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Jeder kann sein Gedächtnis auf Trab bringen!

Jeder kann sein Gedächtnis auf Trab bringen!

Jeder kann sein Gedächtnis auf Trab bringen!

„Das Gedächtnis macht unser Leben erst reich. Ohne Gedächtnis wäre jeder Tag ein Neubeginn und jeden Morgen würde uns ein Fremder aus dem Spiegel anstarren. Wir wären im Hier und Jetzt gefangen, hätten weder einen Bezug zur Vergangenheit noch zur Zukunft“ („MYSTERIES OF THE MIND“).

WIE kommt es, dass manche Vögel noch nach Monaten wissen, wo sie ihren Samenvorrat für den Winter wiederfinden, und Eichhörnchen sich an die Stellen erinnern, wo sie Nüsse verbuddelt haben, wir aber manchmal schon nach einer Stunde nicht mehr wissen, wo wir unseren Schlüssel hingelegt haben? O ja, viele beklagen ihr schlechtes Gedächtnis. Das menschliche Gehirn hat jedoch trotz unserer Unvollkommenheit eine enorme Kapazität. Wir müssen diese bloß ausnutzen!

Ein riesiges Potenzial

Das menschliche Gehirn ist nur rund drei Pfund schwer und etwa so groß wie eine Grapefruit. Dennoch finden sich darin circa 100 Milliarden Neuronen oder Nervenzellen, die ein unglaublich komplexes Netzwerk bilden. Ein einzelnes Neuron kann mit 100 000 weiteren Neuronen Verbindungen eingehen. Durch diese Vernetzung ist das Gehirn in der Lage, große Mengen an Informationen aufzunehmen und zu speichern. Die Herausforderung für uns besteht natürlich darin, diese Informationen immer dann abzurufen, wenn wir sie benötigen. Manchen gelingt das so gut, dass sie wahre Gedächtniskünstler sind, und dabei haben sie oft kaum oder sogar gar keine Schulbildung.

Ein Beispiel dafür sind die Griots, wie man Chronisten westafrikanischer Stämme nennt. Obwohl sie Analphabeten sind, können sie die Namen von Dorfbewohnern vieler zurückliegender Generationen aufsagen. Griots ermöglichten es dem amerikanischen Schriftsteller Alex Haley, der für sein Buch Roots den Pulitzerpreis bekam, seinen Familienstammbaum in Gambia sechs Generationen weit zurückzuverfolgen. Haley erklärte: „Ich stehe in tiefer Schuld bei den Griots in Afrika, wo man heute zu Recht sagt: Wenn ein Griot stirbt, ist das so, als ob eine Bibliothek niederbrennt.“

Zu nennen wäre auch der berühmte italienische Dirigent Arturo Toscanini. Er wurde im Alter von 19 Jahren „entdeckt“, als er für einen anderen Dirigenten einspringen musste. Obwohl Toscanini sehr schlecht sehen konnte, gelang es ihm, die gesamte Oper Aida zu dirigieren — und das völlig aus dem Gedächtnis!

Solche Bravourleistungen bringen uns vielleicht zum Staunen. Doch auch unser eigenes Erinnerungspotenzial ist meist wesentlich größer, als wir denken. Wie kann man denn seinem Gedächtnis ein bisschen auf die Sprünge helfen?

Gedächtnistraining

Man spricht von drei Gedächtnisstufen: Codieren, Speichern, Abrufen. Das Gehirn codiert Informationseinheiten, wenn es sie wahrnimmt und registriert. Die Information kann daraufhin gespeichert und später wieder abgerufen werden. Unser Gedächtnis lässt uns immer dann im Stich, wenn einer dieser drei Vorgänge nicht richtig funktioniert.

Das Gedächtnis an sich lässt sich unter anderem in das sensorische Gedächtnis, das Kurzzeitgedächtnis und das Langzeitgedächtnis unterteilen. Das sensorische Gedächtnis erhält seine Eindrücke über Sinnesreize, wie sie beim Riechen, Sehen oder Tasten entstehen. Im Kurzzeitgedächtnis (auch Arbeitsgedächtnis genannt) werden kleine Informationsmengen kurzzeitig festgehalten. Dadurch können wir Zahlen im Kopf addieren, Telefonnummern gerade so lange behalten, bis wir sie eingetippt haben, und uns am Ende eines Satzes noch an den Anfang erinnern. Wie wir alle wissen, sind dem Kurzzeitgedächtnis allerdings Grenzen gesetzt.

Informationen, die wir dauerhaft speichern möchten, müssen in unser Langzeitgedächtnis wandern. Doch wie? Dazu ein paar praktische Grundtechniken.

Interesse zeigen Wichtig ist, dass man sich für eine Sache wirklich interessiert und im Hinterkopf behält, wieso man sich damit beschäftigt. Aus eigener Erfahrung weiß man vielleicht, dass sich etwas besser ins Gedächtnis einprägt, wenn Gefühle mitschwingen. Gerade das kann für alle, die sich mit der Bibel auseinandersetzen, bedeutsam sein. Wenn man beim Bibellesen das zweifache Ziel im Auge hat, Gott näherzukommen und auch anderen dabei behilflich zu sein, dann wird sich das Gelesene erheblich besser einprägen (Sprüche 7:3; 2. Timotheus 3:16).

