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Galileis Konflikt mit der Kirche

Galileis Konflikt mit der Kirche

Galileis Konflikt mit der Kirche

VON EINEM ERWACHET!-MITARBEITER IN ITALIEN

MAN schreibt den 22. Juni 1633. Ein gebrechlicher alter Mann kniet vor dem Gericht der römischen Inquisition. Er ist ein Mann der Wissenschaft, einer der bekanntesten seiner Zeit. Seine wissenschaftlichen Überzeugungen basieren auf jahrelangen Studien und Forschungen. Doch um sein Leben zu retten, muss er dem, was er als wahr erkannt hat, abschwören.

Sein Name: Galileo Galilei. Der „Fall Galilei“, wie er oft genannt wird, hat Zweifel, Fragen und Kontroversen aufgeworfen, die selbst heute, etwa 370 Jahre später, noch debattiert werden. Der Fall hat die Geschichte von Religion und Wissenschaft nachhaltig beeinflusst. Warum so viel Aufhebens? Aus welchem Grund interessieren sich die Medien heutzutage wieder für den Fall Galilei? Symbolisiert er wirklich, wie es ein Autor formulierte, einen „Bruch zwischen Wissenschaft und Religion“?

Viele betrachten Galilei als den „Vater der modernen Wissenschaft“. Er war Mathematiker, Astronom und Physiker. Als einer der Ersten, die mittels Fernrohren den Sternenhimmel erforschten, interpretierte Galilei seine Beobachtungen als Beleg für eine seinerzeit noch heftig debattierte Vorstellung: die Erde drehe sich um die Sonne und unser Planet sei nicht der Mittelpunkt des Universums. Kein Wunder, dass manche Galilei als den Begründer der modernen experimentellen Methode betrachten!

Was waren einige der Entdeckungen und Erfindungen Galileis? Als Astronom entdeckte er unter anderem einige Jupitermonde und erkannte, dass die Milchstraße aus Sternen besteht. Außerdem fand er heraus, dass es auf dem Mond Gebirge gibt, und er entdeckte die Phasen der Venus. Als Physiker studierte er die Pendel- und Fallgesetze. Er entwickelte Instrumente wie den Proportionalzirkel, eine Art Rechenschieber. Und er machte sich Erkenntnisse von holländischen Gelehrten zunutze, um das Fernrohr zu bauen, das ihm den Blick ins Universum öffnete.

Eine langwierige Auseinandersetzung mit der Kirchenhierarchie ließ die Karriere dieses berühmten Wissenschaftlers allerdings zu einem Drama werden — zum Fall Galilei. Wie und warum war es dazu gekommen?

Konflikt mit Rom

Bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts befürwortete Galilei die kopernikanische Theorie, gemäß der sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt. In diesem Zusammenhang spricht man auch von dem so genannten heliozentrischen Weltsystem. Nachdem Galilei im Jahr 1610 durch sein Teleskop bis dahin nie gesehene Himmelskörper beobachtet hatte, wuchs seine Überzeugung, den Beweis für das heliozentrische System gefunden zu haben.

Gemäß dem Nachschlagewerk Grande Dizionario Enciclopedico UTET ging es Galilei um mehr als nur um solche Entdeckungen. Er wollte die „wichtigsten Persönlichkeiten seiner Zeit (Fürsten und Kardinäle)“ von der Wahrhaftigkeit der kopernikanischen Theorie überzeugen. Mit dem Beistand einflussreicher Freunde hoffte er, nicht nur die Einwände der Kirche zu überwinden, sondern sogar ihre Unterstützung zu gewinnen.

Im Jahr 1611 reiste Galilei nach Rom, wo er mit hochrangigen Vertretern des Klerus zusammentraf. Durch sein Teleskop zeigte er ihnen seine astronomischen Entdeckungen. Doch die Situation entwickelte sich anders, als er gehofft hatte. 1616 wurde Galilei offiziell ermahnt.

Theologen der römischen Inquisition bewerteten die heliozentrische These als „töricht und absurd in der Philosophie und formell ketzerisch, da sie mehreren Stellen der Heiligen Schrift eindeutig nach dem Wortlaut und nach der übereinstimmenden Auslegung und Auffassung der heiligen Väter und der theologischen Doktoren widerspricht“.

Galilei traf mit Kardinal Roberto Bellarmin zusammen, der als der größte katholische Theologe seiner Zeit galt und als der „Hammer der Häretiker“ bekannt war. Bellarmin forderte Galilei formell auf, seine Ansichten über das heliozentrische System nicht länger publik zu machen.

Vor dem Inquisitionsgericht

Galilei achtete darauf, sich vorsichtig zu verhalten, seine Befürwortung der kopernikanischen Theorie widerrief er jedoch nicht. Siebzehn Jahre später, im Jahr 1633, erschien Galilei vor dem Inquisitionsgericht. Kardinal Bellarmin war verstorben, und Galileis Hauptgegner war jetzt der ihm ehemals wohlgesonnene Papst Urban VIII. Man hat dieses Gerichtsverfahren als eines der berühmtesten und ungerechtesten der Antike und des Mittelalters bezeichnet und es sogar mit den Verfahren gegen Sokrates und gegen Jesus verglichen.

