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Kongo (Brazzaville)

Kongo (Brazzaville)

Kongo (Brazzaville)

„ ‚Die Wahrheit wird euch frei machen‘ “. Verwundert las Etienne den in Gold geprägten Titel auf dem lilafarbenen Buch. Kein Zweifel! Das Päckchen, das er gerade geöffnet hatte, war für ihn gedacht. Da stand seine Adresse: Etienne Nkounkou, leitender technischer Zeichner einer Behörde in Bangui (Französisch-Äquatorialafrika). Aber er hatte das Buch nicht bestellt und der Schweizer Absender mit dem Namen Watch Tower sagte ihm rein gar nichts. Er konnte nicht ahnen, dass die biblische Wahrheit, so wie sie in diesem Buch erklärt wurde, sehr bald sein Leben verändern würde. Diese Wahrheit würde auch Tausende seiner afrikanischen Landsleute von falscher Religion, von Vorurteilen gegenüber anderen Stämmen und vom Analphabetentum befreien. Sie würde viele davor bewahren, von der bald einsetzenden politischen Euphorie mitgerissen zu werden und die nachfolgende Ernüchterung erleben zu müssen. Sie würde in einer traumatisierenden Zeit Hoffnung und Zuversicht schenken. Und sie würde gottesfürchtige Menschen dazu bewegen, ihr Leben zu riskieren, um anderen zu helfen. Die Geschichte dieser Ereignisse geht einem einfach zu Herzen und macht Mut. Aber was fing Etienne wohl mit dem Buch an? Eine spannende Frage — doch zuerst ein paar Einzelheiten über das afrikanische Land, das Etiennes Heimat war.

Zehn Jahre bevor Kolumbus 1492 Amerika entdeckte, stießen portugiesische Seefahrer mit ihrem Kapitän Diogo Cão auf die Kongomündung in Zentralafrika. Sie hatten keine Ahnung, dass das Flusswasser, das ihr Schiff umspülte, bereits Tausende von Kilometern zurückgelegt hatte, bevor es in das Meer geflossen war.

Die Einheimischen, auf die die Portugiesen trafen, waren Bewohner eines blühenden Königreiches — das Kongoreich. In den Jahrhunderten danach kauften portugiesische und andere europäische Händler Afrikanern, die entlang der Küste lebten, Elfenbein und Sklaven ab. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts stießen Europäer ins Landesinnere vor. Einer der berühmtesten Erforscher dieses Gebiets war Pierre Savorgnan de Brazza, ein französischer Marineoffizier. Er schloss 1880 mit einem Häuptling einen Vertrag, durch den das Gebiet nördlich des Kongo Frankreich unterstellt wurde. Dieses Gebiet wurde später Teil von Französisch-Äquatorialafrika mit Brazzaville als Hauptstadt.

Brazzaville ist auch heute die Hauptstadt der jetzigen Republik Kongo und gleichzeitig die größte Stadt des Landes. Sie liegt am Ufer des Kongostroms, der von hier aus bis zur Mündung (wo Cão während seiner Entdeckungsreise mit seinem Schiff vor Anker ging) rund 400 Kilometer weit meist über Felsbrocken und Felsvorsprünge dem Meer entgegenjagt. Von Brazzaville aus kann man die Skyline Kinshasas auf der anderen Seite des Flusses sehen. Kinshasa ist die Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo. Da beide Länder den Namen des Flusses übernommen haben, nennt man sie im Allgemeinen Kongo (Brazzaville) und Kongo (Kinshasa).

Unzählige Stromschnellen und Wasserfälle machen den Kongo von Brazzaville aus stromabwärts zum Atlantik unpassierbar. Allerdings gibt es eine Eisenbahnverbindung zwischen Brazzaville und der Küstenstadt Pointe-Noire. Die meisten Einwohner des Kongo leben in diesen beiden Zentren und deren Umkreis. Ansonsten ist der größte Teil des heißen und dicht bewaldeten Landes, abgesehen von einigen weiteren Ortschaften entlang der Küste und ein paar Städten im Norden, spärlich besiedelt.

Die Wahrheit macht die ersten Kongolesen frei

Aber zurück zu Etiennes Geschichte. Er erhielt dieses Buch 1947. Noch am gleichen Tag, an dem es bei ihm eintraf, las er die ersten Kapitel und unterhielt sich darüber mit einem Nachbarn. Für beide klangen die Gedanken im Buch glaubhaft und wahr, und sie planten, für den folgenden Sonntag ein paar Freunde einzuladen, um mit ihnen gemeinsam in dem Buch zu lesen und die Bibeltexte nachzuschlagen. Allen gefiel das, was sie lasen, und sie verabredeten sich zu einem zweiten Treffen am nächsten Sonntag. Diesmal kam auch Augustin Bayonne, ein Zollbeamter, der wie Etienne aus Brazzaville stammte. Er erzählte anderen von da an ebenfalls begeistert von der Wahrheit, die echte Freiheit schenkt.

Eine Woche später erhielt Etienne zwei Briefe. Einer stammte von einem Bekannten in Kamerun, der wusste, dass sich Etienne für Religion interessierte. Er schrieb Etienne, er habe dessen Adresse an das Schweizer Büro der Watch Tower Society geschickt. Der andere Brief kam aus der Schweiz. Darin teilte man ihm mit, dass er bald ein Buch erhalten werde, und man ermunterte ihn, es zu lesen und seiner Familie und seinen Freunden davon zu erzählen. Außerdem gab man ihm eine Adresse in Frankreich, falls er Genaueres wissen wolle. Etienne wusste nun also, warum er das Buch bekommen hatte. Bald darauf hatte er regelmäßigen Briefkontakt mit dem Zweigbüro der Zeugen Jehovas in Frankreich.

