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‘Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft’

‘Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft’

Kapitel 30

‘Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft’

DIE heftige Verfolgung, die über Jehovas Zeugen kam, brachte es mit sich, daß sie überall auf der Erde vor Polizeibeamten, Richtern und Herrschern erscheinen mußten. Die sie betreffenden Rechtsfälle gingen in die Tausende, und in Hunderten davon wurden bei höheren Gerichten Rechtsmittel eingelegt, was sich nachhaltig auf die Handhabung des Gesetzes an sich ausgewirkt und wesentlich dazu beigetragen hat, die gesetzliche Garantie der Grundrechte für die Allgemeinheit zu festigen. Darin besteht jedoch nicht das Hauptanliegen der Zeugen Jehovas.

Sie möchten in erster Linie die gute Botschaft von Gottes Königreich verkündigen. Den Rechtsweg beschreiten sie nicht etwa deshalb, weil sie die Gesellschaft aufwiegeln oder das Recht reformieren wollen. Sie haben das gleiche Ziel, wie es der Apostel Paulus hatte, nämlich ‘die gute Botschaft zu verteidigen und gesetzlich zu befestigen’ (Phil. 1:7). In ihren Augen sind auch Verhandlungen vor Vertretern des Staates — ganz gleich, ob sie auf ihren eigenen Antrag hin oder aufgrund dessen zustande kommen, daß man sie wegen ihrer christlichen Tätigkeit verhaftet hat — Gelegenheiten, Zeugnis zu geben. Jesus Christus erklärte seinen Nachfolgern: „Ihr werdet vor Statthalter und Könige geschleppt werden um meinetwillen, ihnen und den Nationen zu einem Zeugnis“ (Mat. 10:18).

Eine weltweite Flut von Gerichtsfällen

Schon lange vor dem Ersten Weltkrieg suchte die Geistlichkeit die Verbreitung von Druckschriften der Bibelforscher in ihrem Einflußbereich zu verhindern, indem sie Druck auf Vertreter des Staates ausübte. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm der Widerstand allerdings zu. In einem Land nach dem anderen legte man Personen, die Christi prophetischem Gebot gehorchen wollten, die gute Botschaft von Gottes Königreich zu einem Zeugnis zu predigen, auf rechtlichem Gebiet alle nur erdenklichen Hindernisse in den Weg (Mat. 24:14).

Tief bewegt von den Beweisen für die Erfüllung biblischer Prophezeiungen, verließen die Bibelforscher 1922 ihren Kongreß in Cedar Point (Ohio) mit dem Entschluß, die Welt wissen zu lassen, daß die Zeiten der Nationen zu Ende waren und der Herr seine große Macht an sich genommen hatte und vom Himmel aus als König herrschte. „Verkündet, verkündet, verkündet den König und sein Königreich“ lautete ihre Parole. Im gleichen Jahr stiftete die Geistlichkeit in Deutschland die Polizei dazu an, einige Bibelforscher, die biblische Literatur verbreiteten, zu verhaften. Das blieb kein Einzelfall. 1926 kam es in 897 Fällen zu Verhandlungen vor deutschen Gerichten. Ja, es gab so viele Prozesse, daß die Watch Tower Society 1926 in ihrem Zweigbüro in Magdeburg eine Rechtsabteilung einrichten mußte. 1928 waren allein in Deutschland 1 660 Gerichtsverfahren gegen die Bibelforscher eingeleitet worden, und der Druck nahm Jahr für Jahr weiter zu. Die Geistlichkeit wollte dem Werk der Bibelforscher ein Ende bereiten und freute sich, wenn ein Gerichtsentscheid auf einen gewissen Erfolg hindeutete.

In den Vereinigten Staaten wurden Bibelforscher 1928 in South Amboy (New Jersey) verhaftet, weil sie von Haus zu Haus predigten. Innerhalb von zehn Jahren stieg die Zahl der jährlichen Verhaftungen wegen Predigens auf über 500. Im Jahre 1936 war ein rascher Anstieg auf 1 149 zu verzeichnen. Um Rechtsberatung bieten zu können, war es nötig, auch im Hauptbüro der Gesellschaft eine Rechtsabteilung einzurichten.

In Rumänien stieß die intensive Predigttätigkeit bei den damaligen Machthabern ebenfalls auf heftigen Widerstand. Zeugen Jehovas, die biblische Literatur verbreiteten, wurden häufig verhaftet und grausam geschlagen. Von 1933 bis 1939 wurden 530 Gerichtsverfahren gegen die Zeugen angestrengt. Die Gesetze des Landes garantierten jedoch bestimmte Grundrechte, weshalb viele Berufungsfälle beim Obersten Gerichtshof von Rumänien günstig entschieden wurden. Als der Polizei das bewußt wurde, mißhandelte sie zwar die Zeugen und konfiszierte ihre Literatur, versuchte aber, gerichtliche Schritte zu umgehen. Nachdem man der Gesellschaft schließlich gestattet hatte, sich in Rumänien als Körperschaft registrieren zu lassen, versuchten Gegner, das, was mit dieser gesetzlichen Eintragung bewirkt werden sollte, dadurch zu vereiteln, daß sie die Verbreitung der Wachtturm-Literatur durch einen Gerichtsentscheid verbieten ließen. Dieses Verbot wurde zwar von einem höheren Gericht aufgehoben, doch die Geistlichkeit drängte den Kultusminister, die Bewilligung wieder zurückzuziehen.

Wie in Rumänien wurde auch in Italien und Ungarn unter den damaligen Regierungen biblische Literatur der Zeugen von der Polizei beschlagnahmt. Dasselbe geschah in Japan, Korea und an der Goldküste (heute Ghana). Ausländische Zeugen Jehovas, die nach Frankreich gekommen waren, wurden des Landes verwiesen. In die Sowjetunion durfte viele Jahre lang kein Zeuge Jehovas einreisen, der Gottes Königreich predigen wollte.

Als von 1933 bis in die 40er Jahre hinein eine Woge des Nationalismus über die Welt hinwegrollte, wurden Jehovas Zeugen in einem Land nach dem anderen verboten. Tausende von Zeugen kamen in dieser Zeit vor Gericht, weil sie aus Gewissensgründen den Fahnengruß ablehnten und ihre christliche Neutralität bewahrten. Gemäß einem Bericht aus dem Jahr 1950 kam es in den zurückliegenden 15 Jahren unter Jehovas Zeugen allein in den Vereinigten Staaten zu über 10 000 Verhaftungen.

Die über 400 Zeugen in Griechenland, die man 1946 innerhalb kurzer Zeit vor Gericht stellte, waren nicht die ersten in diesem Land, denen das widerfuhr. Zu solchen Gerichtsfällen war es bereits seit Jahren gekommen. Außer Gefängnisstrafen wurden auch hohe Geldstrafen verhängt, die die Brüder finanziell erschöpften. Doch bei der Beurteilung ihrer Lage sagten sie: „Der Herr öffnete den Weg für das Zeugniswerk, die Behörden in Griechenland zu erreichen, die von der Aufrichtung des Königreiches der Gerechtigkeit hörten; auch die Richter an den Gerichten hatten dieselbe Gelegenheit.“ Jehovas Zeugen betrachteten die Sache zweifellos so, wie es Jesu Nachfolger gemäß seinen Worten tun sollten (Luk. 21:12, 13).

Ein scheinbar aussichtsloser Kampf

In den 40er und 50er Jahren war die kanadische Provinz Quebec geradezu ein Schlachtfeld. Schon von 1924 an war es wegen des Predigens der guten Botschaft zu Verhaftungen gekommen. Im Winter 1931 wurden bestimmte Zeugen jeden Tag von der Polizei festgenommen, mitunter zweimal täglich. Die Gerichtskosten wurden für die Zeugen in Kanada zu einer großen Belastung. Anfang 1947 stieg die Gesamtzahl der bei den Gerichten der Provinz Quebec gegen die Zeugen anhängigen Verfahren auf 1 300, obwohl sie dort nur eine kleine Gruppe waren.

Das war zu einer Zeit, als die katholische Kirche einen großen Einfluß hatte, mit dem jeder Politiker und jeder Richter der Provinz rechnen mußte. In Quebec stand die Geistlichkeit allgemein in hohem Ansehen, und die Leute beeilten sich, den Anordnungen des Ortsgeistlichen Folge zu leisten. Das Buch State and Salvation (1989) beschreibt die Lage wie folgt: „Der Kardinal von Quebec hatte einen Thron im Sitzungssaal der gesetzgebenden Versammlung direkt neben dem, der für den stellvertretenden Gouverneur reserviert war. Auf die eine oder andere Weise unterstand Quebec unmittelbar kirchlicher Kontrolle ... Tatsächlich bestand die Mission der Kirche darin, das politische Leben Quebecs der katholischen Vorstellung anzupassen, die Wahrheit sei der Katholizismus, der Irrtum alles Nichtkatholische und Freiheit bestehe darin, die katholische Wahrheit zu reden und zu leben.“

Vom menschlichen Standpunkt aus schien die Lage nicht nur für die Zeugen in Quebec, sondern auch weltweit aussichtslos zu sein.

Alle nur erdenklichen Anklagen

Gegner durchforschten die Gesetzbücher nach etwas, was ihnen als Vorwand dienen konnte, die Tätigkeit der Zeugen zu unterbinden. Meistens beschuldigten sie sie, ohne Gewerbeschein zu hausieren, wodurch sie das Werk als kommerziell hinstellten. Im Widerspruch dazu beschuldigte man anderswo einige Pioniere der Landstreicherei mit der Begründung, daß sie keine Erwerbstätigkeit ausübten.

In einigen Kantonen der Schweiz versuchten Beamte jahrzehntelang hartnäckig, die Verbreitung von biblischer Literatur durch Jehovas Zeugen als Hausieren einzustufen. Besonders der Staatsanwalt des französischsprachigen Kantons Waadt war entschlossen, alle Entscheide anzufechten, die von unteren Gerichten zugunsten der Zeugen getroffen wurden.

An einem Ort nach dem anderen erklärte man Jehovas Zeugen, sie benötigten eine Erlaubnis, um ihre Literatur zu verbreiten oder ihre Zusammenkünfte, in denen sie die Bibel studieren, abzuhalten. Aber war eine Erlaubnis wirklich nötig? Die Zeugen antworteten mit Nein. Aus welchem Grund?

