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Warum so viele Gewaltverbrechen?

Warum so viele Gewaltverbrechen?

Warum so viele Gewaltverbrechen?

VERBRECHEN sind immer abscheulich, doch offenkundig sinnlose Verbrechen sind besonders schwer zu verstehen. Die Tatsache, dass sie oft ohne ein ersichtliches Motiv verübt werden, stellt die Ermittler vor ein Rätsel. Da die Massenkommunikationsmittel in den letzten Jahren erheblich effektiver geworden sind, erfahren innerhalb weniger Stunden Millionen oder gar Milliarden Menschen von solch entsetzlichen Verbrechen. Laut einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation „verschont die Gewalt keinen Kontinent, keine Nation und kaum ein Gemeinwesen“.

Sogar an Orten, die noch vor Jahren als relativ sicher galten, werden in letzter Zeit verstärkt sinnlose Gewaltverbrechen verübt. In Japan beispielsweise gab es lange Zeit kaum brutale Verbrechen. Doch im Juni 2001 betrat ein mit einem Fleischermesser bewaffneter Mann eine Schule und ging mit dem Messer auf die Kinder los. Innerhalb von 15 Minuten tötete er 8 Kinder und verletzte 15 weitere. Angesichts dieser und anderer Meldungen aus Japan, beispielsweise über Jugendliche, die jemanden, der ihnen völlig fremd ist, einfach aus „Spaß“ umbringen, wird einem klar, dass sich etwas geändert hat.

Selbst in Ländern mit einer hohen Kriminalitätsrate wurde die Öffentlichkeit durch bestimmte sinnlose Verbrechen aufgewühlt. Das war auch nach dem Anschlag vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York der Fall. Diesen Anschlag kommentierte der Psychologe Gerard Bailes mit den Worten: „Dadurch ist die Welt ein völlig fremder, gefährlicher Ort geworden, wo niemand sagen kann, was noch passieren wird.“

Warum tun sie es?

Die Frage, warum sinnlose Gewaltakte unterschiedlichster Art begangen werden, lässt sich nicht mit dem Hinweis auf einen einzelnen Faktor beantworten. Einige Verbrechen sind, gerade weil sie so absurd sind, besonders schwer zu verstehen. Beispielsweise ist es kaum zu begreifen, warum jemand auf völlig fremde Menschen zugeht und sie ersticht oder warum jemand an einem Haus vorbeifährt und einfach das Feuer eröffnet.

Einige behaupten, Gewalt sei ein Teil der menschlichen Natur. Andere sind der Ansicht, sinnlose Gewalttaten könnten keinesfalls als unvermeidlicher Teil der menschlichen Natur betrachtet werden. (Siehe den Kasten „Zur Gewalt verurteilt?“.)

Nach Meinung vieler Fachleute können etliche Faktoren und Umstände irrationales und brutales Verhalten auslösen oder fördern. In einem Bericht der FBI-Akademie in den Vereinigten Staaten wird sogar erklärt: „Ein Mord ist nicht die Tat eines normalen und geistig gesunden Menschen.“ Der Wortwahl dieser Behauptung würden manche Experten widersprechen. Mit dem, was damit gesagt werden soll, gehen allerdings viele einig. Aus irgendeinem Grund ist das Denken derjenigen, die sinnlose Verbrechen begehen, nicht normal. Etwas hat ihren Verstand so weit beeinträchtigt, dass sie das Undenkbare in die Tat umsetzen. Was bringt Menschen dazu, solche Dinge zu tun? Betrachten wir einmal einige der von Fachleuten angeführten möglichen Faktoren.

Zerrüttete Familien

Ein Erwachet!-Mitarbeiter befragte Marianito Panganiban, einen Sprecher der zentralen Ermittlungsbehörde der Philippinen, nach dem sozialen Hintergrund von Extremtätern. Er erklärte: „Sie kommen aus zerrütteten Familien. Ihnen fehlen Aufmerksamkeit und Liebe. Weil die Leute orientierungslos sind, haben sie keine Charakterstärke mehr; und dann geraten sie auf die schiefe Bahn.“ Nach Meinung vieler Forscher sind mangelnde familiäre Bindungen und häusliche Gewalt bei aggressiven Straftätern die Regel.

Das amerikanische Zentrum für die Analyse von Gewaltverbrechen hat einen Bericht veröffentlicht, in dem Faktoren aufgeführt werden, an denen man unter Umständen Schüler erkennen kann, die zu brutaler Gewalt neigen könnten. Aus dem Bereich der Familie wurden dort unter anderem folgende Faktoren genannt: eine instabile Eltern-Kind-Beziehung; Eltern, die Probleme ihrer Kinder nicht erkennen können; mangelnde Nähe; Eltern, die einem Kind kaum oder gar keine Grenzen setzen; Kinder, die extrem zurückgezogen leben und ein Doppelleben führen, das heißt, einen Teil ihres Lebens vor ihren Eltern verbergen.

