Wir stellten Jehova auf die Probe
Lebensbericht
Wir stellten Jehova auf die Probe
ERZÄHLT VON PAUL SCRIBNER
„Guten Morgen, Frau Stackhouse. Ich nehme heute Bestellungen für Ostertorten entgegen und bin sicher, daß auch Sie gern eine für Ihre Familie bestellen möchten.“ Das war im Frühjahr des Jahres 1938 in Atco (New Jersey, USA). Ich machte gerade meine Runde als Vertreter der General Baking Company und sprach bei einer meiner besten Kundinnen vor. Zu meiner Überraschung gab mir Frau Stackhouse einen Korb.
„NEIN DANKE“, sagte sie, „ich möchte keine Ostertorte bestellen. Wir feiern kein Ostern.“
Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte. Sie feiert kein Ostern? Natürlich galt im Umgang mit Kunden die Regel: „Der Kunde hat immer recht.“ Was nun? Dennoch, ich wagte es noch einmal. „Also, die Torte ist von erstklassiger Qualität, und ich weiß, daß Ihnen unsere Produkte schmecken. Glauben Sie nicht, Ihre Familie würde sich darüber freuen, selbst wenn Sie, äh, Ostern nicht feiern?“
„Nein danke, es bleibt dabei“, wiederholte sie, „aber eigentlich wollte ich gern mit Ihnen über etwas sprechen, Herr Scribner, und ich glaube, jetzt ist die Gelegenheit günstig.“ Jene Unterhaltung änderte mein Leben von Grund auf. Frau Stackhouse, die zur Versammlung der Zeugen Jehovas in Berlin (New Jersey) gehörte, erklärte mir den Ursprung der Osterfeierlichkeiten und gab mir drei Broschüren, betitelt Sicherheit, Aufgedeckt und Schutz. Ich nahm sie mit nach Hause — neugierig, aber auch etwas skeptisch. Einiges, was Frau Stackhouse erwähnt
hatte, war mir noch aus meiner Kindheit vertraut.Frühe Kontakte mit den Bibelforschern
Ich wurde am 31. Januar 1907 geboren. Als ich 8 Jahre alt war, starb mein Vater an Krebs. Das war 1915. Danach zog meine Mutter mit mir nach Malden (Massachusetts), wo wir in einem geräumigen Haus bei meinen Großeltern wohnten. Im dritten Stock wohnte Benjamin Ransom, mein Onkel mütterlicherseits, mit seiner Frau. Onkel Ben hatte sich schon vor der Jahrhundertwende mit den Internationalen Bibelforschern, wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden, verbunden. Ich mochte Onkel Ben sehr gern, aber alle anderen Verwandten meiner Mutter, die Methodisten waren, fanden ihn sonderbar. Jahre später veranlaßte seine Frau, bevor sie sich von ihm scheiden ließ, daß er wegen seiner Glaubensansichten für kurze Zeit in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. Da die Ärzte dort schnell herausfanden, daß mit Onkel Ben alles in Ordnung war, baten sie ihn um Entschuldigung und entließen ihn.
Onkel Ben nahm mich mit zu den Zusammenkünften der Internationalen Bibelforscher in Boston, besonders wenn es spezielle Anlässe gab oder wenn Redner zu Besuch kamen. Einmal war der Redner der allseits bekannte Charles Taze Russell, der damals die Leitung des Predigtwerkes innehatte. Ein andermal wurde das „Photo-Drama der Schöpfung“ vorgeführt. Obwohl es schon lange zurückliegt (1915), habe ich das Bild noch klar vor Augen, wie Abraham seinen Sohn Isaak mit auf den Berg nahm, um ihn zu opfern (1. Mose, Kapitel 22). Ich sehe noch, wie Abraham in völligem Vertrauen auf Jehova zusammen mit Isaak, der das Holz trug, den Berg hinaufstieg. Da ich keinen Vater mehr hatte, beeindruckte mich das alles sehr.
