LEBENSBERICHT

Ich habe gesehen, dass es treuen Glaubensmenschen gut geht

Ich habe gesehen, dass es treuen Glaubensmenschen gut geht

GAB es in deinem Leben Gespräche, die für dich richtungsweisend waren? Vor etwa 50 Jahren hatte ich ein solches Gespräch mit einem Freund in Kenia. Nachdem wir monatelang gereist waren, saßen wir braungebrannt am Lagerfeuer und sprachen über einen Film, der ein religiöses Thema berührte. Mein Freund behauptete: „Die Bibel wurde da völlig falsch dargestellt.“

Ich musste lachen. Mein Freund hatte auf mich bisher nicht besonders religiös gewirkt. „Was weißt du denn schon über die Bibel?“, fragte ich ihn. Zuerst wollte er nicht so recht mit der Sprache herausrücken. Aber dann erzählte er mir, dass seine Mutter eine Zeugin Jehovas ist. Von ihr hatte er so einiges gelernt. Ich war neugierig und wollte mehr wissen.

Wir unterhielten uns bis spät in die Nacht hinein. Mein Freund erklärte mir, dass laut der Bibel Satan der Herrscher der Welt ist (Joh. 14:30). Für mich war dieser Gedanke völlig neu und ein echtes Aha-Erlebnis. Ich hatte gelernt, dass ein gütiger Gott die Macht über die Welt hat. Aber das passte nicht zu dem, was ich bereits erlebt hatte. Obwohl ich erst 26 war, hatte ich schon vieles gesehen, was mich beunruhigte.

Mein Vater war Pilot bei der amerikanischen Luftwaffe gewesen. Deshalb war mir als Jugendlichem klar, dass jederzeit ein Atomkrieg ausbrechen könnte. Das Militär hatte sozusagen den Finger am Abzug. Meine College-Jahre in Kalifornien waren vom Vietnamkrieg überschattet. Ich machte bei Studentenprotesten mit. Oft liefen wir vor der Polizei davon, die Schlagstöcke und Tränengas einsetzte. Wir keuchten und konnten kaum etwas sehen. Es war eine Zeit der Unruhen und des Aufruhrs. Ständig hörte man von politischen Attentaten, Demonstrationen und Krawallen. Ideen und Meinungen wirbelten durcheinander wie Blätter in einem Sturm. Es war alles so verwirrend.

Von London nach Zentralafrika

1970 nahm ich einen Job an der Nordküste Alaskas an und verdiente viel Geld. Dann flog ich nach London, kaufte mir ein Motorrad und fuhr einfach ohne Ziel in Richtung Süden. Monate später fand ich mich in Afrika wieder. Unterwegs traf ich etliche Menschen, die auch nur wegwollten – die Fesseln sprengen und sich von allem losreißen.

Nach allem, was ich gesehen und gehört hatte, fand ich die Aussage der Bibel schlüssig, dass ein böses Geistwesen die Fäden in der Hand hält. Aber welche Rolle spielte dann Gott? Das wollte ich unbedingt wissen.

In den Monaten darauf erhielt ich die Antwort. Außerdem lernte ich im Laufe der Zeit viele Männer und Frauen kennen und lieben, die dem wahren Gott unter den verschiedensten Umständen treu dienten.

NORDIRLAND – „DAS LAND DER BOMBEN UND KUGELN“

Zurück in London nahm ich Kontakt mit der Mutter meines Freundes auf und sie gab mir eine Bibel. Später, in Amsterdam, las ich eines Tages unter einer Straßenlaterne darin. Ein Zeuge Jehovas, der das beobachtete, sprach mich an und erklärte mir einiges. Bei meiner nächsten Station in Dublin entdeckte ich das Zweigbüro von Jehovas Zeugen und klopfte an die Tür. So lernte ich Arthur Matthews kennen, einen klugen, erfahrenen Bruder. Ich bat ihn darum, mit mir die Bibel zu studieren, und er war einverstanden.

