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Chronik

Chronik

1933 Die Reichstagsbrandverordnung zur „Abwehr kommunistischer staats­gefährdender Gewaltakte“ setzt viele Grundrechte außer Kraft (28. Februar). Zeugen Jehovas werden aufgrund von Falschanklagen in den meisten Ländern des Reiches verboten; eine Petition an den Reichskanzler und die Behörden bleibt erfolglos (April und Juni). Beschlagnahmung von Gemeindeeigentum, Verbrennen von biblischer Literatur und erste Einweisungen von Zeugen Jehovas in Konzentrations­lager (Juli).

1934 Da die Polizei die Post von Zeugen Jehovas kontrolliert, um den Import von biblischer Literatur aus dem Ausland zu unterbinden, vervielfältigen Zeugen Jehovas ihre Literatur im Untergrund. Bis März sind etwa 4000 Haus­durchsuchungen, 1000 Verhaftungen und 200 Fälle von Misshandlungen registriert worden. Ab Juni werden viele Zeugen Jehovas, die im öffentlichen Dienst tätig sind, entlassen. Am 7. Oktober geht eine Flut von Protesttelegrammen an Hitler, der hysterisch schreit: „Diese Brut wird aus Deutschland ausgerottet werden!“

1935 Allgemeines Reichsverbot von Jehovas Zeugen mit dem Ziel, sie aus dem Staatsdienst zu entfernen (1. April). Sondergerichte verurteilen zahllose Zeugen Jehovas zu hohen Geld- und Gefängnisstrafen, weil sie christliche Zusammenkünfte durchführen und ihre Literatur verteilen. Ohne Rücksicht auf geltendes Recht erlässt die Gestapo eigenmächtig Richtlinien für die Schutzhaft von Zeugen Jehovas und ihre Einweisung in Konzentrations­lager (17. Juni und 9. September).

1936 Der Reichsinnenminister untersagt Jehovas Zeugen, „Bibeln oder andere an sich einwandfreie religiöse Schriften“ zu verkaufen, was zu vermehrten Verhaftungen führt (30. Januar). Die Behörden dürfen Zeugen Jehovas die Arbeitslosen­unterstützung und Rente vorenthalten (ab 2. Februar). Weil sich viele Zeugen Jehovas nicht an der „Reichstagswahl“ (29. März) beteiligen, müssen viele von ihnen Misshandlungen und Beschimpfungen erdulden. Gestapo und Kriminalpolizei bilden Sonderkommandos, und bei den Sondergerichten werden Sonderdezernate eingerichtet, um gegen Zeugen Jehovas zu ermitteln und sie abzuurteilen (Juni). Trotz der Massen­verhaftungen (28. August) gelingt es Zeugen Jehovas im gesamten Reichsgebiet, die Luzerner Protestresolution zu verteilen (12. Dezember).

1937 Polizei und Justiz werden angewiesen, „mit den schärfsten Mitteln“ gegen Jehovas Zeugen vorzugehen; das Strafmaß wird erhöht; nach Verbüßung einer Gefängnishaft erfolgt oft die Einweisung in ein KZ oder eine Verlängerung der Haftzeit. Rund 4000 Zeugen Jehovas sind in Haft und werden oft gruppenweise in Bibelforscherprozessen abgeurteilt, über die die Presse offen berichtet. Die Vormundschaftsgerichte strengen erfolgreich Verfahren an, um Kinder von ihren Eltern zu isolieren. Jehovas Zeugen führen eine zweite reichsweite Flugblattaktion durch, um die Bevölkerung auf den Gestapo-Terror aufmerksam zu machen (20. Juni).

1938 Ungefähr 5 bis 10 Prozent der KZ-Häftlinge in der Vorkriegszeit sind Zeugen Jehovas. Sie werden in speziellen Baracken hinter Stacheldraht isoliert (in einigen Lagern bereits früher) und erhalten für neun Monate absolutes Schreibverbot (März). In der Schweiz dokumentieren Zeugen Jehovas die Verfolgung in dem Buch Kreuzzug gegen das Christentum und erwähnen, dass „schon 6000 … in Gefängnissen und Konzentrations­lagern schmachten“ (Mai). In einer Rede in New York, die von 60 Radiostationen ausgestrahlt wird, verurteilt J. F. Rutherford, der Präsident der Watch Tower Society, Hitler und die Judenverfolgung mit scharfen Worten (8. Oktober).