Sie erklärten: „Jehova Gott gebietet seinen Zeugen, das Evangelium von seinem Königreich zu predigen, und Gottes Gebote gehen über alles und müssen von seinen Zeugen befolgt werden. Es steht keiner legislativen oder exekutiven Institution der Erde zu, sich in Jehovas Gesetze einzumischen. ... Keiner herrschenden Macht der Erde steht es zu, das Predigen des Evangeliums zu verbieten; darum könnte auch keine solche weltliche Behörde oder Obrigkeit eine Erlaubnis zum Predigen des Evangeliums ausstellen. Weltliche Behörden haben in dieser Sache nach keiner Richtung hin Vollmacht. Menschen um Erlaubnis für etwas zu ersuchen, was Gott geboten hat, wäre eine Beleidigung Gottes.“

Meistens deuteten die gegen Jehovas Zeugen erhobenen Anklagen stark darauf hin, daß religiöse Feindschaft im Spiel war. Als zum Beispiel die Broschüren Schau den Tatsachen ins Auge und Heilung verbreitet wurden, lud man den Aufseher des Zweigbüros der Gesellschaft in den Niederlanden 1939 in Haarlem vor Gericht, damit er sich gegen die Anklage verteidigte, eine Gruppe der niederländischen Bevölkerung beleidigt zu haben. Der Vertreter der Anklage führte beispielsweise aus, in der Wachtturm-Literatur sei zu lesen, die katholische Hierarchie ziehe den Leuten auf betrügerische Weise das Geld aus der Tasche, indem sie behaupte, die Toten könnten aus einem Ort befreit werden, an dem sie sich gar nicht befänden — aus dem Fegefeuer, von dem es in der Literatur heiße, die Kirche könne seine Existenz nicht beweisen.

Im Zeugenstand jammerte „Pater“ Henri de Greeve, der Hauptzeuge der Hierarchie: „Mein größter Grund zur Klage ist, daß Außenstehende den Eindruck bekommen könnten, wir Priester seien nur ein Haufen Schurken und Schwindler.“ Als der Aufseher des Zweigbüros der Gesellschaft in den Zeugenstand gerufen wurde, schlug er die katholische Bibel auf und zeigte dem Gericht, daß das, was in der Broschüre über die katholischen Lehren gesagt wurde, mit der katholischen Bibel übereinstimmt. Der Anwalt der Gesellschaft fragte dann de Greeve, ob er die Lehre vom Höllenfeuer und vom Fegefeuer beweisen könne, worauf de Greeve antwortete: „Ich kann sie nicht beweisen; ich kann sie nur glauben.“ Sogleich wurde dem Richter klar, daß genau das in der Broschüre behauptet wurde. Die Anklage wurde fallengelassen, und der Priester verließ wutentbrannt das Gerichtsgebäude.

Beunruhigt über die vermehrte Tätigkeit der Zeugen Jehovas im östlichen Teil der Tschechoslowakei, beschuldigte die Geistlichkeit die Zeugen der Spionage. Die Situation glich dem, was der Apostel Paulus erlebt hatte, als ihn die jüdische Geistlichkeit im ersten Jahrhundert der Aufwiegelung beschuldigte (Apg. 24:5). 1933/34 kamen Hunderte von Fällen vor Gericht, bis die Regierung davon überzeugt war, daß es sich um eine völlig grundlose Anschuldigung handelte. Auch in der kanadischen Provinz Quebec wurden in den 30er und 40er Jahren Zeugen Jehovas unter der Anklage der aufrührerischen Verschwörung vor Gericht gebracht. Geistliche — vorwiegend katholische, doch auch protestantische — erschienen sogar persönlich als Zeugen vor Gericht, um gegen sie auszusagen. Was hatten sich Jehovas Zeugen zuschulden kommen lassen? Die Geistlichkeit argumentierte, sie hätten die staatliche Einheit gefährdet, weil aufgrund ihrer Veröffentlichungen Unzufriedenheit gegenüber der katholischen Kirche entstehen könnte. Die Zeugen erwiderten darauf jedoch, daß sie in Wirklichkeit Literatur verbreiteten, die demütigen Menschen Trost aus Gottes Wort vermittelte, und daß die Geistlichkeit darüber in Wut geraten war, weil unbiblische Lehren und Praktiken angeprangert wurden.

Wie war es Jehovas Zeugen trotz des anhaltenden Widerstandes möglich weiterzumachen? Das war ihrem Glauben an Gott und sein inspiriertes Wort zuzuschreiben, ihrer uneigennützigen Ergebenheit gegenüber Jehova und seinem Königreich sowie der Kraft, die auf der Wirksamkeit des Geistes Gottes beruht. Es verhielt sich so, wie die Bibel sagt: „... damit die Kraft, die über das Normale hinausgeht, Gottes sei und nicht die aus uns selbst“ (2. Kor. 4:7).

Jehovas Zeugen gehen auf dem Gebiet des Rechts in die Offensive

Auf Straßen in der Nähe von Kirchen und von Haus zu Haus verbreiteten die Bibelforscher vor dem Ersten Weltkrieg jahrzehntelang in großem Umfang kostenfrei biblische Schriften. Aber dann erließen viele kleinere und größere Städte in den Vereinigten Staaten Verordnungen, die diesem „freiwilligen Werk“ große Hindernisse in den Weg legten. Was konnte dagegen unternommen werden?

Im Wacht-Turm vom 15. Dezember 1919 (engl.) hieß es: „In dem Glauben, daß es unsere Pflicht ist, jede nur mögliche Anstrengung zu unternehmen, um über das Königreich des Herrn Zeugnis abzulegen, und unsere Hand nicht erschlaffen zu lassen, nur weil wir die Tür sich schließen sehen, sowie in Anbetracht all der systematischen Bemühungen, die sich gegen das freiwillige Werk gerichtet haben, wurden Vorkehrungen dafür getroffen, eine neue Zeitschrift einzusetzen, ... Das Goldene Zeitalter.“ a

Als immer intensiver von Haus zu Haus Zeugnis gegeben wurde, häuften sich jedoch die Versuche, diese Tätigkeit gesetzlich einzuschränken oder zu verbieten. Nicht in allen Ländern bestehen gesetzliche Möglichkeiten, Minderheiten gegen staatlichen Widerstand bestimmte Grundrechte zu sichern. Jehovas Zeugen wußten jedoch, daß die Verfassung der Vereinigten Staaten die Religions-, Rede- und Pressefreiheit garantierte. Daher legten sie bei höheren Gerichten Rechtsmittel ein, wenn Richter durch ihre Auslegung örtlicher Verordnungen das Predigen des Wortes Gottes behinderten. b

Im Rückblick auf die Ereignisse erklärte Hayden C. Covington, der in Rechtsangelegenheiten der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielte: „Wenn in den Tausenden von Verurteilungen, die von Richtern, Polizeigerichten und anderen unteren Instanzen protokolliert worden sind, keine Berufung eingelegt worden wäre, wäre in der Sache der Anbetung ein Berg von Präzedenzfällen als riesiges Hindernis entstanden. Dadurch, daß wir in die Berufung gegangen sind, haben wir die Errichtung dieses Hindernisses vereitelt. Unsere Anbetungsweise ist im Gesetz der Vereinigten Staaten und anderer Länder verankert worden, weil wir beharrlich waren und gegen nachteilige Entscheidungen Berufung eingelegt haben.“ In den Vereinigten Staaten ging man in Dutzenden von Fällen bis vor das Oberste Bundesgericht.

Garantie der Grundrechte gefestigt

Einer der ersten dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten vorgetragenen Fälle, bei denen es um den Gottesdienst der Zeugen Jehovas ging, war in Georgia aufgekommen und wurde am 4. Februar 1938 verhandelt. Das Strafgericht von Griffin (Georgia) hatte Alma Lovell wegen eines Verstoßes gegen eine Verordnung verurteilt, in der verboten wurde, Literatur irgendeiner Art ohne Bewilligung des Stadtdirektors zu verbreiten. Schwester Lovell hatte den Leuten unter anderem die Zeitschrift Das Goldene Zeitalter angeboten. Am 28. März 1938 entschied das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten, daß die Verordnung ungültig sei, weil sie die Pressefreiheit konzessions- und zensurabhängig mache. c

Im darauffolgenden Jahr unterbreitete J. F. Rutherford als Anwalt des Antragstellers dem Obersten Bundesgericht im Fall Clara Schneider gegen Staat New Jersey d die Begründung des Rechtsmittels. 1940 folgte dann der Fall Cantwell gegen Staat Connecticut e, für den J. F. Rutherford die Begründung verfaßte, und Hayden Covington trug sie dem Gericht vor. Der positive Ausgang der beiden Fälle stützte die in der Verfassung garantierte Religions-, Rede- und Pressefreiheit. Aber es gab auch Rückschläge.

Schwere gerichtliche Rückschläge

Die Fahnengrußfrage in Verbindung mit schulpflichtigen Kindern von Zeugen Jehovas wurde erstmals 1935 im Fall Carlton B. Nicholls gegen Bürgermeister und Schulausschuß von Lynn (Massachusetts) f vor amerikanische Gerichte gebracht. Der Fall wurde an den Obersten Gerichtshof von Massachusetts verwiesen. Dieses Gericht entschied 1937, daß ungeachtet dessen, was Carleton Nichols jr. und seine Eltern gemäß ihren Worten glaubten, keine Freistellung aufgrund religiöser Überzeugung nötig sei, weil, wie es hieß, „der Fahnengruß und das Treuegelöbnis, um die es hier geht, im rechtlichen Sinne nichts mit Religion zu tun haben. ... Sie betreffen niemandes Ansichten über den Schöpfer. Sie berühren nicht die Beziehungen zu seinem Bildner.“ Als 1937 im Fall Leoles gegen Landers g und 1938 im Fall Hering gegen Staatliche Schulbehörde h die Frage des obligatorischen Fahnengrußes durch das Rechtsmittel dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten vorgelegt wurde, war nach Meinung dieses Gerichts keine wichtige verfassungsrechtliche Frage zu klären. 1939 wies das Gericht in derselben Frage noch einmal ein Rechtsmittel ab, und zwar im Fall Gabrielli gegen Knickerbocker i. Am selben Tag bestätigte es ohne Verhandlung den negativen Entscheid der unteren Instanz im Fall Johnson gegen Stadt Deerfield j.

Schließlich fand 1940 im Fall Schulbezirk Minersville gegen Gobitis k eine Verhandlung vor dem Obersten Bundesgericht statt. Mehrere prominente Anwälte reichten für beide Seiten des Falls Begründungen ein. J. F. Rutherford trug die Begründung des Rechtsmittels für Walter Gobitas und seine Kinder vor. Ein Mitglied der Rechtsabteilung der Harvarduniversität sprach für den Amerikanischen Bundesverband der Anwaltschaft und die Amerikanische Bürgerrechtsvereinigung und trug Gründe gegen den obligatorischen Fahnengruß vor. Aber ihre Argumente wurden verworfen, und das Oberste Bundesgericht entschied am 3. Juni mit nur einer Gegenstimme, daß Kinder, die die Fahne nicht grüßten, von den öffentlichen Schulen verwiesen werden konnten.