Heute sind viele Kinder Opfer von zerrütteten Familien. Andere Kinder werden von ihren Eltern kaum beachtet. Tausende junger Menschen sind ohne jegliche familiäre oder moralische Anleitung groß geworden. Nach Meinung mancher Experten kann ein solches Umfeld bewirken, dass ein Heranwachsender unfähig bleibt, Bindungen einzugehen, und daher weniger Hemmungen hat, anderen Menschen zu schaden, oft ohne jede Reue.

Hassgruppen und Kulte

Der starke Einfluss mancher Hassgruppen oder Kulte hinter bestimmten Verbrechen ist unverkennbar. In Indiana (USA) verließ ein 19-jähriger Schwarzer ein Einkaufszentrum und machte sich zu Fuß auf den Heimweg. Nur einen Augenblick später lag er mit einer Kugel im Kopf am Straßenrand. Er war von einem jungen Mann erschossen worden, der sein Opfer rein zufällig ausgewählt hatte. Warum? Angeblich wollte der Täter Mitglied einer Organisation „weißer Herrenmenschen“ werden und sich eine Spinnennetztätowierung verdienen, indem er einen Schwarzen tötete.

Der Anschlag mit Nervengas in einer Tokioter U-Bahn 1995, der Massenselbstmord in Jonestown (Guyana), der Tod von 69 Mitgliedern des Sonnentemplerordens in der Schweiz, Kanada und Frankreich — hinter all diesen Vorfällen standen Kulte. Die Beispiele machen deutlich, wie stark bestimmte Gruppen das Denken mancher Menschen beeinflusst haben. Mithilfe ominöser Versprechen haben charismatische Führer Menschen verleitet, das Undenkbare zu tun.

Massenmedien und Gewalt

Einige verweisen darauf, dass verschiedene moderne Medien offenbar aggressives Verhalten fördern. Wer sich regelmäßig den Gewaltdarstellungen im Fernsehen, im Kino, in Videospielen und im Internet aussetze, stumpfe mit der Zeit ab. Außerdem würden die erwähnten Gewaltdarstellungen zu brutalen Verbrechen inspirieren. Dr. Daniel Borenstein, Präsident des amerikanischen Psychologenverbandes, erklärte: „Derzeit belegen mindestens 1 000 Studien, die auf über 30 Jahren Forschung basieren, den kausalen Zusammenhang zwischen Gewalt in den Medien und dem aggressiven Verhalten mancher Kinder.“ Und vor einem Ausschuss des US-Senats versicherte Dr. Borenstein: „Wir sind davon überzeugt, dass wiederholter Kontakt mit gewaltsamer Unterhaltung, welcher Art auch immer, der Volksgesundheit spürbar schadet.“ (Siehe den Kasten „Gewaltverherrlichende Computerspiele aus der Sicht eines Arztes“.)

Als Beleg werden oft bestimmte Fälle angeführt. Im vorigen Artikel wurde ein kaltblütiger Mörder erwähnt, der „zum Spaß“ ein Paar erschoss, das an einem Strand den Sonnenaufgang betrachtete. In diesem Fall konnten die Ermittler beweisen, dass der Täter durch einen Gewaltfilm inspiriert wurde, den er sich immer wieder angesehen hatte. Nach einer Schießerei in einer Schule, die 15 Menschen das Leben kostete, hieß es, die beiden jugendlichen Täter hätten jeden Tag stundenlang brutale Videospiele gespielt. Außerdem hatten sie wiederholt Filme angeschaut, in denen Gewalt und Mord verherrlicht werden.

Drogen

In den Vereinigten Staaten hat sich die Zahl der von Jugendlichen verübten Morde innerhalb eines Zeitraums von 8 Jahren verdreifacht. Welchen Grund nennen die Behörden unter anderem? Bandenkriminalität, vor allem im Zusammenhang mit dem Rauschgift Crack. Von den mehr als 500 Morden der letzten Zeit im kalifornischen Los Angeles „hatten nach Angaben der Polizei 75 Prozent mit Banden zu tun“.

In einem Bericht der FBI-Akademie heißt es: „Bei extrem vielen Mordfällen sind Drogen im Spiel.“ Manche töten, während sie unter Drogeneinfluss stehen und nicht klar denken können. Andere greifen zu Gewalt, um sich im Drogengeschäft zu behaupten. Offensichtlich erhöhen Drogen ganz erheblich die Bereitschaft, grauenhafte Verbrechen zu verüben.

