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„Gegenstand des Hasses aller Nationen“

„Gegenstand des Hasses aller Nationen“

Kapitel 29

„Gegenstand des Hasses aller Nationen“

ALS Jesus den letzten Abend vor seinem Tod mit seinen Aposteln verbrachte, ermahnte er sie: „Ein Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen; wenn sie mein Wort gehalten haben, werden sie auch das eure halten. Alle diese Dinge aber werden sie euch um meines Namens willen antun, weil sie den nicht kennen, der mich gesandt hat“ (Joh. 15:20, 21).

Jesus dachte dabei nicht bloß an einzelne Fälle von Unduldsamkeit. Erst drei Tage zuvor hatte er gesagt: „Ihr werdet um meines Namens willen Gegenstand des Hasses aller Nationen sein“ (Mat. 24:9).

Dennoch sagte Jesus zu seinen Nachfolgern, daß sie nicht zu fleischlichen Waffen greifen dürften, wenn sie verfolgt würden (Mat. 26:48-52). Sie sollten ihre Verfolger nicht verunglimpfen oder auf Rache sinnen (Röm. 12:14; 1. Pet. 2:21-23). Könnte es nicht sein, daß sogar diese Verfolger eines Tages gläubig würden? (Apg. 2:36-42; 7:58 bis 8:1; 9:1-22). Rache zu nehmen sollte in jedem Fall Gott überlassen werden (Röm. 12:17-19).

Es ist allgemein bekannt, daß die ersten Christen von der römischen Regierung grausam verfolgt wurden. Bemerkenswert ist aber auch, daß Jesus Christus in erster Linie von den religiösen Führern verfolgt wurde und daß Pontius Pilatus, der römische Statthalter, Jesus hinrichten ließ, weil sie es verlangten (Luk. 23:13-25). Nach Jesu Tod waren es wiederum die religiösen Führer, die sich als Verfolger der Jünger Jesu hervortaten (Apg. 4:1-22; 5:17-32; 9:1, 2). War es in jüngster Vergangenheit nicht ähnlich?

Geistliche forderten öffentliche Debatte

Als die Schriften C. T. Russells immer mehr in Umlauf kamen und die Auflage schließlich zigmillionen Exemplare in vielen Sprachen erreichte, konnten die katholischen und protestantischen Geistlichen seine Ausführungen nicht einfach ignorieren. Verärgert wegen der Bloßstellung ihrer Lehren als unbiblisch und frustriert durch den Verlust von Mitgliedern, verurteilten viele Geistliche Russells Schriften von der Kanzel herab. Sie geboten ihrer Herde, keine Literatur anzunehmen, die von den Bibelforschern verbreitet wurde. Eine Reihe von ihnen versuchten, Regierungsvertreter zu veranlassen, diesem Werk ein Ende zu setzen. An manchen Orten in den Vereinigten Staaten, zum Beispiel in Tampa (Florida), Rock Island (Illinois), Winston-Salem (Nordkarolina) und Scranton (Pennsylvanien), überwachten Geistliche das öffentliche Verbrennen von Büchern, die Russell verfaßt hatte.

Einige Geistliche hielten es für nötig, Russells Einfluß auszuschalten, und sie wollten ihn in einer öffentlichen Debatte bloßstellen. Eine Gruppe Geistlicher aus der Umgebung des Hauptbüros, in dem Russell arbeitete, schlossen sich Dr. E. L. Eaton, dem Pastor der Bischöflichen Methodistenkirche in der North Avenue in Allegheny (Pennsylvanien), als ihrem Sprecher an. 1903 schlug Eaton eine öffentliche Debatte vor, und Bruder Russell nahm die Einladung an.

Die folgenden sechs Diskussionspunkte wurden bekanntgegeben: Bruder Russell behauptete fest, aber Dr. Eaton bestritt, daß die Seelen der Verstorbenen ohne Bewußtsein seien, daß das „zweite Kommen“ Christi dem Millennium vorausgehe und der Zweck sowohl seines „zweiten Kommens“ als auch des Millenniums darin bestehe, alle Familien der Erde zu segnen; ferner, daß nur die Heiligen des „Evangeliumszeitalters“ an der ersten Auferstehung teilhätten, aber große Volksmengen durch eine spätere Auferstehung die Gelegenheit zur Rettung erhielten. Dr. Eaton behauptete fest, aber Bruder Russell bestritt, daß nach dem Tod niemand mehr geprüft werde, daß alle Geretteten in den Himmel kämen und daß unverbesserliche Böse ewigen Leiden unterworfen würden. Über diese Diskussionspunkte wurde 1903 in der Carnegie Hall in Allegheny vor jeweils vollbesetztem Haus eine Serie von sechs Debatten abgehalten.

Was stand hinter der Herausforderung zu debattieren? Albert Vandenberg, der die Angelegenheit von einem historischen Gesichtspunkt aus betrachtete, schrieb später darüber: „Die Debatten wurden jeweils von einem Geistlichen einer anderen protestantischen Denomination geleitet, der als Diskussionsleiter fungierte. Außerdem saßen Geistliche verschiedener Kirchen aus der Umgebung mit Reverend Eaton auf der Rednerbühne, angeblich um ihn mit Texten und auch moralisch zu unterstützen. ... Daß sogar eine inoffizielle Allianz protestantischer Geistlicher gebildet werden konnte, bedeutete, daß sie fürchteten, Russell sei fähig, Mitglieder ihrer Denominationen zu bekehren“ („Charles Taze Russell: Prophet von Pittsburgh, 1879—1909“, veröffentlicht in The Western Pennsylvania Historical Magazine, Januar 1986, S. 14).

Es gab nur wenig solche Debatten. Sie brachten nicht die Ergebnisse, die sich die Allianz von Geistlichen erhofft hatte. Einige aus Dr. Eatons Gemeinde waren von dem, was sie 1903 bei der Debattenserie gehört hatten, beeindruckt, verließen seine Kirche und beschlossen, sich mit den Bibelforschern zu verbinden. Sogar ein Geistlicher, der dabeigewesen war, erkannte an, daß Russell „den Wasserstrahl auf die Hölle“ gerichtet und das Feuer ausgelöscht hatte. Dessenungeachtet war Bruder Russell selbst der Meinung, daß der Sache der Wahrheit besser gedient sei, wenn Zeit und Mühe für andere Tätigkeiten als Debatten aufgewendet würden.

Die Geistlichen gaben ihre Angriffe nicht auf. Als Bruder Russell in Dublin (Irland) und Otley (Yorkshire, England) Ansprachen hielt, hatten sie Männer im Publikum postiert, die lautstark Einwände und falsche Beschuldigungen vorbrachten, die gegen Bruder Russell persönlich gerichtet waren. Bruder Russell wurde mit diesen Situationen leicht fertig, wobei er seine Antworten immer auf die Bibel als Autorität stützte.

Protestantische Geistliche hatten sich ungeachtet ihrer Denomination zu der Evangelischen Allianz vereinigt. In vielen Ländern agitierten deren Vertreter gegen Russell und diejenigen, die seine Literatur verbreiteten. In Texas (USA) zum Beispiel stellten die Bibelforscher fest, daß jeder Geistliche — sogar in den kleinsten Städtchen und in ländlichen Bezirken — mit denselben falschen Beschuldigungen gegen Russell und denselben Entstellungen seiner Lehren ausgerüstet worden war.

Diese Angriffe gegen Russell führten jedoch manchmal zu Ergebnissen, die die Geistlichen nicht erwartet hatten. Als ein Prediger in New Brunswick (Kanada) von seiner Kanzel aus eine abfällige Predigt über Russell hielt, befand sich in der Zuhörerschaft ein Mann, der die von Bruder Russell verfaßte Literatur selbst gelesen hatte. Er fühlte sich angewidert, als der Prediger bewußt Lügen vorbrachte. Ungefähr in der Mitte der Predigt stand der Mann auf, nahm seine Frau an die Hand und rief seinen sieben Töchtern, die im Chor sangen, zu: „Kommt, Mädchen, wir gehen nach Haus.“ Alle neun gingen hinaus, und der Geistliche mußte mit ansehen, wie der Mann, der die Kirche hatte bauen lassen und die finanzielle Hauptstütze der Gemeinde war, auf Nimmerwiedersehen verschwand. Bald darauf löste sich die Gemeinde auf, und der Prediger ging fort.

Zu Verspottung und Verleumdung gegriffen

In dem verzweifelten Versuch, den Einfluß von C. T. Russell und seinen Gefährten zunichte zu machen, sprachen die Geistlichen ihm ab, ein ordinierter christlicher Diener Gottes zu sein. Aus ähnlichen Gründen behandelten die jüdischen religiösen Führer im ersten Jahrhundert die Apostel Petrus und Johannes wie „ungelehrte und gewöhnliche Menschen“ (Apg. 4:13).

Bruder Russell hatte keine der theologischen Fakultäten der Christenheit absolviert. Doch er sagte mutig: „Wir fordern ... [die Geistlichen] heraus zu beweisen, daß sie jemals eine göttliche Ordination hatten oder daß sie überhaupt daran denken. Sie denken nur an eine sektiererische Ordination oder Autorisation, jeder von seiner eigenen Sekte oder Gruppe. ... Gott ordiniert oder autorisiert einen Menschen zum Predigen dadurch, daß er ihm den heiligen Geist gewährt. Wer immer den heiligen Geist empfangen hat, hat die Macht und Autorität, im Namen Gottes zu lehren und zu predigen. Wer den heiligen Geist nicht empfangen hat, hat für sein Predigen keine göttliche Autorität oder Zustimmung“ (Jes. 61:1, 2).

Um Bruder Russells Ruf zu schaden, zogen einige Geistliche über ihn her und verbreiteten grobe Lügen über ihn. Eine Lüge, die sie immer wieder vorbrachten und es noch tun, betrifft die Ehe Bruder Russells. Sie haben versucht, den Eindruck zu vermitteln, er hätte unsittlich gehandelt. Wie sehen die Tatsachen aus?

Im Jahre 1879 heiratete Charles Taze Russell Maria Frances Ackley. 13 Jahre lang hatten sie ein gutes Verhältnis zueinander. Dann wurde das Verhältnis dadurch untergraben, daß man Maria schmeichelte und an ihren Stolz appellierte; aber als das Ziel der Schmeichler klar wurde, schien sie ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen. Nachdem ein früherer Gefährte Russells über ihn Lügen verbreitet hatte, bat sie ihren Mann sogar, einige Versammlungen besuchen zu dürfen, um die Beschuldigungen zu widerlegen, denn es war behauptet worden, er habe sie schlecht behandelt. Der freundliche Empfang, den man ihr 1894 auf der Reise bereitete, trug jedoch offenbar zu einer allmählichen Änderung ihrer Ansicht über sich selbst bei. Sie wollte sich ein stärkeres Mitspracherecht sichern bei der Entscheidung, was im Wacht-Turm erscheinen sollte. a Als sie feststellte, daß nichts von dem, was sie geschrieben hatte, veröffentlicht wurde, es sei denn, ihr Mann, der Herausgeber der Zeitschrift, war mit dem Inhalt (auf der Grundlage, daß er mit der Heiligen Schrift übereinstimmte) einverstanden, geriet sie völlig außer Fassung. Er bemühte sich sehr, ihr zu helfen, doch im November 1897 verließ sie ihn. Dessenungeachtet beschaffte er ihr eine Wohnung und sorgte für ihren Lebensunterhalt. Jahre später — 1908 — führten Gerichtsverfahren, die sie 1903 angestrengt hatte, zu einem Urteil, das nicht auf Ehescheidung lautete, sondern auf Trennung von Tisch und Bett sowie auf Zahlung von Unterhalt.

Da sie ihre Forderungen bei ihrem Mann nicht durchsetzen konnte, setzte sie, nachdem sie ihn verlassen hatte, alles daran, seinen Namen in Mißkredit zu bringen. 1903 veröffentlichte sie ein Traktat, das keinerlei biblische Wahrheiten enthielt, sondern Bruder Russell völlig falsch darstellte. Sie versuchte, Geistliche verschiedener Denominationen dafür zu gewinnen, es dort zu verteilen, wo die Bibelforscher ihre besonderen Zusammenkünfte abhielten. Anerkennenswerterweise haben sich damals nicht viele dafür hergegeben. In der Zwischenzeit haben Geistliche jedoch eine andere Einstellung gezeigt.

Früher hatte Maria Russell diejenigen mündlich und schriftlich getadelt, die Bruder Russell genau das Fehlverhalten vorgeworfen hatten, dessen sie selbst ihn jetzt beschuldigte. Einige religiöse Gegner Bruder Russells haben haltlose Behauptungen, die 1906 während eines Gerichtsverfahrens vorgebracht und auf Anordnung des Gerichts aus dem Protokoll gestrichen wurden, aufgegriffen, um Beschuldigungen zu veröffentlichen, die den Anschein erwecken sollen, er sei ein unmoralischer Mensch und somit als Diener Gottes ungeeignet gewesen. Das Gerichtsprotokoll zeigt indessen klar, daß diese Beschuldigungen falsch sind. Der Rechtsanwalt Frau Russells fragte sie, ob sie glaube, ihr Gatte sei des Ehebruchs schuldig. Sie antwortete: „Nein.“ Es gilt auch zu beachten, daß Frau Russell, als sie 1897 vor einem Komitee von christlichen Ältesten Beschuldigungen gegen ihren Mann erhob, nichts von dem erwähnte, was sie später vor Gericht aussagte, als sie die Geschworenen dazu überreden wollte, einer Scheidung stattzugeben, obwohl die angeblichen Vorfälle in die Zeit vor der Zusammenkunft mit den Ältesten fielen.

Neun Jahre nachdem Frau Russell den Fall das erste Mal vor Gericht gebracht hatte, schrieb Richter James Macfarlane einen Antwortbrief an einen Mann, der eine Kopie des Gerichtsprotokolls haben wollte, damit einer seiner Mitarbeiter Russell bloßstellen könnte. Der Richter sagte ihm offen, daß das, was er wünsche, Zeit- und Geldverschwendung sei. In seinem Brief hieß es: „Der Grund für ihren [Frau Russells] Antrag und für das Urteil, das aufgrund des Urteilsspruchs der Geschworenen gefällt wurde, war ‚unwürdige Kränkungen‘ und nicht Ehebruch, und die Zeugenaussage zeigt, soviel ich weiß, nicht, daß Russell ‚ein ehebrecherisches Leben mit einer Mitbeklagten‘ führte. Tatsächlich gab es keine Mitbeklagte.“

Maria Russells verspätetes Eingeständnis erfolgte 1916 während der Beerdigung Bruder Russells in der Carnegie Hall in Pittsburgh. Verschleiert ging sie an den Bankreihen vorbei zum Sarg und legte einen Strauß Maiglöckchen darauf. Es war ein Band daran befestigt, auf dem stand: „Meinem geliebten Mann“.

Es ist offenkundig, daß die Geistlichen nach derselben Taktik vorgingen wie ihr Gegenstück im ersten Jahrhundert. Damals bemühte man sich, Jesu Ruf zu ruinieren, indem man ihm vorwarf, daß er mit Sündern esse und daß er selbst ein Sünder und Lästerer sei (Mat. 9:11; Joh. 9:16-24; 10:33-37). Solche Beschuldigungen änderten nichts an der Wahrheit über Jesus, doch sie stellten diejenigen bloß, die zu solchen Verleumdungen griffen — und sie stellen diejenigen, die heute zu solchen Taktiken greifen, als solche bloß, die den Teufel zum geistigen Vater haben, dessen Name „Verleumder“ bedeutet (Joh. 8:44).

