23. JUNI 2021
RUSSLAND
Russland: Ehefrauen von inhaftierten Brüdern verlassen sich bei besonderen Herausforderungen auf Jehova
Viele unserer inhaftierten Brüder in Russland sind Ehemänner und Väter. Sie stehen vor Herausforderungen, die weit über die Gefängnismauern hinausreichen. Ihre Frauen und Kinder müssen mit Trennungsängsten und anderen Problemen zurechtkommen. Zehn Ehefrauen von inhaftierten Brüdern haben einen gemeinsamen Brief an die russischen Behörden geschrieben, in dem sie ihre Gefühle deutlich zum Ausdruck bringen. Darin heißt es: „Dieser offene Brief an Sie ist ein Schrei der Verzweiflung. Die Menschen, die wir lieben, ... wurden hinter Gitter gesperrt, weil man ihnen vorwirft, mit uns, unseren Kindern und unseren Freunden in der Bibel gelesen und zu Gott gebetet zu haben.“
Einige unserer Schwestern beschreiben, vor welchen besonderen Herausforderungen sie stehen und wie Jehova ihnen geholfen hat, damit fertigzuwerden, dass ihre Männer im Gefängnis sind.
Kommunikation und Besuche
Viele Schwestern können wegen technischer Schwierigkeiten nicht mit ihren Männern telefonieren. Zudem werden Briefe, die sie ans Gefängnis schicken, ihren Männern – wenn überhaupt – erst nach sehr langer Zeit ausgehändigt.
Der Ehemann von Schwester Jewgenija Lagunowa, Felix Machammadijew, war mehr als zwei Jahre inhaftiert. Manchmal hörte sie über einen längeren Zeitraum nichts von ihm. Besonders schlimm war für sie die Ungewissheit, wie es ihm gesundheitlich ging und ob er sich verlassen fühlte, weil er ihre Briefe vielleicht nicht erhalten hatte.
Viele Ehefrauen müssen weite Strecken zurücklegen, um ihre Männer zu besuchen (siehe die Grafik „Fahrtstrecken für einen Besuch im Gefängnis“). Jewgenija berichtet zum Beispiel: „Ich bin über 800 Kilometer mit dem Auto gefahren, um meinen Mann im Gefängnis zu besuchen.“ Sie brauchte im Durchschnitt drei bis vier Tage für einen Besuch bei ihrem Mann, bis sie wieder zu Hause war. Andere Schwestern fahren bis zu 1 000 Kilometer. Nach der Ankunft beim Gefängnis müssen sie oft draußen in einer langen Schlange warten.
Schwester Irina Christensens Mann Dennis war der erste Zeuge Jehovas, der nach dem Verbot im Jahr 2017 in Russland inhaftiert wurde. Sie fährt regelmäßig 200 Kilometer von ihrem Wohnort Orjol nach Lgow, um ihn in der Haft zu besuchen. Irina erzählt: „Es fällt mir schwer, zum Gefängnis zu fahren – sowohl körperlich als auch emotional. Ich muss nachts um halb vier los, damit ich um 8 Uhr morgens beim Gefängnis bin, um die nötigen Formalitäten zu erledigen. Dann muss ich bis zum Beginn der Besuchszeit um 11 Uhr im Auto warten.“ Auf die Frage, wie sie damit fertigwird, antwortet sie: „Ich bete viel zu Jehova und bitte ihn, mir und allen unseren Glaubensbrüdern beizustehen – Brüdern in meiner Nähe, im Gefängnis und überall auf der Welt.“
Einsamkeit
Schwester Nadeschda German ist seit über zwei Jahren von ihrem Mann Gennadi getrennt. Wie andere Frauen in ihrer Situation muss sie mit der Einsamkeit fertigwerden, die die Trennung mit sich bringt. Sie sagt jedoch: „Meine Versammlung ist jetzt noch mehr wie meine Familie. Man merkt, dass sie mich und meinen Mann echt lieben und sich um uns kümmern.“
Schwester Julija Mirezkaja, deren Mann Alexei mit Gennadi im Gefängnis ist, fügt hinzu: „Die Brüder und Schwestern helfen bei der Hausarbeit. Es tröstet mich zu wissen, dass ich mich auf unsere Freunde verlassen und auf ihre Hilfe zählen kann.“
Kindererziehung
Schwester Tatjana Budentschuk, deren Mann Alexei seit September 2019 inhaftiert ist, muss sich allein um ihre zwei Kinder kümmern. Sie erzählt: „Die Kinder versuchen, sich auf das Positive zu konzentrieren, auf das, was Jehova uns schenkt, und dass er uns immer unterstützt. Sie wissen, dass diese Prüfung vorübergeht und es jetzt darauf ankommt, Glauben an Jehova und Loyalität ihm gegenüber zu beweisen.“
Schwester Natalja Filatowa zieht ihre vier Kinder zurzeit allein groß; ihr Mann Sergei Filatow wurde im März 2020 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Über ihre Kinder berichtet sie: „Ich sehe, dass sie ihren Papa vermissen und sich sorgen, ob es ihm gut geht. In ihren Gebeten sprechen sie darüber. Meine jüngste Tochter schreibt ihrem Papa Briefe und versichert ihm, dass es uns gut geht und er sich keine Sorgen machen soll; aber dass es schöner ist, wenn er wieder zu Hause bei uns ist.“
Die Familie versucht, den biblischen Rat zu beachten, ein einfaches Leben zu führen. Natalja erklärt: „Wir haben gelernt, bescheiden und genügsam zu sein. Wir haben genug zum Leben und für unsere Bedürfnisse.“
Den Glauben stark erhalten
Dank guter geistiger Gewohnheiten bleiben unsere Schwestern trotz dieser Herausforderungen im Glauben stark. Julija erklärt: „Ich bemühe mich, mit allem auf dem Laufenden zu bleiben. Man könnte sogar sagen, ich studiere für zwei. Denn wenn ich mit Alexei spreche, versuche ich mich an die Hauptpunkte zu erinnern und sie an ihn weiterzugeben.“ Nadeschda stellt fest: „Mit Jehovas Hilfe gibt es kein Problem, das man nicht lösen kann! Ich bin rund um die Uhr mit Gott eng verbunden. Ich fühle mich wie ein kleines Mädchen in den Armen meines allmächtigen Vaters! Und wenn ich anderen helfe, helfe ich mir auch selbst.“
Natalja berichtet Ähnliches: „Ich weiß noch, was eine Schwester mal gesagt hat: ‚In Gottes Volk gibt es niemand, der keinen Trost braucht, aber es gibt auch niemand, der andere nicht trösten kann.‘ Ich empfinde auch Zufriedenheit, wenn ich jemand anders trösten oder ermuntern kann.“ Natalja sagt weiter: „Obwohl es emotional und auch körperlich für mich sehr schwer ist, allein ohne meinen Mann zu sein, versuche ich, mich nicht selbst zu bemitleiden oder deprimiert zu sein. Ich gebe Satan keine Chance, mich zu entmutigen!“
Die weltweite Bruderschaft hat große Achtung vor dem beispielhaften treuen Ausharren all derjenigen, deren Angehörige in Russland oder anderen Ländern inhaftiert sind. Wir sind sicher, dass diese Diener Jehovas für ihn wirklich wertvoll und „kostbar in ... [seinen] Augen“ sind (Jesaja 43:4a).