Wenige Jahre später kehrten Etienne und Augustin nach Brazzaville zurück. Doch schon zuvor hatte Etienne an Timothée Miemounoua, einen Bekannten in Brazzaville, der dort Dekan an einer Fachschule war, einen Brief geschrieben. Sein Brief begann mit den Worten: „Ich möchte Sie gern wissen lassen, dass der Weg, den wir bisher gegangen sind, nicht der Wahrheit entspricht. Jehovas Zeugen haben die Wahrheit.“ Dann erklärte Etienne mit ein paar Worten, was er gelernt hatte. Außerdem schickte er das Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ mit. Timothée fühlte sich genauso wie Etienne und Augustin von der biblischen Botschaft angesprochen. Damit waren diese drei Männer die ersten Kongolesen, die die biblische Wahrheit annahmen. Und jeder der Drei brachte vielen weiteren Menschen die Wahrheit näher.

Timothée lud Studenten an seiner Fachschule, die dort im Internat wohnten, für die Abendstunden zu Gesprächen über die Bibel ein. Und er bat schriftlich um weiteren biblischen Lesestoff. Die Gruppe hielt Zusammenkünfte ab und predigte so gut sie konnte. Einige Studenten, wie zum Beispiel Noé Mikouiza und Simon Mampouya, konnten in Jehovas Organisation später als Aufseher dienen — eine schöne Aufgabe.

Im Jahr 1950 besuchte Eric Cooke, ein Missionar, der in Südrhodesien (dem heutigen Simbabwe) lebte, die kleinen Gruppen in Bangui und Brazzaville, um sie zu ermuntern. Allerdings konnte Bruder Cooke kein Französisch. Etienne erinnert sich: „Mit seinem kleinen englisch-französischen Wörterbuch versuchte dieser demütige, sympathische Bruder uns nach besten Kräften alles über das Königreichspredigtwerk und die theokratische Organisation zu erklären. Manchmal konnten wir nur raten, was er uns sagen wollte.“

Erste Einschränkungen

Bruder Cooke war gerade zur rechten Zeit zu Besuch gekommen, denn am 24. Juli 1950 bestimmte der Hochkommissar der Kolonialbehörden, dass die Einfuhr und Verbreitung sämtlicher Publikationen von Jehovas Zeugen eingeschränkt werden sollte. Im nächsten Jahr verbreiteten die Verkündiger in ganz Französisch-Äquatorialafrika insgesamt nur sechs Publikationen, aber sie hielten 468 öffentliche Zusammenkünfte ab. Voller Verständnis und mit großem Mitgefühl für die Brüder hieß es im englischen Jahrbuch der Zeugen Jehovas von 1952: „Stellt euch vor, ihr wohnt in einem riesigen Gebiet, in dem nur 37 Verkündiger der Königreichsbotschaft über das ganze Land verstreut leben. Vielleicht habt ihr außer den wenigen Zeugen in eurer Heimatstadt noch niemals einen anderen Zeugen zu Gesicht bekommen. Was ihr von der Wahrheit und über Predigtmethoden wisst, habt ihr nur aus ein paar Publikationen und den wenigen Briefen der Gesellschaft, die den Weg ins Land gefunden haben. In dieser Situation befinden sich die Brüder in dem von Frankreich kontrollierten Afrika.“

Später kam Jacques Michel aus Frankreich, um der Gruppe den Rücken zu stärken und sie weiter zu schulen. Noé Mikouiza, einer der Studenten an der Fachschule, erinnert sich noch an eine Frage, die damals alle beschäftigte. „Ist es verboten, Wein zu trinken?“ Alle Augen hingen an Bruder Michels Lippen, als er in seiner Bibel Psalm 104:15 aufschlug. Nachdem er den Vers vorgelesen hatte, erklärte er, dass der Wein ein Geschenk von Gott ist. Christen sollten nur nicht zu viel davon trinken.

Die neugetauften Brüder in Brazzaville predigten eifrig. An den Wochenenden setzten sie regelmäßig mit der Fähre nach Kinshasa über, um dort zu predigen. 1952 ließen sich auf der linken Seite des Flusses die ersten Kongolesen taufen. In jenen Jahren taten die Brüder von Brazzaville viel für die Menschen in Kinshasa. Später sollte es andersherum sein.

Im Dezember 1954 veranstalteten die Brüder einen Kongress in Brazzaville. Anwesend waren 650 und getauft wurden 70. Immer mehr Menschen kamen durch die Wahrheit von der falschen Religion frei. Die Geistlichen waren darüber natürlich nicht besonders glücklich und setzten alles daran, staatliche Stellen gegen Jehovas Zeugen aufzuwiegeln. Da die Polizei Timothée Miemounoua für den Anführer der Zeugen hielt, zitierte sie ihn häufig zur Polizeiwache. Die Beamten drohten ihm und schlugen ihn. Er ließ sich davon jedoch nicht entmutigen, und auch alle anderen Diener Jehovas in Brazzaville ließen sich davon nicht einschüchtern. Immer mehr Menschen interessierten sich für die biblische Wahrheit.

Also griff man zu anderen Maßnahmen. Timothée Miemounoua und Aaron Diamonika, ein weiterer ehemaliger Student an der Fachschule, der ebenfalls die Wahrheit angenommen hatte, waren bei der Regierung angestellt. 1955 versetzte die Regierung sie in zwei andere Städte, weit weg ins Landesinnere. Timothée kam nach Djambala und Aaron nach Impfondo. Der Versuch, dadurch das Predigtwerk lahm zu legen, schlug jedoch gründlich fehl. In Brazzaville predigten die Brüder emsig weiter, und Timothée und Aaron predigten einfach in ihrer neuen Heimat und gründeten dort Versammlungen. Die Brüder waren wirklich eifrig, doch sie wünschten sich sehnlichst Unterstützung aus dem Ausland. Die sollte auch bald kommen.

Im März 1956 trafen die ersten Missionare aus Frankreich ein. Sie waren zu viert: Jean und Ida Seignobos zusammen mit Claude und Simone Dupont. Im Januar 1957 wurde in Brazzaville ein Zweigbüro eröffnet, das für das Predigtwerk in Französisch-Äquatorialafrika zuständig war. Zweigdiener wurde Bruder Seignobos. Kurz danach passierte jedoch ein schlimmes Unglück. Als Jean und Ida die Versammlungen in der heutigen Zentralafrikanischen Republik besuchten, hatten sie unterwegs einen Autounfall, bei dem Ida ums Leben kam. Trotz dieses tragischen Unfalls gab Jean seinen Missionardienst nicht auf.