Ich stürzte mich auf mein Studium und verschlang geradezu die Bücher und Jahrgänge, die Jehovas Zeugen veröffentlichten. Und selbst­verständlich las ich auch die Bibel. Das war alles so spannend! Bei den Zusammenkünften fiel mir auf, dass schon Kinder die Antworten auf Fragen kannten, über die sich gebildete Menschen seit Jahrhunderten den Kopf zerbrachen: Woher kommt das Böse? Wer ist Gott? Was passiert beim Tod? Ich verbrachte meine ganze Zeit mit Zeugen Jehovas. Dazu muss man allerdings sagen, dass ich im ganzen Land sonst auch niemanden kannte. Durch sie lernte ich Jehova lieben und entwickelte den Wunsch, so zu leben, wie er es möchte.

Nigel, Denis und ich

1972 ließ ich mich taufen. Ein Jahr später wurde ich Pionier und schloss mich in Newry (Nordirland) einer winzig kleinen Versammlung an. Ich mietete ein einsames Cottage, das an einem Hügel lag. Ganz in der Nähe grasten Kühe, und wenn ich meine Vorträge übte, mussten sie oft als Publikum herhalten. Während sie so vor sich hin kauten, schienen sie aufmerksam zuzuhören. Nützliche Ratschläge konnten sie mir zwar keine geben, aber sie halfen mir, Blickkontakt herzustellen. 1974 wurde ich zum Sonderpionier ernannt. Mein Partner war Nigel Pitt, mit dem mich eine lebenslange Freundschaft verbindet.

Es war die Zeit des „Nordirlandkonflikts“. Einige bezeichneten den Norden passenderweise als „das Land der Bomben und Kugeln“. Straßenkämpfe, Heckenschützen, wilde Schießereien und Autobomben waren an der Tagesordnung. Politische und religiöse Auseinander­setzungen waren eng miteinander verwoben. Allerdings erkannten sowohl Protestanten als auch Katholiken, dass sich Jehovas Zeugen aus der Politik heraushalten. So konnten wir ungehindert und ungefährdet predigen. Die Menschen im Gebiet wussten oft, wann und wo es brenzlig werden könnte, und warnten uns.

Trotzdem kam es zu gefährlichen Situationen. Einmal war ich mit einem anderen Pionier, Denis Carrigan, in einer nahe gelegenen Ortschaft unterwegs, wo es keine Zeugen Jehovas gab und wo wir erst ein Mal gepredigt hatten. Eine Frau beschuldigte uns, in Wirklichkeit britische Soldaten zu sein, vielleicht weil keiner von uns einen irischen Akzent hatte. Das machte uns richtig Angst. Damals reichte es schon, freundlich zu Soldaten zu sein, um einen Schuss ins Knie zu bekommen oder getötet zu werden. Während wir einsam in der Kälte standen und auf den Bus warteten, sahen wir, wie ein Auto an dem Café vorfuhr, wo uns die Frau beschuldigt hatte. Sie kam heraus, sprach mit den beiden Männern im Auto und gestikulierte dabei aufgeregt in unsere Richtung. Die Männer fuhren langsam auf uns zu und stellten uns einige Fragen zum Busfahrplan. Als der Bus kam, unterhielten sie sich mit dem Fahrer, aber wir verstanden kein Wort. Da es keine anderen Fahrgäste gab, war uns klar: Wir sollten aus dem Ort geschafft werden, damit sie uns dort in die Mangel nehmen könnten. Aber dazu kam es nicht. Beim Aussteigen fragte ich den Busfahrer: „Die beiden da von vorhin, wollten die was über uns wissen?“ Er antwortete: „Ich weiß doch, wer ihr seid, und das hab ich ihnen gesagt. Macht euch mal keine Sorgen. Euch passiert nichts.“

Unsere Heirat (März 1977)

1976 lernte ich auf einem Bezirkskongress a in Dublin Pauline Lomax kennen, eine Sonderpionierin, die zu Besuch aus England war. Pauline war ein demütiger, liebenswürdiger Glaubensmensch. Sie und ihr Bruder Ray waren in der Wahrheit aufgewachsen. Ein Jahr später heirateten wir und setzten unseren Sonderdienst in Ballymena (Nordirland) fort.

