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Er lüftete die Geheimnisse des Sonnensystems

Er lüftete die Geheimnisse des Sonnensystems

Er lüftete die Geheimnisse des Sonnensystems

VON EINEM ERWACHET!-MITARBEITER IN DEUTSCHLAND

FÜR die Menschen im Europa des 16. Jahrhunderts war ein Komet etwas ganz Besonderes. Einmal holte Katharina Kepler ihren 6-jährigen Sohn Johannes sogar aus dem Bett, um ihm einen Kometen zu zeigen. Es war der Komet, der durch den dänischen Astronomen Tycho Brahe bekannt wurde. Als Brahe über 20 Jahre später starb, war er kaiserlicher Mathematiker. Wen berief Kaiser Rudolf II. zu dessen Nachfolger? Den 29-jährigen Johannes Kepler, der dann auch bis zu seinem Tod kaiserlicher Mathematiker des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation blieb.

Kepler wird nicht nur wegen seiner Mathematikkenntnisse hoch geachtet. Auch auf den Gebieten der Optik und der Astronomie machte er sich einen Namen. Er war zwar klein von Statur, doch sehr intelligent und entschlossen. Als er sich selbst unter großem Druck entschieden weigerte, zum katholischen Glauben zu konvertieren, stieß er auf starke Ablehnung.

Ein Mathematikgenie

Johannes Kepler wurde 1571 in Weil (heute Weil der Stadt) geboren, einem Städtchen am Rand des Schwarzwalds. Er wuchs zwar in ärmlichen Verhältnissen auf, doch dank der Unterstützung des Adels erhielt er eine gute Schulbildung. Kepler wollte Geistlicher werden und studierte an der Universität Tübingen evangelische Theologie. Doch dann entdeckte man seine Begabung für Mathematik, und als 1594 ein Mathematiklehrer der protestantischen Stiftsschule in Graz starb, übernahm er diese Stelle. In Graz veröffentlichte er auch sein erstes wichtiges Werk — Das Weltgeheimnis.

Der Astronom Brahe hatte jahrelang gewissenhaft Aufzeichnungen über seine Planetenbeobachtungen geführt. Als er Das Weltgeheimnis las, war er von Keplers mathematischem und astronomischem Verständnis beeindruckt. Er lud Kepler ein, mit ihm in Benátky (bei Prag) zusammenzuarbeiten. Als Kepler Graz wegen religiöser Unduldsamkeit verlassen musste, nahm er die Einladung an, und nach dem Tod Brahes wurde er wie bereits erwähnt dessen Nachfolger. So löste ein Mathematikgenie einen aufmerksamen Beobachter am Kaiserhof ab.

Meilenstein der Optik

Um Brahes Beobachtungsmaterial richtig auswerten zu können, musste sich Kepler zunächst mit der Lichtbrechung beschäftigen. Wie wird Licht gebrochen, das von einem Planeten reflektiert wird und die Erdatmosphäre durchdringt? Das erklärte Kepler in dem Werk Grundlagen der geometrischen Optik (im Anschluss an die Optik des Witelo), das die Arbeiten Witelos ergänzte, eines mittelalterlichen Gelehrten. Keplers Buch war ein Meilenstein der Optik. Unter anderem beschrieb er als Erster die Funktion des Auges.

Kepler beschäftigte sich aber nicht in erster Linie mit Optik, sein Hauptinteresse galt der Astronomie. Frühere Astronomen glaubten, der Himmel sei eine Hohlkugel, auf deren Innenseite Sterne wie funkelnde Diamanten eingelassen sind. Für Ptolemäus war die Erde der Mittelpunkt des Universums. Kopernikus dagegen glaubte, dass sich alle Planeten um eine ruhende Sonne drehen. Brahe meinte, alle Planeten außer der Erde würden sich um die Sonne bewegen und diese würde sich wiederum um die Erde drehen. Nach damaligem Verständnis waren alle Planeten außer der Erde Himmelskörper und vollkommen. Man meinte, sie bewegen sich mit gleich bleibender Geschwindigkeit auf einer genauen Kreisbahn. So stellte man sich die Welt vor, als Kepler seine Arbeit als kaiserlicher Mathematiker begann.