In den drei folgenden Jahren entschied das Oberste Bundesgericht in 19 Fällen gegen Jehovas Zeugen. Am bedeutsamsten war die ablehnende Entscheidung 1942 im Fall Jones gegen Stadt Opelika l. Rosco Jones war verurteilt worden, weil er Literatur auf den Straßen von Opelika (Alabama) verbreitet hatte, ohne die Konzessionssteuer entrichtet zu haben. Das Oberste Bundesgericht erhielt die Verurteilung aufrecht und erklärte, Regierungen hätten das Recht, für Kundenwerbung eine vernünftige Gebühr festzusetzen, und solche Gesetze seien nicht anfechtbar, selbst wenn örtliche Behörden willkürlich die Genehmigung zurückzögen. Das war ein schwerer Schlag, denn nun konnte jede Gemeinde, die von Geistlichen oder irgendeinem anderen Gegner dazu angestachelt wurde, die Zeugen rechtmäßig fernhalten und, wie die Gegner vielleicht dachten, ihre Predigttätigkeit dadurch stoppen. Doch es geschah etwas Seltsames.

Das Blatt wendet sich

In dem Fall Jones gegen Opelika, dessen Entscheidung ein schwerer Schlag für den öffentlichen Predigtdienst der Zeugen Jehovas war, hatten drei Richter erklärt, sie gingen in dem vorliegenden Fall mit dem Mehrheitsentscheid des Gerichts nicht einig und seien darüber hinaus der Meinung, im Fall Gobitis die Grundlage für diesen Mehrheitsentscheid mit geschaffen zu haben. Weiter führten sie aus: „Da wir uns im Fall Gobitis der Urteilsbegründung anschlossen, halten wir dies für eine passende Gelegenheit, zu erklären, daß er nach unserer jetzigen Auffassung ebenfalls falsch entschieden wurde.“ Jehovas Zeugen verstanden dies als einen Wink, dem Gericht erneut die wesentlichen Streitpunkte vorzutragen.

Man beantragte im Fall Jones gegen Opelika eine neue Verhandlung. In dem Antrag wurden überzeugende Rechtsausführungen unterbreitet. Auch wurde darin deutlich erklärt: „Das Gericht sollte den höchst bedeutsamen Umstand nicht außer acht lassen, daß es in richterlicher Eigenschaft mit Dienern Gottes, des Allmächtigen, zu tun hat.“ Die Bedeutung dessen veranschaulichte man anhand biblischer Präzedenzfälle. Man machte auf den Rat aufmerksam, den der Rechtsgelehrte Gamaliel im ersten Jahrhundert dem höchsten jüdischen Gericht gab, nämlich: „Steht ab von diesen Menschen, und laßt sie gehen ...; andernfalls mögt ihr vielleicht als solche erfunden werden, die in Wirklichkeit gegen Gott kämpfen“ (Apg. 5:34-39).

Schließlich setzte das Oberste Bundesgericht am 3. Mai 1943 durch seine Entscheidung im Fall Murdock gegen Pennsylvanien a einen Meilenstein, indem es seine frühere Entscheidung im Fall Jones gegen Opelika umstieß. Es erklärte jegliche Konzessionssteuer als Vorbedingung für die Ausübung der Religionsfreiheit in Form der Verbreitung religiöser Literatur als verfassungswidrig. Dieser Fall eröffnete Jehovas Zeugen in den Vereinigten Staaten neue Möglichkeiten; in Hunderten von Fällen konnte seither darauf als maßgeblichen Gerichtsentscheid Bezug genommen werden. Der 3. Mai 1943 war für Jehovas Zeugen wirklich ein denkwürdiger Tag, was die Rechtsstreite vor dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten angeht. An diesem Tag entschied das Gericht in 12 von 13 Fällen zu ihren Gunsten (alle wurden zur Verhandlung und gerichtlichen Entscheidung in vier Verfahren zusammengefaßt). b

Etwa einen Monat später — am 14. Juni, dem Tag der Nationalflagge — hob das Oberste Bundesgericht erneut eine eigene Entscheidung auf, und zwar die im Fall Gobitis. Das geschah in Zusammenhang mit dem Fall Staatliche Schulbehörde von West Virginia gegen Barnette c. Das Gericht erklärte, daß „keine Amtsperson, ob hoch oder niedrig, vorschreiben darf, was in der Politik, im Nationalismus, in der Religion oder in anderen Dingen der Meinungsäußerung rechtsverbindlich sein soll, noch Bürger zwingen darf, durch Wort oder Tat ihren Glauben daran zu bekennen“. Ein Großteil der in der Urteilsbegründung enthaltenen Argumente wurde danach in Kanada vom Berufungsgericht von Ontario bei der Entscheidung im Fall Donald gegen Städtische Schulbehörde von Hamilton übernommen — eine Entscheidung, die aufzuheben das Oberste Bundesgericht von Kanada ablehnte.

Im Einklang mit der Entscheidung im Fall Barnette entschied das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten noch am selben Tag im Fall Taylor gegen Staat Mississippi d, daß Jehovas Zeugen nicht zu Recht des Aufruhrs beschuldigt werden können, wenn sie erklären, warum sie den Fahnengruß verweigern, und lehren, daß sich alle Nationen auf der Verliererseite befinden, weil sie gegen Gottes Königreich sind. Diese Entscheidungen bahnten auch den Weg für weitere günstige Entscheide anderer Gerichte in Fällen von Zeugen Jehovas, deren Kinder den Fahnengruß in der Schule verweigert hatten, sowie in strittigen Fragen, die die berufliche Tätigkeit und das Sorgerecht betrafen. Das Blatt hatte sich tatsächlich gewendet. e

Eine neue Ära der Freiheit in Quebec

Auch in Kanada strebten Jehovas Zeugen nach einer Lösung in der Frage der Religionsfreiheit. In den Jahren 1944 bis 1946 wurden Hunderte von ihnen in Quebec während ihres öffentlichen Predigtdienstes verhaftet. Nach kanadischem Recht war Religionsfreiheit garantiert, doch der Pöbel störte Zusammenkünfte, in denen die Bibel betrachtet wurde. Die Polizei kam den Forderungen der katholischen Geistlichkeit nach, den Zeugen Jehovas Einhalt zu gebieten. Richter an örtlichen Strafgerichten beschimpften die Zeugen, während sie gegen die an Pöbelaktionen Beteiligten nicht vorgingen. Was konnte unternommen werden?

Am 2. und 3. November 1946 veranstaltete die Gesellschaft in Montreal einen Sonderkongreß. Redner erläuterten die Stellung der Zeugen Jehovas vom Standpunkt der Bibel und des Landesgesetzes aus. Dann wurde angekündigt, daß in ganz Kanada 16 Tage lang das Traktat Quebec’s Burning Hate for God and Christ and Freedom Is the Shame of All Canada (Quebecs lodernder Haß gegen Gott, Christus und die Freiheit ist eine Schande für ganz Kanada) in Englisch, Französisch und Ukrainisch verbreitet werden sollte. Darin wurde ausführlich über die heftigen Pöbelangriffe und andere in Quebec gegen Jehovas Zeugen verübte Greueltaten berichtet. Diesem Traktat folgte ein zweites, betitelt Quebec, You Have Failed Your People! (Quebec, du hast dein Volk im Stich gelassen!).

Die Verhaftungen nahmen in Quebec überhand. Um dieser Situation Herr zu werden, richtete das kanadische Zweigbüro der Watch Tower Society eine Rechtsabteilung mit einer Vertretung in Toronto und in Montreal ein. Als die Presse davon erfuhr, daß Maurice Duplessis, der Ministerpräsident von Quebec, den Restaurantbetrieb von Frank Roncarelli, einem Zeugen Jehovas, absichtlich ruinierte, nur weil dieser für andere Zeugen Kaution leistete, protestierte die kanadische Öffentlichkeit mit aller Deutlichkeit. Am 2. März 1947 starteten Jehovas Zeugen einen landesweiten Feldzug, bei dem sie der Bevölkerung Kanadas vorschlugen, die Regierung um eine Bill of Rights (verfassungsmäßig garantierte Grundrechte) zu ersuchen. Man sammelte über 500 000 Unterschriften — die größte Petition, die dem kanadischen Parlament je vorgelegt worden war. Im Jahr darauf folgte eine noch längere zur Bekräftigung der ersten.

Inzwischen wählte die Gesellschaft zwei Testfälle aus, in denen vor dem Obersten Bundesgericht Kanadas Rechtsmittel eingelegt wurden. In einem davon, dem Fall Aimé Boucher gegen Seine Majestät den König, lautete die Anklage auf umstürzlerisches Verhalten, was den Zeugen wiederholt vorgeworfen wurde.

Zu dem Fall Boucher kam es, weil sich der Farmer Aimé Boucher, ein Mann mit einem sanften Wesen, an der Verbreitung des Traktats Quebec’s Burning Hate beteiligt hatte. Hatte er sich aber umstürzlerisch verhalten, indem er die Pöbelangriffe gegen die Zeugen in Quebec bekanntmachte, auf die Mißachtung des Rechts durch Vertreter des Staates hinwies und Beweise dafür vorlegte, daß der katholische Bischof und andere katholische Geistliche zu den Aktionen aufgehetzt hatten?

Einer der Richter des Obersten Bundesgerichts erklärte nach eingehender Prüfung des Traktats: „Das Dokument trug die Überschrift ‚Quebecs lodernder Haß gegen Gott, Christus und die Freiheit ist eine Schande für ganz Kanada‘; es enthielt zunächst einen Aufruf, ruhig und vernünftig die Angelegenheiten zu bewerten, von denen es handelte und die als Stütze des Titels angeführt wurden; sodann allgemeine Hinweise auf verschärfte Verfolgung, die über die Zeugen als Brüder in Christus gebracht wurde; eine ausführliche Schilderung bestimmter Beispiele der Verfolgung und einen abschließenden Appell an die Bevölkerung der Provinz als Protest gegen Pöbelherrschaft und Gestapotaktiken, damit durch das Studium des Wortes Gottes und den Gehorsam gegenüber seinen Geboten eine ‚reichliche Ernte guter Früchte der Liebe zu Gott und Christus und zur Freiheit des Menschen‘ hervorgebracht werde.“

Der Gerichtsentscheid hob die Verurteilung von Aimé Boucher auf, wobei drei der fünf Richter lediglich ein neues Verfahren anordneten. Würde das zu einer unparteiischen Entscheidung in den unteren Instanzen führen? Der Anwalt der Zeugen Jehovas beantragte eine Neuverhandlung vor dem Obersten Bundesgericht. Erstaunlicherweise wurde dem Antrag stattgegeben. Während der Antrag dort anhängig war, wurde die Anzahl der Richter am Obersten Bundesgericht erhöht, und einer der ursprünglichen Richter änderte seine Meinung. So wurde Bruder Boucher im Dezember 1950 mit 5 gegen 4 Stimmen von der gegen ihn erhobenen Anklage freigesprochen.