Das Kriegsfieber genutzt, um ihre Ziele zu erreichen

Der Nationalismus, der die Welt im Ersten Weltkrieg überflutet hatte, bot sich als neue Waffe an, die gegen die Bibelforscher verwendet werden konnte. Protestantische und katholische Geistliche konnten ihre Feindschaft hinter der Fassade des Patriotismus zum Ausdruck bringen. Sie nutzten die Kriegshysterie aus und brandmarkten die Bibelforscher als Aufrührer — dieselbe Anklage, die im ersten Jahrhundert von den religiösen Führern Jerusalems gegen Jesus und den Apostel Paulus erhoben wurde (Luk. 23:2, 4; Apg. 24:1, 5). Natürlich mußten die Geistlichen, um eine solche Anklage erheben zu können, selbst für die Kriegsanstrengungen eintreten, doch das schien die meisten von ihnen nicht zu stören, obwohl es bedeutete, junge Männer hinauszuschicken, damit sie Angehörige der eigenen Religion in einem anderen Land töteten.

Nach Russells Tod gab die Watch Tower Society im Juli 1917 das Buch Das vollendete Geheimnis, einen Kommentar zu Offenbarung, Hesekiel und Hohelied, heraus. Das Buch stellte die Heuchelei der Geistlichkeit der Christenheit rundheraus bloß. Es wurde in verhältnismäßig kurzer Zeit weit verbreitet. Ende Dezember 1917 und Anfang 1918 verbreiteten die Bibelforscher in den Vereinigten Staaten und in Kanada außerdem 10 000 000 Exemplare des Traktats Der Schriftforscher, das eine schonungslose Botschaft enthielt. Dieses vierseitige Traktat im Format einer kleinen Zeitung, betitelt „Der Fall Babylons“, trug den Untertitel „Warum die Christenheit jetzt leiden muß — Das Endergebnis“. Darin wurden katholische und protestantische Religionsorganisationen gemeinsam als neuzeitliches Babylon identifiziert, das bald fallen mußte. Zur Unterstützung des Gesagten war ein Kommentar aus dem Buch Das vollendete Geheimnis über Prophezeiungen abgedruckt, die das göttliche Gericht gegen das „mystische Babylon“ zum Ausdruck brachten. Auf der Rückseite war eine Karikatur, die eine einstürzende Mauer darstellte. Große Steine der Mauer trugen Aufschriften wie „Lehre von der Dreieinigkeit (3 × 1 = 1)“, „Unsterblichkeit der Seele“, „Ewige-Qual-Lehre“, „Protestantismus — Glaubensbekenntnisse, Geistlichkeit usw.“, „Katholizismus — Päpste, Kardinäle usw., usw.“; und alle Steine fielen.

Die Geistlichen waren wütend über diese Bloßstellung, so wie die jüdischen Geistlichen wütend waren, als Jesus ihre Heuchelei bloßstellte (Mat. 23:1-39; 26:3, 4). Die Geistlichkeit in Kanada reagierte schnell. Im Januar 1918 unterzeichneten über 600 kanadische Geistliche eine Petition, in der die Regierung aufgefordert wurde, die Veröffentlichungen der International Bible Students Association (Internationale Bibelforscher-Vereinigung) zu verbieten. Wie in der Winnipeg Evening Tribune berichtet wurde, verurteilte Charles G. Paterson, der Pastor der St. Stephen’s Church in Winnipeg, von seiner Kanzel aus den Schriftforscher, der den Artikel „Der Fall Babylons“ enthielt, worauf sich der Kronanwalt Johnson mit ihm in Verbindung setzte, um ein Exemplar zu erhalten. Kurz danach, am 12. Februar 1918, wurde der Besitz des Buches Das vollendete Geheimnis und des oben gezeigten Traktats durch einen Beschluß der Regierung Kanadas zu einem Verbrechen erklärt, das mit Geld- und Gefängnisstrafe geahndet werden konnte.

Im selben Monat, am 24. Februar, hielt der neugewählte Präsident der Watch Tower Society, Bruder Rutherford, in den Vereinigten Staaten im Temple Auditorium in Los Angeles (Kalifornien) eine Ansprache. Sein Thema war aufsehenerregend: „Die Welt ist am Ende — Millionen jetzt Lebender mögen nie sterben“. Er unterbreitete Beweise dafür, daß die Welt, wie man sie bis dahin kannte, tatsächlich 1914 geendet hatte, indem er auf den Krieg hinwies, der damals im Gange war, sowie auf dessen Begleiterscheinung Hunger und dies als Teil des von Jesus vorausgesagten Zeichens identifizierte (Mat. 24:3-8). Dann richtete er die Aufmerksamkeit auf die Geistlichkeit, indem er sagte:

„Als Klasse sind die Geistlichen gemäß der Schrift von allen Menschen auf der Erde die verwerflichsten wegen des großen Krieges, der die Menschheit jetzt plagt. 1 500 Jahre lang haben sie dem Volk die satanische Lehre des Gottesgnadentums der Könige beigebracht. Sie haben Politik und Religion, Kirche und Staat vermischt, haben sich als illoyal gegenüber ihrem von Gott verliehenen Vorrecht erwiesen, die Botschaft vom messianischen Königreich zu verkündigen, und haben sich dazu hergegeben, die Herrscher in ihrem Glauben zu bestärken, daß der König von Gottes Gnaden regiert und daher alles, was er tut, richtig ist.“ Über das Ergebnis sagte er: „Ehrgeizige Könige in Europa rüsteten zum Krieg, weil sie das Gebiet anderer Völker an sich reißen wollten, und die Geistlichen klopften ihnen auf die Schulter und sagten: ‚Tun Sie nach Ihrem Belieben, Sie können nichts falsch machen. Was Sie auch immer tun, es ist richtig.‘ “ Es waren jedoch nicht nur die europäischen Geistlichen, die den Krieg unterstützten; das wußten die Prediger in Amerika nur zu gut.

Am Tag darauf erschien ein ausführlicher Bericht über den Vortrag in der Morning Tribune von Los Angeles. Die Geistlichkeit war so aufgebracht, daß die Vereinigung der Geistlichen noch am gleichen Tag eine Zusammenkunft abhielt und ihren Vorsitzenden zur Geschäftsleitung der Zeitung schickte, um ihr äußerstes Mißfallen zum Ausdruck zu bringen. Danach wurden die Mitarbeiter in den Büros der Watch Tower Society ständig vom staatlichen Geheimdienst schikaniert.

Während dieser Periode leidenschaftlicher nationalistischer Gefühle hielten Geistliche in Philadelphia in den Vereinigten Staaten eine Konferenz ab, auf der eine Resolution angenommen wurde, die eine Überarbeitung des Spionagegesetzes forderte, damit Personen, die dagegen verstießen, vor ein Kriegsgericht gestellt und mit dem Tode bestraft werden könnten. John Lord O’Brian, Sonderbeauftragter des Justizministers in Kriegsangelegenheiten, wurde ausgewählt, die Angelegenheit dem Senat vorzulegen. Der Präsident der Vereinigten Staaten ließ nicht zu, daß diese Vorlage zum Gesetz wurde. Aber James Franklin Bell, Generalmajor der US-Armee, enthüllte J. F. Rutherford und W. E. Van Amburgh in einem Wutanfall, was sich auf der Konferenz ereignet hatte und daß man beabsichtigte, die Vorlage gegen die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder der Watch Tower Society zu verwenden.

Offizielle Akten der US-Regierung zeigen, daß spätestens ab dem 21. Februar 1918 John Lord O’Brian persönlich mit dem Sammeln von Beweismaterial gegen die Bibelforscher zu tun hatte. Der Sitzungsbericht des Kongresses vom 24. April und vom 4. Mai enthält Notizen von John Lord O’Brian, in denen er nachdrücklich argumentiert, daß er die Bibelforscher nicht erfolgreich strafrechtlich verfolgen könne, wenn das Gesetz Äußerungen erlaube über das, „was wahr ist, mit guten Motiven und vertretbaren Zielen“ — wie es in der sogenannten France-Novellierung des Spionagegesetzes festgelegt und vom US-Senat gebilligt worden sei.

In Worcester (Massachusetts) nutzte „Reverend“ B. F. Wyland das Kriegsfieber aus und behauptete, die Bibelforscher betrieben Propaganda für den Feind. Er veröffentlichte einen Artikel im Daily Telegram, in dem er erklärte: „Eine der patriotischen Pflichten, denen Sie als Bürger gegenüberstehen, ist die Unterdrückung der International Bible Students Association, deren Hauptbüro in Brooklyn ist. Sie hat unter dem Deckmantel der Religion in Worcester deutsche Propaganda betrieben, indem sie ihr Buch ‚Das vollendete Geheimnis‘ verkauft hat.“ Ohne Umschweife sagte er den Behörden, es sei ihre Pflicht, die Bibelforscher zu verhaften und sie daran zu hindern, weiterhin Zusammenkünfte abzuhalten.

Im Frühling und im Sommer 1918 wurden die Bibelforscher sowohl in Nordamerika als auch in Europa überall verfolgt. Unter den Anstiftern waren Geistliche der Baptisten, Methodisten, Episkopalen, Lutheraner, Katholiken und anderer Kirchen. Ohne Durchsuchungsbefehl beschlagnahmten Beamte biblische Literatur, und viele Bibelforscher warf man ins Gefängnis. Andere wurden vom Pöbel gejagt, geschlagen, ausgepeitscht, geteert und gefedert, oder ihnen wurden Rippen gebrochen oder Schnittwunden am Kopf beigebracht. Einige wurden zu Krüppeln gemacht. Christliche Männer und Frauen wurden ins Gefängnis geworfen und dort ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten. Mehr als einhundert Einzelfälle solch verbrecherischer Behandlung wurden im Goldenen Zeitalter vom 29. September 1920 (engl.) geschildert.

Der Spionage angeklagt

Der Höhepunkt kam am 7. Mai 1918, als in den Vereinigten Staaten Haftbefehl gegen J. F. Rutherford, den Präsidenten der Watch Tower Bible and Tract Society, und seine vertrauten Mitarbeiter erlassen wurde.

Am Tag zuvor waren in Brooklyn (New York) zwei Anklageschriften gegen Bruder Rutherford und seine Gefährten ausgestellt worden. Sollte die eine nicht den gewünschten Erfolg erzielen, wollte man die andere vorlegen. Die erste Anklageschrift, die eine größere Anzahl Einzelpersonen beschuldigte, enthielt vier Anklagepunkte: Zwei beschuldigten sie der Verschwörung als einer Verletzung des Spionagegesetzes vom 15. Juni 1917, und in zwei weiteren wurde ihnen vorgeworfen, ihre illegalen Vorhaben auszuführen oder es zu versuchen. Es wurde behauptet, sie hätten sich verschworen, um zum Ungehorsam und zur Verweigerung der Dienstpflicht in den Streitkräften der Vereinigten Staaten anzustiften, und sie hätten sich verschworen, die Rekrutierung und Anwerbung von Männern für solche Dienste zu behindern, und das, während sich die Nation im Krieg befinde; ferner hätten sie beides versucht oder tatsächlich getan. Die Anklageschrift erwähnte besonders die Veröffentlichung und Verbreitung des Buches Das vollendete Geheimnis. Die zweite Anklageschrift legte einen Scheck, der nach Europa gesandt worden war (er war für das biblische Schulungswerk in Deutschland bestimmt), als gegen die Interessen der Vereinigten Staaten gerichtet aus. Als die Angeklagten vor Gericht gebracht wurden, ging man nach der ersten Anklageschrift mit den vier Anklagepunkten vor.

Noch eine andere Anklageschrift, in der man sich auf das Spionagegesetz berief, war damals in Scranton (Pennsylvanien) gegen C. J. Woodworth und J. F. Rutherford anhängig. Doch gemäß einem Brief von John Lord O’Brian vom 20. Mai 1918 befürchteten einige im Justizministerium, daß der Bezirksrichter Witmer, vor dem der Fall verhandelt werden sollte, nicht mit ihrer Auslegung des Spionagegesetzes übereinstimmen würde; sie legten es dahin gehend aus, daß die Tätigkeit von Personen zu unterdrücken sei, die aus aufrichtiger religiöser Überzeugung etwas sagten, was andere als Antikriegspropaganda auffassen könnten. Das Justizministerium hielt daher den Fall in Scranton in der Schwebe bis zur Entscheidung des Falles in Brooklyn. Auch lenkte die Regierung die Situation so, daß Richter Harland B. Howe aus Vermont, von dem John Lord O’Brian wußte, daß er mit seiner Ansicht über solche Angelegenheiten übereinstimmte, in dem Fall als Richter im US-Bezirksgericht für den östlichen Distrikt von New York amtieren würde. Mit Isaac R. Oeland und Charles J. Buchner, einem Katholiken, als Vertreter der Anklage kam der Fall am 5. Juni vor Gericht. Während der Verhandlung beobachtete Bruder Rutherford, daß katholische Priester häufig mit Buchner und Oeland konferierten.

Im Verlauf des Verfahrens zeigte es sich, daß die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder der Gesellschaft und diejenigen, die das Buch zusammengestellt hatten, nicht die Absicht verfolgt hatten, die Kriegsanstrengungen des Landes zu behindern. Die während des Verfahrens vorgebrachten Beweise belegten, daß der Plan, dieses Buch zu schreiben, ja überhaupt der größte Teil der Manuskripte fertig war, bevor die Vereinigten Staaten den Krieg erklärten (am 6. April 1917), und daß der ursprüngliche Vertrag über die Herausgabe unterschrieben worden war, bevor die Vereinigten Staaten das Gesetz verabschiedet hatten (am 15. Juni), das die Angeklagten angeblich gebrochen hatten.

Die Anklagevertretung verwies auf Zusätze in dem Buch, die im April und Juni 1917 während der Überarbeitung des Textes und beim Korrekturlesen gemacht worden waren. Dazu gehörte ein Zitat von John Haynes Holmes, einem Geistlichen, der nachdrücklich erklärt hatte, der Krieg sei ein Vergehen gegen das Christentum. Einer der Verteidiger wies darauf hin, daß das Werk des Geistlichen mit dem Titel A Statement to My People on the Eve of War (Eine Erklärung an mein Volk am Vorabend des Krieges) zur Zeit des Prozesses in den Vereinigten Staaten immer noch zum Verkauf angeboten wurde. Weder der Geistliche noch der Verleger stand deswegen unter Anklage. Aber die Bibelforscher, die sich auf seine Predigt bezogen, wurden für die Meinung, die darin zum Ausdruck kam, zur Rechenschaft gezogen.

In dem Buch wurde der Allgemeinheit nicht gesagt, sie habe kein Recht, sich am Krieg zu beteiligen. Aber bei der Erklärung von Prophezeiungen wurde aus Wacht-Turm-Ausgaben von 1915 zitiert, um die Inkonsequenz der Geistlichen aufzuzeigen, die einerseits behaupteten, Christi Diener zu sein, andererseits aber kriegführenden Ländern als Rekrutierungshelfer dienten.

