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Toledo — wo sich mittelalterliche Kulturen auf faszinierende Weise begegnen

Toledo — wo sich mittelalterliche Kulturen auf faszinierende Weise begegnen

Toledo — wo sich mittelalterliche Kulturen auf faszinierende Weise begegnen

VON EINEM ERWACHET!-MITARBEITER IN SPANIEN

MITTEN auf der Iberischen Halbinsel liegt ein Bergvorsprung aus Granit, der auf drei Seiten vom Río Tajo geschützt ist. Der Fluss hat sich hier über Jahrhunderte hinweg eine tiefe Schlucht gegraben. Auf dem strategisch günstig gelegenen Vorsprung entstand schließlich die Stadt Toledo — ein Name, der mittlerweile zum Synonym für Spanien und die spanische Kultur geworden ist.

Bei einem Rundgang durch die engen, verwinkelten Gassen der Altstadt Toledos fühlt man sich unwillkürlich ins Mittelalter zurückversetzt. Die Tore, Burgen und Brücken der Stadt haben ihr mittelalterliches Flair behalten und sind stumme Zeugen einer Zeit, als Toledo zu den bedeutendsten Städten Europas gehörte.

Toledo ist jedoch keine typisch europäische Stadt. Selbst der Bahnhof hat einen orientalischen Touch. Schaut man sich die Bauwerke und das Kunsthandwerk in der Stadt etwas genauer an, sieht man, dass hier mehrere Kulturen im Laufe der Jahrhunderte ihre Künste entfaltet haben. Zur Zeit ihrer Hochblüte vor rund 700 Jahren war die Stadt in der Tat ein Schmelztiegel mittelalterlicher Kulturen.

Gemischte Kulturen

Bevor die Römer nach Spanien kamen, hatten bereits die Keltiberer eine Stadt an dieser strategisch wichtigen Stelle errichtet. Die Römer nannten sie Toletum (von tollitum: in die Höhe gehoben) und machten sie zu einer ihrer Provinzhauptstädte. Der römische Geschichtsschreiber Livius schrieb über Toledo, sie sei „eine nur kleine Stadt, aber an einer geschützten Stelle“. Als das Römische Reich zerfiel und die Westgoten Spanien einnahmen, machten auch sie Toledo zu ihrer Hauptstadt. Hier lehnte König Rekkared im 6. Jahrhundert den Arianismus ab und ebnete so den Weg dafür, dass Spanien eine Hochburg des Katholizismus wurde und Toledo Sitz des Primas von Spanien.

Das religiöse Leben veränderte sich, als Toledo vom 8. bis 11. Jahrhundert unter das muslimische Kalifat zu stehen kam. Aus dieser Zeit stammen die engen Gassen im alten Stadtkern. Dank der toleranten Mauren gab es in Toledo eine friedliche Koexistenz von christlichen, jüdischen und muslimischen Kulturen. 1085 bezwang schließlich Alfons VI. (ein katholischer König) die Stadt. Dennoch blieben die verschiedenen Kulturen etliche Jahrhunderte nebeneinander bestehen.

Viele der imposantesten Bauwerke von Toledo stammen aus dem Mittelalter. Die katholischen Herrscher machten die Stadt zu ihrer Hauptstadt, die jüdischen Bürger brachten die Handwerkskunst und den Handel zum Blühen, und die maurischen Kunsthandwerker brachten ihre Talente in die Baukunst ein. In der Übersetzerschule von Toledo arbeiteten Gelehrte aller drei Glaubensrichtungen zusammen. Sie übertrugen im 12. und 13. Jahrhundert zahllose Werke der Antike ins Lateinische und Spanische. Ihrer Arbeit ist es auch zu verdanken, dass das Abendland Zugang zu dem großen Wissensschatz der arabischen Welt bekam.

Im 14. Jahrhundert wurden dann jedoch Tausende von Juden in Pogromen umgebracht; damit war es mit der religiösen Toleranz aus und vorbei. Um die Zeit der Entdeckung Amerikas wurde im Zuge der spanischen Inquisition in Toledo ein Inquisitionsgericht eingesetzt und sowohl Juden als auch Muslime wurden entweder zwangsgetauft oder vertrieben.

Zeugen einstiger Pracht

Im Stadtkern von Toledo gibt es über einhundert historische Bauwerke. Die geschichtsträchtige Altstadt wurde deshalb von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Zwei der beeindruckendsten Bauten aus dem Mittelalter sind die Brücken über den Tajo, durch die man vom Osten und Westen Zugang zur Stadt hat. Und auch das gewaltige Stadttor Puerta Nueva de Bisagra an der alten Stadtmauer ist schwerlich zu übersehen.

Aus der Ferne gesehen dominieren vor allem zwei Bauten das Stadtbild. Da ist der große viereckige Alcázar, ein Gebäude im Osten der Stadt, das im Laufe der Jahrhunderte zunächst als römisches Hauptquartier diente, hernach als Palast für westgotische Monarchen, dann als arabische Festung und schließlich als Residenz für spanische Könige. Heute befindet sich darin ein Militärmuseum und eine umfangreiche Bibliothek. Doch da die Stadt vornehmlich religiöse Bedeutung hatte, dominiert vor allem die riesige gotische Kathedrale den Stadtkern. (Siehe Kasten auf Seite 17.)

