnerin auf ihn zu. Sie knüpften ein Gespräch an und staunten über seine positive Reaktion. Der Mann gab ihnen sogar seine Adresse. Zusammen mit ihrem Mann besuchte die Schwester ihn, und sie stellten fest, daß er und seine Frau schon gespannt auf sie warteten. Nach einigen Gesprächen konnte ein Bibelstudium eingerichtet werden. Zeugen Jehovas hatten zwar schon des öfteren bei ihnen vorgesprochen, aber die Frau hatte nie Interesse gezeigt. Jetzt machen beide gute Fortschritte; sie besuchen die Zusammenkünfte und beteiligen sich auch daran.

In der südlichen Provinz Santa Cruz nutzt Claudio Julian Bórquez seine Möglichkeiten als Reiseführer, indem er Touristen, die den Nationalpark Los Glaciares besuchen, informell Zeugnis gibt. Dieser Park beheimatet 13 Gletscher, zu denen auch der fast 5 Kilometer breite Perito Moreno gehört, der Touristen aus aller Welt anlockt. Wenn Touristen die Schönheit des Gletschers bewundern, lenkt der Bruder die Aufmerksamkeit auf den Schöpfer und verbreitet dadurch Literatur in verschiedenen Sprachen. Ja, Jehovas Zeugen in Argentinien nutzen jede Gelegenheit, das Wort ‘allen Arten von Menschen’ zu predigen (1. Tim. 2:4).

Straßendienst ist eine andere Möglichkeit, Menschen mit der biblischen Botschaft bekannt zu machen. Victor Buccheer, der oft im Straßendienst tätig ist, lud einen unregelmäßigen Verkündiger ein, ihn zu begleiten. Da der Verkündiger um 8.30 Uhr bei der Arbeit sein mußte, beschlossen sie, um 5.30 Uhr mit dem Straßendienst zu beginnen. Diese Tätigkeit am frühen Morgen half dem Verkündiger und seiner neunköpfigen Familie, den Predigtdienst wieder regelmäßig zu verrichten. Es gelang ihnen, Bibelstudien einzurichten, und in einem Monat verbreiteten sie 176 Zeitschriften. Das ermunterte auch andere, sich dem Straßendienst am frühen Morgen anzuschließen.

Langjährige Missionare — immer noch aktiv

Im Lauf der Jahre haben viele Missionare in Argentinien gedient. Sie lernten eine neue Sprache, paßten sich unterschiedlichen Bräuchen an, harrten trotz gesundheitlicher Probleme aus und erwiesen sich in Zeiten des Verbots als mutig. Einige mußten das Land aus gesundheitlichen Gründen verlassen, andere wegen familiärer Verpflichtungen und wieder andere, weil sie eine neue Zuteilung erhielten. Gwaenydd Hughes, ein Bruder, der die sechste Klasse der Gileadschule besucht hatte, heiratete später und zog zwei Söhne groß. Er setzte seinen treuen Dienst für Jehova bis zu seinem Tod fort. Andere, wie Ofelia Estrada und Lorene Eisenhower, starben in ihrem zugeteilten Gebiet. Eine Anzahl ergebener Missionare aus den ersten Gileadklassen sind jedoch immer noch in ihren Zuteilungen tätig.

Helen Nichols und Helen Wilson, Absolventen der ersten Gileadklasse, erhielten 1948 Argentinien als Zuteilung. 1961 wurden sie in die nordwestliche Provinz Tucumán gesandt. Damals gab es nur eine kleine Versammlung in der Stadt San Miguel de Tucumán. Heute gibt es in der Stadt 13 Versammlungen und 7 Königreichssäle, und 5 weitere Versammlungen befinden sich in der Umgebung. Welch eine Freude es doch für diese Missionare war, an dieser Mehrung einen Anteil gehabt zu haben!

