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Transfusionsmedizin — Was bringt die Zukunft?

Transfusionsmedizin — Was bringt die Zukunft?

Transfusionsmedizin — Was bringt die Zukunft?

„Die Transfusionsmedizin wird auch künftig immer etwas einem Marsch durch tropischen Regenwald gleichen, wo man selbst auf vertrauten Pfaden vorsichtig sein muss, denn schon hinter dem nächsten Baum könnten auf den Unvorsichtigen neue, unbekannte Gefahren lauern“ (Ian M. Franklin, Professor für Transfusionsmedizin).

NACHDEM die weltweite Aidsepidemie in den 1980er Jahren die Aufmerksamkeit auf Blut gelenkt hatte, intensivierte man die Bemühungen, „unbekannte Gefahren“ auszuräumen. Doch nach wie vor gibt es gewaltige Hindernisse. Im Juni 2005 räumte die Weltgesundheitsorganisation ein: „Die Chance, eine sichere Bluttransfusion zu erhalten, variiert sehr stark von einem Land zum anderen.“ Woran liegt das?

In vielen Ländern gibt es weder für die Blutspende noch für die Kontrolle und den Transport von Blut und Blutprodukten staatlich koordinierte und überwachte Sicherheitsstandards. Manchmal werden Blutvorräte sogar gefährlich gelagert — etwa in schlecht gewarteten Haushaltskühlschränken oder in simplen Kühlboxen! Wenn wirksame Sicherheitsstandards fehlen, können Patienten durch Blut zu Schaden kommen, das Hunderte oder sogar Tausende von Kilometern entfernt gespendet wurde.

Blut ohne infektiöse Erreger — ein schwer erreichbares Ziel

Manche Staaten behaupten, ihre Blutkonserven seien noch nie so sicher gewesen wie heute. Dennoch gibt es immer noch Gründe zur Vorsicht. Auf der ersten Seite eines gemeinsamen Informationsrundschreibens dreier führender Blutversorgungseinrichtungen in den USA heißt es: „WARNUNG: Vollblutkonserven und Blutbestandteile werden aus menschlichem Blut gewonnen und können daher infektiöse Erreger übertragen, z. B. Viren. . . . Sorgfältige Auswahl der Spender und verfügbare Labortests können das Risiko nicht völlig beseitigen.“

Nicht ohne Grund erklärte Peter Carolan von der Internationalen Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften: „Absolute Garantien für die Sicherheit der Blutkonserven kann es nicht geben.“ Er fügte hinzu: „Es werden immer neue Infektionen auftreten, für die es derzeit keine Tests gibt.“

Was wäre, wenn ein neuer infektiöser Erreger auftreten würde — einer, der sich wie HIV lange in einem nicht nachweisbaren Übertragungsstadium befindet und leicht durch Blut übertragen wird? Diese Vorstellung sei ernüchternd, sagte Dr. Harvey G. Klein von den Nationalen Gesundheitsinstituten der USA auf einem Ärztekongress in Prag (April 2005). Ferner erklärte er: „Die Blut- und Plasmaspendedienste wären nicht wesentlich besser vorbereitet, eine durch Transfusionen verbreitete Epidemie abzufangen, als in den Anfangstagen von Aids.“

Verwechslungen und Transfusionsreaktionen

Was sind die größten Transfusionsrisiken für Patienten in den Industrienationen? Menschliches Versagen und Immunreaktionen. Über eine Studie aus dem Jahr 2001 hieß es in der Globe and Mail, Tausende von Bluttransfusionen wären beinahe schlecht ausgegangen, weil „die Blutprobe dem falschen Patienten abgenommen oder falsch beschriftet wurde oder weil Blut für den falschen Patienten angefordert wurde“. Derartige Verwechslungen haben zwischen 1995 und 2001 in den USA mindestens 441 Menschen das Leben gekostet.

