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Die Kirschblüte — Ein jahrhundertealter Traum aus zarten Blüten

Die Kirschblüte — Ein jahrhundertealter Traum aus zarten Blüten

Die Kirschblüte — Ein jahrhundertealter Traum aus zarten Blüten

Von einem Erwachet!-Mitarbeiter in Japan

SEIT alters preist man in Japan die Schönheit der Sakura — der japanischen Zierkirsche. Ihre zarten Blütenblätter sind so beliebt, dass die Kirschblüte bei den Japanern über alle anderen Blüten emporgestiegen ist und in ihrer Geschichte und Kultur einen besonderen Platz einnimmt. In bestimmten Zusammenhängen ist mit dem japanischen Wort für „Blüte“ sogar stets die Kirschblüte gemeint. Sie wird seit über tausend Jahren von den Japanern verehrt.

Auf den japanischen Inseln gibt es überall unzählige dieser edlen Kirschbäume. Man muss nicht weit laufen, um eine der gut 300 verschiedenen Kirschbaumarten zu sehen, die hier wachsen. Die Blüten haben in der Regel fünf am Rand gekerbte Blütenblätter. Manche Arten haben aber auch viel mehr Blütenblätter. Die Blüten selbst hängen in Dolden zusammen. Sie sind entweder nahezu weiß oder rosa, mitunter sogar tiefrot, oder weisen eine der feinen Farbschattierungen dazwischen auf. Wegen ihrer Farbe und Form gelten die Blüten seit langem als Symbol für Reinheit und Schlichtheit.

An einem in voller Blüte stehenden Kirschbaum kann man einfach nicht vorbeigehen. Im weichen Sonnenlicht, das durch die Wolken hindurchdringt, schimmern seine anmutigen Blütenblätter rosa-weiß. Und der Anblick eines ganzen Kirschbaumhains ist geradezu atemberaubend.

Ein traumhafter Anblick

Von jeher sind die Yoshino-Berge für ihre weißen Kirschblüten berühmt. Hier gibt es vier große Haine mit über 100 000 Kirschbäumen. Eine Stelle nennt man hitome senbon, was so viel heißt wie „eintausend Kirschbäume auf einen Blick“. Man sieht ein Meer von weißen Blüten, so weit das Auge reicht, und es scheint einem, als seien die umliegenden Hügel mit Schnee bedeckt. Kein Wunder, dass jedes Jahr über 350 000 Menschen hierher kommen, um dieses herrliche Schauspiel mitzuerleben!

Je nachdem, wie die Kirschbäume gepflanzt werden, gibt es faszinierende Effekte. Parallel stehende Kirschbaumreihen, deren Zweige einander berühren, bilden beispielsweise einen „Kirschtunnel“. Man muss sich einmal vorstellen, wie es ist, durch einen solchen Tunnel hindurchzugehen: über einem ein rosa-weißes Dach mit Dolden über Dolden von Kirschblüten, unter einem ein Teppich aus Blütenblättern.

Die zarten Blüten halten sich jedoch nicht lange — je nach Wetter allerhöchstens zwei bis drei Tage.

hanami — Picknick unter Kirschbäumen

Die ersten zarten Blüten blühen im Januar, und zwar in Okinawa im Süden des japanischen Archipels. Bis spät in den Mai wandert die Blütengrenze dann immer mehr nördlich bis nach Hokkaido. Man spricht hierbei von der Kirschblütenfront. Fernsehen, Radio, Zeitungen und sogar das Internet informieren regelmäßig über den neuesten Stand der Blütenfront. Sowie die Japaner die Nachricht erhalten, dass die Kirschbäume blühen, pilgern Millionen zu ihnen hin, um sie zu bewundern.

Der Brauch des hanami oder „Blütenschauens“ geht weit zurück. Mit der Blüte ist dabei stets die Kirschblüte gemeint. Schon in der Heian-Zeit (794—1185) hielt die Adelsgesellschaft Feierlichkeiten ab, um die Sakura zu bewundern. 1598 veranstaltete der Feldherr Toyotomi Hideyoshi am Daigoji-Tempel in Kioto ein Kirschblütenschau-Fest. Geladen waren alle Feudalherren sowie Gäste von Rang und Namen. Sie versammelten sich unter den blühenden Kirschbäumen und rezitierten Gedichte, in denen die Kirschblüten gepriesen wurden. Die Frauen trugen schmucke Kleider, auf denen das elegante Motiv der Sakura zu sehen war.