Charles Eisenhower, Absolvent der ersten Gileadklasse, begann mit seinem Missionardienst auf Kuba, wo er von 1943 bis 1948 tätig war. Er sah, wie die Zahl der Verkündiger von 500 auf 5 000 anstieg. Dann wurde er nach Argentinien gesandt, wo er zunächst als Missionar, später als Kreisaufseher und auch als Bezirksaufseher diente, und zwar bis April 1953. Zu der Zeit wurde er zum Zweigaufseher ernannt. Er hatte das Vorrecht, die Zahl der Verkündiger in Argentinien von 900 auf über 121 000 anwachsen zu sehen. Bruder Eisenhower, der als Koordinator des Zweigkomitees dient, bemerkt: „Nichts auf der Welt kann jungen Männern und Frauen mehr Freude bringen, als ihr Leben völlig in den Dienst Jehovas zu stellen.“

Die Freude, Jehova zu dienen

Die argentinischen Zeugen, die den Vollzeitdienst aufgenommen haben, sind ebenfalls glücklich, ihr Leben im Dienst Jehovas zu verbringen. Marcelo und María Oliva Popiel ließen sich 1942 beziehungsweise 1946 taufen. Beide sind seit 44 Jahren im Sonderpionierdienst tätig. Für die Popiels war das Verbot von 1976 keine neue Erfahrung, denn sie hatten schon unmittelbar nach dem Verbot von 1950 Einschränkungen des Werkes erlebt. Sie halfen den Neuen, mit den Einschränkungen durch das erneute Verbot umzugehen, und ermunterten sie, ihren Dienst treu fortzusetzen. Marcelo blickt gern auf die Jahre im Dienst Jehovas zurück. Er sagt: „Es ist eine Freude, Jehova loyal gedient zu haben. Wir sind Jehova sehr dankbar für das Vorrecht, ihm zu dienen, und dafür, daß wir die besten Jahre unseres Lebens in einem wahrhaft lohnenden Werk verbringen durften.“

Pietro Brandolini, der sich 1957 taufen ließ und seit fast 40 Jahren als Sonderpionier tätig ist, empfindet genauso. Er ist glücklich, sein Leben im Vollzeitdienst verbracht zu haben, denn die empfangenen Segnungen sind zahlreicher, als er jemals gehofft hatte. Voller Begeisterung berichtet er, daß Jehova stets für ihn gesorgt hat, sowohl in geistiger als auch in materieller Hinsicht.

Pietro hat bereits die 70 überschritten, und zuweilen hat er gesundheitliche Probleme. Doch er ist immer noch als Sonderpionier tätig. Vor kurzem traf er einen Mann an, der Lehrer an einer katholischen Schule ist. Pietro bot ihm ein Bibelstudium an, das der Lehrer gern annahm. Nach dem vierten Studium sagte ihm dieser Mann, er glaube, die Wahrheit kennenzulernen. Pietro wies ihn darauf hin, daß er seine Arbeit verlieren könne, wenn die Priester in der Schule von seinem Bibelstudium mit Zeugen Jehovas erfahren würden. Der Mann sagte jedoch, er sei unbesorgt, denn er könne irgendwo Arbeit finden. Wie froh war Pietro darüber, daß der Lehrer die Wahrheit des Wortes Gottes als etwas so Wertvolles einschätzte!

Eifrig für vortreffliche Werke

Vielen anderen ist bewußt geworden, daß die Zeit drängt, und sie haben sich „eifrig für vortreffliche Werke“ eingesetzt (Tit. 2:14). Zur Zeit sind mehr als 120 000 Verkündiger in Argentinien tätig, und mehr als 7 000 von ihnen haben ihr Leben so eingerichtet, daß sie den allgemeinen Pionierdienst durchführen können. Einer von ihnen ist Hernán Torres. Er ist fast 70 Jahre alt, blind und auf einen Rollstuhl angewiesen, daher kostet es ihn besondere Anstrengungen, das Stundenziel für Pioniere zu erreichen. An manchen Tagen steht er früh auf und begibt sich in einen bestimmten Bereich des Pflegeheims, in dem er wohnt. Dort spricht er mit anderen über die Bibel, macht Rückbesuche und überbringt den Bewohnern, die regelmäßig die Zeitschriften lesen, ihre Ausgaben. Wenn schönes Wetter ist, sitzt er draußen vor dem Pflegeheim und predigt den Passanten. An anderen Tagen begleitet ihn ein Bruder oder eine Schwester im Haus-zu-Haus-Dienst. Da er ja blind ist, läßt ihn sein Partner wissen, wer vor ihm steht. Öffnet ein Mann die Tür, tippt sein Partner ihm einmal auf die Schulter. Ist es eine Frau, tippt er zweimal, und wenn ein Jugendlicher öffnet, tippt er ihm dreimal auf die Schulter.