Die Empfänger von Spenderblut gehen im Wesentlichen die gleichen Risiken ein wie Empfänger einer Organtransplantation. Fremdes Gewebe löst in der Regel eine Immunreaktion aus. In manchen Fällen können Bluttransfusionen tatsächlich die normale Funktion des Immunsystems unterdrücken. Kommt es zu einer solchen Immunsuppression, wird der Patient anfällig für postoperative Infektionen und zuvor inaktive Viren. Es erstaunt kaum, dass Professor Franklin, der eingangs zitiert wurde, Ärzten rät: „Überlegen Sie es sich doppelt und dreifach, ehe Sie eine Transfusion anordnen.“

Offene Worte von Fachleuten

Angesichts dieser Erkenntnisse bewerten immer mehr Fachleute im Gesundheitswesen die Transfusionsmedizin kritischer als früher. In der Fachpublikation Dailey’s Notes on Blood heißt es: „Manche Ärzte betrachten allogenes Blut [Blut von einem anderen Menschen] als gefährliche Substanz, die verboten wäre, wenn sie nach denselben Standards beurteilt würde wie andere Medikamente.“

Ende 2004 äußerte sich Professor Bruce Spiess wie folgt über die Transfusionen eines Hauptbestandteils von Blut bei Herzoperationen: „Man findet kaum oder keine [medizinischen] Artikel, die belegen würden, dass Transfusionen tatsächlich das Behandlungsergebnis verbessern.“ Tatsächlich würden viele solcher Transfusionen, so Dr. Spiess, „in praktisch allen Situationen — außer bei schweren Verletzungen — womöglich mehr schaden, als sie nützen“. Sie erhöhen „das Risiko für Lungenentzündung, Infektionen, Herzinfarkt und Schlaganfall“.

Viele sind überrascht, wenn sie erfahren, dass die Standards für die Verabreichung von Blut nicht annähernd so einheitlich sind, wie man erwarten dürfte. Vor kurzem erinnerte Dr. Gabriel Pedraza seine chilenischen Kollegen daran, dass „die Transfusionspraxis nicht besonders genau definiert ist“, weshalb es schwer sei, „allgemein anerkannte Richtlinien anzuwenden“. Es verwundert nicht, dass Brian McClelland, Direktor des Bluttransfusionsdienstes für Edinburgh und Schottland, die Ärzte auffordert, „daran zu denken, dass eine Transfusion eine Transplantation ist und daher nicht auf die leichte Schulter genommen werden darf“. Er empfiehlt Ärzten, über die Frage nachzudenken: „Würde ich der Transfusion zustimmen, wenn es um mich oder um mein Kind ginge?“

Tatsächlich äußert sich eine beträchtliche Anzahl Mediziner ähnlich wie ein Hämatologe, der gegenüber Erwachet! erklärte: „Wir Spezialisten aus der Transfusionsmedizin lassen uns weder gern Blut geben, noch geben wir gern Blut.“ Wenn einige qualifizierte Angehörige des Ärztestandes so empfinden, was soll dann der Patient denken?

Wird sich in der Medizin etwas ändern?

Vielleicht fragen wir uns: „Wenn die Transfusionsmedizin so risikobehaftet ist, warum wird dann immer noch so viel Blut verwendet, zumal es Alternativen gibt?“ Ein Grund ist, dass viele Ärzte einfach ungern ihre Behandlungsmethoden ändern oder mit modernen Behandlungsalternativen zu Bluttransfusionen nicht vertraut sind. Wie es in der Zeitschrift Transfusion hieß, „basieren die Transfusionsentscheidungen der Ärzte auf dem, was sie einmal gelernt haben, auf ihrem professionellen Umfeld und auf ihrem ‚ärztlichen Urteil‘ “.

Das chirurgische Geschick des Arztes spielt ebenfalls eine Rolle. Wie Dr. Beverley Hunt (London) schreibt, „ist der Blutverlust, abhängig von dem Chirurgen, sehr unterschiedlich; gleichzeitig steigt das Interesse, Chirurgen in sorgfältiger chirurgischer Blutstillung auszubilden“. Andere sind der Ansicht, Behandlungsalternativen zu Bluttransfusionen seien zu teuer, obwohl aktuelle Berichte das Gegenteil belegen. Viele Ärzte würden jedoch dem zustimmen, was Dr. Michael Rose sagte: „Jeder Patient, der ohne Blut behandelt wird, erfährt im Grunde die qualitativ beste chirurgische Behandlung, die möglich ist.“ *

Medizinische Versorgung höchster Qualität — wünschen Sie sich das nicht auch? Dann haben Sie etwas mit denjenigen gemeinsam, die Ihnen diese Zeitschrift überreicht haben. Im folgenden Artikel können Sie mehr über die bemerkenswerte Haltung dieser Menschen zu Bluttransfusionen erfahren.

