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Das Leben — Eine erstaunliche Zusammenlagerung von Ketten

Das Leben — Eine erstaunliche Zusammenlagerung von Ketten

Das Leben — Eine erstaunliche Zusammenlagerung von Ketten

WÜRDE man je auf den Gedanken kommen, dass der menschliche Körper aus mikroskopisch kleinen Ketten besteht? Es ist aber tatsächlich so. „Auf der Ebene der kleinsten relevanten Bausteine bedienen sich die Lebewesen der Kette als Aufbauprinzip“, heißt es in einem Buch über das Zusammenwirken organischer Naturstoffe (The Way Life Works). Daher kann schon ein kleiner Fehler in einigen dieser Ketten eine schwere Krankheit verursachen. Worum handelt es sich bei diesen Ketten? Wie arbeiten sie? Und wie wirken sie sich auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden aus?

Bei den Ketten handelt es sich eigentlich um kettenförmig angeordnete Moleküle. Man unterteilt sie in zwei Hauptgruppen. In diesem Artikel geht es um die Proteinmoleküle. Zu der anderen Gruppe gehören Moleküle, die genetische Informationen speichern (die DNS) und weitergeben (die RNS). Die beiden Gruppen sind allerdings eng miteinander verwandt. Eine Hauptaufgabe der DNS und der RNS ist es sogar, die vielen unterschiedlichen Proteine herzustellen, die für das Leben nötig sind.

Biokatalysatoren, Abwehrstoffe und Gerüststoffe

Proteine sind unter allen Makromolekülen die bei weitem vielseitigsten. Zu den Proteinen gehören Antikörper, Enzyme, Botenstoffe sowie Struktur- und Transportproteine. Das große Heer der Antikörper — der Immunglobuline — wehrt Eindringlinge wie Bakterien und Viren ab. Andere Globuline unterstützen den Verschluss von Blutgefäßen nach Verletzungen.

Enzyme beschleunigen als Biokatalysatoren chemische Reaktionen, die beispielsweise bei der Verdauung ablaufen. „Ohne Enzyme würden wir bald verhungern, weil die Verdauung nach einer einfachen Mahlzeit 50 Jahre dauern würde“, heißt es sogar in dem Buch The Thread of Life. Enzyme arbeiten wie an einem Fließband, an dem jedes als Protein eine bestimmte Aufgabe erfüllt. Beispielsweise spaltet das Enzym Maltase den Zucker Maltose in zwei Glucosemoleküle auf; Lactase spaltet Lactose (Milchzucker). Andere Enzyme verbinden Atome mit Molekülen zu neuen Stoffen. Dabei sind sie unglaublich schnell. Ein einziges Enzymmolekül kann pro Sekunde Tausende chemische Reaktionen ermöglichen!

Eine andere Art von Proteinen, die Hormone, sind Botenstoffe. Sie gelangen mit dem Blut in bestimmte Bereiche des Körpers, um dort eine Funktion entweder zu aktivieren oder zu hemmen. Insulin regt beispielsweise die Zellen zur Aufnahme von Glucose an, aus der sie ihre Energie beziehen. Dann gibt es Strukturproteine wie das Kollagen, das im Knorpel und in der Haut vorkommt, und das Keratin, der Hauptbestandteil von Haaren und Nägeln. Alle diese Proteine sind, wie es in dem Werk The Way Life Works heißt, „die Pfosten, die Balken, das Sperrholz, der Zement und die Nägel der Zellen“.

In der Zellmembran sorgen die Transportproteine, die wie Pumpen und Tunnel wirken, dafür, dass Stoffe in die Zelle eingeschleust oder daraus entfernt werden. Betrachten wir nun, woraus Proteine bestehen und inwiefern die Kettenform ihre Eigenschaften bestimmt.

Vom Einfachen zum Komplizierten

Die Grundlage vieler Sprachen ist ein Alphabet. Mit den Buchstaben eines Alphabets kann man Wörter bilden und mit mehreren Wörtern einen Satz. Für das Leben gilt auf molekularer Ebene ein ähnliches Prinzip. Die DNS enthält das „Alphabet“. Es hat allerdings nur vier Buchstaben: A, C, G und T. Sie stehen für die Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Aus diesen vier Basen bildet die DNS über eine RNS-Kopie „Wörter“, das heißt Aminosäuren. Es handelt sich dabei aber um ganz besondere Wörter, denn sie haben alle die gleiche Zahl von Buchstaben, nämlich drei. Aminosäuren werden in „Proteinfabriken“, den Ribosomen, miteinander verknüpft. Die dadurch entstehenden Proteinketten sind mit Sätzen zu vergleichen. Sie haben aber viel mehr „Wörter“ als ein gesprochener oder geschriebener Satz — ein gewöhnliches Protein besteht aus 300 bis 400 Aminosäuren.