Als man erfuhr, daß die Regierung etwas gegen das Buch einzuwenden hatte, schickte Bruder Rutherford sofort ein Telegramm an die Druckerei, um die Produktion zu stoppen, und gleichzeitig sandte man einen Vertreter der Gesellschaft zum militärischen US-Geheimdienst. Er sollte herausfinden, um was für Einwände es sich handelte. Sobald man in Erfahrung gebracht hatte, daß die Seiten 247 bis 253 des Buches beanstandet wurden, weil der Krieg im Gange war, gab die Gesellschaft die Anweisung, diese Seiten aus allen Exemplaren des Buches herauszuschneiden, bevor es der Öffentlichkeit angeboten würde. Und als die Regierung die Bezirksstaatsanwälte davon in Kenntnis setzte, daß eine weitere Verbreitung ein Verstoß gegen das Spionagegesetz sei (obwohl die Regierung der Gesellschaft gegenüber eine Stellungnahme zu dem Buch in seiner abgewandelten Form ablehnte), ordnete die Gesellschaft an, das Buch vorerst nicht mehr in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Warum solche harten Strafen?

Ungeachtet all dessen sprachen am 20. Juni 1918 die Geschworenen alle Angeklagten in allen Anklagepunkten schuldig. Am Tag darauf wurden sieben b von ihnen zu je viermal 20 Jahren verurteilt, die gleichzeitig verbüßt werden sollten. Am 10. Juli wurde der achte c zu viermal 10 Jahren verurteilt, die ebenfalls gleichzeitig zu verbüßen waren. Wie hart waren diese Urteile? Der Präsident der Vereinigten Staaten, Woodrow Wilson, räumte in einem Brief vom 12. März 1919 an den Justizminister ein: „Die Freiheitsstrafen sind offensichtlich unangemessen hoch.“ Tatsächlich hatte der Mann, der in Sarajevo die tödlichen Schüsse auf den Thronfolger der österreichisch-ungarischen Monarchie abfeuerte — und damit Ereignisse auslöste, die die Nationen in den Ersten Weltkrieg stürzten —, keine härtere Strafe erhalten. Sein Urteil lautete auf 20 Jahre Gefängnis — nicht viermal 20 Jahre, wie im Fall der Bibelforscher.

Aus welchem Motiv heraus wurden die Bibelforscher zu langen Freiheitsstrafen verurteilt? Richter Harland B. Howe erklärte: „Nach Meinung des Gerichts stellt die religiöse Propaganda, für die diese Angeklagten energisch eingetreten sind und die sie im ganzen Land sowie unter unseren Verbündeten betrieben haben, eine größere Gefahr dar als eine ganze deutsche Division. ... Jemand, der seinen Glauben verkündigt, hat gewöhnlich viel Einfluß, und wenn er aufrichtig ist, um so mehr. Das verschlimmert ihr begangenes Unrecht, statt es zu mildern. Daher hat das Gericht beschlossen, daß es nur klug ist, diese Leute hart zu bestrafen.“ Interessanterweise sagte Richter Howe, bevor er das Strafurteil verkündete, aber auch, daß die Verteidiger nicht nur die Justizbeamten der Regierung unglaubwürdig gemacht und angegriffen hätten, sondern auch „alle Geistlichen im ganzen Land“.

Gegen die Entscheidung wurde sofort Berufung eingelegt. Doch Richter Howe lehnte eine Kaution bis zur Verhandlung des Einspruchs willkürlich ab, d und am 4. Juli, bevor ein drittes und letztes Rechtsmittel für eine Kaution eingelegt werden konnte, wurden die ersten sieben Brüder schnell in die Bundesstrafanstalt in Atlanta (Georgia) gebracht. Später wurde bewiesen, daß das äußerst befangene Gericht 130 Verfahrensfehler gemacht hatte. Es dauerte Monate, die für das Berufungsverfahren erforderlichen Papiere vorzubereiten. Inzwischen war der Krieg vorüber. Am 19. Februar 1919 sandten die acht inhaftierten Brüder eine dringende Bitte um Straferlaß an Woodrow Wilson, den Präsidenten der Vereinigten Staaten. Zahlreiche Bürger schickten Briefe an den neu ernannten Justizminister, in denen sie sich nachdrücklich für die Freilassung der Brüder einsetzten. In Beantwortung der Anfrage des Justizministers empfahl Richter Howe am 1. März 1919 „sofortige Strafmilderung“. Das hätte zwar die Strafdauer verkürzt, aber gleichzeitig wäre dadurch die Schuld der Angeklagten bestätigt worden. Bevor es soweit kam, stellten die Rechtsanwälte der Brüder dem Bundesanwalt eine gerichtliche Verfügung zu, die den Fall vor das Berufungsgericht brachte.

Am 21. März 1919, neun Monate nachdem Rutherford und seine Gefährten verurteilt worden waren — der Krieg war inzwischen vorüber —, ordnete das Berufungsgericht an, alle acht Angeklagten gegen Kaution aus der Haft zu entlassen, und am 26. März kamen sie in Brooklyn gegen eine Kaution von je 10 000 Dollar frei. Am 14. Mai 1919 entschied das Berufungsgericht in New York: „Die Angeklagten in diesem Rechtsfall hatten nicht das maßvolle und unparteiische Gerichtsverfahren, auf das sie ein Anrecht gehabt hätten, und aus diesem Grunde ist das Urteil aufgehoben.“ Der Fall wurde zurückverwiesen für ein neues Gerichtsverfahren. e Nachdem die Angeklagten jedoch auf Vorladung fünfmal vor Gericht erschienen waren, verkündete der Staatsanwalt am 5. Mai 1920 in einer öffentlichen Gerichtsverhandlung in Brooklyn, daß die Anklage fallengelassen wurde. Warum? Wie aus einem Schriftwechsel hervorgeht, der in den Nationalarchiven der Vereinigten Staaten aufbewahrt wird, fürchtete das Justizministerium, den Fall zu verlieren, wenn er vor unbefangene Geschworene gebracht würde, da die Kriegshysterie abgeklungen war. Der Bundesanwalt L. W. Ross legte in einem Brief an den Justizminister dar, er denke, es wäre für ihre Öffentlichkeitsarbeit besser, wenn sie auf eigene Initiative erklärten, daß der Fall nicht länger verfolgt werde.

Am selben Tag, dem 5. Mai 1920, wurde die andere Anklage, die im Mai 1918 gegen J. F. Rutherford und vier seiner Gefährten erhoben worden war, ebenfalls fallengelassen.

Wer waren die eigentlichen Anstifter?

War das alles wirklich von der Geistlichkeit angestiftet worden? John Lord O’Brian bestritt das. Aber die Tatsachen waren denen, die damals lebten, bestens bekannt. Am 22. März 1919 wurde in der Zeitung Appeal to Reason, die in Girard (Kansas) herausgegeben wurde, folgender Protest geäußert: „Anhänger von Pastor Russell, verfolgt aus Gehässigkeit von der ‚orthodoxen‘ Geistlichkeit, wurden verurteilt und inhaftiert, ohne daß eine Kaution zugelassen wurde, obwohl sie alle nur möglichen Anstrengungen unternahmen, um den Bestimmungen des Spionagegesetzes zu entsprechen. ... Wir erklären, daß diese Anhänger Pastor Russells, unabhängig davon, ob das Spionagegesetz formaljuristisch verfassungsmäßig und ethisch zu rechtfertigen war, auf dessen Grundlage unrechtmäßig verurteilt wurden. Eine vorurteilslose Untersuchung der Beweise wird jeden schnell davon überzeugen, daß diese Männer das Gesetz weder übertreten wollten noch es übertreten haben.“

Jahre später äußerte sich Dr. Ray Abrams in dem Buch Preachers Present Arms, Seite 183—185 folgendermaßen: „Es ist bezeichnend, daß sich so viele Geistliche energisch an dem Versuch beteiligten, die Russelliten [wie die Bibelforscher abfällig bezeichnet wurden] loszuwerden. Seit langem bestehende religiöse Streitigkeiten und Haßgefühle, die zu Friedenszeiten keinerlei Beachtung vor Gericht erhalten hatten, fanden jetzt, unter dem Einfluß der Kriegshysterie, Eingang in den Gerichtssaal.“ Weiter sagte er: „Eine Untersuchung des ganzen Falles führt zu dem Schluß, daß ursprünglich die Kirchen und die Geistlichen hinter dieser Maßnahme standen, um die Russelliten auszurotten.“

Das Ende des Krieges beendete indessen nicht die Verfolgung der Bibelforscher. Sie trat lediglich in eine neue Phase ein.

Priester setzen die Polizei unter Druck

Da der Krieg nun vorüber war, wurden von der Geistlichkeit andere Streitfragen aufgeworfen, um, falls irgend möglich, die Tätigkeit der Bibelforscher zum Erliegen zu bringen. Im katholischen Bayern und in anderen Teilen Deutschlands wurden in den 20er Jahren zahllose Verhaftungen wegen angeblicher Verstöße gegen die Gewerbeordnung in die Wege geleitet. Als die Fälle jedoch vor Berufungsgerichte gebracht wurden, entschieden die Richter gewöhnlich zugunsten der Bibelforscher. Schließlich, nachdem die Gerichte mit Tausenden von solchen Fällen überschwemmt worden waren, gab das Innenministerium 1930 einen Runderlaß an alle Polizeibeamten heraus, in dem ihnen gesagt wurde, sie sollten keine rechtlichen Schritte gegen die Bibelforscher wegen Verstößen gegen die Gewerbeordnung mehr einleiten. Somit ließ der Druck von dieser Seite für kurze Zeit nach, und Jehovas Zeugen setzten ihre Tätigkeit in Deutschland in außergewöhnlichem Umfang fort.

Die Geistlichkeit übte in jenen Jahren auch in Rumänien einen starken Einfluß aus. Sie erreichte, daß Verfügungen veröffentlicht wurden, durch die Literatur und die Tätigkeit der Zeugen Jehovas verboten wurde. Doch die Priester fürchteten, daß die Leute vielleicht noch immer in der Literatur, die sie bereits besaßen, lasen und folglich etwas über die unbiblischen Lehren und betrügerischen Behauptungen der Kirche erfahren würden. Um das zu verhindern, gingen Priester tatsächlich mit Gendarmen von Haus zu Haus und suchten nach Literatur, die von Jehovas Zeugen verbreitet worden war. Sie fragten sogar ahnungslose kleine Kinder, ob ihre Eltern solche Literatur angenommen hatten. Wurde irgend etwas gefunden, drohten sie den Leuten Schläge und Gefängnis an für den Fall, daß sie jemals wieder Literatur entgegennähmen. In einigen Dörfern war der Priester gleichzeitig der Bürgermeister und der Friedensrichter, und für jemand, der nicht tat, was der Priester sagte, gab es kaum Gerechtigkeit.

Was aus jener Zeit über einige amerikanische Beamte, die sich dem Willen der Geistlichkeit fügten, zu berichten ist, ist keineswegs besser. Nach dem Besuch des katholischen Bischofs O’Hara in La Grange (Georgia) ließen zum Beispiel der Bürgermeister und der Justitiar der Stadt im Jahre 1936 Jehovas Zeugen zu Dutzenden verhaften. Während ihrer Haft mußten sie neben einem Misthaufen schlafen, auf Matratzen, die mit Jauche bespritzt waren; in ihrem Essen waren Würmer, und sie wurden gezwungen, in Sträflingskolonnen beim Straßenbau mitzuarbeiten.

Auch in Polen benutzte die katholische Geistlichkeit jedes nur erdenkliche Mittel, um das Werk der Zeugen Jehovas zu behindern. Sie stachelte die Leute zur Gewalt auf, verbrannte öffentlich die Literatur der Zeugen Jehovas, prangerte sie als Kommunisten an und zerrte sie vor Gericht unter der Anklage, ihre Literatur sei „gotteslästerlich“. Jedoch waren nicht alle Beamten bereit, den Geistlichen willfährig zu sein. Der Staatsanwalt am Berufungsgericht in Posen (Poznań) zum Beispiel weigerte sich, einen Zeugen Jehovas anzuklagen, den die Geistlichkeit unter der Beschuldigung angezeigt hatte, er habe die katholische Geistlichkeit als „Organisation Satans“ bezeichnet. Der Staatsanwalt wies selbst darauf hin, daß der unmoralische Geist, der sich vom päpstlichen Hof Alexanders VI. (1492 bis 1503) aus in der ganzen Christenheit ausgebreitet hatte, wirklich der Geist einer satanischen Organisation war. Und als die Geistlichen einen Zeugen Jehovas der Gotteslästerung beschuldigten, weil er Literatur der Watch Tower Society verbreitet hatte, forderte der Staatsanwalt am Berufungsgericht in Thorn (Toruń) Freispruch und sagte: „Die Zeugen Jehovas nehmen genau den gleichen Standpunkt ein wie die ersten Christen. Verkannt und verfolgt, vertreten sie die höchsten Ideale in einer verderbten und untergehenden Weltordnung.“

Aus kanadischen Staatsarchiven geht hervor, daß Jehovas Zeugen 1940 in Kanada auf einen Brief aus dem Palast Kardinal Villeneuves von Quebec an den Justizminister, Ernest Lapointe, hin verboten wurden. Später forderten andere Regierungsvertreter eine ausführliche Erklärung der Gründe für dieses Vorgehen, doch die Antworten Lapointes waren für viele Mitglieder des kanadischen Parlaments keineswegs zufriedenstellend.

Auf der anderen Seite der Erdkugel griff die Geistlichkeit zu ähnlichen Intrigen. Die australischen Staatsarchive enthalten einen Brief des katholischen Erzbischofs von Sydney an den Kronanwalt W. M. Hughes, in dem darauf gedrängt wird, daß Jehovas Zeugen für illegal erklärt werden. Dieser Brief wurde am 20. August 1940 geschrieben, nur fünf Monate bevor das Verbot verhängt wurde. Richter Williams vom Obersten Bundesgericht Australiens sagte später, nachdem er den angeblichen Grund für das Verbot überprüft hatte, es habe „die Konsequenz, daß das Eintreten für die Prinzipien und Lehren der christlichen Religion ungesetzlich und jeder Gottesdienst, den jemand hält, der an die Geburt Christi glaubt, eine ungesetzliche Zusammenkunft sei“. Am 14. Juni 1943 entschied das Gericht, daß das Verbot mit australischem Recht unvereinbar war.

In der Schweiz forderte eine katholische Zeitung, daß die Behörden die Literatur der Zeugen, die die Kirche als beleidigend ansah, beschlagnahmen sollten. Man drohte, anderenfalls das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Und in vielen Ländern geschah genau das.

Geistliche wenden Gewalt an

Die katholischen Geistlichen in Frankreich wiegten sich in dem Gefühl, das Volk fest im Griff zu haben, und sie waren entschlossen, diese Monopolstellung durch nichts beeinträchtigen zu lassen. 1924 und 1925 verbreiteten Jehovas Zeugen in vielen Ländern das Traktat Offene Anklage gegen die Geistlichkeit. Es war geplant, daß J. F. Rutherford 1925 in Paris über das Thema „Die Trügereien der Geistlichkeit an den Tag gebracht“ sprechen sollte. Über das, was sich während der Zusammenkunft ereignete, berichtete ein Augenzeuge: „Der Saal war voll besetzt. Bruder Rutherford erschien auf der Bühne und wurde mit freundlichem Applaus empfangen. Er hatte gerade angefangen zu sprechen, als plötzlich ungefähr 50 Priester und Mitglieder der Katholischen Aktion, mit Stöcken bewaffnet, in den Saal stürmten, wobei sie die Marseillaise [die französische Nationalhymne] sangen. Sie warfen Traktate die Treppe hinunter. Ein Priester stieg auf die Bühne. Zwei junge Männer packten ihn und holten ihn herunter. Dreimal verließ Bruder Rutherford die Bühne und betrat sie dann wieder. Schließlich ging er endgültig. ... Die Tische, auf denen unsere Literatur ausgelegt war, wurden umgestoßen und unsere Bücher überall umhergeworfen. Es war ein heilloses Durcheinander.“ Doch das war kein Einzelfall.