Vorstoß ins Landesinnere

Inzwischen war Augustin Bayonne Kreisaufseher. Er besuchte die Dörfer in den tiefen Wäldern des Kongo und auch die Lager der Pygmäen im Norden und Westen des Landes. Weil er so oft und so weite Strecken zu Fuß ging, wurde er in der ganzen Gegend als „Der Mann, der viel geht“ bekannt. Jean Seignobos begleitete Bruder Bayonne gelegentlich. Er war überrascht, dass die Leute im tiefsten Regenwald immer schon wussten, dass sie kommen würden. Die Trommeln hatten es ihnen verraten. Sie hatten die Botschaft weitergeleitet: „Der Mann, der viel geht, ist mit einem weißen Mann auf dem Weg zu euch.“

Diese Bemühungen bewirkten viel Gutes. Bis dahin hatten die Leute behauptet, Jehovas Zeugen gäbe es nur in Kongo (Brazzaville) und sonst nirgends. Doch nun waren Bruder Seignobos und andere Missionare aus dem Ausland da. Zudem wurde der Film Die Neue-Welt-Gesellschaft in Tätigkeit vorgeführt. Damit war diese Behauptung widerlegt.

Die biblische Wahrheit drang immer tiefer ins Landesinnere vor und befreite die Menschen in den Dörfern von spiritistischen Praktiken und Konflikten zwischen den Stämmen. Viele Brüder in diesen Gegenden konnten weder lesen noch schreiben. Sie hatten auch keine Uhren. Sie lasen am Stand der Sonne ab, wann es Zeit war, in die Zusammenkünfte zu gehen. Und die Zeit, die sie im Predigtdienst verbrachten, berechneten sie mithilfe von kleinen Stöcken. Jedes Mal, wenn sie jemand predigten, wickelten sie ein Stöckchen in ein Taschentuch. Vier Stöckchen bedeuteten eine Stunde. So konnten sie am Ende von jedem Monat ihren Predigtdienstbericht ausfüllen. In Wirklichkeit predigten die Brüder aber viel mehr, als sie auf ihren Bericht schrieben, denn ihre Gespräche mit anderen drehten sich fast immer nur um die Wahrheit.

Rechtliche Entwicklungen und politische Veränderungen

Die Einfuhr der Literatur von Jehovas Zeugen war ja seit 1950 eingeschränkt. Doch das hat das Werk des Jüngermachens nicht aufgehalten. Frustriert beschwerte sich die Geistlichkeit der Christenheit bei der Regierung und beschuldigte Jehovas Zeugen fälschlicherweise, Kommunisten zu sein. An einem Donnerstag im Jahr 1956 wurden daraufhin um fünf Uhr morgens zehn Brüder festgenommen. Die Verhaftung sprach sich schnell herum; die religiösen Gegner jubelten. Die Gerichtsverhandlung fand noch am selben Tag statt. Der Gerichtssaal war gerammelt voll mit Brüdern, die das Verfahren mitverfolgten.

Noé Mikouiza erzählt: „Während des Prozesses wiesen wir nach, dass wir keine Kommunisten, sondern Christen waren, Diener Gottes, die das erfüllen, was in Matthäus 24:14 steht. Unser Anwalt, der unsere Publikationen gelesen hatte, erklärte dem Gericht, wenn jeder wie die Zeugen Jehovas wäre, gäbe es keine Verbrecher. Noch am selben Nachmittag wurde das Urteil verkündet: ‚Nicht schuldig!‘ Froh liefen wir alle schnell nach Hause, um uns umzuziehen, denn am Abend hatten wir Zusammenkunft. Die Neuigkeit von der Verhaftung hatte sich ja in der ganzen Stadt verbreitet, und wir wollten, dass jeder wusste, dass wir wieder frei waren. Wir sangen die Königreichslieder so laut wir nur konnten. Viele, die uns hörten, waren schockiert. Sie waren davon ausgegangen, dass wir im Gefängnis saßen.“

Am 15. August 1960 erlangte die Republik Kongo die Unabhängigkeit. Es kam zu politischen Unruhen und Tumulten. Jehovas Zeugen setzten ihr Predigtwerk fort, wohingegen die Geistlichkeit der Christenheit voll in die Geschehnisse verwickelt war. 1960 besuchten insgesamt 3 716 Personen einen Kreiskongress in Brazzaville. Auch im Norden hatten die Versammlungen großen Zulauf. In einem Gebiet, wo 70 Verkündiger lebten, besuchten beispielsweise fast 1 000 Menschen die Zusammenkünfte!

Im Dezember 1961 ließen die Zeugen eine Vereinigung unter dem Namen „Les Témoins de Jéhovah“ eintragen. Die rechtliche Anerkennung hatte ihre Vorteile, doch den Brüdern war bewusst, dass es unklug war, sich auf so etwas zu verlassen. Bruder Seignobos schildert, was kurz danach passierte: „Eines Tages zitierte mich ein hoher Beamter der Sicherheitsbehörde zu sich. Er kritisierte unsere Neutralität als Christen und drohte mir, mich des Landes zu verweisen. Ich hatte Angst, dass er seine Drohung wahr machen würde, denn er war tatsächlich befugt dazu. Aber am nächsten Tag starb er an einem Herzinfarkt.“

Das Missionarleben in den 60er Jahren

Im Februar 1963 kamen Fred Lukuc und Max Danyleyko aus Haiti in den Kongo. Fred heiratete und reiste danach als Kreisaufseher. Anfangs hatte er in den Versammlungen Mühe, auseinander zu halten, wer zu welcher Familie gehörte. Er erzählt: „Ich hatte keine Ahnung, welche Frau zu welchem Ältesten gehörte, und ich wurde nicht schlau daraus, wer ihre Kinder waren. Die Brüder hielten sich an die zentralafrikanische Tradition, nach der die Frauen nach der Heirat ihren Namen behielten und die Kinder nach einem Verwandten oder Freund der Familie benannt wurden.

