LEBENSBERICHT
„Ich wollte für Jehova arbeiten“
ERZÄHLT VON DANIEL VAN MARL
TIEF im Regenwald von Suriname hatten wir in der Nähe des Dorfes Granbori eine kleine Gruppe besucht. Jetzt hieß es Abschied nehmen und wir winkten ihnen noch einmal. Dann ging die Reise mit einem Einbaum auf dem Tapanahoni weiter. Als wir später in Stromschnellen gerieten, prallte der Propeller unseres Außenborders auf einen Stein. Sofort tauchte der Bug unseres Boots in den Fluss und wir gingen unter. Mein Herz raste. Ich war als Kreisaufseher zwar schon seit Jahren auf Flüssen unterwegs, aber schwimmen hatte ich noch nicht gelernt.
Aber bevor die Fortsetzung folgt, möchte ich erst einmal erzählen, wie es kam, dass ich Vollzeitdiener wurde.
Ich wurde 1942 auf der wunderschönen Karibikinsel Curaçao geboren. Mein Vater stammte aus Suriname und war auf der Suche nach Arbeit dorthin gezogen. Ein paar Jahre vor meiner Geburt gehörte er zu den Ersten, die sich auf Curaçao als Zeugen Jehovas taufen ließen. a Er hielt jede Woche ein Familienstudium ab, obwohl wir Kinder es ihm nicht immer leicht gemacht haben. Als ich 14 war, zogen wir dann nach Suriname zurück, weil mein Vater sich um seine Mutter kümmern musste.
GUTER UMGANG BRINGT MICH WEITER
In Suriname fand ich in der Versammlung Freunde, die sich sehr für Jehova einsetzten. Sie waren ein paar Jahre älter als ich und waren Pioniere. Wenn sie erzählten, was sie so alles im Dienst erlebten, strahlten ihre Gesichter. Nach den Zusammenkünften unterhielten wir uns oft über biblische Themen – manchmal unter dem Sternenhimmel. Durch diese Freunde wurde mir klar, was ich mit meinem Leben anfangen wollte. Ich wollte für Jehova arbeiten. Also ließ ich mich mit 16 Jahren taufen, und mit 18 wurde ich Pionier.
ICH LERNE VIEL WERTVOLLES
Als Pionier habe ich vieles gelernt, was mir in all den Jahren des Vollzeitdienstes eine große Hilfe war, zum Beispiel wie wichtig es ist, andere zu schulen. Als ich mit dem Pionierdienst begann, nahm mich ein Pionier namens Willem van Seijl b unter seine Fittiche. Von ihm habe ich gelernt, wie man in der Versammlung Verantwortung übernimmt. Zu der Zeit ahnte ich noch nicht, wie sehr ich auf diese Schulung angewiesen sein würde. Ein Jahr später wurde ich zum Sonderpionier ernannt und durfte mich um abgelegene Gruppen tief im Regenwald von Suriname kümmern. Wie dankbar war ich da für die Schulung, die ich durch andere Brüder erhalten hatte! Seitdem folge ich ihrem Beispiel und nehme mir ebenfalls Zeit, andere zu schulen.
Das Zweite, was ich lernte, war, ein einfaches, gut strukturiertes Leben zu führen. Am Monatsanfang planten mein Sonderpionierpartner und ich immer unsere Einkäufe für die nächsten Wochen. Dann machte sich einer von uns auf den langen Weg in die Hauptstadt und besorgte alles. Wir mussten unsere monatliche Zuwendung und unsere Vorräte gut einteilen, damit es bis zum Monatsende reichte. Wenn uns im Regenwald etwas ausgegangen wäre, hätte uns wohl kaum jemand helfen können. Dadurch dass ich schon damals gelernt habe, mit wenig zufrieden zu sein und gut zu planen, konnte ich mich mein Leben lang auf die Interessen Jehovas konzentrieren.
Außerdem lernte ich, wie gut es ist, Menschen in ihrer Muttersprache zu erreichen. In meiner Kindheit wurde bei uns Niederländisch, Englisch, Papiamento und Sranantongo (oder Sranan) gesprochen, eine der üblichsten Sprachen in Suriname. Aber im Regenwald gab es noch viele andere Sprachen. Ich stellte fest, dass die Menschen besser auf die gute Botschaft reagierten, wenn sie sie in ihrer Muttersprache hörten. Mit einigen dieser Sprachen tat ich mich allerdings schwer, zum Beispiel mit Saramakkisch, weil man in dieser Sprache auf die Tonhöhe achten muss. Doch es war die Mühe wert. So konnte ich über die Jahre viel mehr Menschen die Wahrheit näherbringen.
