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Der Einsamkeit auf den Grund gehen

Der Einsamkeit auf den Grund gehen

Der Einsamkeit auf den Grund gehen

EINSAMKEIT ist nicht gleich Alleinsein. Der Brockhaus in Text und Bild 2007 sagt, Einsamkeit sei ein „Gefühl der Verlassenheit und sozialen Kontaktlosigkeit“, das aufkomme, „wenn Kontakte gewünscht werden“, aber nicht zustande kommen. Beim Alleinsein dagegen habe jemand „seine Kontakte zu Mitmenschen aus eigenem Entschluss eingeschränkt“.

Alleinsein kann manchmal sogar eine gute Sache sein. So suchen viele die Ruhe, um nachdenken oder beten zu können. Das tat auch schon Jesus Christus (Matthäus 14:13; Lukas 4:42; 5:16; 6:12). Im Gegensatz dazu ist Einsamkeit ein sehr schmerzliches Gefühl. Was kann die Ursache sein?

Isolation in Großstädten

In großen Städten leben Tausende, wenn nicht Millionen Menschen dicht an dicht. Seltsamerweise macht sich trotzdem unter ihnen Einsamkeit breit. Durch den hektischen Lebensrhythmus in der Stadt bekommt man oft gar nicht mit, wer rechts und links neben einem wohnt: Man lebt letztendlich unter lauter Fremden. Hinzu kommt das verbreitete Misstrauen gegenüber Leuten, die man nicht kennt, und der ausgeprägte Wunsch nach Privatsphäre — all das trägt mit Sicherheit zur Vereinsamung in den Städten bei.

Unsoziale Arbeitsbedingungen

Der Führungsstil in vielen großen Firmen und Industriebetrieben ruft bei Arbeitnehmern — von der Chefetage bis hin zur Arbeiterschaft — das Gefühl hervor, allein auf weiter Flur zu stehen und überfordert zu sein. Vielfach sieht man sich permanent unter Druck und im Dauerstress.

In großen Unternehmen ist es außerdem Praxis, die Belegschaft des Öfteren woandershin zu versetzen. Die Folge? Verunsicherung, Isolation, Vereinsamung. In einem Kommentar zu einer Selbstmordserie in französischen Konzernen schrieb die International Herald Tribune, viele Arbeitnehmer in Frankreich hätten das Gefühl, „durch die rasanten wirtschaftlichen Entwicklungen weit über die Grenzen ihrer Belastbarkeit getrieben zu werden“.

Sterile Kommunikation

Professor Tetsuro Saito aus Japan erklärte: „Je mehr sich Handys und andere Kommunikationsmittel zwischen die Leute drängeln, desto mehr geht die Fähigkeit zu kommunizieren verloren.“ Und im australischen Sunday Telegraph konnte man lesen: „Die Technik . . . macht Menschen zu Einsiedlern. . . . anstatt miteinander zu reden, werden nur noch E-Mails oder SMS verschickt.“

Rachel (21) aus Frankreich nennt einen der Gründe, warum sie einsam ist. Sie klagt: „Ich finde, den anderen liegt gar nicht mehr so viel daran, einen zu sehen, weil sie denken, simsen, e-mailen oder chatten würde ja reichen. Doch ich fühl mich dadurch erst recht einsam.“

Herausreißen aus der gewohnten Umgebung

Aufgrund der Wirtschaftslage sehen sich viele gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, um ihre Arbeit zu behalten oder eine zu finden. Dadurch werden sie aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen, weg von den Nachbarn, Freunden, Schulkameraden und manchmal sogar der engsten Familie. Sie kommen sich entwurzelt vor — wie eine Pflanze, die aus dem Boden gerissen wurde.

Francis aus Ghana kann sich noch gut an seinen ersten Tag in Frankreich erinnern: „Ich konnte die Sprache nicht, hatte keine Freunde und dann noch dieses Wetter — ich fühlte mich völlig verloren.“

Behjat verrät, was sie als Migrantin in England anfangs empfand: „Ich hatte Mühe, mit der englischen Kultur klarzukommen. Ich kannte zwar ein paar Leute, hatte aber keine Freunde oder Angehörigen, mit denen ich mal so richtig reden konnte.“

Tod eines geliebten Menschen

Stirbt der Ehepartner, empfindet man eine große innere Leere. Vor allem, wenn man ihn vorher eine ganze Zeit lang gepflegt hat. Man fühlt sich oft völlig einsam und verlassen.

Das bestätigt Fernande, eine Witwe in Paris: „Am schlimmsten ist für mich, dass ich jetzt nichts mehr mit meinem Mann bereden kann; er war mein allerbester Freund.“ Auch Anny erzählt, wie sehr sie ihren Mann vermisst, vor allem wenn wichtige Entscheidungen anstehen, wie zum Beispiel in Gesundheitsfragen.

Scheidung, Trennung, unfreiwilliges Single-Dasein

Nach einer Scheidung oder Trennung fühlt man sich oft einsam und als Versager. Am meisten leiden die Kinder, und zwar viel mehr, als man bisher dachte. Wie die Erfahrung zeigt, haben Scheidungskinder als Erwachsene vermehrt mit Einsamkeitsgefühlen zu kämpfen.

Wer keinen Ehepartner finden kann, macht ebenfalls Phasen der Einsamkeit durch. Und wenn dann noch jemand gedankenlos fragt: „Würdest du nicht gern mal heiraten?“, verstärkt sich das Gefühl noch.

Auch Alleinerziehende leiden unter Einsamkeit. Kinder machen einem Freude, aber auch Sorgen. Und dann ist kein Partner da, mit dem man sich beraten kann.

Fortgeschrittenes Alter, kindliche Unerfahrenheit

Ältere kommen sich häufig allein vor, selbst wenn sie von der Familie nicht vernachlässigt werden und des Öfteren Besuch von Verwandten oder Freunden bekommen. Aber wie ist es an den Tagen oder in den Wochen, wenn keiner vorbeischaut?

Und auch junge Menschen fühlen sich oft mutterseelenallein. Sie verbringen ihre Freizeit nur noch mit sich und werden regelrecht süchtig nach Fernsehen und Videospielen oder verschanzen sich stundenlang hinter dem Computer.

Gibt es Strategien, um der Einsamkeitsspirale zu entkommen? Wie kann man aus der Einsamkeit herausfinden?

[Herausgestellter Text auf Seite 5]

„Ich konnte die Sprache nicht, hatte keine Freunde und dann noch dieses Wetter — ich fühlte mich völlig verloren“