An unserem ersten Abend im Königreichssaal waren die Brüder ziemlich ruhig und sehr schüchtern. Als die Zusammenkunft anfing, beobachteten wir etwas Eigenartiges. Die Brüder und deren ältere Söhne saßen auf der einen Seite des Saals, die kleineren Kinder und die Schwestern auf der anderen Seite. Die Seite der Brüder war zu Beginn der Zusammenkunft ziemlich voll, aber auf der Seite der Schwestern saß nur eine Hand voll. Doch im Lauf der Zusammenkunft kamen immer mehr Schwestern mit ihren Kleinen im Schlepptau herein. Ihre Bibeln und Bücher balancierten sie elegant auf dem Kopf.

Ich ging auf die Bühne, begrüßte die Versammlung und stellte meine Frau und mich vor. Nach einer herzlichen Willkommensrede hielt ich inne, schaute eine Weile auf die Männerseite im Saal und sagte dann: ‚Liebe Brüder, wir machen zehn Minuten Pause. Würdet ihr euch bitte zu eurer Frau und zu euren Kindern setzen? Setzt euch doch bitte von jetzt an als Familie zusammen, so wie Jehovas Volk das auf der ganzen Erde tut.‘ Sie kamen meiner Bitte gern nach.“

Das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln hatte auch so seine Tücken. Leah, die Frau von Bruder Lukuc, erinnert sich: „Wir hatten immer Feldbetten dabei, ein Moskitonetz, einen Wassereimer, einen Wasserfilter, Kleidung, Bücher, Zeitschriften und biblische Filme. Um die Filme zeigen zu können, mussten wir Kabel, Glühbirnen, Filmspulen, Manuskripte, einen kleinen Generator und einen Kanister Benzin mitnehmen. Das alles befand sich also in unserem Gepäck, wenn wir mit einem der Lastwagen mitfuhren. Wollten wir allerdings vorn beim Fahrer einen Platz bekommen, mussten wir schon um zwei Uhr morgens parat stehen. Ansonsten mussten wir mit den Tieren, dem Gepäck und vielen anderen Mitfahrern hinten in der prallen Sonne sitzen.

Einmal kamen wir nach einem stundenlangen Fußmarsch in der brütenden Hitze nach Hause und stellten fest, dass die kleine Lehmhütte, in der wir wohnten, von Wanderameisen heimgesucht worden war. Sie waren einen Wassereimer hinaufgekrabbelt und hatten dann mit ihren Leibern eine Brücke zu einer kleinen Dose Margarine geschlagen, die sie völlig leer putzten. An jenem Abend gab es für jeden von uns nur trockenes Toastbrot und eine halbe Büchse Sardinen zu essen. Wir waren müde und taten uns wohl auch ein wenig selbst Leid. Wir gingen schlafen. Draußen am Feuer sangen unsere Brüder leise Königreichslieder. Was für eine wunderschöne und sanfte Art, in den Schlaf zu sinken!“

Treue Missionare und treue einheimische Älteste

Zwischen 1956 und 1977 waren mehr als 20 Missionare in Kongo (Brazzaville) tätig. Das Leben war nicht immer einfach für sie, aber jeder von ihnen brachte im Königreichspredigtwerk viel Wertvolles ein. Zum Beispiel waren alle Zweigdiener auch Missionare. Als Bruder Seignobos 1962 nach Frankreich zurückging, wurde Larry Holmes mit der Aufsicht über das Predigtwerk betraut. Nachdem Larry und seine Frau Audrey 1965 aus dem Missionardienst schieden, wurde Bruder Lukuc Zweigdiener.

Auch viele einheimische Brüder übernahmen auf wirklich vorbildliche Weise die Führung. Als 1976 das Zweigkomitee eingeführt wurde, ernannte die leitende Körperschaft drei Brüder: Jack Johansson und Palle Bjerre, beide Missionare, und Marcellin Ngolo, einen einheimischen Bruder.

Augustin Bayonne — „Der Mann, der viel geht“ — besuchte 1962 die 37. Gileadklasse. Nach der Abschlussfeier kam er in die Zentralafrikanische Republik, wo er nahezu 15 Jahre zuvor das Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ gelesen hatte. Etwas später heiratete Augustin, wurde Vater und ging nach Brazzaville zurück. Er stellte sein Zuhause für die Zusammenkünfte zur Verfügung und spendete später einen Teil seines Lands für einen Königreichssaal. Dieser ist in der Zwischenzeit dort auch gebaut worden.

Sowohl Augustin Bayonne als auch Timothée Miemounoua sind mittlerweile verstorben. Vor seinem Tod brachte Timothée einige seiner Erlebnisse zu Papier. Er schloss seine Erzählungen mit einem Zitat aus Hebräer 10:39 ab: „Wir nun sind nicht von denen, die zur Vernichtung zurückweichen, sondern von denen, die Glauben haben zum Lebendigerhalten der Seele.“ Etienne Nkounkou, der zu den ersten drei gehörte, die die Wahrheit im Kongo annahmen, geht jetzt stark auf die 90 zu. Der treue Dienst dieser Brüder ist wirklich für jeden ein gutes Beispiel!

Eine Zeit der Bewährung

Im August 1970 wurde im Kongo eine kommunistische Regierungsform eingeführt. In den Jahren zuvor hatte man den Brüdern schwer zugesetzt und sie beschuldigt, Kommunisten zu sein. Jetzt, wo die Kommunisten federführend waren, kritisierte man die Brüder, weil sie keine Kommunisten waren!

Eine Zeit lang legte die neue Regierung den Aktivitäten der Zeugen Jehovas jedoch keine Steine in den Weg. Es konnten ohne Probleme Bezirkskongresse und Zusammenkünfte abgehalten werden, und es durften auch weitere Missionare ins Land einreisen. Aber nach einer Weile bekamen die Brüder dann doch die Folgen des kommunistischen Regimes zu spüren. Zunächst bezichtigten einige Beamte die Missionare der Spionage. Am 3. Januar 1977 wurde das Werk der Zeugen Jehovas schließlich offiziell verboten. Ein Missionar nach dem anderen wurde ausgewiesen, bis nur noch Jack und Linda Johansson im Land waren. Über diese Zeit sagt Jack: „Wohl in keiner Phase unseres Missionardiensts ist unser Glaube so sehr geprüft, aber auch derart gestärkt worden wie in diesen wenigen Monaten, die wir allein im Zweigbüro waren. Man hielt uns für Agenten des CIA. Jeder Feind der Regierung — darunter auch religiöse Führer — wurde verhaftet und umgebracht. Wir wussten also, dass wir in großer Gefahr schwebten. Aber wir verspürten Jehovas schützende Hand über uns, und das stärkte unseren Glauben.“

Noé Mikouiza wandte sich an den Premierminister und bat darum, dass Jack und Linda im Land bleiben durften. Die Bitte wurde jedoch abgewiesen, und die beiden mussten gehen. Man beschlagnahmte das Eigentum des Zweigbüros und die Königreichssäle und schloss das Zweigbüro. Eine kurze Zeit lang betreute der französische Zweig das Predigtwerk, aber später wurde diese Aufgabe dem Zweigbüro in Kinshasa übertragen.