Jack Corr bekam, als er in Irland predigte, oft den Zorn der Geistlichen zu spüren. Einmal zerrte ihn um Mitternacht eine vom Gemeindepfarrer aufgehetzte Menge aus dem Bett und verbrannte dann seine gesamte Literatur auf dem Marktplatz. Als Victor Gurd und Jim Corby in ihrer Unterkunft in Roscrea in der Grafschaft Tipperary ankamen, mußten sie feststellen, daß Gegner ihre Literatur gestohlen, mit Benzin getränkt und angezündet hatten. Rund um das Freudenfeuer standen die Ortspolizei, die Geistlichen und Kinder aus der Gegend, die „Der Glaube unserer Väter“ sangen.

Bevor sich Jehovas Zeugen 1939 im Madison Square Garden in New York versammelten, hatten Anhänger des katholischen Priesters Charles Coughlin gedroht, die Zusammenkunft zu sprengen. Die Polizei war davon in Kenntnis gesetzt worden. Am 25. Juni sprach Bruder Rutherford zu über 18 000 Anwesenden sowie einer großen internationalen Zuhörerschaft am Radio über das Thema „Herrschaft und Friede“. Nachdem der Vortrag begonnen hatte, strömten mindestens 200 Katholiken und Nationalsozialisten, angeführt von verschiedenen katholischen Priestern, auf den Balkon. Auf ein Signal hin veranstalteten sie ein schreckliches Geheul und riefen „Heil Hitler!“ und „Viva Franco!“ Sie gebrauchten alle möglichen Schimpfwörter und Drohungen und griffen viele Saalordner an, die gegen die Störung einschritten. Es gelang dem Pöbel nicht, die Zusammenkunft zu sprengen. Bruder Rutherford sprach eindringlich und furchtlos weiter. Auf dem Höhepunkt des Tumults erklärte er: „Seht euch heute die Nationalsozialisten und die Katholiken an, die diese Zusammenkunft sprengen möchten, es aber dank der Gnade Gottes nicht können!“ Die Zuhörerschaft brach immer wieder in stürmischen Beifall aus. Die Störung wurde auf der Tonaufnahme verewigt, die man bei dieser Gelegenheit machte, und sie wurde von Menschen in vielen Ländern gehört.

Wo es jedoch möglich war, bediente sich die katholische Geistlichkeit wie zur Zeit der Inquisition des Staates, um jeden zu unterdrücken, der es wagte, die Lehren und Praktiken der Kirche in Frage zu ziehen.

Brutale Behandlung in Konzentrationslagern

In Adolf Hitler hatte die Geistlichkeit einen willigen Verbündeten. 1933, im gleichen Jahr, in dem ein Konkordat zwischen dem Vatikan und dem nationalsozialistischen Deutschland unterzeichnet wurde, setzte Hitler eine Kampagne in Gang, um Jehovas Zeugen in Deutschland zu vernichten. 1935 waren sie im ganzen Land verboten. Aber wer hatte das angezettelt?

Ein katholischer Priester schrieb in der in Lodz (Polen) erscheinenden deutschsprachigen Zeitung Der Deutsche Weg vom 29. Mai 1938: „Es gibt jetzt e i n Land in der Welt, in dem die sogenannten ‚Ernsten Bibelforscher‘ [Jehovas Zeugen] verboten sind. Das ist Deutschland! ... Als Adolf Hitler an die Macht gekommen war und das deutsche Episkopat seine Bitte wiederholte, sagte Hitler: ‚Diese sogenannten „Ernsten Bibelforscher“ [Jehovas Zeugen] sind Unruhestifter; ... ich betrachte sie als Kurpfuscher; ich dulde nicht, daß die deutschen Katholiken durch diesen amerikanischen Richter Rutherford auf eine derartige Weise beschmutzt werden; ich löse die „Ernsten Bibelforscher“ in Deutschland auf‘ “ (Kursivschrift von uns).

Waren solche Schritte nur vom deutschen katholischen Episkopat gewünscht? Wie in der Oschatzer Gemeinnützigen vom 21. April 1933 berichtet wurde, sprach der evangelische Pfarrer Otto in einer Rundfunksendung am 20. April von der „engsten Zusammenarbeit“ der Evangelischen Deutschen Kirche des Staates Sachsen mit den politischen Führern des Volkes und erklärte dann: „Als ersten Erfolg bei dieser Zusammenarbeit dürfen wir verbuchen, daß am heutigen Tag für das Gebiet Sachsen die Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher und ihre Unterorganisationen verboten worden sind.“

Danach begann der nationalsozialistische Staat mit einer der grausamsten Christenverfolgungen, über die die Geschichte berichtet. Tausende von Zeugen Jehovas aus Deutschland, Österreich, Polen, der Tschechoslowakei, den Niederlanden, Frankreich und anderen Ländern wurden in Konzentrationslager gebracht. Dort wurden sie der grausamsten und sadistischsten Behandlung unterworfen, die man sich nur vorstellen kann. Es war nichts Ungewöhnliches, daß sie verflucht und getreten wurden und dann stundenlang Kniebeugen machen, springen und kriechen mußten, bis sie ohnmächtig wurden oder vor Erschöpfung zusammenbrachen, wobei die Wachen schadenfroh lachten. Einige mußten mitten im Winter nackt oder nur leicht bekleidet im Hof stehen. Viele wurden geschlagen, bis sie das Bewußtsein verloren und ihr Rücken blutig war. Andere gebrauchte man als Versuchskaninchen für medizinische Experimente. Einige wurden, die Arme hinter dem Rücken zusammengebunden, an den Handgelenken aufgehängt. Obwohl von Hunger und wegen unzureichender Kleidung bei Frost geschwächt, mußten sie schwer arbeiten, viele Stunden am Tag, oft mit bloßen Händen, obwohl Schaufeln und anderes Werkzeug nötig waren. Sowohl Männer als auch Frauen wurden so mißhandelt. Es waren alle Altersgruppen vertreten, von Jugendlichen bis zu Siebzigern. Ihre Peiniger höhnten Jehova lauthals.

In der Absicht, die Zeugen zu zermürben, befahl der Lagerkommandant von Sachsenhausen, einen jungen Zeugen, August Dickmann, in Anwesenheit aller Gefangenen erschießen zu lassen; dabei mußten sich die Zeugen Jehovas ganz vorn aufstellen, um alles hautnah mitzuerleben. Danach konnten die übrigen Gefangenen gehen, aber die Zeugen Jehovas mußten bleiben. Mit großer Eindringlichkeit stellte der Lagerkommandant ihnen die Frage, wer nun bereit sei, die Erklärung zu unterschreiben — eine Erklärung, mit der man seinem Glauben abschwor und sich bereit erklärte, Soldat zu werden. Nicht einer der über 400 Zeugen ging darauf ein. Dann traten zwei vor. Nein, nicht, um zu unterschreiben, sondern um zu bitten, daß die Unterschrift, die sie beide vor etwa einem Jahr gegeben hatten, annulliert würde.

Im Lager Buchenwald wurde ähnlich Druck ausgeübt. SS-Obersturmbannführer Rödl erklärte den Zeugen: „Wenn einer sich weigert, gegen Frankreich oder England zu kämpfen, dann müßt ihr sterben!“ Zwei SS-Kompanien in voller Ausrüstung standen am Tor. Kein einziger Zeuge gab nach. Danach wurden sie sehr schlecht behandelt, aber die Androhung des Offiziers wurde nicht wahr gemacht. Es wurde überall bekannt, daß die Zeugen in den Lagern zwar fast alle Arbeiten, die ihnen aufgetragen wurden, verrichteten, aber daß sie sich, obwohl sie systematisch ausgehungert und mit Mehrarbeit bestraft wurden, standhaft weigerten, irgend etwas zu tun, wodurch sie den Krieg unterstützt oder einem Mithäftling geschadet hätten.

Was sie durchmachten, spottet jeder Beschreibung. Hunderte von ihnen starben. Nachdem die Überlebenden bei Kriegsende aus den Lagern befreit worden waren, schrieb ein Zeuge aus Flandern: „Nur der unerschütterliche Wunsch zu leben, die Hoffnung und das Vertrauen auf ihn, Jehova, den Allmächtigen, und die Liebe zur Theokratie machten es möglich, all dies zu ertragen und den Sieg zu erringen (Römer 8:37).“

Eltern wurden von ihren Kindern getrennt. Eheleute wurden auseinandergerissen, und manche hörten nie wieder etwas von ihrem Partner. Martin Pötzinger wurde kurz nach seiner Heirat verhaftet und in das berüchtigte Lager in Dachau gebracht, später nach Mauthausen. Seine Frau Gertrud kam in das Lager Ravensbrück. Sie sahen sich neun Jahre lang nicht. Über seine Erlebnisse in Mauthausen schrieb er später: „Die Gestapo versuchte hier alles, um unseren Glauben an Jehova zu zerstören. Hungerrationen, falsche Freunde, Brutalität, tagelanges Torstehen, Auspeitschungen oder an einem drei Meter hohen Pfahl an den auf dem Rücken zusammengebundenen Handgelenken aufgehängt zu werden — all diese und andere Methoden, die zu abscheulich sind, um sie zu erwähnen, wandte man bei uns an.“ Aber er blieb Jehova loyal. Er gehörte zu den Überlebenden, und später diente er als ein Mitglied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas.

Wegen ihres Glaubens inhaftiert

Jehovas Zeugen waren nicht in den Konzentrationslagern, weil sie Kriminelle gewesen wären. Wenn sich Offiziere rasieren lassen wollten, vertrauten sie das Rasiermesser einem Zeugen an, weil sie wußten, daß kein Zeuge jemals ein solches Werkzeug als Waffe verwenden und damit einen anderen Menschen verletzen würde. Wenn SS-Führer des Vernichtungslagers Auschwitz jemand brauchten, der ihre Wohnung saubermachen oder für ihre Kinder sorgen sollte, wählten sie Zeugen aus, denn sie wußten, daß diese nicht versuchen würden, sie zu vergiften oder zu fliehen. Als das Lager Sachsenhausen bei Kriegsende evakuiert wurde, vertrauten die Wachen einen Wagen mit geraubten Sachen einer Gruppe Zeugen an. Warum? Weil sie wußten, daß die Zeugen ihnen nichts stehlen würden.

Jehovas Zeugen waren wegen ihres Glaubens inhaftiert. Wiederholt versprach man ihnen, sie aus dem Lager zu entlassen, wenn sie eine Erklärung unterschrieben, in der sie ihrem Glauben abschworen. Die SS tat alles in ihrer Macht Stehende, um die Zeugen zu verleiten oder zu zwingen, diese Erklärung zu unterschreiben. Darauf hatten sie es besonders abgesehen.

Bis auf wenige Ausnahmen hielten alle Zeugen Jehovas unverbrüchlich an ihrer Lauterkeit fest. Sie litten wegen ihrer Loyalität gegenüber Jehova und ihrer Ergebenheit gegenüber dem Namen Christi. Sie erduldeten nicht nur die unsäglichen Qualen, die ihnen zugefügt wurden, sondern hielten gleichzeitig auch unerschütterlich an ihrer geistigen Einheit fest.

Ihre Einstellung war nicht: um jeden Preis das eigene Leben retten. Sie bekundeten aufopferungsvolle Liebe zueinander. Wenn einer schwach wurde, teilten andere ihre magere Ration mit ihm. Wenn ihnen jegliche medizinische Behandlung versagt wurde, sorgten sie liebevoll füreinander.

Trotz aller Bemühungen der Verfolger, es zu verhindern, gelangte Bibelstudienmaterial zu den Zeugen — manchmal in Geschenkpaketen von draußen, ein anderes Mal durch Neuankömmlinge mündlich übermittelt, einmal sogar im Holzbein eines neuen Insassen versteckt oder auf andere Weise, wenn sie außerhalb des Lagers arbeiten mußten. Abschriften gingen von Hand zu Hand; manchmal wurden sie heimlich direkt im Büro der Lagerleitung mit der Maschine angefertigt. Obwohl es sehr gefährlich war, wurden in den Lagern sogar einige christliche Zusammenkünfte abgehalten.

Die Zeugen fuhren fort zu predigen, daß Gottes Königreich die einzige Hoffnung der Menschheit ist — und das taten sie sogar in den Konzentrationslagern. In Buchenwald bewirkte ihr organisiertes Vorgehen, daß Tausende von Insassen die gute Botschaft hörten. Im Lager in Neuengamme bei Hamburg wurde Anfang 1943 ein intensiver Predigtfeldzug sorgfältig geplant und durchgeführt. Es wurden Zeugniskarten in verschiedenen Sprachen angefertigt, die im Lager gesprochen wurden. Man bemühte sich, jeden Gefangenen zu erreichen. Mit Interessierten führte man ein regelmäßiges persönliches Bibelstudium durch. Die Zeugen predigten so eifrig, daß einige politische Häftlinge schimpften: „Überall hört man nur von Jehova reden!“ Als aus Berlin der Befehl kam, die Zeugen unter die anderen Gefangenen zu verteilen, um ihren Glauben zu schwächen, wurde es ihnen dadurch ermöglicht, mit mehr Menschen zu sprechen.

Über die mindestens 500 treuen Zeuginnen in Ravensbrück schrieb die Nichte des französischen Generals Charles de Gaulle, nachdem sie freigelassen worden war: „Ich hege für sie große Bewunderung. Sie waren verschiedener Nationalität — deutsch, polnisch, russisch und tschechoslowakisch — und erduldeten um ihres Glaubens willen große Leiden. ... Alle legten den Beweis sehr großen Mutes ab, was schließlich auch der SS Eindruck machte. Sie hätten auf der Stelle die Freiheit erlangt, wenn sie ihrem Glauben abgeschworen hätten; sie wurden aber nicht müde zu widerstehen, ja, es gelang ihnen sogar, Bücher und Traktate ins Lager einzuschleusen.“

Wie Jesus Christus besiegten sie die Welt, die sie in ihre satanische Schablone pressen wollte (Joh. 16:33). Über die Zeugen schreibt Christine King in dem Buch New Religious Movements: A Perspective for Understanding Society: „Die Zeugen Jehovas waren eine Herausforderung an das totalitäre Konzept der neuen Gesellschaft, und durch diese Herausforderung wie auch durch ihr hartnäckiges Überdauern wurden die Architekten der neuen Ordnung nachweislich beunruhigt. ... Die altbewährten Methoden der Verfolgung, Folterung, Inhaftierung und Verspottung konnten keinen einzigen Zeugen zur Nazi-Ideologie bekehren und waren für die Angreifer ein Schuß nach hinten. ... Zwischen diesen beiden rivalisierenden Forderern der Loyalität herrschte ein erbitterter Kampf, und das um so mehr, als die physisch stärkeren Nazis in vieler Hinsicht nicht so sicher waren, nicht so tief verwurzelt in ihrer eigenen Überzeugung und nicht so sehr überzeugt vom Fortbestand ihres 1 000jährigen Reiches. Die Zeugen hatten keinen Zweifel an ihren eigenen Wurzeln, denn ihr Glaube war schon seit der Zeit Abels offenkundig. Während die Nazis Widerstand unterdrücken und ihre Unterstützer überzeugen mußten, wobei sie häufig auf das Sprachgut und die Vorstellungswelt des sektiererischen Christentums zurückgriffen, waren sich die Zeugen sicher, daß ihre Mitglieder sogar bis in den Tod totale, unnachgiebige Loyalität bekunden würden“ (1982 veröffentlicht).

