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Estland

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HERZLICH WILLKOMMEN in Estland! Dieses „allseits beliebte baltische Juwel“ ist von atemberaubender Schönheit. Hier findet man malerische Küstendörfer, dichte Wälder, saftige Wiesen, über 1 400 Seen und mehr als 1 500 Inseln. Fast die Hälfte Estlands ist mit einem Dickicht grüner Wälder bedeckt — Überreste eines Urwalds, der einst einen Großteil Europas überzog. Estland ist eins der kleinsten Länder Europas, nicht viel größer als die Schweiz oder Dänemark.

Wer die freundlichen, eher zurückhaltenden Menschen in diesem wunderschönen Ländchen näher kennenlernt, entdeckt an ihnen bald viele bewundernswerte Charakterzüge. In Estland legt man viel Wert auf Bildung und die Menschen lesen sehr gern. Über 30 Prozent der Bevölkerung spricht Russisch, doch die Amtssprache ist Estnisch — eine Sprache, die es in sich hat. Zum Beispiel gibt es mehrere Begriffe für das Wörtchen „Insel“, je nachdem wie sie aussieht, wie groß oder wie alt sie ist.

EINE TURBULENTE VERGANGENHEIT

Estland stand permanent unter der Herrschaft eines mächtigen Nachbarstaats: Erst kamen deutsche Ritter und dänische Truppen ins Land, das war Anfang des 13. Jahrhunderts. Dann stritten sich Dänemark, Litauen, Norwegen, Polen, Russland und Schweden jahrhundertelang um die Herrschaft.

Nachdem die Schweden über 100 Jahre lang Estland regiert hatten, wurde es 1721 von Russland eingenommen. Eine kurze Zeit lang (von 1918 bis 1940) war das Land unabhängig. Dann marschierten die Sowjets ein und Estland wurde in die UdSSR eingegliedert. 1941 kam es unter deutsche Besetzung, wurde aber 1944 von der Sowjetunion wieder zurückerobert. Knapp 50 Jahre gehörte es dann zur UdSSR, bis es sich 1991 als erste Sowjetrepublik unabhängig machte.

Wie wirkte sich das alles auf Jehovas Zeugen im Land aus? Wie erging es den Dienern des wahren Gottes in der schweren Zeit, als Estland unter der Knute Deutschlands und der Sowjetunion stand? Hier folgt die spannende Geschichte unserer Brüder, die trotz brutaler Verfolgung ihren Glauben lebten und Mut und Einfallsreichtum bewiesen.

FALSCHE RELIGION HINTERLÄSST NARBEN

Während der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert wurde den Bewohnern Estlands das „Christentum“ mit dem Schwert aufgezwungen. Ihre Bekehrung war jedoch rein äußerlich. Nach kurzer Zeit sah man, wie ganze Dörfer ihre Häuser mit Wasser abspritzten und sich alle Bewohner wuschen, um ihre erzwungene Taufe wieder rückgängig zu machen. Sie praktizierten erneut ihre Naturreligionen und heidnische Riten, die sich nach und nach mit katholischem Brauchtum vermischten.

Im 17. Jahrhundert wurden die Esten zur evangelisch-lutherischen Kirche bekehrt. Später etablierte sich die russisch-orthodoxe Kirche als Staatskirche. 1925 wurde die Trennung von Kirche und Staat verkündet. Nach einer Umfrage spielt die Religion heute nur noch bei 14 Prozent der Esten eine wichtige Rolle.

In der letzten Zeit haben allerdings viele ehrliche Esten die wohltuende Wahrheit aus Gottes Wort förmlich aufgesogen — die „gesunde Lehre“ der „herrlichen guten Botschaft des glücklichen Gottes“ ist für sie wie Balsam (1. Tim. 1:10, 11). Deswegen stieg die Zahl der Zeugen Jehovas, die Gottes Königreich verkündigen, seit 1991 von nicht einmal 1 000 auf über 4 000. Aber wie kam die gute Botschaft überhaupt in dieses kleine Land?

„DU HAST DOCH EINEN MUND“

Anfang des 20. Jahrhunderts bekamen Martin Kose und sein Bruder Hugo in den Vereinigten Staaten etwas zum Lesen von den Bibelforschern (wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden). Was er las, begeisterte Martin. Und da er wusste, dass es in Estland keine Zeugen gab, zerbrach er sich den Kopf, wie die Botschaft bloß in seine Heimat gelangen könnte. In einer Broschüre entdeckte er die Adresse des Hauptbüros in New York. Er ging dorthin und erzählte J. F. Rutherford (der zu der Zeit das Werk der Bibelforscher leitete), was ihn beschäftigte.

„Was soll ich denn machen?“, fragte Martin.

„Na, du hast doch einen Mund, oder?“, antwortete Bruder Rutherford. „Geh zurück in deine Heimat und erzähl deinen Landsleuten von allem!“

Gesagt, getan! Um das Jahr 1923 zog Martin zurück nach Estland und fing an zu predigen. Damit war er der allererste Bibelforscher im Land. Es gelang ihm auch, die Wahrheit seiner Familie nahezubringen. Sein Sohn Adolf hat Jehova zeit seines Lebens treu gedient und war ein Fels in der Brandung, als es in Estland hart auf hart kam. Auch Martins Bruder Hugo wurde ein Bibelforscher, ist aber nie nach Estland zurückgezogen.

„DU WIRST HIER NICHT ALLEIN SEIN“

1926 fragte Bruder Rutherford auf einem Bezirkskongress der Bibelforscher in London, wer bereit sei, in die baltischen Länder zu ziehen. Albert West, Percy Dunham und James Williams meldeten sich. Kurz danach bat man die drei, das Predigen in Estland, Lettland und Litauen zu organisieren. William Dey, der seinerzeit das nordeuropäische Büro in Dänemark leitete, fuhr mit Albert West zur Hauptstadt Estlands, nach Tallinn. Nachdem die beiden eine Bleibe für Albert gefunden hatten, klopfte Bruder Dey ihm auf die Schulter und sagte: „Also dann auf Wiedersehen, Albert! Du wirst hier ja nicht allein sein. Bald kommt der Wachtturm.“

Zur Unterstützung kamen aus Deutschland, England und anderen Ländern Kolporteure ins Land (so hießen die Pioniere damals). Allerdings konnten sie nicht lange bleiben, denn sie hatten Schwierigkeiten, ihr Visum zu verlängern. Die finnischen Kolporteure taten sich im Land am leichtesten, weil Estnisch und Finnisch eng verwandt sind. Dutzende Vollzeitprediger kamen nach Estland und streuten, wo sie gingen und standen, unermüdlich den Samen der Wahrheit aus. Leute aus dem Ausland waren hier eine Seltenheit, aber gern gesehene Gäste. Sie bekamen oft Spitznamen. So hieß zum Beispiel eine Schwester „Soome Miina“ (finnische Minna). Und ein Redner aus Großbritannien wurde kurzerhand als „der Londoner“ vorgestellt.

DAS ERSTE ZWEIGBÜRO

Passende Büroräume waren schwer zu bekommen und da man Ausländer für wohlhabend hielt, verlangte man von ihnen auch mehr Miete. Trotzdem wurde 1926 in Tallinn in einer kleinen Wohnung in der Kreutzwaldstraße 17 ein Zweigbüro eingerichtet mit Albert West als Zweigdiener. Noch im selben Jahr veröffentlichte man in Estnisch die ersten Broschüren (darunter Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben).

Eine junge Estin, Hilda Ang, lernte die Wahrheit durch ihren Freundeskreis kennen. Als sie einmal zum Zweigbüro ging, weil sie sich Literatur holen wollte, wurde sie dort von einem deutschen Bruder gefragt, ob sie ihm helfen könnte, seinen Vortrag ins Estnische zu übersetzen. Sie sagte nicht Nein. Und 1928 holte man sie dann als Übersetzerin ins Zweigbüro. Später heiratete sie Alexander Brydson, einen britischen Bruder, der extra nach Estland gezogen war, um dort zu predigen. Hilda war eine erstklassige und fleißige Übersetzerin. Als später nur noch im Untergrund gepredigt werden konnte, mussten sie und ihr Mann Estland verlassen. Trotzdem übersetzte sie viele Jahrzehnte lang weiter. Gemeinsam haben es die beiden auf über 100 Jahre Vollzeitdienst gebracht!

1928 kam das allererste Buch in Estnisch heraus: Die Harfe Gottes. Und noch vor dem Zweiten Weltkrieg wurden auch Der Wachtturm, sieben weitere Bücher und etliche Broschüren in Estnisch veröffentlicht.

DIE ERSTEN KÄMPFER

Die Kolporteure radelten große Landstriche ab, predigten an allen Ecken und Enden und übernachteten, wo es gerade ging: ob in Gehöften oder im Stroh. Die Leute waren arm, hörten aber für ihr Leben gern etwas vom Königreich. Da war es ein echtes Vergnügen, 150 bis 200 Stunden im Monat zu predigen. Eine Schwester berichtete in einem Monat sogar sage und schreibe 239 Stunden! Diese Vollzeitprediger waren ausgesprochen tüchtig, sehr beherzt und gaben sich nicht so schnell geschlagen. Das weiß eine Schwester aus eigener Erfahrung. Sie erzählt, wie es war, als sie das erste Mal mit in den Predigtdienst ging.

Eine rührige finnische Schwester hatte sie gefragt: „Kannst du Rad fahren?“

„Na klar“, hatte sie geantwortet.

„Na dann, auf nach Saaremaa!“, so der enthusiastische Vorschlag der finnischen Schwester. Saaremaa war die größte estnische Insel und lag ungefähr 200 Kilometer von ihnen entfernt.

Als sie im ersten Dorf auf der Insel ankamen, sagte die finnische Schwester: „Fang du hier an, ich fang auf der anderen Seite vom Dorf an. Heute Abend treffen wir uns dann in der Mitte.“ Unsere neue Schwester hatte ja noch nie zuvor gepredigt. Aber schon bei der ersten Tür spürte sie Jehovas Hilfe, das machte ihr Mut. Danach fing es an, ihr richtig Freude zu machen.

Hellin Aaltonen (später Grönlund) lernte Einwohner von der Insel Vormsi kennen und stellte fest, dass sie irgendwie ganz anders redeten.

„Sprechen Sie kein Estnisch?“, fragte sie.

„Nein, Schwedisch“, war die Antwort.

„Haben Sie denn etwas auf Schwedisch zu lesen?“, fragte Hellin.

„Wo denken Sie hin! Wir haben seit ewigen Zeiten kein schwedisches Buch mehr zu Gesicht bekommen“, meinten sie.

Da war Hellin klar, dass die Leute dort dringend etwas in Schwedisch brauchten, und sie nahm sich vor, Fanny Hietala nach Vormsi mitzunehmen; sie konnte nämlich Schwedisch.

Hellin erzählt: „Wir packten alles ein, was es im Zweigbüro auf Schwedisch zu lesen gab, und fuhren mit dem Boot dorthin. Wir arbeiteten in drei Tagen die ganze Insel durch und konnten fast alles, was wir an Literatur dabeihatten, unter die Leute bringen. Jahrzehnte später erzählte man mir von einem Bruder in Schweden, der die Wahrheit durch ebendiese Bücher aus Vormsi kennengelernt hatte.“ Immer wieder erlebten die Brüder, dass Prediger 11:6 absolut stimmt: „Am Morgen säe deinen Samen, und bis zum Abend lass deine Hand nicht ruhen; denn du weißt nicht, wo dies Erfolg haben wird.“

WOMIT MAN ALS KOLPORTEUR ALLES FERTIGWERDEN MUSSTE

Kolporteure hatten es nicht leicht. Gerade im Winter. Zwischen 20 und 40 Kilometer legten sie zu Fuß oder auf Skiern an einem Tag zurück. Die Kälte ging ihnen durch und durch, und behagliche Unterkünfte waren eher Mangelware. Außerdem konnten sie nur das Allernötigste mitnehmen, auch an Lebensmitteln, denn da waren ja noch die Literaturkartons! Oft waren die Straßen nach heftigen Regenfällen unpassierbar. So manche Nacht mussten sie unter freiem Himmel verbringen. Wer unter diesen harten Bedingungen predigte, der musste ganz schön zäh sein. Wie haben die treuen Kämpfer das denn selbst gesehen?

Lassen wir Vilho Eloranta erzählen, einen sehr engagierten finnischen Bruder, der monatelang seine ganze Zeit damit verbracht hat, in extrem abgelegenen Gebieten zu predigen: „Mir hat’s an nichts gefehlt. Meist konnte ich die Literatur gegen etwas zu essen und einen Platz zum Schlafen eintauschen. Geld brauchte ich selten. Sobald es Abend wurde, habe ich mich wegen einer Unterkunft umgehört. Und kaum jemand hat mir die Bitte abgeschlagen, vor allem wenn es schon spät war oder der nächste Hof weit entfernt lag.

Das ausgesprochen einfache Leben hat meiner Freude und meiner Zufriedenheit im Dienst überhaupt keinen Abbruch getan, denn mir lag unheimlich am Herzen, dass die Menschen vom Königreich hörten.“

Dadurch, dass diese fleißigen Brüder und Schwestern jede Menge Literatur in die Hände der Menschen legten, bahnten sie den Weg für künftigen Zuwachs. 1929 verbreitete eine Handvoll Verkündiger 53 704 Bücher und Broschüren.

„In Estland gab es ungefähr 30 Kolporteure“, weiß Adolf Kose noch gut, „und sie haben vor dem Zweiten Weltkrieg das ganze Land durchgeackert.“

Was diese treuen Seelen damals so alles geleistet haben, hat sogar noch heute positive Auswirkungen. Ein Beispiel: Anfang der 90er-Jahre trafen unsere Glaubensbrüder eine ältere Dame namens Ruth. Unsere Botschaft war ihr irgendwie vertraut: Etwas Ähnliches hatte sie doch schon vor über 60 Jahren gehört! Und zwar von einem deutschen Bibelforscher, der ihre Nachbarn des Öfteren besucht hatte. Ruth ist zwar nicht mehr die Jüngste und kann auch nicht mehr hören, doch sie merkte sofort, dass das die Wahrheit ist. Nachdem sie die Bibel gut kennengelernt hatte, ließ sie sich taufen — nahezu 70 Jahre nach ihrem allerersten Kontakt.

DIE ERSTEN „AMTSHANDLUNGEN“ DES ZWEIGBÜROS

Anno dazumal wurden in dem kleinen Zweigbüro auch Kongresse abgehalten. Auf dem ersten Kongress, im Juni 1928, wurden 25 Personen gezählt und 4 ließen sich taufen. Im Jahr darauf kam Unterstützung aus Finnland: 80 Brüder griffen den einheimischen Brüdern bei der Kongressorganisation und beim Predigen unter die Arme.

Albert West, der Zweigdiener in Estland gewesen war, sollte William Dey, dem Zweigdiener in Dänemark, zur Seite stehen und ersetzte ihn später. Wer kam dafür als Zweigdiener nach Estland? Wallace Baxter, ein warmherziger Schotte mit viel Sinn für Humor. Bevor er Zeuge Jehovas wurde, hatte er im Ersten Weltkrieg in Frankreich auf britischer Seite gekämpft. Was er dort sah und erlebte, passte einfach nicht zu den Lehren Jesu, das wurde ihm bewusst.

Bruder Baxter erinnert sich noch genau: „Ich war völlig durcheinander und begriff allmählich, dass es immer verkehrt ist, wenn der Mensch Krieg führt, egal gegen wen. Schon seit jeher war ich der Überzeugung gewesen, dass alle Menschen Brüder sind und jeder, der nach Gott sucht, ihn auch findet. Als mir in meinem Unterstand all das durch den Kopf ging, fiel ich auf die Knie und versprach Gott hoch und heilig: ,Wenn ich hier lebend herauskomme, werde ich mich nur noch für dich einsetzen.‘ “

Genau das machte er dann auch. Nachdem er die Wahrheit kennengelernt hatte, fing er 1926 voller Elan mit dem Vollzeitdienst an. Zwei Jahre danach wurde er nach Estland eingeladen und auch dort setzte er sich voll ein. Als Bruder West 1930 nach Dänemark ging, wurde Bruder Baxter der Zweigdiener. 1932 zog das Zweigbüro in die Suur-Tartu-Straße 72 um, und ein Jahr später wurde das Werk in Estland offiziell eingetragen.

RADIOSENDUNGEN IN ALLEN MÖGLICHEN SPRACHEN

Bereits 1927 erhielt Bruder West von einem Radiosender in Tallinn die Genehmigung, auf Sendung zu gehen. Sein Vortrag „Die Segnungen des Tausendjahrreiches“ wurde ins Estnische gedolmetscht. Die Sendung löste viel Interesse, aber auch große Kontroversen aus und wurde deshalb sofort wieder eingestellt. Erst 1929 gab es erneut jeden Sonntag Radiobeiträge in Englisch, Estnisch, Finnisch, Russisch, hin und wieder in Schwedisch und Deutsch und mindestens einmal in Dänisch. Diese Sendungen fanden ebenfalls großen Anklang und konnten in Norwegen, Dänemark, Schweden, Finnland bis hin nach Russland (wie Leningrad) empfangen werden. Im Dienstjahr 1932 wurden 200 Vorträge ausgestrahlt — eine ausgezeichnete Methode, um die Menschen mit Jehovas Namen bekannt zu machen. Den Geistlichen war das Ganze natürlich ein Dorn im Auge!

Da sie wussten, wie allergisch man in Estland auf alles reagierte, was irgendwie mit Kommunismus zu tun hatte, verbreiteten sie einfach das Gerücht, die Zeugen hätten kommunistische Verbindungen. Die Regierung war in der Regel schnell dabei, auf alles, was den Staat untergraben könnte, zu reagieren, und verbot deshalb 1934 die Sendungen. Doch nicht jeder fand das gut. Ein kleiner Junge schrieb deswegen extra in Englisch einen Brief:

Lieber Wachtturm und lieber Richter Rutherford!

Ich finde es so schade, dass unsere Regierung in Estland Ihre Sendungen verboten hat. Ich gehe noch zur Schule. Meine Eltern haben nicht viel Geld. Sie müssen für uns Kinder hart arbeiten. Aber ihre Liebe zum Herrn und die Hoffnung lässt ihre Augen strahlen. Im letzten Winter war ich schlimm krank und da waren Ihre Sendungen im Radio das Einzige, was mich getröstet hat. Die Tränen in meinen Augen wurden dann zu Freudentränen. ... Ich vermisse Ihre Vorträge sehr! ... Ich habe angefangen, Englisch zu lernen, und das ist mein erster Brief in Englisch, ganz ohne Wörterbuch! ... Alles Gute und mit vielen Grüßen an Richter Rutherford.

Bruder Rutherford schrieb dem kleinen Jungen höchstpersönlich zurück und schickte ihm ein paar Aufnahmen von seinen Vorträgen.