Der Beginn moderner Astronomie

Kepler erforschte mit den Maßtabellen Brahes die Bewegungen der Gestirne, stützte aber seine Schlussfolgerungen auf eigene Beobachtungen. Er war nicht nur mathematisch begabt, sondern auch sehr zielstrebig; außerdem hatte er einen starken Forscherdrang. Allein die rund 7 200 komplizierten Berechnungen anhand der Tabellen über den Mars zeigen, wie sehr er in seiner Arbeit aufging.

Es war der Mars, mit dem er sich zuerst beschäftigte. Eine systematische Auswertung der Tabellen ergab, dass sich der Mars zwar um die Sonne dreht, aber nicht auf einer Kreisbahn. Keplers Beobachtungen ließen nur einen Schluss zu: Die Marsbahn ist eine Ellipse, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht. Doch um die Geheimnisse des Himmels zu lüften, musste man nach Ansicht Keplers nicht den Mars, sondern die Erde beobachten. „Hier setzte nun wieder Keplers Erfindungsgeist ein, der ihm einen genialen Kunstgriff an die Hand gab“, schrieb Professor Max Caspar. Er gebrauchte die Tabellen nämlich für einen ungewöhnlichen Zweck. Statt wie bisher mit ihnen den Mars zu erforschen, versetzte sich Kepler gewissermaßen auf den Mars und beobachtete von dort die Erde. Er errechnete, dass die Geschwindigkeit der Erde zunimmt, je näher sie der Sonne kommt.

Jetzt verstand Kepler, dass die Sonne nicht bloß der Mittelpunkt des Sonnensystems ist. Er schlussfolgerte, die Sonne sei wie ein rotierender Magnet, der die Planeten auf ihren Bahnen bewegt. Caspar schreibt: „Dies war der große, neue Leitgedanke, der ihm von nun an bei seinen Untersuchungen voranleuchtete und ihn zur Entdeckung seiner Gesetze führte.“ Für Kepler waren die Planeten Körper, die alle den gleichen Gesetzen unterworfen sind. Das, was er über den Mars und die Erde herausfand, musste auch für die anderen Planeten gelten. Er kam daher zu dem Schluss, dass sich jeder Planet auf einer elliptischen Umlaufbahn um die Sonne bewegt, und zwar mit einer Geschwindigkeit, die von seiner jeweiligen Entfernung zur Sonne abhängt.

Keplers Gesetze der Planetenbewegung

Im Jahr 1609 erschien Keplers Werk Neue Astronomie, das nach Ansicht vieler das erste Buch über moderne Astronomie und eines der bedeutendsten über dieses Thema ist. Dieses Meisterwerk enthielt die ersten zwei Gesetze der Planetenbewegung. Das dritte wurde 1619, als er in Linz lebte, in seinem Werk Weltharmonik veröffentlicht. Die drei Gesetze beschreiben die Grundlagen der Planetenbewegung: die Form der Planetenumlaufbahn um die Sonne, die Geschwindigkeit der Planeten und das Verhältnis zwischen der Entfernung der Planeten von der Sonne und deren Umlaufzeit.

Wie reagierten die anderen Astronomen darauf? Sie erkannten nicht die Tragweite der Gesetze Keplers. Einige lehnten sie sogar entschieden ab. Doch vielleicht war Kepler daran nicht ganz unschuldig. Er verschleierte seine Werke in einer lateinischen Prosa, die beinahe so undurchsichtig war wie die Wolkendecke der Venus. Doch die Zeit arbeitete für ihn. Rund 70 Jahre später stützte sich Isaac Newton auf die Erkenntnisse Keplers, als er die Bewegungs- und Gravitationsgesetze entdeckte. Heute gilt Kepler als einer der größten Wissenschaftler — als jemand, der die Astronomie aus dem Mittelalter in die Neuzeit führte.

Religionskrieg in Europa

In dem Monat, als Kepler das dritte Gesetz beschrieb, brach der Dreißigjährige Krieg aus. In dieser Zeit (1618—1648) wurde die Bevölkerung Europas durch religiös motiviertes Morden und Plünderungen stark dezimiert. Deutschland verlor damals ein Drittel seiner Einwohner. Die Hexenverfolgung grassierte. Keplers Mutter wurde wegen Hexerei angeklagt und entkam nur knapp der Hinrichtung. Bereits vor dem Krieg wurde Keplers Gehalt am Kaiserhof nur unregelmäßig gezahlt, doch im Krieg erhielt er fast überhaupt nichts mehr.