Die Brüder waren nun zwar auf manchen Gebieten eingeschränkt, doch sie wurden nicht so schwer verfolgt wie die Zeugen in anderen Ländern. Trotzdem bekamen es einige Brüder mit der Angst zu tun, und diese Angst wirkte ansteckend. Die Brüder hielten schon noch regelmäßig Zusammenkünfte ab, aber von Haus zu Haus predigten sie so gut wie nicht mehr. Das Zweigbüro in Kinshasa schickte daraufhin Älteste auf die andere Seite des Flusses, um den Brüdern Mut zu machen und sie zu stärken.

Einer dieser Ältesten war André Kitula. Er fing seine erste Besuchsrunde als Kreisaufseher bei den 12 Versammlungen in Brazzaville im Juni 1981 an. In der ersten Versammlung stellte er fest, dass die Brüder zwar schon die Theokratische Predigtdienstschule und die Dienstzusammenkunft am Dienstag besuchten. Aber am Mittwochmorgen kam kein einziger Verkündiger zur Zusammenkunft für den Predigtdienst. André machte sich also allein auf den Weg. Als er unterwegs einen Mann ansprach, beschwerte sich dieser: „Früher haben uns Jehovas Zeugen immer getröstet, aber auf einmal sind sie verschwunden!“

Am gleichen Vormittag traf André im Predigtdienst auch einen Bruder, der zu ihm sagte: „Die gute Gewohnheit, von Haus zu Haus zu predigen, ist uns allen irgendwie abhanden gekommen.“ Der Bruder erzählte anderen Verkündigern davon, dass André im Predigtdienst unterwegs war. Am Nachmittag kamen bereits einige Schwestern zur Zusammenkunft für den Predigtdienst. Bald ging man in ganz Brazzaville wieder regelmäßig von Haus zu Haus. In den drei Jahren, die André und seine Frau Clémentine dort dienten, wurde kein einziger Bruder verhaftet. Als die Brüder außerhalb der Hauptstadt von dieser Entwicklung hörten, dachten sie sich: „Wenn die Brüder in Brazzaville keine Angst haben, von Haus zu Haus zu gehen, brauchen wir auch keine Angst zu haben.“

David Nawej, der damals im Zweigbüro in Kinshasa arbeitete, erklärt, warum es dem Zweig in Kinshasa ein besonderes Anliegen war, auf die andere Seite des Flusses Hilfe zu schicken: „Die Brüder von Brazzaville hatten schließlich die Wahrheit nach Kinshasa gebracht. Als die Tätigkeit dort nun wegen des kommunistischen Systems erlahmte, wollten die Zeugen aus Kinshasa ihren Brüdern unter die Arme greifen. Das bestätigte nur die Weisheit der Worte in Prediger 4:9, 10: ‘Zwei sind besser als einer, weil sie eine gute Belohnung für ihre harte Arbeit haben. Denn wenn einer von ihnen fallen sollte, kann der andere ihn aufrichten’. Abgewandelt auf unsere Situation sagten die Brüder immer: ‚Zwei Kongos sind besser als einer!‘ “

Trotz politischer Umwälzungen gehen die Brüder ihren Weg

Das Jahr 1991 brachte große politische Umwälzungen. Kongo (Brazzaville) ging von einer Einparteienherrschaft zu einem Mehrparteiensystem über. Auf den Straßen herrschte zwar Euphorie, aber die Brüder hielten sich stets den guten Rat aus Psalm 146:3 vor Augen: „Setzt euer Vertrauen nicht auf Edle noch auf den Sohn des Erdenmenschen, bei dem es keine Rettung gibt.“ Und es sollte nicht lange dauern, bis sich die Wahrheit dieser Aussage bestätigte.

Trotz alledem brachten die politischen Veränderungen dem Volk Jehovas auch Vorteile. Am 12. November 1991 gab der Innenminister einen Erlass heraus, der das Verbot der Tätigkeit von Jehovas Zeugen im Land aufhob. Die beschlagnahmten Königreichssäle wurden zurückgegeben, nur das ehemalige Zweigbüro nicht. Es ist bis heute von der Präsidentengarde besetzt. Im August 1992 wurden in Brazzaville und Pointe-Noire zum ersten Mal nach 15 Jahren wieder Bezirkskongresse veranstaltet. In jenem Jahr stieg auch die Zahl der Bibelstudien auf nahezu das Vierfache der Verkündigerzahl an: 5 675!

Jetzt, wo das Werk erneut rechtlich anerkannt war, konnten auch wieder Missionare ins Land. Außerdem wurden Sonderpioniere in den Norden des Landes geschickt, wo die meisten, die die Zusammenkünfte besuchten, nicht lesen und schreiben konnten. In den Städten hatten die Versammlungen bereits gute Arbeit geleistet und vielen Lesen und Schreiben beigebracht. Nun war es an der Zeit, die Lese- und Schreibfertigkeit im ganzen Land verstärkt zu fördern.

Durch die Wahlen im Jahr 1993 kam es wiederum zu einem Regierungswechsel. Die von vielen geteilte Unzufriedenheit der Oppositionspartei führte dazu, dass über Wochen der Ausnahmezustand verhängt wurde. Bewaffnete Konflikte, Streiks, Ausgangssperren, Straßensperren und Plünderungen gehörten bald zum Alltag. Die Menschen waren entsetzt und desillusioniert. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten hielten an. Die Euphorie von 1991 war verflogen.

