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Salz aus Sonne, Meer und Wind

Salz aus Sonne, Meer und Wind

Salz aus Sonne, Meer und Wind

VON EINEM ERWACHET!-MITARBEITER IN FRANKREICH

IN DEN bunten Flickenmustern zwischen Land und Meer spiegeln sich die Veränderungen des Himmels. Mitten in dem Mosaik aus rechteckigen Becken steht ein paludier (Salzgärtner). Mit einer Harke häuft er den reichen Ertrag aus dem Wasser zu kleinen weißen Pyramidenhügeln auf, die in der Sonne glänzen. Hier in den Salzmarschen von Guérande sowie auf Ré und Noirmoutier vor der französischen Atlantikküste gewinnen die paludiers das Salz auf alte überlieferte Weise.

„Weißes Gold“

Salzgärten werden an Frankreichs Atlantikküste schon seit etwa dem 3. Jahrhundert u. Z. betrieben. Die Salzgewinnung erreichte allerdings erst gegen Ende des Mittelalters nennenswerte Größenordnungen. Mit dem starken Bevölkerungszuwachs im mittelalterlichen Europa entstand eine enorme Nachfrage nach Salz, das man brauchte, um Fleisch und Fisch haltbar zu machen. Für vier Tonnen Hering benötigte man zum Beispiel eine Tonne Salz. Die einfachen Leute konnten sich Fleisch kaum leisten und aßen vorwiegend Fisch. Damals steuerten Schiffe aus ganz Nordeuropa die bretonische Küste an, um die gewaltigen Mengen Salz zu laden, welche die Fischer benötigten, um ihren Fang einzusalzen.

Den französischen Königen war nicht entgangen, wie viel an dem „weißen Gold“ verdient wurde. 1340 wurde die gabelle eingeführt, eine Salzsteuer. gabelle stammt von dem arabischen Wort für Steuer, qabāla. Die Steuer war äußerst unbeliebt und führte zu blutigen Aufständen. Als besonders ungerecht galt, dass das Salz nicht nur teuer war, sondern auch eine festgesetzte Mindestmenge gekauft werden musste — auch wenn man nicht so viel benötigte. Außerdem waren bestimmte Privilegierte von der Steuer befreit wie Adlige und Geistliche. Einige Provinzen, darunter die Bretagne, waren ebenfalls von der Steuer befreit, und andere brauchten nur ein Viertel der Steuer zu entrichten. Das führte zu gewaltigen Preisunterschieden, sodass das Salz in einem Landesteil bis zu 40-mal teurer sein konnte als in einem anderen.

Somit überrascht es kaum, dass der Salzschmuggel blühte. Ertappte Schmuggler wurden allerdings strengstens bestraft. Ihnen drohte Brandmarkung, der Dienst als Galeerensklave oder sogar die Todesstrafe. Neben gewöhnlichen Verbrechern, Deserteuren oder Protestanten, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes verfolgt wurden, waren Anfang des 18. Jahrhunderts ein Viertel aller Galeerensklaven Salzschmuggler. * Eine der ersten Forderungen nach der Französischen Revolution (1789) war die Abschaffung dieser verhassten Steuer.

Salzgärten — von der Sonne beschienen

Die Methoden der Salzgewinnung an der französischen Atlantikküste haben sich im Lauf der Jahrhunderte kaum verändert. Wie wird das Salz gewonnen? Vom Herbst bis zum Frühjahr ist der paludier damit beschäftigt, die Lehmdeiche und Kanäle in den Marschen instand zu setzen und die Kristallisationsbecken vorzubereiten. Wenn der Sommer kommt, verwandeln Sonne, Wind und Gezeiten die Marschen in Salzgärten. Bei Flut fließt das Meerwasser in ein erstes Becken, die vasière, wo es verbleibt und zu verdunsten beginnt. Von dort leitet man das Wasser langsam durch Kanäle in andere Becken, wo es weiter verdunstet. In dem zunehmend salzigen Wasser bilden sich mikroskopisch kleine Algen. Diese verleihen der Sole vorübergehend einen rötlichen Schimmer und hinterlassen bei ihrem Absterben einen dezenten Veilchenduft. Wenn die Sole die Kristallisationsbecken erreicht hat, ist der ursprüngliche Salzgehalt von rund 35 Gramm auf etwa 260 Gramm pro Liter gestiegen.

In den empfindlichen Gezeitenmarschen kommt die maschinelle Salzgewinnung, wie sie in den Salzmarschen von Salin-de-Giraud und Aigues-Mortes am Mittelmeer betrieben wird, nicht in Betracht. Der paludier zieht das Salz mit einer langen hölzernen Harke vorsichtig an den Rand des Beckens, möglichst ohne dabei den Lehm vom Boden des flachen Beckens aufzuwühlen. Anschließend lässt man das durch Lehmspuren leicht grau gefärbte Salz trocknen. Ein paludier betreut durchschnittlich etwa 60 Salzbecken, von denen jedes jährlich ungefähr 1,5 Tonnen Salz abwirft.

Unter bestimmten Voraussetzungen bildet sich auf der Wasseroberfläche eine dünne Schicht aus Salzkristallen, die an Schneeflocken erinnern. Dieses fleur de sel (Salzblüte) genannte Salz macht zwar nur einen kleinen Teil des jährlichen Ertrags aus, wird in der französischen Küche jedoch hoch geschätzt.