Was war der Auslöser für das Verfahren? Galilei hatte ein Buch verfasst mit dem Titel Dialog über die beiden hauptsächlichen Weltsysteme. Das Werk war praktisch eine Verteidigung des heliozentrischen Systems. 1632 wurde der Autor vor Gericht geladen, doch der beinahe 70-jährige Galilei war ein kranker Mann und verzögerte seine Reise. Erst nachdem man ihm gedroht hatte, ihn festzunehmen und zwangsweise vorzuführen, erschien er im Jahr darauf in Rom. Auf päpstliche Anordnung wurde er verhört und ihm wurde sogar Folter angedroht.

Über die Frage, ob der kranke alte Mann tatsächlich gefoltert wurde, ist man sich uneins. Gemäß dem Wortlaut des Urteils wurde Galilei einem „peinlichen Verhör“ unterzogen. Laut Italo Mereu, einem Rechtshistoriker für italienisches Recht, war diese Wendung zu jener Zeit eine amtssprachliche Bezeichnung für die Folter. Verschiedene Gelehrte stimmen dieser Interpretation zu.

Fakt ist jedenfalls, dass Galilei am 22. Juni 1633 in einem nüchternen Saal von den Mitgliedern des Inquisitionsgerichts verurteilt wurde. Er wurde für schuldig befunden, „die falsche und den Heiligen und göttlichen Schriften widersprechende Lehre für gültig gehalten und geglaubt . . . [zu haben], wonach die Sonne . . . sich nicht von Ost nach West bewege und die Erde sich bewege und nicht der Mittelpunkt der Welt sei“.

Galilei wollte kein Märtyrer werden und war somit gezwungen, zu widerrufen. Nachdem man ihm die Urteilsbegründung vorgelesen hatte, erklärte der alte Wissenschaftler, auf Knien und mit einem Büßergewand bekleidet, feierlich: „Ich schwöre . . . ab, verwünsche und verfluche jene Irrtümer und Ketzereien [die kopernikanische Theorie] und darüber hinaus ganz allgemein jeden irgendwie gearteten Irrtum, Ketzerei oder Sektiererei, die der Heiligen Kirche entgegen ist.“

Nach einer populären Legende — für die es jedoch keine Beweise gibt — soll Galilei, nachdem er abgeschworen hatte, mit dem Fuß aufgestampft und protestiert haben: „Und sie bewegt sich doch!“ Gemäß manchen Kommentatoren machte die Demütigung, seinen Entdeckungen abschwören zu müssen, dem Wissenschaftler bis an sein Lebensende zu schaffen. Das Urteil lautete ursprünglich auf Gefängnis, wurde jedoch in lebenslangen Hausarrest umgewandelt. Galilei erblindete allmählich und lebte weitgehend zurückgezogen.

Ein Konflikt zwischen Religion und Wissenschaft?

Viele sind der Ansicht, der Fall Galilei beweise die hoffnungslose Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Religion. Tatsächlich hat der Fall Galilei im Laufe der Jahrhunderte Menschen bewogen, der Religion den Rücken zu kehren. Er hat viele davon überzeugt, Religion grundsätzlich als Bedrohung des wissenschaftlichen Fortschritts zu sehen. Trifft das wirklich zu?

Papst Urban VIII. und die Theologen der römischen Inquisition hatten die kopernikanische Theorie in der Tat mit der Begründung abgelehnt, sie stünde im Widerspruch zur Bibel. Galileis Gegner bezogen sich auf die Äußerung Josuas: „Sonne, stehe still“, die ihrer Meinung nach wörtlich zu verstehen war (Josua 10:12, Elberfelder Bibel). Widerspricht die Bibel aber tatsächlich der kopernikanischen Theorie? Absolut nicht.

In Galileis Augen hatte eine offenkundig falsche Schriftauslegung zu diesem angeblichen Widerspruch geführt. An einen Schüler schrieb er: „Wenn auch die Schrift nie irrt, so können ihre Ausleger doch in mancherlei Hinsicht irren. Der schwerste und häufigste Fehler ist es, wenn man am wortwörtlichen Sinn der einzelnen Sätze der Schrift festhält.“ Dem wird wohl jeder zustimmen müssen, der sich ernsthaft mit der Bibel befasst. *

Galilei ging noch weiter. Er bezeichnete die Bibel und das Buch der Natur als zwei Bücher, die vom gleichen Autor stammen und sich daher nicht widersprechen können. Allerdings erklärte er weiter, dass „sicher nicht alle Ausleger der Schrift aus göttlicher Eingabe sprechen“. Die in dieser Äußerung enthaltene Kritik an der offiziellen kirchlichen Auslegung wurde wahrscheinlich als Provokation aufgefasst und veranlasste die römische Inquisition, den Wissenschaftler zu verurteilen. Außerdem — wie konnte ein einfacher Laie es wagen, sich in kirchliche Privilegien einzumischen?