Anfangs wurde diese Entscheidung sowohl vom zweiten Kronanwalt als auch vom Ministerpräsidenten der Provinz Quebec (der gleichzeitig Kronanwalt war) mißachtet, doch mit der Zeit wurde ihr durch die Gerichte Geltung verschafft. Damit war die wiederholt in Kanada gegen Jehovas Zeugen erhobene Anklage auf umstürzlerisches Verhalten praktisch gegenstandslos geworden.

In noch einem weiteren Testfall wurde vor dem Obersten Bundesgericht von Kanada ein Rechtsmittel eingelegt. Es handelte sich um den Fall Laurier Saumur gegen die Stadt Quebec, bei dem es um die städtischen Konzessionsverordnungen ging, die bei einer Vielzahl von Verurteilungen in den unteren Instanzen eine Rolle spielten. Im Fall Saumur strebte die Gesellschaft eine endgültige gerichtliche Verfügung gegen die Stadt Quebec an, um zu verhindern, daß die Behörden die Verbreitung der religiösen Literatur der Zeugen Jehovas störten. Am 6. Oktober 1953 fällte das Oberste Bundesgericht seine Entscheidung. Die Antwort war ein „Ja“ für die Zeugen Jehovas und ein „Nein“ für die Provinz Quebec. Diese Entscheidung brachte auch einen Sieg in Tausenden anderen Fällen, in denen derselbe Grundsatz der Religionsfreiheit ausschlaggebend war. Damit begann für das Werk der Zeugen Jehovas in Quebec eine neue Ära.

Schulung in Rechts- und Verfahrensfragen

Mit der steigenden Zahl von Gerichtsfällen Ende der 20er Jahre und danach wurde es nötig, Jehovas Zeugen über rechtliche Verfahrensweisen gründlich zu informieren. J. F. Rutherford war selbst Anwalt und hatte gelegentlich auch als Richter fungiert; daher erkannte er, daß die Zeugen in diesen Angelegenheiten Anleitung benötigten. Besonders von 1926 an hatten die Zeugen Nachdruck darauf gelegt, an Sonntagen von Haus zu Haus zu predigen und dabei bibelerklärende Bücher anzubieten. Wegen des Widerstands gegen das Verbreiten biblischer Literatur am Sonntag verfaßte Bruder Rutherford die Broschüre Liberty to Preach (Die Freiheit zu predigen), um den Zeugen in den Vereinigten Staaten zu einem Verständnis ihrer gesetzlichen Rechte zu verhelfen. Er konnte jedoch nicht alle Rechtsangelegenheiten selbst bearbeiten. Deshalb sorgte er dafür, daß noch andere Anwälte im Hauptbüro der Gesellschaft dienten. Außerdem arbeiteten weitere Anwälte, die im ganzen Land verstreut wohnten, eng mit ihnen zusammen.

Es war ihnen zwar nicht möglich, in all den Tausenden von Fällen anwesend zu sein, in denen Zeugen Jehovas wegen ihrer Predigttätigkeit vor Gericht erscheinen mußten, doch konnten sie wertvollen Rat geben. Deshalb sorgte man dafür, daß alle Zeugen Jehovas in grundlegenden rechtlichen Verfahrensweisen geschult wurden. Das geschah 1932 auf besonderen Kongressen in den Vereinigten Staaten und später im Programm der regelmäßigen Dienstzusammenkünfte der Versammlungen. Im Jahrbuch 1933 der Zeugen Jehovas wurde eine ausführliche „Gerichtsverfahrensordnung“ veröffentlicht (später als zusätzliches Blatt). Diese Anweisungen wurden, wenn es die Umstände erforderten, entsprechend geändert. In der Zeitschrift Trost vom 3. November 1937 (engl.) wurde weitere Rechtsberatung für bestimmte Situationen erteilt, die aufgetreten waren.

Mit Hilfe dieses Aufschlusses verteidigten sich die Zeugen gewöhnlich selbst vor den örtlichen Gerichten und nahmen nicht die Dienste eines Anwalts in Anspruch. Sie stellten fest, daß sie so vor Gericht oftmals Zeugnis geben und dem Richter die Kernpunkte deutlich vortragen konnten und eine Entscheidung in ihrem Fall nicht allein auf juristischen Erwägungen beruhte. In Fällen mit einer ungünstigen Entscheidung ging man gewöhnlich in die Berufung, doch einige Zeugen saßen eine Haftstrafe ab, statt sich einen Anwalt zu nehmen, der vor einem Berufungsgericht erforderlich gewesen wäre.

Wenn neue Situationen auftraten und durch Gerichtsentscheide Präzedenzfälle geschaffen wurden, hielt man die Zeugen durch zusätzlichen Aufschluß auf dem laufenden. 1939 wurde zum Beispiel die Broschüre Ratschläge für Königreichsverkündiger gedruckt, um den Brüdern in Rechtskämpfen zu helfen. Zwei Jahre später erschien eine ausführlichere Erörterung in der Broschüre Jehovah’s Servants Defended (Jehovas Diener verteidigt). Darin wurden 50 verschiedene Entscheidungen amerikanischer Gerichte in Fällen von Zeugen Jehovas sowie zahlreiche andere Fälle angeführt oder besprochen, und es wurde erklärt, wie man diese Präzedenzfälle vorteilhaft nutzen konnte. 1943 erhielt jeder Zeuge ein Exemplar der Broschüre Freedom of Worship (Religionsfreiheit), die in den Dienstzusammenkünften der Versammlungen eifrig studiert wurde. Neben wertvollen Auszügen aus Rechtsfällen zeigte diese Broschüre biblische Gründe für bestimmte Vorgehensweisen auf. Als nächstes folgte 1950 die Broschüre Defending and Legally Establishing the Good News (Verteidigung und gesetzliche Befestigung der guten Botschaft), die den aktuellen Stand der Dinge berücksichtigte.

Durch all das wurde eine fortschreitende Schulung auf dem Gebiet des Rechts vermittelt. Ihr Ziel bestand jedoch nicht darin, Jehovas Zeugen zu Anwälten auszubilden, sondern darin, für das Predigen der guten Botschaft von Gottes Königreich — öffentlich und von Haus zu Haus — die Wege offenzuhalten.

Wie ein Heuschreckenschwarm

Beamte, die sich über das Gesetz hinwegsetzten, behandelten die Zeugen mitunter grausam. Doch ganz gleich, welche Methoden ihre Gegner anwandten, kannten Jehovas Zeugen den Rat aus Gottes Wort: „Rächt euch nicht selbst, Geliebte, sondern gebt dem Zorn Raum; denn es steht geschrieben: ‚Mein ist die Rache; ich will vergelten, spricht Jehova‘ “ (Röm. 12:19). Nichtsdestoweniger hatten sie die Verpflichtung, Zeugnis zu geben, deutlich vor Augen. Wie taten sie das angesichts des Widerstands der Behörden?

In den 30er Jahren waren die einzelnen Versammlungen der Zeugen Jehovas in der Regel ziemlich klein, doch hielten sie fest zusammen. Wenn es irgendwo zu ernsthaften Schwierigkeiten kam, waren Zeugen aus der Umgebung schnell bereit zu helfen. 1933 hatte man zum Beispiel 12 600 Zeugen in den Vereinigten Staaten zu 78 Divisionen (größeren Gruppen) organisiert. Wenn es in einem Gebiet ständig zu Verhaftungen kam oder es Gegnern gelungen war, Rundfunkanstalten derart unter Druck zu setzen, daß sie die Sendeverträge für die von Jehovas Zeugen vorbereiteten Programme rückgängig machten, wurde das der Gesellschaft in Brooklyn gemeldet. Innerhalb einer Woche wurde Verstärkung in das betreffende Gebiet gesandt, damit konzentriert Zeugnis gegeben werden konnte.

Je nach Bedarf trafen sich 50 bis 1 000 Zeugen zu einer bestimmten Zeit gewöhnlich auf dem Land in der Nähe des zu bearbeitenden Gebiets. Es waren alles Freiwillige; einige reisten aus einer Entfernung von etwa 300 Kilometern an. Die einzelnen Gruppen erhielten Gebiet, das in 30 Minuten bis höchstens zwei Stunden bearbeitet werden konnte. Während jede Autogruppe in dem ihr zugewiesenen Gebietsteil mit ihrer Tätigkeit begann, sprach ein aus Brüdern gebildetes Komitee bei der Polizei vor, um sie von der Tätigkeit zu unterrichten und eine Liste aller Zeugen abzugeben, die an dem betreffenden Vormittag in dem Ort unterwegs waren. Die Behörden erkannten, daß ihre Kräfte der Überzahl der Zeugen nicht gewachsen waren, und legten ihnen daher an den meisten Orten nichts mehr in den Weg. In einigen wenigen Städten belegten sie allerdings ihre Gefängnisse mit Zeugen, aber das war auch alles, was sie tun konnten. Für jeden Verhafteten hatten die Zeugen einen Anwalt an der Hand, der Kaution hinterlegte. Die Wirkung glich der des symbolischen Heuschreckenschwarms, von dem in Joel 2:7-11 und Offenbarung 9:1-11 die Rede ist. Auf diese Weise war es trotz heftigen Widerstandes möglich, die gute Botschaft weiterhin zu predigen.

Die Handlungsweise selbstherrlicher Beamter angeprangert

Man hielt es für nützlich, die Bevölkerung bestimmter Gebiete über die Handlungsweise örtlicher Beamter zu unterrichten. Als Zeugen in Quebec von den Gerichten Verfahren unterzogen wurden, die an die Inquisitionsgerichte erinnerten, sandte man an alle Mitglieder der Legislative in Quebec einen Brief, in dem die Fakten beschrieben wurden. Als sich daraufhin nichts tat, sandte die Gesellschaft je ein Exemplar dieses Briefes an 14 000 Geschäftsleute in der ganzen Provinz. Dann wurden diese Informationen Zeitungsherausgebern zur Veröffentlichung zugestellt.

In den östlichen US-Bundesstaaten wurde die Öffentlichkeit durch Rundfunksendungen informiert. Im Brooklyner Bethel bildeten einige erfahrene Schauspieler, die geschickte Nachahmer waren, das sogenannte King’s Theater (Die Bühne des Königs). Wenn selbstherrliche Beamte Zeugen Jehovas vor Gericht brachten, wurde die ganze Verhandlung mitstenographiert. Die Schauspieler waren im Gerichtssaal anwesend, damit sie sich mit dem Tonfall und der Redeweise der Polizei, des Anklagevertreters und des Richters vertraut machen konnten. Nachdem man die Rundfunksendung weit und breit angekündigt hatte und man mit einer großen Zuhörerschaft rechnen konnte, spielte das King’s Theater Gerichtsszenen erstaunlich realistisch nach, um die Öffentlichkeit genau davon zu unterrichten, wie sich ihre Beamten verhielten. So ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gerückt, gingen einige dieser Beamten im Laufe der Zeit gewissenhafter vor, wenn sie es mit einem Fall zu tun hatten, der Zeugen Jehovas betraf.