Dann zog Onkel Ben mit seiner Frau nach Maine; meine Mutter heiratete wieder, und wir ließen uns in New Jersey nieder. So verlor ich Onkel Ben für lange Zeit aus den Augen. Während meiner Teenagerjahre in New Jersey lernte ich Marion Neff kennen. Sie war eines von acht Kindern einer presbyterianischen Familie, die ich gern besuchte. Ich verbrachte viele Sonntagabende zusammen mit dieser Familie und den Jugendlichen ihrer Kirche, bis ich schließlich selbst ein Presbyterianer wurde. Dennoch, einiges, was ich in den Zusammenkünften der Bibelforscher gelernt hatte, war mir noch fest im Sinn. Marion und ich heirateten 1928. Unsere Töchter, Doris und Louise, wurden 1935 beziehungsweise 1938 geboren. Mit einem Kleinkind und einem Neugeborenen in der Familie wurde uns beiden bewußt, daß wir religiöse Anleitung bei der Erziehung benötigten.
Die Broschüren enthielten die Wahrheit
Marion und ich hielten nach einer Kirche Ausschau, der wir uns anschließen könnten, und wir schmiedeten einen Plan. Jeden Sonntag wechselten wir uns ab. Einer besuchte eine bestimmte Kirche, während der andere zu Hause blieb und auf die Kinder aufpaßte. Eines Sonntags, als eigentlich Marion zu Hause bleiben sollte, bot ich mich an, die Kinder zu hüten, damit ich die Broschüre Sicherheit lesen konnte. Es war
die erste der drei Broschüren, die Frau Stackhouse mir gegeben hatte. Einmal angefangen, konnte ich mit dem Lesen nicht mehr aufhören. Mir wurde immer klarer, daß ich etwas gefunden hatte, was ich in keiner Kirche finden würde. In der nächsten Woche wollte ich gern wieder Babysitter sein, um mich mit der zweiten Broschüre, betitelt Aufgedeckt, zu befassen. Was ich las, kam mir irgendwie bekannt vor. War es nicht dasselbe, was Onkel Ben glaubte? Unsere Verwandten waren der Meinung, seine Religion sei verrückt. Was würde Marion wohl sagen? Ich hätte mir darüber keine Gedanken zu machen brauchen. Als ich einige Tage später von der Arbeit nach Hause kam — nachdem ich die Broschüre Aufgedeckt gelesen hatte —, überraschte mich Marion mit den Worten: „Ich habe die Broschüren gelesen, die du mitgebracht hast. Sie sind ausgesprochen interessant.“ Wie erleichtert ich war!Auf der Rückseite der Broschüren wurde das kurz zuvor veröffentlichte Buch Feinde angekündigt, eine feurige Bloßstellung der falschen Religion. Wir beschlossen, es zu erwerben. Bevor wir die Bestellung zur Post geben konnten, klopfte ein Zeuge an unserer Tür und bot uns genau das
Buch an. Damit war alles klar! Wir hörten auf, verschiedene Kirchen zu besuchen, und gingen von nun an in die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas der Versammlung Camden (New Jersey). Nur wenige Monate später, am 31. Juli 1938, versammelten sich etwa 50 Personen auf dem Grundstück von Schwester Stackhouse — es war dort, wo ich versucht hatte, eine Ostertorte zu verkaufen — und lauschten einer aufgezeichneten Taufansprache von Bruder Rutherford. Danach zogen wir uns im Haus um, und 19 aus unserer Gruppe ließen sich in einem nahe gelegenen kleinen Fluß taufen.Entschlossen, den Pionierdienst aufzunehmen
Nicht lange nach meiner Taufe erzählte mir eine Schwester in der Versammlung von Glaubensbrüdern, die Pioniere genannt wurden. Für sie war der öffentliche Predigtdienst die Hauptbeschäftigung. Sofort war mein Interesse geweckt, und es dauerte nicht lange, bis ich eine Pionierfamilie kennenlernte. Ein älterer Bruder, er hieß Konig, und seine Frau sowie seine erwachsene Tochter dienten in der Nachbarversammlung als Pioniere. Als junger Familienvater war ich beeindruckt, mit welch einer Freude Familie Konig den Dienst verrichtete. Ich fuhr häufig zu ihnen, parkte meinen Lieferwagen dort und verbrachte mit ihnen Zeit im Haus-zu-Haus-Dienst. Schnell erwachte in mir der Wunsch, ebenfalls den Pionierdienst aufzunehmen. Aber wie? Marion und ich hatten zwei kleine Kinder zu versorgen, und meine Arbeit forderte mich ganz schön. Als in Europa der Zweite Weltkrieg ausbrach, meldeten sich in den Vereinigten Staaten immer mehr junge Männer für den Militärdienst, was zur Folge hatte, daß der Zivilbevölkerung zusätzliche Arbeiten aufgebürdet wurden. Man drängte mich, als Verkaufsfahrer weitere Bezirke zu übernehmen, und mir war klar, daß ich angesichts dieses Arbeitspensums niemals Pionier sein konnte.
