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Mein Vater hat uns verlassen — Was jetzt?

Mein Vater hat uns verlassen — Was jetzt?

Junge Leute fragen sich:

Mein Vater hat uns verlassen — Was jetzt?

„Ohne meinen Vater aufzuwachsen war hart. Ich wollte doch nur ein bißchen Aufmerksamkeit“ (Henning). *

RUTH war dreizehn, als ihr Vater von zu Hause wegging. Die Alkoholsucht hatte ihn so fest im Griff, daß er kaum noch Kontakt zu seinen Kindern suchte. Leider ist Ruth kein Einzelfall. Viele Jugendliche sind von ihrem Vater verlassen worden.

Wenn du das erlebt hast, kommst du damit höchstwahrscheinlich nur schwer zurecht. Vielleicht wirst du ab und zu von schmerzlichen Gefühlen und von Wut überwältigt. Womöglich bist du manchmal traurig und deprimiert. Du denkst vielleicht sogar daran, zu rebellieren. Der Bibelschreiber Salomo sagte einmal: „Allein Bedrückung kann bewirken, daß ein Weiser unsinnig handelt“ (Prediger 7:7).

Wenn man „unsinnig handelt“

Jan ‘handelte unsinnig’, nachdem sein Vater gegangen war. Er sagt: „Ich habe auf keine Autoritätsperson gehört, nicht einmal auf meine Mutter. Es gab zahlreiche Auseinandersetzungen. Ich habe ständig gelogen und mich abends aus dem Haus geschlichen, weil niemand da war, der mich richtig im Griff hatte. Meine Mutter versuchte, mich zu bändigen, schaffte es aber nicht.“ Verbesserte sich Jans Lage denn durch sein Rebellieren? Kaum. Jan sagt, daß er schon bald „mit Drogen experimentierte, die Schule schwänzte und in seinen schulischen Leistungen schwer nachließ“. Es dauerte nicht lange, bis sich sein Benehmen rapide verschlechterte. „Ich habe Ladendiebstahl begangen“, gesteht er, „und auch Leute ausgeraubt. Zweimal wurde ich verhaftet und für kurze Zeit ins Gefängnis gesteckt, aber gestoppt hat mich das nicht.“

Die Frage, was ihn derart rebellisch werden ließ, beantwortet er so: „Weil mein Vater nicht da war, fehlte mir die richtige Erziehung. Ich habe echt nicht darüber nachgedacht, wie weh ich meiner Mutter, meinem kleinen Bruder und meiner kleinen Schwester tat und mir selber ja auch. Ich wollte, daß mein Vater mich beachtete und mich erzog.“

Durch Rebellieren wird aber alles nur noch schlimmer (Hiob 36:18, 21). Jan brachte nicht nur sich selbst in Schwierigkeiten, sondern auch seine Mutter und seine Geschwister, die unnötig viele belastende Streßsituationen bewältigen mußten. Noch schwerwiegender ist, daß sich rebellisches Benehmen nicht mit dem verträgt, was Gott erwartet. Immerhin gebietet Jehova jungen Menschen, auf die Mutter zu hören (Sprüche 1:8; 30:17).

Die Wut überwinden

Wie kannst du denn mit der Wut und dem Groll umgehen, die du womöglich gegenüber deinem Vater empfindest? Zunächst mußt du dich vielleicht daran erinnern, daß es nicht deine Schuld ist, daß dein Vater euch verlassen hat. Auch bedeutet das nicht unbedingt, daß er dich nicht mehr liebt oder sich nichts mehr aus dir macht. Sicher, es kann sehr weh tun, wenn sich ein Vater kaum die Mühe macht, anzurufen oder vorbeizukommen. Wie allerdings im letzten Artikel dieser Serie gezeigt wurde, verlieren viele abwesende Väter den Kontakt zu ihren Kindern, weil sie von ihren Scham- und Schuldgefühlen übermannt werden — nicht, weil sie ihre Kinder nicht mehr lieben. * Andere Väter, wie in Ruths Fall, sind drogen- oder alkoholabhängig, und das behindert sie, ihren Aufgaben nachzukommen.