Parallel zu den politischen Unruhen gab es ethnische Konflikte. Manche Brüder waren aufgrund von Stammesfehden gezwungen, an sicherere Orte zu ziehen. Aus diesem Grund mussten einige Versammlungen aufgelöst werden. Doch in der ganzen Zeit bewiesen die Brüder mehrfach, dass die Wahrheit sie vom Völkerhass befreit hatte. Während der Unruhen halfen und schützten sich die Brüder gegenseitig, ganz egal, von welchem Stamm sie kamen. Vielen Menschen ging auf, dass ihnen nur Jehova echte Sicherheit schenken konnte.

Das Zweigbüro in Kinshasa stand den Brüdern mit Rat und Tat bei. Ende 1996 waren die Verhältnisse im Land wieder friedlich, und die Zahl der Verkündiger stieg auf 3 935. Von einem Missionarheim in Brazzaville aus waren fünf Missionare im Einsatz. Und nachdem zwei weitere Ehepaare ins Land gekommen waren, konnte im April 1997 in Pointe-Noire ein neues Missionarheim eröffnet werden.

Am Nordufer des Flusses, in Kongo (Brazzaville), verlief das Leben friedlich; mit dem Königreichspredigtwerk ging es gut voran. Im Nachbarland Kongo (Kinshasa) wüteten unterdessen heftige Kämpfe. Als sich der Krieg immer mehr Kinshasa näherte, mussten die Missionare dort evakuiert werden. Ende Mai predigten die Missionare aus Kinshasa also eifrig an der Seite ihrer Gefährten in Brazzaville und Pointe-Noire. Niemand ahnte, was für schreckliche Ereignisse sich nur wenige Tage später abspielen würden.

Bürgerkrieg bricht aus

Am 5. Juni 1997 brach plötzlich in Brazzaville Krieg aus. Präsidententreue Truppen kämpften gegen Truppen, die dem früheren Präsidenten anhingen. Schwere Artillerie bombardierte und zerstörte sowohl den Stadtkern als auch die Vororte. Tausende kamen um. Überall lagen Leichen. Es herrschte Chaos. Und es war schwierig, die Fronten zu erkennen. Mit der Stabilität, die Brazzaville genossen hatte, war es vorbei. Der Fährbetrieb nach Kinshasa wurde eingestellt. Viele Leute flohen in die Wälder, andere paddelten mit ihrem Einbaum zu kleinen Inseln im Fluss. Wieder andere versuchten, über den Fluss nach Kinshasa zu kommen. Im Umkreis von Kinshasa fanden zwar ebenfalls Kämpfe statt, aber im Vergleich zur Gewalt in Brazzaville waren diese Kämpfe lange nicht so heftig.

Der Krieg brachte den Brüdern die gleichen Probleme wie allen anderen im Land. Aber was für einen Unterschied die Wahrheit im Denken und in den Gefühlen der Diener Gottes bewirkte! Sie vertrauten voll und ganz den Worten aus Psalm 46:1, 2, wo es heißt: „Gott ist uns Zuflucht und Stärke, eine Hilfe, die in Bedrängnissen leicht zu finden ist. Darum werden wir uns nicht fürchten, wenn auch die Erde eine Veränderung erfährt und wenn auch die Berge ins Herz des weiten Meeres wanken.“

Vielen Brüdern gelang es, nach Kinshasa zu fliehen, wo das Zweigkomitee dafür sorgte, dass sie unterkamen, zu essen hatten und ärztlich versorgt wurden. Nur zu gern nahmen Familien in Kinshasa ihre Glaubensbrüder aus Brazzaville liebevoll und gastfreundlich auf.

Einige Brüder blieben in Brazzaville, um denen zur Seite zu stehen, für die es zu schwierig war, zu fliehen. Dazu gehörten zum Beispiel Jean Théodore Otheni und seine Frau Jeanne, eine allgemeine Pionierin. Im August schlug eine Granate in ihr Haus ein. Jeanne wurde schwer verletzt. Jean brachte sie auf schnellstem Weg nach Kinshasa, aber es war zu spät. Er erzählt: „Jeanne liebte ihren Predigtdienst so sehr — bis zuletzt. Sie gab mir ihr Notizbuch mit den ganzen Adressen und sagte: ‚Du musst alle, mit denen ich die Bibel studiert habe, besuchen, denn sie bedeuten mir so viel.‘ Ich umarmte sie, und als ich ihr wieder in die Augen sah, wusste ich, dass sie tot war.“ Jean dient, wie so viele andere, nach wie vor eifrig Jehova, und er vertraut fest auf das Versprechen, dass es eine Auferstehung geben wird.

Da der reguläre Fährdienst zwischen den beiden Hauptstädten unterbrochen war, boten Personen, die kleine Motorboote besaßen, den Leuten, die aus Brazzaville fliehen wollten, ihre Dienste an. Beherzte Brüder aus Brazzaville, wie Louis-Noël Motoula, Jean-Marie Lubaki und Symphorien Bakeba, boten sich an, nach vermissten Brüdern zu suchen und den Brüdern zu helfen, die sich noch in Brazzaville befanden. Das bedeutete, dass sie in einem kleinen Boot der starken Strömung des mächtigen Kongoflusses trotzen mussten, um die kleinen Inseln und das Ufer abzusuchen. Es bedeutete, dass sie sich in die Gefahrenzone in Brazzaville hineinbegaben, wo die Gräueltaten anhielten. Es bedeutete, dass sie ihr Leben für ihre Brüder riskierten.

Symphorien, der den Fluss oft überquert hatte und ihn sehr gut kannte, pendelte während des Bürgerkriegs oft hin und her. Manchmal fuhr er hinüber, um die Brüder in Brazzaville zu unterstützen. Einmal machte er sich zum Beispiel mit zehn Säcken Reis auf den Weg, die er Brüdern in einer verhältnismäßig sicheren Ecke Brazzavilles bringen wollte. Natürlich war es schon einmal kein Kinderspiel, den Fluss zu überqueren, aber noch viel schwieriger war es, den Reis sicher zu den Brüdern zu bringen, ohne dass Plünderer sich daran vergriffen. Bei dieser Fahrt hatte Symphorien einen vornehm gekleideten Passagier dabei, der ihn fragte, wohin der Reis denn gehen solle. Symphorien erklärte ihm, was er vorhatte, und nahm die Gelegenheit beim Schopf, ihm von seiner biblischen Hoffnung zu erzählen. Als er das Boot drüben festmachte, gab sich der Herr als hochrangiger Beamter zu erkennen. Er rief ein paar Soldaten herbei und befahl ihnen, den Reis zu bewachen, bis Symphorien ein Auto beschafft hatte, mit dem er den Reis zu den Brüdern transportieren konnte.