Aufmerksam sein „Wer sich nicht gut erinnern kann, hat meist nicht gut genug aufgepasst“, so das Buch Mysteries of the Mind. Wie schafft man es, bei der Sache zu bleiben? Indem man mit Interesse zuhört und sich vielleicht das eine oder andere notiert. Notizen sind nicht nur eine gute Konzentrationshilfe, sie sind auch eine gute Erinnerungshilfe für später.

Verstehen, worum es geht „Mit allem, was du erwirbst, erwirb Verständnis“, heißt es in Sprüche 4:7. Wenn man eine Thematik oder einen Gedankengang nicht wirklich verstanden hat, wird man sich auch nur schwerlich daran erinnern können. Versteht man, worum es geht, dann werden einem die Zusammenhänge klar und einzelne Gedanken fügen sich zu einem logischen Ganzen zusammen. Ein angehender Mechaniker zum Beispiel, der verstanden hat, wie ein Motor insgesamt funktioniert, wird sich auch eher an die Details erinnern können.

Strukturieren Ähnliche Begriffe oder miteinander verwandte Gedanken könnte man unter Oberbegriffen zusammenfassen. Beispielsweise behält man eine Einkaufsliste eher im Kopf, wenn man sie in Fleisch, Gemüse, Obst und so weiter unterteilt. Es ist im Allgemeinen praktisch, etwas in kleinere Abschnitte mit nicht mehr als fünf bis sieben Einheiten aufzuteilen. Telefonnummern kann man sich meist leichter in Zweiergruppen merken. Und Listen lassen sich oft ganz gut in alphabetischer Reihenfolge ordnen.

Laut vorsagen Durch lautes Wiederholen (etwa beim Erlernen einer Fremdsprache) werden die neuralen Verbindungen verstärkt. Das Aussprechen erfordert nämlich zwangsläufig mehr Aufmerksamkeit, und man erhält vielleicht sogar unmittelbar Rückmeldung von jemand, der einem hilft. Außerdem werden durch das Hören, selbst der eigenen Stimme, andere Hirnregionen angeregt.

Unsere Vorstellungskraft gebrauchen Man kann sich etwas besser einprägen, wenn man es sich bildlich vorstellt, vielleicht sogar aufmalt oder skizziert. Wie beim lauten Vorsagen werden auch beim bildlichen Vorstellen andere Hirnregionen aktiviert. Je mehr Sinne beteiligt sind, desto tiefer wird eine Information verankert.

Verknüpfungen herstellen Neue Informationen mit bereits gespeichertem Wissen zu verbinden, erleichtert das Codieren und Abrufen. Die Verbindung gibt quasi das Signal für den Abruf. Will man sich zum Beispiel den Namen einer Person merken, verknüpft man ihn einfach mit einem markanten äußeren Merkmal oder mit sonst irgendetwas Charakteristischem. Je witziger oder absurder die Verknüpfung, desto besser. Kurz gesagt muss man sich mit den Menschen oder Dingen, an die man sich erinnern möchte, gedanklich beschäftigen.

In dem Buch Wir sind Erinnerung heißt es dazu: „Sind wir . . . abgelenkt oder mit etwas anderem beschäftigt, während ein Ereignis stattfindet, haben wir später unter Umständen große Schwierigkeiten, uns an die Einzelheiten des Geschehens zu erinnern, obwohl es uns allgemein durchaus im Gedächtnis geblieben ist.“

Eindrücke vertiefen Eine Information muss erst verarbeitet werden, man muss sie sozusagen sacken lassen. Am besten lässt man sie dazu Revue passieren, indem man zum Beispiel mit jemand anders darüber spricht. Hat man also etwas Interessantes erlebt oder etwas Schönes in der Bibel oder biblischer Literatur gelesen, könnte man es weitererzählen. Dann haben gleich zwei etwas davon: Man selbst trainiert sein Gedächtnis und der andere hört was Nettes. Nicht umsonst wird gesagt: Wiederholung ist die Mutter des Lernens.

Eselsbrücken bauen

In der Antike konnten griechische und römische Redner ohne jegliche Notizen stundenlange Reden halten. Wie ihnen das gelang? Sie arbeiteten mit Mnemotechniken oder Gedächtnishilfen, die es erleichtern, Informationen im Langzeitgedächtnis abzuspeichern und bei Bedarf wieder abzurufen.

