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Wenn diese kleine Figur reden könnte!

Wenn diese kleine Figur reden könnte!

 Wenn diese kleine Figur reden könnte!

„VORSICHT! Ich möchte nicht, daß sie zerbricht!“ Das sagt Jane immer, wenn sie mich stolz ihren Freunden zeigt, vor allem wenn diese mich anfassen wollen. Nun ja, ich bin schließlich auch ein kostbarer Besitz. Und ich weiß, daß John und Jane mich schätzen, denn sie behandeln mich sehr vorsichtig. Doch ehrlich gesagt bin ich gar nicht so zerbrechlich.

Sehe ich die Leute, die mich bewundern, aus meinen fein gezeichneten Augen an, muß ich lachen, wenn ich daran denke, wie ich hergestellt wurde. Kein Mensch würde solch eine rauhe Behandlung aushalten. Es ist eine interessante Geschichte.

 Ein feuchter Anfang

Kaolin, mein Hauptbestandteil, wird zusammen mit weißem Granit und kalzinierten Tierknochen gemahlen und dann mit Wasser vermischt. Die Zusammensetzung muß genau stimmen. Dann ziehen Elektromagnete jedes Eisenteilchen heraus, das in der breiigen Masse (oder dem Schlicker, wie sie von Fachleuten genannt wird) vorhanden ist; danach wird das Wasser so lange herausgepreßt, bis die Masse aussieht wie ein Klumpen Plastilin.

Der Schlicker kommt als nächstes in eine Mischmühle, die einem riesigen Mixer gleicht; dort wird er gestoßen und geknetet. Durch  eine Vakuumstrangpresse werden alle Luftbläschen beseitigt, die den Ton im Brennofen zum Springen bringen würden.

Mein Designer hat ein Modell von mir gemacht, das etwa 13 Prozent größer ist, als ich schließlich sein werde. Und das ist kein Wunder! Denn da ich drei- oder viermal in den Brennofen komme, wo Temperaturen zwischen 800 und 1 200 Grad Celsius herrschen, schrumpfe ich. Ja, erst nach arbeitsreichen Monaten kann ich dir mein schönstes Lächeln zeigen. Ich werde dir noch ein bißchen mehr erzählen.

Die Teile zusammenfügen

Denkst du, daß ich in einem Stück gefertigt werde? Die meisten meinen das, sie täuschen sich jedoch gewaltig. Ich werde mit Hilfe von mehreren Gipsformen geformt, die die Feuchtigkeit herausziehen, so daß der Ton hart wird. Wenn derjenige, der meine verschiedenen Teile gießt, die Formen schließlich öffnet, existiere ich schon, allerdings ziemlich zerstückelt — hier der Kopf, dort ein Bein, und mein Rock wird vorsichtig woanders hingelegt. Wie gern möchte ich doch zusammengesetzt werden!

Nun wird sich meiner behutsam angenommen. Zum Glück hat mein Designer die scharfen Kanten gesehen, die die Formen hinterlassen haben. Vorsichtig säubert er sie sowie die häßliche Naht um meinen Kopf. Jetzt geht es mir schon besser! Sehr geschickt befestigt er die Arme an meinem Körper und vergewissert sich, daß der Muff gerade sitzt. Mit der Gewandtheit eines Chirurgen verbindet er die Teile miteinander, bis niemand mehr vermuten würde, daß ich einmal „in Trümmern“ gelegen habe.

Dann werde ich zum Trocknen beiseite gestellt. Nachdem sich kein verräterischer Riß gezeigt hat, bin ich für die „Feuerproben“ bereit. Der Brennofen wird geheizt, und zusammen mit vielen anderen Figuren schiebt man mich vorsichtig hinein.

Das Dekor

Ich höre einen Kenner sagen: „Sehr gut!“ Der Test ist bestanden, und nun stehe ich mit den anderen Schlange, um in die Dekorabteilung zu kommen. Jetzt soll bei mir die Glasur aufgetragen werden, wozu ich in eine Wanne voller Glasur getaucht werde. Dann geht es nochmals in den Brennofen, aus dem ich glänzend wieder herauskomme, bereit für meinen „Farbenmantel“.

Da wir Porzellanfiguren freihändig bemalt werden, gleicht keine der anderen. Das Malen bedarf jahrelanger Schulung, und die junge Frau, die mich bemalt, sagt, sie müsse gleichmäßig, aber schnell pinseln. Denn sonst könnten dort, wo die Farbe trocknet, Linien entstehen.

Gefallen dir meine Augen? Die Augen sind am schwierigsten zu malen. Ich hörte, wie ein Maler einem Freund anvertraute, daß er mich fest gegen die Arbeitsbank drücken müsse, dann tief Luft hole und erst wieder ausatme, wenn er die ganz feinen Striche für Augen, Pupillen und Augenbrauen gezogen habe. Er sagte, durch das Atmen oder durch irgendeine andere Bewegung könne ein Pinselstrich ganz schnell danebengehen.

Nun bin ich angezogen, und ich erhalte den Namen „Herbstwind“. Auf meine Unterseite werden sorgfältig mein Name und der meines Herstellers gestempelt — sozusagen ein Gütezeichen. Um mir den letzten Schliff zu geben, komme ich ein letztes Mal in den Brennofen; dann bin ich fertig und kann irgendwohin in die Welt geschickt werden.

Ich war für den Inlandsmarkt bestimmt, daher blieb ich in England, wo John mich entdeckte. Ich bin froh, daß es so gekommen ist. Seine Frau Jane hat sich riesig gefreut, als sie mich zum 25. Hochzeitstag als Geschenk von ihrem Mann bekam. Damals hörte ich Jane zum ersten Mal sagen: „Vorsicht! Ich möchte nicht, daß sie zerbricht!“ Es ist gut zu wissen, daß ich bei ihnen in sicheren Händen bin. Und es ist wirklich schön, anderen Freude zu bereiten — und geschätzt zu werden.

[Bilder auf Seite 26]

Die verschiedenen Teile der Figur werden miteinander verbunden; dann kommt sie in den Brennofen

Der Schlicker, der von der Mischmühle in eine Gipsform läuft

Die Gipsformen werden geöffnet

Nachdem die Figur glasiert ist, werden freihändig mehrere Farbschichten aufgetragen

Das Gesicht wird geschickt gemalt

[Bildnachweis]

Fotos mit frdl. Gen.: Royal Doulton

[Bildnachweis auf Seite 25]

„Herbstwind“, mit frdl. Gen.: Royal Doulton