In der Regel setzte Symphorien aber auf die andere Flussseite über, um Brüdern zu helfen, aus Brazzaville zu fliehen. Vor allem eine Überfahrt wird er nie vergessen. Er erzählt rückblickend: „Die Strömungen im Kongo sind sehr stark, aber die meisten Bootsfahrer hier wissen, wie man sicher durchkommt, ohne von ihnen flussabwärts mitgerissen zu werden und in die tückischen Stromschnellen zu geraten. Wir verließen Brazzaville mit sieben Brüdern und fünf weiteren Personen an Bord. Mitten im Fluss ging uns der Treibstoff aus. Wir schafften es, das Boot zu einer kleinen Insel zu dirigieren, wo wir uns gerade so festklammern konnten. Zu unserer großen Erleichterung kam ein kleines Boot vorbei und der Bootsführer versprach uns, in Kinshasa Treibstoff zu kaufen und damit zurückzukommen. Es vergingen lange, sehr bange 90 Minuten, bis er dann mit dem Treibstoff ankam.“

Das Zweigbüro in Kinshasa sorgte für ungefähr 1 000 Brüder und Schwestern sowie deren Familien und für Interessierte. Im Oktober 1997 hörten die Feindseligkeiten auf, und die Flüchtlinge kehrten allmählich nach Brazzaville zurück.

Alle Missionare, die sich in Brazzaville und Pointe-Noire aufgehalten hatten, waren wegen des Kriegs evakuiert worden. Manche hatte man in ihre Heimatländer nach Großbritannien und Deutschland ausgeflogen, andere nach Benin und in die Elfenbeinküste. Als wieder etwas Ruhe eingekehrt war, gingen einige von ihnen nach Kongo (Brazzaville) zurück. Außerdem sollten im Dezember 1998 drei Ehepaare und ein unverheirateter Bruder aus Frankreich eintreffen. Eddy und Pamela May, zwei erfahrene Missionare, die damals im Zweigbüro in Kinshasa dienten, wurden nach Brazzaville versetzt, und damit gab es dort wieder ein Missionarheim.

Erneut Bürgerkrieg

Im Jahr danach brach in Brazzaville erneut Bürgerkrieg aus. Wieder ließen Tausende ihr Leben, darunter auch einige Zeugen. Die meisten Missionare, die gerade erst ins Land gekommen waren, wurden evakuiert und in Missionarheimen im Nachbarland Kamerun untergebracht. Drei Missionaren gelang es, in der Küstenstadt Pointe-Noire zu bleiben, obwohl sich Gerüchte hartnäckig hielten, dass sich der Krieg auch bis dahin ausweiten würde. Im Mai 1999 war der Bürgerkrieg endlich vorbei.

Viele Zeugen hatten fliehen müssen; deshalb war die Zahl der Versammlungen im Land von 108 auf 89 gesunken. Heute gibt es in Brazzaville 23 Versammlungen mit 1 903 Verkündigern. In Pointe-Noire gibt es 24 Versammlungen mit 1 949 Verkündigern. Während beider Bürgerkriege unterstützten Jehovas Zeugen aus anderen Ländern ihre Glaubensbrüder und -schwestern materiell. Wie gewöhnlich kam diese Unterstützung auch anderen zugute, die keine Zeugen Jehovas sind.

Trotz Krieg, Hunger, Krankheit und vielen anderen Schwierigkeiten setzten die Zeugen in Kongo (Brazzaville) im Durchschnitt jeden Monat 16,2 Stunden im Predigtdienst ein. Als der zweite Bürgerkrieg im April 1999 endete, waren 21 Prozent aller Verkündiger in irgendeiner Form des Vollzeitdiensts tätig.

Freude an der Wahrheit

Das Land ist von den Kriegen schwer gezeichnet und nahezu ruiniert worden. Man ist dabei, Brazzaville wieder aufzubauen, aber da gibt es noch viel zu tun. Zu den wichtigsten Bauprojekten gehört der Bau von Königreichssälen, wo den Menschen die Wahrheit der Bibel vermittelt wird. Im Februar 2002 wurden vier Königreichssäle eingeweiht, zwei in Pointe-Noire, zwei in Brazzaville.

Bei der einen Einweihung in Brazzaville schilderte ein älterer Bruder, was dort 15 Jahre zuvor während des Verbots geschehen war. Die Brüder wollten am 1. Januar auf einem leer stehenden Grundstück einen eintägigen Kongress abhalten. Sie dachten, der Kongress könnte an diesem Tag ohne Störungen verlaufen, weil die Leute mit den Neujahrsfeierlichkeiten beschäftigt wären. Nach dem Vormittagsprogramm kam aber die Polizei und löste die Veranstaltung auf. Der Bruder erzählte: „Mit Tränen in den Augen zogen wir damals ab. Heute sind wir wieder hier, an demselben Platz, und wieder haben wir Tränen in den Augen. Aber diesmal sind es Freudentränen, denn heute sind wir hier, um unseren neuen Königreichssaal einzuweihen.“ Der wunderschöne neue Saal ist tatsächlich genau auf diesem Grundstück gebaut worden!

Fünfzig Jahre sind vergangen, seit Etienne Nkounkou, Augustin Bayonne und Timothée Miemounoua dank des Buchs „Die Wahrheit wird euch frei machen“ die Wahrheit kennen lernten. Seitdem haben Tausende von Menschen in Kongo (Brazzaville) einen solchen Glauben entwickelt wie sie, und das werden auch künftig noch viele weitere tun. Die Aussichten für die Zukunft sind vielversprechend. Es werden mehr als 15 000 Bibelstudien geleitet — das sind dreieinhalbmal mehr, als es Verkündiger gibt! Beim Gedächtnismahl im Jahr 2003 waren 21 987 anwesend! Ende des Dienstjahrs 2003 setzten sich 4 536 Verkündiger, darunter 15 Missionare, mit großem Eifer ein, damit noch viele weitere Menschen ‘die Wahrheit, die sie frei machen wird’, kennen lernen können (Joh. 8:31, 32).