Natürlich bin ich auch so manches Mal ins Fettnäpfchen getreten. Einmal wollte ich eine saramakkisch-sprachige Bibelschülerin fragen, wie es ihr geht, weil sie über Bauchschmerzen geklagt hatte. In Wirklichkeit fragte ich sie aber, ob sie schwanger sei. Es ist wahrscheinlich überflüssig zu erwähnen, dass sie nicht sehr begeistert war. Trotz solcher Missgeschicke habe ich mich immer bemüht, die Muttersprache der Menschen zu lernen.
NEUE AUFGABEN
1970 wurde ich zum Kreisaufseher ernannt. Im selben Jahr zeigte ich im Regenwald wiederholt den Diavortrag „Ein Besuch in der Weltzentrale der Zeugen Jehovas“. Um die abgelegenen Gruppen zu erreichen, war ich mit mehreren Brüdern in einem langen, schmalen Holzboot unterwegs. Zu unserer Ladung gehörten ein Generator, ein Benzinkanister, Petroleumlampen und die Diaausrüstung. Am Ziel angelangt, transportierten wir alles ins Landesinnere an den Ort, wo die Diavorführung stattfinden sollte. Ich werde nie vergessen, wie dankbar die Menschen für diese Vorträge waren. Ihnen zu helfen, Jehova und den irdischen Teil seiner Organisation kennenzulernen, war wirklich jedes Opfer wert!
EINE DREIFACHE SCHNUR
Obwohl das Leben als Single seine Vorteile hatte, sehnte ich mich irgendwann danach zu heiraten. Ich betete konkret um eine Frau, die sich mit dem anstrengenden Leben eines Vollzeitdieners im Regenwald anfreunden könnte. Ungefähr ein Jahr später lernte ich Ethel, eine aufopferungsvolle Sonderpionierin, näher kennen. Sie hatte schon immer den Apostel Paulus bewundert und wollte sich so wie er im Dienst für Jehova verausgaben. Wir heirateten im September 1971 und waren von da an zusammen im Kreisdienst.
Da Ethel in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen war, gewöhnte sie sich schnell an die neuen Umstände. Wenn wir zum Beispiel Versammlungen besuchten, die tief im Regenwald lagen, reisten wir nur mit wenig Gepäck. Wir wuschen uns selbst und unsere Kleidung in den Flüssen. Auch aßen wir, was immer man uns vorsetzte – Leguane, Piranhas und alles Mögliche andere, was man jagen oder fischen konnte. Wenn es keine Teller gab, aßen wir von Bananenblättern. Und unsere Finger ersetzten oft das Besteck. Durch die Opfer, die wir gemeinsam im Dienst für Jehova brachten, fühlten wir uns in einer dreifachen Schnur eng miteinander verflochten (Pred. 4:12). Diese Erlebnisse hätten wir gegen nichts eintauschen wollen.
Auf der Rückreise von einem abgelegenen Ort im Regenwald erlebten wir das, was ich am Anfang erzählt habe. Als unser Boot in die Stromschnellen geriet, versank es kurz im Wasser, tauchte dann aber schnell wieder auf. Zum Glück trugen wir Rettungswesten und gingen nicht über Bord. Doch das Boot lief voll Wasser. Wir leerten den Inhalt unserer Kochtöpfe in den Fluss aus und schöpften mit ihnen das Wasser heraus.
Da wir jetzt nichts mehr zu essen hatten, versuchten wir etwas zu fischen, allerdings ohne Erfolg. Also beteten wir zu Jehova um Nahrung für diesen Tag. Gleich nach dem Gebet warf einer der Brüder eine Angel aus und fing einen Fisch, der so groß war, dass wir alle fünf davon satt wurden.
EHEMANN, VATER UND REISENDER AUFSEHER
Nach fünf Jahren im Reisedienst meldete sich ganz unerwartet Nachwuchs bei uns an. Ich freute mich sehr darüber, machte mir aber auch Gedanken, wie es jetzt mit uns weitergehen würde. Ethel und ich wollten wenn irgend möglich im Vollzeitdienst bleiben. Im Jahr 1976 wurde unser Sohn Ethniël geboren. Und zweieinhalb Jahre später kam noch Giovanni dazu.
