22. SEPTEMBER 2016
RUSSLAND
TEIL 1
Russland benutzt Anti-Extremismus-Gesetz als Vorwand, um Jehovas Zeugen strafrechtlich zu verfolgen — Was sagen Experten?
Dies ist der erste Artikel einer dreiteiligen Serie von Exklusivinterviews mit anerkannten Wissenschaftlern für Religion, Politik und Soziologie sowie Experten im Bereich für Osteuropäische Geschichte.
ST. PETERSBURG (Russland): Der Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation versucht, Jehovas Zeugen als „extremistisch“ einstufen zu lassen. Falls das Gericht im Sinne der Staatsanwaltschaft entscheidet, könnte das zur Auflösung der inländischen Rechtskörperschaft von Jehovas Zeugen führen, wodurch ihre Aktivitäten innerhalb der Russischen Föderation tatsächlich verboten wären. Jehovas Zeugen sind aufgrund der Beschuldigungen der Staatsanwaltschaft den entsprechenden Rechtsweg gegangen und die Gerichtsverhandlung sollte am 23. September 2016 stattfinden.
Der Rechtsfall gegen Jehovas Zeugen stützt sich auf Russlands Anti-Extremismus-Gesetz, das von Wissenschaftlern als „diskriminierend“, „äußerst mangelhaft“ und „schlicht und einfach absurd“ bezeichnet wird.
„Was bekämpft werden sollte, sind die Formen des Extremismus, die Menschenleben gefährden.“, sagt Dr. Derek H. Davis, ehemaliger Leiter des J.M. Dawson Institute of Church-State Studies an der Baylor University in Texas. „Irgendetwas anderes zu bekämpfen, ist selbst eine Form von Extremismus.“
Den Grund für ein derart extremes Vorgehen gegen eine friedliche Religionsgemeinschaft wie Jehovas Zeugen erklärt Dr. Mark Juergensmeyer, Direktor des Orfalea Center for Global and International Studies an der University of California, Santa Barbara, wie folgt: „Die Religionsfreiheit im Namen des Kampfes gegen Extremismus zu beschränken, ist ein bedauerlicher Vorwand.“ Des Weiteren erläutert Dr. Jim Beckford, Mitglied der British Academy: „Elemente innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche machen gemeinsame Sache mit der Regierung, um ihre eigenen Interessen voranzutreiben und um alles, was als Konkurrenz empfunden wird, zu unterdrücken.“
Experten halten das Problem nicht nur für eine missbräuchliche Anwendung des Gesetzes, sondern sagen auch, dass der Gesetzesrahmen dem Missbrauch entgegenkommt. Das Moskauer SOWA-Zentrum, das sich auch mit Menschenrechtsfragen beschäftigt, erklärt: „Wie wir wiederholt erläutert haben, ist das Anti-Extremismus-Gesetz mit seinen vagen Formulierungen das perfekte Instrument für die Verfolgung politischer Gegner und anderer Gruppen, die nicht der allgemein vorherrschenden Meinung entsprechen.“
„Die russischen Bürger sollten über die Entscheidung des Staates, Jehovas Zeugen zu diskriminieren, besorgt sein“, sagt Dr. Emily B. Baran, Assistenzprofessorin für Russische und Osteuropäische Geschichte an der Middle Tennessee State University, „weil das nahelegt, dass der Staat bereit ist, auch anderen Gruppen die gleichen Rechte zu entziehen und ähnliche Schritte gegen weitere Minderheiten zu unternehmen.“
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