Zugang zu verheerenden Waffen

Wie im vorhergehenden Artikel erwähnt wurde, brachte ein einziger bewaffneter Mann in Tasmanien (Australien) 35 Menschen um und verwundete 19 weitere. Er benutzte halbautomatische Waffen, wie sie auch beim Militär verwendet werden. Daher haben viele gefolgert, der leichte Zugang zu solchen Waffen trage ebenfalls zum Anstieg von Gewaltverbrechen bei.

Gemäß einer Statistik wurden 1995 in Japan nur 32 Morde mit Schusswaffen verübt; meist als Folge von Auseinandersetzungen zwischen Kriminellen. Im Gegensatz dazu wurden in den Vereinigten Staaten 15 000 Menschen mit Schusswaffen ermordet. Warum dieser Unterschied? Zur Erklärung verweisen einige auf die strengen japanischen Waffengesetze.

Unfähigkeit, mit dem Leben zurechtzukommen

Nach bestimmten grauenhaften Verbrechen hört man gelegentlich den Satz: „Der muss doch verrückt sein!“ Aber nicht jeder, der ein solches Verbrechen begeht, ist tatsächlich geistesgestört. Viele haben allerdings Schwierigkeiten, mit dem Leben zurechtzukommen. Fachleute machen auf Persönlichkeitsschäden und Probleme aufmerksam, die zu extremem Verhalten führen können. Dazu zählen: Lernschwächen und soziale Defizite; die Folgen von körperlicher Gewalt oder sexuellem Missbrauch; eine gesellschaftsfeindliche Haltung; Hass auf eine bestimmte Gruppe, wie etwa Frauen; fehlende Reue nach getanem Unrecht; der Wunsch, andere zu manipulieren.

Ganz gleich, wo das Problem im Einzelfall liegen mag: Manche werden von ihren Schwierigkeiten so sehr vereinnahmt, dass sich ihr Denken verändert, was wiederum zu sehr befremdlichem Verhalten führen kann. Als Beispiel diene der Fall einer Krankenschwester, die ein extrem starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit hatte. Daher injizierte sie kleinen Kindern ein Muskelrelaxans, was deren Atmung aussetzen ließ. Danach genoss sie es, als Retterin der Kinder im Mittelpunkt zu stehen. Doch leider konnte sie nicht alle Kinder wiederbeleben und wurde wegen Mordes verurteilt.

Wie bisher deutlich gemacht wurde, ist der Hang zu brutalen Verbrechen auf eine Kombination verschiedenster Faktoren zurückzuführen. Unsere Liste wäre jedoch unvollständig, wenn wir einen sehr wichtigen Faktor nicht erwähnen würden.

Was die Bibel dazu sagt

Die Bibel hilft uns zu verstehen, was heute vor sich geht und warum sich Menschen so extrem verhalten. Sehr genau beschreibt sie die Einstellung, die man heute beobachten kann. Die Aufzählung, die wir in 2. Timotheus 3:3, 4 finden, zeigt beispielsweise, dass die Menschen „ohne natürliche Zuneigung“ und „ohne Selbstbeherrschung, brutal, ohne Liebe zum Guten“ sowie „unbesonnen“ sein würden. In einem anderen Bibelbuch werden Jesu Worte zitiert: ‘Die Liebe der meisten wird erkalten’ (Matthäus 24:12).

In der Bibel heißt es, dass „in den letzten Tagen kritische Zeiten da sein werden, mit denen man schwer fertig wird“ (2. Timotheus 3:1). Was wir heute beobachten, beweist somit, dass wir am Ende des gegenwärtigen Systems der Dinge leben. Mit den Verhältnissen geht es genauso bergab wie mit der Einstellung der Menschen. Wie stehen die Chancen auf eine umgehende Lösung? Die Bibel antwortet: „Böse Menschen aber und Betrüger werden vom Schlechten zum Schlimmeren fortschreiten“ (2. Timotheus 3:13).

Ist die Menschheit also in einem endlosen Kreislauf bösartiger Gewalt und eskalierender Verbrechen gefangen? Dieser Frage widmet sich der folgende Artikel.

[Kasten auf Seite 6]

ZUR GEWALT VERURTEILT?

Manche vertreten die Ansicht, der Hang zur Gewalt oder zum Töten sei dem Menschen angeboren. Anhänger der Evolutionstheorie behaupten, der Mensch stamme von wilden Tieren ab und habe schlicht deren Aggressivität geerbt. Nach derartigen Theorien wären wir in einem endlosen Kreislauf der Gewalt hoffnungslos gefangen.