Verschiedene Gelehrte begründen ihre Zweifel an der Unfehlbarkeit der Kirche und des Papstes mit dem Fall Galilei. Wie der katholische Theologe Hans Küng schrieb, waren „die Irrtümer des kirchlichen Lehramtes . . . zahlreich und unbestreitbar“ und hätten einschließlich der „Galilei-Verurteilung“ dazu geführt, das Dogma der Unfehlbarkeit infrage zu stellen.

Galilei rehabilitiert?

Im November 1979, ein Jahr nach seiner Wahl, wollte Johannes Paul II. den Status Galileis erneut überprüfen lassen, der, wie der Papst zugab, „von den Männern und Organen der Kirche viel zu leiden gehabt“ habe. Wie die von demselben Papst eingesetzte Kommission dreizehn Jahre später, im Jahr 1992, einräumte, „waren einige Theologen, Zeitgenossen Galileis, nicht in der Lage, die tiefere, nicht wörtliche Bedeutung der Schriften zu erschließen, wenn sie die physische Struktur des geschaffenen Universums beschrieben“.

Papst Urban VIII., der in dem Fall eine wichtige Rolle spielte, hatte von Galilei nachdrücklich verlangt, nicht länger die jahrhundertealte kirchliche Lehre von der Erde als Zentrum des Universums zu unterminieren. Diese Lehre stammte jedoch nicht aus der Bibel, sondern von dem griechischen Philosophen Aristoteles. Tatsache ist aber auch, dass die heliozentrische Theorie nicht allein von Theologen kritisiert wurde.

Nachdem eine Kommission den Fall neuerdings genau geprüft hatte, nannte der Papst die Verurteilung Galileis „eine übereilte und unglückliche Entscheidung“. Ist der Wissenschaftler damit rehabilitiert worden? „Von einer Rehabilitierung Galileis zu sprechen, wie es einige tun, ist absurd“, so ein Autor, „denn vor der Geschichte steht nicht Galilei verurteilt da, sondern das Inquisitionsgericht.“ Der Historiker Luigi Firpo sagte außerdem: „Es steht den Verfolgern nicht zu, ihre Opfer zu rehabilitieren.“

Die Bibel ist eine „Lampe, die an einem dunklen Ort leuchtet“ (2. Petrus 1:19). Galilei verteidigte sie gegen eine Falschauslegung. Doch dadurch, dass die Kirche eine von Menschen erdachte Tradition auf Kosten der Bibel verteidigte, tat sie das Gegenteil.

[Fußnote]

^ Abs. 24 Ein aufrichtiger Leser wird ohne weiteres einräumen, dass eine Aussage, gemäß der die Sonne bewegungslos am Himmel stand, nicht als wissenschaftliche Feststellung gemeint ist, sondern einfach das Geschehen vom Standpunkt menschlicher Augenzeugen aus beschreibt. Auch Astronomen sprechen häufig vom Aufgang und Untergang der Sonne, des Mondes, der Planeten und der Sterne. Damit wollen sie nicht sagen, diese Himmelskörper würden sich buchstäblich um die Erde drehen, sondern dass es so aussieht, als würden sie am Himmel entlangziehen.

[Kasten/Bild auf Seite 14]

Das Leben des Galilei

Galileo Galilei wurde 1564 als Sohn eines Florentiners in Pisa geboren. Dort studierte er zunächst Medizin. Da dieses Gebiet ihn wenig interessierte, verlegte er sich auf das Studium der Physik und der Mathematik. 1585 kehrte er ohne akademischen Abschluss zu seiner Familie zurück. Dennoch gewann er die Achtung der größten Mathematiker seiner Zeit und erhielt schließlich den Lehrstuhl für Mathematik an der Universität Pisa. Nach dem Tod seines Vaters zwangen Geldsorgen Galilei, nach Padua zu ziehen, wo er den besser bezahlten Lehrstuhl für Mathematik der dortigen Universität übernahm.

Während der 18 Jahre, die er in Padua lebte, gebar ihm seine Mätresse, eine junge Venezianerin, drei Kinder. 1610 kehrte er nach Florenz zurück, wo es ihm wirtschaftlich besser ging. Dies erlaubte ihm, seinen Forschungen mehr Zeit zu widmen — allerdings auf Kosten der Freiheit, die er zuvor auf venezianischem Hoheitsgebiet genossen hatte. Der Großherzog von Florenz machte ihn zu seinem Hofphilosophen und Hofmathematiker. Galilei starb 1642 in Florenz, wo er seit seiner Verurteilung durch die Inquisition unter Hausarrest stand.

[Bildnachweis]

Aus dem Buch The Library of Original Sources, Band VI, 1915

[Bild auf Seite 12]

Galileis Fernrohr, mit dessen Hilfe er bestätigen konnte, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist

[Bildnachweis]

Scala/Art Resource, NY

[Bilder auf Seite 12]

Das geozentrische System (mit der Erde im Zentrum)

Das heliozentrische System (mit der Sonne im Zentrum)

[Bildnachweis]

Hintergrund: © 1998 Visual Language

[Bildnachweis auf Seite 11]

Bild: Aus dem Buch The Historian’s History of the World