Als Protestant musste Kepler sein Leben lang mit religiöser Verfolgung und mit Vorurteilen fertig werden. Weil er sich weigerte, zum katholischen Glauben zu konvertieren, zwang man ihn, Graz zu verlassen. Das war für ihn nicht leicht und er hatte deswegen so manchen Verlust. Auch in Benátky wollte man ihn überzeugen, zu konvertieren. Für ihn war aber die Verehrung von Bildern und „Heiligen“ Teufelswerk. Er verwarf die Lehre der Allgegenwart Gottes und wurde deswegen in Linz von seinen eigenen Glaubensbrüdern abgelehnt. (Siehe den Artikel auf Seite 20, 21.) Man schloss ihn sogar vom Abendmahl aus. Religiöse Unduldsamkeit war Kepler ein Gräuel. Er glaubte, dass es unter den Menschen genauso harmonisch zugehen sollte wie zwischen den Planeten. Trotz Schwierigkeiten ließ er sich nicht von seinem Glauben abbringen. „Ich hätte nicht geglaubt, dass es so süß ist, in Gemeinschaft mit etlichen Brüdern für die Religion, für Christi Ruhm Schaden und Schimpf zu erleiden, Haus, Äcker, Freunde und Heimat zu verlassen“ (Johannes Kepler von Ernst Zinner).

Im Jahr 1627 erschienen die Rudolfinischen Tafeln, die Kepler als sein astronomisches Hauptwerk bezeichnete. Im Gegensatz zu seinen früheren Werken wurde dieses begeistert aufgenommen, und schon bald war es für Astronomen und Seefahrer unentbehrlich. Im Jahr 1630 starb Kepler in Regensburg. Einer seiner Zeitgenossen konnte sich „nicht genug darüber wundern, wie in einem so kleinen Körperchen ein so großes Maß solider Gelehrsamkeit, so viele Schätze des Wissens um die profundesten Geheimnisse eingeschlossen und verborgen sein können“. Bestimmt eine passende Würdigung des Mannes, der die Geheimnisse des Sonnensystems gelüftet hat.

[Herausgestellter Text auf Seite 26]

Kepler gilt als einer der größten Wissenschaftler — als jemand, der die Astronomie aus dem Mittelalter in die Neuzeit führte

[Herausgestellter Text auf Seite 27]

Religiöse Unduldsamkeit war Kepler ein Gräuel; er glaubte, dass es unter den Menschen genauso harmonisch zugehen sollte wie zwischen den Planeten

[Kasten auf Seite 27]

Astrologie und Theologie Keplers

Johannes Kepler ist für seine astronomischen Entdeckungen berühmt. Man darf aber nicht vergessen, dass auch er vom religiösen Gedankengut seiner Zeit beeinflusst war. Er verwarf zwar „vieles, was man über den Einfluss der Sterne zu wissen meinte“, schrieb aber nicht wenig über Astrologie.

Er war ein glühender Verfechter der Trinitätslehre. Die Welt war für ihn eine Kugel, in der er „ein symbolisches Abbild der Heiligen Dreifaltigkeit [erblickte] . . . Der Mittelpunkt bedeutet Gott-Vater, die Oberfläche Gott-Sohn, der Zwischenraum den Heiligen Geist“ (Johannes Kepler).

Wie dachte dagegen Sir Isaac Newton über die Trinitätslehre? * Er lehnte sie ab, und zwar vor allem, weil er sie nicht in der Bibel belegt fand, als er die Aussagen der Glaubensbekenntnisse und der Konzile überprüfte. Er glaubte fest, dass Jehova der Höchste ist und dass Jesus Christus gemäß der Bibel seinem Vater untergeordnet ist (1. Korinther 15:28).

[Fußnote]

^ Abs. 30 Siehe Wachtturm vom 15. Juli 1977, Seite 436 bis 439.