[Fußnote]

^ Abs. 19 Siehe den Kasten „Alternativen zur Bluttransfusion“ auf Seite 8.

[Herausgestellter Text auf Seite 6]

„Überlegen Sie es sich doppelt und dreifach, ehe Sie eine Transfusion anordnen“ (Professor Ian M. Franklin)

[Herausgestellter Text auf Seite 6]

„Würde ich der Transfusion zustimmen, wenn es um mich oder um mein Kind ginge?“ (Brian McClelland)

[Kasten/Bild auf Seite 7]

Tod durch TRALI

Die transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz (TRALI) ist eine lebensbedrohliche Immunreaktion infolge einer Bluttransfusion, über die erstmals Anfang der 1990er Jahre berichtet wurde. Inzwischen weiß man, dass TRALI jährlich mehrere hundert Todesfälle verursacht. Weil die Symptome oft nicht erkannt werden, könnte die Dunkelziffer nach Ansicht von Experten allerdings weit höher liegen. Die Ursache der Reaktion ist zwar nicht genau bekannt, doch laut der Zeitschrift New Scientist stammt das Blut, das die Reaktion verursacht, „anscheinend vorwiegend von Personen, die bereits verschiedenen Blutgruppen ausgesetzt waren, wie . . . Spendern, die selbst schon mehrfach transfundiert wurden“. Laut einem Bericht zählt TRALI in den Vereinigten Staaten und in Großbritannien mittlerweile zu den häufigsten transfusionsbedingten Todesursachen und das macht TRALI „für Blutbanken zu einem größeren Problem als weithin bekannte Krankheiten wie HIV/Aids“.

[Kasten/Diagramm auf Seite 8, 9]

Die Zusammensetzung von Blut

Blutspendern wird meist Vollblut abgenommen, häufig allerdings auch nur Blutplasma. In manchen Ländern wird zwar Vollblut transfundiert, doch in der Regel wird Blut in seine Hauptbestandteile zerlegt, bevor es getestet und in der Transfusionsmedizin verwendet wird. Es folgt eine kurze Übersicht über die vier Hauptbestandteile von Blut, ihre Funktion und ihren prozentualen Anteil am Blutvolumen.

PLASMA macht 52 bis 62 Prozent des Vollblutes aus. Blutplasma ist eine blassgelbe Flüssigkeit, in der Blutkörperchen, Proteine und andere Substanzen schweben und befördert werden.

Plasma besteht zu 91,5 Prozent aus Wasser. Proteine, aus denen Plasmafraktionen gewonnen werden, machen 7 Prozent des Plasmas aus (davon knapp 4 Prozent Albumine, weniger als 3 Prozent Globuline und unter 1 Prozent Fibrinogen). Die restlichen 1,5 Prozent des Plasmas bestehen aus anderen Substanzen wie Nährstoffen, Hormonen, Atemgasen, Elektrolyten, Vitaminen und Stickstoffabfällen.

WEISSE BLUTKÖRPERCHEN (Leukozyten) machen weniger als 1 Prozent des Vollblutes aus. Diese attackieren und zerstören potenziell gefährliche Fremdkörper.

BLUTPLÄTTCHEN (Thrombozyten) machen weniger als 1 Prozent des Vollblutes aus. Bei einer Verletzung bilden sie einen Pfropf, der verhindert, dass Blut austritt.

ROTE BLUTKÖRPERCHEN (Erythrozyten) machen 38 bis 48 Prozent des Vollblutes aus. Diese Blutkörperchen erhalten das Körpergewebe am Leben, da sie es mit Sauerstoff versorgen und Kohlendioxid abtransportieren.

Ebenso wie aus dem Blutplasma verschiedene Fraktionen gewonnen werden können, lassen sich aus anderen Hauptbestandteilen kleinere Bestandteile (Fraktionen) isolieren. Hämoglobin beispielsweise ist eine Fraktion der roten Blutkörperchen.