Vereintes Handeln angesichts der NS-Unterdrückung

Als die Regierung im nationalsozialistischen Deutschland begann, die Tätigkeit der Zeugen Jehovas zu unterbinden, bemühte man sich wiederholt um eine Unterredung mit den deutschen Behörden. Aber die Lage wurde nicht erträglicher. Im Sommer 1933 war das Werk in den meisten deutschen Ländern verboten. Am 25. Juni 1933 nahmen Jehovas Zeugen auf einem Kongreß in Berlin eine Erklärung an, in der ihr Predigtdienst und ihre Ziele erläutert wurden. An alle Staatsmänner sandte man ein Exemplar, und Millionen weitere wurden öffentlich verteilt. Dennoch lehnte im Juli 1933 ein Gericht den Antrag auf ein Verwaltungsstreitverfahren ab. Anfang des darauffolgenden Jahres schrieb J. F. Rutherford an Adolf Hitler einen persönlichen Brief wegen dieser Situation und ließ ihn durch einen besonderen Boten überbringen. Dann trat die gesamte weltweite Bruderschaft in Aktion.

Am Sonntag, den 7. Oktober 1934 versammelten sich vormittags um 9 Uhr alle Gruppen der Zeugen in Deutschland. Sie beteten um die Führung und den Segen Jehovas. Dann sandte jede Gruppe an deutsche Regierungsvertreter einen Brief, in dem alle den festen Entschluß zum Ausdruck brachten, weiterhin Jehova zu dienen. Zum Schluß besprachen sie die Worte ihres Herrn, Jesus Christus, aus Matthäus 10:16-24, und anschließend begaben sie sich hinaus, um ihren Mitmenschen über Jehova und sein messianisches Königreich Zeugnis zu geben.

Am selben Tag kamen Jehovas Zeugen auf der ganzen Erde zusammen, und nach einem gemeinsamen Gebet zu Jehova sandten sie ein Telegramm mit folgender Warnung an die Hitler-Regierung: „Ihre schlechte Behandlung der Zeugen Jehovas empört alle guten Menschen und entehrt Gottes Namen. Hören Sie auf, Jehovas Zeugen weiterhin zu verfolgen, sonst wird Gott Sie und Ihre nationale Partei vernichten.“ Aber damit hörte die Verfolgung nicht auf.

Die Gestapo strengte sich noch mehr an, die Tätigkeit der Zeugen Jehovas völlig zu unterbinden. Nach Massenverhaftungen im Jahre 1936 dachte sie vielleicht, es geschafft zu haben. Aber dann verbreiteten am 12. Dezember 1936 etwa 3 450 Zeugen, die in Deutschland noch frei waren, in einer Blitzaktion im ganzen Land eine gedruckte Resolution, in der deutlich der Vorsatz Jehovas erklärt wurde und die Entschlossenheit der Zeugen Jehovas zum Ausdruck kam, Gott, dem Herrscher, mehr zu gehorchen als Menschen. Die Gegner konnten nicht begreifen, wie eine derartige Aktion möglich war. Als die Gestapo einige Monate später die in der Resolution erhobenen Anschuldigungen zu bagatellisieren suchte, stellten Jehovas Zeugen einen offenen Brief zusammen, in dem die nationalsozialistischen Beamten, die Zeugen Jehovas unmenschlich behandelt hatten, schonungslos mit Namen genannt wurden. 1937 verbreitete man auch diesen Brief überall in Deutschland. So wurden die Taten böser Menschen öffentlich angeprangert. Das bot allen die Möglichkeit, zu entscheiden, wie sie sich selbst gegenüber diesen Dienern Gottes, des Höchsten, verhalten würden. (Vergleiche Matthäus 25:31-46.)

Weltweite Publizität führt zu Erleichterungen

Auch andere Regierungen sind mit Jehovas Zeugen hart verfahren, indem sie ihre Zusammenkünfte und ihr öffentliches Predigen verboten haben. In einigen Fällen bewirkten diese Regierungen, daß Zeugen ihre Arbeitsstelle verloren und ihre Kinder von der Schule verwiesen wurden. Mehrere Regierungen sind nicht einmal vor brutaler Gewalt zurückgeschreckt. Doch in denselben Ländern gibt es gewöhnlich eine Verfassung, die Religionsfreiheit garantiert. In dem Bemühen, den verfolgten Zeugen Erleichterung zu verschaffen, hat die Watch Tower Society häufig weltweit ausführliche Berichte über eine derartige Behandlung veröffentlicht. Sie sind in den Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet! erschienen, und mitunter werden solche Berichte von der Presse aufgegriffen. Eine Flut von vielen Tausenden von Briefen aus aller Welt mit Appellen zugunsten der Zeugen ergießt sich dann in die Büros von Regierungsvertretern.

In den Vereinigten Staaten erhielt der Gouverneur von Georgia im Rahmen einer solchen Kampagne im Jahre 1937 in nur zwei Tagen 7 000 Briefe aus vier Ländern, und der Bürgermeister von La Grange (Georgia) wurde ebenfalls mit Tausenden von Briefen überhäuft. Weitere solche Aktionen zugunsten von Jehovas Zeugen wurden in Argentinien (1978 und 1979) durchgeführt, in Äthiopien (1957), Benin (1976), Burundi (1989), in der Dominikanischen Republik (1950 und 1957), in Gabun (1971), Griechenland (1963 und 1966), Jordanien (1959), Kamerun (1970), Malawi (1968, 1972, 1975 und 1976), Malaya (1952), Mosambik (1976), Portugal (1964 und 1966), Singapur (1972), Spanien (1961 und 1962) und Swasiland (1983).

Als ein Beispiel dafür, was in neuerer Zeit von Jehovas Zeugen weltweit unternommen wird, um ihren unterdrückten Brüdern Erleichterung zu verschaffen, betrachte man die Situation in Griechenland. Über die auf Anstiften der griechisch-orthodoxen Geistlichkeit ausgelöste heftige Verfolgung der dortigen Zeugen Jehovas erschienen 1986 sowohl im Wachtturm als auch im Erwachet! ausführliche Berichte (weltweit in einer Gesamtauflage von mehr als 22 000 000). Zeugen in anderen Ländern wurden eingeladen, im Interesse ihrer Brüder an griechische Regierungsvertreter zu schreiben. Und das taten sie auch. Gemäß einer Meldung der Athener Zeitung Vradyni gingen beim Justizminister mehr als 200 000 Briefe ein, die aus über 200 Ländern stammten und in 106 Sprachen verfaßt waren.

Als im darauffolgenden Jahr vor dem Berufungsgericht in Hania (Kreta) ein Fall verhandelt wurde, der Jehovas Zeugen betraf, waren Vertreter der Zeugen Jehovas aus sieben weiteren Ländern (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Spanien und Vereinigte Staaten) anwesend, und zwar als Prozeßbeteiligte und zur Unterstützung ihrer christlichen Brüder. In einem anderen Fall, der Jehovas Zeugen betraf, wurde nach einer ablehnenden Entscheidung im Jahre 1988 vor dem Obersten Gerichtshof von Griechenland die Europäische Kommission für Menschenrechte angerufen. Dort legte man 16 Juristen aus fast allen Teilen Europas am 7. Dezember 1990 einen Schriftsatz vor, der von 2 000 Verhaftungen und Hunderten von Gerichtsfällen handelte, in denen Zeugen Jehovas in Griechenland verurteilt worden waren, weil sie über die Bibel gesprochen hatten. (Insgesamt kam es in Griechenland von 1938 bis 1992 zu 19 147 Inhaftierungen.) Die Kommission entschied einstimmig, daß der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt werden sollte.

In einigen Fällen führt es zu einer gewissen Erleichterung, wenn Verletzungen der Menschenrechte auf solche Weise aufgedeckt werden. Doch ungeachtet dessen, was Richter oder Regenten unternehmen, fahren Jehovas Zeugen fort, Gott als ihrem obersten Herrscher zu gehorchen.

Die rechtliche Anerkennung erwirken

Die Befugnis, die wahre Anbetung auszuüben, stammt ganz offensichtlich von keinem Menschen und keiner menschlichen Regierung, sondern von Jehova Gott selbst. In vielen Ländern hat es sich jedoch für Jehovas Zeugen als vorteilhaft erwiesen, als Religionsgemeinschaft gesetzlich registriert zu sein, um den Schutz zu genießen, der durch das weltliche Recht gewährleistet wird. Pläne zum Kauf eines Grundstücks für ein Zweigbüro oder zum Drucken biblischer Literatur in größerem Umfang lassen sich leichter realisieren, wenn rechtliche Körperschaften gegründet worden sind. Im Einklang mit dem Präzedenzfall, den der Apostel Paulus durch die „gesetzliche Befestigung der guten Botschaft“ im alten Philippi schuf, unternehmen Jehovas Zeugen entsprechende Schritte mit demselben Ziel (Phil. 1:7).

Bisweilen war das sehr schwierig. In Österreich zum Beispiel, wo ein Konkordat mit dem Vatikan der katholischen Kirche finanzielle Unterstützung durch den Staat zusichert, wurden die Bemühungen der Zeugen Jehovas von Behörden mit den Worten abgelehnt: „Sie haben die Absicht, eine religiöse Organisation zu bilden, aber eine Organisation dieser Art kann gemäß dem österreichischen Gesetz nicht gebildet werden.“ 1930 konnte jedoch ein Verein gegründet werden, der der Verbreitung von Bibeln und biblischer Literatur dienen sollte.

In Spanien geht die Tätigkeit der Zeugen Jehovas im 20. Jahrhundert bis in die Jahre des Ersten Weltkriegs zurück. Aber bereits seit den Anfangsjahren der Inquisition im 15. Jahrhundert hatten die katholische Kirche und der spanische Staat — von wenigen Ausnahmen abgesehen — Hand in Hand gearbeitet. Veränderungen auf politischem und religiösem Gebiet führten dazu, daß einzelnen zwar erlaubt wurde, eine andere Religion zu praktizieren, doch durften sie ihren Glauben nicht öffentlich bekunden. Trotz dieses Umstandes bemühten sich Jehovas Zeugen 1956 und auch 1965 in Spanien um die rechtliche Anerkennung. Echte Fortschritte waren allerdings erst möglich, als das spanische Parlament 1967 das Gesetz über Religionsfreiheit verabschiedete. Am 10. Juli 1970 — die Zeugen in Spanien zählten mittlerweile bereits über 11 000 — wurde schließlich die rechtliche Anerkennung erteilt.

Im Jahre 1948 beantragte man beim französischen Kolonialgouverneur von Dahomey (heute Benin) die gesetzliche Eintragung der Watch Tower Society. Doch sie erfolgte erst 1966, sechs Jahre nachdem das Land eine unabhängige Republik geworden war. Diese rechtliche Anerkennung wurde dann 1976 aufgehoben und 1990 wieder erteilt, da sich sowohl das politische Klima als auch die behördliche Einstellung zur Religionsfreiheit geändert hatten.