Als ich mit Bruder Konig über meinen Wunsch, den Pionierdienst aufzunehmen, sprach, sagte er: „Streng dich im Dienst Jehovas weiterhin an, und sprich immer wieder mit Jehova über dein Ziel. Er wird dir helfen, es zu erreichen.“ Über ein Jahr hielt ich mich an diesen Rat. Häufig dachte ich über Bibeltexte wie Matthäus 6:8 nach, wo uns versichert wird, daß Jehova unsere Bedürfnisse kennt, bevor wir ihn überhaupt bitten. Und ich bemühte mich fortgesetzt, die Worte aus Matthäus 6:33 zu befolgen, nämlich zuerst Gottes Königreich und seine Gerechtigkeit zu suchen. Ermuntert wurde ich außerdem von Bruder Melvin Winchester, einem Zonendiener (wie man damals Kreisaufseher nannte).
Ich sprach mit Marion über meine Ziele. Wir unterhielten uns über die Worte aus Maleachi 3:10, mit denen Jehova seine Diener auffordert, ihn auf die Probe zu stellen und zu sehen, ob er nicht Segen über sie ausschütten wird. Marions Reaktion war eine Ermunterung für mich: „Laß dich meinetwegen nicht vom Pionierdienst abhalten. Ich kümmere mich um die Mädchen, während du den Pionierdienst verrichtest. Was die materiellen Dinge betrifft, benötigen wir ohnehin nicht viel.“ Nach 12 Ehejahren wußte ich, daß Marion eine sparsame und umsichtige Hausfrau war. Im Lauf der Jahre hat sie mich im Pionierdienst wunderbar unterstützt. Einer der Gründe für unseren Erfolg in den nahezu 60 Jahren Vollzeitdienst ist ihrer Geschicklichkeit zuzuschreiben, aus wenig viel zu machen.
Im Sommer 1941, nachdem wir über viele Monate Jehova unsere Pläne im Gebet vorgetragen hatten, kauften wir von unseren Ersparnissen einen 5,5 Meter langen Wohnwagen, in dem unsere Familie Platz hatte. Ich beendete mein Arbeitsverhältnis und wurde im Juli 1941 allgemeiner Pionier. Seit damals stehe ich im Vollzeitdienst. Das erste Gebiet lag entlang der Route 50 zwischen New Jersey und St. Louis (Missouri). Man schickte mir 10 Adressen von Brüdern zu, die an der Strecke wohnten, und ich teilte ihnen mit, wann ich bei ihnen eintreffen würde. In St. Louis sollte Anfang August ein Kongreß stattfinden. Nach Ankunft auf dem Kongreßgelände sollte ich zum Pioniertisch gehen und mir eine neue Gebietszuteilung geben lassen.
„Ich werde Jehova auf die Probe stellen“
Wir beluden unseren kleinen Wohnwagen mit Literatur und fuhren zu unserer letzten Zusammenkunft in Camden, um uns von den Brüdern zu verabschieden. Angesichts dessen, daß wir uns um zwei kleine Mädchen zu kümmern hatten und eigentlich nicht wußten, wo wir nach dem Kongreß wohnen würden, mußten unsere Pläne einigen Brüdern etwas gewagt erscheinen. Manche meinten, es werde nicht lange dauern, bis wir wieder zurück wären. Ich höre mich noch sagen: „Nun, ich sage nicht, daß es nicht so kommen könnte. Aber Jehova hat versprochen, für uns zu sorgen, und ich werde Jehova auf die Probe stellen.“
Nach sechs Jahrzehnten Pionierdienst in 20 Städten, von Massachusetts bis Mississippi, können wir sagen, daß Jehova seine Verheißung mehr als wahr gemacht hat. Die Segnungen, die er über Marion und mich sowie über unsere beiden Töchter ausgeschüttet hat, gehen weit über das hinaus, was ich mir 1941 hätte träumen lassen. Unsere Töchter haben beispielsweise in nahe gelegenen Versammlungen als Pioniere treu gedient. Und nach neuestem Stand haben wir etwa 100 geistige Söhne und Töchter, die überall an der Ostküste der Vereinigten Staaten verstreut leben. Ich habe mit 52 Personen die Bibel studiert und Marion mit 48 Personen, die sich dann Jehova Gott hingegeben haben.