[Herausgestellter Text auf Seite 143]

Die Buschtrommeln meldeten: „Der Mann, der viel geht, ist mit einem weißen Mann auf dem Weg zu euch“

[Herausgestellter Text auf Seite 144]

Da die Brüder keine Uhren hatten, lasen sie am Stand der Sonne ab, wann es Zeit war, in die Zusammenkünfte zu gehen

[Herausgestellter Text auf Seite 151]

„Wir gingen schlafen. Draußen am Feuer sangen unsere Brüder leise Königreichslieder. Was für eine wunderschöne und sanfte Art, in den Schlaf zu sinken!“

[Kasten auf Seite 140]

Kongo (Brazzaville) auf einen Blick

Landesnatur: Die Republik Kongo ist eingerahmt von Gabun, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und der Demokratischen Republik Kongo. Sie ist größer als Finnland oder Italien. Eine Küstenebene erstreckt sich ungefähr 60 Kilometer ins Landesinnere und geht dann in Hochland über, das mehr als 800 Meter über dem Meer liegt. Dichte Wälder und große Flüsse dominieren den Rest des Landes.

Bevölkerung: Die Bevölkerung von gut drei Millionen Menschen setzt sich aus vielen Stammesgruppen zusammen. In dicht bewaldeten Gebieten leben Pygmäen.

Landessprache: Amtssprache ist zwar Französisch, aber im Norden wird auch weithin Lingala gesprochen und im Süden Monokutuba.

Existenzgrundlage: Die grundlegenden Bedürfnisse werden durch Landwirtschaft für den Eigenbedarf und die Fischerei abgedeckt. In den Wäldern wimmelt es von wild lebenden Tieren — reiche Beute für geschickte Jäger.

Nahrung: Zu den meisten Mahlzeiten wird am liebsten Maniok oder Reis gegessen. Hauptgerichte sind Fisch oder Huhn mit scharfen Saucen. Und es gibt zahlreiche Früchte wie Mangos, Ananas, Papayas, Orangen und Avocados.

Klima: Im Kongo herrscht das ganze Jahr über feuchtheißes tropisches Klima. Sehr ausgeprägt sind eine Regenzeit (März bis Juni) und eine Trockenzeit (Juni bis Oktober).

[Übersicht auf Seite 148, 149]

KONGO (BRAZZAVILLE) — EINIGE WICHTIGE ETAPPEN

1940

1947: Das Buch „Die Wahrheit wird euch frei machen“ weckt erstes Interesse.

1950: Der Missionar Eric Cooke besucht Brazzaville. Die Einfuhr der Literatur von Jehovas Zeugen wird eingeschränkt.

1956: Im März treffen die ersten Missionare aus Frankreich ein.

1957: Das Zweigbüro wird im Januar eröffnet.

1960

1961: Die Vereinigung wird am 9. Dezember offiziell eingetragen; die Einfuhr der Publikationen bleibt allerdings noch ein Jahr lang eingeschränkt.

1977: Jehovas Zeugen werden verboten. Das Eigentum des Zweigbüros wird beschlagnahmt; die Missionare werden ausgewiesen.

1980

1981: André Kitula trägt dazu bei, das Predigtwerk in Brazzaville wieder zu beleben.

1991: Der Innenminister hebt das Verbot auf. Nach 15 Jahren konnten erstmals wieder Bezirkskongresse geplant werden.

1993: Wegen sozialer und politischer Unruhen wird der Ausnahmezustand verhängt.

1997: Am 5. Juni bricht Bürgerkrieg aus. Die Missionare werden evakuiert. Das Zweigbüro in Kinshasa sorgt dafür, dass 1 000 Flüchtlinge unterkommen, zu essen haben und ärztlich versorgt werden.

1999: Ein weiterer Bürgerkrieg bricht aus. Wieder werden Missionare evakuiert.

2000

2002: Im Februar werden die ersten vier neu gebauten Königreichssäle eingeweiht.

2003: Kongo (Brazzaville) zählt 4 536 Verkündiger.

[Übersicht]

(Siehe gedruckte Ausgabe)

Gesamtzahl der Verkündiger

Gesamtzahl der Pioniere

5 000

2 500

1940 1960 1980 2000

[Karten auf Seite 141]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

ZENTRAL-AFRIKANISCHE REPUBLIK

KAMERUN

ÄQUATORIAL-GUINEA

GABUN

REPUBLIK KONGO

Impfondo

Djambala

BRAZZAVILLE

Pointe-Noire

Kongo

DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO

KINSHASA

ANGOLA

[Ganzseitiges Bild auf Seite 134]

[Bilder auf Seite 138]

Diese Verkündiger gehörten bereits 1949 einer Bibelstudiengruppe in Brazzaville an. Von links nach rechts: Jean-Seth Mountsamboté, Timothée und Odile Miemounoua und Noé Mikouiza

[Bild auf Seite 139]

Etienne Nkounkou

[Bild auf Seite 142]

Jean Seignobos reiste ins Landesinnere und überquerte mit der Fähre so manchen Fluss, um die Versammlungen besuchen zu können

[Bild auf Seite 147]

Fred und Leah Lukuc (Mitte) mit der Versammlung, die in dem Haus von Augustin Bayonne zusammenkam

[Bild auf Seite 150]

Taufe im Atlantik bei Pointe-Noire

[Bild auf Seite 152]

Augustin Bayonne — „Der Mann, der viel geht“ — besuchte 1962 die 37. Gileadklasse

[Bild auf Seite 153]

In diesem Gebäude befand sich von 1967 bis 1977 das Zweigbüro

[Bild auf Seite 155]

Noé Mikouiza

[Bilder auf Seite 158]

Louis-Noël Motoula, Jean-Marie Lubaki und Symphorien Bakeba