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Vorwort

Vorwort

Bis Ende 2002 haben in Deutschland rund 600 000 Besucher, darunter viele junge Menschen, die Wanderausstellung über die Verfolgung der Häftlinge mit dem lila Winkel und anderer Zeugen Jehovas im Dritten Reich gesehen. Sie wurde unter anderem in KZ-Gedenkstätten wie Mauthausen, Moringen, Neuengamme, Buchenwald, Sachsenhausen und Bergen-Belsen sowie in Volkshochschulen und anderen Bildungs­einrichtungen gezeigt. Diese Ausstellung trägt dazu bei, dass die Geschichte dieser NS-Opfergruppe nicht in Vergessenheit gerät. Welchen weiteren Nutzen hat es, der Öffentlichkeit eine solche Ausstellung zu präsentieren?

Am 27. Januar 1998, dem jährlichen Gedenktag für die Opfer des National­sozialismus, widmete die Gedenkstätte des Konzentrations­lagers Sachsenhausen diesen Tag den Opfern von Jehovas Zeugen. Steffen Reiche, der damalige Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur von Brandenburg, sagte in seiner Rede: „Das Verhalten der Zeugen Jehovas in den Lagern und Gefängnissen verkörpert Tugenden, die heute wie in der Vergangenheit unerlässlich für den Bestand eines demokratischen Rechtsstaates sind: nämlich ihre Standhaftigkeit gegenüber der SS und ihre Mitmenschlichkeit gegenüber ihren Mitgefangenen. Angesichts der zunehmenden Brutalität gegenüber Ausländern sowie gegenüber politisch oder weltanschaulich Andersdenkenden sind diese Tugenden ein Gebot für jeden Bürger unseres Landes.“

Diese Äußerung unterstreicht, dass Ausstellungen dieser Art weit mehr als nur Sachinformationen zum bitteren Verfolgungsschicksal einer religiösen Minderheit unter dem NS-Regime bieten, und zeigt außerdem, wie wertvoll und wie notwendig die Aufarbeitung der Vergangenheit ist.

Als die Ausstellung im Oktober 1997 in Hamburg zu sehen war, hieß es in der Zeit: „Sie leistet, was solche Ausstellungen stets anstreben müssen: Aus den bloßen Zahlen der Schikanierten, der vom Arbeitsplatz Vertriebenen, der Inhaftierten, der Gefolterten und Ermordeten hebt sie die Schicksale einzelner Menschen hervor“ (10. Oktober 1997, S. 24).

Bei der Eröffnung der Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen, die von der Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsen unterstützt wurde, erklärte ein Referent: „Alle genannten Personen können nur stellvertretend für all jene genannt werden, die verfolgt, eingesperrt und gepeinigt wurden, weil sie standhaft an ihrer religiösen Überzeugung festhielten und sich an ihr national­sozialistisches Umfeld nicht anpassten. Sie sind keine fernen, unerreichbaren Helden, sondern einfache Menschen, Normalsterbliche, die ihrem Gewissen folgten und Zivilcourage zeigten, und damit durchaus Vorbilder für den Alltag sind“ (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 20. April 1998, S. 4).

Es gibt drei Varianten dieser Ausstellung mit jeweils rund 50 Ausstellungstafeln, die unter folgenden Themen gezeigt werden können: „Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime“ (als Begleitausstellung zu öffentlichen Vorführungen der gleichlautenden Videodokumentation der Wachtturm-Gesellschaft beziehungsweise von Filmen zur Thematik, die nicht von Jehovas Zeugen produziert wurden), „Die vergessenen Opfer“ (Historiker nennen Jehovas Zeugen bislang die „vergessenen Opfer des NS-Regimes“) und „Geistiger Widerstand aus christlicher Überzeugung“ (als Begleitausstellung, wie zum Beispiel bei den gleichlautenden Fachtagungen im Oktober 1997 in Wewelsburg, Hamburg und Frankfurt am Main).

Als Vorbild für die Ausstellungstafeln diente die französische Ausstellung der 1990 in Paris gegründeten Cercle européen des Témoins de Jéhovah anciens déportés et internés (Europäische Vereinigung der unter dem NS-Regime deportierten Zeugen Jehovas). Die deutschen Ausstellungstafeln wurden zunächst inhaltlich angepasst und erweitert. Die Ausstellung wurde erstmalig am 6. November 1996 in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück gezeigt, wo die Weltpremiere der deutschen Videodokumentation Standhaft trotz Verfolgung – Jehovas Zeugen unter dem NS-Regime stattfand. Der damalige Minister­präsident von Brandenburg schrieb zu diesem Anlass: „Ihre Filmveranstaltung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg, die Öffentlichkeit über die Rolle Ihrer Religions­gemeinschaft unter dem NS-Regime zu informieren.“

Etwa 400 der 567 Videovorführungen fanden im Rahmen einer Wanderausstellung über die vergessenen Opfer statt. Anlässlich der Eröffnung der Ausstellung am 23. Januar 1998 in Stuttgart-Bad Cannstatt erklärte Siegfried Schiele, der damalige Direktor der Landeszentrale für politische Bildung von Baden-Württemberg: „[Es] verdienen alle große Anerkennung, die sich dem Regime – aus welchen Motiven auch immer – entgegengestellt haben. Und eine wichtige Gruppe darunter sind Jehovas Zeugen, denen man Respekt zeigen muss, der lange etwas unterbelichtet blieb. Darum freue ich mich über diese Ausstellung, die helfen kann, Defizite auszugleichen. Ich habe schon einen ersten positiven Eindruck beim Rundgang mir verschaffen können, auch die Videodokumentation, die ich gesehen habe, kann ich nur empfehlen. Geschichte darf kein Steinbruch sein, wo man herausholt, was einem gerade passt. Jehovas Zeugen haben einen festen und hervorragenden Platz im sonst traurigsten Kapitel unserer Geschichte.“

Die Wachtturm-Gesellschaft erstellte nach Bedarf zusätzliche Ausstellungstafeln mit lokalem Bezug, zum Beispiel für die Stadt Stuttgart und für die Gedenkstätte Bautzen. (Mehrere Gedenkstätten erhielten Ausstellungstafeln als Dauerleihgaben.) Kopien der Ausstellungstafeln wurden außerdem für die Premiere der russischen Standhaft-Ausstellung zur Verfügung gestellt, die am 15. Mai 1997 im Welt­handels­zentrum in Moskau stattfand, sowie für die Premiere in Österreich und für die Sonderausstellung „Die vergessenen Opfer“ in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen (18. Juni 1997). Die Zweigbüros der Watch Tower Society in Schweden, Dänemark und Norwegen haben einige Ausstellungsinhalte digitalisiert und am 14. Januar 1998 als Ausstellungstafeln im Nordischen Museum im Zentrum von Stockholm und am 30. März 1998 in Kopenhagen gezeigt. In den genannten Ländern wurden die Ausstellungstafeln in verschiedenen Städten im Rahmen einer Wanderausstellung gezeigt.

Dieses Begleitheft enthält eine Auswahl von Fotos und Dokumenten der 50 dreidimensionalen Ausstellungstafeln. Es wurden auch neue Ausstellungstafeln erstellt, die digitalisiert wurden und als Ausdrucke für Veranstaltungen und den Gebrauch im Klassenzimmer kostenfrei zur Verfügung gestellt werden können.

Es ist unser Wunsch, dass diese Ausstellung auch in Zukunft zur vorurteilsfreien Meinungsbildung beiträgt.

Der Herausgeber