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Den Hunger nach Freundschaft stillen

Den Hunger nach Freundschaft stillen

Den Hunger nach Freundschaft stillen

„EINSAMKEIT ist keine Krankheit“, heißt es in dem Buch In Search of Intimacy. „Einsamkeit ist ein gesunder Hunger . . ., ein natürliches Zeichen dafür, dass es uns an Freundschaften fehlt.“ Wenn wir uns hungrig fühlen, dann sehen wir zu, dass wir etwas Nahrhaftes zu essen bekommen — genauso sollten wir, wenn wir uns einsam fühlen, zusehen, dass wir uns gute Freunde suchen.

Doch „manche ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück“, stellt Yaël, eine junge Französin, fest. Uns von anderen zurückzuziehen — aus welchen Gründen auch immer — nützt aber gar nichts und lässt uns zwangsläufig nur noch weiter vereinsamen. Ein Spruch in der Bibel lautet: „Wer sich absondert, wird nach seinem eigenen selbstsüchtigen Verlangen trachten; gegen alle praktische Weisheit wird er losbrechen“ (Sprüche 18:1). Zunächst müssen wir uns also bewusst werden, dass wir ein Bedürfnis nach Freundschaft haben, und uns dann auch wirklich vornehmen, etwas dafür zu tun.

Praktische Schritte in Richtung Freundschaft

Man könnte sich natürlich selbst bemitleiden oder neidisch auf andere sein, die anscheinend mehr Freunde oder schönere Freundschaften haben. Aber wäre es nicht gescheiter, so wie Manuela aus Italien zu lernen, die Sache positiv zu sehen? Sie erzählt: „Vor allem als Jugendliche fühlte ich mich links liegen gelassen. Um das zu ändern, sah ich mir genau an, wie die Leute waren, die gute Freunde hatten. Dann versuchte ich, mir von ihren guten Eigenschaften eine Scheibe abzuschneiden, weil ich netter werden wollte.“

Ein praktischer Schritt in Richtung Freundschaft besteht darin, auf sich zu achten — auf seinen Körper und auch sonst. Sich ausreichend zu bewegen, genügend auszuruhen und sich gesund zu ernähren hilft schon, dass man sich rundum wohl fühlt und auch so aussieht. Ein gepflegtes Äußeres lässt uns nicht nur auf andere anziehender wirken, sondern verleiht uns außerdem eine gesunde Portion Selbstachtung. Allerdings darf man auch nicht in die Falle geraten, zu sehr auf sein Äußeres fixiert zu sein. „Modische Kleidung hat rein gar nichts damit zu tun, ob man echte Freunde findet oder nicht“, bemerkt Gaëlle. „Gute Leute schauen darauf, wer du im Innern bist.“

Die innersten Gedanken und Gefühle wirken sich bekanntlich darauf aus, worüber man redet, und sogar darauf, wie man aussieht. Sind wir persönlich lebensbejahend? Das sieht man uns dann auch an. Ein echtes Lächeln ist das Attraktivste überhaupt, was man tragen kann. Und nach Meinung des Experten für Körpersprache Roger E. Axtell ist die Sprache des Lächelns „absolut international“ und „wird selten missverstanden“. * Kommt dann noch eine ordentliche Prise Humor hinzu, fühlen sich andere automatisch zu uns hingezogen.

Diese guten Eigenschaften kommen bekanntlich aus dem Inneren. Also gilt es, Herz und Geist bewusst mit aufbauenden, positiven Gedanken und Gefühlen anzureichern. Das lässt sich durch das Lesen interessanter und gehaltvoller Lektüre erreichen — zum Beispiel über das Zeitgeschehen, andere Kulturen oder Naturphänomene. Auch schöne Musik tut gut. Zu vermeiden gilt es allerdings, die Gedanken und Gefühle durch Fernsehsendungen, Filme oder Romane mit Fantasien vernebeln zu lassen. Die Beziehungen, die normalerweise auf dem Bildschirm zu sehen sind, sind nämlich nicht das wirkliche Leben — es sind keine wirklichen Freundschaften, sondern das reine Fantasieprodukt von irgendjemandem.

Sich öffnen ist ganz wichtig!

