14. OKTOBER 2015
RUSSLAND
Experten sehen Verbot von JW.ORG in Russland kritisch
ST. PETERSBURG (Russland): Am 21. Juli 2015 verbot Russland jw.org, die offizielle Website von Jehovas Zeugen. Damit ist es in Russland strafbar, andere zum Besuch der Website aufzufordern. Russland ist das einzige Land weltweit, das jw.org verboten hat.
Jekatarina Elbakjan, Religionswissenschaftlerin und Professorin an der Akademie für Arbeit und soziale Beziehungen in Moskau, sagt über jw.org: „Ich denke, die Website ist notwendig, weil sie objektive Informationen direkt von Jehovas Zeugen über ihre Organisation enthält und nicht die Meinung Dritter. ... Nicht nur die Mitglieder haben Interesse an der Website, sondern auch diejenigen, die lediglich an verschiedenen Religionen interessiert sind. Und ich rede nicht nur von Religionswissenschaftlern wie mir, sondern auch von Journalisten und Autoren, die über Religion schreiben.“
„Ich denke, die Website ist notwendig, weil sie objektive Informationen direkt von Jehovas Zeugen ... enthält“ (Jekatarina Elbakjan, Professorin an der Akademie für Arbeit und soziale Beziehungen in Moskau)
Lev Levinson, Rechtsexperte am Institut für Menschenrechte in Moskau, setzt die jüngste Vorgehensweise der Regierung in einen historischen Kontext: „Das Russland des 21. Jahrhunderts hat eine Verfassung, die Religionsfreiheit und Gleichheit von religiösen Organisationen vor dem Gesetz garantiert. Doch wie schon im 19. Jahrhundert schränkt Russland erneut die Freiheit ein, persönliche religiöse Ansichten mit anderen zu teilen, indem es Literatur beschlagnahmt und Websites verbietet. Und all das wird von Richtern und Experten getan, die unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung Vorschriften rechtswidrig anwenden.“
Das Verbot ist die jüngste Entwicklung in einem Rechtsstreit, der 2013 begann. Am 7. August 2013 erklärte ein russisches Bezirksgericht in einer geschlossenen Verhandlung die Website für „extremistisch“. Diese Entscheidung wurde am 22. Januar 2014 von einem Regionalgericht wieder aufgehoben. Allerdings legte der stellvertretende Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation Rechtsmittel ein und brachte den Fall vor das Oberste Gericht von Russland, um die ursprüngliche Entscheidung durchzusetzen. Am 2. Dezember 2014 kam es zur Anhörung; aber da Jehovas Zeugen nicht ordnungsgemäß über die Anhörung informiert worden waren, konnten sie nicht anwesend sein und sich auch nicht verteidigen. Das Oberste Gericht erkannte zwar an, dass die Website keinerlei verbotenes religiöses Material mehr enthalte, bestätigte aber dennoch die Entscheidung der ersten Instanz und erklärte die gesamte Website für „extremistisch“. Jehovas Zeugen reichten eine Beschwerde beim Vorsitzenden des Obersten Gerichts ein, aber ohne Erfolg. Aufgrund der Entscheidung setzte das russische Justizministerium die Website am 21. Juli 2015 auf die offizielle Liste extremistischer Materialien und verbot sie damit in ganz Russland.
Jaroslaw Siwulskij, ein Sprecher von Jehovas Zeugen in Russland, erklärt die Auswirkungen des Verbots wie folgt: „Wir sind enttäuscht über das ungerechtfertigte Vorgehen der russischen Behörden. Das Verbot schränkt die Glaubensausübung der über 170 000 Zeugen Jehovas im Land ein. Und wenn man bedenkt, dass jeden Tag rund 285 000 Menschen in Russland diese Website besucht haben, wird klar, dass auch viele, die unseren Glauben nicht teilen, einer ausgezeichneten Quelle für das Bibelstudium beraubt wurden.“
J. R. Brown, Sprecher von Jehovas Zeugen in ihrer Weltzentrale in New York, sagt: „Auf unserer offiziellen Website jw.org gibt es prämierte Videos, Publikationen für das Bibelstudium in Hunderten von Sprachen und die zwei am weitesten verbreiteten Zeitschriften der Welt, Der Wachtturm und Erwachet!. Die Website wurde auf einigen der größten internationalen Buchmessen vorgestellt und wird sogar in Schulen intensiv verwendet. Weltweit profitieren viele von der Website und auch in Russland wurde sie viel genutzt. Ohne Frage: Diese Website sollte gefördert werden.“