Zurück zum Inhalt

Zum Inhaltsverzeichnis springen

Führten alle Wege nach Rom?

Führten alle Wege nach Rom?

Führten alle Wege nach Rom?

VON EINEM ERWACHET!-MITARBEITER IN ÖSTERREICH

DIE Straßen des Römischen Reiches: Sie sicherten die enge Verbindung zwischen der Hauptstadt und den entlegenen Provinzen des Reiches, sie verbanden die dichten Wälder Galliens mit griechischen Städten und den Euphrat mit dem Ärmelkanal. Nicht zuletzt verschafften sie den Legionen, mit deren Hilfe Rom seinen Machtbereich ausdehnte, Zugang zu praktisch jedem Winkel des Reiches. Zahllose Seitenstraßen führten von den gepflasterten Hauptstraßen tief in die römischen Provinzen hinein, sodass schließlich das Sprichwort entstand: „Alle Wege führen nach Rom.“

Das Straßennetz des Römischen Reiches war über 80 000 Kilometer lang. Wie kann man sich heute ein Bild davon machen, was diese Straßen und Wege für die antike Welt bedeuteten? Eine Möglichkeit ist, sich etwas näher mit einer Straßenkarte aus dem 13. Jahrhundert zu befassen, der so genannten Peutingerschen Tafel.

Wie Historiker sagen, ist die Peutingersche Tafel eine Kopie einer früheren Karte, die angefertigt wurde, als die römischen Heere noch über die berühmten Straßen marschierten. Im Jahr 1508 gelangte diese handgefertigte Kopie in den Besitz des Augsburger Stadtschreibers Konrad Peutinger, dessen Namen sie seither trägt. Heute befindet sie sich unter der Bezeichnung Tabula Peutingeriana in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien.

Die römische Welt handlich aufgerollt

Aus heutigen Klassenzimmern kennt man vor allem nahezu quadratische Landkarten, die an der Wand hängen. Die Peutingersche Tafel dagegen ist eine Rolle, 34 Zentimeter hoch und etwa 6,80 Meter lang. Ursprünglich bestand sie aus 12 einzelnen, an den Enden zusammengeklebten Pergamentbogen. Von diesen Bogen sind heute noch 11 vorhanden. Die Karte zeigt das Römische Reich zu seiner Blütezeit, als es sich von Britannien bis weit nach Indien erstreckte. Allerdings könnte selbst jemand, der dieses Gebiet von modernen Landkarten her kennt, anfänglich Probleme haben, sich auf der Peutingerschen Tafel zurechtzufinden. Warum?

Die Peutingersche Tafel wurde nicht für Geographen von heute gezeichnet, sondern für die Reisenden der Antike. Eine gerollte Landkarte ließ sich unterwegs gut handhaben. Doch um die erforderlichen Details auf der Rolle unterzubringen, musste der Zeichner die nördliche und südliche Ausdehnung des Reiches stark komprimieren und das Reich in östlicher und westlicher Richtung erheblich auseinander ziehen. Das Resultat war eine Karte mit verzerrtem Maßstab, die sich problemlos öffnen, betrachten, wieder zusammenrollen und transportieren ließ. Jeder konnte darauf schnell erkennen, wie man am besten von einem Ort zum anderen kommt. Für Reisende war das wichtiger, als den Umriss Italiens zu kennen, die Größe des Schwarzen Meeres oder in welche Himmelsrichtung sie sich bewegten. *

Die Details erscheinen auf der Peutingerschen Tafel in unterschiedlichen Farben. Straßen werden durch rote Linien dargestellt, Berge braun und Flüsse grün. Die Karte benennt Hunderte von Städten und markiert ihre Lage durch Häuser, Stadtmauern und Türme. Anscheinend gaben diese Symbole Hinweise darauf, welche Einrichtungen wo zu finden waren. Außerdem enthält die Karte Entfernungsangaben zwischen Städten, Militärposten und Etappenstationen.