Rolando Leiva, ein anderer allgemeiner Pionier, ist Friseur. In seinem Salon legt er Veröffentlichungen der Watch Tower Society aus. Die neusten Ausgaben der Zeitschriften Wachtturm und Erwachet! sind immer dort zu finden. Die Kunden haben sich daran gewöhnt, daß nur Veröffentlichungen der Watch Tower Society zum Lesen ausliegen. „Da ich für das Haareschneiden sehr wenig berechne, sind die Kunden mit meinen Bedingungen einverstanden“, sagt Rolando. Während er einem Kunden die Haare schneidet, beobachtet er im Spiegel die Wartenden. „Wenn ich sehe, daß jemand eine Zeitschrift mit Interesse liest, fange ich mit dem Betreffenden ein Gespräch an, wenn er mit dem Haareschneiden an der Reihe ist“, erzählt Rolando. Auf diese Weise hat er in einem Dienstjahr 163 Abonnements aufnehmen können. Er konnte auch viele Bibelstudien bei seinen Kunden einrichten. Acht der Bibelstudien, die er gegenwärtig leitet, kamen durch informelles Zeugnisgeben in seinem Friseursalon zustande.

Auch Jugendliche beweisen ihren Eifer beim Predigen des Wortes Gottes. Elber Heguía, ein 13jähriger Bruder in der Versammlung San Pedro-Mitte in der Provinz Jujuy, verrichtet seit zwei Jahren den Pionierdienst. Als eine Schwester ihm einmal die Adresse eines Mannes gab, den sie im Straßendienst getroffen hatte, ging Elber dem Interesse nach und war überrascht, einen Mann anzutreffen, der Kampfsportarten lehrt. Er sprach den Lehrer an und erklärte den Grund seines Kommens. Daraufhin nahm der Mann das Buch Erkenntnis, die zu ewigem Leben führt entgegen. Das Buch gefiel ihm, und er bat um mehrere Exemplare für seine Schüler. So kam es, daß Elber 50 Bücher, 40 Broschüren und etliche Zeitschriften abgeben konnte. Er richtete bei dem Lehrer und bei 25 seiner Schüler Bibelstudien ein. Einige machen gute Fortschritte.

Zeugen vom und bis zum entferntesten Teil der Erde

Eifrige Verkündiger aus anderen Ländern brachten die gute Botschaft ursprünglich nach Argentinien, und die argentinischen Brüder haben ihren Geist der Selbstaufopferung nachgeahmt. Die Bethelfamilie ist auf 286 Mitarbeiter angewachsen. Weitere 300 Brüder und Schwestern sind in anderen Bereichen des Sondervollzeitdienstes tätig.

Andere waren bereit, in Ländern zu dienen, wo mehr Verkündiger benötigt wurden (Jes. 6:8). In den 80er Jahren sorgte die leitende Körperschaft beispielsweise dafür, daß 20 argentinische Brüder als Missionare in Paraguay dienen konnten, ohne die Gileadschule besucht zu haben. Vor kurzem sind etliche unverheiratete Schwestern sowie andere dorthin gezogen, wo ein größerer Bedarf an Verkündigern besteht. Sie haben sich bereitwillig auf ein feuchtheißes Klima eingestellt, um die gute Botschaft zu verkündigen. Viele der 73 argentinischen Brüder und Schwestern, die zur Zeit in Paraguay tätig sind, bemühen sich, Guaraní zu erlernen — die Sprache der Einheimischen —, um so mehr Menschen zu erreichen.