1939 August Dickmann ist der erste namentlich bekannte Wehrdienst­verweigerer aus religiösen Gründen, den die National­sozialisten hinrichten. Am 15. September wird er in Anwesenheit anderer Häftlinge im KZ Sachsenhausen erschossen, was in den folgenden Tagen über Rundfunk und in der Presse bekannt gegeben wird. Seit Kriegsbeginn haben die Schikanen gegen die inhaftierten Zeugen Jehovas zugenommen. Im KZ Sachsenhausen sterben im strengen Winter von den über 400 Zeugen Jehovas etwa 100 aufgrund von Misshandlungen, Hunger und Erschöpfung.

1940 Die Staatspolizei ordnet an, dass am 12. Juni im ganzen Reichsgebiet alle Zeugen Jehovas verhaftet und ihre Wohnungen durchsucht werden. Die Schweizer Behörden beschlagnahmen im Juli das Buch Kreuzzug gegen das Christentum (bis September 1944). Die deutsche Justiz hat bereits 112 Zeugen Jehovas als Kriegsdienst­verweigerer zum Tode verurteilt (August). (Bis zum Ende des Krieges werden es rund 270 sein, darunter 50 Österreicher.)

1941 Ludwig Cyranek, der 1939 und 1940 in Deutschland und Österreich heimlich biblische Literatur weiterleitete, wird zum Tode verurteilt (März) und in Dresden hingerichtet (3. Juli); Julius Engelhard und andere übernehmen seine Arbeit (1939 bis April 1943).

1942 Das Mitteilungsblatt der deutschen Verbreitungsstelle des W.T. an alle treuen Zeugen Jehovas in Deutschland und andere biblische Literatur sind innerhalb und außerhalb der Konzentrations­lager unter Zeugen Jehovas im Umlauf. Es ist weiterhin offiziell erlaubt, Zeugen Jehovas in Untersuchungs­haft brutal zu foltern. Hitler bekräftigt, dass man die Bibelforscher „ausrotten“ müsse (August). Die extreme Situation der in den Konzentrations­lagern inhaftierten Zeugen Jehovas bessert sich jedoch in gewisser Hinsicht, da die SS sich inzwischen vermehrt die Arbeitskraft der Häftlinge zunutze machen will.

1943 Aus dem Untergrund werden Zeugen Jehovas an vielen Orten in Deutschland und Österreich mit biblischer Literatur versorgt; aus den Konzentrations­lagern gelangen heimlich Briefe nach draußen. Die SS muss erkennen, dass Jehovas Zeugen trotz Isolierung standhaft bleiben, und verteilt sie jetzt auf die verschiedenen Häftlingsbaracken (September). In Ravensbrück werden Häftlinge, die als „Asoziale“ eingestuft sind, in den Bibelforscher-Block verlegt.

1944 Himmler ordnet unangekündigte Durchsuchungen in verschiedenen Konzentrations­lagern an, wobei größere Mengen biblischer Literatur gefunden werden (April). Auch außerhalb der Lager sprengt die Gestapo Untergrundnetze und verhaftet 254 Zeugen Jehovas. Julius Engelhard und Auguste Hetkamp werden zum Tode verurteilt (Juni) und hingerichtet (August). Dennoch wird an verschiedenen Orten weiterhin im Untergrund gearbeitet; sogar im KZ Wewelsburg wird biblische Literatur vervielfältigt. Das überlastete Reichskriegsgericht übergibt Fälle gegen Kriegsdienst­verweigerer – darunter zahlreiche Fälle von Zeugen Jehovas – an untergeordnete Gerichte (August). Todesurteile sind inzwischen reine Formsache.

1945 Befreiung des KZ Auschwitz (27. Januar). Bei den Evakuierungen der Konzentrations­lager und auf den Todesmärschen nach Süden und Westen helfen sich die Häftlinge mit dem lila Winkel (Zeugen Jehovas) gegenseitig, um nicht von der SS erschossen zu werden. Befreiung der Konzentrations­lager Buchenwald (11. April), Bergen-Belsen (15. April), Sachsenhausen (22. April), Dachau (29. April) und Ravensbrück (30. April) sowie der Zuchthäuser Brandenburg (27. April), Waldheim (6. Mai) und anderer Haftanstalten. Alle 230 Zeugen Jehovas überleben den Todesmarsch nach Schwerin (3. Mai). Die überlebenden Zeugen Jehovas aus dem KZ Stutthof landen auf der dänischen Insel Mön (5. Mai). Kapitulation – das Deutsche Reich existiert nicht mehr (8. Mai). Jehovas Zeugen beginnen ihre deutsche Nachkriegsgeschichte mit 7000 Mitgliedern.