Bei Kriegsende kamen über tausend Zeugen, die überlebt hatten, aus den Lagern — ihr Glaube war ungebrochen, und ihre Liebe zueinander war stark. Als die russischen Heere näher rückten, evakuierte die Wachmannschaft schnell das Lager Sachsenhausen. Sie gruppierte die Gefangenen nach ihrer Nationalität. Aber Jehovas Zeugen blieben als eine Gruppe zusammen — 230 waren es aus diesem Lager. Da die Russen schon so nahe waren, wurden die Wachen nervös. Es gab nichts zu essen, und die Gefangenen waren schwach; jeder, der nicht Schritt halten konnte oder aus Erschöpfung hinfiel, wurde erschossen. Tausende Erschossene markierten die Marschroute. Aber die Zeugen halfen sich gegenseitig, so daß nicht einmal der Schwächste auf der Straße liegenblieb. Und das, obwohl einige von ihnen zwischen 65 und 72 Jahre alt waren. Andere Gefangene versuchten, auf dem Weg Essen zu stehlen, und viele wurden dabei erschossen. Im Gegensatz dazu ergriffen die Zeugen Jehovas die Gelegenheiten, entlang dem Evakuierungsweg den Menschen von Jehovas liebevollem Vorsatz zu erzählen, und einige versorgten sie und ihre christlichen Brüder aus Dankbarkeit für die tröstende Botschaft mit Essen.

Die Geistlichen kämpfen weiter

Nach dem Zweiten Weltkrieg fuhren die Geistlichen im östlichen Teil der Tschechoslowakei fort, zur Verfolgung der Zeugen Jehovas anzustiften. Während der nationalsozialistischen Herrschaft hatten sie die Zeugen beschuldigt, Kommunisten zu sein; jetzt behaupteten sie, die Zeugen seien gegen die kommunistische Regierung. Wenn Jehovas Zeugen an den Türen der Menschen vorsprachen, forderten manchmal die Priester Lehrer auf, Hunderte von Kindern aus der Schule zu schicken, damit sie die Zeugen mit Steinen bewarfen.

Ähnlich agitierten katholische Priester 1947 in Santa Ana (El Salvador) gegen die Zeugen. Als die Brüder ihr wöchentliches Wachtturm-Studium durchführten, warfen Jungen Steine durch die offene Tür. Dann zog eine von Priestern angeführte Prozession vorbei. Einige trugen Fackeln, andere Heiligenbilder. Sie riefen: „Lang lebe die Jungfrau!“ und: „Möge Jehova sterben!“ Ungefähr zwei Stunden lang wurde das Gebäude mit Steinen beworfen.

Mitte der 40er Jahre wurden Jehovas Zeugen in Quebec (Kanada) ebenfalls schrecklich mißhandelt, und zwar vom katholischen Pöbel und von Beamten gleichermaßen. Tag für Tag sprachen Abordnungen vom Bischofspalast bei der Polizei vor und verlangten, man solle dafür sorgen, daß die Zeugen Jehovas verschwinden. Häufig war zu beobachten, daß Polizisten Verhaftungen vornahmen, nachdem sie aus der Hintertür der Kirche gekommen waren. 1949 wurden Missionare der Zeugen Jehovas von aufgebrachten Katholiken aus Joliette (Quebec) vertrieben.

Aber nicht alle Menschen in Quebec waren damit einverstanden. Heute steht in Joliette an einer der Hauptdurchgangsstraßen ein schöner Königreichssaal der Zeugen Jehovas. Das ehemalige Priesterseminar ist geschlossen worden, die Regierung hat es aufgekauft und in eine Volkshochschule umgewandelt. Und in Montreal haben Jehovas Zeugen große internationale Kongresse abgehalten — 1978 belief sich die Zahl der Anwesenden auf 80 008.

Dessenungeachtet hat die katholische Kirche jede Möglichkeit genutzt, die Menschen mit eisernem Griff festzuhalten. Durch Druck auf Regierungsvertreter sorgte sie dafür, daß Missionare der Zeugen Jehovas 1949 Italien verlassen mußten und daß in den 50er Jahren Genehmigungen, die die Zeugen eingeholt hatten, um Kongresse abzuhalten, wenn möglich widerrufen wurden. Trotzdem nahmen Jehovas Zeugen an Zahl weiter zu, und 1992 gab es in Italien über 190 000 Evangeliumsverkündiger.

Wie zur Zeit der Inquisition übernahm die Geistlichkeit in Spanien das Denunzieren und überließ dem Staat die strafrechtliche Verfolgung der Zeugen. In Barcelona zum Beispiel rief der Erzbischof 1954 zu einem Kreuzzug gegen die Zeugen auf, und die Geistlichen benutzten ihre Kanzeln, die Schulen und den Rundfunk, um den Menschen anzuraten, die Zeugen hereinzubitten, wenn sie bei ihnen vorsprachen, und dann schnell die Polizei zu rufen.

Die Priester befürchteten, das spanische Volk könnte erfahren, was in der Bibel steht, und würde vielleicht sogar öffentlich darüber sprechen. Als Manuel Mula Giménez 1960 wegen des „Verbrechens“, andere über die Bibel belehrt zu haben, in Granada ins Gefängnis gebracht wurde, ließ der Gefängnisgeistliche (ein katholischer Priester) die einzige Bibel aus der Gefängnisbücherei entfernen. Und als ein anderer Häftling Manuel ein Exemplar der Evangelien auslieh, wurde es ihm weggenommen. Aber jetzt ist die Bibel in Spanien in die Öffentlichkeit vorgedrungen, und jeder hat die Gelegenheit, selbst zu sehen, was sie zu sagen hat. 1992 gab es über 90 000 Personen, die Jehova als seine Zeugen anbeten.

In der Dominikanischen Republik arbeiteten die Geistlichen mit dem Diktator Trujillo zusammen, wobei sie durch ihn ihre Ziele zu erreichen suchten, genauso wie er sie für seine Zwecke benutzte. Nachdem Jehovas Zeugen 1950 in von Priestern verfaßten Zeitungsartikeln heftig kritisiert worden waren, wurde der Zweigaufseher der Watch Tower Society vom Minister des Innern und der Polizei vorgeladen. Während der Zweigaufseher draußen wartete, sah er zwei Jesuitenpriester hineingehen und wieder herauskommen. Unmittelbar danach wurde er in das Büro des Ministers gerufen, und der Minister las nervös einen Erlaß vor, der die Tätigkeit der Zeugen Jehovas verbot. Nachdem 1956 das Verbot für kurze Zeit aufgehoben worden war, benutzten die Geistlichen sowohl den Rundfunk als auch die Presse, um die Zeugen erneut zu verleumden. Ganze Versammlungen wurden verhaftet und aufgefordert, eine Erklärung zu unterschreiben, die besagte, daß sie ihrem Glauben abschwören und versprechen würden, zur römisch-katholischen Kirche zurückzukehren. Als die Zeugen sich weigerten, wurden sie geschlagen, getreten, ausgepeitscht und mit Kolbenschlägen ins Gesicht übel zugerichtet. Doch sie standen fest, und ihre Zahl nahm zu.

In Sucre in Bolivien kam es ebenfalls zu Ausschreitungen. 1955, während Jehovas Zeugen einen Kongreß abhielten, umringte eine Gruppe Jungen aus der katholischen Schule Sagrado Corazón die Zusammenkunftsstätte, grölte und warf mit Steinen. Von der Kirche auf der anderen Straßenseite aus wurden alle Katholiken durch einen starken Lautsprecher aufgefordert, die Kirche und die „Jungfrau“ gegen die „protestantischen Ketzer“ zu verteidigen. Der Bischof und die Priester versuchten persönlich, die Zusammenkunft zu sprengen, wurden jedoch von der Polizei aus dem Saal gewiesen.

Als Jehovas Zeugen im Jahr zuvor in Riobamba (Ecuador) einen Kongreß abhielten, stand auf ihrem Programm der öffentliche Vortrag „Ist Liebe in einer selbstsüchtigen Welt praktisch?“ Doch ein Jesuitenpriester hatte unter der katholischen Bevölkerung feindselige Gefühle entfacht und sie aufgefordert, die Zusammenkunft zu verhindern. Daher konnte man während des Vortrags eine aufgewiegelte Menge rufen hören: „Lang lebe die katholische Kirche!“ und: „Nieder mit den Protestanten!“ Mit gezückten Schwertern hielten Polizisten die Menschenmenge lobenswerterweise zurück. Doch der Pöbel schleuderte Steine gegen die Zusammenkunftsstätte und später auch gegen das Gebäude, in dem die Missionare wohnten.

Die römisch-katholische Geistlichkeit kämpfte bei der Verfolgung an vorderster Front, doch nicht nur sie. Die griechisch-orthodoxe Geistlichkeit kämpfte genauso heftig und wandte in ihrem kleineren Einflußbereich die gleiche Taktik an. Außerdem haben viele protestantische Geistliche, wo sie meinten, damit durchzukommen, eine ähnliche Haltung gezeigt. In Indonesien zum Beispiel haben sie Pöbelaktionen angeführt, bei denen Bibelstudien in Privatwohnungen aufgelöst und die anwesenden Zeugen Jehovas brutal geschlagen wurden. In einigen afrikanischen Ländern haben sie versucht, Beamte zu beeinflussen, damit diese Jehovas Zeugen aus dem Land ausweisen oder ihnen das Recht entziehen, mit anderen über Gottes Wort zu sprechen. Zwar gehen die Ansichten katholischer und protestantischer Geistlicher in mancher Hinsicht auseinander, aber in ihrer Gegnerschaft gegenüber Jehovas Zeugen sind sie sich im großen und ganzen einig. Gelegentlich haben sie sogar mit vereinten Kräften versucht, Regierungsvertreter zu beeinflussen, damit diese die Tätigkeit der Zeugen unterbinden. Auch wo nichtchristliche Religionen das Leben bestimmen, hat man oft die Regierung dazu benutzt, die Leute gegen Lehren abzuschirmen, die sie veranlassen könnten, ihre angestammte Religion in Frage zu ziehen.

Manchmal haben sich diese nichtchristlichen Gruppen mit nominellen Christen zusammengetan und mit vereinten Kräften intrigiert, damit der religiöse Status quo erhalten bliebe. Anfang der 50er Jahre verschworen sich in Dekin in Dahomey (heute Benin) ein katholischer Priester und ein Fetischpriester, um Beamte zu veranlassen, die Tätigkeit der Zeugen Jehovas zu unterdrücken. In ihrer Verzweiflung konstruierten sie Beschuldigungen, die darauf abzielten, alle möglichen feindseligen Gefühle zu erzeugen. Sie beschuldigten die Zeugen, Menschen zum Aufstand gegen die Regierung aufzufordern, keine Steuern zu zahlen und dafür verantwortlich zu sein, daß die Fetische keinen Regen gäben und die Gebete der Priester wirkungslos blieben. Alle diese religiösen Führer fürchteten, daß ihre Anhänger etwas lernen könnten, wodurch sie von Aberglauben befreit und nicht mehr blind gehorchen würden.

An vielen Orten hat jedoch der Einfluß der Geistlichen langsam nachgelassen. Jetzt erleben sie, daß die Polizei nicht immer hinter ihnen steht, wenn sie die Zeugen schikanieren. Als 1986 ein griechisch-orthodoxer Priester versuchte, einen Kongreß, den Jehovas Zeugen in Larisa (Griechenland) abhielten, mit Hilfe einer aufgewiegelten Menge zu sprengen, schritt der Staatsanwalt mit großem Polizeiaufgebot zugunsten der Zeugen ein. Und manchmal hat die Presse religiöse Unduldsamkeit schonungslos angeprangert.

Dessenungeachtet haben andere Streitfragen in vielen Ländern Verfolgungswellen ausgelöst. Eine dieser Streitfragen hat mit der Einstellung der Zeugen Jehovas zu Hoheitszeichen zu tun.

Weil sie nur Jehova anbeten

In der Neuzeit wurden Jehovas Zeugen zuerst im nationalsozialistischen Deutschland in hohem Maße mit Streitfragen konfrontiert, die nationalistische Zeremonien betrafen. Hitler wollte das deutsche Volk unter Kontrolle haben und machte deshalb den nationalsozialistischen Gruß: „Heil Hitler!“ zur Pflicht. Der schwedische Journalist Björn Hallström, ein Sprecher beim BBC, berichtete, daß man Jehovas Zeugen in Deutschland, wenn sie unter dem NS-Regime verhaftet wurden, meistens auch „Verweigerung des Fahnengrußes und des nationalsozialistischen Grußes“ vorwarf. Bald forderten andere Nationen ebenfalls, daß jeder die Fahne grüßte. Jehovas Zeugen weigerten sich — nicht aus Illoyalität, sondern wegen ihres christlichen Gewissens. Sie respektieren die Fahne, aber den Fahnengruß betrachten sie als einen Akt der Anbetung. f

Nachdem ungefähr 1 200 Zeugen in Deutschland zu Beginn des NS-Regimes ins Gefängnis gekommen waren, weil sie sich geweigert hatten, den nationalsozialistischen Gruß zu entbieten und ihre christliche Neutralität zu verletzen, wurden in den Vereinigten Staaten Tausende mißhandelt, weil sie sich weigerten, die amerikanische Fahne zu grüßen. In der Woche vom 4. November 1935 wurden in Canonsburg (Pennsylvanien) einige Schulkinder in den Heizungsraum gebracht und verprügelt, weil sie die Fahne nicht gegrüßt hatten. Grace Estep, eine Lehrerin, wurde aus dem gleichen Grund aus ihrer Stellung an der Schule entlassen. Am 6. November weigerten sich William und Lillian Gobitas, die Fahne zu grüßen, und wurden von der Schule in Minersville (Pennsylvanien) gewiesen. Ihr Vater klagte auf Wiederaufnahme seiner Kinder. Sowohl das Bundesbezirksgericht als auch die Berufungsinstanz entschieden den Fall zugunsten von Jehovas Zeugen. 1940 jedoch, als die Nation am Rande des Krieges stand, entschied das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten im Fall Schulbezirk Minersville gegen Gobitis mit acht Stimmen gegen eine, daß der Fahnengruß an öffentlichen Schulen obligatorisch sei. Das führte landesweit zu einer Lawine von Gewalttätigkeiten gegen Jehovas Zeugen.

Es gab so viele heftige Angriffe auf Jehovas Zeugen, daß Eleanor Roosevelt (die Frau des Präsidenten) die Öffentlichkeit inständig bat, damit aufzuhören. In einer am 16. Juni 1940 landesweit ausgestrahlten Rundfunksendung erwähnte Francis Biddle, oberster Prozeßvertreter vor dem Obersten Bundesgericht, besonders die an Zeugen Jehovas begangenen Greueltaten und sagte, man würde diese nicht tolerieren. Das glättete jedoch nicht die Wogen.