Zuleica aus Italien erinnert sich noch gut: „Als ich jünger war, war ich schüchtern, und ich fand es schwer, mich mit anderen anzufreunden. Aber mir war auch klar, dass ich schon selbst etwas tun muss, wenn ich Freunde haben will; ich muss von mir erzählen und andere von sich erzählen lassen.“ Ja, wer echte Freunde gewinnen will, der muss sich anderen gegenüber öffnen — sie sehen lassen, wie man wirklich ist. So ein Austausch von Gedanken und Gefühlen ist weitaus wichtiger für wahre Freundschaft, als gut auszusehen oder Ausstrahlung zu haben. „Menschen, die tiefe und dauernde Freundschaften erleben, können introvertiert oder extrovertiert sein, jung oder alt, langweilig oder intelligent, unscheinbar oder gut aussehend — eins haben sie immer gemeinsam: sie sind offen“, stellte der Berater Dr. Alan Loy McGinnis fest. „Sie geben sich bis zu einem gewissen Grad preis und erlauben anderen, tief in ihr Inneres hineinzuschauen.“

Das heißt nicht, dass man zu offenherzig sein sollte beziehungsweise Leuten, die einem nicht liegen, die innersten Geheimnisse anvertraut. Aber es bedeutet, anderen bewusst und zunehmend zu enthüllen, wie man wirklich denkt und fühlt. Michela aus Italien erzählt: „Zuerst hatte ich das Problem, dass ich meine Gefühle für mich behielt. Das musste ich ändern und versuchen, mehr aus mir herauszugehen, damit meine Freunde meine Gefühle verstehen und näher an mich herankommen konnten.“

Selbst wenn man von Haus aus ein geselliger Typ ist, erfordert es doch nach wie vor Zeit und gemeinsames Erleben, bis zwischen Freunden gegenseitiges Vertrauen gewachsen ist. Bis dahin sollte man sich nicht zu sehr den Kopf darüber zerbrechen, wie die anderen über einen denken könnten. Elisa aus Italien erinnert sich: „Mein Problem war, dass ich jedes Mal, wenn ich etwas sagen wollte, Angst hatte, es würde nicht richtig rüberkommen. Aber dann dachte ich mir: Wer wirklich mein Freund ist, der versteht schon, was ich meine. Kam dann etwas irgendwie schief heraus, hab ich einfach über mich selbst gelacht, und alle haben mitgelacht.“

Also, ganz entspannt bleiben und sich so geben, wie man wirklich ist — das ist es! Schauspielerei bringt nichts. „Es gibt nichts Anziehenderes als jemand, der ganz er selbst ist“, so der Familienberater F. Alexander Magoun. Wer wirklich glücklich ist, braucht das anderen nicht vorzumachen und will andere auch nicht beeindrucken. Nur wenn wir selbst echt sind, können wir echte Freundschaft erleben. Umgekehrt müssen wir auch andere so sein lassen, wie sie sind. Glückliche Menschen nehmen andere so an, wie sie sind, und regen sich nicht über kleine Eigenheiten auf. Sie meinen nicht, sie müssten ihre Freunde ummodeln, damit sie in ihr Konzept passen. Mit ein bisschen Mühe können auch wir solche glücklichen, großzügigen Menschen werden.

Willst du einen Freund, dann sei selbst einer

Es gibt einen noch wichtigeren Freundschaftsfaktor — den grundlegendsten überhaupt. Vor nahezu 2 000 Jahren zeigte Jesus, dass das A und O für glückliche zwischenmenschliche Beziehungen selbstlose Liebe ist. Er lehrte: „Wie ihr wollt, dass euch die Menschen tun, so tut auch ihnen“ (Lukas 6:31). Diese Lehre ist als die goldene Regel bekannt geworden. Tatsächlich kann man nur dann wahre Freunde haben, wenn man selbst ein selbstloser Freund ist, der gern gibt. Mit anderen Worten: Willst du einen Freund, dann sei selbst einer. Damit eine Freundschaft gut funktioniert, muss das Geben dominieren, nicht das Nehmen. Wir müssen bereit sein, die Bedürfnisse unseres Freundes unseren eigenen Vorlieben oder unserer Bequemlichkeit voranzustellen.