Wie auch immer, versuche daran zu denken, daß deine Eltern unvollkommen sind. In der Bibel heißt es: „Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ (Römer 3:23; 5:12). Das ist bestimmt keine Entschuldigung für verletzendes oder unverantwortliches Benehmen. Aber anzuerkennen, daß wir alle von Natur aus unvollkommen sind, kann es dir erleichtern, destruktive Wut abzubauen und Groll zu begraben.

Was in Prediger 7:10 steht, kann dir helfen, mit der Wut und dem Groll umzugehen, die du womöglich gegenüber deinen Eltern empfindest. Schau, wie die Bibel davor warnt, sich auf die Vergangenheit zu konzentrieren: „Sprich nicht: ,Weshalb ist es geschehen, daß sich die früheren Tage als besser erwiesen haben als diese?‘, denn nicht zufolge von Weisheit hast du danach gefragt.“ Statt dich damit zu beschäftigen, wie es früher einmal war, ist es somit besser, wenn du dich darauf konzentrierst, aus deiner Situation das Beste zu machen.

Die Initiative ergreifen

Du könntest dir zum Beispiel überlegen, ob du nicht von dir aus Kontakt zu deinem Vater herstellen möchtest. Sicher, er ist derjenige, der dich verlassen hat, und vielleicht meinst du nun zu Recht, es sei seine Verantwortung, den ersten Schritt zu machen. Wenn er das aber nicht tut und du über den abgebrochenen Kontakt todunglücklich bist, könnte es sich dann nicht lohnen, selbst zu versuchen, die Lage zu verbessern? Denk nur einmal daran, wie Jesus Christus damit umging, daß er von einigen seiner Freunde verletzt wurde. In der letzten Nacht seines Lebens als Mensch verließen ihn seine Apostel. Petrus hatte damit großgetan, er werde zu Jesus halten, komme, was da wolle. Doch Petrus verleugnete Jesus, und das nicht nur einmal, sondern dreimal (Matthäus 26:31-35; Lukas 22:54-62).

Und trotzdem ließ Jesu Liebe zu Petrus nicht nach. Nachdem Jesus auferweckt worden war, machte er den ersten Schritt, um das Verhältnis wiederherzustellen, indem er Petrus ganz persönlich erschien (1. Korinther 15:5). Als Petrus von Jesus gefragt wurde, ob er ihn liebe, lautete seine Antwort interessanterweise: „Ja, Herr, du weißt, daß ich Zuneigung zu dir habe.“ Trotz seines beschämenden Verhaltens liebte Petrus Jesus immer noch (Johannes 21:15).

Ähnlich wie bei Petrus und Jesus ist die Situation mit deinem Vater vielleicht gar nicht so hoffnungslos, wie es scheint. Unter Umständen reagiert er ja darauf, wenn du etwas Eigeninitiative zeigst und ihn anrufst, ihm einen Brief schreibst oder ihn besuchst. Henning, von dem anfangs die Rede war, erzählt: „Einmal schrieb ich meinem Vater, und er schrieb mir einen Brief zurück, in dem stand, daß er sehr stolz auf mich ist. Den Brief habe ich mir eingerahmt, und ich ließ ihn viele Jahre an der Wand hängen. Ich habe ihn immer noch.“

Ruth und ihre Geschwister wurden ebenfalls selbst aktiv und besuchten ihren alkoholkranken Vater. „Er war nicht in der besten Verfassung“, räumt Ruth ein, „aber es war trotzdem schön, ihn zu sehen.“ Vielleicht funktioniert es ja auch in deinem Fall, wenn du auf deinen Vater zugehst. Falls er nicht gleich reagiert, könntest du etwas Zeit vergehen lassen und es dann noch einmal probieren.

Mit dem Schmerz der Ablehnung fertig werden

Salomo erinnert daran, daß es „eine Zeit zum Suchen [gibt] und eine Zeit, etwas als verloren aufzugeben“ (Prediger 3:6). Manchmal muß ein junger Mensch der schmerzlichen Tatsache ins Auge sehen, daß der Vater keine Beziehung zu seinen Kindern wünscht. Sollte das bei deinem Vater so sein, wird ihm vielleicht eines Tages klarwerden, wieviel ihm dadurch entgangen ist, daß er die Verbindung zu dir abgebrochen hat.