Unter allen nur denkbaren Umständen — auf der Straße, am Arbeitsplatz, im Predigtdienst an den Türen — wurden den Zeugen Fahnen entgegengestreckt mit der Aufforderung, sie zu grüßen, sonst könnten sie sich auf etwas gefaßt machen! Ende 1940 wurde im Jahrbuch der Zeugen Jehovas folgendes berichtet: „Die Hierarchie und die American Legion [Frontkämpferbund] haben durch den Pöbel, der das Gesetz selbst in die Hand nahm, unbeschreiblich schwer gewütet. Jehovas Zeugen wurden angegriffen, geschlagen, entführt, aus Städten, Kreisen und Staaten vertrieben, geteert und gefedert, sie mußten Rizinusöl trinken, wurden zusammengebunden und wie Vieh durch die Straßen getrieben, kastriert und verstümmelt, von dämonisierten Massen verhöhnt und beschimpft, zu Hunderten ohne Anklage ins Gefängnis geworfen und in Isolationshaft gehalten, und ihnen wurde das Recht verweigert, sich mit Verwandten, Freunden oder Rechtsanwälten zu beraten. Hunderte wurden ins Gefängnis geworfen und in sogenanntem ‚Schutzgewahrsam‘ gehalten; einige wurden nachts erschossen; anderen wurde gedroht, sie zu erhängen, und sie wurden bewußtlos geschlagen. Der Pöbel wandte zahllose Varianten von Gewalttaten an. Vielen wurden die Kleider heruntergerissen, ihre Bibeln und andere Literatur weggenommen und öffentlich verbrannt; ihre Autos, Wohnwagen, Wohnungen und Zusammenkunftsstätten wurden zerstört und in Brand gesetzt ... In zahllosen Fällen, wo die Prozesse in vom Pöbel beherrschten Gemeinden stattfanden, wurden sowohl Rechtsanwälte als auch Zeugen, während sie der Verhandlung beiwohnten, angepöbelt und geschlagen. Fast immer, wenn der Pöbel gewalttätig wurde, standen Polizisten tatenlos daneben und weigerten sich, Schutz zu gewähren, und in Dutzenden von Fällen haben sich die Gesetzeshüter an den Pöbelaktionen beteiligt und manchmal den Pöbel sogar angeführt.“ Zwischen 1940 und 1944 gab es in den Vereinigten Staaten über 2 500 Pöbelangriffe auf Zeugen Jehovas.

Weil so viele Kinder von Zeugen Jehovas von der Schule gewiesen worden waren, mußten die Zeugen Ende der 30er und Anfang der 40er Jahre in den Vereinigten Staaten und in Kanada eigene Schulen einrichten, um ihren Kindern eine Schulbildung zu vermitteln. Man nannte sie Königreichsschulen.

Auch in anderen Ländern sind Jehovas Zeugen hart verfolgt worden, weil sie sich weigerten, Hoheitszeichen zu grüßen oder zu küssen. 1959 wurde in Costa Rica Kindern von Zeugen Jehovas, die an der im Gesetz so genannten „Verehrung nationaler Symbole“ nicht teilnehmen wollten, der Zutritt zu den Schulen verwehrt. Die gleiche Behandlung widerfuhr Kindern von Zeugen 1984 in Paraguay. 1959 bestimmte das Oberste Gericht der Philippinen, daß die Kinder von Zeugen Jehovas trotz religiöser Einwände gezwungen werden könnten, die Fahne zu grüßen. Dessenungeachtet verhielten sich die meisten Schulbehörden den Zeugen gegenüber kooperativ, so daß ihre Kinder die Schule besuchen konnten, ohne ihr Gewissen zu vergewaltigen. In Liberia (Westafrika) bezichtigten Beamte 1963 die Zeugen, dem Staat gegenüber illoyal zu sein; sie sprengten einen Kongreß, den die Zeugen in Gbarnga abhielten, und verlangten, daß alle Anwesenden — sowohl Liberianer als auch Ausländer — der Nationalflagge die Treue gelobten. 1976 erschien ein Bericht mit dem Titel „Jehovas Zeugen in Kuba“, in dem es hieß, daß in den zwei vorhergehenden Jahren tausend Väter und Mütter ins Gefängnis gebracht worden waren, weil ihre Kinder die Fahne nicht grüßen wollten.

Nicht alle waren mit solch repressiven Maßnahmen gegen Menschen einverstanden, die es aus Gewissensgründen respektvoll ablehnen, sich an patriotischen Zeremonien zu beteiligen. The Open Forum, eine von der südkalifornischen Zweigstelle der amerikanischen Bürgerrechtsunion herausgegebene Zeitung, erklärte 1941: „Es ist höchste Zeit, daß wir in dieser Fahnengrußangelegenheit zur Vernunft kommen. Jehovas Zeugen sind keine illoyalen Amerikaner. ... Sie neigen im allgemeinen nicht dazu, Gesetze zu brechen, sondern führen ein anständiges, ordentliches Leben und leisten ihren Beitrag zum Allgemeinwohl.“ In Argentinien schrieb 1976 ein Zeitungskolumnist des in Buenos Aires erscheinenden Herald ganz offen über die Zeugen: „[Ihre] Glaubensansichten sind nur für Leute anstößig, die denken, der Patriotismus sei hauptsächlich eine Sache des Fahnenschwenkens und des Singens der Nationalhymne und nicht eine Sache des Herzens.“ Er fügte hinzu: „Für Hitler und Stalin waren ... [die Zeugen] schwer verdaulich, und sie behandelten sie abscheulich. Viele weitere Diktatoren, die Gleichschaltung verlangen, haben versucht, sie zu unterdrücken, und es ist ihnen nicht gelungen.“

Es ist allgemein bekannt, daß einige religiöse Gruppen die Anwendung von Waffengewalt gegen Regierungen, die von ihnen nicht gebilligt wurden, unterstützt haben. Aber Jehovas Zeugen haben sich noch nie irgendwo an einem politischen Umsturz beteiligt. Nicht aus Illoyalität — etwa, weil sie eine andere menschliche Regierung unterstützen würden — weigern sie sich, ein Hoheitszeichen zu grüßen. In jedem Land, in dem sie leben, nehmen sie denselben Standpunkt ein. Sie verhalten sich nicht respektlos. Sie pfeifen oder schreien nicht, um patriotische Zeremonien zu stören; weder spucken sie auf die Fahne, noch trampeln sie darauf herum, noch verbrennen sie sie. Jehovas Zeugen sind nicht regierungsfeindlich. Ihre Haltung stützt sich auf Jesu Äußerung in Matthäus 4:10: „Jehova, deinen Gott, sollst du anbeten, und ihm allein sollst du heiligen Dienst darbringen.“

Der Standpunkt, den Jehovas Zeugen einnehmen, entspricht dem der ersten Christen in den Tagen des römischen Weltreiches. Über diese ersten Christen heißt es in dem Buch Essentials of Bible History (Elmer W. K. Mould, 1951, S. 563): „Der Akt des Kaiserkultes bestand darin, daß auf einen Altar ein paar Körnchen Weihrauch gestreut oder ein paar Tropfen Wein gesprengt wurden, der vor einem Bildnis des Kaisers stand. Vielleicht sehen wir wegen unseres großen zeitlichen Abstandes von der Situation in dem Akt nichts anderes, als es ... das Erheben der Hand zum Grüßen der Fahne oder eines hervorragenden Staatsmannes ist — ein Ausdruck der Höflichkeit, des Respekts und des Patriotismus. Vielleicht dachten die meisten Leute im ersten Jahrhundert genauso darüber, nicht aber die Christen. Sie sahen darin einen Akt religiöser Verehrung; sie meinten, daß sie dadurch den Kaiser als Gott anerkennen würden und Gott und Christus gegenüber illoyal wären, und weigerten sich, dies zu tun.“

Gehaßt, weil sie „kein Teil der Welt“ sind

Weil Jesus sagte, daß seine Jünger „kein Teil der Welt“ seien, mischen sich Jehovas Zeugen nicht in die politischen Angelegenheiten ein (Joh. 17:16; 6:15). Auch in dieser Hinsicht sind sie wie die ersten Christen, über die Historiker sagen:

„Die Obrigkeit der heidnischen Welt brachte den ersten Christen wenig Verständnis entgegen und war ihnen nicht günstig gesinnt. ... Die Christen weigerten sich, gewisse Bürgerpflichten, die den Römern oblagen, zu erfüllen. ... Sie bekleideten keine politischen Ämter“ (A. K. Heckel und J. G. Sigman, On the Road to Civilization—A World History, 1937, S. 237, 238). „Sie [konnten] nicht bewogen werden an der Civilverwaltung oder der militairischer Vertheidigung des Reiches einen thätigen Antheil zu nehmen ... es war unmöglich, daß Christen, ohne eine heiligere Pflicht zu verläugnen, den Charakter von Kriegern, obrigkeitlichen Personen oder Fürsten annehmen konnten“ (Edward Gibbon, Geschichte des Verfalles und Unterganges des römischen Weltreiches, deutsche Ausgabe von J. Sporschil, 1837, S. 382).

Diese Haltung ist in der Welt nicht gern gesehen, besonders in Ländern, deren Herrscher verlangen, daß bei bestimmten Tätigkeiten jeder mitmacht, als Beweis dafür, daß er das politische System unterstützt. Das Ergebnis ist so, wie Jesus es sagte: „Wenn ihr ein Teil der Welt wärt, so wäre der Welt das Ihrige lieb. Weil ihr nun kein Teil der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt auserwählt habe, deswegen haßt euch die Welt“ (Joh. 15:19).

In manchen Ländern besteht Wahlpflicht. Nicht zu wählen wird mit einer Geld- oder Gefängnisstrafe oder Schlimmerem geahndet. Doch Jehovas Zeugen unterstützen das messianische Königreich Gottes, das, wie Jesus sagte, „kein Teil dieser Welt“ ist. Daher lassen sie sich nicht in die politischen Angelegenheiten der Nationen dieser Welt hineinziehen (Joh. 18:36). Es ist eine persönliche Entscheidung; sie zwingen anderen ihre Meinung nicht auf. Wo es an religiöser Toleranz fehlt, haben Regierungsvertreter die heftige Verfolgung damit begründet, daß die Zeugen nicht wählen. Das war zum Beispiel in den Ländern der Fall, die unter nationalsozialistische Kontrolle gekommen waren. Ähnlich war es auch in Kuba. In vielen Ländern waren die Beamten jedoch toleranter.

An manchen Orten haben die Machthaber allerdings verlangt, daß jeder seine Unterstützung der herrschenden politischen Partei dadurch zeigt, daß er bestimmte Slogans ruft. Tausende von Zeugen Jehovas, die das nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten, wurden in den 70er und 80er Jahren in Teilen Ostafrikas geschlagen, ihres Lebensunterhalts beraubt und aus ihren Wohnungen vertrieben. Zwar sind Jehovas Zeugen in allen Ländern fleißig und gesetzestreu, aber was politische Streitfragen betrifft, sind sie als Christen neutral.

In Malawi gibt es nur eine politische Partei, und der Besitz einer Parteimitgliedskarte zeigt die Mitgliedschaft an. Obwohl die Zeugen beispielhaft im Zahlen von Steuern sind, lehnen sie es in Übereinstimmung mit ihrem Glauben ab, Parteimitgliedskarten zu kaufen. Das zu tun käme einer Verleugnung ihres Glaubens an Gottes Königreich gleich. Deshalb unternahmen Ende 1967 Banden von Jugendlichen, die von Regierungsvertretern dazu ermutigt wurden, in ganz Malawi einen radikalen Angriff auf Jehovas Zeugen, der in seiner Obszönität und seiner sadistischen Grausamkeit beispiellos war. Über tausend treue Christinnen wurden vergewaltigt. Manche wurden vor großen Pöbelhaufen ausgezogen und mit Fäusten und Stöcken geschlagen und dann von einem Mann nach dem anderen vergewaltigt. Männern wurden Nägel durch die Füße getrieben und Fahrradspeichen durch die Beine, und dann wurde ihnen befohlen zu laufen. Im ganzen Land wurden ihre Wohnungen und Möbel demoliert und ihre Kleidungsstücke und Nahrungsmittelvorräte vernichtet.

Nach dem jährlichen Parteitag der Malawi Congress Party im Jahre 1972 kam es zu einem erneuten Ausbruch von Brutalität. Auf diesem Parteitag wurde offiziell beschlossen, Jehovas Zeugen ihre Arbeitsplätze wegzunehmen und sie aus ihren Wohnungen zu vertreiben. Sogar die dringenden Bitten der Arbeitgeber, diese bewährten Arbeiter behalten zu dürfen, nützten nichts. Wohnungen wurden beschlagnahmt oder zerstört, Ernten vernichtet und Haustiere getötet. Man hinderte die Zeugen daran, aus dem Dorfbrunnen Wasser zu schöpfen. Viele wurden geschlagen, vergewaltigt, verstümmelt oder ermordet. Die ganze Zeit über wurden sie wegen ihres Glaubens verspottet und lächerlich gemacht. Schließlich flohen über 34 000 aus dem Land, um nicht ermordet zu werden.

Doch damit war noch nicht alles vorbei. Zunächst wurden sie aus einem, später aus einem weiteren Land über die Grenze abgeschoben, direkt in die Hände ihrer Verfolger, die ihre Brutalitäten fortsetzten. Trotz alledem gingen sie keine Kompromisse ein, und sie gaben ihren Glauben an Jehova Gott nicht auf. Sie bewiesen, daß sie wie jene treuen Diener Gottes waren, über die die Bibel sagt: „Andere erhielten ihre Erprobung durch Verspottungen und Geißelungen, in der Tat, mehr als das, durch Fesseln und Gefängnisse. Sie wurden gesteinigt, sie wurden auf die Probe gestellt, sie wurden zersägt, sie starben durch Hinschlachtung mit dem Schwert, sie gingen in Schaffellen, in Ziegenhäuten umher, während sie Mangel, Drangsal, Mißhandlung erlitten; und die Welt war ihrer nicht würdig“ (Heb. 11:36-38).

Verfolgt in allen Nationen

Sind es nur verhältnismäßig wenige Nationen, die ihren Anspruch, in ihrem Land herrsche Freiheit, durch solche religiöse Verfolgung Lügen strafen? Keineswegs! Jesus Christus sagte warnend zu seinen Nachfolgern: „Ihr werdet um meines Namens willen Gegenstand des Hasses aller Nationen sein“ (Mat. 24:9).

Seit 1914, während der letzten Tage des gegenwärtigen Systems der Dinge, ist dieser Haß besonders stark. Kanada und die Vereinigten Staaten eröffneten den Angriff, indem sie während des Ersten Weltkrieges Verbote über biblische Literatur verhängten, und schon bald folgten Indien und Njassaland (heute Malawi) ihrem Beispiel. In den 20er Jahren wurden den Bibelforschern in Griechenland, Italien, Rumänien, Spanien und Ungarn willkürliche Beschränkungen auferlegt. In einigen dieser Länder wurde die Verbreitung biblischer Literatur untersagt; manchmal wurde sogar verboten, daß man privat zusammenkam. Der Angriff verstärkte sich, als in den 30er Jahren weitere Länder hinzukamen. In Albanien, Bulgarien, Estland, Jugoslawien, Lettland, Litauen, Österreich, Polen, einigen Kantonen der Schweiz, an der Goldküste (heute Ghana), in französischen Gebieten Afrikas, auf Trinidad und auf Fidschi wurden Verbote verhängt (einige über Jehovas Zeugen, andere über ihre Literatur).