Eine Zeit lang waren wir in Belfast, Londonderry und anderen Krisenherden im Kreisdienst. Der Glaube unserer Brüder und Schwestern dort beeindruckte uns sehr. Um Jehova zu dienen, hatten sie tief verwurzelte religiöse Überzeugungen, Vorurteile und Hass hinter sich gelassen. Jehova hat sie beschützt und sehr gesegnet.

Nachdem ich zehn Jahre in Irland gelebt hatte, wurden meine Frau und ich 1981 zum Besuch der 72. Klasse der Gileadschule eingeladen. Anschließend ging es für uns nach Sierra Leone in Westafrika.

SIERRA LEONE – GLAUBE INMITTEN VON ARMUT

Wir lebten mit elf wunderbaren Menschen in einem Missionarheim. Es gab eine Küche, drei Toiletten, zwei Duschen, ein Telefon, eine Waschmaschine und einen Trockner. Oft kam es unerwartet zu Stromausfällen. Der Dachboden war von Ratten bevölkert und durch den Keller schlängelten sich Kobras.

Wir überqueren einen Fluss, um einen Kongress im benachbarten Guinea zu besuchen

Auch wenn die Lebens­bedingungen nicht gerade ideal waren, der Dienst war die reinste Freude. Die Menschen hatten Achtung vor der Bibel und hörten gespannt zu. Viele begannen ein Studium und ließen sich taufen. Die Einheimischen nannten mich „Mister Robert“ und Pauline war „Missus Robert“. Doch als ich dann mehr im Zweigbüro zu tun hatte und nicht mehr so oft in den Dienst kam, nannten die Leute meine Frau „Missus Pauline“ und aus mir wurde „Mister Pauline“. Pauline fand das köstlich.

Auf dem Weg zu einer Predigtaktion in Sierra Leone

Viele der Brüder und Schwestern waren arm, aber Jehova sorgte immer für sie – manchmal auf erstaunliche Weise (Mat. 6:33). Eine Schwester hatte einmal gerade noch genug Geld, um für sich und ihre Kinder Essen für einen Tag zu kaufen. Trotzdem gab sie alles einem kranken Bruder, der sich seine Malariamedizin nicht leisten konnte. Noch am selben Tag kam unerwartet eine Frau und bezahlte die Schwester dafür, ihr die Haare zu machen. Solche Erlebnisse waren keine Seltenheit.

NIGERIA – EINE VÖLLIG NEUE KULTUR

Wir waren neun Jahre in Sierra Leone, als wir nach Nigeria ins Zweigbüro geschickt wurden. Jetzt befanden wir uns in einem großen Bethel. Ich hatte eine ähnliche Bürotätigkeit wie in Sierra Leone, aber für Pauline änderte sich so einiges. Das war nicht leicht für sie. Sie hatte jeden Monat 130 Stunden im Predigtdienst eingesetzt und betreute mehrere Bibelschüler, die gute Fortschritte machten. Jetzt saß sie in der Nähstube und verbrachte den ganzen Tag damit, Kleidung auszubessern. Daran musste sie sich erst mal gewöhnen, aber mit der Zeit ist ihr bewusst geworden, dass ihre Arbeit sehr geschätzt wird. Außerdem suchte sie nach Gelegenheiten, anderen im Bethel Mut zu machen.

Die nigerianische Kultur war uns fremd und wir mussten viel lernen. Einmal kam ein Bruder zu mir ins Büro, um mir eine Schwester vorzustellen, die ganz neu im Bethel war. Als ich ihr meine Hand hinstreckte, fiel sie vor mir auf die Knie. Ich war geschockt! Zwei Bibeltexte schossen mir durch den Kopf: Apostel­geschichte 10:25, 26 und Offenbarung 19:10. Sollte ich sie darauf ansprechen? Aber dann dachte ich, dass sie ja wissen musste, was in der Bibel steht, denn schließlich war sie ins Bethel eingeladen worden.