Im August 1941 kamen wir in St. Louis an, wo ich Bruder T. J. Sullivan aus dem Bethel traf. Er hatte einen Brief mit meiner Ernennung bei sich, den ich wegen der drohenden Kriegsgefahr und der damit verbundenen Einberufung benötigte. Ich teilte Bruder Sullivan mit, daß meine Frau genausoviel Zeit im Dienst verbrachte wie ich und daß sie gern zusammen mit mir den Pionierdienst verrichten würde. Obwohl der Pioniertisch auf dem Kongreßgelände noch nicht eingerichtet war, trug Bruder Sullivan Marion sofort in die Pionierliste ein und fragte uns: „Wo werdet ihr nach dem Kongreß als Pioniere tätig sein?“ Wir wußten es nicht. „Macht euch keine Sorgen“, sagte er. „Ihr werdet auf dem Kongreß jemand aus einer Gegend treffen, wo Pioniere benötigt werden, und dann wird alles in Ordnung gehen. Schreibt uns einfach, wo ihr seid, und dann bekommt ihr eine offizielle Gebietszuteilung.“ Genauso war es. Wir lernten Bruder Jack DeWitt, einen früheren Zonendiener, kennen, der in New Market (Virginia) einige Brüder kannte, die ein Pionierheim besaßen, wo noch Platz für Pioniere war. Nach dem Kongreß machten wir uns also auf den Weg nach New Market.
In New Market gab es eine besondere Überraschung. Wer kam wohl aus Philadelphia und schloß sich uns im Pionierdienst an? Es war Benjamin Ransom! Ja, Onkel Ben! Welch eine Freude es doch für mich war, mit ihm von Haus zu Haus zu gehen! Mehr als 25 Jahre waren vergangen, seit er in Boston den Samen der Wahrheit in mein Herz gepflanzt hatte. Obgleich Onkel Ben jahrelang mit Gleichgültigkeit und Spott, ja sogar mit Verfolgung seitens der Familie fertig werden mußte, verlor er doch nie seine Liebe zu Jehova und zum Predigtdienst.
Acht Monate lang blieben wir im Pionierheim in New Market. In dieser Zeit lernten wir unter anderem, Literatur gegen Hühner und Eier einzutauschen. Dann wurden Onkel Ben, Marion und ich sowie drei weitere Glaubensbrüder als Sonderpioniere in Hanover (Pennsylvanien) eingesetzt. Das war die erste von sechs Gebietszuteilungen in Pennsylvanien, wo wir in der Zeit von 1942 bis 1945 tätig waren.
Sonderpionierdienst mitten im Zweiten Weltkrieg
Während des Zweiten Weltkriegs gab es Zeiten, in denen wir wegen unserer neutralen Haltung mit Gegnerschaft konfrontiert wurden. Doch Jehova hat uns niemals im Stich gelassen. Einmal hatten wir in Provincetown (Massachusetts) eine Panne mit unserem alten Buick, und ich mußte in einem ziemlich gegnerischen katholischen Stadtteil ein paar Kilometer zu Fuß gehen, um einen Rückbesuch zu machen. Einige Rowdys, an denen ich vorbeikam, erkannten mich und fingen an zu johlen. Schnell ging ich weiter, während sie mit Steinen nach mir warfen, und hoffte, die Jugendlichen würden mich nicht verfolgen. Ich schaffte es unbeschadet bis zum Haus des Interessierten. Doch der Wohnungsinhaber,
ein geachtetes Mitglied der American Legion, entschuldigte sich und sagte: „Leider habe ich keine Zeit. Ich habe nämlich vergessen, daß wir uns heute abend in der Stadt einen Film ansehen wollen.“ Mir schwand der Mut, als ich an die Steinewerfer an der Ecke dachte, die auf mich warteten. Doch als der Mann sagte: „Warum begleiten Sie uns nicht, und wir unterhalten uns unterwegs“, ging es mir gleich besser. Ich gab ihm also Zeugnis und kam heil davon.Familie und Dienst im Gleichgewicht
Nach dem Krieg waren wir in verschiedenen Gegenden Virginias tätig; allein acht Jahre verbrachten wir als Sonderpioniere und als allgemeine Pioniere in Charlottesville. Um das Jahr 1956 waren die Mädchen herangewachsen und hatten geheiratet. Marion und ich waren wieder unterwegs; diesmal dienten wir als Pioniere in Harrisonburg (Virginia) und als Sonderpioniere in Lincolnton (Nordkarolina).