Bis dahin kannst du allerdings ganz sicher sein, daß seine Ablehnung nicht bedeutet, daß du wertlos bist. Der Psalmist David erklärte: „Falls mein eigener Vater und meine eigene Mutter mich verließen, würde ja Jehova selbst mich aufnehmen“ (Psalm 27:10). Ja, in den Augen Gottes bist du nach wie vor viel wert (Lukas 12:6, 7).

Wenn du also mutlos oder deprimiert bist, dann nahe dich Gott im Gebet (Psalm 62:8). Erzähle ihm, wie du dich fühlst, und zwar in allen Einzelheiten. Er wird dir mit Sicherheit zuhören und dich trösten. Ein anderer Psalmist schrieb: „Als meiner beunruhigenden Gedanken in meinem Innern viele wurden, begannen deine eigenen Tröstungen meine Seele zu liebkosen“ (Psalm 94:19).

Herzliche Gemeinschaft mit Glaubensbrüdern kann dir ebenfalls helfen, damit zurechtzukommen, daß du auf diese Weise abgelehnt wirst. „Ein wahrer Gefährte liebt allezeit und ist ein Bruder, der für die Zeit der Bedrängnis geboren ist“ (Sprüche 17:17). Solche wahren Gefährten kannst du in der Christenversammlung der Zeugen Jehovas finden. Besonders hilfreich kann es sein, einige der Versammlungsaufseher näher kennenzulernen. Ruths Bruder Peter empfiehlt folgendes: „Sprich mit den Älteren in der Versammlung, und sie werden dir viel helfen. Wenn du von deinem Vater im Stich gelassen worden bist, dann laß sie wissen, wie du dich fühlst.“ Die Versammlungsaufseher können vielleicht auch praktische Vorschläge machen, wie einige Dinge, um die sich dein Vater früher gekümmert hat, jetzt erledigt werden könnten, zum Beispiel Reparaturarbeiten.

Deine Mutter kann dir auch eine echte Hilfe sein. Sie steht zwar wahrscheinlich selbst gerade unter psychischem Streß, aber wenn du ihr respektvoll sagst, wie du dich fühlst, wird sie darauf bestimmt nach besten Kräften eingehen.

Unterstütze deine Familienangehörigen

Die Abwesenheit deines Vaters kann vielerlei Auswirkungen auf euer Familienleben haben. Deine Mutter muß sich vielleicht eine Arbeitsstelle suchen — womöglich sogar zwei —, damit ihr über die Runden kommt. Du und deine Geschwister, ihr müßt wahrscheinlich mehr Arbeiten im Haushalt übernehmen. Aber damit kannst du fertig werden, wenn du lernst, selbstlose christliche Liebe an den Tag zu legen (Kolosser 3:14). Das kann dir helfen, eine positive Einstellung zu behalten und Groll zu überwinden (1. Korinther 13:4-7). Peter sagt dazu: „Zu Hause zu helfen ist genau das Richtige, und ich habe dann ein gutes Gefühl, weil ich weiß, daß ich meiner Mutter und meinen Schwestern eine Hilfe bin.“

Wenn der Vater von zu Hause fortgeht, ist das zweifellos ein tragisches, schmerzliches Erlebnis. Aber sei dir ganz sicher, mit der Hilfe Gottes und mit der Unterstützung von liebevollen christlichen Freunden und Familienmitgliedern könnt ihr — du und deine Angehörigen — damit zurechtkommen. *

[Fußnoten]

^ Abs. 3 Die Namen wurden geändert.

^ Abs. 11 Siehe den Artikel „Junge Leute fragen sich: Warum hat uns Vater verlassen?“ in der Ausgabe vom 22. November 2000.

^ Abs. 27 Weitere Informationen über das Leben in einer Einelternfamilie sind in der Artikelserie „Junge Leute fragen sich“ in den Ausgaben vom 22. Dezember 1990 und 22. März 1991 zu finden.

[Bilder auf Seite 26]

Einige Jugendliche haben von sich aus Kontakt mit ihrem Vater aufgenommen