Weil zu dieser Zeit in Suriname großer Bedarf herrschte, ermöglichte es mir das Zweigbüro, trotz Kindern weiter Kreisaufseher zu sein. Als die Jungs klein waren, wurde ich in Kreise mit weniger Versammlungen geschickt. So konnte ich normalerweise einen Teil des Monats reisen und den Rest der Zeit in der eigenen Versammlung Pionier sein. Lagen die Versammlungen in der Nähe, begleiteten mich Ethel und die Kinder. Doch zu den Versammlungen und Kongressen im Regenwald reiste ich immer allein.
Um allen meinen Verpflichtungen nachkommen zu können, musste ich gut planen. Ich stellte sicher, dass unser Familienstudium jede Woche stattfand. Wenn ich im Regenwald unterwegs war, übernahm Ethel das Studium. Doch wir machten als Familie so viel wie möglich gemeinsam. Auch die Freizeit kam nicht zu kurz. Wir spielten mit den Jungs und machten kleine Ausflüge. Oft blieb ich bis spät in die Nacht wach, um mich auf meine Aufgaben vorzubereiten. Und Ethel, eine tüchtige Ehefrau, stand, wie in Sprüche 31:15 beschrieben, schon vor dem Morgengrauen auf. So konnten wir gemeinsam den Tagestext besprechen und zusammen frühstücken, bevor die Jungs in die Schule mussten. Ich bin wirklich dankbar, eine so selbstlose Frau zu haben, die mich immer unterstützt.
Wir strengten uns sehr an, in unseren Kindern die Liebe zu Jehova und zum Predigtdienst zu fördern. Unser Wunsch war, dass sie den Vollzeitdienst zu ihrem Lebensweg machen, aber nicht, weil wir es wollten, sondern sie selbst. Immer wieder erzählten wir ihnen, wie glücklich es macht, sich so für Jehova einzusetzen. Wir verschwiegen ihnen nicht, dass es manchmal auch schwer sein kann. Doch vor allem sprachen wir darüber, wie sehr uns Jehova als Familie geholfen und gesegnet hatte. Wir sorgten auch dafür, dass unsere Söhne oft mit Brüdern und Schwestern zusammen waren, für die Jehova an erster Stelle kam.
Jehova hat immer für das gesorgt, was wir als Familie brauchten. Aber natürlich habe ich auch selbst meinen Teil getan. Durch meine Erlebnisse als unverheirateter Sonderpionier im Regenwald habe ich gelernt vorauszuplanen. Doch trotz aller Anstrengungen kam es manchmal bei uns zu einem Engpass. Dann hatte ich immer das Gefühl, dass Jehova zur Stelle war. Zum Beispiel gab es Ende der 80er-Jahre und Anfang der 90er-Jahre in Suriname schwere Unruhen. Damals war es nicht immer leicht, das Lebensnotwendige zu beschaffen. Doch Jehova war für uns da (Mat. 6:32).
MEIN FAZIT
In all den Jahren durften wir immer wieder erleben, dass Jehova sich um uns kümmert. Wir haben tiefe Zufriedenheit und echtes Glück verspürt. Unsere Kinder sind ein Riesengeschenk für uns, und es hat uns große Freude gemacht, sie auf den Weg Jehovas zu bringen. Dass sie sich auch für den Vollzeitdienst entschieden haben, begeistert uns sehr. Sowohl Ethniël als auch Giovanni haben theokratische Schulen besucht und sind jetzt zusammen mit ihren Frauen im Zweigbüro von Suriname.
Ethel und ich sind inzwischen in die Jahre gekommen, aber wir sind immer noch Sonderpioniere und arbeiten gern für Jehova. Tatsächlich sind wir so beschäftigt, dass ich immer noch nicht schwimmen gelernt habe. Aber ich bereue nichts. Dass ich als junger Mann den Vollzeitdienst zu meiner Lebensaufgabe gemacht habe, war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte.
a Siehe Jahrbuch der Zeugen Jehovas 2002, S. 70.
b Der Lebensbericht von Willem van Seijl, „Meine Erwartungen wurden übertroffen“, erschien im Erwachet! vom 8. Oktober 1999.
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