[Diagramm/Bilder auf Seite 24-26]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

Die Kepler’schen Gesetze der Planetenbewegung

Noch heute ist man der Auffassung, dass die moderne Astronomie mit den Kepler’schen Gesetzen der Planetenbewegung begann. Man kann sie wie folgt zusammenfassen:

1 Die Bahnen der Planeten sind Ellipsen, in deren einem Brennpunkt die Sonne steht

← Sonne ←

↓ ↑

↓ ↑

Planet ● ↑

→ → →

2 Je kürzer der Abstand eines Planeten zur Sonne, desto schneller bewegt er sich; wie weit ein Planet von der Sonne auch entfernt ist, die Verbindungslinie von der Sonne zum Planeten überstreicht immer in gleichen Zeiten gleiche Flächen

Planet bewegt sich schneller

Planet bewegt sich langsamer

A ● B

↓ ↑

↓ Sonne

A

● B

A

● B

Die farblich hervorgehobenen Flächen sind gleich groß, wenn der Planet in den drei Beispielen die Strecke von A nach B in der gleichen Zeit zurücklegt

3 Die Zeit, in der ein Planet die Sonne umkreist, nennt man Umlaufzeit; die Quadrate der Umlaufzeiten der Planeten verhalten sich wie die Kuben (dritten Potenzen) der großen Halbachsen ihrer Bahnellipsen

[Übersicht]

Planet Merkur

Entfernung zur Sonne * 0,387

Umlaufzeit in Jahren 0,241

Umlaufzeit2 0,058 *

Entfernung3 0,058 *

Planet Venus

Entfernung zur Sonne 0,723

Umlaufzeit in Jahren 0,615

Umlaufzeit2 0,378

Entfernung3 0,378

Planet Erde

Entfernung zur Sonne 1

Umlaufzeit in Jahren 1

Umlaufzeit2 1

Entfernung3 1

Planet Mars

Entfernung zur Sonne 1,524

Umlaufzeit in Jahren 1,881

Umlaufzeit2 3,538

Entfernung3 3,540

Planet Jupiter

Entfernung zur Sonne 5,203

Umlaufzeit in Jahren 11,862

Umlaufzeit2 140,707

Entfernung3 140,851

Planet Saturn

Entfernung zur Sonne 9,539

Umlaufzeit in Jahren 29,458

Umlaufzeit2 867,774

Entfernung3 867,977

[Fußnote]

^ Abs. 61 Entfernung im Verhältnis zum Abstand der Erde zur Sonne. Beispiel: Die Entfernung vom Mars zur Sonne ist 1,524-mal größer als die Entfernung von der Erde zur Sonne.

^ Abs. 63 Diese beiden Zahlenwerte sind für jeden Planeten gleich oder fast gleich groß. Je weiter die Planeten allerdings von der Sonne entfernt sind, desto mehr unterscheiden sich die beiden Werte. Isaac Newton erkannte später, dass die Zahlen genau ermittelt werden können, wenn man bei der Berechnung auch die Masse des jeweiligen Planeten und die Masse der Sonne berücksichtigt. So erweiterte er dieses Kepler’sche Gesetz mit dem allgemeinen Gravitationsgesetz.

^ Abs. 64 Diese beiden Zahlenwerte sind für jeden Planeten gleich oder fast gleich groß. Je weiter die Planeten allerdings von der Sonne entfernt sind, desto mehr unterscheiden sich die beiden Werte. Isaac Newton erkannte später, dass die Zahlen genau ermittelt werden können, wenn man bei der Berechnung auch die Masse des jeweiligen Planeten und die Masse der Sonne berücksichtigt. So erweiterte er dieses Kepler’sche Gesetz mit dem allgemeinen Gravitationsgesetz.

[Bild auf Seite 24]

Jupiter

[Bild auf Seite 24]

Kopernikus

[Bild auf Seite 24]

Brahe

[Bild auf Seite 24, 25]

Kepler

[Bild auf Seite 25]

Newton

[Bild auf Seite 25]

Venus

[Bild auf Seite 26]

Neptun

[Bild auf Seite 26]

Teleskop und Bücher Keplers

[Bild auf Seite 27]

Saturn

[Bildnachweis]

Mit frdl. Gen.: NASA/JPL/Caltech/USGS

[Bildnachweis auf Seite 24]

Kopernikus und Brahe: Brown Brothers; Kepler: Erich Lessing/Art Resource, NY; Jupiter: Mit frdl. Gen.: NASA/JPL/Caltech/USGS; Planet: JPL

[Bildnachweis auf Seite 25]

Venus: Mit frdl. Gen.: NASA/JPL/Caltech; Planet: JPL

[Bildnachweis auf Seite 26]

Teleskop: Erich Lessing/Art Resource, NY; Neptun: JPL; Mars: NASA/JPL; Erde: NASA photo