Manuela bemerkt dazu noch: „Genau wie Jesus gesagt hat, entsteht echtes Glück aus dem Geben heraus. Wer etwas geschenkt bekommt, ist glücklich, aber der, der schenkt, ist sogar noch glücklicher. Geben kann man schon dadurch, dass man seine Freunde ehrlich fragt, wie es ihnen geht, dass man versucht, sie zu verstehen, und dass man für sie tut, was man kann, ohne groß darum gebeten zu werden.“ Es gilt also, auf andere zuzugehen — auch auf Freunde, die man bereits hat. Beziehungen lassen sich festigen. Freundschaft darf nicht für weniger edle Gefühle oder weniger befriedigende Bestrebungen geopfert werden. Freunde verdienen Zeit und Aufmerksamkeit. Ruben aus Italien sagt dazu: „Sich Zeit zu nehmen ist ganz wichtig, will man Freunde finden und behalten. Vor allem braucht man Zeit, um wirklich richtig zuzuhören. Jeder kann ein besserer Zuhörer werden und an dem, was andere sagen, noch mehr Interesse zeigen, indem er sie nicht unterbricht.“

Anderen Respekt zeigen

Ein weiterer Schlüsselfaktor für schöne, dauerhafte Freundschaften ist gegenseitiger Respekt. Das bedeutet unter anderem, auf die Gefühle der anderen Rücksicht zu nehmen. Wir möchten doch auch, dass unsere Freunde uns gegenüber taktvoll und behutsam sind, wenn sie einen anderen Geschmack oder eine andere Meinung haben als wir, oder? Sollten wir sie da nicht ganz genauso behandeln? (Römer 12:10).

Wir zeigen auch dadurch Respekt, dass wir nicht klammern. Echte Freundschaft kennt weder Eifersucht noch Besitzansprüche. In 1. Korinther 13:4 steht: „Die Liebe ist nicht eifersüchtig.“ Man muss aufpassen, dass man Freunde nicht irgendwie ganz für sich haben will. Wenn Freunde sich auch anderen anvertrauen, darf man nicht beleidigt sein oder sie womöglich sogar links liegen lassen. Wir alle müssen in unseren Freundschaften weiter oder großzügiger werden und wollen unseren Freunden also den Freiraum lassen, auch andere Freundschaften aufzubauen.

Dann wäre auch noch die Privatsphäre zu nennen, die Freunde benötigen. Jeder braucht Zeit für sich, auch Ehepaare. Zwar sollte man ruhig kontaktfreudig sein, aber man muss schon zusehen, dass man dabei ausgeglichen bleibt und eine Freundschaft nicht gedankenlos überstrapaziert. In der Bibel wird der gute Rat gegeben: „Mache deinen Fuß selten im Haus deines Mitmenschen, damit er von dir nicht genug bekommt und dich gewiss hasst“ (Sprüche 25:17).

Keine Vollkommenheit erwarten

Wenn Menschen sich näher kennen lernen, dann lernen sie außer den Stärken natürlich auch die Schwächen des anderen kennen. Aber das sollte uns auf keinen Fall davon zurückhalten, Freundschaften aufzubauen. „Manche erwarten ein bisschen zu viel von potenziellen Freunden“, bemerkt Pacôme aus Frankreich, „und wollen, dass sie nur positive Eigenschaften haben, aber das geht gar nicht.“ Niemand von uns kann Vollkommenheit bieten, und wir haben nicht das Recht, von anderen Vollkommenheit zu erwarten. Wir hoffen, dass unsere Freunde uns trotz unserer Mängel annehmen und uns diese nachsehen. Sollten wir da nicht auch versuchen, die echten oder vermeintlichen Unzulänglichkeiten unserer Freunde zu übersehen, statt sie hochzuspielen? Der Autor Dennis Prager weist auf Folgendes hin: „Makellose Freunde (sprich, Freunde, die sich nie beschweren, immer liebevoll sind, nie ihre Launen haben, voll auf uns fixiert sind und uns nie enttäuschen), die nennt man Haustiere.“ Soll es nicht so weit kommen, dass unser bester Freund ein Haustier ist, dann müssen wir uns an die Worte des Petrus halten und ‘Liebe eine Menge von Sünden zudecken’ lassen (1. Petrus 4:8).

Geteilte Freude ist doppelte Freude, geteiltes Leid ist halbes Leid, wie man so schön sagt. Aber realistischerweise dürfen wir nicht erwarten, dass durch unsere Freunde all unsere Probleme gelöst oder all unsere Bedürfnisse befriedigt werden. Das wäre eine selbstsüchtige Haltung zur Freundschaft.