EIN „WAGEN VOM HIMMLISCHEN KÖNIGREICH“

Auch ein Kolporteur aus England namens John North predigte damals mit Feuereifer in Estland. Er lebte mit seiner Familie in einem „fahrenden Haus“ — was in ganz Südestland Schlagzeilen machte. Eine Lokalzeitung schrieb über dieses Gefährt: „Gegenwärtig konstruiert die [Wachtturm-]Gesellschaft in Tartu ein Fahrzeug, das einem Hause ähnlich ist und dazu dienen soll, im Lande herumzureisen und Gottesdienste abzuhalten. Man predigt dem Volk aus dem Wagen heraus vom himmlischen Königreich und verbreitet Bücher, die die Bibel erklären. Das Personal dieses Wagens besteht aus fünf Personen, nämlich aus dem Hauptmissionar, seiner Frau, seinem Kind und zwei energischen jungen Männern. Die Letzteren fahren vom Wagen aus auf ihren Fahrrädern schnell (wie Jehu) in alle Richtungen dahin und verbreiten Literatur.“

Während der politischen Unruhen Mitte der 30er-Jahre kam ein ehemaliger Kampfflieger, Nikolai Tuiman, ins Gefängnis, weil er sich für eine faschistische Bewegung in Estland einsetzte. Dort entdeckte er in der Bibliothek Bücher von J. F. Rutherford und ihm ging auf, dass er sich mit seinen Ideen auf dem Holzweg befand. Nach seiner Freilassung reiste er nach Tallinn. Er hatte nämlich in einem Buch von Zeugen Jehovas, das seine Frau erhalten hatte, eine Adresse entdeckt. Mit der Hilfestellung von Bruder Baxter krempelte Nikolai sein Leben komplett um. Er hörte auf, sich politisch zu betätigen, und wurde ein friedlicher Mensch und engagierter Zeuge für Jehova. Als später das Verbot kam, war er eine der Säulen der Versammlung und half beim Drucken im Untergrund mit. Er musste rund 15 Jahre Verbannung in Sibirien mitmachen, hielt Jehova aber die ganze Zeit über die Treue.

Dann gab es da noch einen Arzt, der sich ebenfalls politisch engagiert hatte, mittlerweile aber völlig desillusioniert war: Artur Indus. Der Funke der Wahrheit sprang auf ihn über, als er bei Martin Kose einmal einen Hausbesuch machte. Der legte ihm wärmstens ein Bibelstudium ans Herz. Und da Artur Deutsch konnte, bestellte Bruder Kose für ihn alles, was es damals in Deutsch gab. Mit Martins Hilfe überzeugte er sich von der Wahrheit, gab sich Jehova hin und ließ sich taufen. Er war ein angesehener und allseits geschätzter Arzt und wurde auch ein hingebungsvoller und allseits geschätzter Bruder.

DUNKLE WOLKEN AM HORIZONT

Mitte der 30er-Jahre überschlugen sich dann die Ereignisse. Bedingt durch den Druck, den das nationalsozialistische Deutschland und die katholische Kirche ausübten, wurde im Januar 1935 die Broschüre Der gerechte Herrscher beschlagnahmt.

Noch im gleichen Jahr ließ das Innenministerium das estnische Zweigbüro schließen und die Literatur sowie das Inventar beschlagnahmen. Wenngleich eine Menge Publikationen bereits in Sicherheit gebracht worden waren, wurden 76 000 konfisziert. Doch dieser Rückschlag bedeutete für das Werk keinesfalls das Aus. Die Brüder konnten es kaum fassen und freuten sich sehr, als der Inhalt zweier beschlagnahmter Broschüren in zwei großen estnischen Zeitungen (mit einer gemeinsamen Auflage von 100 000) abgedruckt wurde. Dadurch kam Jehovas Name mehr ins Rampenlicht, als wenn die Brüder die Broschüren allesamt an den Mann gebracht hätten.

Das Predigen ging aber weiter und auch die Büroarbeiten wurden wieder aufgenommen. In den darauffolgenden Jahren wurde immer wieder eine ganze Reihe Bücher sichergestellt. Einmal war Hellin Aaltonen bei so einer Razzia dabei.

Sie erzählt: „Drei junge Polizisten kamen ins Haus. Sie hatten es vor allem auf die Broschüre Millionen jetzt lebender Menschen werden nie sterben abgesehen. Da konnten sie aber bei uns nicht fündig werden. Sie fegten alle Bücher von den Regalen und warfen sie auf einen Haufen. Bruder Baxter konnte rein gar nichts tun, denn man beobachtete ihn mit Argusaugen. Ich fing aber an, hinter den Beamten her aufzuräumen, und ging dabei sachte zu Bruder Baxters Schreibtisch, um zu schauen, ob dort irgendetwas Verfängliches lag. Mein Blick fiel auf einen Brief mit den Namen und Adressen aller Verkündiger. In der Ecke stand ein Papierkorb und ich ließ ihn unauffällig hineinfallen. Dann packten die Polizisten die Bücher in Kartons. Der Einsatzleiter schnappte sich mit arroganter Miene einen Karton und schleuderte ihn von sich — und zwar mit solcher Wucht, dass er sich den Arm brach. Eiligst verfrachtete man ihn ins Krankenhaus, und so hatten wir Zeit, die Kartons noch mal durchzusehen.“

Bruder Baxter erzählt, was dann passierte: „Die Polizisten kamen zurück; und während sie alles ausräumten, bemerkte ich, wie einer von ihnen das Buch Befreiung in seiner großen Manteltasche verschwinden ließ. Ich habe mich oft gefragt, wie viele Bücher wohl noch von diesen Männern mitgenommen und gelesen wurden.“

1939 war ein Jahr voller Angst und Unsicherheit. Inzwischen war eine Reihe sowjetischer Truppen im Land. Dazu schreibt Bruder Baxter: „Jeden Tag wurde man über das Radio mit kommunistischer Propaganda regelrecht bombardiert. Die Gerüchteküche brodelte, Spannung lag in der Luft, überall war Beklemmung und auch pure Angst zu spüren. Vom Himmel hörte man ständig das Dröhnen sowjetischer Kriegsflugzeuge mit Fallschirmjägern an Bord.“ Würden sich die Brüder von alldem lähmen lassen?

Trotz dieser dramatischen Zeit verbreiteten die treuen Diener Jehovas im Jahr 1940 exakt 59 776 Bücher und Broschüren — eine erstaunliche Leistung, wenn man bedenkt, dass es nur 27 Verkündiger und 15 Pioniere waren. Sie gaben wirklich alles in der kurzen Zeit der Freiheit, die ihnen noch blieb.

DER LETZTE KONGRESS IN FREIHEIT

Noch kurz vor der Sowjet-Ära gelang es den Brüdern, in Tallinn einen Kongress zu veranstalten. Es sollte für fünfzig Jahre der letzte in Freiheit sein. Die Brüder besprachen nacheinander Wachtturm-Artikel wie „Die Theokratie“, „Neutralität“, „Schlingen“ und „Der Untergang der Religion“. Dadurch wurden sie genau zur richtigen Zeit für das gestärkt, was vor ihnen lag.

Der Zweite Weltkrieg machte auch vor Estland nicht halt und unsere Brüder blieben nicht verschont. Am 16. Juni 1940 stellte die UdSSR der estnischen Regierung ein Ultimatum: Eine neue Regierung sollte eingesetzt und weiteren Sowjettruppen Einlass gewährt werden. Die weniger als 150-köpfige Kommunistische Partei Estlands hatte nun das Sagen, Estland wurde annektiert und der Sowjetunion einverleibt. Innerhalb von wenigen Monaten kamen Tausende von Esten in die Verbannung nach Sibirien; Haus und Hof wurden herrenlos zurückgelassen, niedergebrannt oder einmarschierenden Russen übereignet. Zu Tausenden versuchten die Einheimischen in kleinen Fischerbooten zu entkommen, meist in Richtung Schweden. Nicht wenigen gelang die Flucht, doch viele kamen auch in der stürmischen See um.

DIE LETZTEN AUSLÄNDER MÜSSEN DAS LAND VERLASSEN

Auch die Kommunisten ließen das Zweigbüro schließen. Bruder Baxter sowie Alexander und Hilda Brydson wollten zwar unbedingt die Stellung halten, doch für Ausländer wurde es immer brenzliger. Daher empfahl Bruder Rutherford ihnen dringend, das Land zu verlassen. Bruder Baxter und die Dunhams aus Lettland wurden mit dem Zug evakuiert und kamen über Sibirien schließlich nach Australien. Ungefähr ein Jahr danach reisten die Brydsons nach Schweden aus. Bruder Baxter kam in Australien ins Zweigkomitee; dieser treue gesalbte Bruder starb am 21. Juni 1994. a

Was kam jetzt, wo die Brüder aus dem Ausland fort waren, auf das kleine Grüppchen einheimischer Zeugen zu? Sie waren ja relativ jung in der Wahrheit und wurden nun in den Strudel eines grausamen Krieges hineingerissen. Der Krieg forderte seinen Tribut und das Werk verlor an Schwung: Nachdem 1941 der letzte Bericht eingegangen war, hörte man rund 20 Jahre lang nichts mehr von unseren Brüdern aus Estland.

GLAUBE AUFS SCHWERSTE GEPRÜFT

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs vertrieben die deutschen Truppen dann die Sowjets und besetzten Estland von 1941 bis 1944. Für unsere Brüder verbesserte sich damit aber gar nichts. Im Jahr 1942 wurde Jaan Pärrat, ein gehörloser Bruder, von den Deutschen beim Predigen in Tartu festgenommen. Man beschuldigte ihn, sich umstürzlerisch zu betätigen, und er kam in Haft. Wie aus Gefängnisaufzeichnungen hervorgeht, wurde dem Leiter der Haftanstalt die Order gegeben, den Häftling Jaan Pärrat „zur besonderen Verwendung auszuliefern“. Das war praktisch ein Exekutionsbefehl. Ein paar Männer sahen, wie man Bruder Pärrat wegholte, und hörten dann Schüsse. Man brachte ihn nie wieder zurück, und kein Mensch hat ihn je wieder gesehen.

Ja, die Brüder hatten es schwer: Erst wollte die sowjetische, dann die deutsche Armee die jungen Männer zum Kriegsdienst einziehen. Adolf Kose kann sich noch gut erinnern: „Wir mussten uns verstecken, damit wir nicht eingezogen wurden. Hätte man uns geschnappt, dann hätte es nur zwei Möglichkeiten gegeben: entweder mitmachen oder erschossen werden. Natürlich hat das Königreichswerk darunter gelitten, denn es war ziemlich schwer, überhaupt irgendetwas zu machen.“

Gegen Ende 1944 wendete sich das Blatt wieder und die Sowjets vertrieben die Deutschen aus Estland, womit das Land erneut von der Sowjetherrschaft unterdrückt wurde. Auf das estnische Volk wirkten sich der Krieg und die anschließenden Jahre der Repressalien einfach verheerend aus. Mindestens ein Viertel der Bevölkerung wurde umgebracht, in die hintersten Ecken der Sowjetunion in die Verbannung geschickt oder flüchtete sich irgendwie aus dem Land. Im Lauf der Jahre siedelten Hunderttausende Russen nach Estland um und die Bevölkerungsstruktur veränderte sich erheblich. Die Sowjetzeit war für den Glauben unserer Brüder eine echte Feuerprobe. Dazu gleich mehr ...

VOM WALDBRUDER ZUM GLAUBENSBRUDER

Es gab damals eine nationalistische Partisanen- oder Widerstandsbewegung, die man die „Waldbrüder“ nannte. Ihre Anhänger hielten sich nämlich in den dichten Wäldern Estlands versteckt. Doch auch viele Männer, hinter denen der sowjetische Geheimdienst her war, schlossen sich ihnen an. Mitunter sollen sich zwischen 15 000 und 20 000 gleichzeitig versteckt haben, manche über Jahre hinweg, ohne entdeckt zu werden. Den letzten Waldbruder hat man sogar erst 1978 aufgespürt. Ob unter den Waldbrüdern wohl jemand war, der die Wahrheit annehmen und unser Glaubensbruder werden würde?

Erzählen wir kurz von Erik Heinloo. Wegen seiner Tätigkeit im estnischen Staatsdienst schwebte er in Gefahr, das wusste er. Als daher die Sowjetunion Estland besetzte, versuchten er und seine Frau Magda viele Male, mit dem Boot nach Schweden zu entkommen. Bei ihrem letzten Versuch streikte der Motor ihres Bootes und sie mussten umkehren. Sieben Jahre lang hielt er sich in den Wäldern verborgen und konnte sich so dem Zugriff der Beamten entziehen. Dann wurde er schließlich doch festgenommen. Man schickte ihn und seine Frau in unterschiedliche Gefangenenlager der Sowjetunion.

In der Haft erzählten zwei Zeuginnen Magda von unserer schönen Hoffnung, und ihr war sofort klar, dass sie die Wahrheit gefunden hatte. Sie war völlig aus dem Häuschen, tanzte sogar buchstäblich durch den Raum. 1956 kam Magda frei und 1960 ließ sie sich taufen. Erik wurde sieben Jahre nach seiner Entlassung ebenfalls ein Zeuge Jehovas. So wurde letztlich aus einem Waldbruder tatsächlich unser Glaubensbruder!

OBSERVIERT UND DANN HINTER SCHLOSS UND RIEGEL

Als die ausländischen Brüder Estland verlassen mussten, wurde Martin Kose, unserem mutigen, einsatzfreudigen Bruder, das Werk in Nordestland übertragen. In Südestland sollte sich Friedrich Altpere um das Werk kümmern, ein groß gewachsener, estnischer Englischlehrer mit sehr guten Umgangsformen. In den 30er-Jahren hatte man ihn gebeten, den Vortrag eines ausländischen Pioniers zu dolmetschen, der nach Võru gekommen war. Nach getaner Arbeit stand für Friedrich fest: Das ist die Wahrheit! Mittlerweile war er so weit, dass er sich um das Predigtwerk in Südestland kümmern konnte.

Für beide Brüder war das eine schwierige Aufgabe, denn sie hatten keinerlei Kontakt zur Organisation und nur wenig Erfahrung. Doch trotz all der Herausforderungen der Untergrundarbeit füllten sie ihren Platz von 1940 bis zu ihrer Verhaftung Ende 1948 treu aus.

Als Ersatz für Martin Kose und Friedrich Altpere wurde eine Art Dienstkomitee gebildet, bestehend aus Albert Kruus, Karl Talberg und Artur Indus mit Lembit Toom als Helfer. Der Einzige von ihnen, der sich frei bewegen und die Gruppen besuchen konnte, war Bruder Toom. Er war nämlich Müller und wenn die Windmühle an windstillen Tagen nicht lief, konnte er frei schalten und walten.

Um ihren Glaubensbrüdern beizustehen, setzten verantwortliche Brüder in Estland ihr Leben aufs Spiel. Man hatte an diversen Bahnhöfen Bilder von all denen angebracht, die man für die Anführer hielt, sie wurden quasi steckbrieflich gesucht. Der Geheimdienst setzte auf jeden unserer Brüder, die doch keiner Fliege etwas zuleide tun konnten, bis zu vier Agenten an. In den harten Jahren 1948 bis 1951 schenkte Jehova seinen treuen Dienern beim Predigen aber viel Segen, sodass es schließlich über hundert Verkündiger im Land gab.

„VORSICHTIG WIE SCHLANGEN UND DOCH UNSCHULDIG WIE TAUBEN“

Die Brüder in Estland bekamen immer mehr zu spüren, wie recht Jesus gehabt hatte, als er sagte: „Erweist euch vorsichtig wie Schlangen und doch unschuldig wie Tauben. Hütet euch vor den Menschen; denn sie werden euch an örtliche Gerichte ausliefern, und sie werden euch in ihren Synagogen geißeln. Ja, ihr werdet vor Statthalter und Könige geschleppt werden um meinetwillen, ihnen und den Nationen zu einem Zeugnis“ (Mat. 10:16-18). Manche unserer Brüder hatten zwar einen bewundernswerten Glauben, doch war ihnen nicht völlig klar, dass Jehova seine Diener nicht immer durch ein Wunder gegen Satans bösartige Angriffe abschirmt (Hiob 1:9-12; 2:3-6). Der eine oder andere war mitunter nicht so „vorsichtig“, wie er laut Jesus hätte sein sollen. So gingen sie den grausamen Verfolgern leichter in die Falle.

Adolf Kose erinnert sich: „Da war ein Interessierter, der scheinbar Feuer und Flamme für die Wahrheit war und vor nichts und niemandem Angst hatte. Er wurde in Versammlungsaufgaben mit einbezogen und die Schwestern mochten ihn alle sehr gern. Doch die Brüder haben Lunte gerochen und den Schwestern gesagt, dass sie ihn nicht jedes Mal zu den Treffen mitnehmen sollten. Leider haben einige diese Warnung in den Wind geschlagen, und der Mann konnte dem Geheimdienst jede Menge Informationen zuspielen.“

Lembit Toom erzählt: „1950 bekamen wir aus Deutschland ein paar Wachttürme, und wir wollten gern, dass alle unsere Brüder etwas davon haben.“

Man plante daher einen Kongress irgendwo auf dem Land in einer Scheune. Der Geheimdienst bekam jedoch Wind davon und leitete alles in die Wege, die Brüder und Schwestern alle auf einen Streich zu verhaften. An dem Bahnhof, wo die Brüder aussteigen würden, standen zwei Lastwagen voll Soldaten parat, um die Brüder hinterrücks abzufangen. Drei Brüder warteten gerade an einem im Voraus bestimmten Kilometerstein, um die Kongressbesucher weiterzuleiten, als einer von ihnen etwas Verdächtiges hörte. Das Geräusch kam aus Richtung Wald, und der Bruder ging der Sache nach. Plötzlich blickte er in den Lauf eines Gewehrs! Die Soldaten nahmen ihn mit zurück zu den anderen beiden und alle drei wurden unter Arrest gestellt.

Lembit Toom und Ella Kikas (die er übrigens später heiratete) dachten sich irgendwann, dass die drei Brüder verhaftet worden waren, und reagierten absolut geistesgegenwärtig. Sie wussten, die einzige Chance war, die Brüder abzufangen. Also schwangen sie sich auf Lembits Motorrad, fuhren so schnell wie möglich zu einer der Stationen davor, sprangen in den Zug und brachten die Brüder dazu, früher auszusteigen. Als der Zug dann auf dem Bahnhof einfuhr, wo die Geheimdienstler sie erwarteten, war keiner der Brüder mehr an Bord. Der Geheimdienst musste mit leeren Händen abziehen.

Schnell wurde umdisponiert. Man hatte eine andere Möglichkeit für den Kongress gefunden. Auf einer ruhigen Nebenstraße wurden die Brüder zu einem gut 10 Kilometer weit entfernten Gehöft geleitet. Die ganze Zeit über fuhren Soldaten immer wieder die Hauptstraßen ab und suchten nach den Zeugen, die sich scheinbar in Luft aufgelöst hatten. Ohne Störung konnten 111 Besucher dem Kongressprogramm zuhören. Die Stimmung war düster, denn allen war klar, dass man jederzeit verhaftet werden konnte. Sie hörten Berichte über die Brüder und Schwestern in anderen Ländern. Besonders die Erlebnisberichte aus den NS-Konzentrationslagern waren für sie sehr glaubensstärkend. Den Brüdern, die gerade mit knapper Not einer Massenverhaftung entkommen waren, blieb zwar nur eine kurze Verschnaufpause, doch wie es sich zeigte, gab ihnen dieser Kongress genau das, was sie brauchten, um für die nächsten Prüfungen stark genug zu sein.