Die Kathedrale und weitere Kirchen der Stadt können mit Stolz die Gemälde eines berühmten Künstlers ihr Eigen nennen, der sich einst in Toledo niederließ. Er hieß El Greco, zu deutsch: „Der Grieche“. Sein richtiger Name war Dominikos Theotokopulos. Im ehemaligen Judenviertel, wo er einst lebte, befindet sich heute ein Museum mit etlichen seiner Gemälde.

Am imposantesten sieht Toledo wahrscheinlich von den Hügeln südlich der Stadt aus. Doch dem Zauber der Stadt erliegt man erst richtig, wenn man durch ihre engen Gassen streift. Was macht es schon, sich dabei etwas zu verirren? Die hübschen Durchgänge, die alten Gemäuer, die prunkvollen Balkone und die verlockenden Souvenirläden lassen einen schnell Zeit und Raum vergessen.

Wenngleich die Zeit in dieser geschichtsträchtigen Stadt stillzustehen scheint — irgendwann heißt es dann doch, Abschied zu nehmen. Die beste Stelle dafür ist wahrscheinlich am Südufer des Río Tajo, wo die untergehende Sonne die Stadt ein letztes Mal in ein warmes Licht taucht und sich ihre imposanten Bauwerke noch einmal im Glanz alter Zeiten zeigen.

[Kasten/Bilder auf Seite 17]

DIE DREI KULTUREN IN TOLEDO

Im Mittelalter hatten Katholiken, Juden und Muslime in Toledo jeweils ihr eigenes Viertel, in dem sie nach eigenen Gesetzen und Bräuchen lebten. Einige ihrer alten Kultstätten zählen heute zu den wichtigsten Touristenattraktionen.

➤ Diese ehemalige Moschee aus dem 10. Jahrhundert (Cristo de la Luz) ist ein Paradebeispiel für die Kunst des maurischen Backsteinbaus. Sie steht in der Medina der Stadt, wo einst wohlhabende Muslime lebten.

➤ Zwei mittelalterliche Synagogen belegen, dass es in Toledo eine große jüdische Gemeinde gab. Sie machte einst sogar ein Drittel der Stadtbevölkerung aus. Die ältere von beiden Synagogen ist heute eine katholische Kirche (Santa María la Blanca) und hat wie die Moschee im Innern viele reich verzierte Säulen. In der etwas größeren ehemaligen Synagoge (rechts im Bild, heute ebenfalls eine Kirche: El Tránsito) befindet sich ein Museum, das sich der Kultur der Sephardim, der aus Spanien vertriebenen Juden, annimmt.

➤ Der Bau von Spaniens größter gotischer Kathedrale begann im 13. Jahrhundert und dauerte mehr als 200 Jahre.

[Kasten/Bilder auf Seite 18]

EDLE SCHWERTER UND SÜSSES MARZIPAN

Mehr als zweitausend Jahre lang haben die Schmiede der Stadt Schwerter und Klingen hergestellt und der Name Toledo steht heute für hochwertigen Stahl. Die entlang dem Río Tajo geschmiedeten Schwerter wurden sowohl von Hannibals Männern als auch von den römischen Legionen verwendet. Jahrhunderte später brachten die Araber die Kunst der Damaszener Schmiede mit und damaszierten die Schwerter und Rüstungen aus Toledo. Hier links im Bild sieht man ein Replikat eines solchen damaszierten Toledaner Schwertes. (Siehe den Artikel „Mit Gold verzierter Stahl“ im Erwachet! vom 22. Januar 2005.) Heutzutage wird in den meisten Souvenirläden der Stadt ein großes Sortiment an Schwertern zusammen mit der obligatorischen Ritterrüstung feilgeboten. Diese finden wohl hauptsächlich einen Platz bei Liebhabern und Sammlern und sind sonst höchstens noch in Filmen zu sehen, aber keinesfalls auf dem Schlachtfeld.

Seit der Maurenherrschaft wird in Toledo auch traditionell Marzipan hergestellt. Zwar gab es in Spanien schon zuvor große Felder mit Mandelbäumen, doch gab es noch keinen Zucker — ein weiterer wichtiger Bestandteil des Marzipans. Innerhalb von fünfzig Jahren nach Beginn der Maurenherrschaft schossen in Südspanien überall Zuckerrohrfelder aus dem Boden. Um das 11. Jahrhundert herum war Marzipan bereits eine Spezialität Toledos und seither erfreut es jeden Kenner. In Toledo findet man viele Spezialgeschäfte für Marzipan, das oft in Form kleiner Figuren erhältlich ist. Ohne eine Kostprobe dieser Gaumenfreuden wäre ein Besuch in Toledo nicht vollständig.

[Bildnachweis]

Agustín Sancho

[Karte auf Seite 16]

(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)

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Toledo

[Bild auf Seite 18]

Die Brücke von San Martín