Eine Technik, die die griechischen Rhetoriker verwendeten, war die sogenannte Loci-Methode (Methode der Orte). Als Erstes wurde sie von Simonides von Keos im Jahr 477 v. u. Z. beschrieben. Bei dieser Methode geht man strukturiert vor und stellt sich die zu merkenden Begriffe bildlich vor, geht aber noch einen Schritt weiter: Man verknüpft die bildlichen Vorstellungen mit etwas Altbekanntem wie markanten Punkten an einer vertrauten Straße oder bestimmten Stellen bei sich zu Hause. Dadurch kreiert man in Gedanken einen Weg. Will man sich später an die Begriffe erinnern, geht man diesen Weg im Geist noch einmal ab. ( Siehe unten.)

Wie man in Verbindung mit den jährlich stattfindenden Gedächtnisweltmeisterschaften herausfand, hat die überragende Gedächtnisleistung der Spitzenreiter nichts mit überdurchschnittlicher Intelligenz zu tun. Zudem waren die meisten Teilnehmer zwischen 40 und 50 Jahre alt. Ihr Erfolgsgeheimnis? Viele führten ihren Erfolg auf das optimale Ausnutzen von Gedächtnishilfen zurück.

Eine sehr praktische Gedächtnishilfe, um sich Wortlisten zu merken, ist das Akronym, ein aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildetes Kurzwort. Viele Nordamerikaner merken sich einfach das Kurzwort „HOMES“, um sich an die Großen Seen — Huron, Ontario, Michigan, Erie und Superior — zu erinnern. Ähnlich funktioniert das Akrostichon, das die Hebräer mit Vorliebe gebrauchten. Daher beginnen die Verse oder Versgruppen vieler Psalmen der Reihe nach mit den aufeinanderfolgenden Buchstaben des hebräischen Alphabets (zum Beispiel Psalm 25, 34, 37, 111, 112 und 119). Diese einprägsame Hilfe machte es möglich, alle 176 (!) Verse von Psalm 119 auswendig zu singen.

Man kann also das Gedächtnis durch Training auf Trab bringen! Wie Studien gezeigt haben, ist das Gedächtnis mit einem Muskel vergleichbar: Je mehr man es gebraucht, desto leistungsfähiger wird es. Und das sogar bis ins hohe Alter!

[Kasten auf Seite 27]

EFFEKTIV WÄRE AUCH . . .

▪ das Gehirn anzuregen, indem man sich neue Fertigkeiten aneignet, eine Fremdsprache oder ein Musikinstrument lernt.

▪ sich auf Wesentliches zu konzentrieren.

▪ Mnemotechniken zu erlernen.

▪ genug Wasser zu trinken. Austrocknung kann zu geistiger Verwirrung führen.

▪ für ausreichend Schlaf zu sorgen. Im Schlaf speichert das Gehirn Erinnerungen ab.

▪ beim Lernen entspannt zu bleiben. Durch Stress wird Cortisol freigesetzt, das den Informationsfluss zwischen den Neuronen blockieren kann.

▪ nicht zu viel Alkohol zu trinken und nicht zu rauchen. Alkohol beeinträchtigt das Kurzzeitgedächtnis, und Alkoholsucht kann zu einem Mangel an Vitamin B1 führen, was sich nachteilig auf die Gedächtnisfunktion auswirkt. Durch Rauchen wird die Sauerstoffzufuhr des Gehirns verringert. *

[Fußnote]

^ Abs. 36 Tipps in Anlehnung an die Internetzeitschrift Brain & Mind.

[Kasten/Bilder auf Seite 28, 29]

 EIN IMAGINÄRER WEG

Wie könnte man sich merken, dass man Brot, Eier, Milch und Butter einkaufen will? Mithilfe der Loci-Methode würde man die Lebensmittel zum Beispiel bei einem gedanklichen Gang durch das Wohnzimmer „sehen“.

Man stelle sich vor: Der Lehnstuhl ist mit Brot gepolstert . . .

unter der Tischlampe werden die Eier ausgebrütet . . .

der Goldfisch schwimmt in Milch . . .

und der Fernsehbildschirm ist ganz mit Butter verschmiert.

Je witziger und absurder, desto besser! Im Laden geht man diesen „Weg“ dann gedanklich noch einmal ab.

[Kasten auf Seite 29]

ZUM GLÜCK KÖNNEN WIR VERGESSEN

Was wäre, wenn wir uns an jede Einzelheit, auch die banalste, erinnern würden? In unserem Kopf würde wohl schon bald das totale Chaos herrschen. Eine Frau, die sich an so gut wie jedes Detail ihres Lebens erinnern kann, beschrieb das ständige Erinnern als „einen Endlosfilm, unkontrollierbar, total strapaziös“ und außerdem als „sehr belastend“, so die Zeitschrift New Scientist. Zum Glück haben die meisten von uns dieses Problem nicht, denn das Gehirn besitzt nach Expertenmeinung die Fähigkeit, Informationen, die unwichtig sind oder nicht mehr gebraucht werden, auszusortieren. Der New Scientist weiter: „Die Fähigkeit zu vergessen ist für ein gut funktionierendes Gedächtnis unerlässlich. Hat man Informationen vergessen, die wichtig sind, . . . zeigt das nur, dass der Aussortierprozess etwas zu gut funktioniert hat.“