VERHÖRT UND VERURTEILT

In den darauffolgenden Monaten wurden die verantwortlichen Brüder der Reihe nach verhaftet, zusammen mit über 70 Verkündigern und etlichen anderen, die irgendwie mit Jehovas Zeugen verbunden waren. Eigentlich wollten Jehovas Diener doch nur in Frieden leben, aber nun mussten sie endlose Verhöre über sich ergehen lassen. Und wer noch nicht im Gefängnis saß, konnte damit rechnen, der Nächste zu sein.

Da die Verhöre meist nachts stattfanden und sich über Monate hinzogen, war das schlimmste Problem der Schlafentzug. Je weniger Schlaf man bekam, desto mehr lagen die Nerven blank. Die Brüder wurden einfach ohne Gerichtsverhandlung verurteilt; man teilte ihnen lediglich ihre Strafe mit: 5 bis 12 Jahre Gefängnis oder Arbeitslager. Die meisten bekamen 10 Jahre. Ihr Verbrechen? „Antisowjetische Propaganda und umstürzlerische Betätigung“, so hieß es. Als kurz danach das Gesetz geändert wurde, verurteilte man die Zeugen sogar zu 25 Jahren Haft — wie zum Beispiel August Pressraud. Er war damals 63 Jahre alt und soll nach seiner Urteilsverkündung mit einem Schuss Ironie gesagt haben: „Hohes Gericht! Ich danke Ihnen, dass Sie für mich so eine lange Haft vorgesehen haben. Eigentlich dachte ich, dass ich nur noch ein paar Jährchen zu leben hätte, aber dank Ihnen hab ich jetzt noch ein Vierteljahrhundert vor mir!“

Die Brüder kamen in berüchtigte Gefängnisse oder Arbeitslager — kreuz und quer über die Sowjetunion verstreut. Meist ging es nach Sibirien und in den äußersten Osten oder Norden des Landes, wo das Leben rau und hart war. Man hatte das Gefühl, das sei nun die Endstation, und viele Gefangene dachten, es sei leichter, zu sterben.

Nicht einmal die falschen Brüder, die mit den Behörden zusammenarbeiteten, kamen glimpflich davon. Ein Paradebeispiel dafür ist, was mit zwei Brüdern passierte, die für den KGB arbeiteten. Direkt nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatten, wurden sie selbst zur Zielscheibe des KGB. Beide kamen in Gefangenenlager. Anscheinend hatte der KGB keinerlei Respekt vor solchen feigen Informanten. b

VON ESTLAND NACH SIBIRIEN

Jetzt, wo der KGB die „wichtigsten“ Leute bei den Zeugen Jehovas hinter Schloss und Riegel gebracht hatte, machte er Jagd auf alle anderen Zeugen, um sie auszuradieren. Stichtag war der 1. April 1951. Noch im Morgengrauen startete er einen perfekt organisierten Großangriff und schlug in allen Teilen des Landes (inklusive Lettland, Litauen und Westukraine) gleichzeitig zu.

So gut wie alle Zeugen Jehovas, etliche ihrer engsten Verwandten und sogar Interessierte wurden in einer Hauruckaktion von zu Hause weggeholt, zu Bahnhöfen gebracht und dort in Güterwagen gepfercht. Sie durften gerade noch etwas zum Essen und ein paar Habseligkeiten mitnehmen, der Rest wurde konfisziert. An diesem einen Tag wurden — ohne Gerichtsverhandlung und jede Erklärung! — nahezu 300 Personen aus Estland mit dem Zug nach Sibirien verfrachtet, hauptsächlich in die Oblast Tomsk, 5 000 Kilometer weit weg.

UNGEMEIN TAPFERE KINDER

Die 17-jährige Corinna Ennika war währenddessen zusammen mit ihrer 13-jährigen Schwester Ene bei Verwandten zu Besuch gewesen. Man kann sich vorstellen, was für einen Schock die beiden bekommen haben, als sie nach Hause kamen und sahen, dass alles verrammelt war — von ihrer Mutter weit und breit keine Spur! Doch als sie dann hörten, dass man die Mama verhaftet hatte, waren sie fast erlöst. Warum?

„Wenigstens war sie am Leben!“, erzählt Corinna. „Und da wir uns dachten, dass sie nicht als Einzige verhaftet wurde, waren wir uns sicher, dass sie zumindest mit anderen Zeugen zusammen war. Wir spürten ganz stark Jehovas Beistand und seinen Frieden. Ich habe nicht geweint und meine Schwester auch nicht, obwohl sie recht zart besaitet ist. Wir erzählten keinem, was passiert war, und gingen am Montag beide zur Schule, als wäre nichts gewesen.“

Die beiden Mädchen reagierten sogar gelassen, als man sie dann abholte. „In unserem Eisenbahnwagen waren alle ganz gefasst“, erinnert sich Corinna. „Eine Schwester tröstete uns und erklärte uns, dass Jehova nie mehr zulässt, als man verkraften kann, und dass wir ganz fest auf sein Versprechen, uns zu helfen, bauen sollen.“ Die Mädchen sahen ihre Mutter erst gut sechs Jahre später wieder.

Ein typisches Beispiel für den absurden Hass der Verfolger liefern die Deportationspapiere eines sechs Monate alten Babys. Der Grund für seine Verbannung? Es galt als „Staatsfeind“.

Die Deportation selbst war ein traumatisches Erlebnis und entwürdigend. Die Gefangenen wurden wie ein Stück Vieh behandelt und nur einmal morgens und abends aus dem Zug gelassen, damit sie auf Toilette gehen konnten — wobei es natürlich keinerlei Toiletten gab. „Es war so entgegen aller Regeln des Anstands und derart menschenunwürdig“, erzählt eine Schwester. „Männer und Frauen — alle zusammen ... jeder lief an einem vorbei. Und die Wächter standen um uns herum und schauten uns zu.“

LEBEN UND STERBEN IN SIBIRIEN

Nach entsetzlichen zwei Wochen im Zug ließ man die Verbannten samt ihrem bisschen Hab und Gut endlich aus den Waggons hinaus — in Schnee und Kälte. Von der Kolchose in der Nähe kamen Vorarbeiter, um sich die besten Arbeitskräfte herauszusuchen, ganz wie auf einem Sklavenmarkt.

Viele der Bewohner Sibiriens waren ja selbst Verbannte und hatten dementsprechend Mitleid mit den Neuankömmlingen. Daher lebten sich unsere Brüder dank der Hilfe ihrer Glaubensbrüder und netter Einheimischer bald ein. Manche konnten sich ein relativ normales Leben einrichten. Einigen ging es gesundheitlich sogar immer besser, wie zwei estnischen Schwestern, die Tuberkulose hatten, aber in dem trockeneren Klima Sibiriens wieder auf die Beine kamen.

Allerdings hatte nicht jeder so viel Glück. Mindestens ein Kind starb auf der Zugfahrt, und ein älterer Bruder starb infolge der schrecklichen Umstände, die er nicht verkraften konnte. Manche trugen große Schäden davon, weil es keine vernünftige ärztliche Versorgung gab oder weil sie einfach zu schwer arbeiten mussten. Anderen machten die rauen Lebensbedingungen, die schlechte Ernährungslage, Krankheiten, Unfälle und die Eiseskälte sehr zu schaffen. Dazu kam noch, dass viele aushalten mussten, jahrelang so weit weg von ihren Lieben zu sein und nie auch nur ein Lebenszeichen von ihnen zu bekommen.

Tiina Kruuse erzählt: „Man brachte mich und meine Geschwister zu einer eher ärmlichen Kolchose, wo die Leute selbst kaum etwas zu essen hatten, geschweige denn für uns. Wer neu dazukam, erhielt Kiefernrinde zum Kauen und essbare Wurzeln und des Öfteren gab es Brennesselsuppe.“

In Sibirien sind die Winter lang und bitterkalt. An so ein strenges Klima waren Estländer nicht gewöhnt. Nicht einmal Kartoffeln ließen sich gescheit anbauen. Das erste Jahr in der Verbannung war für fast alle grauenhaft und sie litten ständig furchtbaren Hunger.

Hiisi Lember erzählt: „Wir hatten minus 50 Grad. Damit uns die Henne nicht erfror, hielten wir sie im Käfig unter unserem Bett. Manche holten den Winter über sogar ein frisch geborenes Kalb mit ins Haus.“

IN NEUE PREDIGTGEFILDE — AUF STAATSKOSTEN!

Jahre zuvor hatte William Dey gesagt, sollte die Sowjetunion je die baltischen Länder an sich reißen, gäbe es für die Brüder ein Riesengebiet zu bearbeiten. Genau so war es jetzt! Zwar ließ Jehova seine Zeugen nun eine schwere Bewährungsprobe durchmachen. Doch dadurch, dass die sowjetische Regierung die Zeugen in die Verbannung schickte, half sie letztendlich mit, dass bis hin nach Sibirien und in vielen weiteren entlegenen Winkeln des Landes gepredigt werden konnte. So lernten viele, die noch nie in ihrem Leben etwas von Jehova gehört hatten, die Wahrheit kennen.

Ein Beispiel dafür ist Lembit Trell. Er saß wegen staatsgefährdender Umtriebe ein und hörte zum ersten Mal 1948 von der Wahrheit — und zwar auf eine nicht ganz alltägliche Weise: in einer Gefängniszelle in Tartu. Dort schilderte ihm ein russischer Offizier und Mithäftling kurz, was er in einer anderen Zelle von Zeugen Jehovas gehört hatte: dass Gottes Regierung die Lösung aller Probleme ist und Gott bald über die ganze Erde regieren wird. Lembits Interesse war geweckt.

Nach einiger Zeit kam Lembit in ein Gefangenenlager nach Workuta im arktischen Sibirien. Dort hörte er mit einem Ohr mit, wie sich einige über die Bibel unterhielten. Er ging näher an die Gruppe heran und merkte, dass sich das genauso anhörte wie das, was ihm der Offizier erzählt hatte. Also gesellte er sich dazu.

Die Brüder fragten ihn gleich: „Und wieso bist du hier gelandet?“

„Ich habe für Gerechtigkeit gekämpft.“

„Und? Erfolg gehabt?“, wollte einer der Brüder wissen.

Eigentlich lag die Antwort auf der Hand, deshalb meinte Lembit nur: „Na ja, das nun nicht gerade.“

Darauf meinte ein Bruder: „Junge, du hast auf der falschen Seite gekämpft. Wie wär’s denn jetzt mit der richtigen?“ Die Brüder erklärten ihm, dass es laut der Bibel um einen viel größeren „Krieg“ ging. Je mehr er erfuhr, umso klarer wurde ihm, dass das die Wahrheit war und er sich in diesem „Krieg“ auf Jehovas Seite stellen musste.

Genau das tat er auch nach seiner Freilassung. Er ging nach Estland zurück und ist mittlerweile allgemeiner Pionier. Seine Frau, Maimu, hatte mit der Wahrheit übrigens auf einem ähnlichen Umweg Bekanntschaft gemacht: durch eine Haftgenossin, die keine Zeugin Jehovas war.

Der Predigtdienst gestaltete sich für die estnischen Brüder nicht einfach, weil sie nur radebrechend Russisch konnten. Trotzdem hatten sie immer einen guten Aufhänger für Gespräche: Sie erklärten einfach den Grund für ihre Verbannung nach Sibirien. Das war für sie eine gute Übung im informellen Predigen. Außerdem gab es auch genug Landsleute, denen sie von der Bibel erzählen konnten. Wie eine Zeitzeugin schätzt, haben neben etlichen Russen und Litauern etwa 15 bis 20 Esten im Lager die Wahrheit kennengelernt.

WIE AN DIE GEISTIGE SPEISE HERANKOMMEN?

Es gab die verschiedensten Methoden, um Bibeln und Literatur in die Gefängnisse beziehungsweise ins ferne Sibirien einzuschleusen. Ein Bruder berichtet: „Wir bekamen unsere geistige Speise zum Beispiel in Schmalztöpfen geliefert. In der Kälte wurde das Schmalz ganz weiß, sodass man die Seiten darin nicht so leicht entdecken konnte. Zwar wurde zur Kontrolle gern mit einem Messer in die Töpfe gestochen, aber nur ganz selten stieß man dabei auf das eng an den Topfrand gedrückte hauchdünne Papier.“ Dass die kostbare geistige Speise in den mit buchstäblicher Speise randvollen Töpfen entdeckt wurde, war eher die Ausnahme.

Miniseiten wurden auch gern in Handtaschen oder Kleidungsstücke eingenäht, in Seifenschachteln versteckt oder in ausgehöhlte Seifen hineingedrückt. „In eine Seifenschachtel habe ich vier Wachttürme reinbekommen“, erzählt Ella Toom.

Trotz der Briefzensur lernten die Brüder, wie man biblische Wahrheiten und theokratische Ausdrücke so tarnt, dass jeder denkt, es ginge um alltägliche Sachen. Eine Schwester schrieb in einem Brief zum Beispiel: „Vater versorgt uns ausnehmend gut, und wir haben sogar einen Brunnen mit Seil.“ Damit wollte sie sagen, dass der „Vater“, also Jehova, sie alle gut versorgt. Sie hatten Kontakt zum „Brunnen“, der Organisation Jehovas, und kamen an das lebenswichtige Wasser der Wahrheit heran: die biblische Literatur.

Manches davon konnte mit ganz einfachen Mitteln gedruckt werden, doch der Großteil der Literatur wurde schlicht von Hand abgeschrieben. Manchmal waren die Brüder direkt dankbar, wenn man sie für ihr Predigen mit Einzelhaft bestrafte. Wieso das? Eine Schwester meint: „Die Einzelhaft war eigentlich eine gute Sache. Da hatte ich viel mehr Ruhe, um den Wachtturm zu übersetzen.“ Wieder einmal lief eine der Methoden von den Verfolgern ins Leere. Sie hatten oft sogar einen Bumerangeffekt (Jes. 54:17).

ZUSAMMENKÜNFTE SIND WICHTIG

Die Gelegenheiten, sich mit Glaubensbrüdern bei Zusammenkünften auszutauschen, waren überaus kostbar und rar. Corinna Ennika schildert, wie sie und eine andere Schwester einmal allen Mut zusammennahmen und ihren Arbeitsplatz unerlaubt verließen, um bei einer Zusammenkunft dabei zu sein. „Wir machten uns am Abend auf und gingen zu Fuß zu einem 25 Kilometer entfernten Bahnhof. Der Zug fuhr um zwei Uhr morgens ab. Nach sechs Stunden Fahrt stiegen wir aus und liefen noch einmal 10 Kilometer zu dem Haus, wo wir uns alle treffen wollten. Als wir das richtige Haus gefunden hatten, überlegten wir gerade hin und her, wer denn das Kennwort sagen sollte, als ein Bruder herauskam. Er merkte gleich, dass wir Schwestern waren, und sagte strahlend: ,Hier seid ihr goldrichtig. Kommt rein!‘ Wir haben gemeinsam den Wachtturm studiert und Königreichslieder gesungen. Das hat uns und unserem Glauben ungemein gutgetan!“ Als sie nach drei Tagen wieder auf der Kolchose ankamen, stellten sie erleichtert fest, dass der Kolchosleiter ihre Abwesenheit noch nicht einmal bemerkt hatte. Solche Treffen im Untergrund waren wie eine Kraftspritze für den Glauben und gaben den treuen Dienern Jehovas neuen Mut.

Ein andermal hielten Brüder gerade eine Zusammenkunft im Gefängnis ab, als plötzlich Wärter auftauchten, um nach Literatur zu suchen. Ein Bruder, der ein paar Seiten in der Hand hielt, schnappte sich schnell einen Besen und legte los. Die Wärter suchten alles ab, wurden aber nicht fündig und verschwanden wieder. Die ganze Zeit über befanden sich die Seiten an einer sicheren Stelle: um den Besenstiel gewickelt — und im festen Griff des Bruders, der mit Hingabe den Boden fegte.

CHRISTLICHE NÄCHSTENLIEBE HAT VIEL KRAFT

„Fünf Jahre lang habe ich im Kohlenbergwerk unter Tage gearbeitet“, erzählt Adolf Kose. „Oberhalb vom nördlichen Polarkreis wird es im Winter nicht hell. Immer wenn wir am Ende unserer Schicht hochkamen, war alles dunkel. So haben wir monatelang kein Tageslicht gesehen. Außerdem haben wir nicht genügend zu essen bekommen. Das Gedächtnis und auch das Zeitgefühl litten sehr darunter. Bedingt durch die Knochenarbeit, das kärgliche Essen und die pure Erschöpfung reichte die Kraft für alltägliche Gespräche immer nur für ein paar Minuten am Stück. Ging es allerdings um die Königreichshoffnung, dann war alle Müdigkeit verflogen, dann konnten wir stundenlang erzählen.“

In diesen Zeiten der Entbehrungen lernten die Brüder, was aufopferungsvolle Liebe bedeutet. Dazu Bruder Kose: „Alles, was wir hatten oder bekamen, teilten wir gerecht untereinander auf. Wir waren ja alle in Not, also wurde auch alles miteinander geteilt“ (1. Joh. 4:21).

Sogar die Wachen merkten, dass die Zeugen immer füreinander da waren. Als Aino Ehtmaa in ein anderes Lager verlegt wurde, besaß sie nicht einmal einen Löffel oder eine Schüssel — das absolut Notwendige fürs Überleben im Lager.

Der Lagerführer meinte nur: „Schon in Ordnung, deine Schwestern werden dir alles geben, was du brauchst.“ Und genauso war es. Wie oft konnte durch solche christliche Nächstenliebe der Name Jehovas geehrt werden!

Die Treue zu Jehova wurde immer wieder aufs Neue geprüft. Obwohl Schwester Ehtmaa schon lange im Lager war, bohrten die Wachen ständig nach: „Bist du immer noch nicht zur Zusammenarbeit mit uns bereit?“ Unter Zusammenarbeit verstanden sie natürlich, vertrauliche Informationen preiszugeben.

Schwester Ehtmaas Standardantwort lautete dann immer: „Ihr haltet mich in Lagern fest und wegen euch sind meine Eltern jetzt tot. Und da redet ihr von Zusammenarbeit?! Nie und nimmer!“

Selbst in „Fesseln“ zeigten die verbannten Zeugen dieselbe Liebe wie Christus und erzählten anderen wann immer möglich vom Königreich. Was waren das für Leute, denen sie unter anderem predigen konnten? Dank der sowjetischen Politik, Angehörige der nichtkommunistischen Intelligenzija umzusiedeln, wurde unseren Brüdern und Schwestern in Wirklichkeit eine „Tür für das Wort“ geöffnet. Mit diesen gebildeten Menschen, die sonst vielleicht nie von der Botschaft gehört, geschweige denn positiv darauf reagiert hätten, konnten oft sehr gute Gespräche geführt werden (Kol. 4:2-4).