In all den Jahren sind viele als Pioniere und reisende Aufseher nach Bolivien und Chile gegangen, um dort zu dienen. Als das Werk in Osteuropa erschlossen wurde, stellte sich ein argentinischer Bruder, der Ungarisch spricht, zur Verfügung, und jetzt ist er in Ungarn als Kreisaufseher tätig. Ein Ehepaar erkundigte sich, ob es möglich sei, das Predigtwerk in Benin (Afrika) zu unterstützen, und sie wurden als Missionare dorthin gesandt. Ihre Liebe spiegelt die Einstellung des gesamten Volkes Jehovas wider, das in einem geistigen Paradies lebt, in dem es keine nationalen Grenzen gibt.

Die begeisterten argentinischen Verkündiger der guten Botschaft vom Königreich sind bereit gewesen, ‘das Wort zu predigen, dringend darauf zu halten’, sowohl „in günstiger Zeit“ als auch „in unruhvoller Zeit“ (2. Tim. 4:2). Dank ihrer unermüdlichen Anstrengungen gibt es heute in Argentinien mehr als 121 000 Lobpreiser Jehovas, die von ihm reich gesegnet werden (Spr. 10:22).

[Übersicht/Bild auf Seite 186]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

ZAHLENMÄSSIGE ZUNAHME DER ZEUGEN WÄHREND DER VERBOTSJAHRE

1950 1960 1970 1980

1 416 7 204 18 763 36 050

[Ganzseitiges Bild auf Seite 148]

[Bilder auf Seite 150]

Sie halfen mit, eine Grundlage für das Predigen der guten Botschaft in Argentinien zu legen: (1) George Young, (2) Juan Muñiz, (3) Carlos Ott, (4) Nicolás Argyrós

[Bild auf Seite 152]

Dieser Bus diente Armando Menazzi und anderen eifrigen Zeugen in mindestens 10 Provinzen beim Predigen

[Bild auf Seite 156]

Bruder Knorr (rechts) bei einem der Kongresse, die 1953 während des Verbots stattfanden

[Bild auf Seite 161]

Die erste von Jehovas Zeugen eingesetzte Rollenoffsetpresse

[Bild auf Seite 162]

Internationaler Kongreß „Göttlicher Sieg“ in Río Ceballos (1974)

[Bild auf Seite 178]

Ein Kongreß, der in schweren Zeiten im Wald stattfand

[Bild auf Seite 193]

Ein schwimmender Königreichssaal in der Delta-Region des Paraná

[Bild auf Seite 194]

Steven und June Lee dienen den Koreanern in einem Kreis, der sich über mehrere Länder erstreckt

[Bild auf Seite 200]

Einer der südlichsten Königreichssäle in Ushuaia (Feuerland), der in Schnellbauweise errichtet wurde

[Bilder auf Seite 202]

Kongreßsäle in Argentinien: (1) Moreno, (2) Córdoba, (3) Lomas de Zamora, (4) Misiones

[Bild auf Seite 204]

Kongreßsaal in Cañuelas

[Bilder auf Seite 208, 209]

Internationaler Kongreß (1990)

[Bild auf Seite 215]

Verheerende Überschwemmungen in Nordargentinien machten viele obdachlos

[Bilder auf Seite 218]

Missionare der Anfangszeit, die immer noch in Argentinien tätig sind: (1) Filia Spacil (2) Edith Morgan (3) Sophie Soviak (4) Helen Wilson (5) Mary Helmbrecht (6) Charles Eisenhower

[Bilder auf Seite 223]

(1) Zweigkomitee (von links nach rechts): M. Puchetti, N. Cavalieri, P. Giusti, T. Kardos, R. Vázquez, C. Eisenhower

Zweiggebäude: (2) Bürogebäude, (3) Druckerei, (4) Bethelheim