Das Ganze ist natürlich von den Launen des Wetters abhängig. Ein ehemaliger Salzhändler sagte: „Vor einem schlechten Jahr ist man nie sicher. 1950 beispielsweise hat es den ganzen Sommer geregnet. Mit dem Ertrag dieses Jahres hätte man nicht einmal einen Strohhut füllen können.“ Pascal, ein paludier aus Guérande, kommentierte: „1997 habe ich 180 Tonnen Rohsalz und 11 Tonnen fleur geerntet. Dieses Jahr [1999] war das Wetter nicht so günstig, und ich kam nur auf 82 Tonnen.“ Paradoxerweise kann auch extrem heißes Wetter schädlich sein, weil dann die Sole zu warm wird und sich nicht auskristallisiert.

Ebbe und Flut

Die Industrialisierung im 19. Jahrhundert brachte für die Atlantikmarschen Veränderungen mit sich. Die Salzhersteller vom Mittelmeer nutzten die verbesserten Transportmöglichkeiten, um den Markt mit billigem Salz zu überschwemmen. Zudem ermöglichte das Mittelmeerklima eine jährliche Salzernte von mehr als 1,5 Millionen Tonnen. Bei einer solchen Konkurrenz sank die Salzgewinnung der Atlantikmarschen auf einen Tiefstand und schien vollends zum Untergang verurteilt zu sein.

Seit einigen Jahren jedoch gewinnt das „weiße Gold“ etwas von seinem ehemaligen Glanz zurück. Das Bewusstsein für den wirtschaftlichen und ökologischen Wert der Salzmarschen hat zugenommen und nach und nach Veränderungen bewirkt. Die Salzgärten sind Teil eines Ökosystems, das zahlreichen Pflanzen und Zugvögeln Schutz bietet und daher heute gewürdigt und geschützt wird.

Diese unverdorbene Uferlandschaft mit ihrem alten traditionsreichen Handwerk ist von dem modernen Lebensstil unberührt geblieben und zieht Urlaubsreisende an, die dem erbarmungslosen Wettbewerb entfliehen wollen. In einer Zeit, in der man mehr über die Belastung der Umwelt und die Qualität der Nahrung nachdenkt, sollte man auch nicht übersehen, welch großen Marktvorteil ein Lebensmittel hat, das völlig natürlich hergestellt wird und ohne chemische Behandlung auskommt. Vielleicht ist in unserer globalisierten und hektischen Wettbewerbsgesellschaft ja doch noch Platz für die französischen paludiers, für ihr jahrhundertealtes Handwerk und für ihre Salzgärten.

[Fußnote]

^ Abs. 7 Siehe Wachtturm vom 15. August 1998, Seite 25—29, herausgegeben von Jehovas Zeugen.

[Kasten auf Seite 22]

SALZ UND GESUNDHEIT

Kochsalzreiche Ernährung wird für Bluthochdruck verantwortlich gemacht, ein Risikofaktor für den Herzinfarkt. Daher wird allgemein davon abgeraten, täglich mehr als 6 Gramm Salz zu sich zu nehmen.

Nach neueren Studien scheint allerdings eine sparsamere Kochsalzaufnahme den Blutdruck von Personen mit Bluthochdruck nicht unbedingt zu senken und sich bei Menschen mit normalem Blutdruck sogar noch weniger auszuwirken. Eine in der Ärztezeitschrift The Lancet (14. März 1998) veröffentlichte Studie zeigte, dass Personen, die sich betont kochsalzarm ernährten, eher einen Herzinfarkt erlitten als jene mit normaler Natriumaufnahme. Die Schlussfolgerung lautete, dass „kochsalzarme Ernährung womöglich mehr schadet als nützt“. In der Ausgabe des Canadian Medical Association Journal (CMAJ) vom 4. Mai 1999 hieß es: „Bei normalem Blutdruck wird gegenwärtig davon abgeraten, weniger Salz zu sich zu nehmen, weil noch nicht feststeht, dass Bluthochdruck dadurch seltener auftritt.“

Ist es also nicht so wichtig, wie viel Salz man zu sich nimmt? Wie allgemein bei Ernährungsfragen gilt auch hier das Prinzip „alles in Maßen“. Der erwähnte CMAJ-Artikel rät davon ab, zu viel Salz zu sich zu nehmen, beim Kochen stark zu salzen und bei Tisch nachzusalzen. Wer an Bluthochdruck oder Herzbeschwerden leidet, sollte ohnehin den Empfehlungen seines Arztes folgen.

[Karte auf Seite 21]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Guérande

ÎLE DE NOIRMOUTIER

ÎLE DE RÉ

[Bild auf Seite 22]

„fleur de sel“

[Bild auf Seite 23]

Stadt auf Île de Ré

[Bild auf Seite 23]

„fleur de sel“ wird geerntet

[Bild auf Seite 23]

Salzmarschen und Kristallisationsbecken

[Bild auf Seite 23]

Ein „paludier“ auf Noirmoutier

[Bildnachweis auf Seite 21]

© Cliché Bibliothèque nationale de France, Paris

[Bildnachweis auf Seite 23]

Oben: Index Stock Photography Inc./Diaphor Agency; links: © V. Sarazin/CDT44; Mitte und rechts: © Aquasel, Noirmoutier