Bruder Kose erzählt: „Später brachte man uns dann in unterschiedliche Lager. In jeder Zelle wurde kräftig gepredigt. So viel wie damals habe ich vorher nicht und auch danach nie wieder predigen können.“

In all den Jahren der Verbannung ließen die gnadenlosen Verfolger unseren Brüdern keine Atempause. Sie nahmen ihnen ihren Besitz und ihre Freiheit weg und demütigten sie auf jede nur denkbare Art. Doch konnten sie weder die Moral noch den Glauben unserer Brüder brechen.

ZURÜCK NACH ESTLAND

Als Stalin 1953 starb, löste das bei vielen seiner getreuen Anhänger große Trauer aus. Ella Toom war damals gerade mit sechs anderen Glaubensschwestern in einer Zelle. Der Wachtposten kam in Tränen aufgelöst herein und befahl ihnen, aufzustehen und Stalin die letzte Ehre zu erweisen. Das lehnten sie mutig ab.

Nach Stalins Tod veränderte sich das politische Klima. 1956/57 reichte unsere weltweite Bruderschaft bei der Sowjetregierung Hunderte von Bittbriefen für die verbannten Glaubensbrüder ein. Einem nach dem anderen wurde Amnestie gewährt. Wer im Gefängnis saß, wurde freigelassen und wer in der Verbannung war, wurde nach Hause geschickt. Bei manchen war das schon kurz nach Stalins Tod, andere mussten länger warten. Die Tuimans zum Beispiel gingen 1951 in die Verbannung, durften aber erst 1965 wieder zurück. Mit dem Zurückkehren nach Estland war es dann allerdings auch noch nicht getan: Die Brüder mussten erst einmal ein neues Zuhause finden, denn ihnen war ja alles weggenommen worden.

KLEINE RÜCKSCHAU

Wie haben die Zeugen die Einschüchterungen, Grausamkeiten, schlimmen Arbeitsbedingungen und die unmenschlichen Haftzustände verkraftet? Die allermeisten sind Jehova treu und im Glauben fest geblieben, sogar als sie dem Tod ins Auge sahen. Mindestens 27 estnische Zeugen starben während der Haft oder in der Verbannung, darunter auch Artur Indus, der vor seiner Verschleppung im estnischen „Dienstkomitee“ gewesen war. Friedrich Altpere starb kurz nach seiner Freilassung, offensichtlich an den Folgen der Zwangsarbeit. Der Glaube der Diener Jehovas wurde durch Sibirien wirklich sehr geprüft, aber sie haben auch viel dazugelernt und sind Jehova ganz und gar ergeben geblieben. All die Torturen haben sie nur gestählt und noch glaubensstärker werden lassen (Jak. 1:2-4).

Viljard Kaarna sagt: „Die verantwortlichen Brüder waren allesamt in Gefangenenlagern und wir konnten mit ihnen in Kontakt bleiben. Dadurch hatten wir in Sibirien immer Literatur und deshalb ging es uns gut. In Estland war es danach viel schwieriger, regelmäßig an geistige Speise heranzukommen. Hätte man uns nicht verbannt, wäre es uns auf dem Gebiet wahrscheinlich nicht so gut gegangen.“

Im Gegensatz zu vielen Zwangsdeportierten, die durch ihre Leiden verbittert wurden, haben unsere Brüder in alldem eine Erfahrung gesehen, durch die sie Jehova nähergekommen sind.

Corinna Ennika erzählt: „Durch all das, was wir durchmachten, lernten wir Gehorsam. Wir haben auf Jehova gebaut und das nie bereut. Wir haben gemerkt, wie wenig man doch braucht, um zu überleben. Meine Schwester Ene und ich hatten nur einen kleinen Koffer und eine Kiste unter dem Bett. Wenn wir heute meinen, etwas Neues zu brauchen, dann denken wir ganz schnell an diese Zeit zurück. Unsere besten Jugendjahre — zwischen 17 und 23 —, die haben wir in Sibirien verbracht. Ich habe mich oft gefragt, ob wir Jehova wohl genauso nahegekommen wären, wenn man uns nicht verbannt hätte. Meiner Meinung nach war Sibirien zu der Zeit für uns der beste Ort überhaupt.“

Eine andere Schwester sagt dazu: „Die fünf Jahre Sibirien waren schnell vergessen. Hinterher kam es mir vor, als hätte ich mir nur ein paar Stunden einen Film angesehen.“

Und woran erinnert sich Aino Ehtmaa? „Nie im Leben werde ich das fröhliche Tanzen der Nordlichter vergessen. Die frostklirrenden Tage, an denen bunte Nebelschwaden aus Seen und Flüssen emporstiegen; die Polartage, an denen die Sonne zwei Wochen lang nicht unterging, und die Polarnächte, wenn die Sonne sich zwei Wochen lang nicht zeigte. Ich erinnere mich noch genau an die grünen Walderdbeeren, die im kurzen Sommer heranreiften, und an die arktischen Wildhühner, die unter den schlanken Bäumen auf Futtersuche waren. Trotz der schweren Zeit fühlte ich mich wie auf einer Entdeckungsreise durch Sibirien. Mir ging auf, dass es mit Jehova sogar dort möglich ist, ein glücklicher Mensch zu sein.“

NEUE ZEITEN — ALTE TAKTIKEN

Nach der Rückkehr aus Sibirien war es mit der Verfolgung noch lange nicht vorbei. Die Geheimpolizei versuchte auf direktem und indirektem Weg, die Organisation auszuspionieren und sie in Verruf zu bringen.

Einmal zum Beispiel wurde Jüri Schönberg, der ins Arbeitslager gekommen war, weil er den Militärdienst verweigert hatte, zum intensiven Verhör abgeholt. Ein Sonderbeamter des KGB war eigens von Kiew nach Estland angereist, um ihn für den KGB anzuwerben. Er versuchte ihm klarzumachen, dass die Literatur der Zeugen Jehovas staatsfeindlich sei und jede Menge Fehler enthalte. Er gab ihm sogar einige Wachttürme zum Lesen. Doch Jüri nahm sie nicht an. Sie sahen zwar echt aus, aber er hatte Angst, dass es vielleicht gefälschte Wachttürme waren, die der KGB manchmal in Umlauf brachte, um unter den Zeugen Verwirrung zu stiften. Eine ganze Woche lang wurde Jüri von dem KGB-Mann von morgens bis abends bearbeitet, aber unser Bruder ließ sich auf nichts ein und blieb fest.

WIEDER KONTAKT ZUR „MUTTER“

Der Eiserne Vorhang erschien zwar undurchdringlich, dennoch fiel das Licht der Wahrheit immer wieder hindurch. Jahrelang mussten die Brüder mit der Literatur aus den Jahren zuvor auskommen. Durch die Verbannung nach Sibirien hatten die estnischen Brüder jedoch Kontakt zu Brüdern aus anderen Teilen der Sowjetunion bekommen, den sie nun in Estland trotz aller Risiken aufrechterhielten. So konnten sie hin und wieder „frische“ geistige Speise importieren. Zum Beispiel hatten sie ab 1956 Kontakt mit Iwan Dzjabko und anderen Brüdern aus der Ukraine. Durch sie kamen sie an Literatur heran. Solche Kontakte gab es jedoch nur sporadisch, und allzu viel Literatur kam dadurch auch nicht ins Land. Es war mehr nötig, und es sollte sich bald zeigen, dass Jehova den mutigen Schritten der Brüder Erfolg schenkte.

Die leitende Körperschaft beauftragte das finnische Zweigbüro, den Brüdern in Estland gezielter zu helfen. Vilho Eloranta, der in den 30ern in Estland Pionier gewesen war, bekam die Aufgabe, mit den Brüdern dort Verbindung aufzunehmen. Das gelang ihm bei seiner ersten Reise Anfang der 60er-Jahre über Fanny Hietala. Danach reisten etliche finnische Kuriere, als Touristen getarnt, nach Estland. So riss die Verbindung zwischen den beiden Ländern nicht ab. Endlich hatten die estnischen Brüder wieder Kontakt zur „Mutter“, wie sie die Organisation Jehovas nannten. Sie schickten Briefe und Predigtdienstberichte mit und erhielten per Mikrofilm ihre Literatur. Doch da das alles unter höchster Geheimhaltung und mit äußerster Vorsicht zu geschehen hatte, gab es solche Kontakte nur zwei bis drei Mal im Jahr.

Adolf Koses Cousin, Hugo, der in den USA lebt, reiste 15-mal nach Estland als Kurier. Einmal wurde er von den Grenzbeamten gründlich gefilzt, aber sie fanden nichts. Etwas brenzlig wurde es allerdings, als sie ihn geradeheraus fragten, welche Religion er habe. Da er merkte, dass sie nur leidlich Englisch sprachen, redete er ohne Punkt und Komma auf sie ein. Die Beamten baten ihn jedoch nicht, langsamer zu reden, denn sie wollten sich nicht die Blöße geben, dass es mit ihrem Englisch nicht weit her war. Als dann auf einmal das Telefon klingelte, winkten sie ihn durch und sagten ihm, er solle sich beeilen, weil das Schiff gleich ablege. Das ließ er sich natürlich nicht zweimal sagen.

Die Kuriere waren sich bewusst, wie wichtig ihre Aufgabe war, und sie nahmen sie sehr ernst. Sie gingen mit äußerster Vorsicht vor und wussten, dass sie nicht zu selbstsicher werden durften. Die Predigtdienstberichte wurden verschlüsselt — für den Fall, dass sie in falsche Hände gerieten. Den Kurieren war klar, dass sie schon durch die geringste Unvorsichtigkeit sich selbst und andere in Gefahr bringen konnten. Manchmal merkten sie, dass sie vom KGB beschattet wurden. Einmal beobachtete Viljard Kaarna, wie die beiden Brüder, die ihm ein Päckchen übergeben sollten, von einem Agenten fotografiert und dann weiter observiert wurden. Keine Frage, da wollte jemand Beweismaterial gegen die Zeugen sammeln. Dennoch ist in all den Jahren keine einzige Lieferung Literatur, Briefe oder Berichte je verloren gegangen.

VIELES WIRD BESSER ORGANISIERT

Einige Zeit lang wurde das Predigtwerk in der Sowjetunion von einem Landeskomitee betreut, das sich in der Ukraine befand. Außerdem reisten einige Brüder als Bezirksaufseher durch dieses riesige Land. Doch mittlerweile wurde die Organisation in Estland immer größer und man brauchte jemand vor Ort. Und so wurde 1967 Adolf Kose mit der Leitung betraut — ein von Natur aus ruhiger Mensch, der durch die schweren Zeiten, die er durchgemacht hatte, sehr gereift war. Später fielen in seinen Aufgabenbereich noch die Korrespondenz und die Berichte für Lettland, Litauen, Karelien, Leningrad (heute Sankt Petersburg) und Murmansk. Bruder Kose kümmerte sich zudem darum, dass an verschiedenen Orten gedruckt wurde.

Allerdings arbeitete er zusammen mit seiner Frau Koidula auch noch voll auf einer Schweinefarm in der Nähe der Stadt Tapa. Wie brachte er das alles unter einen Hut? Er erfand einige Maschinen, die ihm die Arbeit erleichterten. So hatte er mehr Zeit für seine Aufgaben im Dienst für Jehova.

Später besuchten auch Viljard Kaarna, Lembit Toom und Silver Silliksaar Versammlungen in Estland und den benachbarten Sowjetrepubliken. Als dann das russischsprachige Gebiet in Estland immer mehr wuchs, kümmerte sich Alexandr Jewdokimow darum. Nach einer Weile druckten die russischsprachigen Brüder in Estland ihre Literatur selbst. Sie erhielten die russischen Publikationen per Mikrofilm und machten davon an mehreren Orten Abzüge auf Fotopapier. Mit der Zeit wurden die Versammlungen jedoch immer größer und da kam man mit dieser Methode nicht mehr hinterher, weil sie sehr zeitaufwendig war und jede Menge Personal erforderte. Man stellte im Untergrund von über 20 verschiedenen Büchern Hunderte von Exemplaren her, und das trotz der begrenzten Mittel. Zwischen 1966 und 1989 wurden in Estnisch und Russisch über 5 Millionen Seiten von Hand produziert.

IMMER AUF DER HUT!

Einmal kamen Polizisten zu einem Bruder und taten so, als seien sie auf der Suche nach einem gestohlenen Motorrad. Allerdings marschierten sie schnurstracks auf ein Bücherregal zu — nicht gerade ein Ort, wo man so ein Motorrad vermuten würde! Ihnen ging es also eindeutig um verbotene Literatur. Mit langen Gesichtern zogen sie wieder ab.

Welche Tricks hatten die Brüder denn so auf Lager, damit man die Literatur nicht fand? Oft wurden einfach andere Einbände genommen, zum Beispiel von alten Büchern und Magazinen. Bei einer unerwarteten Hausdurchsuchung wurden diese „alten Schinken“ meist nicht weiter beachtet.

Hochzeiten und sonstige Feiern wurden gern für Zusammenkünfte und Kongresse genutzt — natürlich undercover! Als zum Beispiel Heimar und Elvi (Tuiman) heirateten, ging die Feier über zwei Tage. Es wurde auch schon mal drei oder vier Tage lang „gefeiert“. Die Ältesten legten den Brautpaaren ans Herz, besser nur in kleinem Rahmen zu feiern. Das fiel nicht so auf und eventuellen Scherereien wurde damit vorgebeugt.

ZUWACHS DURCH RUSSISCHE BRÜDER

Ab 1970 kamen dann langjährige Zeugen aus der Ukraine, aus Weißrussland und aus anderen Regionen der Sowjetunion ins Land. Verglichen mit der brutalen Verfolgung in ihrer Heimat war das Leben für viele in Estland um einiges leichter.

Im Jahr 1972 konnte dann in Tartu die erste russischsprachige Versammlung mit rund 50 Verkündigern gegründet werden, nicht zuletzt dank der Hilfe von Brüdern wie Nikolaj Dubowinskij, der als Ältester schon in der Ukraine viel Erfahrung gehabt hatte. Das russische Gebiet war sehr ergiebig, und 2010 gab es bereits 27 russischsprachige Versammlungen und 4 Gruppen — immerhin mehr als die Hälfte aller Verkündiger in Estland.

KREATIVES INFORMELLES PREDIGEN

Die russischsprachigen Brüder machten sich mit Feuereifer daran, wo sie gingen und standen, zu predigen. Zum Beispiel zogen sie Touristen ins Gespräch, die sich Kirchen in Tallinn anschauten. Es kam gar nicht so selten vor, dass Touristen die Brüder, die den Leuten etwas von der Bibel erzählten, für Fremdenführer hielten und sich deshalb kein Wort entgehen ließen.

Einige Schwestern predigten gern in Zügen. Sie lösten immer gleich Fahrkarten von Tartu nach Tallinn und zurück. Auf der acht Stunden dauernden Fahrt hatten sie dann mehr als genug Zeit, eine Unterhaltung über die gute Botschaft anzufangen.

Maria Pasetschnik war von Kasachstan nach Estland gezogen und betete jetzt um ein Bibelstudium. Sie überlegte ein wenig und beschloss dann, die stundenlange Wartezeit beim Anstehen für Lebensmittel zum Predigen auszunutzen.

Maria schildert, wie es ihr dabei erging: „Einmal plauderte ich beim Anstehen ein bisschen mit einer Frau und steuerte behutsam auf das Thema Bibel zu. Sie war zwar nicht so interessiert, nahm mich aber zu ein paar Bekannten von ihr mit, stellte mich den Damen vor und ging dann wieder. Was kam dabei heraus? Ich konnte sogar vier Bibelstudien beginnen! Eine von ihnen hat sich taufen lassen und dient Jehova nach wie vor treu.“

Wie überall verhielten sich viele Diener Jehovas an ihrem Arbeitsplatz absolut vorbildlich. Zum Beispiel war in einem Elektrizitätswerk die KP-Organisatorin der Ansicht, man könne auf die Arbeitskraft des Christen Leonhard Nilsk getrost verzichten. Doch da meldete sich der Leiter des Elektrolabors zu Wort: „Brauchen wir denn Kommunisten, die an der Flasche hängen und ihre Arbeit vernachlässigen, wirklich mehr als fromme Menschen, die zuverlässige Arbeiter sind?“ Auch andere Kollegen setzten sich für Leonhard ein, weil sie ihn zu schätzen wussten, und die Sache wurde fallen gelassen. Anscheinend hatte sich die Parteiorganisatorin bei höheren Parteifunktionären lieb Kind machen wollen. Als es mit dem Kommunismus in Estland zu Ende ging, war sie es dann, die ihren Arbeitsplatz verlor.

PREDIGEN UNTER VERBOT

„Ich habe in der Schule vielen Klassenkameraden etwas über die Bibel erzählt, aber immer ganz vorsichtig“, berichtet Lembit Reile, der heute im estnischen Zweigkomitee ist. „Einen habe ich öfter zu mir nach Hause eingeladen und ihm mehr erzählt, aber halt behutsam. Nach der Schulzeit habe ich ihn bestimmt 20 Jahre nicht mehr gesehen. Vor Kurzem hielt ich dann in meiner Heimatversammlung mal wieder einen Vortrag. Und wen sehe ich da? Meinen ehemaligen Mitschüler! Er hatte schon eine Weile studiert und wurde kurz darauf mein Glaubensbruder! Da habe ich mich unglaublich gefreut!“

Wegen des Verbots mussten die Brüder beim Predigen immer auf der Hut sein. Dazu ein Ältester: „Wir mussten uns schon Zeit nehmen, die Leute um uns herum gut zu beobachten, um einzuschätzen, ob wir ein Gespräch mit ihnen beginnen sollten. Äußerst diskret gingen wir vor, wenn wir Fremden predigten. Bald hatten wir eine recht gute Nase dafür, wer ein KGB-Informant war. Misstrauisch wurden wir zum Beispiel, wenn jemand unheimlich viel oder sehr laut redete. Auf der sichereren Seite war man bei den etwas reserviert Wirkenden. Oft haben wir die Leute angesprochen, die das Regime nicht unterstützten — die sogenannten Dissidenten oder Abweichler —, denn sie waren aufgeschlossener.“

EIN MOTIVIERENDES TREFFEN IM PARK

Lloyd Barry von der leitenden Körperschaft sollte gemeinsam mit Viv Mouritz vom finnischen Zweig Adolf Kose treffen, der das Werk in Estland organisierte. Das Ganze fand in einem Park in Leningrad statt.