Die Peutingersche Tafel nennt auch mehrere Orte und Begebenheiten aus der Bibel. Der Bereich des Berges Sinai ist mit zwei lateinischen Inschriften versehen. Eine davon lautet: „Die Wüste, in der die Kinder Israels unter Moses 40 Jahre umherwanderten“, und die andere: „Hier empfingen sie das Gesetz am Berg Sinai“ (Josua 5:6; 3. Mose 27:34).

Der Begleittext zu Jerusalem erwähnt einen anderen Namen der Stadt: Aelia Capitolina, nach Publius Aelius Hadrianus. Dieser römische Kaiser — besser bekannt als Hadrian — hatte die Stadt im 2. Jahrhundert u. Z. nach sich selbst benannt. Der lateinische Name für den Ölberg erscheint ebenfalls auf der Karte (Lukas 21:37).

Führten alle Wege nach Rom?

Einige Straßen führten nach Aquileja, einer Stadt im Nordosten Italiens. Auf der Karte ist Aquileja mit starken Mauern und Wachtürmen dargestellt. Da sie wichtige Straßenkreuzungen kontrollierte und über einen hervorragenden Hafen verfügte, war Aquileja eine der wichtigsten Städte im Römischen Reich.

Die Via Egnatia zog sich von der Adriaküste quer durch die Balkanhalbinsel bis nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Auf der Peutingerschen Tafel wird diese Stadt durch eine kriegsbereite Göttin dargestellt, die auf einem Thron sitzt. Mehrere Straßen führten ins syrische Antiochia, heute das türkische Antakya. Antiochia war nach Rom und Alexandria die drittgrößte Stadt des Römischen Reiches. An dieser Stelle der Karte ist eine sitzende Göttin mit Heiligenschein zu sehen.

Die Peutingersche Tafel zeigt 12 Straßen, die nach Rom hineinführen, darunter auch die bekannte Via Appia. Wie aus der Apostelgeschichte hervorgeht, benutzte der Apostel Paulus bei seiner ersten Reise nach Rom diese Straße. Noch während Paulus unterwegs war, kam ihm eine Gruppe Christen von Rom aus auf der Via Appia entgegen und traf ihn bei den Drei Schenken, die ebenfalls auf der Karte verzeichnet sind (Apostelgeschichte 28:15).

Welches Symbol verwendet die Peutingersche Tafel für Rom? Sie zeigt die Stadt als eine mächtige Herrscherin, die in purpurne Roben gehüllt auf einem Thron sitzt. Der Globus und das Zepter in ihren Händen stehen für die Weltherrschaft, mit der Reichshauptstadt als Zentrum.

Kann man mit Recht sagen, alle Straßen und Wege des Reiches hätten nach Rom geführt? Durchaus, wenn man das dichte Netz der Seitenstraßen berücksichtigt, die von den Hauptstraßen abzweigten. Die Peutingersche Tafel belegt, wie das Römische Reich mithilfe der Straßen seine Macht ausbauen und die Provinzen fast 500 Jahre lang regieren konnte. Auch wir können heute noch auf diesen Straßen durch das Römische Reich reisen — zumindest in unserer Fantasie und mit der Peutingerschen Tafel als Reiseführer.

[Fußnote]

^ Abs. 8 Das gilt teilweise auch heute noch. Moderne U-Bahn-Karten sind oft verzerrt, aber gerade deshalb leicht zu handhaben.

[Karte auf Seite 13-15]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Die Peutingersche Tafel — eine außergewöhnliche Straßenkarte

SPANIEN

MAROKKO

GROSSBRITANNIEN

FRANKREICH

DEUTSCHLAND

ÖSTERREICH

Aquileja

Rom

Vergrößerung siehe Seite 15

ITALIEN

AFRIKA

GRIECHENLAND

Istanbul

ÄGYPTEN

TÜRKEI

Berg Sinai

Jerusalem

SYRIEN

Antakya

Kaspisches Meer

IRAN

INDIEN

[Karte auf Seite 15]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Detailansicht der Peutingerschen Tafel von Rom und Umgebung

Rom

Aquileja

Istanbul

Jerusalem

Antakya