In Kanada waren Jehovas Zeugen zwar schon jahrelang rechtlich anerkannt, doch der Zweite Weltkrieg lieferte Gegnern einen willkommenen Anlaß, den neuen Generalgouverneur zu überreden, Jehovas Zeugen als illegal zu erklären. Das geschah am 4. Juli 1940. Zwei Jahre danach, als die Zeugen die Gelegenheit erhielten, vor einem Ausschuß des Unterhauses eine Erklärung abzugeben, empfahl dieser Ausschuß nachdrücklich, das über Jehovas Zeugen und ihre rechtlichen Körperschaften verhängte Verbot aufzuheben. Doch erst nach wiederholten längeren Debatten im Unterhaus und nach umfangreichen landesweiten Unterschriftensammlungen für zwei Petitionen sah sich der Justizminister, ein Katholik, gezwungen, das Verbot völlig aufzuheben.

In Osteuropa mußte sich die Haltung von Regierungen erst grundlegend ändern, bevor es Jehovas Zeugen möglich war, die rechtliche Anerkennung zu erlangen. Nachdem sich die Zeugen jahrzehntelang um Religionsfreiheit bemüht hatten, wurden sie 1989 in Polen und Ungarn anerkannt, 1990 in Rumänien und in der Deutschen Demokratischen Republik (vor der Vereinigung mit der Bundesrepublik Deutschland), 1991 in Bulgarien und der ehemaligen Sowjetunion sowie 1992 in Albanien.

Jehovas Zeugen sind bestrebt, sich bei ihrer Tätigkeit an die Gesetze des Staates zu halten. Gestützt auf die Bibel, treten sie nachdrücklich dafür ein, Regierungsvertreter zu achten. Wenn aber menschliche Gesetze den deutlich zum Ausdruck gebrachten Geboten Gottes widersprechen, lautet ihre Antwort: „Wir müssen Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5:29).

Wenn Menschen aus Angst grundlegende Freiheiten vergessen

Wegen des zunehmenden Drogenmißbrauchs unter großen Bevölkerungsteilen und wegen der steigenden Inflation, die häufig sowohl den Mann als auch die Frau zwingt, erwerbstätig zu sein, sehen sich Jehovas Zeugen in den Vereinigten Staaten in ihrem Predigtdienst vor neue Situationen gestellt. Viele Wohngebiete sind tagsüber nahezu menschenleer, und Einbrüche nehmen überhand. Die Menschen leben in Angst. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre wurde eine Unmenge von Verordnungen über genehmigungspflichtiges Werben erlassen, um einen Überblick über den Aufenthalt von Fremden in einem Gemeinwesen zu haben. Einige Städte haben Jehovas Zeugen mit Verhaftungen gedroht, falls sie keine Erlaubnis einholen würden. Aber es war bereits eine feste Rechtsgrundlage geschaffen worden, so daß man sich auf außergerichtlichem Wege um eine Lösung der Probleme bemühen konnte.

Wo sich Schwierigkeiten ergeben, können Älteste am Ort mit Behördenvertretern eine Lösung ausarbeiten. Jehovas Zeugen weigern sich standhaft, um eine Erlaubnis zu ersuchen, das von Gott gebotene Werk zu verrichten, und die Verfassung der Vereinigten Staaten garantiert — gestützt durch Entscheidungen des Obersten Bundesgerichts — Religions- und Pressefreiheit, die nicht die Entrichtung einer Gebühr voraussetzen. Jehovas Zeugen haben aber Verständnis für die Angst der Menschen und können sich nötigenfalls damit einverstanden erklären, die Polizei zu benachrichtigen, bevor sie mit ihrer Tätigkeit in einem bestimmten Gebiet beginnen. Falls jedoch kein annehmbarer Kompromiß zu erzielen ist, erläutert ein Anwalt aus der Zentrale der Gesellschaft den örtlichen Behörden auf schriftlichem Wege das Werk der Zeugen Jehovas sowie das Verfassungsrecht, das ihr Recht zu predigen stützt, und ihre Möglichkeit, dieses Recht auf Bundesebene durch Schadenersatzklagen gegen die Stadtgemeinde und ihre Behörden geltend zu machen. f

In einigen Ländern erweist es sich sogar als nötig, zur Sicherung grundlegender Freiheiten, die lange als selbstverständlich galten, vor Gericht zu gehen. Das war 1976 und auch 1983 in Finnland der Fall. Angeblich um eine Ruhestörung zu vermeiden, wurden in vielen Städten Verordnungen erlassen, mit denen religiöse Betätigungen verboten wurden, die Besuche von Haus zu Haus einschlossen. In Loviisa und in Rauma wurde jedoch vor Gericht darauf hingewiesen, daß das Predigen von Haus zu Haus ein Bestandteil der Religion der Zeugen Jehovas ist und die Regierung diese Methode des Evangelisierens genehmigt hatte, als sie die Statuten der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas bewilligte. Weiter wurde ausgeführt, daß viele Menschen die Besuche der Zeugen begrüßen und es eine Beschränkung der Freiheit wäre, eine solche Tätigkeit zu verbieten, nur weil sie nicht von jedem geschätzt werde. Nach dem erfolgreichen Abschluß dieser Fälle hoben viele Ortschaften und Städte ihre Verordnung wieder auf.

Das Verfassungsrecht mitgestaltet

Die Tätigkeit der Zeugen Jehovas hat in einigen Ländern wesentlich zur Gestaltung des Rechts beigetragen. Jeder amerikanische Jurastudent weiß nur zu gut, was Jehovas Zeugen in den Vereinigten Staaten zur Verteidigung der Bürgerrechte beigetragen haben. An das Ausmaß ihres Beitrages erinnern Artikel wie „Was das Verfassungsrecht den Zeugen Jehovas zu verdanken hat“ (erschienen in der Minnesota Law Review vom März 1944) und „Ein Katalysator für die Entwicklung des Verfassungsrechts: Jehovas Zeugen vor dem Obersten Bundesgericht“ (veröffentlicht in der University of Cincinnati Law Review, 1987).

Ihre Gerichtsfälle bilden einen bedeutenden Teil des amerikanischen Rechts, was die Religions-, Rede- und Pressefreiheit angeht. Diese Fälle haben nicht nur zur Wahrung der Grundrechte der Zeugen Jehovas, sondern auch der der gesamten Bevölkerung wesentlich beigetragen. In einer Ansprache an der Drake-Universität sagte Irving Dilliard, ein bekannter Autor und Redakteur: „Ob man es nun gern hört oder nicht, Jehovas Zeugen haben mehr getan, um mitzuhelfen, unsere Grundrechte zu wahren, als irgendeine andere religiöse Gruppe.“

Über die Situation in Kanada ist im Vorwort des Buches State and Salvation—The Jehovah’s Witnesses and Their Fight for Civil Rights zu lesen: „Die Zeugen Jehovas belehrten den Staat und das kanadische Volk darüber, worin der gesetzliche Schutz nonkonformistischer Gruppen in der Praxis bestehen sollte. Überdies führte die ... Verfolgung [der Zeugen in der Provinz Quebec] zu einer Reihe von Fällen, die in den 40er und 50er Jahren bis vor das Oberste Bundesgericht von Kanada gelangten. Diese Fälle haben auch einen wichtigen Beitrag zur Einstellung der Kanadier gegenüber den Bürgerrechten geleistet, und sie bilden heute in der kanadischen Rechtslehre das Fundament der Bürgerrechte.“ „Ein Resultat“ des Rechtsstreits der Zeugen um Religionsfreiheit, so heißt es in dem Buch, „waren die langanhaltenden Diskussionen und Debatten, die zur Charter of Rights führten“, die heute einen Teil des kanadischen Grundgesetzes bildet.

Der Vorrang des Gesetzes Gottes

Die Rechtsgeschichte der Zeugen Jehovas liefert jedoch in erster Linie den Beweis für ihre Überzeugung, daß Gottes Gesetz über allen anderen steht. Ihrem Standpunkt liegt das Verständnis der Streitfrage der universellen Souveränität zugrunde. Sie erkennen Jehova als den allein wahren Gott und den rechtmäßigen Souverän des Universums an. Daher halten sie unerschütterlich an dem Standpunkt fest, daß alle Gesetze oder Gerichtsentscheide, die verbieten, einem Gebot Jehovas nachzukommen, ungültig sind und daß eine menschliche Instanz, die derartige Beschränkungen festlegt, ihre Befugnis überschreitet. Sie nehmen denselben Standpunkt ein wie die Apostel Jesu Christi, die erklärten: „Wir müssen Gott, dem Herrscher, mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5:29).

Mit Gottes Hilfe sind Jehovas Zeugen entschlossen, die gute Botschaft von Gottes Königreich auf der ganzen bewohnten Erde allen Nationen zu einem Zeugnis zu predigen, bevor das Ende kommt (Mat. 24:14).

[Fußnoten]

a Die erste Ausgabe erschien am 1. Oktober 1919 (dt.: 1922). Die Zeitschrift — wie auch Trost und Erwachet!, von denen sie abgelöst wurde — erfuhr eine außergewöhnliche Verbreitung. 1992 erschien Erwachet! in 67 Sprachen mit einer Auflage von 13 110 000.

b Wenn Zeugen Jehovas wegen ihres Zeugnisgebens vor Gericht kamen, legten sie grundsätzlich Berufung ein, statt eine Geldstrafe zu zahlen. Wurde die Berufung abgewiesen, gingen sie ins Gefängnis, statt die Geldstrafe zu zahlen, sofern das Gesetz diese Möglichkeit vorsah. Die beharrliche Weigerung der Zeugen, Geldstrafen zu zahlen, trug dazu bei, daß einige Beamte es aufgaben, ständig gegen die Zeugnistätigkeit einzuschreiten. Unter bestimmten Umständen wird vielleicht immer noch so vorgegangen, doch zeigte Der Wachtturm vom 1. September 1975, daß man in vielen Fällen eine Geldstrafe zu Recht als eine gerichtliche Strafe ansehen könnte, weshalb ihre Zahlung ebensowenig ein Schuldeingeständnis wäre, wie der Antritt einer Gefängnisstrafe ein Schuldbeweis ist.

c Lovell gegen Stadt Griffin, 303 U.S. 444 (1938).

d Schneider gegen Staat New Jersey (Stadt Irvington), 308 U.S. 147 (1939).

e 310 U.S. 296 (1940).

f 297 Mass. 65 (1935). Bei dem Fall handelte es sich um einen achtjährigen Schüler; die richtige Schreibweise seines Namens ist Carleton Nichols.

g 302 U.S. 656 (1937) (aus Georgia).

h 303 U.S. 624 (1938) (aus New Jersey).

i 306 U.S. 621 (1939) (aus Kalifornien).

j 306 U.S. 621 (1939) (aus Massachusetts).