Über dieses Geheimtreffen weiß Bruder Mouritz zu berichten: „Erst kam man an Bruder Kose nicht so recht heran. Er blieb hinter seiner Zeitung verschanzt. Doch im Verlauf der Unterhaltung ließ er sie Stück für Stück sinken und taute allmählich auf.“

„Eine Einladung zum Essen schlug er aus“, erzählte Bruder Barry. „Er hielt es für besser, sich auf das Wesentliche zu beschränken.“

Als sich Bruder Kose besorgt wegen der schweren Verfolgung und der großen Einschränkungen in der Sowjetunion äußerte, konnten die zwei Brüder viel Ermutigendes erzählen. Zum Beispiel versicherten sie ihm: „Auch in anderen Ländern müssen wir uns bewähren. Die Glaubensprüfungen dort wirken zwar harmloser, sind aber viel gefährlicher. Bei uns im Westen ist man so vielen Versuchungen ausgesetzt, die ihr nicht habt, und wir verlieren mehr Brüder als ihr hier.“

Der Besuch hat Bruder Kose viel gegeben und kam gerade zur rechten Zeit. Erst danach erfuhr er, dass er mit jemand von der leitenden Körperschaft gesprochen hatte. Nur zu gern gab er die vielen positiven Gedanken, die ihm durch die Organisation Jehovas vermittelt worden waren, an all die treuen Zeugen weiter, die dem enormen Druck des Regimes so tapfer standhielten.

„Unser ganzes Mitgefühl gehört unseren Brüdern in der Sowjetunion“, schrieb Bruder Barry später. „Bruder Kose kennenzulernen war eine wahre Freude. Und als er uns zum Abschied die Hand schüttelte und uns ganz fest ans Herz drückte, war das ein schöner Abschluss eines wunderbaren Zusammenseins.“

SCHULKINDER STEHEN MUTIG FÜR JEHOVA EIN

Besonders die jungen Diener Jehovas wurden unter Druck gesetzt, politische Organisationen zu unterstützen. Man versuchte auch, sie dazu zu bewegen, noch bei anderen Sachen mitzumachen, die ihr biblisch geschultes Gewissen nicht zuließ.

Ester Tamm erzählt: „Ich war noch ein Schulmädchen. Einmal, da sollten wir alle aufstehen, nach vorn kommen und einen Brief mit Geburtstagswünschen an Stalin unterschreiben.“

Ester stand brav auf, ging aber nicht nach vorn. Höflich erklärte sie, dass sie den Brief nicht unterschreibt. Die Lehrerin wurde wütend, doch überraschenderweise bekam Ester Rückendeckung von ein paar anderen Mitschülern, die mutig verkündeten: „Dann unterschreiben wir auch nicht.“ Und damit war die Angelegenheit erledigt.

Ein anderes Problem war das rote Halstuch, das man zu tragen hatte. Es stand für den Kommunismus und wer sich weigerte, dem wurden schlechtere Noten oder andere Strafen angedroht. Unsere jungen Brüder und Schwestern ließen sich aber nicht darauf ein. Sie waren genauso loyal wie damals Daniel und seine drei Freunde in Babylon (Dan. 1:8).

EINE GANZ NEUE ÄRA

Nur 7 Prozent der estnischen Bevölkerung waren in der KP, was zeigt, dass die Esten allgemein nicht hinter dem Sowjetsystem standen. Den Beamten war nicht immer daran gelegen, Instruktionen aus Moskau zu folgen, und manchmal halfen sie unseren Brüdern sogar. 1985 kam zum Beispiel ein Beamter zu Lembit Toom und gab ihm einen guten Rat: „Sie sind doch so eine Art Vormann bei euch da. Wenn ihr euch trefft, dann macht das doch besser nicht an den Staatsfeiertagen.“

Darauf Lembit: „Ah ja! Ich werde das weitergeben.“ Offenbar missfiel es dem KGB, dass wir an Staatsfeiertagen Zusammenkünfte abhielten. Unsere Brüder hatten sich wohl zu auffällig versammelt, von da an befolgten sie den gut gemeinten Rat.

1986 wurde durch die Reformen der Perestroika eine ganz neue Ära eingeleitet. Und so riet die leitende Körperschaft den Brüdern, die neue politische Offenheit und die größere Freiheit für Kongresse in Osteuropa auszunutzen. Für die Brüder in der Sowjetunion, die all das Schlimme, was sie erlebt hatten, ja nicht einfach aus dem Gedächtnis löschen konnten, war der Gedanke an Freiheit noch vor Harmagedon eher Utopie. Zumal Hausdurchsuchungen nach wie vor an der Tagesordnung waren.

DIE ÖFFENTLICHKEIT WIRD AUF UNS AUFMERKSAM

Je mehr sich die Situation im Land lockerte, umso mehr zeigten die Menschen ihr Interesse an der Religion und der Bibel. Man war neugierig, was Jehovas Zeugen so glaubten, und warum — einige Institutionen luden die Brüder sogar ein, über unsere Glaubensansichten zu referieren.

Und so passierte es eines Tages! Lembit Reile hatte zugesagt, vor einer kleinen Zuhörerschaft einen Vortrag zu halten. An besagtem Tag war Ainar Ojarand, der das arrangiert hatte, gerade dabei, sich zu rasieren, als er im Radio plötzlich die Meldung hörte: „Heute ist im Sakala-Zentrum ein Vortrag zu hören über das Thema ‚Was lehrt die Bibel?‘.“ Das war in Tallinn das Kongresszentrum schlechthin. Hier kam normalerweise die Kommunistische Partei zusammen! Ihm fiel vor Schreck fast der Rasierapparat aus der Hand. Das wurde jetzt eine viel größere Veranstaltung als gedacht! Ainar konnte Lembit aber nicht mehr vorwarnen und so hörte Lembit erst an der Bushaltestelle davon.

„Der Saal war bis zum Bersten voll“, erzählt Lembit. „Noch nie hatte ich vor so einer großen Zuhörerschaft gestanden, noch nie in ein Mikrofon hineingesprochen, noch nie von einer Bühne geredet. Ich betete schnell zu Jehova und mir fiel Paulus auf dem Areopag ein. Was wäre wohl der beste Einstieg für meinen Vortrag? Da die meisten im Saal Vegetarier waren, fing ich damit an, dass Gott den ersten Menschen nur Obst und Gemüse zu essen gegeben hatte — und man erst nach der Sintflut Fleisch essen durfte.“

Mit dieser Einleitung hatte er anscheinend irgendwie richtiggelegen. Nach seinem Vortrag standen die Leute Schlange, um Name und Adresse anzugeben und sich für etwas Lesestoff vormerken zu lassen. Im Lauf der Zeit konnten etliche Brüder in Schulen und Kulturzentren Vorträge halten. Viele, bei denen das Herz stimmte, fanden die Wahrheit einleuchtend und nahmen sie an.

JETZT NICHT EINSCHLAFEN!

Ab 1989 erhielten Jehovas Diener in der Sowjetunion mehr Religionsfreiheit, und einige Brüder konnten zu einem Kongress in Polen ausreisen. Was war das für ein Gefühl, sich nach den langen Jahren der gewaltsamen Unterdrückung in Freiheit versammeln zu können?

Dazu sagt Ella Toom: „Wir konnten es kaum fassen! Uns liefen nur so die Tränen. Der Kongress war für uns schon das Paradies.“

„Wir kamen einige Zeit vorher in Polen an, und die Brüder nahmen uns zu einer Zusammenkunft in den Königreichssaal mit“, erzählt eine andere Schwester. „Als ich all die Brüder und die Schwestern in den Saal gehen sah, musste ich weinen. Das war mein allererstes Mal in einem Königreichssaal!“

Theodore Jaracz und Milton Henschel von der leitenden Körperschaft machten sich zusammen mit Willi Pohl vom deutschen Zweigbüro auf die Reise quer durch die Sowjetunion. Es lag ihnen am Herzen, die Brüder zu sehen und ihnen den Rücken zu stärken. Außerdem wollten sie sich einen Eindruck von der Situation verschaffen. Da sich die Weltbühne rasant veränderte, galt es, die Gunst der Stunde in der Perestroikazeit zu nutzen und das Werk neu zu organisieren. Als Erstes konzentrierte man sich da auf die Übersetzungsarbeiten.

Seit 1983 war schon einiges ins Estnische übersetzt worden, und zwar im kanadischen Bethel — von Toomas (Tom) Edur, einem ehemaligen dynamischen Profi-Hockeyspieler mit estnischen Wurzeln. c Von diesen Übersetzungen profitierten allerdings hauptsächlich Esten, die im Ausland lebten. Als es in Estland dann ab 1990 immer leichter wurde, kamen Toomas und seine Frau Elizabeth zunächst ins finnische Bethel, um bei der Übersetzung mitzuhelfen, und kurz danach nach Estland.

Davor hatten diverse Übersetzer an verschiedenen Stellen für sich allein gearbeitet. Doch es war natürlich viel besser, wenn sich die Übersetzer an einem Ort zusammentaten. Und so machte sich ein Übersetzerteam gemeinsam ans Werk, und zwar in der Wohnung von Lembit Toom in Tartu. Allerdings war es so gut wie unmöglich, in den Sowjetrepubliken Computer aufzutreiben, und die Übersetzer kamen mit ihrer Arbeit deshalb nicht so schnell und gut voran. Das änderte sich jedoch, als ein Bruder aus Estland das Bethel in den USA besuchte und mit zwei Computern heimkam: Damit war der Grundstein für eine effektiv arbeitende Übersetzungsabteilung gelegt. Das nächste Hindernis war, dass sich nur eine Handvoll Übersetzer mit Computern und MEPS auskannte (dem vielsprachigen elektronischen Fotosatzsystem). Aber sie wollten alle unbedingt dazulernen und lieferten bald eine erstklassige Arbeit ab.

EIN ZWEITER WUNDERSCHÖNER KONGRESS IM AUSLAND

Mit dem nachlassenden Einfluss der Sowjetunion in Osteuropa gewannen die Menschen immer mehr Freiheiten. Ungefähr 200 estnische Brüder und Schwestern bekamen sogar ein Visum, um im Juni 1990 in Helsinki den Bezirkskongress „Reine Sprache“ besuchen zu können.

Als die Delegierten aus Estland von Bord gingen, standen die finnischen Brüder schon im Hafen und begrüßten sie mit einem donnernden Applaus. Eine ganze halbe Stunde lang! Die Umstehenden wurden natürlich neugierig: Was war hier los? Welche Berühmtheiten waren da wohl angekommen? Wie sich der Wind doch gedreht hatte! Unsere Brüder, denen man jahrzehntelang übel mitgespielt hatte, wurden jetzt wie Olympiahelden empfangen.

Die Begeisterung unter den estnischen Brüdern war groß, als sie auf dem Kongress das Programm teilweise in Estnisch verfolgen konnten und auch neue Literatur in ihrer Muttersprache erhielten. Ein alter treuer Kämpfer erzählt, wie es war, als sie zum ersten Mal eine estnische Broschüre bekamen: „Wir hatten das Gefühl, einen kostbaren Schatz in der Hand zu halten.“

Während der Schlussansprache erlebten unsere estnischen Brüder dann das absolute Highlight: Wie der Redner ankündigte, hatte die leitende Körperschaft genehmigt, dass ab Januar 1991 der estnische Wachtturm halbmonatlich und im Vierfarbendruck erscheint, zeitgleich mit dem englischen. Wie elektrisiert sprangen die Brüder alle auf und der Beifall nahm kein Ende. Dann wurde es auf einmal ganz still, und von irgendwoher hörte man die Frage: Heißt das, jede Studiengruppe bekommt nur ein Exemplar, so wie früher, oder jeder seinen eigenen? Als dann die Bekanntmachung kam, dass jeder seinen eigenen Wachtturm haben würde, konnten sie es kaum glauben, und es gab noch einmal stürmischen Applaus.

Im finnischen Zweig machte man sich sofort an das Drucken der estnischen Literatur und man sorgte auch dafür, dass die Brüder die Ausgaben ab 1990 erhielten. Außerdem bekamen unsere estnischen Brüder viele Ladungen Hilfsgüter von ihren Glaubensbrüdern aus den verschiedensten Ländern — was bei den wirtschaftlichen Verhältnissen wirklich dringend gebraucht wurde.

DER ERSTE KONGRESS IN FREIHEIT

Es herrschte mehr und mehr Religionsfreiheit und die Organisation Jehovas packte die Gelegenheit beim Schopf: Überall in der Sowjetunion wurden große Bezirkskongresse organisiert — je nach Land unter dem Motto „Freiheitsliebende Menschen“ oder „Freunde der göttlichen Freiheit“. Die estnischen Brüder waren Feuer und Flamme, als es darum ging, den ersten Kongress dieser Reihe in Tallinn auszurichten. Der Kongress lief vom 13. bis 14. Juli 1991.

Besonders für so manchen der Älteren war es ein ganz besonderer Freudentag. Ihr letzter Kongress in Freiheit war ja 1940 gewesen. Dass sie das noch einmal miterleben durften! Nach mehr als 50 Jahren!

Die russischsprachigen Brüder aus dem Nordwesten der Sowjetunion, den baltischen Staaten und Kaliningrad versammelten sich in Tallinn in einer Konzerthalle (Linnahall). In der Eissporthalle (Jäähall) nebenan saßen an die 1 000 Esten. Einmal zählte man in beiden Hallen sage und schreibe 4 808 Personen. Als sich dann auch noch 447 taufen ließen, kannte der Jubel kein Ende!

Kongressen wie diesen ist es mit zu verdanken, dass sich Neue die Wahrheit zu eigen gemacht haben. Da war zum Beispiel die Großmutter von Leonhard Nilsk — Amalie. Sie ging eigentlich immer zu den Adventisten, hatte aber so ihre Zweifel, ob sie das Richtige lehrten. Leonhard legte seiner Oma ans Herz, herauszufinden, was die Bibel wirklich sagt. Der Kongress 1991 in Tallinn war für sie das Schlüsselerlebnis! Schon nach dem ersten Tag verkündete sie, dass sie nie wieder einen Fuß in ihre Kirche setzen würde. Was Amalie von ihrem Enkel gehört hatte, war für sie einfach nicht genug gewesen — sie musste Jehovas Volk selbst erleben! Jetzt war sie mit einem Bibelstudium einverstanden, und später ließ sich Oma Amalie sogar taufen.

EIN TRAUM WIRD WAHR

Jetzt, wo sich die bedrohlichen Wolken der Verfolgung und Unterdrückung verzogen hatten, konnten manche vom Volk Jehovas es einfach nicht fassen, dass sie ihrem Gott wirklich ganz und gar frei dienen konnten. Ein langjähriger Ältester hatte zum Beispiel immer davon geträumt, dass es das Buch Du kannst für immer im Paradies auf Erden leben eines Tages in Estnisch geben würde. 1991 kam dann im Zuge der neuen Freiheit genau dieses Buch als Erstes in Estnisch heraus.

Der Älteste erzählt, wie es dann war, als er das Buch tatsächlich in den Händen hielt: „Ich dachte immer nur: ‚Das gibt es doch einfach nicht!‘ Als ich das Buch den Brüdern in der Zusammenkunft vorstellte, war es schwer, nicht die Fassung zu verlieren. Einen Moment lang war alles ganz still: Die Brüder trauten ihren Ohren kaum. Und dann kamen die Jubelrufe! Alles lachte und weinte zur gleichen Zeit. So etwas vergisst du dein Leben lang nicht mehr! Mir kommen immer noch die Tränen.“

Immer wieder fühlten sich die Brüder „wie Träumende“ (Ps. 126:1-6). Nachdem sie jahrzehntelang eine Menge durchgemacht hatten, konnten jetzt viele am eigenen Leib verspüren, wie sich das schöne Versprechen aus Gottes Wort erfüllte: „Zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten“ (Gal. 6:9).

EIN ECHTER MEILENSTEIN!

Der 31. Oktober 1991 war für unsere Brüder und Schwestern in Estland ein großer und unvergesslicher Tag: Die erste Versammlung Estlands wurde offiziell eingetragen!

Jetzt hieß es anpacken: Vieles musste neu organisiert werden. Da im Land großes Interesse an der guten Botschaft herrschte und sich die Leute trauten, ihr Interesse an der Bibel und der Religion offen zu zeigen, mussten Bibelstudien arrangiert, Zusammenkünfte abgehalten und kleine und große Kongresse organisiert werden. Außerdem brauchten die Übersetzer passende Büros, um die viele neue Arbeit zu schaffen.

Mittlerweile kamen auch Gileadmissionare ins Land und für sie musste ein Zuhause gefunden werden. Sie benötigten Unterstützung, um alle Angelegenheiten rund um Visum und Aufenthaltsgenehmigung regeln zu können. Dann galt es, mit den Behörden die Frage der Neutralität zu klären. Und für den Bau von Königreichssälen mussten Genehmigungen eingeholt werden.

„Diese Jahre“, so erzählt Reino Kesk, der damals Kreisaufseher war, „verflogen wie nichts, denn es gab so viel zu tun, um das Werk in Estland auf ein gutes Fundament zu stellen. Es war auch eine hochemotionale Zeit. Die Leute liebten die Wahrheit und nahmen sie schnell an. In jeder Versammlung wollten sich Unzählige taufen lassen. Auf den Bezirkskongressen hätten sich einige Interessierte, die eigentlich noch nicht viel über Jehovas Zeugen wussten, am liebsten gleich taufen lassen, so sehr gefiel ihnen das, was sie hörten. Wir hatten alle Hände voll zu tun, um ihnen alles nachzureichen, was ihnen noch fehlte.“

Solange Estland unter sowjetischer Herrschaft stand, wurde das Predigtwerk vom deutschen Zweigbüro aus betreut. Einer der geheimen Kanäle von Deutschland nach Estland ging über das finnische Bethel. Doch jetzt, wo die Grenzen passierbar waren und man frei kommunizieren konnte, wurde der finnische Zweig mit der Aufsicht über Estland betraut. Damit sind wir im Jahr 1992.

KAUM ZU STOPPEN

Viele der Neuen, die ungetaufte Verkündiger werden wollten, legten so ein schnelles Tempo vor, dass die Brüder Mühe hatten, mit ihnen Schritt zu halten. Ein klassisches Beispiel dafür: Tom Edur wollte am Gedächtnismahltag vormittags mit einer kleinen, neuen Gruppe zusammen in den Predigtdienst gehen und staunte nicht schlecht, wie viele zum Treffpunkt erschienen.

„Kennst du die hier alle?“, fragte Tom einen einheimischen Bruder.

„Nun ja, einige sind noch keine Verkündiger“, bekam er zur Antwort.

Also leitete Tom erst einmal den Treffpunkt und sagte dann: „Vielleicht könnte ich mich nachher mal mit jedem von euch, der noch kein Verkündiger ist, kurz persönlich unterhalten.“

Und so standen hinterher 10 Leute vor ihm, die gern mit predigen gehen wollten. Tom erklärte ihnen, was für grundsätzliche Kriterien sie dafür erfüllen müssten. Da stellte sich bei drei jungen Frauen heraus, dass sie noch nicht aus der Kirche ausgetreten waren. „Das müsstet ihr dann noch nachholen, falls ihr wirklich gern Zeugen Jehovas werden möchtet“, klärte Tom sie auf. Gesagt, getan! Kurz entschlossen marschierten sie zu ihrer Kirche, ließen sich aus dem Kirchenregister austragen und gingen anschließend mit den anderen in den Predigtdienst mit.