Im Jahr 1966 wurde ich als Kreisaufseher eingesetzt und reiste von einer Versammlung zur anderen, um die Brüder zu ermuntern, geradeso wie Bruder Winchester, der mich in den 30er Jahren in New Jersey ermuntert hatte. Zwei Jahre diente ich den Versammlungen eines Kreises in Tennessee. Dann wurden Marion und ich
gebeten, unsere „größte Liebe“, den Sonderpionierdienst, wiederaufzunehmen. Von 1968 bis 1977 waren wir in den Südstaaten tätig — von Georgia bis Mississippi.In Eastman (Georgia) wurde ich zum Versammlungsaufseher (heute vorsitzführender Aufseher) ernannt, um Powell Kirkland zu ersetzen, einen lieben betagten Bruder, der viele Jahre als Kreisaufseher tätig gewesen war und nun gesundheitliche Probleme hatte. Er war äußerst dankbar und erwies sich als eine echte Stütze. Seine Hilfe war unentbehrlich, weil es in der Versammlung Unstimmigkeiten gab, in die einige Verantwortliche verwickelt waren. Der Konflikt spitzte sich zu, und ich verbrachte viel Zeit im Gebet. Bibelstellen wie Sprüche 3:5, 6 kamen mir in den Sinn: „Vertraue auf Jehova mit deinem ganzen Herzen, und stütze dich nicht auf deinen eigenen Verstand. Beachte ihn auf all deinen Wegen, und er selbst wird deine Pfade gerademachen.“ Wir bemühten uns sehr, die Angelegenheit offen zur Sprache zu bringen, so daß es uns gelang, die Einheit in der Versammlung wiederherzustellen, was sich für alle zum Guten auswirkte.
Um das Jahr 1977 spürten wir unser Alter ein wenig und wurden wieder in der Gegend von Charlottesville eingesetzt, wo unsere beiden Töchter mit ihren Angehörigen lebten. Wir sind sehr froh, daß wir in den letzten 23 Jahren hier tätig sein konnten und mithelfen durften, die Versammlung Ruckersville (Virginia) aufzubauen; wir konnten auch sehen, wie die Kinder und Enkel derer, mit denen wir früher die Bibel studierten, zu Ältesten, Pionieren und Bethelmitarbeitern heranwuchsen. Marion und mir ist es immer noch möglich, relativ viel Zeit im Predigtdienst zu verbringen, und ich habe das Vorrecht, als Ältester in der Versammlung Charlottesville-Ost zu dienen, ein Buchstudium zu leiten und öffentliche Vorträge zu halten.
Wie alle anderen sind auch wir in all den Jahren nicht von Problemen verschont geblieben. Doris wurde zum Beispiel trotz unserer Bemühungen, ihr zu helfen, in ihren späten Teenagerjahren eine Zeitlang glaubensschwach und heiratete einen Mann, der kein Zeuge war. Die Liebe zu Jehova verlor sie allerdings nie, und ihr Sohn Bill dient seit 15 Jahren im Bethel in Wallkill (New York). Sowohl Doris als auch Louise sind inzwischen verwitwet, aber sie wohnen in unserer Nähe und freuen sich, daß sie als allgemeine Pioniere dienen können.
Was wir im Lauf der Jahre gelernt haben
Ich habe gelernt, einige einfache Regeln zu befolgen, die sich günstig auf den Dienst für Jehova auswirken: Ein einfaches Leben führen. In all seinen Handlungen vorbildlich sein, auch im Privatleben. Sich in allem nach der Anleitung des „treuen und verständigen Sklaven“ richten (Matthäus 24:45).