k 310 U.S. 586 (1940). Walter Gobitas (richtige Schreibweise), der Vater, war mit seinen Kindern William und Lillian vor Gericht gegangen, um die Schulaufsichtsbehörde davon abzuhalten, den beiden Kindern den Besuch der öffentlichen Schule in Minersville zu verwehren, weil die Kinder nicht die Landesfahne grüßten. Das Bundesbezirksgericht und die Berufungsinstanz entschieden zugunsten der Zeugen Jehovas. Daraufhin legte die Schulaufsichtsbehörde beim Obersten Bundesgericht in dem Fall ein weiteres Rechtsmittel ein.

l 316 U.S. 584 (1942).

a 319 U.S. 105 (1943).

b Im Kalenderjahr 1943 wurden beim Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten in 24 Fällen Klageschriften oder Rechtsmittelanträge eingereicht.

c 319 U.S. 624 (1943).

d 319 U.S. 583 (1943).

e Von 1919 bis 1988 wurden beim Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten insgesamt in 138 Fällen, die Zeugen Jehovas betrafen, Rechtsmittelanträge eingereicht. In hundertdreißig Fällen geschah dies durch Jehovas Zeugen; in acht Fällen durch ihre Prozeßgegner. In 67 Fällen lehnte das Oberste Bundesgericht ein Rechtsmittelverfahren ab, weil nach damaliger Ansicht des Gerichts keine wichtigen Fragen der Bundesverfassung oder des Bundesrechts vorlagen. In 47 der von dem Gericht behandelten Fälle lautete die Entscheidung zugunsten der Zeugen Jehovas.

f Jane Monell gegen Amt für Soziale Dienste der Stadt New York, 436 U.S. 658 (1978).

[Herausgestellter Text auf Seite 680]

In einem Land nach dem anderen wurden Jehovas Zeugen verboten

[Herausgestellter Text auf Seite 682]

Die Anklage wurde fallengelassen, und der Priester verließ wutentbrannt das Gerichtsgebäude

[Herausgestellter Text auf Seite 693]

Einige Beamte gingen schließlich gewissenhafter vor, wenn sie es mit einem Fall zu tun hatten, der Zeugen Jehovas betraf

[Kasten auf Seite 684]

Ein Zeugnis vor dem Obersten Bundesgericht der USA

Als Joseph F. Rutherford, ein Mitglied der Anwaltskammer von New York und Präsident der Watch Tower Society, in seiner Eigenschaft als Rechtsberater im Fall „Gobitis“ vor dem Obersten Bundesgericht der Vereinigten Staaten erschien, lenkte er die Aufmerksamkeit darauf, wie wichtig es ist, sich der Souveränität Jehovas Gottes zu unterwerfen. Er sagte:

„Jehovas Zeugen sind diejenigen, die für den Namen des allmächtigen Gottes, der allein den Namen JEHOVA trägt, Zeugnis ablegen. ...

Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß Jehova Gott vor mehr als sechstausend Jahren verhieß, durch den Messias eine gerechte Regierung aufzurichten. Er wird dieses Versprechen zur rechten Zeit erfüllen. Die gegenwärtigen Ereignisse, im Licht der Prophezeiungen betrachtet, lassen erkennen, daß diese Zeit nahe ist. ...

Jehova Gott ist der alleinige Quell des Lebens. Niemand sonst kann Leben vermitteln. Der Staat Pennsylvanien kann kein Leben geben. Die amerikanische Regierung kann es nicht. Gott erließ dieses Gesetz [das die Anbetung von Bildern verbietet], wie Paulus erklärt, um sein Volk vor dem Götzendienst zu bewahren. Das sei nur eine Kleinigkeit, sagen Sie. So verhielt es sich auch mit der Tat Adams, als er die verbotene Frucht aß. Es ging nicht um den Apfel an sich, sondern um den Akt des Ungehorsams gegenüber Gott. Die Frage ist, ob der Mensch Gott oder einer menschlichen Institution gehorchen wird. ...

Ich erinnere daran (was kaum nötig ist), daß dieses Gericht im Fall ‚Kirche gegen Vereinigte Staaten‘ die Ansicht vertrat, Amerika sei eine christliche Nation; und das bedeutet, daß Amerika dem göttlichen Gesetz gehorchen muß. Es bedeutet außerdem, daß dieses Gericht die Tatsache als offenkundig anerkennt, daß Gottes Gesetz allen anderen überlegen ist. Und wenn ein Mensch aufrichtig glaubt, daß Gottes Gesetz über allem steht, und er sich gewissenhaft daran hält, darf keine menschliche Instanz ihn dazu zwingen, gegen sein Gewissen zu handeln. ...

Erlauben Sie mir bitte, darauf hinzuweisen, daß zu Beginn jeder Gerichtsverhandlung der Gerichtsdiener folgendes erklärt: ‚Gott beschütze die Vereinigten Staaten und dieses ehrenwerte Gericht.‘ Und ich sage nun, Gott möge dieses ehrenwerte Gericht davor bewahren, einen Fehler zu begehen, der das Volk der Vereinigten Staaten in ein totalitäres System führt und alle Grundrechte, die die Verfassung garantiert, zunichte macht. Diese Angelegenheit ist jedem Amerikaner heilig, der Gott und sein Wort liebt.“

[Kasten auf Seite 687]

Die Anfechtung der Urteile erreicht

Für die Entscheidung des Obersten Bundesgerichts der Vereinigten Staaten im Fall „Schulbezirk Minersville gegen Gobitis“, daß von Kindern der Fahnengruß verlangt werden könne, stimmten 1940 acht von neun Richtern. Nur Richter Stone war anderer Meinung. Zwei Jahre später jedoch, als die Richter ihren abweichenden Standpunkt im Fall „Jones gegen Opelika“ festlegten, ergriffen drei weitere Richter (Black, Douglas und Murphy) die Gelegenheit, ihrer Überzeugung Ausdruck zu verleihen, daß der Fall „Gobitis“ falsch beurteilt worden war, weil er der Religionsfreiheit eine untergeordnete Stellung beimaß. Das bedeutete, daß vier von neun Richtern im Fall „Gobitis“ eine Revision des Urteils befürworteten. Zwei der Richter, die die Religionsfreiheit bagatellisiert hatten, waren inzwischen in den Ruhestand getreten. Zwei neue Richter (Rutledge und Jackson) saßen auf der Richterbank, als der nächste Fahnengrußfall vor das Oberste Bundesgericht kam. Beide stimmten 1943 im Fall „Staatliche Schulbehörde von West Virginia gegen Barnette“ nicht zugunsten des obligatorischen Fahnengrußes, sondern zugunsten der Religionsfreiheit. Mit 6 gegen 3 Stimmen nahm das Gericht somit einen völlig anderen Standpunkt ein als in fünf früheren Fällen („Gobitis“, „Leoles“, „Hering“, „Gabrielli“ und „Johnson“), in denen bei diesem Gericht Rechtsmittel eingelegt worden waren.

Im Fall „Barnette“ sagte Richter Frankfurter in der Begründung seines abweichenden Standpunkts: „Wie wir aus der Vergangenheit wissen, ändert das Gericht von Zeit zu Zeit seinen Standpunkt. Ich glaube jedoch, daß dieses Gericht niemals vor den Fällen der Zeugen Jehovas (außer geringfügigen Abweichungen, die nachfolgend umrissen werden) Entscheidungen umgestoßen hat, um die Macht des demokratischen Staates einzuschränken.“

[Kasten auf Seite 688]

„Eine uralte Form missionarischen Evangelisierens“

Im Jahre 1943 erklärte das Oberste Bundesgericht der Vereinigten Staaten im Fall „Murdock gegen Pennsylvanien“ unter anderem:

„Die Verbreitung religiöser Traktate von Hand ist eine uralte Form missionarischen Evangelisierens — so alt wie die Geschichte der Druckpressen. In verschiedenen religiösen Bewegungen hat diese Tätigkeit in all den Jahren eine wichtige Rolle gespielt. Dieser Form des Evangelisierens bedient sich heute eine Vielzahl von Religionsgemeinschaften, deren Kolporteure das Evangelium in Tausende und aber Tausende von Wohnungen tragen und durch persönliche Besuche Anhänger für ihren Glauben suchen. Es ist mehr als Predigen; es ist mehr als die Verteilung religiöser Schriften. Es ist eine Kombination aus beidem. Der Zweck ist ebenso evangelisch wie die Erweckungsversammlung. Diese Art religiöser Tätigkeit nimmt unter dem 1. Zusatzartikel [zur US-Verfassung] dieselbe hohe Stufe ein wie die Anbetung in den Kirchen und das Predigen von den Kanzeln. Sie kann denselben Schutz beanspruchen wie die anerkannteren und herkömmlicheren Religionsbräuche. Sie kann auch denselben Anspruch wie die anderen auf die Garantien der Rede- und Pressefreiheit erheben.“

[Kasten auf Seite 690]

„Gleiches Recht für alle“

Unter der obigen Schlagzeile schrieb 1953 eine prominente kanadische Journalistin folgendes: „Mit einem großen Freudenfeuer auf dem Parlamentshügel sollte der Entscheid des Obersten Bundesgerichts von Kanada im Fall Saumur [den Jehovas Zeugen vor Gericht gebracht hatten] gefeiert werden, mit einem Freudenfeuer, das eines großen Anlasses würdig ist. Nur wenige Entscheidungen in der kanadischen Rechtsgeschichte können von größerer Bedeutung gewesen sein als diese. Und nur wenige Gerichte können Kanada einen größeren Dienst erwiesen haben als dieses Gericht. Keinem sind Kanadier, die das Erbe ihrer Freiheit schätzen, zu größerem Dank verpflichtet. ... Die Entscheidung läßt sich gar nicht mit einem so großen Freudenfeuer feiern, wie sie es verdienen würde.“

[Kasten auf Seite 694]

Eine mutige Erklärung an den nationalsozialistischen Staat

Am 7. Oktober 1934 sandte jede Versammlung der Zeugen Jehovas an die deutsche Regierung einen Brief folgenden Inhalts:

„AN DIE REICHSREGIERUNG:

Das in der Heiligen Schrift enthaltene Wort Jehovas ist höchstes Gesetz. Es ist unsere einzige Richtschnur, weil wir uns Gott geweiht haben und wahre, aufrichtige Nachfolger Christi Jesu sind.

