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26. MAI 2014
ASERBAIDSCHAN

Jehovas Zeugen in Aserbaidschan wenden sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Jehovas Zeugen in Aserbaidschan wenden sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Es war an einem Sonntagmorgen beim Gottesdienst: In einem Saal in Baku hören ungefähr 200 Männer, Frauen und Kinder einem biblischen Vortrag zu.

Auf einmal stürmen Polizeibeamte durch die Tür, gefolgt von anderen Behördenvertretern und einem Fernsehteam. Die Beamten brechen den Gottesdienst von Jehovas Zeugen ab, schlagen auf einige Männer ein, durchsuchen die Räumlichkeit ohne Durchsuchungsbefehl, beschimpfen die Anwesenden und beschlagnahmen Geld, Computer sowie biblische Literatur. Sie nehmen viele Zeugen Jehovas mit zur Polizeistation und halten sie dort für mehrere Stunden fest. Sechs ausländische Staatsbürger, die als Prediger im Land sind, werden mehrere Tage festgehalten und dann abgeschoben. In dem Fernsehbericht über die Razzia werden Jehovas Zeugen übel verleumdet.

Diese Ereignisse vom 24. Dezember 2006 waren Gegenstand der ersten Beschwerde, die Jehovas Zeugen beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen Aserbaidschan einreichten. Seitdem haben sie 18 weitere Beschwerden beim EGMR wegen Verletzung der Religionsfreiheit eingereicht.

GEGENSTAND DER BESCHWERDE

ANZAHL

Polizeirazzien

5

Erneute Eintragung

1

Freie Religionsausübung

2

Zensur

5

Abschiebung

3

Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen

3

Insgesamt

19

Beschwerden beim EGMR gegen Aserbaidschan, Stand: 31. Januar 2014 

Die folgenden Beispiele stellen einige der Rechtsverletzungen heraus, unter denen Zeugen Jehovas in Aserbaidschan leiden und die sie dazu veranlasst haben, beim EGMR Beschwerde einzureichen.

  • Verweigerung der erneuten Eintragung

    Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas wurde zum ersten Mal in Baku am 22. Dezember 1999 eingetragen. Am 7. Februar 2002 wurde sie vom Staatlichen Komitee für die Arbeit mit religiösen Vereinigungen erneut eingetragen. 2009 änderte die Regierung in Aserbaidschan das Gesetz über die Religionsfreiheit. Deswegen mussten sich alle religiösen Vereinigungen erneut eintragen lassen. Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas reichte einen entsprechenden Antrag ein, aber das Komitee lehnte ihn aus formalen Gründen ab. Obwohl die Regierung die Eintragung von 2002 nicht für ungültig erklärt hat, weigert sie sich, eine erneute Eintragung gemäß den aktuellen Bestimmungen des Religionsgesetzes vorzunehmen.

  • Schikanen und Verfolgung durch die Polizei

    Zeugen Jehovas treffen sich für ihre Gottesdienste jede Woche in Privatwohnungen. In mehreren Fällen sind Polizeibeamte ohne Genehmigung in Privatwohnungen eingedrungen und haben die Gottesdienste gestört. Dabei haben sie Anwesende beleidigt, sie für Stunden auf der Polizeistation festgehalten und persönliche religiöse Literatur beschlagnahmt. Einigen Zeugen Jehovas wurden empfindliche Geldstrafen auferlegt. 2011 wurden sechs Zeugen Jehovas in Gäncä festgenommen und mit einer Geldstrafe von insgesamt rund 9 000 Euro belegt, weil sie eine religiöse Zusammenkunft besucht hatten, die nicht von der Regierung genehmigt worden war. Die jüngsten Polizeirazzien fanden am 11. Januar und 2. März 2014 statt.

  • Zensur der Literatur

    Aserbaidschan ist der einzige Mitgliedsstaat des Europarats a, der eine Zensur für religiöse Literatur vorschreibt — und das sogar im Widerspruch zur eigenen Verfassung. b Aufgrund dieser Zensur kann es passieren, dass biblische Literatur, die Jehovas Zeugen aus anderen Ländern des Europarats importieren, nur in begrenzter Anzahl eingeführt werden darf oder verboten wird. Zu der verbotenen Literatur gehören viele Ausgaben des Wachtturms, der halbmonatlich erscheinenden religiösen Zeitschrift von Jehovas Zeugen. c Die Gerichte in Aserbaidschan haben die Klagen von Jehovas Zeugen gegen die Zensur des Staatlichen Komitees für die Arbeit mit religiösen Vereinigungen abgewiesen.

Internationale Untersuchungen zum Verhalten Aserbaidschans gegenüber religiösen Vereinigungen

Eine Reihe von internationalen Menschenrechtsorganen haben die Lage in Aserbaidschan untersucht. Ihre Beobachtungen in Verbindung mit dem Religionsgesetz und der Behandlung von religiösen Vereinigungen haben sie dann schriftlich festgehalten.

  • Der jährliche Bericht der US-Kommission für internationale Religionsfreiheit von 2013 berichtet: „Die aserbaidschanische Regierung behauptet zwar, tolerant zu sein, aber die Lage der Religionsfreiheit hat sich verschlechtert, besonders nach der Verabschiedung des restriktiven Religionsgesetzes von 2009.“

  • In einem Bericht äußerte sich die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) sehr besorgt über die restriktiven Bedingungen für religiöse Vereinigungen. Über das Religionsgesetz in Aserbaidschan schreibt sie: „ECRI empfiehlt ausdrücklich, dass die aserbaidschanischen Behörden die Rechtsprechung ... in Übereinstimmung mit den Erfordernissen der Europäischen Menschenrechtskonvention bringen.“

  • Die Venedig-Kommission des Europarats veröffentlichte detaillierte Empfehlungen, wie das aserbaidschanische Gesetz über die Religionsfreiheit geändert werden müsste. Es heißt: „Das Gesetz beinhaltet offensichtlich mehrere stark restriktive Vorschriften, die gegen den internationalen Standard verstoßen. ... Vorschriften, die zentrale Punkte berühren, wie den Geltungsbereich des Gesetzes und für wen das Recht auf Religions- und Gewissensfreiheit gilt, die Eintragung, Autonomie und Auflösung von religiösen Vereinigungen, die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, der Punkt des Proselytismus, die Veröffentlichung und Verbreitung von religiösem Material, sollten neu formuliert werden.“

Freiheit, die geschätzt wird

Weltweit schätzen Zeugen Jehovas die Meinungs-, Versammlungs-, Vereinigungs-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Und sie sind den Regierungen dankbar, die ihnen diese Rechte gewähren. In Aserbaidschan besuchen rund 2 500 Personen die Gottesdienste von Jehovas Zeugen; sie hoffen darauf, bald die gleiche Religionsfreiheit genießen zu können, die auch anderen Religionen in ihrem Land gewährt wird.

a Aserbaidschan ist seit dem 25. Januar 2001 Mitglied des Europarats.

b Artikel 48 schützt die Religionsfreiheit und Artikel 50 verbietet die Medienzensur.

c Jehovas Zeugen veröffentlichen jeden Monat eine Ausgabe des Wachtturms, die sie im Rahmen ihres biblischen Bildungswerks verbreiten, sowie eine Studienausgabe, die sie für ihr wöchentliches Bibelstudium bei ihren Gottesdiensten verwenden. Der Wachtturm hat eine monatliche Auflage von rund 60 Millionen in über 200 Sprachen und ist damit die am weitesten verbreitete Zeitschrift der Welt.