Während des Zweiten Weltkrieges waren Jehovas Zeugen, ihr öffentlicher Predigtdienst und ihre biblische Literatur in vielen Ländern verboten. Dies traf nicht nur auf Deutschland, Italien und Japan zu, die unter diktatorischer Herrschaft standen, sondern auch auf eine Reihe von Ländern, die vor oder während des Krieges unter ihre direkte oder indirekte Herrschaft kamen. Darunter waren Albanien, Belgien, Korea, die Niederlande, Niederländisch-Indien (heute Indonesien), Norwegen, Österreich und die Tschechoslowakei. In jenen Jahren erließen ferner Argentinien, Brasilien, Finnland, Frankreich und Ungarn Gesetze gegen Jehovas Zeugen oder ihre Tätigkeit.

Großbritannien verbot das Werk der Zeugen Jehovas während des Krieges nicht direkt, aber es wies den aus Amerika gebürtigen Zweigaufseher aus und bemühte sich, die Tätigkeit der Zeugen dadurch zum Erliegen zu bringen, daß es für die Zeit des Krieges ein Embargo über ihre biblische Literatur verhängte. Im ganzen Britischen Reich und im Commonwealth wurden Jehovas Zeugen oder aber ihre Literatur verboten. Australien, die Bahamas, Basutoland (heute Lesotho), Betschuanaland (heute Botsuana), Birma (heute Myanmar), Britisch-Guayana (heute Guyana), Ceylon (heute Sri Lanka), Dominica, Fidschi, die Goldküste (heute Ghana), Indien, Jamaika, Kanada, die Leeward Islands (britische Westindische Inseln), Neuseeland, Nigeria, Njassaland (heute Malawi), Nordrhodesien (heute Sambia), Singapur, Südafrika, Südrhodesien (heute Simbabwe), Swasiland und Zypern — überall dort unternahm man Schritte, durch die Feindschaft gegenüber Jehovas Zeugen zum Ausdruck kam.

Als der Krieg zu Ende war, ließ die Verfolgung von seiten einiger Gruppen nach, aber von seiten anderer nahm sie zu. In den 45 Jahren danach wurde Jehovas Zeugen in vielen Ländern die rechtliche Anerkennung verweigert, außerdem waren sie oder ihre Tätigkeit in 23 afrikanischen, 9 asiatischen, 8 europäischen, 3 lateinamerikanischen Ländern und in 4 Inselstaaten direkt verboten. 1992 waren Jehovas Zeugen in 24 Ländern Einschränkungen auferlegt.

Das bedeutet nicht, daß alle Regierungsvertreter das Werk der Zeugen Jehovas persönlich bekämpfen. Viele treten für Religionsfreiheit ein und erkennen an, daß die Zeugen für die Allgemeinheit ein Gewinn sind. Sie stimmen nicht mit denen überein, die erreichen wollen, daß man offiziell gegen die Zeugen einschreitet. Bevor die Elfenbeinküste (heute Côte d’Ivoire) ihre Unabhängigkeit erlangte, versuchten zum Beispiel ein katholischer Priester und ein Methodistenprediger einen hohen Beamten zu beeinflussen, Jehovas Zeugen des Landes zu verweisen; sie mußten jedoch feststellen, daß der Beamte nicht der Strohmann für die Geistlichen sein wollte. Als 1990 ein Regierungsvertreter versuchte, das Gesetz von Namibia so zu formulieren, daß Flüchtlinge diskriminiert würden, die als Zeugen Jehovas bekannt waren, ließ die verfassunggebende Versammlung dies nicht zu. Und in vielen Ländern, in denen Jehovas Zeugen verboten waren, sind sie jetzt rechtlich anerkannt.

Dennoch werden Jehovas Zeugen überall in der Welt auf verschiedene Weise verfolgt (2. Tim. 3:12). An manchen Orten kommt die Verfolgung hauptsächlich von schimpfenden Wohnungsinhabern, gegnerischen Verwandten oder Arbeitskollegen und Schulkameraden, die keine Gottesfurcht haben. Ganz gleich, wer die Verfolger sind und wie sie ihr Vorgehen zu rechtfertigen suchen, Jehovas Zeugen verstehen, was wirklich dahintersteckt, wenn wahre Christen verfolgt werden.

Die Streitfrage

In Wachtturm-Publikationen wurde schon lange darauf hingewiesen, daß im ersten Bibelbuch die Feindschaft oder der Haß Satans, des Teufels, und derer, die von ihm beherrscht werden, gegen Jehovas himmlische Organisation und ihre irdischen Vertreter in symbolischer Sprache vorausgesagt ist (1. Mo. 3:15; Joh. 8:38, 44; Offb. 12:9, 17). Besonders seit 1925 hat Der Wacht-Turm aus der Bibel gezeigt, daß es hauptsächlich zwei Organisationen gibt — die Organisation Jehovas und die Satans. Und wie es in 1. Johannes 5:19 heißt, liegt „die ganze Welt“ — das heißt die gesamte Menschheit außerhalb der Organisation Jehovas — „in der Macht dessen, der böse ist“. Deshalb werden alle wahren Christen verfolgt (Joh. 15:20).

Doch warum läßt Gott das zu? Wird dadurch irgend etwas Gutes erreicht? Jesus Christus erklärte, daß es, bevor er als himmlischer König Satan und seine böse Organisation vernichten würde, eine Trennung der Menschen aller Nationen geben werde, so als trennte ein Hirte im Nahen Osten Schafe von Ziegen. Die Menschen würden die Gelegenheit erhalten, von Gottes Königreich zu hören und auf dessen Seite Stellung zu beziehen. Wenn die Verkündiger dieses Königreiches verfolgt werden, wird folgende Frage noch stärker in den Vordergrund gerückt: Werden diejenigen, die davon hören, den „Brüdern“ Christi und seinen Gefährten Gutes tun und dadurch zeigen, daß sie Christus lieben? Oder werden sie sich mit denen vereinen, die die Vertreter des Königreiches Gottes mit Beschimpfungen überhäufen, oder werden sie vielleicht stillschweigen, während andere das tun? (Mat. 25:31-46; 10:40; 24:14). In Malawi sahen einige ganz deutlich, wer dem wahren Gott diente, und taten sich mit den verfolgten Zeugen zusammen. In den deutschen Konzentrationslagern taten nicht wenige Gefangene und sogar einige Wärter dasselbe.

Auch wenn man falsche Anklagen gegen Jehovas Zeugen erhebt, sie mißhandelt oder wegen ihres Glaubens an Gott verspottet, fühlen sie sich nicht von Gott verlassen. Sie wissen, daß Jesus Christus dasselbe erlebt hat (Mat. 27:43). Sie wissen auch, daß Jesus durch seine Loyalität gegenüber Jehova den Teufel zum Lügner stempelte und zur Heiligung des Namens seines Vaters beitrug. Jeder Zeuge Jehovas möchte dasselbe tun (Mat. 6:9).

Es geht nicht um die Frage, ob sie die Qualen überleben und dem Tod entgehen. Jesus Christus sagte vorher, daß einige seiner Nachfolger getötet würden (Mat. 24:9). Er selbst wurde getötet. Aber er schloß niemals Kompromisse mit Gottes Hauptwidersacher, Satan, dem Teufel, dem „Herrscher der Welt“. Jesus besiegte die Welt (Joh. 14:30; 16:33). Die Frage ist also, ob Anbeter des wahren Gottes ihm treu bleiben trotz aller Härten, die sie vielleicht durchstehen müssen. Jehovas Zeugen in der Neuzeit haben den überzeugenden Beweis erbracht, daß sie die gleiche Einstellung haben wie der Apostel Paulus, der schrieb: „Denn wenn wir leben, leben wir für Jehova, und auch wenn wir sterben, sterben wir für Jehova. Darum, wenn wir leben und auch wenn wir sterben, gehören wir Jehova“ (Röm. 14:8).

[Fußnoten]

a Die Bibelforscher verstanden damals nicht völlig, was die Zeugen heute aus der Bibel über Männer als Lehrer in der Versammlung wissen (1. Kor. 14:33, 34; 1. Tim. 2:11, 12). So kam es, daß Maria Russell Mitherausgeber des Wacht-Turms war und regelmäßig Beiträge schrieb.

b Joseph F. Rutherford, Präsident der Watch Tower Society; William E. Van Amburgh, Schriftführer und Schatzmeister der Gesellschaft; Robert J. Martin, Büroleiter; Frederick H. Robison, Mitglied des Herausgeberkomitees des Wacht-Turms; A. Hugh Macmillan, Vorstandsmitglied der Gesellschaft; George H. Fisher und Clayton J. Woodworth, die Das vollendete Geheimnis zusammengestellt hatten.

c Giovanni DeCecca, der in der italienischen Abteilung im Büro der Watch Tower Society arbeitete.

d Martin T. Manton, Richter beim Berufungsgericht und eifriger Katholik, lehnte am 1. Juli 1918 einen zweiten Kautionsantrag ab. Als das Bundesberufungsgericht später das Urteil über die Angeklagten aufhob, stimmte Manton als einziger dagegen. Interessanterweise erhielt ein eigens eingerichtetes Berufungsgericht am 4. Dezember 1939 einen Schuldspruch gegen Manton aufrecht, der wegen Mißbrauchs der richterlichen Gewalt, Unehrlichkeit und Betrugs verurteilt worden war.

e Daß diese Männer ungerechterweise im Gefängnis saßen und keine Straftäter waren, wird durch die Tatsache bewiesen, daß J. F. Rutherford von seiner Zulassung im Mai 1909 an bis zu seinem Tod 1942 ein Mitglied der Anwaltsvereinigung am Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten blieb. In 14 Fällen, in denen zwischen 1939 und 1942 vor dem Obersten Bundesgericht Berufung eingelegt wurde, trat J. F. Rutherford als Rechtsanwalt auf. In den Fällen Schneider gegen Staat New Jersey (1939) und Schulbezirk Minersville gegen Gobitis (1940) trug er persönlich vor dem Obersten Bundesgericht die Begründung des Rechtsmittels vor. Auch A. H. Macmillan, einer der 1918/19 zu Unrecht inhaftierten Männer, wurde vom Leiter der für die Strafanstalten verantwortlichen Bundesbehörde während des Zweiten Weltkrieges als regelmäßiger Besucher in Bundesstrafanstalten der USA zugelassen, um sich der geistigen Belange junger Männer anzunehmen, die dort einsaßen, weil sie für die christliche Neutralität eintraten.

f In der Encyclopedia Americana, 1942, Band 11, Seite 316 heißt es: „So wie das Kreuz ist auch die Fahne heilig. ... Die Vorschriften und Bestimmungen über die Haltung der Menschen den Landesfahnen gegenüber enthalten gewichtige, ausdrucksvolle Worte, wie z. B. ‚Dienst an der Fahne‘, ... ‚Ehrfurcht vor der Fahne‘ und ‚Hingabe an die Fahne‘.“ In Brasilien wurde im Diário da Justiça vom 16. Februar 1956 auf Seite 1904 berichtet, daß ein Militär anläßlich einer öffentlichen Zeremonie folgendes sagte: „Fahnen sind in der patriotischen Religion zu göttlichem Rang erhoben worden ... Die Fahne wird geehrt und verehrt.“

[Herausgestellter Text auf Seite 642]

Jesus Christus wurde in erster Linie von den religiösen Führern verfolgt

[Herausgestellter Text auf Seite 645]

„Gott ordiniert oder autorisiert einen Menschen zum Predigen dadurch, daß er ihm den heiligen Geist gewährt“

[Herausgestellter Text auf Seite 647]

Das Buch „Das vollendete Geheimnis“ stellte die Heuchelei der Geistlichkeit der Christenheit rundheraus bloß

[Herausgestellter Text auf Seite 650]

Christliche Männer und Frauen wurden vom Pöbel angegriffen, ins Gefängnis geworfen und dort ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten

[Herausgestellter Text auf Seite 652]

„Die Freiheitsstrafen sind offensichtlich unangemessen hoch“ (Woodrow Wilson, Präsident der Vereinigten Staaten)

[Herausgestellter Text auf Seite 656]

Für jemand, der nicht tat, was der Priester sagte, gab es kaum Gerechtigkeit

[Herausgestellter Text auf Seite 666]

Die Priester forderten Lehrer auf, Kinder aus der Schule zu schicken, damit sie die Zeugen mit Steinen bewarfen

[Herausgestellter Text auf Seite 668]

Die Geistlichen haben die Zeugen mit vereinten Kräften bekämpft

[Herausgestellter Text auf Seite 671]

In den Vereinigten Staaten griff der Pöbel Zeugen Jehovas an

[Herausgestellter Text auf Seite 676]

Jehovas Zeugen werden überall in der Welt verfolgt

[Kasten auf Seite 655]

Die Geistlichkeit zeigt ihre wahren Gefühle

Die Reaktionen religiöser Zeitschriften auf die Verurteilung J. F. Rutherfords und seiner Gefährten im Jahre 1918 sind bezeichnend:

◆ „The Christian Register“: „Wogegen die Regierung hier ganz gezielt vorgeht, ist die Anmaßung, religiöse Ideen, so verrückt und schädlich sie auch sein mögen, dürften ungestraft propagiert werden. Das ist ein alter Trugschluß, und bisher waren wir diesbezüglich allzu sorglos. ... Allem Anschein nach ist es mit dem Russellismus aus und vorbei.“

◆ In „The Western Recorder“, einer Publikation der Baptisten, war zu lesen: „Man braucht sich nicht zu wundern, daß der Kopf dieser streitsüchtigen Sekte in einer Anstalt für Aufsässige inhaftiert werden soll. ... Das wirklich komplizierte Problem in diesem Zusammenhang ist, ob die Angeklagten in eine Irrenanstalt oder in ein Gefängnis gebracht werden sollten.“

◆ „The Fortnightly Review“ lenkte die Aufmerksamkeit auf den Kommentar in der New Yorker „Evening Post“, in der es hieß: „Wir hoffen, daß die Religionslehrer überall die Urteilsbegründung dieses Richters zur Kenntnis nehmen, nämlich, daß irgendeine Religion zu lehren, ausgenommen die, die mit dem geschriebenen Recht absolut in Übereinstimmung ist, ein schweres Verbrechen ist, das noch größer wird, wenn der Prediger des Evangeliums aufrichtig ist.“

◆ „The Continent“ bezeichnete die Angeklagten verächtlich als Nachfolger des verstorbenen „Pastors Russell“ und verdrehte ihre Glaubensansichten, indem er schrieb, sie setzten sich dafür ein, „daß alle, ausgenommen Sünder, davon freigestellt werden sollten, gegen den deutschen Kaiser zu kämpfen“. Die Zeitschrift behauptete, daß laut Aussage des Justizministers in Washington (D. C.) „sich die italienische Regierung vor einiger Zeit bei den Vereinigten Staaten beschwert hat, Rutherford und seine Gefährten ... hätten unter den italienischen Streitkräften eine Menge Antikriegspropaganda in Umlauf gebracht“.

◆ Eine Woche später veröffentlichte „The Christian Century“ einen Großteil des obigen Artikels Wort für Wort, was zeigt, daß die Herausgeber damit völlig übereinstimmten.