Beim Treffpunkt war auch ein Mann gewesen, der noch rauchte. Damit konnte er natürlich nicht so von heute auf morgen aufhören, darum ging er fürs Erste wieder heim — jedoch in dem Bewusstsein: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“

Jetzt, wo die Brüder ungehindert predigen konnten, wollten sie auch jede Gelegenheit nutzen, um so vielen wie möglich von der guten Botschaft zu erzählen. Manche vergaßen im Eifer des Gefechts andere wichtige Dinge und brauchten eine kleine Kurskorrektur. Tom Edur fragte zum Beispiel einmal einen jungen Mann, mit dem er die Tauffragen besprach, ob die Ältesten ihn schon einmal auf das eine oder andere angesprochen haben.

„O ja!“, antwortete er. „Sie haben mir gesagt, ich soll meine Zeit ein bisschen ausgeglichener einteilen.“

„Nanu, wieso denn das?“, fragte Tom.

„Na ja, ich bin jeden Monat 150 Stunden predigen gegangen, da ist so manches andere doch auf der Strecke geblieben. Darum haben sie mir vorgeschlagen, vielleicht nur 100 Stunden zu gehen und mir dafür mehr Zeit für mein persönliches Studium und die Vorbereitung auf die Zusammenkünfte zu nehmen.“

BEZIRKSKONGRESS IN RUSSLAND

Ein weiterer wichtiger Meilenstein war der internationale Kongress in Sankt Petersburg im Juni 1992. Für viele der rund 1 000 estnischen Brüder bedeutete das ein freudiges Wiedersehen mit ehemaligen Mithäftlingen und anderen Zeugen, die sie während der sibirischen Verbannung kennengelernt hatten.

„Der Kongress fand genau zur richtigen Zeit statt“, meint einer der Besucher. „Wir hatten mit unseren russischen Rubel recht günstig einen Sonderzug mieten können. Doch nur eine Woche vor dem Kongress wurde in Estland die Währung von Rubel auf estnische Kronen umgestellt. Wären wir ausgerechnet in dieser Woche weg gewesen, hätten wir kein Geld eintauschen können. Doch wir waren noch da, darum konnten wir unser Geld umtauschen. Allerdings durften wir nur eine begrenzte Summe wechseln. Was sollten wir nun mit den restlichen Rubel anfangen, die wir nicht umtauschen konnten? Wir nahmen sie kurzerhand zum Kongress nach Russland mit, wo der Rubel ja noch ‚rollte‘, und steckten sie dort in den Spendenkasten. Und noch etwas: Wäre der Kongress eine Woche später gewesen, hätten wir wegen neuer Grenzbestimmungen für unsere Visa jede Menge Geld hinlegen müssen. Der Kongress hätte wirklich nicht besser fallen können.“

Stellvertretend für die vielen, denen dieser historische Kongress sehr zu Herzen ging, sei an dieser Stelle die Geschichte einer estnischen Interessierten erwähnt, die mit nach Sankt Petersburg reisen wollte. „Ich muss irgendetwas falsch verstanden haben“, erzählt sie, „denn als ich am Bahnhof ankam, war der Zug schon fort. Aber ich hatte doch für die Fahrt bezahlt! Was nun? Ich betete zu Jehova und bat ihn, mir doch zu helfen, irgendwie auf den Kongress zu kommen. Ich würde alles dafür tun, was nur ging.

Der Bahnhofsvorsteher meinte, ich müsste mir halt eine neue Fahrkarte kaufen. Nur, ich hatte fast kein Geld mehr. Auf einmal tauchte eine fröhlich plaudernde Gruppe auf, alle nett angezogen. Es waren Zeugen! Und zwar von der Insel Saaremaa. Ihr Zug war noch nicht da, und mit meiner Fahrkarte konnte ich bei ihnen mitfahren. War ich froh!

Unterwegs sangen die Zeugen Königreichslieder. Das ging mir durch und durch. Mir war, als ob ich zu ihnen dazugehörte, und ich fühlte mich wie im Schoß einer großen Familie. Ich blieb den ganzen Kongress über bei ihnen und konnte sehen, wie ehrlich sie es meinten und wie viel Liebe sie hatten. Da schwand mein letzter Rest an Zweifeln dahin. Das musste einfach Gottes Organisation sein, das war mir nun klar.“ Heute ist sie zusammen mit ihrem Mann Pionier.

WILLKOMMENE HILFE AUS DEM AUSLAND

Mit dem Predigen und der Organisation ging es in Estland rasant aufwärts. Man brauchte daher mehr Brüder mit Erfahrung. Gab es denn genug? Sehr viele reagierten positiv und sagten wie einst Jesaja: „Hier bin ich! Sende mich“ (Jes. 6:8).

Im Jahr 1992 trafen die ersten vier Missionare mit Gileadausbildung ein, nämlich Vesa und Leena-Maria Edvik sowie Esa und Jaael Nissinen. Nach Estland geschickt wurden außerdem Reino und Lesli Kesk, die 17 Jahre im Reisedienst in Kanada gewesen waren. Im Frühjahr 1993 kamen neben vier Missionaren auch 20 Pioniere aus Finnland zur Verstärkung, die im estnisch- und russischsprachigen Gebiet als Sonderpioniere eingesetzt wurden.

Von einer Gileadklasse nach der anderen trafen Missionare in Estland ein und sie machten sich mit viel Freude und Enthusiasmus an die Arbeit. Auch einige Missionare ohne Gileadausbildung wurden geschickt. Voller Elan bauten die Missionare und Sonderpioniere auf dem soliden Fundament weiter, das von unseren treuen estnischen Brüdern und Schwestern über Jahrzehnte hinweg gelegt worden war.

Zudem zogen rund 200 Brüder und Schwestern aus dem Ausland zu, weil in Estland mehr Bedarf war als bei ihnen zu Hause. Diese gefestigten Christen trugen viel zu stabilen Versammlungen bei. Eine ganze Reihe neuer Versammlungen konnte gegründet werden, und in manchen waren die zugezogenen Brüder die einzigen Ältesten — zumindest so lange, bis einheimische Brüder so weit waren.

Lembit Välja, einen gebürtigen Esten, hatte es zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg nach Australien verschlagen, wo er dann ein Zeuge wurde. Als er kurz davorstand, sich zur Ruhe zu setzen, entschied er sich 1990 dafür, nach Estland zurückzugehen, um mitzuhelfen, all den Interessierten ihre vielen Fragen zu beantworten. Er weiß noch gut, dass er einmal 18 Studiengruppen betreut hat, die über halb Estland verstreut lagen. Meist fuhr er mit dem Bus zu ihnen hin und verbrachte so manche Nacht im Schlafsack an der Bushaltestelle. Von den etwa 80 Teilnehmern an den Bibelstudien ließen sich über 50 taufen. Und mit 84 Jahren leitete er immer noch vier Studien! Sein enormer Einsatz und seine große Opferbereitschaft haben sich wirklich mehr als ausgezahlt. Jetzt findet man in den meisten der Ortschaften, die Bruder Välja besucht hat, blühende Versammlungen und auch Königreichssäle.

Natürlich hat Estland auch diesen einsatzfreudigen Brüdern viel gebracht: Etliche haben geschildert, wie sehr es sie bereichert hat, die Einheimischen und ihre Lebensart kennenzulernen. Reino Kesk findet: „Es hilft einem, über den Tellerrand hinauszublicken, und man sieht die Dinge ein bisschen mehr wie Jehova, der ja von oben auf das große Ganze herunterschaut.“

DIE ERSTEN KREISAUFSEHER KOMMEN

Bei diesem stürmischen Aufschwung tat den Versammlungen der Besuch von reisenden Aufsehern richtig gut. Die Kreisaufseher brachten sich mit Leib und Seele ein. Oft hatten sie einen 15-Stunden-Tag: in den Dienst gehen, Zusammenkünfte leiten und die tausend Fragen der Brüder beantworten.

Der erste Kreis bestand aus Estland, Lettland, Litauen und Kaliningrad mit 46 Versammlungen und 12 Gruppen — in 4 Sprachen! Außerdem hatte der Kreisaufseher noch jede Menge andere zeitaufwendige Aufgaben zu erledigen, wie zum Beispiel Registrierungen in Lettland und Litauen. Inzwischen gibt es allein in Estland vier Kreise.

Lauri Nordling, ein einheimischer Bruder, der schon 1995 als Kreisaufseher unterwegs war, erzählt: „Die Brüder haben die Dienstwoche immer unglaublich geschätzt. Bei den Treffpunkten war der Raum meist brechend voll. Einmal quetschten wir uns mit 70 Brüdern und Schwestern in eine winzige Einzimmerwohnung. Hätte man jetzt einen Apfel hochgeworfen, hätte er keine Chance gehabt, auf dem Boden zu landen.“

EINE NEUE SPRACHE LERNEN: KEIN KINDERSPIEL

Eine neue Sprache zu lernen ist für die meisten nicht gerade ein Kinderspiel, und Estnisch schon gar nicht. Ein Beispiel: Markku Kettula war als Missionar neu im Land und unterhielt sich einmal mit einem Mann über Jesus Christus. Statt ihm zu sagen, Jesus sei der rahuvürst — der Friedensfürst —, wollte er ihm mehrfach einreden, Jesus sei der rahuvorst — die Friedenswurst. Erst als Markku Jesaja 9:6 aufschlug, ging dem leicht verwirrten Mann auf, dass Jesus, der wahre Friedensstifter, doch nichts Essbares war.

Eine Pionierin, die nach Estland gezogen war, hatte gerade angefangen, Russisch zu lernen. Eines Tages klingelte sie im Predigtdienst an einer Tür, nicht ahnend, dass dort ein Ältester wohnte. Kaum kam der Bruder an die Tür, legte sie mit dem Wörterbuch in der Hand los. Der Bruder versuchte ihr zu erklären, dass er ein Ältester in der Versammlung war. Rasch schaute sie im Wörterbuch nach, was „Ältester“ bedeutete, und stieß dabei auf das Wort „alt“.

„Och, so alt sind Sie ja nun auch wieder nicht“, meinte sie. „Und außerdem können Sie im Paradies wieder jung werden.“ Erst nachdem ihr der Bruder in seiner Wohnung unsere Literatur gezeigt hatte, klingelte es bei ihr, dass er tatsächlich gar nicht so alt war, sondern halt ein Ältester.

EIN ATHEISTISCHER RICHTER HÖRT DIE WAHRHEIT

Viktor Sjen war in der Sowjetzeit zwei Jahre inhaftiert, weil er den Militärdienst verweigerte. Nach einem Jahr stellte er den Antrag, als freier Siedler nach Sibirien zu gehen — so hätte er mehr Bewegungsfreiheit. Bei seinem Anhörverfahren ließen ihn die Richter deutlich ihren Ärger spüren; einer meinte sogar: „Leute wie Sie sollte man erhängen oder erschießen!“

Einige Jahre später stellte ihn ein Bruder auf einem Bezirkskongress einer Gruppe Interessierter vor und fragte ihn: „Kennst du da jemand?“

„Nicht dass ich wüsste!“, antwortete Viktor.

„Wirklich nicht?“, meinte der Bruder. Er zeigte auf jemand, dem das offensichtlich sehr unangenehm war, und wollte wissen: „Und den hier?“

Viktor kam noch immer nicht dahinter. Er war völlig verdutzt, als man ihm dann eröffnete, dass dies einer der Richter sei, die damals bei seiner Anhörung dabei gewesen waren. Dieser Mann — er hieß Jurij — studierte jetzt die Bibel und war nun hier auf dem gleichen Kongress wie Viktor. Wieso hatte er seine Meinung über Jehovas Zeugen geändert?

„Ich bin in einer Familie groß geworden, wo alle glühende Atheisten waren“, erklärt Jurij. „In der Schule habe ich oft große Reden gehalten, wie gefährlich die Religion ist. Jahre später habe ich mich dann ein paarmal bei einem Freund zu einem Bibelstudium mit Jehovas Zeugen dazugesetzt. Da wurde mir klar, dass ich mich zwar bestens mit religiösen Lügen auskannte, aber von der Bibel so gut wie keine Ahnung hatte. Jetzt wollte ich es genauer wissen.“

Nach seiner Taufe sagte Jurij zu Viktor: „Als wir das letzte Mal zusammen im Gerichtssaal waren, saßen wir auf zwei verschiedenen Seiten. Das nächste Mal sitze ich mit dir auf der Anklagebank und nicht mehr auf der anderen Seite.“ Beide sind heute Älteste in Tallinn.

EIN GEDÄCHTNISMAHL, DAS IM GEDÄCHTNIS BLEIBT

Ein Bruder, der gerade nach Estland gezogen war, versuchte Pavel und Margarita in gebrochenem Estnisch klarzumachen: „Wenn Sie ewig leben wollen, müssen Sie heute Abend kommen zur Feier von Jesu Tod.“ Das hörte sich interessant an und das Ehepaar beschloss hinzugehen.

Die beiden wurden von den Brüdern aufs Herzlichste begrüßt. Im Lauf der Feier wurde ihnen allerdings etwas mulmig, weil sie sahen, dass ein Mann den Gang auf und ab ging, sich alle anschaute und dann etwas aufschrieb. Sie hatten ja keine Ahnung, dass er einfach nur zählte, wie viele da waren. „Vielleicht hätten wir besser nicht kommen sollen“, dachten sie bei sich. Doch an der Tür standen zwei hochgewachsene Männer. „Vielleicht Wachtposten?“, überlegten sie und trauten sich nicht aufzustehen und zu gehen.

Dann wurde aber gegen Ende der Ansprache erwähnt, dass man ganz unverbindlich einen Bibelkurs haben kann. Das reizte die beiden. Nach der Ansprache gingen die Brüder freundlich auf sie zu und stellten sich vor. Da war alle Skepsis verflogen und Pavel und Margarita erkundigten sich nach dem Bibelstudium. Das Problem war nur, dass sie zwei Wochen später wegziehen wollten. Darum fragten sie, ob es nicht möglich sei, jeden Tag zu studieren. Als sie dann umgezogen waren, riefen sie gleich die Brüder am Ort an und setzten ihr Bibelstudium dort fort.

UNSERE LIEBE FÄLLT INS AUGE

So wie überall auf der Welt kann man auch bei Jehovas Zeugen in Estland spüren, wie sehr sie ihre Brüder und Schwestern lieben (Joh. 13:35). Außenstehende registrieren das und fühlen sich dadurch zur wahren Religion hingezogen (1. Pet. 2:12).

Toivo hatte von einer Schwester, bei der er sich die Haare schneiden ließ, das Buch Die Suche der Menschheit nach Gott bekommen. Er las es ganz durch und wäre danach eigentlich schon gern einmal zu einer Zusammenkunft im Königreichssaal gegangen. Aber irgendwie hatte er Skrupel, denn man hatte ihn vor Jehovas Zeugen gewarnt. Also beobachtete er die Zeugen sicherheitshalber erst einmal vom Auto aus und schaute, wer da so alles in den Königreichssaal hineinging und wie sie hinterher wieder herauskamen.

Er sah, wie lieb sich die Schwestern umarmten; man konnte ihnen ansehen, dass sie einander wirklich viel bedeuteten. Das berührte ihn sehr. Danach hielt ihn nichts mehr von den Zusammenkünften ab. Er kam mit seinem Bibelstudium gut voran und predigte bald begeistert mit. Inzwischen ist er getauft.

„JEHOVA HAT MEIN GEBET ERHÖRT!“

1997 bekam Maria in Tootsi, einem kleinen Dorf, die Königreichs-Nachrichten Nr. 35 in die Hand gedrückt. Sie las sich alles gut durch und schrieb wegen eines Bibelstudiums ans Zweigbüro. Schon kurze Zeit später nahmen Markku und Sirpa Kettula (Missionare in Pärnu) mit Maria die Bibel durch. Es dauerte gar nicht lange und Maria erzählte auch anderen von der Wahrheit. Ihre Schwiegertochter Ingrid und deren Nachbarin Malle machten ebenfalls bald beim Studium mit. Als Maria mit in den Predigtdienst wollte, empfahlen ihr die Ältesten, doch erst einmal regelmäßig zu den Zusammenkünften zu kommen. Allerdings lag die nächste Versammlung 40 Kilometer weit entfernt in Pärnu — und Geld für die Fahrt dahin hatte Maria auch nicht. Also bat sie Jehova, ihr doch irgendwie zu helfen — was ihr die Missionare sehr ans Herz gelegt hatten.

„Jehova hat mein Gebet erhört!“, sprudelte es aus Maria beim nächsten Besuch heraus.

„Wie hat er das denn gemacht?“, wollten Markku und Sirpa von ihr wissen.

„Ganz einfach: Ich hole ein paar Leute zu mir ins Haus und ihr könnt dann die Zusammenkünfte organisieren und hier eine Versammlung gründen“, strahlte sie die beiden an. „So kann ich bei den Zusammenkünften dabei sein und mit dem Dienst anfangen!“

Die Missionare wollten Maria ja auf keinen Fall ausbremsen, erklärten ihr aber doch taktvoll, dass es nicht ganz so einfach ist, eine Versammlung zu gründen. Sie rieten ihr, es zumindest erst einmal sonntags mit den Zusammenkünften in Pärnu zu versuchen.

Und wieder besprach Maria das mit Jehova. Doch nicht nur das: Sie beschloss, ihre Zeitung abzubestellen, um ein bisschen Geld zu sparen. Bald reichte es dafür, dass sie viermal im Monat die Zusammenkunft in Pärnu besuchen konnte, und sie durfte mit predigen gehen. Wie schön! Doch es sollte noch besser kommen.

Da sich in Tootsi immer mehr tat, sorgten die Ältesten dafür, dass dort für Maria, Ingrid, Malle und weitere Interessierte ein Buchstudium abgehalten wurde. Nur wenige Monate später ließen sich Maria und Malle taufen — Ingrid dann im Sommer darauf. Malles Mann zog ebenfalls nach und Malles Schwester war dann im darauffolgenden Winter so weit. Die kleine, emsige Gruppe in Tootsi war froh und dankbar, dass die Königreichs-Nachrichten Nr. 35 es bis in ihr Dorf geschafft hatten und sie miterleben durften, wie Jehova auf ihre vielen Gebete einging.

In den letzten zwanzig Jahren gab es in Estland wirklich jede Menge zu tun und es ist so viel Schönes dabei herausgekommen: Viele Menschen, die ein gutes Herz haben, sind zur Organisation Jehovas dazugestoßen. Doch sie alle wollten ja Jehova irgendwo gemeinsam anbeten und von ihm lernen. Nur wo?

ESTLAND BRAUCHT DRINGEND KÖNIGREICHSSÄLE!