Etwas unbeholfen brachte ich die Begrüßung hinter mich und stellte dann Nachforschungen an. Die Schwester hatte sich einfach an einen Brauch gehalten, der damals noch in einigen Landesteilen gepflegt wurde. Auch Männer warfen sich vor anderen nieder. Das war ein Zeichen von Respekt und keine Anbetung. Auch biblische Personen verhielten sich so (1. Sam. 24:8). War ich froh, dass ich in meiner Unwissenheit nichts gesagt habe, was meine Schwester in Verlegenheit gebracht hätte!

Wir lernten viele Nigerianer kennen, die über die Jahre eine bemerkenswerte Treue gezeigt hatten. Isaiah Adagbona b zum Beispiel kam als junger Mann mit der Wahrheit in Berührung. Leider erkrankte er dann an Lepra. Er musste in eine Leprakolonie ziehen, wo er der einzige Zeuge Jehovas war. Trotz Widerstand half er mehr als 30 Leprakranken, die Wahrheit anzunehmen, und gründete eine Versammlung in der Kolonie.

KENIA – DIE BRÜDER HATTEN GEDULD MIT MIR

Begegnung mit einem verwaisten Nashorn in Kenia

1996 wurden wir nach Kenia geschickt. Zum ersten Mal war ich wieder dort, wo alles begonnen hatte. Auch hier lebten wir im Bethel. Unter den Besuchern, die dieser Ort anzog, waren auch grüne Meerkatzen. Diese Affen bedienten sich gern bei den Schwestern, die Obst trugen. Einmal hatte eine Schwester ihr Fenster offen gelassen. Als sie nach Hause kam, machte sich eine Affenfamilie gerade genüsslich über die Lebensmittel im Zimmer her. Sie schrie und rannte aus dem Zimmer und die Affen schrien und sprangen aus dem Fenster.

Pauline und ich schlossen uns einer Versammlung an, in der Swahili gesprochen wurde. Schon bald wurde ich gebeten, das Versammlungs­buchstudium zu leiten (heute Versammlungs­bibelstudium). Allerdings kamen meine Sprachkenntnisse in etwa denen eines Kleinkindes gleich. Ich bereitete mich immer gut vor und konnte so wenigstens die Fragen vorlesen. Doch wenn die Antworten auch nur geringfügig vom Wortlaut im Absatz abwichen, verstand ich sie nicht. Das war wirklich unangenehm! Die Brüder und Schwestern taten mir richtig leid. Ich war sehr beeindruckt, wie geduldig und demütig sie mitmachten.

USA – GLAUBE INMITTEN VON WOHLSTAND

Nach weniger als einem Jahr in Kenia wurden wir 1997 nach Brooklyn (New York) ins Bethel eingeladen. Jetzt lebten wir in einem sehr wohlhabenden Land, was seine ganz eigenen Probleme mit sich bringen kann (Spr. 30:8, 9). Aber auch dort beweisen die Brüder und Schwestern großen Glauben. Sie setzen ihre Zeit und Mittel nicht dafür ein, reich zu werden, sondern um Jehovas Organisation zu unterstützen.

In all den Jahren konnten wir unter den verschiedensten Umständen Glauben in Aktion beobachten. In Irland Glaube inmitten von Unruhen. In Afrika Glaube inmitten von Armut und Isolation. In den USA Glaube inmitten von Wohlstand. Wie sehr muss sich Jehova freuen, wenn er vom Himmel aus beobachtet, wie Menschen in den unterschied­lichsten Lebenslagen ihre Liebe zu ihm zeigen!

Pauline und ich vor dem Bethel in Warwick

Die Jahre sind schneller vorübergezogen „als ein Weberschiffchen“ (Hiob 7:6). Jetzt sind wir in der Weltzentrale in Warwick (New York) und wieder inmitten von Menschen, die einander wirklich lieben. Es macht uns glücklich und zufrieden, mit allen Kräften unseren König Christus Jesus zu unterstützen, der bald alle treuen Glaubensmenschen belohnen wird (Mat. 25:34).

a Regionale Kongresse wurden damals Bezirks­kongresse genannt.

b Der Lebensbericht von Isaiah Adagbona ist im Wachtturm vom 1. April 1998, Seite 22 bis 27 erschienen. Isaiah starb 2010.