In der Edo-Zeit (1603—1867) übernahm auch das einfache Volk diese Form der Muße und hielt fortan Picknick unter blühenden Kirschbäumen. Man aß, trank, sang und tanzte und bewunderte die Kirschblüte gemeinsam mit Familie und Freunden. Dieser beliebte hanami-Brauch wird bis heute gepflegt. In Scharen strömen die Japaner zu ihren Lieblingsplätzen und genießen die Blütenpracht.

Ein stets wiederkehrendes Motiv

Die Sakura ist eng verwoben mit der japanischen Geschichte und Kultur und ist sowohl in der Literatur und Dichtkunst als auch im Theater und in der Musik ein stets wiederkehrendes Motiv. Die Pracht der Kirschblüten ist im Lauf der Jahrhunderte immer wieder von Künstlern verewigt worden, beispielsweise auf Töpferwaren und Wandschirmen.

Auch für die Samurai wurde die Sakura ein Symbol. Da sie ihrem Herrn völlig ergeben waren, erwartete man von ihnen, dass sie bereit waren, jeden Moment ihr Leben zu geben. Die Samurai sahen die Kirschblüten als ein Sinnbild der Kürze des Lebens. Die Kodansha Encyclopedia of Japan schreibt hierzu: „Da Kirschblüten nur sehr kurz blühen und dann zu Boden rieseln, sind sie ein passendes Symbol für die japanische Ästhetik, die Vergänglichkeit des Schönen.“

Die Sakura zieht Japan heute noch genauso stark in ihren Bann wie eh und je. Edle Kimonos sind nicht selten mit Kirschblütenmotiven versehen. Auch auf Haushaltsgegenständen, Tüchern und sonstiger Kleidung findet man Sakuramotive. Die Blüten sind sogar so beliebt, dass Eltern ihr hübsches kleines Mädchen ihnen zu Ehren stolz Sakura nennen.

Die Kirschblüte — so zart und doch so stark, dass sie die Kultur einer ganzen Nation beeinflusst — ist ein einmaliges Beispiel für die grazile Schönheit, die sich in vielen Meisterwerken unseres Schöpfers wiederfindet.

[Kasten/Bild auf Seite 15]

Blühende Kirschbäume

Das edle Kirschbaumholz wird für Holzschnitte, Schnitzereien und Möbel verwendet. Doch dass der Kirschbaum in Japan zu solchen Ehren gekommen ist, verdankt er weder den Kunstwerken, die man aus seinem Holz anfertigt, noch seinen Früchten. Im Gegensatz zu seinen Vettern in anderen Teilen der Welt wird der japanische Kirschbaum hauptsächlich seiner Blüten wegen gepflanzt, die es so vielen Menschen angetan haben.

Die japanischen Zierkirschbäume können leicht aus Sämlingen gezogen werden. Und so werden sie entlang von Flüssen gepflanzt, an Hauptdurchgangsstraßen sowie in unzähligen Parks und Gärten im ganzen Land.

[Kasten auf Seite 15]

Kirschblütenschneesturm

Wenn die Kirschbäume ihre Myriaden von Blütenblättern fallen lassen, mutet es einen fast an, als würde es rosa schneien. Plötzlich und ohne Vorwarnung rieseln die Blütenblätter von den Zweigen herunter und schweben elegant zu Boden. Ein starker Windstoß lässt ganze Schauer vom Blütenhimmel niedergehen und weht sie überallhin. Die Japaner nennen dieses einmalige Phänomen sakura fubuki oder Kirschblütenschneesturm. Der Boden wird mit einem herrlichen rosafarbenen Teppich ausgelegt. Nur wenige Naturschauspiele können der friedlichen Stille der herabfallenden zarten Blütenblätter gleichkommen.

[Bild auf Seite 16, 17]

„hanami“ — Picknick unter blühenden Kirschbäumen

[Bild auf Seite 17]

Ein „Kirschtunnel“