Der allererste selbst gebaute Saal in Räpina im südlichen Estland leistete den Brüdern jahrelang treue Dienste, doch lag auf der Hand, dass man wegen der rasanten Zunahme mit dem Bauen nicht hinterherkommen würde und Hilfe benötigte. Das regionale Planungsbüro im finnischen Zweig sprang in die Bresche und übernahm die Planungen für Königreichssäle und Bürogebäude in den baltischen Staaten. Die Begeisterung war groß, als 1993 in Maardu der erste Königreichssaal hochgezogen wurde; danach schossen die Säle wie Pilze aus dem Boden.

Im Moment stehen für die 53 Versammlungen 33 Königreichssäle bereit. Über die beiden Kongresssäle, die 1998 fertig wurden, freuen sich die Brüder besonders: Einer steht in Tallinn, der andere in Tartu.

Alexandra Olesjuk, eine Schwester, die schon lange in der Wahrheit ist, weiß noch genau: „Wir haben immer davon geträumt, in Tartu einen Königreichssaal zu bauen. Darum war ich mit meinen 79 Jahren auch die Erste, die losmarschiert ist, als der Aufruf kam, das Grundstück in Ordnung zu bringen. Ich habe sauber gemacht und Sachen weggetragen. Jedes Mal wenn ich mit dem Bus am Saalbau vorbeigefahren bin, habe ich vor Freude geweint. Und als der Saal fertig war, da habe ich dann wieder geweint.“

MEHR PLATZ FÜR DIE ÜBERSETZUNG

Da die Verkündigerzahl weiter steil anstieg, wurden in Estland größere Bürogebäude benötigt — besonders das Übersetzungsteam brauchte mehr Platz. In Tallinn stand in der Herzenstraße 77 (heute: Puhangstraße) ein noch nicht fertiger Wohnblock, der durchaus in Frage kam, allerdings musste ziemlich viel umgebaut werden.

Der finnische Zweig sorgte für die nötigen Baupläne, Baustoffe, finanziellen Mittel und eine Helferschar. Sonst wäre das alles auch kaum zu schaffen gewesen. Zum Beispiel waren Baumaterialien in Estland entweder minderwertig oder standen schlicht nicht zur Verfügung. Hinzu kam noch, dass es zunächst nur wenige einheimische Brüder gab, die vom Baufach waren. Doch nach und nach wurden die Brüder ausgebildet und sie konnten Erfahrung sammeln. Bis Februar 1994 war man mit dem ersten Teil des Bürokomplexes fertig. Im gleichen Jahr wurde ein Landeskomitee (Toomas Edur, Reino Kesk und Lembit Reile) eingesetzt, das sich unter der Aufsicht des finnischen Zweigs um die drei baltischen Länder kümmerte. Schnell wurde es im Bethel wieder zu eng und deshalb hat man 1997 und 1999 noch einmal erweitert.

Die Wasserversorgungsfirma nebenan war von den Gartenanlagen rund ums Bethel sehr angetan. Also halfen ihr die Brüder, ebenfalls so einen Garten mitsamt Zäunen und Beleuchtung anzulegen. Im Gegenzug bekamen sie das Wasser günstiger. Zum Schluss sah die Firma fast genauso aus wie das Bethel. Später konnte der Zweig das Firmengebäude sogar für einen extrem guten Preis kaufen. Den zusätzlichen Platz konnte man auch gut gebrauchen! Nun hat das Bethel ein Studio, wo Dramen und DVDs aufgenommen werden, zum Beispiel in Gebärdensprache. Und in einem Teil des Gebäudes, der etwas umgebaut wurde, ist jetzt die Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung zu Hause.

INTERNATIONALE KONGRESSE IN TALLINN

1996 sollte in Estland der internationale Kongress „Boten des göttlichen Friedens“ stattfinden. Die Brüder wussten gar nicht, wohin mit ihrer Freude. In Tallinn wurden im August zwei solche Kongresse abgehalten: in Estnisch und Russisch sowie für die Brüder aus Lettland und Litauen. Außerdem kamen Besucher aus 15 weiteren Ländern. Das Programm dauerte jeweils drei Tage und unter den Vortragsrednern waren auch fünf Brüder von der leitenden Körperschaft: Carey Barber, Milton Henschel, Theodore Jaracz, Albert Schroeder und Daniel Sydlik. Ihre Vorträge gaben den Brüdern Auftrieb. Es wurden 11 311 Besucher gezählt und 501 ließen sich taufen.

Die Kongresse warfen ein gutes Licht auf Jehova und seine Organisation und gingen durch alle Medien. Es gab ein zehnminütiges Interview in einer Talkshow. Und ein Rundfunkleiter bezeichnete die Zeugen in einer Sendung voller Anerkennung als „gute Leute“.

Es war nicht zu übersehen, wie viel Liebe die Brüder hatten und wie viel sie einander bedeuteten — vor allem als es am Schluss Abschied nehmen hieß. An dem Meer von winkenden Händen und wedelnden Taschentüchern konnte man sehen, wie bewegt alle waren. Der nicht enden wollende Applaus nach dem Schlussgebet war ein tief empfundenes Dankeschön an Jehova, unseren überaus großzügigen und liebevollen Vater im Himmel. Diese Kongresse haben in Estland theokratische Geschichte geschrieben.

WIEDER EIN EIGENER ZWEIG!

Zwischen 1926 und 1940 wurde das Werk von einem Büro in Tallinn aus organisiert. Ab 1994 wurde die Arbeit dann von einem Landesbüro fortgesetzt — unter Aufsicht des finnischen Zweigs. Dadurch konnte viel bewegt werden und so mancher fragte sich, ob Estland vielleicht wieder ein eigener Zweig werden würde. Die Antwort kam am 1. März 1999, als die leitende Körperschaft ein estnisches Zweigkomitee ernannte, zu dem Toomas Edur, Reino Kesk (jetzt in der Demokratischen Republik Kongo), Lembit Reile und Tommi Kauko gehörten. Momentan sind im Bethel ungefähr 50 Mitarbeiter am Werk, damit die 4 300 treuen, unermüdlichen Diener Jehovas in Estland gut versorgt sind.

VERTRAUENSVOLLER BLICK NACH VORN

Wie wird es mit Jehovas Volk in Estland weitergehen? Jehova hat seine treuen Diener nie im Stich gelassen und ihnen immer für alles die nötige Kraft gegeben. Ein Beweis dafür sind unsere estnischen Brüder und Schwestern, die in der NS- und Sowjetzeit treu zu Jehova gestanden haben: Sie spürten immer auf ganz besondere, unvergessliche Weise, wie Jehova sie stark gemacht hat. Ganz wie für ihre Brüder und Schwestern in der weiten Welt ist es auch für sie eine echte Freude, dass Jehovas Name bis in die hintersten Winkel der ehemaligen Sowjetrepubliken bekannt gemacht und überall hochgehalten wird (Mal. 1:11).

Noch immer gibt es in Estland viele demütige Menschen, die den wahren Gott mit ehrlichem Herzen suchen. Dank der momentanen Religionsfreiheit können wir dort wie nie zuvor andere mit der guten Botschaft von Jehovas Königreich vertraut machen.

[Fußnoten]

a Seinen Lebensbericht kann man im Wachtturm vom 15. August 1963, Seite 501—504 nachlesen.

b Die unterschiedlichen Strafen und Verhältnisse in solchen Gefängnissen und Lagern werden im Jahrbuch der Zeugen Jehovas 2002, Seite 157 erläutert.

c Im Erwachet! vom 22. Februar 1986 wird erzählt, warum und wie Bruder Edur seine Hockeykarriere aufgab.

[Herausgestellter Text auf Seite 172]

„Mir hat’s an nichts gefehlt“

[Herausgestellter Text auf Seite 204]

„Die Einzelhaft war eigentlich eine gute Sache“

[Kasten auf Seite 168]

Kurzinformation zu Estland

Landesnatur:

Charakteristisch für dieses unberührte, dünn besiedelte Land sind seine dichten hohen Wälder, die über 1 400 Seen, die 7 000 Flüsse und Bäche und die menschenleeren Sumpfgebiete. Ein Zehntel Estlands besteht aus über 1 500 Inseln. Das Land ist zumeist flach und liegt gerade einmal 50 Meter über dem Meeresspiegel. Der Südosten ist von einer malerischen Hügellandschaft geprägt.

Bevölkerung:

68 Prozent der Einwohner sind Esten und 26 Prozent Russen. Ansonsten leben dort noch Ukrainer, Weißrussen, Finnen und Angehörige anderer Nationalitäten. Etliche gehören der evangelisch-lutherischen Kirche sowie orthodoxen und anderen sogenannt christlichen Kirchen an. Manche bekennen sich auch zum Islam, zum Judentum oder irgendwelchen anderen Religionen. Ein großer Teil ist konfessionslos.

Landessprache:

Die Amtssprache ist Estnisch, das mit dem Finnischen und Ungarischen nah verwandt ist. Über ein Viertel der Bevölkerung spricht Russisch.

Typische Kost:

Beliebt sind Schwarzbrot (bei ihnen leib genannt), Kartoffeln, eingelegter Kürbis, Rote-Bete-Salat und Sauerkraut. Typisch für die estnische Küche sind auch sült (Kalbfleisch in Aspik), rosolje (eingelegter Hering mit roter Bete), Waldpilzsuppe, Schweinefleisch, Fisch und Rauchfleisch. Zum Dessert isst man gern kringel (süßes Gebäck mit Rosinen und Nüssen in Brezelform) und Pfannkuchen.

Klima:

Die Sommer sind mäßig warm und die Winter nicht allzu kalt. Am längsten Tag im Sommer ist es über 19 Stunden hell. Der kürzeste Wintertag bringt dagegen nur 6 Stunden Tageslicht. An der Küste im Südwesten herrschen im Sommer durchaus milde Mittelmeertemperaturen, im Winter kann das Thermometer allerdings auf minus 20 Grad sinken.

[Kasten/Bilder auf Seite 183, 184]

„Wir waren wie eine Familie“

ADOLF KOSE

GEBURTSJAHR: 1920

TAUFE: 1944

TODESJAHR: 2004

KURZPORTRÄT: War von 1951 bis 1956 in einem Gefangenenlager in Sibirien. Half mit, das Predigtwerk in den baltischen Ländern und im Nordwesten der Sowjetunion zu organisieren.

◼ „ICH wurde 1950 festgenommen“, erzählte Adolf, „und nach Inta (Sibirien) in ein Zwangsarbeitslager gebracht. Eineinhalb Jahre lang wusste ich nicht, wie es meiner Frau und meinen beiden kleinen Töchtern ging. Sie waren in einen anderen Teil Sibiriens verbannt worden.

Uns Brüder verband ein ganz besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir waren wie eine Familie und teilten alles miteinander, ob Essen oder Literatur.

Als wir dann nach Estland zurückkehrten, standen wir vor vielen Herausforderungen: Wie konnten wir mit der Organisation — unserer ‚Mutter‘ — Kontakt aufnehmen? Wie die Einheit unter den Brüdern sicherstellen? Wie weiterpredigen?

Damit ich mich mit den Kurieren besser verständigen konnte, wollte ich Finnisch lernen. Doch das war leichter gesagt als getan, denn es gab keine Grammatik- oder Wörterbücher zu kaufen.

Der Besitz einer nicht registrierten Schreibmaschine und erst recht einer Druckmaschine galt als Verbrechen. Wer verbotene Literatur herstellte, konnte mit sieben Jahren Gefängnis rechnen. Und dann kam noch dazu, dass es zum Drucken kaum die nötigen Materialien gab. Nach vielen vergeblichen Versuchen mit dem, was so aufzutreiben war, gelang es mir endlich, eine eigene Druckmethode zu entwickeln. Als Erstes baute ich eine Druckmaschine (unten). Dann tippte ich den Text auf selbst hergestelltes Wachstuch. Das hinterließ auf der Wachsoberfläche kleine Löcher. Bei den ersten Druckversuchen verwendeten wir eine aus Ruß und Teer selbst zusammengemischte Tinte. Sie tropfte durch die Löcher im Wachstuch auf das darunter liegende Papier und so entstand ein Abdruck. Das war eine komplizierte, zeitaufwendige Arbeit und nicht gerade gut für unsere Gesundheit, denn die Dämpfe von der Tinte und anderen Chemikalien waren sehr schädlich. Wir konnten die Räume ja nicht richtig lüften, denn wir hatten die Fenster komplett zugehängt und verrammelt, damit keiner etwas mitbekommt.“

Trotz aller Hindernisse und Probleme hielt sich Adolf unerschrocken an alles, was von der Organisation kam. Er war immer felsenfest davon überzeugt, dass Jehova im richtigen Moment auch für die richtigen Lösungen sorgen würde. Diese schöne Einstellung und sein festes Vertrauen erhielt er sich bis zu seinem Tod im Jahr 2004.

[Kasten/Bild auf Seite 186]

Ein Brief an Stalin

Im Juni 1949 fassten sich die verantwortlichen Brüder in Estland ein Herz und schickten Briefe nach Moskau. Einer war an Josef Stalin adressiert, ein anderer an Nikolai Schwernik, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjets.

In den Briefen forderten die Brüder dazu auf, inhaftierte Zeugen Jehovas umgehend freizulassen und die Verfolgung einzustellen. Warnend wurde auf den Pharao von Ägypten verwiesen, der den Israeliten nicht erlauben wollte, Jehova in Freiheit anzubeten (2. Mo. 5:1-4). Ganz offen und mutig erklärten die Brüder: „Der Organisation von Jehova Gott ... sollte gestattet werden, allen Einwohnern der Sowjetunion ungehindert die gute Botschaft von Jehovas Königreich zu predigen; ansonsten wird Jehova die Sowjetunion und die kommunistische Partei vollständig vernichten.“

„Uns war bewusst, dass das eine ziemlich deutliche Sprache war“, erinnert sich Adolf Kose. „Wir wollten es nicht riskieren, die Briefe von Tallinn aus abzuschicken, da man dann gleich gewusst hätte, woher sie kamen. Also reisten wir nach Leningrad und warfen sie dort ein.“

Man weiß nicht, ob Stalin selbst den Brief gelesen hat oder nicht. Doch er hat bestimmt Aufsehen erregt. Bei Verhören wurde den Brüdern oft eine Kopie dieses Briefes vorgehalten, auf der stand: „Diese Organisation muss eliminiert werden!“ Bald wurden immer mehr Brüder festgenommen und die Verfolgung spitzte sich zu. Der Brief an Schwernik — versehen mit offiziellem Stempel — wurde später im Nationalarchiv gefunden.

[Kasten/Bild auf Seite 189]

Der KGB und unsere Organisation

Ende der 40er-Jahre versuchte die Geheimpolizei von allen Seiten zu ergründen, wie Jehovas Zeugen organisiert sind. Um dem KGB die gewünschten Informationen in die Hände spielen zu können, taten einige so, als ob sie sich für die Wahrheit interessierten. Wie aus dem Schaubild (entdeckt in Regierungsarchiven in Tallinn) zu ersehen ist, war der KGB bestens informiert. Darauf stehen die Namen der Brüder, die zum „Dienstkomitee“ gehörten, die in den größeren Städten Estlands das Werk leiteten und die mit dem Drucken der Literatur zu tun hatten.

[Kasten/Bild auf Seite 191]

Sie ließ sich nie mundtot machen

ELLA TOOM

GEBURTSJAHR: 1926

TAUFE: 1946

KURZPORTRÄT: Wurde zu insgesamt dreizehn Jahren Haft verurteilt, kam dann aber nach fünfeinhalb Jahren frei.

◼ „ICH kam drei Tage in Einzelhaft. Man hoffte wohl, dass ich dann meinen Glauben aufgeben und keinem mehr etwas von Gottes Regierung erzählen würde und vor allem selbst nicht mehr dran glauben würde“, erzählt Ella. „Die Beamten schrien mich an: ‚Wir werden schon dafür sorgen, dass sich in Estland bald keiner mehr an den Namen Jehova erinnert! Ihr kommt ins Lager und die anderen nach Sibirien.‘ Dann sagten sie noch höhnisch: ‚Und? Wo ist jetzt euer Jehova?‘ Doch mir fiel es nicht im Traum ein, Jehova zu verraten: besser im Lager mit Gott als zu Hause ohne Gott. Selbst das Gefangenenlager sah ich nie als Gefängnis an, sondern immer als mein neues Gebiet und als Gelegenheit von Jehova, zu predigen.

In einem Lager ging ich jeden Tag mit einer Interessierten spazieren — bis auf einen Tag, wo wir es ausfallen ließen. Später habe ich erfahren, dass genau an dem Tag einige religiöse Fanatiker vorhatten, mich im Fluss zu ertränken, weil ich immer predigte.“ Ella ließ sich von anderen nie mundtot machen und dient Jehova bis heute in Treue als allgemeine Pionierin. d

[Fußnote]

d Ihren Lebensbericht kann man im Erwachet! vom April 2006, Seite 20—24 nachlesen.

[Kasten/Bilder auf Seite 193, 194]

„Jehova, dein Wille geschehe“

LEMBIT TOOM

GEBURTSJAHR: 1924

TAUFE: 1944

KURZPORTRÄT: Lebte in Estland während der deutschen Besetzung und war 1951—1956 in einem Arbeitslager in Sibirien.

◼ LEMBIT war einer der vielen jungen Zeugen Jehovas, die den Stellungsbefehl zur deutschen Wehrmacht verweigerten und sich deshalb verstecken mussten. Er fand auf einem Bauernhof Unterschlupf, doch jemand gab der Polizei einen Tipp und so kam sie einmal mitten in der Nacht zur Hausdurchsuchung. Lembit versteckte rasch sein Bett und glitt halb angezogen in einen Hohlraum unter dem Fußboden. Kurz darauf hörte er über seinem Kopf das Klackern von Stiefeln.

Einer der Polizisten hielt dem Bauern die Pistole an den Kopf und schrie: „Hier versteckt sich jemand. Wie kommen wir unter den Fußboden?“ Der Bauer sagte keinen Ton.

„Wenn der da unten nicht rauskommt, werfen wir eine Granate rein“, brüllte der Polizist.

Lembit sah, wie sie mit den Taschenlampen den Boden absuchten. Er konnte nur noch beten: „Jehova, dein Wille geschehe.“

„Ich stand Todesängste aus und war kurz davor, mich zu ergeben“, erinnert er sich. „Schließlich robbte ich zu einer anderen Stelle unter dem Fußboden.“

Dort blieb er regungslos liegen. Ein paar qualvolle Minuten vergingen. Dann zogen die Polizisten ab. Lembit blieb noch eine Stunde in seinem Versteck, um sicherzugehen, dass die Luft rein war. Noch vor Tagesanbruch stahl er sich fort und suchte sich woanders einen Unterschlupf.