Gemäß einem Nachschlagewerk kommen in der Natur zwar Hunderte von Aminosäurearten vor, aber in den allermeisten Proteinen sind es nur ungefähr 20. Die Zahl der möglichen Kombinationen aus diesen Aminosäuren ist unvorstellbar groß. Bedenken wir einmal Folgendes: Eine Aminosäurenkette mit 100 Gliedern aus 20 verschiedenen Aminosäuren kann 10100 verschiedene Formen annehmen — das ist eine 1 mit 100 Nullen!

Form und Funktion eines Proteins

Welche Aufgabe ein Protein in der Zelle übernimmt, hängt entscheidend von dessen Form ab. Wie wirkt sich die Aneinanderreihung von Aminosäuren auf die Form eines Proteins aus? Statt wie die Glieder einer Metall- oder Plastikkette lose zusammenzuhängen, werden sie sozusagen über „Kupplungen“ verbunden und bilden regelmäßige Formen. Einige der Ketten ähneln einer spiralförmigen Telefonschnur; andere gleichen eher den Plisseefalten eines Stoffes. Die Ketten „falten“ sich dann zu einer noch komplexeren räumlichen Struktur. Der Aufbau eines Proteins ist ganz bestimmt nicht dem Zufall überlassen. Form und Funktion von Proteinen sind untrennbar miteinander verknüpft. Das erkennt man besonders dann, wenn an einer Aminosäurenkette etwas nicht stimmt.

Wenn die Kette defekt ist

Wenn Aminosäurenketten von Proteinen fehlerhaft sind oder diese Ketten falsch gefaltet sind, können verschiedene Krankheiten entstehen wie Sichelzellenanämie und Mukoviszidose. Sichelzellenanämie ist eine Erbkrankheit, bei der die Hämoglobinmoleküle in den roten Blutkörperchen verändert sind. Das Hämoglobinmolekül besteht aus 574 Aminosäuren, die vier Ketten bilden. Das Sichelzellenanämie-Hämoglobin entsteht, weil sich in nur zwei der vier Ketten an einer bestimmten Stelle eine andere Aminosäure befindet. Zu Mukoviszidose kommt es meistens wegen eines Proteins, dem die Aminosäure Phenylalanin an einer wichtigen Stelle der Kette fehlt. Dieser Defekt beeinträchtigt unter anderem den Salz- und Wasserhaushalt der Zellmembranen der Darm- und Bronchialschleimhaut. Der Schleim ist ungewöhnlich klebrig und zähflüssig.

Krankheiten wie der Albinismus und die Bluterkrankheit (Hämophilie) entstehen, wenn bestimmte Proteine vermindert oder gar nicht vorhanden sind. Die häufigste Form von Albinismus — ein Mangel an körpereigenen Farbstoffen — tritt auf, wenn das wichtige Enzym Tyrosinase entweder defekt ist oder fehlt. Dadurch ist die Produktion von Melanin behindert, einem braunen körpereigenen Farbstoff in den Augen, den Haaren und der Haut. Wer an der Bluterkrankheit leidet, hat sehr wenig oder gar keine Gerinnungsfaktoren — Proteine, die zur Blutgerinnung beitragen. Unter anderem werden auch Milchzuckerunverträglichkeit und Muskelschwund durch defekte Proteine ausgelöst.

Eine der Theorien über den Mechanismus von Krankheiten

In jüngster Zeit beschäftigt man sich mit einer Krankheit, die nach Meinung einiger Experten durch ein missgestaltetes Prionprotein verursacht wird. Laut einer Hypothese entsteht sie, wenn sich deformierte Prionen an normale anlagern und diese dadurch veranlassen, gleichfalls die krankhafte Form anzunehmen. Das führt zu einer „Kettenreaktion“. „Es entstehen immer mehr defekte Prionen und die Krankheit breitet sich aus“, heißt es in Scientific American.

Das Auftreten einer möglichen Prionenerkrankung in Papua-Neuguinea erregte erstmals in den 1950er Jahren die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Weil einige abgesonderte Stämme einen rituellen Kannibalismus praktizierten, entstand die Kuru-Krankheit mit gleichartiger Symptomatik wie bei der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Die Kuru-Krankheit ging stark zurück, als die betroffenen Stämme ihre rituellen Handlungen aufgaben, und heute ist sie praktisch besiegt.

Erstaunlicher Aufbau!

Zum Glück sind Proteine gewöhnlich richtig gefaltet und erledigen ihre Aufgaben sehr wirkungsvoll; sie sind zuverlässig und arbeiten erstaunlich gut zusammen. Man kann nur staunen, wenn man bedenkt, dass es im menschlichen Körper über 100 000 Proteinarten gibt — alles komplexe kettenförmige Gebilde, die auf Tausende verschiedene Arten gefaltet sind.