Marion hat eine kurze Liste brauchbarer Vorschläge zusammengestellt, wie sich der Pionierdienst erfolgreich durchführen läßt, wenn man Kinder großzieht: Einen vernünftigen Zeitplan aufstellen und sich daran halten. Den Pionierdienst wirklich zu seiner Laufbahn machen. Auf gesunde Ernährung achten. Für genügend Ruhe und Schlaf sorgen. Ausgeglichen sein im Hinblick auf Entspannung. Die Wahrheit und damit alle Arten des Dienstes im Leben der Kinder zu einem freudigen Erlebnis werden lassen. Sich bemühen, den Dienst für die Kinder immer interessant zu gestalten.
Wir sind jetzt in den 90ern. Seit unserer Taufansprache auf dem Grundstück von Schwester Stackhouse sind 62 Jahre vergangen, und wir haben 60 Jahre im Vollzeitdienst verbracht. Marion und ich können ehrlichen Herzens sagen, daß wir mit unserem Los im Leben vollauf zufrieden sind. Ich bin sehr dankbar für den Ansporn, den ich als junger Vater erhielt, nämlich geistige Ziele an die erste Stelle zu setzen und sie nicht aus dem Auge zu verlieren. Darüber hinaus danke ich meiner lieben Frau Marion und den beiden Mädchen für ihre Unterstützung in all den Jahren. Materiell gesehen sind wir zwar nicht reich, aber häufig wende ich die Worte aus Prediger 2:25 auf mich an: „Wer ißt und wer trinkt besser als ich?“
Wir können ohne Übertreibung sagen, daß Jehova in unserem Fall seine Verheißung gemäß Maleachi 3:10 in überaus großzügiger Weise wahr gemacht hat. Er hat wirklich ‘Segen über uns ausgeschüttet, bis kein Bedarf mehr ist’.
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ERINNERUNGEN AUS DER KRIEGSZEIT
Nahezu 60 Jahre nach dem Krieg sind uns allen jene Jahre noch sehr lebhaft im Gedächtnis.
„In Pennsylvanien konnte es wirklich kalt werden“, erzählt Doris. „Eines Abends hatten wir 35 Grad unter Null“, fügt Louise hinzu. „Doris und ich saßen auf dem Rücksitz unseres alten Buick; ich saß auf ihren Füßen und sie auf meinen, damit sie warm blieben.“
„Wir hatten nie das Gefühl, arm oder benachteiligt zu sein“, bemerkt Doris. „Natürlich wechselten wir häufiger als die meisten anderen Leute den Wohnsitz, doch wir hatten immer genug zu essen. Und Freunde in Ohio überließen uns fast neue, qualitativ gute Kleidung von ihren Töchtern, die etwas älter waren als wir.“
„Mutti und Vati gaben uns stets das Gefühl, erwünscht zu sein und geliebt zu werden“, betont Louise, „und wir verbrachten viel Zeit mit ihnen im Predigtdienst. Wir hatten das Empfinden, etwas Besonderes zu sein, und waren ihnen sehr nahe.“
„Ich fuhr einen Buick Special, Baujahr 1936“, erinnert sich Paul, „und diese Modelle waren ,berühmt‘ für Achsenbrüche. Ich glaube, der Motor war einfach zu stark für diesen Autotyp. Es schien, als würde sich immer in der kältesten Nacht des Monats ein Achsenbruch ereignen, und dann mußte ich losziehen und mich auf einem Schrottplatz nach einer neuen Achse umsehen. Allmählich wurde ich zu einem Experten, was das Auswechseln von Achsen betraf.“
„Nicht zu vergessen die Lebensmittelkarten“, erinnert Marion. „Alles war rationiert — das Fleisch, das Benzin, Autoreifen —, alles. Jedesmal, wenn wir eine neue Gebietszuteilung erhielten, mußten wir uns an die entsprechende Ortsbehörde wenden und Lebensmittelkarten beantragen. Es konnte Monate dauern, bis wir sie bekamen. Und immer dann, wenn wir sie schließlich erhielten, wurden wir in ein neues Gebiet geschickt, und die ganze Prozedur ging von vorn los. Doch stets verspürten wir die Fürsorge Jehovas.“
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Marion und ich mit Doris (links) und Louise (2000)
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Im Alter von 11 Jahren mit meiner Mutter (1918)
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Mit Louise, Marion und Doris, als die Mädchen sich taufen ließen (1948)
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Unser Hochzeitsfoto (Oktober 1928)
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Mit meinen Töchtern (ganz links und ganz rechts) im Yankee-Stadion (1955)