Als dann die Sowjets die Macht übernahmen, kamen neue Prüfungen auf ihn zu: „Ich kam für zehn Jahre in ein Lager in Norilsk (Sibirien), 8 000 Kilometer weg von Estland. Dort mussten wir Nickel im Tagebau abbauen, das war Schwerstarbeit. Die Lebensbedingungen waren katastrophal und die Arbeit zehrte uns völlig aus. Die Winter dort oben im Norden der Sowjetunion, hoch über dem Polarkreis, sind rau und hart. Es kann minus 30 Grad kalt werden oder noch kälter. Zwei Monate lang ist die Sonne überhaupt nicht zu sehen.“

Nach fünf Jahren Zwangsarbeit kam Lembit frei. 1957 heiratete er Ella Kikas. Viele Jahre hindurch half er mit beim Übersetzen und Drucken der Literatur. Jeder kennt ihn als einen mitfühlenden, herzlichen Ältesten, dem immer eine nette Bibelstelle einfällt, mit der er seinen Brüdern und Schwestern Mut machen kann. e

[Fußnote]

e Sein Lebensbericht erschien im Erwachet! vom 22. Februar 1999, Seite 10—16.

[Bild]

Lembit und Ella Toom

[Kasten/Bild auf Seite 199]

„Das ist deine Mama“

KARIN REILE

GEBURTSJAHR: 1950

TAUFE: 1965

KURZPORTRÄT: Im Gefängnis geboren, ihrer Mutter weggenommen und von der Großmutter aufgezogen.

◼ „ALS ich zur Welt kam, saß meine Mutter gerade wegen politischer Aktivitäten im Gefängnis“, erzählt Karin. „Ich war ein kränkliches Baby und da es in der Zelle so kalt war, bekam ich eine doppelseitige Lungenentzündung. Doch ich überlebte, dank einer anderen Gefangenen. Sie hieß Laine Prööm.

Damals wurden viele Kinder von Häftlingen überall in der Sowjetunion in Waisenhäuser gesteckt, damit sie ihre Eltern vergessen. Ich hatte das große Glück, zu meiner Großmutter zu kommen. Meine Mutter wurde in ein Gefangenenlager nach Mordowien überstellt. Dort lernte sie die couragierte Ella Toom kennen, kam zur Wahrheit und ließ sich taufen.

Mittlerweile war ich schon fünf Jahre bei meiner Großmutter, als eines Tages eine fremde Frau in unserer Tür stand. ‚Das ist deine Mama‘, meinte Oma. In dem Moment geriet meine kleine Welt aus den Fugen und ich brauchte einige Jahre, um das zu verdauen.“ Doch das Schöne ist, dass sowohl Karin als auch ihre Großmutter die Wahrheit annahmen. Laine Prööm kam übrigens auch zur Wahrheit.

Später lernte Karin Englisch und half beim Übersetzen mit. Sie heiratete Lembit Reile und die beiden sind heute im Bethel in Estland.

[Kasten/Bilder auf Seite 201]

Der Gottesname in der estnischen Bibel

Bereits 1686 wurden die Griechischen Schriften ins Südestnische übersetzt, 1715 ins Nordestnische. 1739 kam dann die ganze Bibel heraus, unter dem Namen Piibli Ramat. Sie war dem einfachen Volk leicht zugänglich. Das Besondere an ihr war, dass sie den Gottesnamen Jehova an allen Stellen verwendete, wo er in den Hebräischen Schriften erschien — eine Praxis, die in den darauffolgenden Jahrhunderten beibehalten wurde. In einer estnischen Bibelübersetzung aus dem Jahr 1988 wird der Gottesname 6 867 Mal verwendet. Viele Esten wissen daher sehr gut, dass der Name Gottes Jehova ist.

Ein Meilenstein wurde am 3. Juli 2009 gelegt. Hier stellte Guy Pierce, ein Bruder der leitenden Körperschaft, auf einem Bezirkskongress der Zeugen Jehovas in Tartu die estnische Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften vor.

[Kasten/Bilder auf Seite 202]

Handgemachte Bücher

HELMI LEEK

GEBURTSJAHR: 1908

TAUFE: 1945

TODESJAHR: 1998

KURZPORTRÄT: Wurde inhaftiert und kam nach Sibirien.

◼ HELMI wurde verhaftet, weil sie Zeugin Jehovas war, und nach Sibirien geschickt. Dort machte sie sich für ihr Notizbuch ein kleines Täschchen, auf das sie den tröstenden Text von Römer 8:35 stickte: „Wer wird uns von der Liebe des Christus trennen? Etwa Drangsal oder Bedrängnis oder Verfolgung oder Hunger oder Nacktheit oder Gefahr oder das Schwert?“

Außerdem fand sie etwas braunes Papier und fertigte daraus in liebevoller Handarbeit ein Buch. Darin hielt sie so manchen biblischen Gedanken fest, der ihr guttat. Viele Brüder schrieben damals ganze Bücher von Hand ab, da es nur wenig Gedrucktes gab.

Als sie wieder zu Hause war, sagte Helmi zu den Beamten: „Danke, dass Sie mich nach Sibirien geschickt haben. So konnte ich dort die herrlichen Berge sehen. Dafür hätte ich sonst nie das Geld gehabt.“

[Kasten/Bilder auf Seite 209, 210]

Eine treue Seele

FANNY HIETALA

GEBURTSJAHR: 1900

TAUFE: 1925

TODESJAHR: 1995

KURZPORTRÄT: Zog 1930 nach Estland, war dort Pionier und adoptierte ein Kind von Zeugen.

◼ FANNY ließ sich 1925 in Finnland taufen und fing zwei Jahre danach mit dem Vollzeitdienst an. In Helsinki traf sie auf einem Kongress William Dey, der damals die Aufsicht über das nordeuropäische Büro hatte. Sie konnten sich zwar nur mit Händen und Füßen verständigen, aber Bruder Dey schien ständig etwas von „Estland“ zu erzählen. Fanny schloss daraus, dass er ihr damit sagen wollte, sie solle doch in ein Gebiet ziehen, wo mehr Hilfe benötigt wird. Also zog sie 1930 zusammen mit ein paar anderen Pionieren nach Estland. Jahrelang sah man sie mit ihrem Fahrrad losziehen, um in vielen Landkreisen — darunter auch auf der Insel Saaremaa — die gute Botschaft zu predigen.

Fanny hat nie geheiratet, aber sie adoptierte ein kleines Mädchen namens Ester. Sie war mit acht Jahren bereits Vollwaise und hatte die Wahrheit durch ihren Vater kennengelernt. Fanny nahm sie liebevoll unter ihre Fittiche und Ester wurde eine Zeugin Jehovas.

Als die Kommunisten an die Macht kamen und Verfolgung einsetzte, hätte Fanny nach Finnland zurückgehen können. Doch diese liebe, treue Seele blieb bei der kleinen Truppe Verkündiger. Das brachte ihr natürlich etliche Schwierigkeiten ein und bedeutete auch, dass sie auf vieles verzichten musste. Allerdings wurde sie nicht nach Sibirien abgeschoben, da sie finnische Staatsbürgerin war.

Und so war sie in den 50er-Jahren zwischen Finnland und Estland als Kurier unterwegs, mit Mikrofilmen und allen möglichen Briefen und Unterlagen im Gepäck. Sie war für ihren Mut, ihre Vorsicht und ihre Verschwiegenheit bekannt, und obwohl sie in manch brenzlige Situation kam, wurde sie nie erwischt. Einmal fuhr sie nach Leningrad, um dort in einem bestimmten Park von einem finnischen Kurier ein Päckchen Mikrofilme abzuholen. Sie sollte das Päckchen dann so schnell wie möglich an zwei estnische Brüder weitergeben. Die estnischen Brüder merkten jedoch, dass sie von der Geheimpolizei beschattet wurden, und versuchten, Fanny nicht über den Weg zu laufen. Doch wie es der Zufall so will, liefen Fanny und der finnische Bruder direkt auf die beiden zu! Hätte Fanny sie jetzt gegrüßt oder Anstalten gemacht, ihnen die Filme zu übergeben, wäre die ganze Sache aufgeflogen. Aber seltsamerweise lief sie geradewegs an ihnen vorbei, als ob sie sie nicht kennen würde! Und tatsächlich: Später stellte sich heraus, dass sie sie einfach nicht gesehen hatte, obwohl sie beide nur zu gut kannte. So fand die Geheimpolizei nie heraus, wer die Kuriere waren, und die Filme wurden einige Zeit später sicher übergeben. Zum Glück wurde keine der Mikrofilmsendungen jemals entdeckt und dank Fannys Hilfe als Kontaktperson kam ständig neue Literatur ins Land.

Diese herzensgute Schwester diente Jehova treu 70 Jahre lang und blieb in Estland wohnen, bis sie im hohen Alter von 95 Jahren starb.

[Bild]

Als Kurier in Leningrad (1966)

[Kasten/Bild auf Seite 213]

Verleumdungskampagnen

Jesus sagte einmal zu seinen Jüngern: „Glücklich seid ihr, wenn man euch schmäht und euch verfolgt und lügnerisch allerlei Böses gegen euch redet um meinetwillen“ (Mat. 5:11). Und so werden Jehovas Zeugen, ganz wie Jesus es sagte, oft böse verleumdet. Man hat sie schon als eine Organisation hingestellt, die politisch aktiv ist, Spionage treibt und umstürzlerisch tätig ist. Vor allem Ende der 50er- und Anfang der 60er-Jahre wurde in Zeitungen immer wieder behauptet, wir würden den Interessen der US-Regierung dienen und von reichen amerikanischen Kapitalisten ausgebeutet werden.

Verleumdet wurde zum Beispiel auch Silver Silliksaar, als er 1964 den Militärdienst verweigerte. Man bezeichnete ihn als Vaterlandsverräter und steckte ihn ins Gefängnis. Außerdem drehte man von seiner Gerichtsverhandlung einen kurzen Film, den man mit massiver kommunistischer Propaganda unterlegte und in jedem Kino Estlands zeigte. Die meisten Brüder, die den Militärdienst verweigerten, kamen zwei bis drei Jahre in Haft. Jüri Schönberg, Taavi Kuusk und Artur Mikit wurden sogar zwei Mal inhaftiert — Bruder Mikit saß insgesamt fünfeinhalb Jahre ein.

[Bild]

Silver Silliksaar, als er wegen seines Glaubens vor Gericht stand

[Kasten auf Seite 226]

Die Theokratische Predigtdienstschule in der Verbotszeit

In der Verbotszeit wussten die Brüder nie, ob ihnen nicht von heute auf morgen die ganze Literatur oder sogar ihre Bibel weggenommen würde. Darum waren sie nicht nur erfinderisch, wenn es ums Verstecken der Literatur ging, sondern versuchten auch, so viele Bibeltexte wie möglich auswendig zu lernen.

Deshalb verwendeten sie meist die Zeit, die sie miteinander verbrachten, um sich über Bibeltexte zu unterhalten und sie sich zu merken. Einige fertigten dafür extra kleine Kärtchen an — als Gedächtnishilfe. Auf der einen Seite stand eine Versangabe (wie zum Beispiel Matthäus 24:14) oder auch eine Frage oder ein biblischer Name. Auf der anderen Seite stand dann der ausgeschriebene Bibeltext oder die Antwort auf die Frage.

Die Brüder nutzten, was immer sie an Literatur zur Verfügung hatten, für die Zusammenkünfte — wie zum Beispiel für die Theokratische Predigtdienstschule. Zu diesem wöchentlichen Schulprogramm gehörten Hausaufgaben, mündliche Prüfungen und sogar schriftliche Tests. Alle drei Monate gab es eine Wiederholung und im Frühjahr dann eine Abschlussprüfung.

„Eine der Hausaufgaben bestand zum Beispiel darin, bis zum nächsten Mal fünf Bibeltexte auswendig zu lernen“, so weiß jemand zu erzählen. „Ich kann mich noch gut an die Abschlussprüfung von 1988 erinnern. Auf einer der Prüfungskarten stand: ‚Sage 100 Bibeltexte auswendig auf.‘ Das hört sich jetzt vielleicht komisch an, aber jeder hoffte, diese Karte zu ziehen. Solche Aufgaben waren für uns beim Predigen Gold wert, da wir ja nur selten die Bibel aufschlagen konnten.“ Seit 1990 läuft die Theokratische Predigtdienstschule in Estland genauso ab wie sonst überall auch — sehr zur Freude unserer estnischen Brüder.

[Kasten/Bilder auf Seite 236, 237]

„Der Predigtdienst war ein Traum“

Was haben einige Missionare über das Predigen in Estland Schönes zu erzählen? Hören wir doch einmal:

Markku und Sirpa Kettula: „In dem Gebiet, wo wir waren, hatte noch so gut wie niemand gepredigt. Es war einfach genial, weil die Leute sich sehr für die Bibel interessierten. Als wir in Pärnu ankamen, gab es in der Stadt etwa 30 Verkündiger. Heute sind dort 3 Versammlungen.“

Vesa und Leena-Maria Edvik: „In den Geschäften gab es kaum etwas zu kaufen. Deshalb brauchten die Leute da auch nicht hinzugehen und hatten Zeit, über die Bibel zu reden. Wenn wir Straßendienst machten, standen die Leute oft Schlange, um etwas zum Lesen zu bekommen.“

Esa und Jaael Nissinen: „Man kann so viel von anderen lernen! Es ist für uns ein echter Schatz, jetzt so viele liebe Brüder zu kennen, die unter den schwersten Bedingungen treu zu Jehova hielten.“

Anne und Ilkka Leinonen: „Tag für Tag, Woche für Woche, in einem Gebiet nach dem anderen stießen wir auf Leute, die noch nie etwas von der Bibel gehört hatten. Von frühmorgens bis spätabends waren wir auf Achse. Es war begeisternd, mitzuerleben, wie viele ständig neu dazukamen. Kaum zu glauben, dass es so etwas Ende des 20. Jahrhunderts noch gab. Wir werden diese Zeit nie vergessen.“

Richard und Rachel Irgens: „Die Menschen waren sehr gastfreundlich und der Predigtdienst war ein Traum. Wir waren in den Dörfern am Peipussee unterwegs und brauchten uns nie etwas zum Essen mitzunehmen, weil wir von den Leuten immer hereingebeten und verköstigt wurden. Wir konnten das, was Jesus in Matthäus 10:9, 10 seinerzeit fürs Predigen empfohlen hatte, nur zu gut nachvollziehen. Durch die Zeit in Estland haben wir gelernt, uns auf das wirklich Wichtige zu konzentrieren und uns nicht mit Nebensächlichkeiten aufzuhalten.“

[Bilder]

Markku und Sirpa Kettula

Vesa und Leena-Maria Edvik

Anne und Ilkka Leinonen

Esa und Jaael Nissinen

Richard und Rachel Irgens

[Übersicht/Bilder auf Seite 244, 245]

WICHTIGE ETAPPEN — Estland

1920

1923: Martin Kose kehrt nach Estland zurück, um zu predigen.

1926: Eröffnung eines Zweigbüros in Tallinn.

Kolporteure aus dem Ausland unterstützen das Predigtwerk.

1928: Im Zweigbüro findet der erste Bezirkskongress statt.

1930

1933: Das Werk wird offiziell eingetragen.

1940

1940: Der letzte Kongress in Freiheit: Auf den nächsten mussten unsere estnischen Brüder 50 Jahre lang warten.

1948: Einige Zeugen kommen in sowjetische Gefängnisse und Gefangenenlager.

1949: Zeugen Jehovas schreiben Protestbriefe an Stalin.

1950

1951: Nahezu 300 Zeugen und viele ihrer Angehörigen werden nach Sibirien verbannt.

1953: Stalin stirbt; die Zeugen werden nach und nach freigelassen.

1960

1970

1972: Die erste russischsprachige Versammlung wird gegründet.

1980

1990

1991: In Tartu wird ein Übersetzungsbüro eingerichtet.

Jehovas Zeugen erhalten Religionsfreiheit.

Der allererste Bezirkskongress in der Sowjetunion findet in Tallinn statt.

1992: Die ersten Gileadmissionare kommen ins Land.

1993: Der erste Königreichssaal wird gebaut.

1994: Die Übersetzung zieht nach Tallinn.

1998: In Tallinn und Tartu werden Kongresssäle gebaut.

1999: Estland bekommt wieder ein Zweigbüro.

2000

2000: 1. Klasse der Schule zur dienstamtlichen Weiterbildung.

2009: Die Neue-Welt-Übersetzung der Christlichen Griechischen Schriften erscheint in Estnisch.

2010

[Übersicht/Bild auf Seite 246]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Verkündiger

Pioniere

4 000

2 000

1990 2000 2010

[Karten auf Seite 169]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

FINNLAND

HELSINKI

Finnischer Meerbusen

RUSSLAND

Sankt Petersburg

LETTLAND

RIGA

ESTLAND

TALLINN

Narva

Maardu

Tapa

Vormsi

Pärnu

Võrtsjärv (Wirzsee)

Tartu

Räpina

Võru

Hiiumaa

Saaremaa

Rigaer Bucht

Peipussee

Pskower See

[Ganzseitiges Bild auf Seite 162]

[Bild auf Seite 165]

Hugo und Martin Kose

[Bild auf Seite 166]

Albert West

[Bild auf Seite 167]

Alexander und Hilda Brydson (30er-Jahre)

[Bild auf Seite 167]

In diesem Wohngebäude befand sich das erste Zweigbüro

[Bild auf Seite 170]

Die ersten Pioniere aus Finnland: Jenny Felt und Irja Mäkelä

[Bild auf Seite 174]

1932 zog das Zweigbüro in die Suur-Tartu-Straße 72 um

[Bild auf Seite 175]

Kaarlo Harteva als Rundfunkredner

[Bilder auf Seite 177]

John North und sein „fahrendes Haus“

[Bild auf Seite 178]

Nikolai Tuiman

[Bild auf Seite 179]

Die Polizei beschlagnahmte jede Menge Literatur

[Bild auf Seite 181]

1940: Der letzte Kongress in Freiheit kurz vor der Sowjetzeit

[Bilder auf Seite 188]

Das „Dienstkomitee“: Albert Kruus, Karl Talberg, Artur Indus und Lembit Toom

[Bild auf Seite 200]

Maimu und Lembit Trell (1957)

[Bild auf Seite 212]

Ene mit ihrer Schwester Corinna

[Bild auf Seite 218]

Heimar und Elvi Tuimans Hochzeitsfeier: ein zwei Tage dauernder Kongress

[Bild auf Seite 227]

Toomas und Elizabeth Edur

[Bilder auf Seite 228, 229]

Unvergessliche Kongresse

Empfang der Besucher zum Bezirkskongress „Reine Sprache“ in Helsinki (1990)

Der Bezirkskongress „Freiheitsliebende Menschen“ in Tallinn (1991)

[Bild auf Seite 238]

Internationaler Kongress in Sankt Petersburg (1992)

[Bild auf Seite 241]

Lauri und Jelena Nordling

[Bild auf Seite 243]

Reino und Lesli Kesk

[Bild auf Seite 247]

Jurij und Viktor

[Bilder auf Seite 251]

Königreichssaal in Maardu und Kongresssaal in Tartu

[Bilder auf Seite 254]

Das Zweigbüro von Estland

Zweigkomitee (von links nach rechts): Tommi Kauko, Toomas Edur und Lembit Reile