Im vergangenen Jahre haben Sie im Widerspruch zu Gottes Gesetz und in Verletzung unserer Rechte uns verboten, uns als Zeugen Jehovas zu versammeln, um Gottes Wort zu erforschen, ihn anzubeten und ihm zu dienen. In seinem Wort befiehlt uns Gott, unser Zusammenkommen nicht zu versäumen (Hebräer 10:25). Er befiehlt uns weiter: ‘Ihr seid meine Zeugen, daß ich Gott bin ..., geht und überbringet dem Volke meine Botschaft’ (Jesaja 43:10, 12; Jesaja 6:9; Matthäus 24:14). Es besteht ein direkter Widerspruch zwischen Ihrem Gesetz und Gottes Gesetz. Wir folgen dem Rat der treuen Apostel und ‚müssen Gott mehr gehorchen als den Menschen‘, und das werden wir auch tun (Apostelgeschichte 5:29). Daher teilen wir Ihnen mit, daß wir um jeden Preis Gottes Gebote befolgen, daß wir uns versammeln werden, um sein Wort zu erforschen, und daß wir ihn anbeten und ihm dienen werden, wie er geboten hat. Wenn Ihre Regierung oder Ihre Regierungsbeamten uns Gewalt antun, weil wir Gott gehorchen, so wird unser Blut auf Ihrem Haupte sein, und Sie werden Gott, dem Allmächtigen, Rechenschaft ablegen müssen.

Mit politischen Angelegenheiten haben wir nichts zu tun, sondern sind Gottes Königreich unter der Herrschaft Christi, seines Königs, völlig ergeben. Wir werden niemandem Leid oder Schaden zufügen. Es würde uns freuen, mit allen Menschen Frieden zu halten und ihnen nach Möglichkeit Gutes zu tun. Da aber Ihre Regierung und Ihre Beamten weiterhin versuchen, uns zum Ungehorsam dem höchsten Gesetz des Universums gegenüber zu zwingen, müssen wir Ihnen kundtun, daß wir durch seine Gnade Jehova Gott gehorchen wollen und daß wir ihm völlig vertrauen, daß er uns von aller Bedrückung und allen Bedrückern befreien wird.“

[Kasten auf Seite 697]

Zeugen unter Verbot erklären ihren Standpunkt

Die Organisation der Zeugen Jehovas wurde von der kanadischen Regierung im Jahre 1940 verboten. Danach wurde in mehr als 500 Fällen Anklage erhoben. Was konnten die Angeklagten zu ihrer Verteidigung vorbringen? Mit Entschlossenheit, doch respektvoll, gaben sie vor Gericht in etwa Erklärungen wie die folgende ab:

„Ich habe keinen Grund, mich wegen dieser Bücher zu entschuldigen. Sie zeigen den Weg zum ewigen Leben. Ich glaube aufrichtig, daß darin der Vorsatz des allmächtigen Gottes erklärt wird, auf der Erde ein gerechtes Königreich aufzurichten. Für mein Leben waren sie der größte Segen überhaupt. Meiner Meinung nach wäre es eine Sünde gegen den Allmächtigen, die Bücher und die darin enthaltene göttliche Botschaft zu vernichten, ebenso wie es eine Sünde wäre, die Bibel zu verbrennen. Jeder einzelne muß sich entscheiden, ob er das Mißfallen der Menschen oder das des allmächtigen Gottes auf sich nehmen will. Ich meinerseits habe auf der Seite des Herrn und seines Königreiches Stellung bezogen und bemühe mich, den Namen des Allerhöchsten, der Jehova lautet, zu ehren. Und wenn ich dafür bestraft werde, müssen diejenigen, die die Strafe verhängen, dies vor Gott verantworten.“

[Kasten auf Seite 698]

Der Standpunkt von kanadischen Regierungsmitgliedern

Folgende Erklärungen wurden im Jahre 1943 von einigen Mitgliedern des kanadischen Unterhauses abgegeben, als der Justizminister aufgefordert wurde, das Verbot der Zeugen Jehovas und ihrer rechtlichen Körperschaften aufzuheben:

„Das Justizministerium legte dem Ausschuß kein Beweismaterial vor, das es gerechtfertigt hätte, Jehovas Zeugen zu irgendeiner Zeit zu einer illegalen Organisation zu erklären. ... Es ist eine Schande für Kanada, daß Menschen wegen ihrer religiösen Überzeugung so verfolgt werden, wie es mit diesen armen Menschen geschieht.“ „Nach meiner Meinung wird das Verbot aus rein religiösen Vorurteilen aufrechterhalten“ (Angus MacInnis).

„Die meisten von uns haben die Erfahrung gemacht, daß es sich bei ihnen um ungefährliche Leute handelt, frei von jeglicher Absicht, dem Staat zu schaden. ... Warum ist das Verbot nicht aufgehoben worden? Es kann nicht etwa deswegen sein, weil man fürchtet, diese Organisation wirke sich nachteilig auf die Wohlfahrt des Staates aus oder ihre Tätigkeit unterlaufe die Kriegsanstrengungen. Dafür hat es niemals auch nur das geringste Anzeichen gegeben“ (John G. Diefenbaker).

„Man muß sich fragen, ob die Maßnahmen gegen Jehovas Zeugen in erster Linie auf ihre Einstellung zur katholischen Kirche zurückzuführen sind und nicht auf ihre angeblich subversive Einstellung“ (Victor Quelch).

[Kasten auf Seite 699]

Der Sache der Religionsfreiheit gedient

„Es wäre nicht gerecht, würde man diesen kurzen Überblick über die Schwierigkeiten, die Jehovas Zeugen mit dem Staat gehabt haben, abschließen, ohne auf den Dienst hinzuweisen, den sie dank ihrer Beharrlichkeit der Sache der durch unsere Verfassung zugesicherten Religionsfreiheit geleistet haben. Sie haben in den letzten Jahren die Gerichte mehr in Anspruch genommen als irgendeine andere religiöse Gruppe und haben in den Augen der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, sie seien engstirnig; doch sie sind ihrer innersten Überzeugung treu geblieben und haben dadurch bewirkt, daß die Bundesgerichte eine Reihe von Entscheidungen fällten, durch die die Religionsfreiheit der amerikanischen Bürger sichergestellt und ausgedehnt wurde und durch die ihre Grundrechte erhalten blieben und noch erweitert wurden. In den fünf Jahren von 1938 bis 1943 gelangten etwa einunddreißig Fälle, in die sie verwickelt waren, vor das Oberste Bundesgericht, und die Urteile, die in diesen und auch in späteren Prozessen gefällt wurden, haben im allgemeinen wesentlich zur Förderung der in der Bill of Rights verankerten Grundrechte und im besonderen zum Schutz der Religionsfreiheit beigetragen“ (Anson Phelps Stokes, „Church and State in the United States“, Bd. III, 1950, S. 546).

[Kasten/Bilder auf Seite 700, 701]

Sie freuen sich über ihre Religionsfreiheit

In vielen Ländern, in denen Jehovas Zeugen früher keine uneingeschränkte Religionsfreiheit gewährt wurde, können sie sich heute öffentlich zur Anbetung versammeln und ungehindert die gute Botschaft von Gottes Königreich verkündigen.

Quebec (Kanada)

In den 40er Jahren wurden die wenigen Zeugen hier in Châteauguay vom Mob angegriffen. 1992 versammelten sich in der Provinz Quebec mehr als 21 000 Zeugen ungehindert in ihren Königreichssälen.

St. Petersburg (Rußland)

1992 stellten sich auf dem ersten internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas in Rußland 3 256 Personen zur Taufe dar

Palma (Spanien)

Nachdem Jehovas Zeugen in Spanien 1970 rechtlich anerkannt worden waren, kündeten große Schilder an ihren Zusammenkunftsstätten von ihrer Freude, sich öffentlich versammeln zu können

Tartu (Estland)

Die Zeugen in Estland sind dankbar, daß sie seit 1990 ungehindert biblische Literatur erhalten

Maputo (Mosambik)

Jehovas Zeugen wurden 1991 rechtlich anerkannt, und ein Jahr später verrichteten in der Hauptstadt und Umgebung mehr als 50 Versammlungen voller Freude ihren Predigtdienst

Cotonou (Benin)

Viele waren überrascht, als sie 1990 zu einer Zusammenkunft kamen und ein Banner sahen, auf dem Jehovas Zeugen öffentlich willkommen geheißen wurden. Damals erfuhren sie, daß das über ihre Religionsgemeinschaft verhängte Verbot aufgehoben worden war.

Prag (Tschechoslowakei)

Im Bild unten sind einige Zeugen zu sehen, die Jehova 40 Jahre unter staatlichem Verbot dienten. 1991 freuten sie sich, auf einem internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas in Prag anwesend zu sein.

Luanda (Angola)

Als 1992 das Verbot aufgehoben wurde, freuten sich über 50 000 Einzelpersonen und Familien, daß sie ungehindert mit Jehovas Zeugen die Bibel studieren konnten

Kiew (Ukraine)

In diesem Land werden die Zusammenkünfte (meist in gemieteten Sälen) gut besucht, besonders seit 1991, als Jehovas Zeugen rechtlich anerkannt wurden

[Bilder auf Seite 679]

In 138 Fällen, bei denen es um Zeugen Jehovas ging, wurden beim Obersten Bundesgericht der USA Rechtsmittelanträge eingereicht. Hayden Covington (hier zu sehen) diente von 1939 bis 1963 bei 111 dieser Fälle als Anwalt.

[Bild auf Seite 681]

Maurice Duplessis, Ministerpräsident von Quebec, kniet Ende der 30er Jahre öffentlich vor Kardinal Villeneuve und steckt ihm einen Ring an den Finger als Beweis für die engen Bande zwischen Kirche und Staat. In Quebec wurden Jehovas Zeugen besonders heftig verfolgt.

[Bild auf Seite 683]

W. K. Jackson, ein Mitarbeiter der Rechtsabteilung im Hauptbüro der Gesellschaft, diente zehn Jahre als Mitglied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas

[Bild auf Seite 685]

Rosco Jones; sein Fall, bei dem es um den Predigtdienst der Zeugen Jehovas ging, kam zweimal vor das Oberste Bundesgericht der USA

[Bilder auf Seite 686]

Richter des Obersten Bundesgerichts der USA, die im Fall „Barnette“ mit 6 gegen 3 Stimmen zugunsten der Religionsfreiheit den obligatorischen Fahnengruß ablehnten. Damit stieß das Gericht die zuvor im Fall „Gobitis“ gefällte eigene Entscheidung um.

Kinder, die in die Fälle verwickelt waren

Lillian und William Gobitas

Marie und Gathie Barnette

[Bild auf Seite 689]

Aimé Boucher wurde vom Obersten Bundesgericht Kanadas freigesprochen; durch dieses Urteil wurden die gegen Jehovas Zeugen erhobenen Anklagen, die auf Staatsgefährdung lauteten, abgewiesen

[Bilder auf Seite 691]

Dieses Traktat (in drei Sprachen) unterrichtete alle Bürger Kanadas über die in Quebec gegen Jehovas Zeugen verübten Greueltaten

[Bilder auf Seite 692]

Es wurde nötig, Jehovas Zeugen über rechtliche Verfahrensweisen gründlich zu informieren, damit sie dem Widerstand im Predigtdienst begegnen konnten; hier sind einige der einschlägigen Veröffentlichungen zu sehen, die sie benutzten