Über Proteine weiß man längst noch nicht alles. Weil man mehr über sie erfahren möchte, arbeitet man an komplexen Computerprogrammen, die die Struktur von Proteinen aus ihrer Aminosäurensequenz errechnen sollen. Wenn es auch noch viel zu erforschen gibt, weiß man doch bereits, dass diese „Ketten des Lebens“ nicht nur sehr gut zusammenarbeiten, sondern auch von großer Intelligenz zeugen.

[Kasten/Bild auf Seite 27]

„Postleitzahlen“ für Proteine

Um Briefe reibungslos zustellen zu können, verlangen viele Postdienste auch die Angabe einer Postleitzahl. Für die Zelle hat der Schöpfer ein ähnliches Verfahren eingeführt, damit sich die Proteine innerhalb der Zelle zurechtfinden. Das ist sehr wichtig, wenn man bedenkt, wie geschäftig es in einer Zelle zugeht, in der es bis zu eine Milliarde Proteine gibt. Trotzdem finden neue Proteine dank des molekularen „Postleitzahlensystems“ immer den richtigen Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Die „Postleitzahl“ ist eine besondere Folge von Aminosäuren in dem Protein.

Der Zellbiologe Günter Blobel entdeckte dieses erstaunliche Leitsystem und erhielt dafür 1999 den Nobelpreis. Blobel hat aber nur etwas entdeckt. Sollte nicht der, der die lebende Zelle und ihre unzähligen Moleküle entworfen und konstruiert hat, viel mehr geehrt werden? (Offenbarung 4:11).

[Diagramm/Bilder auf Seite 24, 25]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Wie entsteht ein Protein?

Zelle

1 Die DNS befindet sich im Zellkern und enthält Baupläne für die einzelnen Proteine

DNS

2 Ein DNS-Abschnitt wird wie ein Reißverschluss aufgetrennt und die genetische Information von der Boten-RNS übernommen

Boten-RNS

3 Ribosomen — Zellbestandteile, die die Bauanleitung lesen und Proteine herstellen — binden sich an die RNS

4 Transfer-RNS versorgen das Ribosom mit Aminosäuren

einzelne Aminosäuren

Transfer-RNS

Ribosom

5 Das Ribosom verknüpft Aminosäuren nach den Anweisungen, die es in der RNS „liest“, zu einer Kette — dem Protein

Proteine bestehen aus Aminosäuren

6 Damit das kettenförmige Protein seine Aufgabe fehlerfrei ausführen kann, muss es richtig gefaltet sein. Ein gewöhnliches Protein hat über 300 „Glieder“!

Protein

Im menschlichen Körper gibt es über 100 000 Proteinarten, ohne die wir nicht leben könnten

Antikörper

Enzyme

Strukturproteine

Hormone

Transportproteine

[Diagramm/Bilder auf Seite 25]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Wie „buchstabiert“ die DNS einzelne Proteine?

DNS G T C T A T A A G

Die DNS benutzt nur vier „Buchstaben“: A, T, C, G

A T C G

Die „Buchstabenkombinationen“ der DNS werden in Boten-RNS umgeschrieben; RNS verwendet U (Uracil) statt T

A U C G

Drei Buchstaben bilden jeweils ein „Wort“, das heißt eine Aminosäure. Zum Beispiel:

G U C = Valin

U A U = Tyrosin

A A G = Lysin

So lässt sich jede der 20 üblichen Aminosäuren „schreiben“; die „Wörter“ werden zu einem „Satz“ oder Protein verkettet

[Diagramm/Bilder auf Seite 26]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Wie „faltet“ sich ein Protein?

Einzelne Aminosäuren werden verknüpft und . . .

1 bilden eine Kette, dann . . .

2 windet sich die Kette spiralförmig oder legt sich in plisseeartige Falten, danach . . .

Windungen

Falten

3 faltet sie sich zu einer noch komplexeren räumlichen Struktur, die vielleicht . . .

4 nur eine Untereinheit eines komplexen Proteins ist

[Bild auf Seite 26]

Dieses Computermodell von einem Teil eines ribosomalen Proteins lässt anhand unterschiedlicher Farben den räumlichen Aufbau besser erkennen. Die strukturellen Merkmale werden durch Windungen und Falten dargestellt.

[Bildnachweis]

The Protein Data Bank, ID: 1FFK; Ban, N., Nissen, P., Hansen, J., Moore, P.B., Steitz, T.A.: The Complete Atomic Structure of the Large Ribosomal Subunit at 2.4 A Resolution, Science 289 pp. 905 (2000)

[Bildnachweis auf Seite 24]

Überarbeitete Zeichnungen: From THE WAY LIFE WORKS by Mahlon Hoagland and Bert Dodson, copyright ©1995 by Mahlon Hoagland and Bert Dodson. Mit frdl. Gen.: Times Books, a division of Random House, Inc.