22. AUGUST 2018
ITALIEN
Gericht auf Sizilien bestätigt Selbstbestimmungsrecht von Patienten
Am 6. April 2018 entschied das Gericht von Termini Imerese (Sizilien, Italien), dass sich ein Chirurg strafbar gemacht hatte, als er einer Zeugin Jehovas gegen ihren Willen eine Bluttransfusion verabreichte. Der Chirurg wurde dazu verurteilt, 10 000 Euro Schmerzensgeld an die Patientin zu zahlen und weitere 5 000 Euro als Entschädigung an ihren Mann, der ebenfalls ein Zeuge Jehovas ist. Das ist das erste Mal, dass ein italienisches Gericht einen Arzt strafrechtlich verurteilt hat, weil er das grundlegende Recht eines Patienten missachtet hat, in Einklang mit seinen Glaubensansichten über den eigenen Körper zu bestimmen.
In dem Fall ging es um eine Schwester, bei der nach einer Operation an der Gallenblase im Dezember 2010 Komplikationen auftraten. Obwohl sie wiederholt eine Behandlung mit Blutprodukten ablehnte, wurde sie festgehalten und bekam gegen ihren Willen rote Blutkörperchen transfundiert. Ihr Arzt behauptete fälschlicherweise, dafür eine richterliche Genehmigung zu haben.
Daraufhin erstatteten sie und ihr Mann Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Das Gericht entschied, dass „im Fall eines Zeugen Jehovas, der volljährig und geschäftsfähig ist, ... der Arzt von einer solchen Behandlungsmaßnahme absehen muss“, wenn sie gegen den Patientenwillen verstößt.
Das Gericht wies außerdem darauf hin, dass die italienische Verfassung es Ärzten untersagt, eine Behandlung ohne die Einwilligung des Patienten durchzuführen, selbst wenn der Arzt es für notwendig hält. „Das Argument der Notwendigkeit ... ist“, laut der Entscheidung des Gerichts, „hinfällig, wenn eine deutlich und freiwillig geäußerte gültige Ablehnung einer Behandlung vorliegt.“
Daniele Rodriguez, Professor für Rechtsmedizin und Bioethik an der Universität Padua und Gerichtssachverständiger, merkte in seinem medizinischen Gutachten für das Verfahren an: „Das Recht, eine bestimmte medizinische Behandlung abzulehnen, ist durch Bestimmungen und Vorschriften im Verfassungsrang geschützt und in [Artikel] 32 der [italienischen] Verfassung verankert, wo es heißt: ‚Niemand darf zu einer bestimmten Heilbehandlung gezwungen werden, es sei denn durch gesetzliche Verfügung.‘“ Der italienische Jurist und Experte für Medizinrecht Luca Benci schrieb: „Es gibt kein Gesetz, das es erlaubt, Patienten eine Bluttransfusion aufzuzwingen. Wenn jemand eine Behandlung ablehnt, hat das Vorrang vor allen anderen Gesichtspunkten“ (Quotidiano Sanità).
Marcello Rifici, einer der Prozessanwälte von Jehovas Zeugen, erklärt: „Wir freuen uns, dass diese Entscheidung in Einklang mit den geltenden europäischen Standards steht, unter anderem mit denen, die durch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte festgeschrieben sind und das Recht aller Patienten auf Selbstbestimmung stützen. Interessanterweise hat das italienische Parlament 2017 das Gesetz 219/2017 verabschiedet – das Gesetz zur Patientenverfügung –, das dieselben Prinzipien unterstreicht wie diese Entscheidung.“
Lucio Marsella, ebenfalls einer der Prozessanwälte, kommentiert: „Die Entscheidung schafft einen Präzedenzfall, der all den Ärzten Sicherheit gibt, die sich mutig und gewissenhaft bemühen, ihre Patienten bestmöglich zu behandeln, und gleichzeitig deren Würde und Recht auf Selbstbestimmung wahren.“