Zahlreiche Fakten sprechen jedoch dagegen. Die erwähnten Theorien erklären nicht, warum die Häufigkeit und die Art der Gewalt in verschiedenen Kulturen so stark voneinander abweichen. Sie geben keinen Hinweis darauf, warum gewaltsame Reaktionen in manchen Kulturen anscheinend normal sind, wohingegen in anderen Gesellschaften kaum Gewalttaten und fast keine Mordfälle vorkommen. Der Psychoanalytiker Erich Fromm hat in der Theorie, gemäß der die menschliche Aggression von Primaten geerbt wurde, Lücken aufgezeigt. Er wies darauf hin, dass manche Primaten zwar aggressiv werden, wenn es um ihre physischen Bedürfnisse oder um die Verteidigung geht, doch dass einzig und allein die Menschen auch zum Vergnügen töten würden.

Die Professoren James Alan Fox und Jack Levin schreiben in ihrem Buch The Will to Kill—Making Sense of Senseless Murder (Der Wille zu töten — Sinnlose Morde begreifen): „Einige Menschen neigen stärker zur Gewalt als andere, doch der freie Wille bleibt. Obwohl innere und äußere Kräfte den Willen, zu töten, beeinflussen, bleibt es der Mensch, der wählt und entscheidet — Verantwortlichkeit und Schuld eingeschlossen.“

[Kasten/Bild auf Seite 7]

GEWALTVERHERRLICHENDE COMPUTERSPIELE AUS SICHT EINES ARZTES

In einer Rede, die Dr. Richard F. Corlin, ehemals Präsident der American Medical Association, vor einer Gruppe von Doktoranden in Philadelphia (Pennsylvanien, USA) hielt, sprach er unter anderem über gewaltverherrlichende Computerspiele. Wie er ausführte, gibt es bei einigen dieser Spiele Punkte für Fleischwunden, mehr Punkte für einen Volltreffer am Körper und für einen Kopfschuss noch mehr Punkte. Der Spieler sieht Blut und Gehirnmasse über den ganzen Bildschirm spritzen.

Dr. Corlin erwähnte, dass Kinder aufgrund ihres Alters weder Auto fahren noch Alkohol trinken noch rauchen dürfen. Dann erklärte er: „Aber wir erlauben ihnen, schießen zu lernen — in einem Alter, in dem sie ihre Impulse noch nicht unter Kontrolle haben und sie weder reif noch diszipliniert genug sind, sicher mit den Waffen umzugehen, mit denen sie spielen. . . . Wir müssen unseren Kindern beibringen, dass Gewalt immer Folgen hat, und zwar ernste Folgen.“

Einerseits werden Kinder kaum über die Folgen von Verbrechen aufgeklärt, andererseits werden leider gerade sie häufig Opfer brutaler Verbrechen. Laut Statistik kommen in den Vereinigten Staaten jeden Tag 10 Kinder durch Feuerwaffen um, was Dr. Corlin mit den Worten kommentierte: „Die Vereinigten Staaten sind weltweit führend — nirgendwo sonst auf der Welt sterben so viele Kinder durch Feuerwaffen.“ Seine Schlussfolgerung: „Mit Feuerwaffen verübte Gewaltakte bedrohen die Gesundheit unserer Nation. Daran gibt es nichts zu rütteln.“

[Kasten auf Seite 9]

FAKTOREN, DIE ZU GEWALTVERBRECHEN BEITRAGEN

Nach Ansicht zahlreicher Experten können folgende Faktoren zu sinnlosen Verbrechen beitragen:

Familienzerrüttung

Hassgruppen, Extremisten

Gefährliche Kulte

Gewaltbetonte Unterhaltung

Erfahrungen mit Gewalt

Drogenmissbrauch

Unfähigkeit, Probleme zu meistern

Leichter Zugang zu Waffen mit hohem Zerstörungspotenzial

Bestimmte Geisteskrankheiten

[Bild auf Seite 8]

Einer von 5 Bombenanschlägen, bei denen mindestens 12 Menschen starben und über 80 verletzt wurden (Quezon City, Philippinen)

[Bildnachweis]

AP Photo/Aaron Favila 30. Dezember 2000

[Bild auf Seite 8]

An der Columbine High School (Colorado, USA) töten 2 Schüler einen Lehrer, 12 Mitschüler und sich selbst

[Bildnachweis]

AP Photo/Jefferson County Sheriff’s Department 20. April 1999

[Bild auf Seite 8, 9]

Bei einem Anschlag mit einer Autobombe auf einen Nachtklub in Bali (Indonesien) werden mindestens 182 Menschen getötet und 132 verletzt

[Bildnachweis]

Maldonado Roberto/GAMMA 12. Oktober 2002