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Die Familie Falcone besucht einen Kongress von Jehovas Zeugen

3. MÄRZ 2017
DEUTSCHLAND

Deutsche Gerichte erkennen Kongresse von Jehovas Zeugen als religiöse Feiertage an

Deutsche Gerichte erkennen Kongresse von Jehovas Zeugen als religiöse Feiertage an

Im April 2012 brachte die siebenjährige Vivienne Falcone eine Nachricht von ihren Eltern in das Büro des Schuldirektors. Sie wollte sich für einen Tag vom Unterricht befreien lassen. Ihre Familie hatte vor, den jährlich stattfindenden dreitägigen religiösen Kongress von Jehovas Zeugen in Mainz zu besuchen. Der Antrag der Familie auf Viviennes Befreiung vom Unterricht, um am Freitag den Kongress zu besuchen, lehnte die Schule ab. Dennoch sahen sich die Eltern aus Sorge um die religiöse Bildung ihrer Tochter veranlasst, sie trotz der Ablehnung zum Kongress mitzunehmen. Viviennes Eltern legten gegen diese Entscheidung beim Staatlichen Schulamt Widerspruch ein. Das Amt stufte den Kongress nicht als religiösen Feiertag ein, sondern ordnete die Zahlung einer Verwaltungsgebühr an.

Die Ablehnung des Schulamts hätte negative Konsequenzen für Viviennes Eltern haben können, da im deutschen Recht das unentschuldigte Fernbleiben vom Unterricht als Verletzung der elterlichen Pflicht, ihre Kinder zur Schule zu schicken, eingestuft wird. Der Verstoß kann mit einem Bußgeld oder in extremen Fällen sogar mit einer Freiheitsstrafe bestraft werden. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, sahen Viviennes Eltern die Ablehnung als eine Verletzung ihrer Religionsfreiheit und ihres Rechts, ihr Kind gemäß ihrer religiösen Überzeugung zu erziehen.

Gerichtsverhandlung wegen Recht auf religiöse Feiertage

Viviennes Eltern, Elisa und Stefano, reichten eine Klage beim Verwaltungsgericht ein, um die Vorgehensweise der Schulbehörde anzufechten. Sie argumentierten, dass der ganztägige Gottesdienst eine Möglichkeit bietet, Gott als Familie anzubeten und den Glauben zu stärken. Sie sagten: „Die Kongresse sind jährliche Höhepunkte und besondere Ereignisse in unserer Glaubensausübung.“ a Das Gericht entschied zugunsten der Eltern, denn es erkannte an, dass die jährlichen Kongresse von Jehovas Zeugen religiöse Feiertage sind. Diese Entscheidung focht die Schulbehörde an und argumentierte, das Gericht habe nicht ausreichend differenziert zwischen einem feierlichen Ereignis wie dem Bezirkskongress und einem Feiertag, der unabhängig von einem an einem Ort stattfindenden Ereignis den Tag an sich heilige oder hervorhebe, wie dies etwa bei Weihnachten, Ostern, dem Maifeiertag oder einem Nationalfeiertag der Fall sei.

Am 27. Juli 2015 bestätigte der Hessische Verwaltungsgerichtshof die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Der Verwaltungsgerichtshof erklärte, dass die Definition eines religiösen Feiertages allein vom Selbstverständnis der Glaubensgemeinschaft abhängt. Das Gericht stellte eine klare Trennung von religiösen Belangen und solcher des Staates fest und erklärte: „Andernfalls würde der Staat die den Kirchen und den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften nach dem Grundgesetz gewährte Eigenständigkeit und ihre Selbstständigkeit in ihrem eigenen Bereich verletzen. Der Staat ist vielmehr zur weltanschaulichen und religiösen Neutralität verpflichtet.“

Der Verwaltungsgerichtshof bezog sich auch auf die offizielle Internetseite von Jehovas Zeugen, auf der erklärt wird, dass sie ihre Kongresse als religiöse Feiertage betrachten. Das Gericht stellte fest, dass durch die Ablehnung des Antrags der Falcones, ihre Tochter vom Unterricht zu befreien, das Schulamt „das Recht des Kindes auf Glaubensfreiheit ... sowie das Elternrecht ..., wozu auch das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht zähle, verkannt“ habe. Das Gericht schlussfolgerte, dass die Auffassung des Schulamts „im Ergebnis dem Neutralitätsgebot des Staates zuwider“ läuft.

„Die Teilnahme an einem lediglich feierlichen religiösen Ereignis kann einen besonderen Grund zur Unterrichtsbefreiung darstellen.“ Hessischer Verwaltungsgerichtshof

Eine vielseitige Bildung

Nachdem zu ihren Gunsten entschieden worden war, sagten Viviennes Eltern: „Als Zeugen Jehovas ist uns schulische Bildung wichtig und wir versuchen, in unseren Kindern eine Liebe zum Lernen zu wecken. Wir schätzen auch die religiöse Bildung hoch ein, denn sie bringt unseren Kindern bei, wie man eine Liebe für geistige Werte entwickelt und ein persönliches Verhältnis zu Gott, das ihnen hilft, liebevoll, rücksichtsvoll und ausgeglichen zu sein. Wir danken den zuständigen Gerichten für ihre Entscheidung.“

Armin Pikl, der Anwalt der Falcones, stellte fest: „Dieses Urteil erkennt an, dass die Kongresse von Jehovas Zeugen religiöse Feiertage sind und bestätigt das Recht der Eltern, ihre Kinder gemäß ihrem religiösen Glauben zu erziehen. Schüler, die Zeugen Jehovas sind, profitieren während ihrer Schulzeit von der Befreiung vom Unterricht, damit sie diese förderlichen Kongresse besuchen können. Ich hoffe, dass Gerichte in anderen Ländern dieses positive Urteil in Betracht ziehen, wenn sie Fälle mit diesem Thema entscheiden.“

a Regionale Kongresse, früher Bezirkskongresse genannt, sind jährlich stattfindende Veranstaltungen von Jehovas Zeugen, die in der ganzen Welt abgehalten werden. Das dreitägige religiöse Bildungsprogramm lehrt Jung und Alt, wie man biblische Grundsätze im Alltag anwendet.