◆ Die katholische Zeitschrift „Truth“ berichtete kurz über die verhängte Strafe und brachte dann die Gefühle ihrer Herausgeber wie folgt zum Ausdruck: „Die Literatur dieser Vereinigung ist voll von bösartigen Angriffen auf die katholische Kirche und ihre Geistlichkeit.“ In dem Bemühen, jeden als „Aufrührer“ abzustempeln, der es wagt, öffentlich eine andere Meinung zu vertreten als die katholische Kirche, wurde hinzugefügt: „Es wird immer offensichtlicher, daß der Geist der Intoleranz eng verknüpft ist mit dem des Aufruhrs.“

◆ Dr. Ray Abrams bemerkte in seinem Buch „Preachers Present Arms“: „Als die Herausgeber der Kirchenzeitungen davon erfuhren, daß die Angeklagten zu zwanzig Jahren verurteilt worden waren, jubelten sie praktisch alle, ob klein oder groß, über das Ereignis. Ich konnte nicht ein einziges Wort der Anteilnahme in irgendeinem orthodoxen religiösen Blatt finden.“

[Kasten auf Seite 660]

„Aus religiösen Gründen verfolgt“

„... so gab es im KLM [Konzentrationslager Mauthausen] eine Personengruppe, die nur aus religiösen Gründen verfolgt wurde: Angehörige der Sekte ‚Ernste Bibelforscher‘ bzw. ‚Zeugen Jehovas‘ ... Die Ablehnung, den Treu-Eid auf Hitler zu leisten und die Verweigerung jedweden Militärdienstes — eine politische Konsequenz ihres Glaubens — waren Ursache ihrer Verfolgung“ („Die Geschichte des Konzentrationslagers Mauthausen“, dokumentiert von Hans Maršálek, Wien 1974).

[Kasten/Bild auf Seite 661]

Die SS versuchte die Zeugen zu zwingen, diese Erklärung zu unterschreiben

Konzentrationslager ..........................

Abteilung II

ERKLÄRUNG.

Ich, - der - die .............................

geboren am: ..................................

in: ..........................................

gebe hiermit folgende Erklärung ab:

1. Ich habe erkannt, dass die Internationale Bibelforschervereinigung eine Irrlehre verbreitet und unter dem Deckmantel religiöser Betätigung lediglich staatsfeindliche Ziele verfolgt.

2. Ich habe mich deshalb voll und ganz von dieser Organisation abgewandt, und mich auch innerlich von dieser Sekte freigemacht.

3. Ich versichere hiermit, dass ich mich nie wieder für die Internationale Bibelforschervereinigung betätigen werde. Personen, die für die Irrlehre der Bibelforscher an mich werbend herantreten oder in anderer Weise ihre Einstellung als Bibelforscher bekunden, werde ich unverzüglich zur Anzeige bringen. Sollten mir Bibelforscherschriften zugesandt werden, so werde ich diese umgehend bei der nächsten Polizeidienststelle abgeben.

4. Ich will künftig die Gesetze des Staates achten, insbesondere im Falle eines Krieges mein Vaterland mit der Waffe in der Hand verteidigen und mich voll und ganz in die Volksgemeinschaft eingliedern.

5. Mir ist eröffnet worden, dass ich mit meiner erneuten Inschutzhaftnahme zu rechnen habe, wenn ich meiner heute abgegebenen Erklärung zuwiderhandle.

..............................., den ............... .....................................................

Unterschrift.

[Kasten auf Seite 662]

Briefe von zum Tode Verurteilten

Franz Reiter schrieb vor seiner Hinrichtung mit dem Fallbeil am 6. Januar 1940 aus der Haftanstalt Berlin-Plötzensee an seine Mutter:

„In meinem Glauben bin ich fest überzeugt, daß ich richtig handle. Ich hätte mich hier noch ändern können, aber das wäre Untreue bei Gott. Wir alle hier wollen Gott treu sein, zu seiner Ehre. ... Wenn ich den Schwur [militärischen Eid] gemacht hätte in meiner Erkenntnis, so würde ich eine Todsünde begangen haben. Das wäre ein Übel für mich. Es gäbe für mich keine Auferstehung. Ich halte mich aber daran, was Christus sagt: ‚Wer das Leben sucht, der wird es verlieren, und wer es verliert um meinetwillen, der wird es erhalten.‘ Und nun, meine liebe Mutter und alle Geschwister! Ich habe heute mein Urteil erhalten und, erschreckt nicht, es lautet auf Tod und wird morgen früh ausgeführt. Ich habe meine Stärke von Gott erhalten, so wie es auch jedem wahren Christen ergangen ist von jeher. Die Apostel schreiben: ‚Wer von Gott geboren ist, kann nicht sündigen‘, und so auch ich. Das habe ich Euch bezeugt und Ihr habt es erkennen können. Meine Lieben alle, macht Euch kein schweres Herz. Es wäre für Euch alle gut, die Heilige Schrift besser zu kennen. Wenn Ihr alle standhaft seid bis in den Tod, so können wir uns bei der Auferstehung wiedersehen ...

Euer Franz

Auf Wiedersehen!“

Berthold Szabo, der am 2. März 1945 in Körmend (Ungarn) durch ein Erschießungskommando hingerichtet wurde, schrieb:

„Meine liebe Schwester Marika!

In diesen eineinhalb Stunden, die mir noch verbleiben, möchte ich versuchen, Dir zu schreiben, damit Du unsere Eltern über meine Lage unterrichten kannst, daß mein Tod unmittelbar bevorsteht.

Ich wünsche ihnen den gleichen inneren Frieden, den ich in diesen letzten Augenblicken in dieser unheilvollen Welt empfinde. Es ist jetzt zehn Uhr, und um halb zwölf werde ich hingerichtet werden; doch ich bin ziemlich ruhig. Ich lege mein künftiges Leben in die Hände Jehovas und seines geliebten Sohnes, Jesus Christus, des Königs, der diejenigen, die ihn aufrichtig lieben, niemals vergessen wird. Ich weiß auch, daß es bald eine Auferstehung derer geben wird, die in Christus starben oder vielmehr einschliefen. Besonders möchte ich erwähnen, daß ich Euch allen Jehovas reichsten Segen wünsche für die Liebe, die Ihr mir geschenkt habt. Bitte gib Vater und Mutter einen Kuß von mir und auch Annus. Sie sollen sich um mich keine Sorgen machen; wir alle werden uns bald wiedersehen. Meine Hand ist jetzt ruhig, und ich werde ruhen, bis mich Jehova wieder ruft. Sogar jetzt werde ich das Gelübde halten, das ich für ihn abgelegt habe.

Jetzt ist meine Zeit vorüber. Möge Jehova mit Euch sein und mit mir.

In tiefer Liebe ...

Berthi“

[Kasten auf Seite 663]

Ihr Mut und ihre Überzeugung fielen auf

◆ „Trotz der großen Gegnerschaft trafen sich die Zeugen in den Lagern, beteten gemeinsam, stellten Literatur her und bekehrten andere. Gestützt durch ihre Gemeinschaft und sich — ganz im Gegensatz zu vielen anderen Gefangenen — der Gründe bewußt, warum solche Lager bestanden und warum sie derart leiden mußten, erwiesen sich die Zeugen als eine kleine, aber denkwürdige Gefangenenschar, die durch den lila Winkel gekennzeichnet war und wegen ihres Mutes und ihrer Überzeugung auffiel.“ Das schrieb Dr. Christine King in ihrem Buch „The Nazi State and the New Religions: Five Case Studies in Non-Conformity“.

◆ In dem Buch „Values and Violence in Auschwitz“ stellt Anna Pawełczyńska fest: „Diese Gruppe von Häftlingen bildete eine geschlossene ideologische Front, die in ihrem Kampf gegen den Nationalsozialismus den Sieg davontrug. Die deutsche Gruppe dieser Sekte war eine winzige Insel unbeugsamen Widerstandes inmitten einer terrorisierten Nation gewesen, und mit derselben Unerschrockenheit traten sie auch im Lager Auschwitz auf. Es gelang ihnen, die Achtung ihrer Mithäftlinge ..., der Funktionshäftlinge und sogar der SS-Führer zu gewinnen. Jeder wußte, daß kein ‚Bibelforscher‘ einen Befehl ausführen würde, der seiner religiösen Überzeugung widersprach.“

◆ Rudolf Höß berichtete in seinen autobiographischen Aufzeichnungen, die in dem Buch „Kommandant in Auschwitz“ veröffentlicht wurden, über die Exekution einiger Zeugen Jehovas, die sich geweigert hatten, ihre christliche Neutralität zu verletzen. Er schrieb: „So stellte ich mir die ersten christlichen Märtyrer vor, wie sie in der Arena auf das Zerrissen-werden durch wilde Bestien warteten. Mit völlig verklärtem Gesicht, die Augen nach oben gerichtet, die Hände zum Gebet gefaltet und erhoben gingen sie in den Tod. Alle die dies Sterben sahen, waren ergriffen, selbst das Exekutions-Kommando war benommen.“ (Dieses Buch wurde in Polen unter dem Titel „Autobiografia Rudolfa Hössa-komendanta obozu oświęcimskiego“ veröffentlicht.)

[Kasten auf Seite 673]

„Sie sind keine Staatsfeinde“

„Sie sind keine Staatsfeinde; sie sind lediglich für Jehova.“ „Sie verbrennen keine Musterungsbefehle, sind nicht aufständisch ..., auch beteiligen sie sich in keiner Form an staatsgefährdenden Umtrieben.“ „Die Ehrlichkeit und die Rechtschaffenheit der Zeugen bleiben unveränderlich. Man mag über sie denken, wie man will — und viele Leute denken sehr negativ über sie —, doch sie führen ein vorbildliches Leben“ („Telegram“, Toronto [Kanada], Juli 1970).

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Wer hat die Verantwortung?

Jehovas Zeugen wissen, daß ihre Verpflichtung zu predigen nicht von der Tätigkeit der Watch Tower Society oder irgendeiner anderen gesetzlich eingetragenen Körperschaft abhängt. „Gesetzt, die Watch Tower Society werde verboten und ihre Zweigbüros in verschiedenen Ländern würden durch staatliche Einmischung gewaltsam geschlossen. Das würde jedoch die Männer und Frauen, die geweiht sind, Gottes Willen zu tun, und auf die er seinen Geist gelegt hat, nicht vom göttlichen Predigtauftrag entbinden oder ihn hinfällig machen. Der Auftrag ‚Predige!‘ ist in seinem Worte deutlich aufgezeichnet. Er geht jedem andern, von Menschen ausgegebenen, voran“ („Der Wachtturm“, 15. Januar 1950). Da sie anerkennen, daß ihre Anweisungen von Jehova Gott und Jesus Christus kommen, fahren sie unbeirrt fort, die Königreichsbotschaft zu verkündigen, ungeachtet des Widerstands, auf den sie stoßen.

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Wie die ersten Christen

◆ „Jehovas Zeugen nehmen ihren Glauben weit ernster als die große Mehrheit der Menschen. Ihre Grundsätze erinnern uns an die ersten Christen, die bei den Römern unbeliebt waren und von diesen grausam verfolgt wurden“ („Akron Beacon Journal“, Akron [Ohio], 4. September 1951).

◆ „Sie [die ersten Christen] führten ein stilles, keusches und mustergültiges Leben. ... Sie waren in jeder Hinsicht vorbildliche Bürger, nur Weihrauch opferten sie nicht.“ „Wenn das Opfern für den Genius des Kaisers eine Prüfung des Patriotismus blieb, konnte es sich die Staatsgewalt dann leisten, angesichts der Widerspenstigkeit dieser unpatriotischen Christen ein Auge zuzudrücken? Die Schwierigkeiten, die sich für die Christen daraus ergaben, waren denen nicht ganz unähnlich, in denen sich die aggressive Sekte, die als Jehovas Zeugen bekannt ist, während der Kriegsjahre in den Vereinigten Staaten wegen der Frage des Fahnengrußes befand“ (Paul Hutchinson und Winfred Garrison, „20 Centuries of Christianity“, 1959, S. 31).

◆ „Das bemerkenswerteste an den Zeugen ist vielleicht ihre Überzeugung, daß sie Gott mehr gehorchen müßten als irgendeiner anderen Macht in der Welt“ (Dr. C. S. Braden, „These Also Believe“, 1949, S. 380).

[Bilder auf Seite 644]

„The Pittsburgh Gazette“ machte die Debatten, die sich aus Dr. Eatons Herausforderung an C. T. Russell ergaben, publik

[Bild auf Seite 646]

Gegner brachten überall grobe Lügen über die Eheangelegenheiten von Charles und Maria Russell in Umlauf

[Bilder auf Seite 648]

Die Geistlichen waren wütend, als 10 000 000 Exemplare dieses Traktats verbreitet wurden, in dem ihre Lehren und Gebräuche im Lichte des Wortes Gottes bloßgestellt wurden

[Bilder auf Seite 649]

Zeitungen heizten 1918 die Verfolgung der Bibelforscher an

[Bilder auf Seite 651]

Während des Prozesses gegen Mitarbeiter des Hauptbüros der Gesellschaft stand das Buch „Das vollendete Geheimnis“ im Brennpunkt

Bundesgericht und Postamt, Brooklyn

[Bild auf Seite 653]

Zu härteren Strafen verurteilt als der Mörder, dessen Schüsse den Ersten Weltkrieg auslösten. Von links nach rechts: W. E. Van Amburgh, J. F. Rutherford, A. H. Macmillan, R. J. Martin, F. H. Robison, C. J. Woodworth, G. H. Fisher, G. DeCecca.

[Bilder auf Seite 657]

Als dieser Kongreß der Zeugen Jehovas 1939 in New York abgehalten wurde, versuchte ein von katholischen Priestern angeführter, ungefähr 200 Mann starker Pöbelhaufen, ihn zu sprengen

[Bilder auf Seite 659]

Während des Zweiten Weltkrieges wurden Tausende von Zeugen Jehovas in diese Konzentrationslager gebracht

Totenkopfabzeichen der SS-Wachen (links)

[Bild auf Seite 664]

Teil eines Buches für das Bibelstudium — fotografisch verkleinert —, der in einer Streichholzschachtel für Zeugen ins Konzentrationslager geschmuggelt wurde

[Bilder auf Seite 665]

Einige der Zeugen, deren Glaube die Feuerprobe der NS-Konzentrationslager überdauerte

Mauthausen

Wewelsburg

[Bild auf Seite 667]

Gewalttätiger Pöbelhaufen bei Montreal (Quebec) 1945. Von Geistlichen angestiftete Angriffe gegen die Zeugen kamen in den 40er und 50er Jahren häufig vor.

[Bild auf Seite 669]

Tausende Zeugen Jehovas (darunter John Booth, der hier zu sehen ist) wurden verhaftet, als sie biblische Literatur verbreiteten

[Bilder auf Seite 670]

Nach einem Urteil des Obersten Bundesgerichts gegen die Zeugen im Jahre 1940 ging eine Welle von Pöbelangriffen über die Vereinigten Staaten hinweg; Zusammenkünfte wurden gesprengt, man schlug die Zeugen und zerstörte ihren Besitz

[Bilder auf Seite 672]

An vielen Orten mußten Königreichsschulen eingerichtet werden, weil Kinder von Zeugen von den öffentlichen Schulen gewiesen wurden