Mit loyalen Freunden durch dick und dünn

Hat man einen Freund oder eine Freundin gewonnen, darf man diese Freundschaft nie für selbstverständlich nehmen. Wenn Freunde aus Zeitgründen oder räumlich voneinander getrennt sind, dann denken sie aneinander und beten füreinander. Selbst wenn sie sich nur selten sehen können, sind sie doch immer wieder schnell auf einem gemeinsamen Nenner. Besonders wenn Freunde es gerade schwer haben oder Hilfe brauchen, ist es unbedingt nötig, für sie da zu sein. Vor allem dürfen wir uns von unseren Freunden nicht zurückziehen, wenn sie Probleme haben. Vielleicht brauchen sie uns gerade dann am meisten. „Ein wahrer Gefährte liebt allezeit und ist ein Bruder, der für die Zeit der Bedrängnis geboren ist“ (Sprüche 17:17). Und wenn es Missverständnisse gibt, dann versöhnen sich echte Freunde schnell und verzeihen. Sie lassen sich nicht im Stich, nur weil nicht immer alles glatt geht.

Wer selbstlose Motive hat und positiv auf andere zugeht, kann also Freunde gewinnen. Aber was für Freunde? Das ist wichtig! Wie kann man sich gute Freunde suchen? Auf diese Frage geht der nächste Artikel ein.

[Fußnote]

^ Abs. 7 Siehe auch den Artikel „Lächeln ist gesund!“ in der Erwachet!-Ausgabe vom 8. Juli 2000.

[Kasten/Bilder auf Seite 6, 7]

Können ein Mann und eine Frau „einfach nur Freunde“ sein?

Können ein Mann und eine Frau, die nicht miteinander verheiratet sind, Freunde sein? Das kommt darauf an, was man unter dem Wort Freund versteht. Jesus war ein enger Freund von Maria und Martha aus Bethanien — beide allein stehende Frauen (Johannes 11:1, 5). Der Apostel Paulus war ein Freund von Priscilla und ihrem Mann Aquila (Apostelgeschichte 18:2, 3). Ganz bestimmt waren sich diese Menschen von Herzen zugetan. Ganz bestimmt kann man sich aber auch weder von Jesus noch von Paulus vorstellen, dass sie dieses freundschaftliche Verhältnis jemals in Richtung Verliebtheit abdriften ließen.

In der modernen Gesellschaft greifen die Lebensbereiche von Frauen und Männern mehr ineinander als je zuvor. Es wird daher immer dringender nötig, dass beide Seiten wissen, wie man mit dem anderen Geschlecht in einer angemessenen Freundschaft umgeht. Auch Ehepaare profitieren davon, wenn sie in allen Ehren Freundschaften mit anderen Ehepaaren und mit Einzelpersonen pflegen.

„Es kann allerdings außerordentlich schwierig sein, verliebte, sexuelle und freundschaftliche Gefühle auseinander zu halten“, so die Zeitschrift Psychology Today. „Es lauert ganz real stets die Möglichkeit, dass bei einer Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau urplötzlich und ungewollt sexuelle Anziehung ins Spiel kommt. Bei einer simplen, platonischen Umarmung könnte schon ein Augenblick genügen, dass mehr daraus wird.“

Besonders wer verheiratet ist, sollte das ganz nüchtern und realistisch sehen. „Eine Ehe kann durch jegliche Form von Intimität mit anderen gefährdet werden“, schreibt der Autor Dennis Prager in seinem Buch Happiness Is a Serious Problem. „Ein Verhältnis ist nicht nur dann intim, wenn Sex im Spiel ist, und Ihr Partner hat das Recht, zu erwarten, dass er Ihr einziger echter intimer Freund vom anderen Geschlecht ist.“ Jesus betonte, dass das Bewahren der moralischen Reinheit eine Sache des Herzens ist (Matthäus 5:28). Deshalb sollte man zwar schon freundlich zum anderen Geschlecht sein, dabei aber auf sein Herz aufpassen und sorgfältigst Situationen meiden, die zu unangebrachten Gedanken, Gefühlen oder Handlungen führen könnten.

[Bilder auf Seite 7]

Wer auf sich achtet und etwas für Körper und Geist tut, wirkt anziehender

[Bild auf Seite 8]

Freunde öffnen sich