[Diagramm]

PLASMA

WASSER 91,5 %

PROTEINE 7 %

ALBUMINE

GLOBULINE

FIBRINOGEN

ANDERE SUBSTANZEN 1,5 %

NÄHRSTOFFE

HORMONE

ATEMGASE

ELEKTROLYTE

VITAMINE

STICKSTOFFABFÄLLE

[Bildnachweis]

Seite 9: Eingekreiste Blutbestandteile: This project has been funded in whole or in part with federal funds from the National Cancer Institute, National Institutes of Health, under contract N01-CO-12400. The content of this publication does not necessarily reflect the views or policies of the Department of Health and Human Services, nor does mention of trade names, commercial products, or organizations imply endorsement by the U.S. Government

[Kasten/Bild auf Seite 8, 9]

Alternativen zur Bluttransfusion

In den vergangenen sechs Jahren haben die Krankenhaus-Verbindungskomitees für Zeugen Jehovas weltweit Zehntausende Exemplare der Videodokumentation Konzepte für Transfusionsalternativen — einfach, sicher und effektiv in rund 25 Sprachen an Ärzte und andere Fachleute im Gesundheitswesen verteilt. * In der Dokumentation äußern sich international anerkannte Ärzte zu effektiven Strategien, mit denen gegenwärtig Patienten ohne Bluttransfusion behandelt werden. Die Dokumentation traf auf reges Interesse. Nachdem sich Ende 2001 beispielsweise der britische National Blood Service (NBS) die Dokumentation angesehen hatte, schrieb er alle Blutbanken und Transfusionsverantwortlichen in den Kliniken an und schickte ihnen die Dokumentation. Die Empfänger wurden gebeten, sich die Dokumentation anzusehen, weil „sich immer mehr die Ansicht durchsetzt, dass eines der Ziele einer guten klinischen Versorgung darin besteht, Bluttransfusionen wo immer möglich zu vermeiden“. Wie es in dem Brief hieß, „ist die Grundaussage [des Videos] zu loben und wird vom NBS voll unterstützt“.

[Fußnote]

^ Abs. 57 Wenn Sie die von Jehovas Zeugen herausgegebene DVD Transfusionsalternativen — Dokumentarserie sehen möchten, wenden Sie sich bitte an einen Zeugen Jehovas.

[Kasten/Bild auf Seite 9]

Fraktionierung — Die medizinische Verwendung von Blutfraktionen

Wissenschaftlich-technische Verfahren ermöglichen es heute, verschiedene Blutbestandteile zu identifizieren und zu gewinnen. Ein solches Verfahren ist die Fraktionierung. Zur Veranschaulichung: Meerwasser besteht zu 96,5 Prozent aus Wasser. Die restlichen Substanzen wie Magnesium, Brom und natürlich Salz können durch Fraktionierungsprozesse gewonnen werden. Ähnlich verhält es sich bei Blutplasma, das mehr als die Hälfte des Volumens von Vollblut ausmacht und zu über 90 Prozent aus Wasser besteht. Aus dem Plasma lassen sich Fraktionen gewinnen, unter anderem Proteine wie Albumin, Fibrinogen und diverse Globuline.

Im Rahmen einer Behandlung oder Therapie schlägt ein Arzt vielleicht vor, ein Konzentrat aus Plasmafraktionen zu verwenden, beispielsweise ein proteinreiches Kryopräzipitat, das durch Einfrieren und späteres Wiederauftauen von Plasma gewonnen wird. Dieser nicht lösliche Bestandteil des Plasmas ist reich an Gerinnungsfaktoren und wird in der Regel verabreicht, um eine Blutung zu stoppen. Bei anderen Behandlungen wird eventuell ein Produkt verwendet, das eine Blutfraktion enthält, sei es in kleinsten Mengen oder als primärer Inhaltsstoff. * Manche Plasmaproteine werden routinemäßig injiziert, um die Immunabwehr von Patienten zu stärken, die infektiösen Substanzen ausgesetzt waren. Fast alle medizinisch verwendeten Blutfraktionen bestehen aus Plasmaproteinen.

Wie die Science News schreibt, „haben Wissenschaftler erst einige hundert der schätzungsweise mehreren tausend Proteine identifiziert, die im menschlichen Blut zirkulieren“. Da Blut auch künftig immer gründlicher erforscht wird, werden aus diesen Proteinen möglicherweise neue Produkte gewonnen.

[Fußnote]

^ Abs. 63 Einige Produkte enthalten auch Fraktionen von Tierblut.

[Bild auf Seite 6, 7]

Einige Gesundheitsfachkräfte sind sehr vorsichtig, was den Kontakt mit Blut angeht